Geschichtsschreibung im Historischen Roman - Eine vergleichende Betrachtung von Bertolt Brechts "Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar" und Stefan Heyms "Der König David Bericht" - Carl Röthig - E-Book

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Carl Röthig

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Beschreibung

Examensarbeit aus dem Jahr 2006 im Fachbereich Didaktik für das Fach Deutsch - Literatur, Werke, Note: 1,5, Technische Universität Dresden (Institut für Germanistik), Sprache: Deutsch, Abstract: Die historischen Romane "Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar" und "Der König David Bericht" von Bertolt Brecht bzw. Stefan Heym weisen signifikante Merkmale auf, die einen Vergleich nicht nur auf Grund derselben Gattungszugehörigkeit rechtfertigen: Ihre Entstehung fällt in die Zeit der jeweiligen Auseinandersetzung mit einer Diktatur – bei Brecht der Naziherrschaft, bei Heym des Stalinismus und des DDR-Regimes. Hauptprotagonist in beiden ist ein Historiker, der die Geschichte eines „großen“ Mannes schreiben will bzw. soll. Doch kleiden diese Geschichtsromane keinesfalls nur aktuelle politische Ereignisse in ein historisches Gewand. So ist Caesar nicht vollständig mit Adolf Hitler gleichzusetzen, auch David nicht mit Josef Stalin. Sie mögen Ähnlichkeiten mit diesen Figuren haben, doch dienen die eher einer besseren Anschaulichkeit, um zu zeigen, dass Diktaturen ähnliche Strukturen aufweisen. Das Ziel der beiden Geschichtsromane ist aber ein anderes: Über die satirische Auseinandersetzung mit den Figuren Julius Caesar und König David werden Diskurse über die Art von Geschichtsschreibung eröffnet. Um so ein Thema literarisch darzustellen, griffen sowohl Brecht als auch Heym auf die Gattung Historischer Roman, die einige Schwierigkeiten bereitet, zurück. Da diese Examensarbeit sich gattungsspezifisch den beiden Werken nähert, steht eine gattungstheoretische Diskussion zum historischen Roman selbst am Anfang der Betrachtung.

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Inhaltsverzeichnis
1. Der historische Roman
1.1. Der historische Roman - Eine Zwittergattung?
1.2. Was ist ein historischer Roman?
1.2.1. Über Grenzziehung zu anderen Gattungen zu einer Minimaldefinition
1.2.2. Unmöglichkeit einer Universaldefinition
1.3. Narration und Geschichte als Untersuchungskriterien für historische Romane
2. Bertolt Brecht - Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar
Historischer Roman
2.2. Strukturanalyse - Zerstörung des personenzentrierten Geschichtsbildes
3. Stefan Heym - Der König David Bericht
3.1. Entstehungsgeschichte, Rezensions- und Forschungsabriss
3.2. Aufbau und Struktur
3.3. Geschichtsfälschung vs. materialistische Geschichtsbetrachtung.
3.4. Die historische Welt - Die Dekonstruktion des biblischen David-Bildes
3.5. Die politische Welt - Kennzeichen eines despotischen Regimes
3.6. Die private Welt - Ausdruck eines menschenwürdigen Zusammenlebens
3.7. Rolle des Schriftgelehrten

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Geschichtsschreibung im Historischen Roman-Einevergleichende Betrachtung von Bertolt BrechtsDie Geschäfte

des Herrn Julius Caesarund Stefan HeymsKönig David Berichts.

Lehrbereich Neueste deutsche Literatur und Didaktik der deutschen Sprache und Literatur

Dresden, 31.08.2006

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Einleitung

Die historischen RomaneDie Geschäfte des Herrn Julius CaesarundDer König David Berichtvon Bertolt Brecht bzw. Stefan Heym weisen signifikante Merkmale auf, die einen Vergleich nicht nur auf Grund derselben Gattungszugehörigkeit rechtfertigen: Ihre Entstehung fällt in die Zeit der jeweiligen Auseinandersetzung mit einer Diktatur - bei Brecht der Naziherrschaft, bei Heym des Stalinismus und des DDR-Regimes. Hauptprotagonist in beiden ist ein Historiker, der die Geschichte eines „großen“ Mannes schreiben will bzw. soll. Doch kleiden diese Geschichtsromane keinesfalls nur aktuelle politische Ereignisse in ein historisches Gewand. So ist Caesar nicht vollständig mit Adolf Hitler gleichzusetzen, auch David nicht mit Josef Stalin. Sie mögen Ähnlichkeiten mit diesen Figuren haben, doch dienen die eher einer besseren Anschaulichkeit, um zu zeigen, dass Diktaturen ähnliche Strukturen aufweisen. Das Ziel der beiden Geschichtsromane ist aber ein anderes: Über die satirische Auseinandersetzung mit den Figuren Julius Caesar und König David werden Diskurse über die Art von Geschichtsschreibung eröffnet.

Um so ein Thema literarisch darzustellen, griffen sowohl Brecht als auch Heym auf die Gattung Historischer Roman, die einige Schwierigkeiten bereitet, zurück. Da diese Examensarbeit sich gattungsspezifisch den beiden Werken nähert, soll eine gattungstheoretische Diskussion zum historischen Roman selbst am Anfang der Betrachtung stehen.

1Zitat in: Haffner, Sebastian: Historische Variationen, 2. Aufl., Stuttgart 2001, S.23.

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1. Der Historische Roman

1.1. Der historische Roman - Eine Zwittergattung?

Der historische Roman selbst ist (nicht nur) auf Produktionsebene eine zwiespältige Gattung. Auf der einen Seite gibt es heutzutage einen Boom von Historienschinken und Fantasyklamauk, der als ein Hinweis auf das Bedürfnis nach nostalgischem Schwelgen in Welten, deren Sinnzusammenhänge noch erkennbar und in denen die komplexe Realität ausschaltbar erscheint, zu werten ist.

Zum anderen hat der historische Roman bei gestandenen Autoren und Geisteswissenschaftlern nicht den besten Ruf. Zeitgenössische Dichter finden nur schwer Zugang zu dieser Gattung, da ihm ein Ruch schlechter Unzeitgemäßheit anhaftet.2Dies war allerdings nicht immer so: In der Mitte der 1930-er Jahre - zur Zeit der letzten Hochblüte des historischen Romans (sei er nun faschistischer oder antifaschistischer Couleur), die sich aus den Erfahrungen der politischen Umbrüche (vor allem der Naziherrschaft) erklären lässtmeinte der Romancier Lion Feuchtwanger, dass seit den vorangegangenen 150 Jahren etwa 100000 historische Romane geschrieben worden seien.3Selbst wenn Feuchtwanger hier übertreibt, so wird deutlich, dass es sich bei dieser Gattung im diesem Zeitraum bei Autoren und Publikum um eine vielbeachtete gehandelt hatte. Doch auch wenn die Quantität sehr hoch gewesen sein mag, so muss dies nicht zwangsläufig auch für die Qualität gelten. So hatte der historische Roman im 20. Jahrhundert stets mit Legitimationsproblemen zu kämpfen.4Zur Veranschaulichung seien hier nur Kurt Hiller, der in den 1930-er Jahren den Vorwurf äußerte, die Schreiber historischer Romane betrieben „eine Flucht - Flucht aus der Gegenwart, Flucht vor dem Denken, vor der Verantwortung“5, Hermann Broch, welcher historische Romane in der „Machtsphäre des Kitsches“6ansiedelt und Robert Musil, dessen imMann ohne Eigenschaftenkonstatierte „perspektivische Verkürzung des Verstandes“7sich sehr gut auf historische Romane beziehen lässt.

Kritik kommt auch aus der geisteswissenschaftlichen Disziplin, insbesondere von Historikern und Literaturwissenschaftlern. Sie liegt in dem Spannungsfeld historischer Fakten vs. fiktivischer Darstellung begründet:

2Vgl. Müller, Harro: Schreibmöglichkeiten historischer Romane im 19. und 20. Jahrhundert. In: The Germanic

Review 69 (1994), S. 14.

3Vgl. Dahlke, Hans: Geschichtsroman und Literaturkritik im Exil, Berlin 1976, S. 184.

4Vgl. Müller, Schreibmöglichkeiten, S. 14.

5Siehe in Hiller, Kurt: Profile: Prosa aus einem Jahrzehnt, Paris 1938.

6Broch, Hermann: Schriften zur Literatur 2. Theorie, Frankfurt 1975, S. 151.

7Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften, Hamburg 1952, S. 650.

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„Wo der Historiker die Wissenschaftlichkeit seiner Forschungsergebnisse nicht durch Fiktion verwässert haben will, will der literaturkritische Purist die ästhetische Autonomie nicht durch den Einbruch des Historisch-Faktischen gestört sehen.“8

Besonders Geschichtswissenschaftler bemängeln die Vermengung von wissenschaftlichem und literarischem Diskurs, dessen Erkenntnisgewinn in der wissenschaftlichen Debatte besser aufgehoben wäre als in dem auf Unterhaltung zielenden Roman. Das Motto dieser Gattung, das sich aus diesen Vorwürfen ergibt, umschreibt Müller karikierend so: „Kleine Didaktik für kleine Menschen oder wie sage ich es meinem Kinde!“9

Die Abneigung gegen den historischen Roman spiegelt sich in den abwertenden und art“10Zwiespältigkeit ausdrückenden Gattungsbezeichnungen „bastard oder „Zwittergattung“11wider.

1.2. Was ist ein historischer Roman?

Nach dieser doch recht niederschmetternden Kritik, wollen wir die Ebene der undifferenzierten Betrachtungsweise verlassen und zu der Frage kommen: Was ist eigentlich ein historischer Roman? Verschiedene Forschungsbeiträge machten sich daran diese Frage zu beantworten.

1971 startete Fleishman den Versuch, den historischen Roman zu definieren und leitete dies optimistisch noch so ein: „Everyone knows what a hisctorical novel is; perhaps that is why few have volunteerd to define it in print“12. Doch musste er feststellen, dass dieses Unterfangen überaus schwierig zu bewältigen war. Denn Historiker wie Literaturwissenschaftler bezweifelten, dass es ein durchcommon senselegitimiertes Verständnis zur Gattung historischer Roman gäbe. Auch Schabert kommt in ihrer Studie zum englischen und amerikanischen historischen Roman zehn Jahre später zu dem Schluss, dass sich auf dem Wege einer Definitionsbildung dieser Gattung kaum zufrieden stellende Erträge finden lassen.13

Doch gibt es in der Forschung weitere interessante Ansätze zur Gattungstheorie: Lukács, dessen Monografie zumHistorischen Romanden marxistischen Ansatz wählt und dem

8Borgmeier, Raimund/ Reitz, Bernhard: Der historische Roman I: 19. Jahrhundert und Der historische Roman

II: 20. Jahrhundert, Heidelberg 1984, S. 9.

9Müller, Geschichte, S. 11.

10Leisey, Ernst E.: „The American Historical Novel“. In: Elisabethan Studies and other Essays in Honor of

George F. Reynolds, Col. 1945, S. 308.

11Müller, Geschichte, S. 11.

12Fleishman, Avrom: The English Historical Novel: Walter Scott to Virginia Woolf. Baltimore, London 1971, S.

3.

13Vgl. Schabert, Ina: Der historische Roman in England und Amerika, Darmstadt 1981, S. 9.

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Muster Scotts folgt, verortet den historischen Roman im Koordinatenfeld der Begriffe Geschichte und Realismus.14Die Bindung an Scott - so wird ihm vorgeworfen - habe ihn gehindert den modernen, den ‚anderen’ historischen Roman zu sehen, den Geppert 20 Jahre nach dem Erscheinen von Lukács´ Mammutwerk dem ‚üblichen’ historischen Roman gegenüberstellt. Das Kriterium, mit dem diese Gegenüberstellung entwickelt wird, liegt in dem Hiatus von Fiktion und Historie begründet.15Limlei dagegen wendet sich gegen eine solche Verabsolutierung des Hiatus.16Harro Müllers „Geschichte zwischen Kairos und Katastrophe“17sowie dessen Aufsatz zu den Schreibmöglichkeiten des historischen Romans18wiederum knüpfen an das Unterscheidungsmodell zwischen ‚üblichem’ und ‚anderem’ historischen Romans an. Sottong bietet, indem er das Verfahren der semiotischen Textanalyse anwendet, eine Betrachtung des Geschichtsromans nach vielfältigen gattungsspezifischen Kriterien19; und nicht nach allgemeinen Werkinterpretationen, wie Borgmeier/ Reitz, die eine Sammlung von Interpretationen britischer und amerikanischer Geschichtsromane herausgegeben haben,20oder Harro Müller es tun. Austs lesenswerte Einführung zum historischen Roman fasst die bis dahin vorliegende Forschung prägnant zusammen und umreißt die Gattung auf den vielen verschiedenen Ebenen. So dann bietet sie noch eine kurze gattungsgeschichtliche Darstellung beginnend mit Scott, bei der das Werk den Mittelpunkt bildet.21Ein Aufsatz desselben AutorsDie Ordnung des Erzählensbeschäftigt sich eingehend mit dem Aspekt des Erzählens im Geschichtsroman.22Ein neuerer Aufsatz von Gisela Febel sucht auf philosophischer Ebene den historischen Roman zu fassen, indem diese Gattung mit dem Archivbegriff Michels Foucault verknüpft wird.23

Diese genannten Beiträge führen zwar die Forschungsdebatte weiter, können aber kein allgemeingültiges Ergebnis zu der eingangs gestellten Frage präsentieren. Dies liegt aber in

14Lukács, Georg: Der Historische Roman, Berlin (Ost) 1955.

15Geppert, Hans Vilmar: Der ‚andere’ historische Roman. Theorie und Strukturen einer diskontinuierlichen

Gattung (=Studien zur deutschen Literatur 42), Tübingen 1976, S. 34ff.

16Limlei, Michael: Geschichte als Ort der Bewährung. Menschenbild und Gesellschaftsverständnis in den

deutschen historischen Romanen (1820-1890), Frankfurt am Main 1988.

17Müller, Harro: Geschichte zwischen Kairos und Katastrophe. Historische Romane im 20. Jahrhundert

(=Atheäum Monografien, Literaturwissenschaft, Bd. 89), Frankfurt am Main 1988.

18Müller, Harro: Schreibmöglichkeiten historischer Romane im 19. und 20. Jahrhundert. In: The Germanic

Review 69 (1994), S. 14-19.

19Sottong, Hermann J.: Transformation und Reaktion. Historisches Erzählen von der Goethezeit zum Realismus,

München 1992.

20Borgmeier, Raimund/ Reitz, Bernhard: Der historische Roman I: 19. Jahrhundert und Der historische Roman

II: 20. Jahrhundert, Heidelberg 1984.

21Aust, Hugo: Der historische Roman (=Sammlung Metzler, Bd. 278), Stuttgart Weimar 1994.

22Aust, Hugo: Die Ordnung des Erzählens oder Die Geburt der Geschichte aus dem Geiste des Romans. In:

Holzner, Johann und Wiesmüller, Wolfgang: Ästhetik der Geschichte (=Innsbrucker Beiträge zur

Kulturwissenschaft, Germanistische Reihe, Band 54), Innsbruck 1995, S. 39-59.

23Febel, Gisela: Michel Foucaults Begriff des Archivs und das Modell des historischen Romans. In:

Internationale Zeitschrift für Philosophie 2000, Heft 1, S. 63-81.

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der Materie selbst begründet. Die Vielfalt der historischen Stoffe, die unendlichen Schreibmöglichkeiten, die einem Romancier vorliegen, die Möglichkeit der Verwendung unterschiedlicher Geschichtskonzeptionen sowie die regionalen und nationalen Differenzen machen es unmöglich eine allumfassende Definition vorlegen zu wollen. Trotzdem braucht man an dieser Stelle nicht verzweifeln oder aufgeben zu wollen, denn ein genauerer Blick in die Forschung eröffnet durchaus pragmatische Lösungsvorschläge für dieses Problem, wie im folgenden zu zeigen sein wird.

1.2.1. Über Grenzziehung zu anderen Gattungen zu einer Minimaldefinition

Wenn wir den historischen Roman fassen wollen, müssen wir zunächst einmal die Grenzen dieser Gattung gegenüber anderen Romantypen und der wissenschaftlichen Geschichtsdarstellung ziehen.

Wie aus den oben genannten Kritikpunkten gegen den historischen Roman hervorgeht, stellt ein historischer Roman mit den Mitteln der Fiktion etwas dar, was dem Bereich der Geschichte, also der Vergangenheit zugeordnet ist.

„Akzeptiert man [weiterhin] auch für den historischen Roman, daß er aufgrund seines fiktionalen Status ‚Anschauungsformen erfahrbar macht’, so bedeutet dies, daß er von der Verpflichtung zu einer mimetischen Abbildung einer […] historischen Wirklichkeit ebenso befreit ist wie von dem Zwang, vorgegebene ideologische Konstrukte über das Wesen oder den Sinn der Geschichte illustrieren zu müssen.“24

Die intentionale Hinwendung zur Geschichte zieht freilich das Kriterium der Nachzeitigkeit nach sich. Walter Scotts Vorgabe, die im Untertitel desWaverley, or, ´tis Sixty Years Since,der als Prototyp der Gattung historischer Roman gilt und auf den im folgenden noch eingegangen wird, zu finden ist, wird häufig von Theoretikern wie Lukács25oder Fleishman26übernommen.

So kann man den historischen Roman „als eine vom Bewußtsein der Zeitdifferenz bestimmte Hinwendung zur Geschichte, die mit den Möglichkeiten der Fiktion zur Anschauung gebracht werden soll“27, verstehen.

Die Zeitkomponente macht eine Abgrenzung zu Gegenwarts- (sowohl nachzeitig rezipiert als auch zeitgenössisch empfundenen) und Science-Fiction-Romanen sowie zu historischen Kostüm- und Trivialromanen möglich.28

24Borgmeier/ Reitz, Der historische Roman I, S. 13.

25Lukács knüpft an sein Verständnis von der „Vorgeschichte der Gegenwart“ die Forderung, dass der „lebendige

Zusammenhang mit der Vergangenheit“ gegeben sein müsse. Vgl. Lukács, Der Historische Roman: Probleme

des Realismus, Bd. 3, Kap. 3: „Der historische Roman und die Krise des bürgerlichen Realismus“.

26Fleishman übernimmt die von Scott fixierte Distanz mit der Formulierung „two generartions“. Vgl. Fleishman,

The English Historical Novel, S. 3.

27Borgmeier/ Reitz, Der historische Roman I, S. 14.

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Den historischen Roman gegenüber der Geschichtsdarstellung abzugrenzen, lässt sich mit der prinzipiellen Verschiedenheit von narrativ-wissenschaftlicher und narrativ-fiktionaler Darstellung deutlich machen:

„Die narrativ-wissenschaftliche Geschichtsdarstellung konstituiert zwar auf der Basis des Wissens von der Geschichte Erfahrungszusammenhänge, begreift diese allerdings als offen, als falsifizierbar und als fortschreibbar.“29

Die narrativ-fiktionale Darstellung steht dem entgegen, da sie nach Geschlossenheit auf der Basis der immanenten Poetik strebt.

Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass die vielzahligen Möglichkeiten der fiktionalen Darbietung der Geschichtswissenschaft verwehrt bleiben. Dem Historiker bleiben „nur“ Strukturierungsmöglichkeiten nach Theorien, Methoden oder Sachzusammenhängen, seine Rolle begrenzt sich auf den sachlich bewertenden Kritiker.30Aus diesen Ausführungen und der Sichtung der Forschung lässt sich folgender Minimalkonsens, der allerdings auch nicht unumstrittenen ist, zusammenfassen:„Historische Romane sind dadurch bestimmt, daß sie nicht ohne personale, zeitliche und räumliche Referenz auskommen, d. h. es werden historisch verbürgte Figuren, in Geschichte und Geschichten verstrickt, im Rahmen eines poetisch strukturierten fiktionale Text präsentiert, der die Anforderung an räumliche und zeitliche Lokalisation zumindest partiell erfüllt. Als Form des nachzeitigen Erzählens besteht zwischen der Schreibsituation des Autors und dem selektierten Zeitabschnitt eine Differenz von etwa einer Generation - also etwa 30 Jahre -; nach rückwärts sind über die häufig benutzten ‚mittleren’ Vergangenheiten bis hin zur Vor- und Frühgeschichte keine Grenzen gesetzt.“31Doch eindeutig ist auch diese Gattungsumschreibung nicht. Zwar stellt sie eine einleuchtende Abgrenzung gegenüber anderen Gattungen dar, bietet also einen relativ festen Rahmen, in dem das zu finden ist, was ein historischer Roman sein kann. Das Problem aber bleibt: Innerhalb dieses Rahmens versammelt sich ein ganzer Wust von epischen Werken, die nur oberflächlich zusammen gehören, doch tiefgehender betrachtet unterschiedlicher nicht sein könnten.

28Vgl. Borgmeier/ Reitz, Der historische Roman I, S. 15-16.

29Borgmeier/ Reitz, Der historische Roman I, S. 17.

30Vgl. Borgmeier/ Reitz, Der historische Roman I, S. 17.

31Müller, Geschichte, S. 11-12.

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1.2.2. Unmöglichkeit einer Universaldefinition

Man gerät also unweigerlich in Turbulenzen, versucht man den Terminus ‚historischer Roman’ als universalistischen Gattungsbegriff zu etablieren. Müller sieht aus diesem Problem keinen Ausweg. Aus diesem Grund entscheidet er sich für die Aufgabe des unmöglichen Projekts einer Entwicklung einer allumfassenden Definition und plädiert für eine andere Verfahrensweise, nämlich „Fallstudien auszuarbeiten, bei denen die thematischen, poetologischen und geschichtlichen Implikationen einzelner [..] historischer Romane […] bedacht werden.“32Das Hauptaugenmerk der Interpretation legt er auf „die Re-Konstruktion des […] Zusammenhangs zwischen präsentierter Geschichtskonzeption und den benutzten narrativen Verfahren […]“33.

Nach einer ähnlichen Methode verfahren Borgmeier/ Reitz, die sich ebenfalls von einem universalistischen Gattungsbegriff für den historischen Roman verabschieden. So konzentrieren sie sich auf das Einzelwerk, was allerdings keine Entscheidung für eine vom literarhistorischen Zusammenhang losgelöste - sprich textimmanente Interpretation - ist, sondern eine breitgefächerte Diskussion über die Entstehung des Textes, des literarischen Umfeldes und das Verhältnis zu anderen Werken des Autor sowie die im Text manifesten Beziehungen zur zeitgenössischen Geschichtsschreibung und Gattungstheorie, beinhaltet. Schwerpunkt bei der Betrachtung bilden die Aspekte „Historie“ und „Fiktion“ und deren Kräftefeld zueinander.34