Gespenster-Krimi 8 - Frank DeLorca - E-Book

Gespenster-Krimi 8 E-Book

Frank DeLorca

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Beschreibung

Es war vier Uhr nachmittags. Professor Morton Chesterton sehnte den Anblick der Totenstadt herbei. Der berühmte Archäologe ritt neben Al Chabir, dem geheimnisvollen Führer, an der Spitze der kleinen Karawane, die sich nun schon seit Tagen auf schwankenden Kamelen durch die sonnendurchglühte Wüste bewegte.
Sir Morton fühlte sich am Rande der Erschöpfung. Immer wieder glitt sein Blick mit heimlicher Bewunderung zu der hageren hochaufgerichteten Gestalt des Führers hinüber, dessen Gleichmut offenbar nichts erschüttern konnte. Der weiße Burnus hing in losen Falten um den dürren Leib. Aber aus den scharfen schwarzen Augen blitzte wachsame Energie - und Gefahr. Das Auffallendste an Al Chabir war ein Diamant von mindestens drei Karat an seinem Turban, der wie ein Stern im Sonnenlicht blitzte. Sir Morton hatte keine Ahnung von der wirklichen Bedeutung dieses Steines, sonst hätte er noch jetzt, kurz vor dem Ziel, seine Expedition aufgegeben und wäre trotz der Gluthitze in die rettende Hafenstadt Aden zurückgekehrt ...

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Inhalt

Cover

Impressum

Der Fluch des Kalifen

Vorschau

BASTEI ENTERTAINMENT

Vollständige eBook-Ausgabe der beim Bastei Verlag erschienenen Romanheftausgabe

Bastei Entertainment in der Bastei Lübbe AG

© 2019 by Bastei Lübbe AG, Köln

Programmleiterin Romanhefte: Ute Müller

Verantwortlich für den Inhalt

Titelbild: Rudolf Sieber-Lonati/BLITZ-Verlag

Datenkonvertierung eBook: César Satz & Grafik GmbH, Köln

ISBN 978-3-7325-7638-8

www.bastei-entertainment.de

www.lesejury.de

www.bastei.de

Der Fluch des Kalifen

von Frank deLorca

Es war vier Uhr nachmittags, und Professor Morton Chesterton sehnte den Anblick der Totenstadt herbei. Der berühmte Archäologe ritt neben Al Chabir, dem geheimnisvollen Führer, an der Spitze der kleinen Karawane, die sich nun schon seit Tagen auf schwankenden Kamelen durch die sonnendurchglühte Wüste bewegte.

Sir Morton, an die Strapazen von Wüstenreisen gewöhnt, fühlte sich am Rande der Erschöpfung. Immer wieder glitt sein Blick mit heimlicher Bewunderung zu der hageren hochaufgerichteten Gestalt des Führers hinüber, dessen Gleichmut offenbar nichts erschüttern konnte. Der weiße Burnus hing in losen Falten um den dürren Leib. Aber aus den scharfen schwarzen Augen blitzte wachsame Energie – und Gefahr, dachte der Professor.

Das Auffallendste an Al Chabir war ein Diamant von mindestens drei Karat an seinem Turban, der wie ein Stern im Sonnenlicht blitzte. Sir Morton hatte keine Ahnung von der wirklichen Bedeutung dieses Steines, sonst hätte er noch jetzt, kurz vor dem Ziel, seine Expedition aufgegeben und wäre trotz der Gluthitze in die rettende Hafenstadt Aden zurückgekehrt …

Plötzlich hielt der Araber sein weißes Kamel an und deutete vorwärts. Die Wüste senkte sich in ein flaches Tal. Schwarzblauer Dunst lag dicht über der Erde, und aus ihm wuchsen die weißen Mauerwürfel von Häusern. Es waren meist nur Ruinen mit aufgerissenen Dächern und zerbröckelnden Mauern. Dazwischen Reste von Türmen und freistehenden Säulenarkaden. Über allem glänzte eine vergoldete Kuppel. Ein riesiges Loch gähnte darin, als hätte eine gewaltige Faust eine ganze Seite herausgerissen.

Auf dem Abhang, der zur Stadt hinunterführte, bemerkte Sir Morton kleine Sandhügel, aus denen weiße Teile von Gerippen hervorblinkten. Knochenreste von Pferden und Kamelen, die hier irgendwann verendet waren.

Der Archäologe schauderte.

»Das also ist Maina«, sagte er gepresst.

»Almansors Totenstadt«, ergänzte die dunkle Stimme des Arabers. »Ich werde dich zu ihm führen, denn du hast es gewünscht.«

»Er wird mir schon den Hals nicht umdrehen«, brummte der Professor und erschrak über den stechenden Blick, der aus Al Chabirs Augen kam. »Vorwärts, Männer, wir sind am Ziel.«

Er wandte sich nach seinen Begleitern um, und die Karawane setzte sich langsam wieder in Bewegung. Er bereute plötzlich, nur drei zuverlässige Leute mit auf diese gefährliche Reise genommen zu haben. Er dachte an den Geologen Caldwell und den Globetrotter Gerardet, die ein paar Jahre vor ihm auch nur mit ein paar Männern hier hergezogen – und offensichtlich umgekommen waren. Jedenfalls hatte man nie wieder etwas von ihnen gehört.

Aber auch die arabischen Führer waren nur zu viert. Und die geheimnisvolle Stadt sah nicht danach aus, als ob es hier Menschen gäbe.

Der Himmel verfärbte sich langsam in dunkles Violett, und die vorher so grellen Sonnenstrahlen krochen wie breite, rote Streifen über das Firmament.

Eine holprige, vom Flugsand überwehte Straße führte zwischen den verfallenen Häusern hindurch. Ein paar stachlige Kakteen fristeten ihr kümmerliches Leben zwischen den zerklüfteten Mauern. Verblichene Gerippe und einzelne Knochen säumten den schauerlichen Weg. Den Professor überlief ein eiskalter Schauder, obwohl es unter dem Dunst backofenheiß war: Die Skelette waren offensichtlich menschliche Überreste!

Al Chabir hielt sein herrliches weißes Kamel auf einem großen, von Steintrümmern übersäten Platz an. Zwei Schakale strichen mit tückischen Augen vorüber, die einzigen Lebewesen, die Sir Morton bisher in dieser furchtbaren Stadt gesehen hatte. Vor ihm ragten die Mauern der Moschee mit der goldenen Kuppel auf. Durch Lücken und Fenster blitzte buntes, zerfressenes Mosaik. Auf dem Minarett, das schlank in den grauschwarzen Dunst emporragte, saß ein riesiger Geier.

Ringsum erhoben sich die noch zum Teil erhaltenen Marmorfassaden prunkvoller Paläste. Rechts neben der Moschee stand ein kunstvoll verzierter Säulengang.

Al Chabir ließ sein Kamel niederknien und sprang aus dem Sattel. Sir Morton war mit seiner Begleitung ebenfalls abgestiegen und sah für einen Augenblick verzückt auf die Fassaden der uralten Moschee. Triumph stand in seinen Augen, der Triumph des Forschers. Vielleicht als erster Europäer hatte er die Stadt betreten, in der vor Jahrtausenden die sagenumwobene Königin von Saba residierte. Die Stadt, in die vor vielen hundert Jahren der Kalifensohn Almansor geflohen war, mit all seinen Schätzen, und doch wurde er von seinen Häschern ereilt und ermordet. Seine Schätze aber hatten sie nicht gefunden. Almansor stand unter dem Schutz der Ifriten, der mächtigen Geister, die dem göttlichen König Salomo die Stirn geboten hatten und unter seinem Fluch lebten. Aber sie waren stark genug, so erzählten die Geschichten des alten Orients, jeden zu vernichten, der sich in Almansors Nähe wagte.

Sir Morton Chesterton lächelte unwillkürlich bei diesem Gedanken. Eine ungeheure, aber lohnende Aufgabe wartete hier auf ihn. Was war Wahrheit, was Legende? Nicht allzu viele Tage würden ihm Zeit bleiben, hier zu forschen. Proviant und Wasser reichten nur für eine genau bemessene Zeit. Und würden ihm die Araber Schwierigkeiten machen …?

Für diesen kurzen Augenblick hatte der Professor vergessen, dass in dieser Stadt ständige Gefahr um ihn lauerte. Und das wurde ihm zum Verhängnis. Er sah die Gewehrläufe nicht, die plötzlich hinter der Säulenhalle auf ihn gerichtet waren, und als die Schüsse aufblitzten und seine drei Begleiter sich in ihrem Blut wälzten, war es zu spät. Ein fürchterlicher Schlag traf ihn auf den Hinterkopf, und in Sekundenschnelle versank die Totenstadt vor seinen Augen.

Als er erwachte, fand er sich auf einem Teppich in einem offenbar unterirdischen Gewölbe, denn der Raum hatte keine Fenster und wurde nur von einer flackernden Ölfunzel matt erleuchtet, die auf einem runden Tisch in der Mitte stand. Sir Morton rieb sich die Augen, dann griff er an seinen schmerzenden Kopf und fühlte eine deutliche Beule. Langsam begann er sich zu erinnern. Verzweiflung stieg in ihm auf.

Er dachte an das Schicksal von Caldwell und Gerardet und hätte sich ohrfeigen können, nicht vorsichtiger gewesen zu sein. Wie ein kleiner Junge hatte er, der erfahrene Orientkenner, sich von diesen arabischen Räubern übertölpeln lassen. Seine Begleiter waren tot, erschossen, er erinnerte sich deutlich. Schade um die braven Burschen, die ihren und seinen Leichtsinn mit dem Leben gebüßt hatten. Aber warum hatte man ihn nicht ermordet? Was hatte Al Chabir, der natürlich hinter dem Überfall steckte, mit ihm vor?

Der Professor rappelte sich langsam auf und griff in seine Taschen. Seine Papiere, sein Geld, alles war noch vorhanden. Erleichtert fühlte er auch seine Armbanduhr. Es war sieben Uhr abends Ortszeit. Also hatte er über zwei Stunden bewusstlos hier gelegen. Sein Kopf schmerzte, und er schluckte zwei Aspirin hinunter, die er stets bei sich führte. Viel würde das nicht helfen.

Aber Chesterton war nicht der Mann, sich schnell unterkriegen zu lassen. Er wankte noch halb betäubt nach vorn, an einigen bestickten Lederpolstern vorbei, wo er die Tür vermutete. Aber er fand nichts. Er tastete die Wände ab, die Schatten der Ölfunzel huschten an den Mauern entlang, hoben für Augenblicke Mosaikbilder von Göttern oder Königen ins Licht, erweckten die Mandelaugen der gut erhaltenen Bilder zum Leben.

Zu jeder anderen Zeit hätte sich der Professor sofort drangemacht, festzustellen, um welche Zeugen vergangener Zeiten es sich bei diesen Figuren handelte. Jetzt war ihm das völlig gleichgültig. Er war nicht der berühmte Archäologe Sir Morton Chesterton, den die britische Krone in den Adelsstand erhoben hatte, sondern ein Mensch, der einfach überleben wollte. Er tastete systematisch an den Wänden entlang, erst links, dann rechts, aber es gab keine Tür.

Wieder kam die jähe Verzweiflung. Wollte man ihn hier einfach schmachten lassen? Langsam, Schritt für Schritt, ging er in den hinteren Teil des großen unterirdischen Saales, den die Ölfunzel nicht mehr erleuchtete. Mit jedem Schritt war er darauf gefasst, auf menschliche Gebeine zu stoßen, wie sie oben am Rand der Straße lagen, auf die Gebeine seiner Vorgänger Caldwell und Gerardet.

Stattdessen sah er plötzlich etwas wie Wasser vor sich glitzern. Das Aspirin begann zu wirken, die höllischen Kopfschmerzen ließen nach, und es fiel ihm ein, dass er ja nur die Lampe vom Tisch zu nehmen brauchte, um in dem dunklen Hintergrund seines Verlieses sehen zu können.

Er holte die Ölfunzel und stand vor einem runden Brunnen, der direkt an die hintere Wand grenzte. Das flackernde Licht irrte über die feuchtglänzenden Ziegel. Rechts neben dem Wasserloch öffnete sich ein Torbogen, hinter dem schwarze Finsternis gähnte.

Sir Morton ging langsam hindurch und befand sich in einem Nachbargewölbe, das anscheinend kleiner als sein Gefängnis war. Das zitternde Licht der Lampe fiel auf etwas Hohes, Dunkles mitten in dem düsteren Raum. Es war ein gewaltiger Sarkophag.

Als der Professor näher trat, verschlug es ihm den Atem. Der Sarg war offen, und ein noch junger Mann im Purpurmantel der abbasidischen Kalifen schien friedlich darin zu schlafen. Chesterton hatte den Eindruck, als brauche er ihn nur leicht an die Stirn zu tippen, um ihn aufzuwecken. Dann begann er zu schnüffeln und fand eine Erklärung. Es roch in dem Gewölbe ganz stark nach Schwefel. Er erinnerte sich an die sizilianischen Katakomben, in denen seit Jahrhunderten verstorbene Mönche in ihren Kutten saßen. Dort war der gleiche Geruch zu verspüren gewesen. Der Schwefelgehalt der Luft hatte die Leichen konserviert.

Aber sie waren doch ziemlich eingetrocknet, während dieser Mensch aussah, als sei er niemals gestorben. Professor Chesterton fand am Fußende des Sarkophags eine arabische Inschrift und begann begierig, sie zu entziffern. Ohne an seine Lage zu denken, war er wieder ganz Wissenschaftler. Seine Augen glänzten vor Freude.

Der Tote mit den männlich schönen Zügen war ohne jeden Zweifel der unglückliche Kalif Almansor, der vor nunmehr elfhundert Jahren in Bagdad geherrscht hatte und auf Grund seiner menschlichen Regierungsweise bei seinen Untertanen größte Beliebtheit genoss. Sein eigener missgünstiger Onkel war es, der deshalb seinen Sturz vorbereitete. Mit einer kleinen Gruppe seiner treuesten Bediensteten war es Almansor gelungen, unter Mitnahme des Kalifenschatzes durch die ganze arabische Wüste bis nach Maina zu fliehen. Aber auch hier hatten ihn die Häscher zu finden gewusst –.

Professor Chesterton hob die rußende Funzel wieder empor und erstarrte zu Eis.

Der Kalif hatte sich aus seinem Sarg aufgerichtet und seine Augen, Sekunden zuvor noch friedlich geschlossen, funkelten Mord –.

»Chabir!«, brüllte Chesterton verzweifelt, als ob ihn sein Widersacher nun erretten könnte, und das dumpfe Echo hallte von den finsteren Mauern des Gewölbes schaurig zurück.

Harry Chesterton, Neffe und Alleinerbe des kinderlosen Sir Morton, war auf Tennisplätzen und in den Londoner Exclusivclubs weit mehr zu Hause als in den Hörsälen der Universität, wo er dem Professor zu Gefallen Archäologie studierte.

Was aber nichts damit zu tun hatte, dass er schon einige gute Zwischenprüfungen absolviert hatte und einmal fest entschlossen war, in die Fußstapfen seines berühmten Onkels zu treten und den Orient zu bereisen, denn die Geschichte des wohl ältesten Gebietes, in dem Menschen eine Kultur geschaffen hatten, interessierte ihn brennend.

Sein Verhältnis zu Sir Morton war nicht zuletzt wegen dieser gemeinsamen Interessen ausgezeichnet, und er bedauerte es deshalb aufrichtig, dass Sir Morton seit mehreren Monaten irgendwo im Innern der arabischen Halbinsel verschollen war.

Er konnte nicht an den Tod des erfahrenen Forschers glauben und hatte im geheimen beschlossen, ihm irgendwann nachzureisen, um diese mysteriöse Angelegenheit aufzuklären. Dass dies für einen von der Zivilisation verwöhnten Londoner Studenten ein gefährlicher, wenn nicht sinnloser Plan war, schreckte ihn nicht. Er war noch nie ein Feind von Abenteuern gewesen.

Auch hatte er den Gedanken noch nicht aufgegeben, ein Lebenszeichen von Sir Morton zu erhalten, das ihm einen Anhaltspunkt für diese Reise geben könnte. Als ihn nach einer durchzechten Nacht morgens um neun ein Anruf von Mr. Perkins, dem Anwalt von Sir Chesterton, aus dem Bett schreckte, hing er wie elektrisiert am Apparat.

»Was, Perkins?«, schrie er. »Ein Brief von meinem Onkel? Ich bin in einer halben Stunde bei Ihnen.«

Wirklich saß er bereits nach zwanzig Minuten in seinem Bentley. Es gab noch einen zweiten Grund, warum er die Kanzlei des weißhaarigen Anwalts gerne aufsuchte: Peggy Pail, dessen jüngste und tüchtigste Sekretärin, die seit einigen Monaten Harrys exklusive Freundin war. Nicht nur ihr Parfüm, ihre blonden Locken und das klassische Hinterteil, wie er es nannte, imponierten ihm.

Es gab viele nette Bienen auf der Uni und noch mehr in den Clubs, in denen er verkehrte. Er war sich nicht darüber klar, warum ihm Peggy so besonders gefiel. Vielleicht kam es daher, weil er langsam ins gesetzte, heiratspflichtige Alter kam. Oder weil er einfach richtig verliebt war. Er grübelte nicht weiter darüber nach.

Der alte Anwalt erhob sich hinter seinem überdimensionalen Mahagonischreibtisch und streckte Harry die Hand entgegen. War es Zufall, dass Petty auf einem Stuhl daneben saß, wie zum Diktat bereit? Harry wusste im Moment nicht zu sagen, was ihn mehr fesselte: Ihr Busen unter dem rosa Pulli oder der Brief, den ihm der Anwalt wortlos über den Tisch reichte.

Es war Onkel Mortons Handschrift, ein wenig zitterig, aber für Harry unverkennbar.

Lieber Perkins,

ich lebe noch. Ich bin in Eile. Ein Mensch hält mich gefangen, der eigentlich längst tot sein müsste. Vielleicht ist es auch kein Mensch. Ich bin nicht verrückt geworden, noch nicht. Aber es ist eine Stadt des Grauens, in der ich lebe. Der Mann, der mir diesen Brief besorgt hat und meine einzige Hoffnung ist, wird dich besuchen und eine Anweisung auf zweihunderttausend Pfund vorlegen. Zahl ihn aus, aber hör ihm vor allem zu. Und verständige Major General Brooks. Er kann vielleicht helfen. Der Mann heißt Omar Amed. Aber hinter allem steckt Al Chabir. Brooks kennt ihn. Wenn er nach Jemen kommen sollte, soll er in Amd, Sawa oder Shibam weiterfragen. Omar Amed kann ihm Auskunft geben. Ob ich ihm trauen kann? Ich weiß es nicht und weiß auch nicht, ob er diesen Brief öffnen wird – und ob er ihn überhaupt zur Post bringt. Erzähle Harry nichts davon. Er könnte sich zu unüberlegten Dingen hinreißen lassen.

In Verzweiflung und doch Hoffnung auf ein Wiedersehen

Dein Morton

Harry gab dem Anwalt den Brief zurück. Trotz seines braun gebrannten Gesichts sahen Peggy und Perkins, dass er blass geworden war. Er ließ sich in einen der tiefen Ledersessel fallen.

»Perkins, Sie haben doch einen berühmten alten Sherry im Haus? Ich glaube, dass wir jetzt einen vertragen könnten.«

Der Rechtsanwalt lächelte. Er drückte auf einen Knopf auf seinem Schreibtisch. Es erschien ein dienstbarer Geist, genauso korrekt gekleidet wie sein Chef, und brachte auf Geheiß seines Herrn eine staubige Flasche und drei Gläser auf einem silbernen Tablett.

Perkins ließ es sich nicht nehmen, selbst einzuschenken.

Harry nahm einen tüchtigen Schluck und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen.

»Der Brief ist vor sechs Tagen in Oman aufgegeben worden«, sagte er dann und grinste unvermittelt. »Sehen Sie, Perkins, ich kann arabische Poststempel lesen. Was wir nicht wissen, ist, wann er geschrieben wurde. Da aber dieser famose Omar Amed noch nicht aufgetaucht ist, nehme ich an, der Brief ist nicht zu alt. Verdammt auch, dass Onkel das Datum vergessen hat. Aber wer weiß, wie ihm zumute ist. Auf alle Fälle ist es ein Hilferuf, Perkins.«

Der Anwalt strich mit Daumen und Zeigefinger über seinen Schnurrbart. Eine alte Gewohnheit von ihm.

»Wer aber hält ihn gefangen? Und wo ist er?«

»Ein Toter«, knurrte Harry verächtlich. »Und wo? In Maina, davon bin ich überzeugt. Wenn mein Onkel sich vorgenommen hat, irgendwohin zu trampen, dann ist er auch hingekommen. Nur an Ort und Stelle scheint mir der alte Herr verdammt leichtsinnig geworden zu sein. Aber ich habe so eine dumpfe Ahnung, dass er noch lebt. Haben Sie Brooks erreicht?«

Major General Brooks, ein alter Freund Sir Morton Chestertons, war bis zum Ende der britischen Herrschaft in Aden stationiert und so ganz nebenbei führendes Mitglied des Secret Service. Ein alter Haudegen, der ganz das Zeug dazu hatte, hier Hilfe zu leisten, wenn es überhaupt Hilfe gab.

»Brooks ist in Hongkong und kommt erst in drei Wochen zurück«, sagte der Anwalt resigniert.

»Das dauert mir zu lange«, Harry sprang auf. »Weiß der Teufel, was diese Verbrecher mit Onkel vorhaben. Ich kann das Ganze nicht begreifen. Die Lösung, Perkins, ist nur an Ort und Stelle zu finden. Und ich werde schleunigst nach Hadramaut aufbrechen. Sie wissen, dass ich schon lange einmal hinwollte.«

»Sie sind verrückt, Harry«, sagte Perkins ruhig. »Vergessen Sie nicht, dass mir Sir Morton verboten hat, Ihnen überhaupt von diesem Brief zu erzählen.«

»Ich habe es nicht vergessen, Perkins«, brauste Harry auf, und seine breiten Schultern spannten sich. Peggy warf ihm einen bewundernden Blick zu, den er aber nicht bemerkte.

»Mag mir der Onkel so etwas zutrauen oder nicht, ist mir egal. Aber dass ich ihn dort unten langsam krepieren lasse, das kann er nicht von mir verlangen. Aus dem Brief geht eindeutig hervor, dass die Burschen Lösegeld verlangen, und Morton ist klug genug, nicht daran zu glauben, dass sie ihn freilassen, wenn sie die Moneten haben. Ich werde also noch vor Omar Amed in Maina sein und mit diesem seltsamen Toten reden. Ich werde den Burschen zwingen, Onkel freizugeben, und wenn er mit der Hölle im Bunde ist.«

Wieder strich der Rechtsanwalt über seinen Bart. Das machte Harry langsam nervös.

»Und wie stellen Sie sich das konkret vor?«, fragte Perkins.

Der junge Chesterton warf sich wieder in den Sessel, schlug die Beine übereinander und trank seinen Cherry aus. Der Anwalt verzog das Gesicht und füllte das Glas wortlos nach.

»Sie wissen, Perkins«, sagte Harry, »dass ich von meiner Saharatour im vorigen Jahr noch den besten Land Rover habe, den es auf der Welt gibt. Er hat mich schließlich auch achttausend Pfund gekostet. Das Werk macht ihn mir in ein paar Tagen reisefertig, und dann geht er via Lufttransport nach Aden, und wir fliegen nach.«

»Wir? Wen wollen Sie mitnehmen?«

»Ich hoffe, dass Sie Peggy für einige Wochen beurlauben werden«, meinte Harry Chesterton grinsend.

Der Anwalt saß wie versteinert da.

»Es ist«, würgte er dann langsam hervor, »so – wie Ihr Onkel Sie kennt. Das wäre sogar mehr als das – es wäre verantwortungslos.«

Harry stand auf und ging mit ernstem Gesicht zu Peggy hinüber. Das Mädchen hatte sich bisher mit keinem Wort an der Unterhaltung beteiligt. Jetzt sah sie mit großen Augen zu ihm auf.

Er legte die Hände schwer auf ihre Schultern.

»Vielleicht ist es verantwortungslos«, murmelte er. Die Zigarette im Mundwinkel, blies er eine blaue Rauchwolke über ihre blonden Haare hinweg. »Aber ich brauche dich, Baby. Ich werde alles tun, um dich zu schützen – klingt verdammt albern, nicht? Aber ich meine es ernst.«

Sie spürte, wie sich seine Hände in ihre Schultern verkrampften, und sie sah das Spiel seiner Muskeln unter dem enganliegenden Hemd.