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Ein junges Paar, Jason Belmont und Liz Gaskell, befindet sich einer Urlaubsreise nach Schottland. Es ist bereits tiefe Nacht. Auf unerklärliche Weise kommen sie mit ihrem Wagen von der Hauptstraße ab und finden sich auf einem holprigen Nebenweg wieder.
Dort haben sie eine schreckliche Begegnung mit einem offensichtlich Schwerverletzten, der urplötzlich wie ein Gespenst aus dem dichten Nebel vor ihnen auftaucht. Doch ebenso plötzlich ist der Unbekannte auch wieder verschwunden.
Das streikt das Auto. Auf ihrer Suche nach Hilfe stehen die beiden Reisenden auf einmal vor einem alten Haus, das sie wie ein Spukschloss vor ihnen auftürmt.
Vertrauensvoll betätigen sie die Türklingel - und ahnen nicht, dass sie damit ein Geschehen in Ganz setzen, welches sie an den Rand des Wahnsinns treiben wird ...
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Seitenzahl: 154
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Die geheime Macht der Toten
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Impressum
Die geheime Machtder Toten
Von Frank deLorca
Ein junges Paar, Jason Belmont und Liz Gaskell, befindet sich auf einer Urlaubsreise nach Schottland. Es ist bereits tiefe Nacht, als sie auf unerklärliche Weise mit ihrem Wagen von der Hauptstraße abkommen und sich auf einem holprigen Nebenweg wiederfinden.
Dort haben sie eine schreckliche Begegnung mit einem offensichtlich Schwerverletzten, der urplötzlich wie ein Gespenst aus dem dichten Nebel vor ihnen auftaucht. Doch ebenso plötzlich ist der Unbekannte auch wieder verschwunden.
Kurz darauf streikt das Auto. Auf ihrer Suche nach Hilfe stehen die beiden Reisenden auf einmal vor einem alten Haus, das sich wie ein Spukschloss vor ihnen auftürmt.
Vertrauensvoll betätigen sie die Türklingel – und ahnen nicht, dass sie damit ein Geschehen in Gang setzen, welches sie an den Rand des Wahnsinns treiben wird ...
Mit gleichmäßig brummendem Motor zog der graue Morris über die Straße an der schottischen Nordküste. Seine trüben Scheinwerfer konnten die Dunkelheit nur schwer durchdringen, sodass Jason Belmont und Liz Gaskell bloß einen sehr begrenzten Ausschnitt der nächtlichen Landschaft zu sehen bekamen. Und der war seit einer Stunde gleich.
Links und rechts des schmalen Asphaltbandes der einspurigen Straße erhoben sich knapp kniehohe Steinmauern. Dahinter schien die Welt aufzuhören. Dort lauerte ununterbrochene Schwärze.
Keine Laterne, kein erleuchtetes Fenster, nicht einmal eine Zufahrtsstraße zu einem Grundstück wies auf die Anwesenheit von Menschen in dieser einsamen Gegend hin.
»Jason?« Liz Gaskell hatte den Namen ihres Freundes leise, fast zögernd ausgesprochen, als habe sie Angst vor der Frage, die sie stellen wollte. »Jason, wo sind wir?«
Der junge Mann hinter dem Steuer zuckte die Schultern und lächelte amüsiert, doch in seinem Gesicht kerbten sich Falten ein, die auf seine innere Anspannung hindeuteten.
»Wo sollen wir schon sein?«, warf er leicht hin, um seine Freundin zu beruhigen. »Auf der Straße nach Dunnet natürlich, wo wir übernachten wollen. Oder hast du eine Abzweigung gesehen?«
Liz Gaskell schüttelte den Kopf. »Nein, wir folgten dem Pfeil nach Dunnet und kamen an keiner Abzweigung vorbei.« Es klang, als müsse sie sich selbst Mut zusprechen.
»Na, siehst du!« Jason Belmont lachte auf. In dem engen Innenraum des Wagens dröhnte es dumpf und unecht.
»Ja, aber ... die Straße nach Dunnet ist als Hauptstraße eingezeichnet, zweispurig ausgebaut«, wandte Liz ein. »Das hier ... ich kenne diese einspurigen schottischen Straßen mit den Mauern auf beiden Seiten. Jason, so sieht keine Hauptstraße aus! Wir ... wir müssten schon längst mitten in den Mooren vor Dunnet sein.«
»Ach, Unsinn!«, schnitt er ihr schroff das Wort ab. Sie sprach nur seine Gedanken aus, aber er wollte sie nicht merken lassen, wie nervös er selbst war. Dieses ununterbrochene Vorbeigleiten der schwarzen Steinmauern an seinem Wagen machte ihn halb wahnsinnig. Die Dunkelheit lastete unnatürlich drückend auf ihm, dass er meinte, kaum noch Luft zu bekommen. Und er schwitzte, obwohl sie die Fenster hatten schließen müssen, weil vom Meer ein für September ungewöhnlich scharfer Wind wehte.
»Dort vorne geht jemand!«, schrie Liz plötzlich auf.
Jason Belmont zuckte erschrocken zusammen, dann neigte er sich weit über das Lenkrad vor, um besser zu sehen.
»Ein Mann«, murmelte er und nahm den Fuß vom Gaspedal. »Und er geht nicht, er steht am Straßenrand.«
»Er winkt!« Liz Gaskells Stimme wurde schrill. »Bleib nicht stehen, Jason! Fahr weiter!«, bettelte sie. »Ich habe Angst!«
»Warum denn das?« Der alte Morris rollte langsamer. Jason hatte ausgekuppelt, der Motor tuckerte im Leerlauf, während die Bremsen quietschend fassten. »Da ist endlich jemand, den wir fragen können, und du willst, dass wir ...«
Weiter konnte Jason Belmont nicht sprechen. Neben ihm schrie Liz gellend auf, die Fäuste vor das Gesicht gepresst, die Augen in Panik geweitet.
Jason Belmont rammte seinen Fuß auf das Bremspedal, dass der Morris bockend zum Stehen kam. Entsetzt starrte er durch die Windschutzscheibe auf den Mann, der winkend beide Arme bewegte.
†
Der Mann war sehr groß, fast zwei Meter, mit breiten Schultern und einer bulligen Gestalt. Sein Schädel war vollständig kahl, sodass die Kopfwunde sich besonders deutlich von der bleichen Haut abhob.
Das Gesicht des Fremden, breit und an eine Bulldogge erinnernd, war blutüberströmt. Das Weiße seiner großen Augen funkelte in dem Scheinwerferlicht, das von unten her auf ihn fiel. Der Mund über dem eckigen, brutalen Kinn war zu einer dünnen Linie zusammengepresst.
Der Wagen hielt drei Schritte von dem Mann entfernt. Jason Belmont und Liz Gaskell, die zu schreien aufgehört hatte, wagten nicht, sich zu bewegen.
»Er hat einen Unfall gehabt«, sagte Jason heiser. »Bestimmt hat er einen Unfall gehabt.«
Liz sagte nichts darauf. Sie ergriff nur zitternd die Hand ihres Freundes.
Jason erschauerte bei dieser Berührung. Ihre Finger waren eisig und gruben sich tief in seinen Arm. Er selbst stieg auch nicht aus, obwohl er gesagt hatte, der Mann habe sicherlich einen Unfall gehabt und es seine Pflicht gewesen wäre, dem Schwerverletzten zu helfen.
Eine unerklärliche Angst hielt den jungen Mann in seinem Auto fest, als suche er Schutz und Zuflucht vor etwas Unheimlichem, das nach ihm griff.
Der Kahlköpfige mit der Schädelwunde torkelte auf den Wagen zu. Es gab einen dumpfen Laut, als er sich vorfallen ließ und seine breiten, groben Hände auf das Blech der Kühlerhaube schlugen. Dicht vor sich sahen sie jetzt sein Gesicht. Sie sahen auch seine Augen, die mit einem starren, hasserfüllten Ausdruck auf sie gerichtet waren.
Der Mann verzog das Gesicht, bis es eine wilde Fratze der Wut und der Mordlust war. Mit einem fauchenden Laut zog er die Lippen von seinen weiß schimmernden Zähnen zurück und entblößte ein Raubtiergebiss, dessen Spitzen sich auf die nur durch die Windschutzscheibe von ihm getrennten Insassen des Wagens richteten.
Behände und lautlos schob er sich plötzlich auf die Kühlerhaube, bis sein Gesicht gegen die Scheibe drückte. Der Fremde begann zu toben. Seine Fäuste trommelten gegen den Wagen, dass es in seinem Inneren ohrenbetäubend dröhnte. Aus seinem weit aufgerissenen Mund drang ein schauerliches Heulen und Röcheln. Seine Reißzähne schlugen mit einem harten Klicken gegen die Scheibe.
Liz presste ihre Fingernägel so fest in Jasons Arm, dass der junge Mann unterdrückt aufstöhnte. Der scharfe Schmerz brachte ihn augenblicklich wieder zur Besinnung, löste ihn aus der Lähmung, die ihn bei dem Anblick dieses rätselhaften, schrecklichen Mannes befallen hatte.
Jason Belmont verlor die Nerven. Er riss sich von seiner Freundin los. Seine Hand umklammerte den Schalthebel. Es knirschte, als er den ersten Gang in das Getriebe rammte.
In der nächsten Sekunde röhrte der Motor mit vollen Touren auf. Jason ließ die Kupplung ruckartig los dass der Morris mit einem harten Sprung vorwärtsschoss.
Der heulende und schreiende Fremde wurde von der Kühlerhaube geschleudert. Er überschlug sich und prallte an Jasons Seite auf den Asphalt.
Liz hockte zusammengekauert auf dem Nebensitz, das Gesicht in den Händen verborgen und von einem krampfartigen Schluchzen geschüttelt. Sie rang keuchend nach Luft, verschluckte sich und hustete, bis sie erschöpft in sich zusammensank und nur mehr leise vor sich hin wimmerte.
Jason Belmonts Hände krampften sich um das Lenkrad, als wären sie damit verwachsen. In seinem Gesicht glitzerten Hunderte feiner Schweißperlen. Um seinen Mund zuckte es, während seine Augen gehetzt flackerten.
Zwei, drei Meilen weit jagte er den Wagen über die schmale Straße.
Die Reifen des Morris kreischten gequält auf, als Jason unvermutet bremste. Liz wurde gegen das Armaturenbrett geschleudert. Der Motor erstarb.
Totenstille senkte sich über den einsamen Wagen auf der schmalen Asphaltstraße. Matt fraßen sich die Scheinwerferkegel durch die Finsternis.
Mit einem ächzenden Stöhnen ließ Jason Belmont den Kopf auf das Lenkrad sinken. Seine Schultern bebten.
»Ich habe einen Verletzten überfahren!«, schrie er gequält. »Mein Gott, er hat geblutet, und ich Wahnsinniger gebe Gas und fahre weiter! Er muss schwer gestürzt sein, vielleicht ist er sogar tot!« Er richtete sich auf. Seine Augen glühten Liz entgegen. »Ja, vielleicht ist er bei dem Sturz vom Wagen mit dem Kopf voran auf einen Stein gefallen und ist tot. Oder er liegt da hinten auf der Straße und stirbt!«
»Jason!« Liz' Stimme peitschte ihm scharf entgegen. Ihre eigene Hilflosigkeit war angesichts seiner durchgehenden Nerven wie weggewischt. »Jason! Der Mann hatte eine tiefe Kopfwunde! Mit einer solchen Wunde hätte er sich gar nicht mehr auf den Beinen halten können. Aber er griff uns an! Verstehst du! Er griff uns, die wir ihm helfen wollten, an! Hast du vergessen, wie er tobte? Wie er versuchte, die Windschutzscheibe einzudrücken? Der Mann verfügte über abnormale Kräfte, er war gemeingefährlich! Du hast das einzig Richtige getan! Du hast uns gerettet!«
Sekundenlang noch schaute der junge Mann seine Freundin an, als wäre sie gar nicht vorhanden, dann klärte sich sein Blick. Seufzend wischte er sich mit dem Ärmel seiner Jeansjacke den Schweiß aus dem Gesicht.
»Du hast recht«, sagte er endlich leise. »Ja, Liz, du hast recht. Er hatte abnormale Kräfte. Der Mann muss wahnsinnig sein. Nur Wahnsinnige können schwerverletzt noch Kräfte entwickeln, gegen die oft drei erwachsene Männer nichts ausrichten.«
»Ja, das wird es sein«, nickte Liz Gaskell heftig, erleichtert darüber, eine plausible Erklärung für diesen grässlichen Zwischenfall gefunden zu haben.
»Aber trotzdem müssen wir ihm helfen!«, entschied Jason. »Ich fahre zurück und halte ein Stück vor der Stelle an. Du bleibst im Wagen und verriegelst die Türen, während ich nach ihm sehe.«
»Jason!« Liz begann wieder zu zittern. »Du wirst nicht allein mit ihm fertig.«
»Wozu bin ich Sportlehrer«, hielt er ihr entgegen und versuchte ein schwaches Lächeln, das jämmerlich misslang. »Außerdem muss er über sechzig oder siebzig gewesen sein. Ich mit meinen vierundzwanzig Jahren werde mit ihm fertig! Wäre ja gelacht.«
Er war sich seiner Sache gar nicht so sicher, und außerdem empfand er ein unaussprechliches Grauen, wenn er an den Mann mit dem blutüberströmten Gesicht dachte, doch in dieser Lage blieb ihm gar nichts anderes übrig als zurückzufahren. Häuser, in denen er Hilfe gefunden hätte, gab es weit und breit nicht, und er konnte es mit seinem Gewissen nicht vereinbaren, den Verletzten hilflos liegenzulassen.
Damit Liz nicht noch weitere Argumente gegen eine Umkehr vorbringen konnte, die er nur zu gerne aufgegriffen hätte, drehte er den Zündschlüssel. Im gleichen Moment erloschen die Scheinwerfer zu einem kaum wahrnehmbaren Glühen. Der Starter gab nur einen krächzenden Laut von sich.
»Verdammt, die Batterie ist leer!« Wütend schaltete Jason die Scheinwerfer aus und ließ nur das Standlicht leuchten, falls ein anderer Wagen auf der Straße kommen sollte. »Ich hätte nicht den Motor abstellen und die Scheinwerfer brennen lassen dürfen.«
»Wir können nicht zurückfahren«, seufzte Liz erleichtert.
»Wir sitzen hier fest und können auch nicht weiterfahren«, erinnerte sie Jason. »Die Nacht ist noch lang und kalt.«
Liz schwieg betroffen. Sie war froh gewesen, nicht mehr in die Nähe des Unheimlichen zu kommen. An die weiteren Folgen hatte sie nicht gedacht.
Verstohlen musterte sie das scharfe Profil ihres Freundes. Die Armaturenbrettbeleuchtung reichte eben noch dazu aus, um sein hübsches, männlich anziehendes Gesicht zu erkennen. Es hätte ihr nichts ausgemacht, mit ihm die Nacht in einem Auto verbringen zu müssen. Sie hätten einander schon warmgehalten. Aber dieser unheimliche Mann ... Lag er wirklich weit hinter ihnen auf der Straße? Oder schlich er sich vielleicht an sie heran?
Unwillkürlich drehte sich Liz Gaskell ängstlich um und starrte durch die Heckscheibe. Das rote Glühen der Schlussleuchten drang nicht weit durch die Nacht. Nichts war zu sehen.
Jason Belmont hatte die heftige Bewegung seiner Freundin richtig gedeutet. Auch er dachte unablässig an den Unheimlichen, der so unglaubliche Kräfte entwickelt hatte. Bedauernd betrachtete er Liz. Er mutete ihr diese Nacht in der Einsamkeit nur ungern zu, aber er hatte keine andere Wahl. Sein Trost war nur, dass sie mit ihren einundzwanzig Jahren nicht nur dem Gesetz nach erwachsen war, sie war es auch charakterlich.
Noch nie hatte er sich mit einem Mädchen in jeder Hinsicht so gut verstanden.
Er ließ seinen Blick über ihre langen blonden Haare gleiten, das offene, intelligente Gesicht mit den tiefblauen Augen, der frechen Stupsnase und dem weichen Schmollmund.
Sie trugen beide Jeansanzüge, wobei sich ihre Jacke über den Brüsten spannte. Um die Hüften saß die Hose eng und umschloss ihre langen Schenkel wie eine zweite Haut.
Jason schreckte aus seinen Gedanken hoch. Er deutete durch das Heckfenster.
»Nebel«, sagte er nur.
Es war kein gewöhnlicher Nebel, der hinter dem Wagen über die Straße zog. Es war eine dichte, weiße Wand, rot von den Heckleuchten angestrahlt, wogend und wallend. Sie machte jede Rückkehr an den Unfallort – auch zu Fuß – unmöglich.
»Vielleicht sollten wir zusehen, dass wir zu Fuß ein Haus erreichen«, meinte Jason, wobei er den Blick von dem Nebel nicht löste.
Neben ihm drehte sich Liz wieder nach vorne. Im nächsten Augenblick schrie sie unterdrückt auf und stieß ihn an.
Eine neue Gefahr befürchtend, wirbelte Jason herum.
»Das darf doch nicht wahr sein«, flüsterte er fassungslos.
Keine zehn Schritte vor dem Wagen stand wieder ein Mann, doch dieser jagte ihnen keinen Schreck ein. In der rechten, hoch über seinen Kopf erhobenen Hand baumelte eine Windlaterne und beschien ihn hell.
Der Mann musste sehr alt sein, mindestens achtzig. Schütteres weißes Haar umschloss eine Glatze wie ein Kranz. Das Gesicht war zerfurcht und verknittert, doch die Augen blickten jugendlich frisch.
Der Mann mit der Laterne war trotz der späten Stunde perfekt gekleidet. Schwarzer Frack, gestreifte Hose, Weste, gestärkter Kragen und Frackschleife.
»Ein echter Butler!«, rief Liz und brach vor Erleichterung in schallendes Gelächter aus. »Mein Gott, ein Butler! Jetzt ist alles gut!«
Sie sprang aus dem Wagen und lief auf den alten Mann zu. In ihrer Begeisterung bemerkte sie nicht die Gestalt, die für Momente aus der Nebelwand hinter ihnen auftauchte und gleich wieder verschwand.
Jason sah den Mann mit dem blutüberströmten Gesicht und den hasserfüllt glühenden Augen ebenfalls nicht, während er auf den so unerwartet aufgetauchten Retter zuging.
†
»Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Madam, Sir«, empfing sie der Butler mit einer förmlichen Verbeugung. »Sie werden erwartet.«
»Wir werden erwartet?«, fragte Liz Gaskell verblüfft. »Wieso denn? Es weiß doch niemand ...«
Ihre Stimme erstarb, weil sich der Greis umdrehte, ohne auf ihre Einwände zu hören, und voranging. Verwirrt blickte sie zu Jason hoch, doch auch ihr Freund hatte keine Erklärung für dieses Zusammentreffen.
»Wir müssen ihm schon folgen, oder willst du hier in der Dunkelheit stehen bleiben?«, fragte er mit einem schiefen Grinsen und deutete zurück auf ihren Wagen. Die Batterie war vollständig erschöpft, sodass nunmehr auch die Standlichter verlöschten. Zudem war die Nebelwand bereits bis an die hintere Stoßstange gerückt.
»Um alles in der Welt, nein, ich bleibe nicht hier«, rief Liz hastig und lief eilig hinter dem schwankenden Lichtpunkt der Laterne her.
Nunmehr stellten sie fest, dass die Steinmauer zu ihrer linken Seite doch nicht lückenlos war. Ein schmaler Durchlass öffnete sich zu einer breiten Zufahrtsstraße. An der Einmündung erwartete sie der Butler.
»Wohin bringen Sie uns?«, erkundigte sich diesmal Jason, erhielt jedoch ebenso wenig wie Liz eine Antwort. Der Butler ging mit genau abgezirkelten Schritten voran.
Zu beiden Seiten der Straße, die aus grobem Schotter bestand, ragten mächtige Bäume in den nächtlichen Himmel. Liz, die ihre Angst in der Nähe eines zivilisiert gekleideten Menschen wieder einigermaßen überwunden hatte, dachte, wie schön es tagsüber sein müsste, durch diese Allee zu gehen. Die Bäume bildeten sicherlich ein richtiges Dach. Gleichzeitig mit diesen Gedanken richtete sie ihren Blick nach oben. Kahle, verbrannte Äste stachen in den Nachthimmel.
Jason fühlte sich schon wieder von seiner Freundin angestoßen. Er hatte bisher den Rücken des stocksteif gehenden Butlers betrachtet und sinniert, wo ihre Irrfahrt wohl enden würde, doch jetzt folgte er Liz' Blickrichtung.
»Nicht schlecht«, murmelte er überrascht.
»Nicht schlecht? Mehr sagst du zu dieser schrecklichen Verwüstung nicht?«
Jason zuckte die Schultern. »Mein Gott, hier hat eben mal der Blitz eingeschlagen und die Bäume in Brand gesteckt. Einige sind gespalten, andere haben keine Äste mehr. Das ist doch nicht so ungewöhnlich, oder?«
»Ja, du hast wahrscheinlich recht«, sagte Liz leise, doch als sie dem Butler weiter folgten, war es diesmal Jason, der betroffen stehenblieb.
Die Allee der geborstenen und verbrannten Bäume war zu Ende und öffnete sich auf einen weiten Platz. Das Gelände stieg auf einem kurzen Stück steil an und bildete ein kleines Felsplateau. Dahinter hörten sie die Brandung rauschen.
»So weit sind wir von der Richtung abgekommen«, flüsterte Liz. »Dunnet liegt vier Meilen vom Meer entfernt, und wir sind hier an den Klippen.«
Jason Belmont antwortete nicht. Sein Blick hing unverwandt an dem Gebäude, das sich auf dem Felsplateau genau am Rand der Klippen erhob. Es war ein ehemals bestimmt sehr schöner Herrensitz mit zwei Türmen und efeubewachsenen Mauern gewesen, von dem aus man einen prachtvollen Blick auf die See hatte.
Jetzt war es eine Ruine. Im Schein des hinter den Nebelbänken aufgetauchten Mondes sahen die beiden jungen Leute, dass von den Türmen nur mehr die nackten Mauern standen. Die Dächer fehlten, ebenso die Fenster. Ganze Teile waren aus den Mauern herausgesprengt worden.
Auch das Hauptgebäude musste schon vor längerer Zeit durch einen Brand arg in Mitleidenschaft gezogen worden sein. Die Holzlatten des Efeuspaliers hingen knarrend und sich im leichten Wind bewegend an den rußgeschwärzten Steinen. Auf den Fenstern lag eine dichte Staub- und Schmutzschicht, durch die man undeutlich das Flackern von Lichtern erkannte.
»Das ist doch Kilroy Manor«, platzte Jason Belmont laut heraus. »Ja, natürlich, ich habe einmal Fotos davon gesehen! Was ist denn geschehen? Ein Brand?«
Der Butler war bei der Erwähnung des Namens stehen geblieben. Steif drehte er sich um und deutete wieder eine Verbeugung an. »Sehr wohl, Sir, das ist in der Tat Kilroy Manor. Wenn Sie bitte eintreten wollen, Madam, Sir! Mylady erwartet Sie.«
Da war sie wieder, diese rätselhafte Einladung! Jason beschloss, sich vorläufig nicht weiter darüber zu wundern, sondern erst einmal die Herrin dieser Brandruine kennenzulernen. Er legte Liz einen Arm um die Schultern und trat mit ihr auf den Vorplatz.
Eine Bewegung seitlich in den Büschen ließ sie stehenbleiben. Angestrengt starrten sie auf die sich teilenden Zweige.
Ein Mann, noch älter als der Butler, humpelte aus den Büschen heraus, in schäbige Kleider gehüllt, eine Sense auf der Schulter, einen großen Korb in der freien Hand. Brummend und murmelnd verschwand er wieder in der Dunkelheit des Schlossparks.
»Wer war denn das?«, stieß Liz entgeistert hervor.
»Das war Marc, unser Gärtner«, antwortete der Butler mit unerschütterlicher Höflichkeit. »Ich bin James, der Butler.«
»Was macht ein Gärtner um ...« Liz blickte schnell auf ihre Armbanduhr. »... um drei Uhr morgens im Garten?«, fragte sie fassungslos.
»Pardon, Madam, er arbeitet. Dazu ist er ja der Gärtner. Wenn Sie jetzt, bitte ...« Leichte Ungeduld schwang in der Stimme von James, dem Butler des merkwürdigen Hauses.
Jason zog rasch seine Freundin mit sich. »Du kannst doch nicht solche Fragen stellen«, zischte er ihr grinsend zu, während sie durch die von James offengehaltene Haustür traten.