Gespenster-Krimi 60 - Frank DeLorca - E-Book

Gespenster-Krimi 60 E-Book

Frank DeLorca

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Beschreibung

In einem der alabasterweißen Häuser der Penfold Street im vornehmen Londoner Viertel Lisson Grove brannte nach Mitternacht noch Licht. Anthony St. James, einer der bekanntesten und seriösesten Journalisten der britischen Hauptstadt, streckte sich unter der schweren bronzenen Stehlampe in seinem Sessel.
"Hast du eine schwere Geburt zu überstehen, Liebling?", fragte eine helle Stimme von der Couch herüber.
Laura St. James, in eingeweihten Kreisen galt sie als die hübscheste und zugleich tüchtigste Schreiberin für das Popmagazin "Party", zog ihre wohlgeformten Beine so weit an sich, dass ihr seidener Hausmantel auseinanderklaffte.
Anthony sah wie zufällig über den Rand eines mehrfach angestrichenen Zeitungsartikels hinweg, zerknüllte das Zeitungsblatt, stand auf und gähnte. "Wir sollten endlich schlafen, Honey", sagte er müde. "Es graut mir davor, noch länger die Kritiken lesen zu müssen, die meine ehrenwerten Kollegen über einen Mann wie Giorgio Pasadena verbreiten."
Doch Lauras betörende grüne Katzenaugen blitzten belustigt zu Anthony auf ...


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Inhalt

Cover

Melodie des Grauens

Vorschau

Impressum

Melodie des Grauens

von Frank deLorca

In einem der alabasterweißen Häuser der Penfold Street im vornehmen Londoner Viertel Lisson Grove brannte nach Mitternacht noch Licht. Anthony St. James, einer der bekanntesten und seriösesten Journalisten der britischen Hauptstadt, streckte sich unter der schweren bronzenen Stehlampe in seinem Sessel.

»Hast du eine schwere Geburt zu überstehen, Liebling?«, fragte eine helle Stimme von der Couch herüber. Laura St. James, in eingeweihten Kreisen galt sie als die hübscheste und zugleich tüchtigste Schreiberin für das Popmagazin »Party«, zog ihre wohlgeformten Beine so weit an sich, dass ihr seidener Hausmantel auseinanderklaffte.

Anthony sah wie zufällig über den Rand eines mehrfach angestrichenen Zeitungsartikels hinweg, zerknüllte das Zeitungsblatt, stand auf und gähnte. »Wir sollten endlich schlafen, Honey«, sagte er müde. »Es graut mir davor, noch länger die Kritiken lesen zu müssen, die meine ehrenwerten Kollegen über einen Mann wie Giorgio Pasadena verbreiten.«

Doch Lauras betörende grüne Katzenaugen blitzten belustigt zu Anthony auf ...

»Ich verstehe das ja, Darling«, gurrte sie sanft. Ihr halb entblößter Busen wölbte sich ihm entgegen.

Anthony St. James sah gerade bis dorthin, denn das Gesicht seiner Frau wurde durch eine aufgefaltete Zeitschrift mit vielen bunten Bildern verdeckt.

Die Bilder des Magazins »Party« interessierten ihn im Moment noch viel weniger als jemals zuvor. Er nahm nervös seine Hornbrille ab, zog ein Taschentuch aus dem Morgenrock und polierte die Gläser, ohne hinzusehen. Sein Blick war restlos gebannt von den vielen nackten Hautpartien Lauras, die plötzlich unter dem hauchdünnen Hausmantel ein sinnvolles Ganzes ergaben.

»Du hast es fertiggebracht«, knurrte er heiser, »dass ich zum ersten Mal in meinem Leben ein sogenanntes Konzert dieses Scharlatans besucht habe. Du konntest beim besten Willen nicht erwarten, dass ich in die üblichen Lobeshymnen ausbreche, Laura. Ein Pianist, der alten Schachteln bei Kerzenlicht Liebeslieder vorspielt, im nächsten Moment Boogies herunterhämmert und gleich darauf Beethoven zuschanden macht – das ist für mich kein Künstler, der ernst genommen werden kann, Darling.«

Laura zog ihre Beine noch weiter an, bis ihre Knie die Stütze der Zeitschrift bildeten. Über dem linken Knie sah Anthony St. James das Bild eines Mannes in schwarzem Anzug mit wirren, über die Schulter hängenden Haaren. Aus dem markanten Gesicht sprang eine mächtige Hakennase vor. Darunter in fettgedruckten Lettern: »Pasadenas letztes Konzert«.

»Albernheiten«, brummte Anthony St. James unwillig und riss seiner Gattin das Blatt aus der Hand. »Sobald er Geld braucht, spielt er auch wieder.«

Jetzt erst bemerkte er das schwarze Kreuz neben der Bildunterschrift. Und er erstarrte, als er das ernste Gesicht seiner Frau sah, eingebettet zwischen zwei Sofakissen und in einer glitzernden Wildnis blonder Haare.

Anthony St. James setzte zitternd die Brille wieder auf. Dann zwang er sich mit äußerster Konzentration, von den Reizen seiner Frau zu dem Artikel in dem läppischen Magazin »Party« zurückzukehren.

Er las in dieser Zeitschrift keine Zeile außer Lauras Artikel. Allerdings musste er sich eingestehen, dass seine Frau Talent hatte. Ob Glossen, Reportagen oder hochgeschaukelte Fantasieberichte, es war ihm bei der Lektüre nie langweilig geworden. Schließlich hätte er Laura nicht allein wegen ihrer Schönheit geheiratet.

Auch der kurze Bericht unter dem schwarzen Kreuz war mit Laura St. James gezeichnet. Anthony hasste es, wenn Laura ihre Beiträge in diesem schrecklichen Magazin mit ihrem vollen Namen unterschreiben ließ.

Diesmal machte er eine Ausnahme. Nicht nur weil der Bericht vom Tod des berühmten Pianisten Giorgio Pasadena schlicht und ergreifend abgefasst war.

»Du hast mir kein Wort davon gesagt, dass er tot ist«, knurrte er und warf die Zeitung auf die Couch.

Laura blieb nun bewegungslos liegen.

»Du bist vor zwei Stunden aus Paris gekommen, Anthony«, sagte sie leise, »und warum sollte ich dich gleich damit überfallen? Wir sind verschiedener Meinung über Pasadena. Es war, als hätte ich geahnt, dass es wirklich sein letzter Auftritt war. Desto mehr freut es mich, dass ich dich dazu bewegen konnte, einmal – ein einziges Mal – eines seiner Konzerte zu besuchen. Bitte mach dir bloß jetzt keine Vorwürfe, dass er vielleicht deshalb an Herzversagen gestorben ist, weil ...«

»Weil ich ihn zum ersten und einzigen Mal in den großen Londoner Zeitungen erwähnt und abgekanzelt habe?«, brauste Anthony auf. »Verdammt noch mal, konnte ich denn anders? Ich gebe ja zu, er ist ein glänzender Pianist, absolut kein Stümper, aber er hätte spielen können, was er wollte, nur Beethoven in einen Topf werfen mit lumpiger Unterhaltungsmusik – und dann noch die Maske von Liszt aufsetzen – das ist mir einfach zu viel, Laura. Allerdings, ein eitler Hanswurst wie er könnte durchaus von schlechten Kritiken in der Times und im Daily Herald dazu veranlasst werden, mit einem spektakulären Herzstillstand aus dem gefeierten Dasein zu scheiden.«

Laura setzte sich mit einem Ruck auf. Ihr seidener Hausmantel verdeckte plötzlich alle Blößen.

»Unsinn, Anthony«, keuchte sie, und ihre Augen suchten einen imaginären Punkt in dem luxuriös eingerichteten Chippendalezimmer. »Du hast keine Schuld. Er hat es vorausgesehen, sonst hätte er dieses Konzert nicht als sein letztes angekündigt. Ein Hanswurst allerdings ist Giorgio Pasadena nie gewesen – viel eher ein Dämon.«

Anthony lachte laut auf. »Ach ja – ein Dämon – hoffentlich hat er dir nicht die Seele verzaubert, Darling?«

Laura sprang jetzt von der Couch herunter und stand hautnah vor ihrem Mann.

Vor drei Jahren habe ich sie geheiratet, dachte er. Eine Frau mit Niveau, mit Esprit, eine bildhübsche Frau. Und ich werde sie nie mehr gehen lassen. Denn gerade Meinungsverschiedenheiten wie heute gehören zu einer Ehe, die dauern soll.

Er nahm sie spontan in die Arme. Es folgte ein Kuss, der der erste hätte gewesen sein können.

Ihr Körper drängte sich an ihn, und Anthony St. James war restlos glücklich.

»Gehen wir endlich schlafen«, sagte er dann.

»Ja.« Sie strahlte ihn mit ihren grünen Augen an. Dann löste sie sich plötzlich aus seinen Armen, griff unter das Sofakissen und holte einen aufgerissenen Brief hervor.

»Damit du nicht glaubst, dass ich in Pasadenas Astralleib verliebt bin.« Sie lachte hell. »Ich war übrigens auf seiner Beerdigung – vor drei Tagen. Das nimmst du mir doch nicht übel, Darling? Der Brief hier aber ist gestern abgestempelt worden – du solltest ihn lesen. Erstens geht er dich genauso an wie mich – und zweitens sollten zwischen uns keine Geheimnisse sein.«

Anthony St. James sah unwillkürlich auf das Datum des Poststempels. Laura hatte recht. Dann nahm er den Brief aus dem Kuvert und las.

Es waren nur wenige Zeilen.

Liebe Freunde!

Ganz besonders freut mich, dass ich bei meinem letzten Konzert nicht nur Ihre Aufmerksamkeit, liebe Laura, sondern auch die Ihres Herrn Gemahls erregen konnte. Es würde mich sehr freuen, wenn ich Sie beide als meine Gäste für ein paar Tage in meinem Landsitz Tilford Mansion erwarten könnte. Möglichst schon in den nächsten Tagen, denn da könnte ich Ihnen einige Stunden widmen. Es würde sich über Ihre Ankunft aufrichtig freuen.

Giorgio Pasadena.

Laura beobachtete ihren Mann mit seltsamer Spannung.

»Nun, was sagst du dazu?«, fragte sie dann und holte eine Zigarette aus dem Teakholzbehälter auf dem Couchtisch.

Anthony zuckte mit den Schultern. »Das verstehe ich beim besten Willen nicht, wie er dazu kommt, gerade mich einzuladen. Leider ist die Angelegenheit inzwischen erledigt.«

»Findest du?«, fragte Laura mit großen Augen. »So leicht sollte man die Einladung eines Toten wohl nicht nehmen.«

Anthony sah sie entgeistert an und warf einen kurzen Blick auf den Poststempel des Kuverts.

»Wymondham – ist das nicht ein Kaff irgendwo in der Grafschaft Norfolk?«

»Sehr richtig, Liebling. Und Tilford Mansion liegt etwa zehn Meilen davon entfernt in der Nähe eines Dorfes namens Flinn Oak. Ich kenne das Landhaus, denn eines meiner elf Interviews mit Giorgio Pasadena fand aus Zeitgründen dort statt. Aber das meine ich nicht. Der Pianist ist vor fünf Tagen in London gestorben – am gleichen Tag, als du nach Paris geflogen bist, Anthony. Die Beerdigung war vor drei Tagen in St. Pancras. Und jetzt lies bitte das Datum des Briefes noch einmal.«

»26. April«, las Anthony. »Das war vorgestern. Allerdings seltsam. Nun, Künstler sind manchmal verdammt zerstreute Typen. Vielleicht hat er sich um eine Woche im Datum geirrt – das letzte Konzert war doch genau vor einer Woche.«

»Aber der Poststempel ...«, sagte Laura hartnäckig.

»Wäre auch zu erklären. Vielleicht hat die Dienerschaft damals vergessen, den Brief abzuschicken. Im Trubel über der Beerdigung ist er dann liegen geblieben, bis ihn einer der übereifrigen Geister in Tilford Mansion gefunden und pflichtgemäß doch noch zur Post gegeben hat.«

»Pasadena hatte in Tilford Mansion nur einen Diener, einen Chinesen. Der machte auf mich nicht den Eindruck, als ob er jemals im Leben etwas vergessen würde.«

Anthony warf den Brief auf den Tisch zurück.

»Weißt du vielleicht eine andere Erklärung?«, fragte er spöttisch.

»Noch nicht. Aber ich werde sie mir in Tilford Mansion holen.« Laura griff zum Telefon.

»Willst du den armen Chinamann aus dem Schlaf schrecken?«, fragte er belustigt.

Dann erst hörte er, dass sie die Auskunft verlangte.

Nach einer Weile legte sie enttäuscht auf.

»Eine Telefonnummer von Tilford Mansion ist nicht registriert«, sagte sie nachdenklich.

»Wahrscheinlich hatte der große Giorgio in seinem Domizil eine Geheimnummer«, meinte Anthony. »Verständlich, dass er sich nicht von seinen Fans belästigen lassen wollte.«

»Was hältst du von einem verlängerten Wochenende?«, fragte sie plötzlich mit lockendem Augenaufschlag. »Morgen ist Freitag, der Frühling liegt schon über dem Land, und in Flinn Oak gibt es einen gemütlichen Landgasthof.«

»Eine Verrücktheit«, brummte er, »einem Phantom nachzujagen. Es tut mir ja leid, dass ich den großen Giorgio kurz vor seinem Tod noch so erbärmlich verrissen habe. Um aber unnützerweise auf seinen Spuren zu wandeln, dafür ist mir eigentlich meine Zeit zu schade.«

»Ich sprach ja auch nur von einem Landausflug, Darling«, sagte sie lächelnd. Dann aber wurde sie seltsam Ernst. »Frauen haben manchmal einen sechsten Sinn, besonders wenn sie für Magazine wie ,Party' arbeiten. Ich bin überzeugt, dass wir da draußen irgendetwas erleben werden, wovon wir uns jetzt noch gar keinen Begriff machen können. Vielleicht ergibt es sogar eine prima Story. Natürlich kann ich auch allein fahren, wenn du nicht willst.«

»Unsinn«, knurrte er. »Die Idee, einmal auszuspannen, ist nicht übel. Und es kommt gar nicht infrage, dass ich dich übers Wochenende allein in den Klauen eines Chinesen lasse. Jetzt aber ist es bald zwei, und du musst mir gestatten, deine Gedanken in andere Bahnen zu lenken.«

Er nahm sie widerstandslos in die Arme und trug sie ins Schlafzimmer hinüber.

»Bitte lass die Tür offen und das Licht im Wohnzimmer brennen, Darling«, bat Laura leise. Sie schmiegte sich eng an ihn.

»Wenn du willst – aber was hast du denn?«

»Ich habe Angst – grauenhafte Angst ...«, flüsterte sie, als er sie auf das französische Bett legte.

»Aber vor wem, Darling?«

»Vor Giorgio Pasadena.«

Es war ein wunderschöner Frühlingsnachmittag, als Anthonys Bentley von der Staatsstraße nach Norwich abbog und auf einem schmalen Provinzsträßchen in das weiße Blütenmeer einer Obstplantage tauchte.

Laura sah blendend aus. Sie trug ein gelbes Kleid, dessen große Planquadrate in schmale schwarze Linien gefasst waren, die ihre makellose Figur dezent betonten. Niemand hätte ihr angesehen, dass sie schon über dreißig war.

Anthony St. James trug einen blauen Lumber und weiße Hosen. Die große Sonnenbrille, die seine etwas kurzsichtigen Augen schützte, stand ausgezeichnet zu seinem braungebrannten, männlichen Gesicht. Nur an den grauen Schläfen war zu erkennen, dass er die Vierzig knapp überschritten hatte. Er fühlte sich an der Seite seiner gut aussehenden Frau jung wie noch nie.

Schließlich hatte er auch um sie kämpfen müssen. Ausgerechnet Giorgio Pasadena, damals schon weit über fünfzig, hatte Laura den Hof gemacht. Anthony musste trotz allem Widerwillen, den er gegen den Showman hegte, anerkennen, dass dieser seine Niederlage mit Würde getragen hatte. Auch nach der Heirat gab ihr Pasadena Exklusivinterviews und ermöglichte ihr damit erst die Karriere beim Magazin »Party«.

Anthony St. James schätzte die Tätigkeit seiner Frau nicht besonders. Schließlich verdiente er genug Geld, um für sie sorgen zu können. Aber er war sich von Anfang an darüber klar, dass er kein Hausmütterchen geheiratet hatte. Trotzdem war er nie ganz frei von Eifersucht, denn er kannte den Einfluss eines Mannes wie Pasadena gerade auf Frauen wie Laura.

Nun war der Rivale tot. Obwohl Anthony Manns genug war, dies ernstlich zu bedauern, empfand er keinerlei Trauer darüber. Laura hatte sich inzwischen bei »Party« durchgesetzt und würde auch ohne die Interviews mit dem sagenhaften Pianisten ihren Weg machen. Ihr seltsames Verhalten heute Nacht hatte ihn. geschockt, das stimmte. Aber nun würden sie zusammen ein großartiges Wochenende in Flinn Oak verleben, und Anthony war sicher, dass der Anblick des verlassenen Tilford Mansion seiner sensiblen Frau all diese Flausen aus dem Kopf jagen werde.

Die Obstbaumallee mündete in ein frühlingsgrünes Heckengeviert, und dahinter lag im Sonnenschein, von einer niedrigen, moosbewachsenen Mauer umgeben, ein zweistöckiges, breit hingestrecktes typisch englisches Landhaus.

Tilford Mansion ohne jeden Zweifel.

Das Grundstück hinter der Mauer war nicht besonders groß. Hochragende Thujen gaben dem kleinen Park ein düsteres, friedhofmäßiges Aussehen. Das Haus selber mit den grüngestrichenen Fensterläden und dem schmucklosen roten Ziegeldach sah auch nicht besonders einladend aus.

Die Einfahrt und das dicht danebenliegende Gartentor waren mit spitzbewehrtem Schmiedeeisen verschlossen.

Anthony St. James parkte den silberfarbenen Bentley dicht neben der Mauer.

Nichts regte sich, als sie ausstiegen.

»Von besonderem Geschmack zeugt das alles nicht gerade«, mäkelte Anthony.

Laura gab ihm keine Antwort. In ihren Augen lag eine seltsame Spannung.

Neben der Gartenpforte klebte eine verrostete Klingel in der Mauer. Anthony drückte sie, und man hörte den leisen Widerhall von der Haustür her. Nichts rührte sich. Mechanisch presste Anthony seinen Daumen wieder und wieder auf den Klingelknopf.

»Was zu erwarten war«, sagte er dann kurz und wandte sich zum Gehen.

Im gleichen Augenblick sah Laura, wie sich eine einzige Sekunde lang der weiße Vorhang hinter dem Fenster rechts neben der Haustür zur Seite schob. Ein gelbes runzliges Gesicht erschien hinter der Scheibe, und schmale Schlitzaugen trafen Laura mit einem Blick von solch grausamen Hass, dass sie unwillkürlich aufschrie.

Anthony wandte sich um.

»Was ist los?«, fragte er besorgt, als er das Gesicht seiner Frau sah, die starr auf das Fenster blickte.

»Lu Wang!«, sagte Laura tonlos.

Der Vorhang war längst wieder zugezogen worden und hatte die gelbe Fratze verdeckt.

»Hast du den Chinesen gesehen?«, fragte Anthony ungeduldig.

Laura nickte nur. Ihre gesunde Gesichtsfarbe hatte sich in krankhaftes Weiß verwandelt.

»Was ist dir, Darling? Soll ich über die Mauer steigen, das Fenster einschlagen und ihm eins hinter die Ohren geben? Was erschreckt dich so an dem Kerl? Wenn er nicht öffnen will, ist es sein gutes Recht.«

»Du hast sein Gesicht nicht gesehen, Anthony«, stöhnte Laura. »Ich habe noch nie bei einem Menschen solchen Hass bemerkt.«

»Hass? Was haben wir dem Lumpen den getan? Ich glaube, du leidest langsam unter Halluzinationen. Ich werde nochmals Sturm läuten, auch wenn das gerade einem chinesischen Diener gegenüber mehr als unfein wirkt. Wenn er wirklich ans Fenster gekommen ist, so hat er damit wahrscheinlich nur ausdrücken wollen, dass er seine Ruhe haben will. Chinesen legen größten Wert auf Höflichkeit.«

Wieder drückte Anthony mehrmals auf die Klingel.

Ohne jeden Erfolg. Das Haus lag still und wirkte trostlos einsam.

»Wahrscheinlich hast du dich getäuscht, Darling«, sagte Anthony endlich und legte sanft den Arm um die Schultern seiner Frau. »Ich schlage vor, wir fahren nach Flinn Oak hinüber und besorgen uns ein Quartier in deinem berühmten Landgasthof. Vielleicht haben sie dort auch etwas zu essen. Erinnerst du dich daran, dass wir seit dem Frühstück keinen Bissen im Magen haben?«

Laura löste sich plötzlich aus ihrer Starre und lächelte. Langsam kehrte die Farbe wieder in ihr hübsches Gesicht zurück.

»Du hast recht, Liebling«, sagte sie. »Ich habe Hunger, und schließlich habe ich dich zu einer Landpartie nach Flinn Oak überredet.«

Sie stiegen in den Bentley, und Anthony kurvte langsam auf die Allee zurück.

Unwillkürlich wandte sich Laura um. Das Gesicht hinter dem Fenster rechts neben der Tür wirkte plastisch und riesengroß. Der breite Mund stand diesmal offen, krumme Hände hielten den Vorhang nach beiden Seiten in die Höhe, und braune hässliche Zähne signalisierten todbringende Wut.

Laura drehte sich halb um und verbiss sich in die Rückenlehne ihres Sitzes, um einen Angstschrei zu unterdrücken.

Anthony St. James entging das nicht. Im Rückspiegel sah er gerade noch, wie sich der Fenstervorhang schloss.

»Schade, Baby, dass mir die Visage wieder entgangen ist«, knurrte er böse. »Aber ich habe immerhin noch gesehen, dass der Kerl zu Hause ist. Ich glaube, wir werden ihm heute Abend noch einmal einen Besuch abstatten. Bei dieser Gelegenheit werde ich ihn fragen, wie er dazu kommt, Einladungen seines toten Herrn zu verschicken.«

Flinn Oak war ein typisches Dörfchen der britischen Eastlands. Zwei Dutzend blumengeschmückte Fachwerkhäuser standen um ein Kirchlein herum. Das größte davon war »Lucie's Inn«, das Dorfwirtshaus.

Der Wirt freute sich sichtlich, als die beiden Fremden in der Gaststube saßen und mit Heißhunger eine Riesenportion Ham and Eggs verschlangen, das einzige, was er nachmittags um fünf zu bieten hatte. Aber seine Wirtin kochte nicht schlecht, und auch das Ale, das er in zwei großen Glaskrügen vor beide Gäste hinstellen musste, war nicht von Pappe.

Er grinste freundlich, als er sah, dass die hübsche junge Dame ihr Glas schneller ausgetrunken hatte als ihr seriöser Begleiter. Natürlich war ihm auch der silbergraue Bentley nicht entgangen, schließlich hatte er den Fahrer in den Holzschuppen dirigiert, der hier als Gästegarage diente..

Am runden Stammtisch neben der Theke saßen nur noch drei weitere Gäste. Anthony taxierte sie als Dorfbewohner, die ihren wohlverdienten Whisky aus Zahnputzgläsern schlürften.

»Sie kommen sicher aus London?«, fragte der Landlord neugierig, als er die Teller abräumte und frisches Ale auftrug.

»Richtig geraten, Mister Landlord«, bestätigte Anthony St. James grinsend.

»Die junge Dame ist mir nicht unbekannt«, stellte der Wirt fest. »Sie waren doch vor einiger Zeit mal hier, nicht wahr, Mylady? Wenn ich mich nicht irre, zusammen mit Mister Giorgio Pasadena.«

Der Wirt verzog erwartungsvoll das fette Gesicht. Er war klein und rund, wie man sich tüchtige Wirte nun einmal vorstellt. Die roten Haare hingen ihm in dünnen Strähnen bis zu den wasserblauen Augen herab.