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Das Leben als Opfer in einer von psychischer, emotionaler und/oder physischer Gewalt geprägten Beziehung scheint oftmals aussichtslos. Und so manche Frau rutscht von einer gewalttätigen Beziehung in die nächste. Doch ist das alles nur Pech? Oder spielen vielleicht ganz andere Faktoren eine Rolle? Und wie erreicht man eine dauerhafte und glücklich machende Änderung im Beziehungsleben? Petra Liermann beschreibt in diesem Buch nicht nur das Leben der Opfer solcher Beziehungen, sondern geht dem Problem auf den Grund. Sie beschreibt, wie Frauen den Ausstieg aus dem Teufelskreis und - mit den richtigen Hilfsmitteln - den Weg in ein glückliches Leben finden können.
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Seitenzahl: 159
Veröffentlichungsjahr: 2021
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„Gewalt ist die letzte Zuflucht des Unfähigen.”
Isaac Asimov
Teil I – Die Welt der Opfer
Gestatten, mein Name ist …
Opfer gibt es nicht
Opfer und Recht
Opfer und Psyche
Die andere Form von Gewalt
Das Opfer als Wiederholungstäter
Die Methoden der Täter
Die Hilflosigkeit der Opfer
Die Krux mit der Liebe
Teil II – Der Weg der Opfer
Hier kommt …
Entwicklung vom Kind zum Opfer
Das Drama-Dreieck
Ich bin kein Opfer!
Der Schlaukopf
Der komfortable Schmerz
Die Angst vor der Angst vor der …
Die Detektivarbeit
Werte auf dem Prüfstand
Die Sache mit der Liebe
Die Macht der Energie
Die Arbeit mit den inneren Anteilen
Die Sache mit der Vergebung
Der Plan
Und wenn dann …
Sie fragen sich …
Hilfe erhalten Sie …
Eine kleine Geschichte
Danke …
Die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Egal, eigentlich ist mein Name völlig unwichtig und spielt auch keine entscheidende Rolle. Ich bin Opfer. Nicht gerne und nicht bewusst, aber ich bin und bleibe ein Mensch, der sich in der Opferrolle mehr als wohlfühlt.
Für die meisten Menschen ist das nicht auf den ersten Blick zu erkennen, denn nach außen hin bin ich eine starke und selbstbewusste Person, die durch das, was sie im Leben bewältigt hat, mehr Stärke besitzt, als so manch anderer jemals in der Lage wäre aufzubringen. Doch trotzdem hat mir mein Leben immer wieder gezeigt, dass der Weg des Opfers der meine ist.
Zuerst war ich das Opfer meiner Eltern. Ich konnte nichts von dem tun, was ich eigentlich wollte, weil ja andere über mich bestimmten. Dann war ich ein Opfer der gesellschaftlichen Werte, denn Frauen außerhalb des normalen Gewichts haben es eben schwer, einen tollen Partner und bestimmte Jobs zu bekommen. Dann hatte ich endlich einen Mann und dieser entschied, wohin es in der Beziehung ging. Er entschied, was ich für Kleidung trug, was ich wie sagte, welche Freunde ich hatte und wie lange er bei mir blieb. Und am Ende war ich auch physisch sein Opfer, weil er versuchte mich umzubringen. Nachdem er mich emotional immer wieder mit Trennung, meinem Kind oder diversen anderen Dingen unter Druck gesetzt und dazu gebracht hatte, Dinge zu tun oder zu ertragen, von denen ich niemals gedacht hätte, dass ich sie mitmachen würde, überlebte ich mit viel Glück sechs Stunden massiver Schläge, Würgen und Demütigungen.
Ich habe immer wieder dieselben Männer in mein Leben gezogen, die immer wieder fremdgegangen sind und gerne ihr Wissen genutzt haben, dass ich mich sowieso nie trennen würde. Ich fand immer wieder die Unerreichbaren attraktiv, mit denen eine Beziehung ausgeschlossen war. Oder ich war mit denen zusammen, die ihre „Macht“ über mich unbewusst oder bewusst genutzt haben.
Wohin hat mich das geführt? Ich habe am Ende nicht nur viel Geld, eine Wohnung und mein Zuhause verloren, sondern lebe mit einem angebrochenen und falsch zusammengewachsenen Schienbein, einigen ausgeschlagenen Zähnen und Rückenproblemen, die durch einen Mordversuch meines Exmannes verursacht wurden. Und am Anfang meines Weges aus der Opferrolle heraus stand ich vor einem Scherbenhaufen, der mich fast in die Knie gezwungen hätte. Wenn da nicht meine Tochter gewesen wäre, die mich wiederum gezwungen hat, einen Weg hin zu einem glücklichen Leben zu finden, den sie dann von mir lernen konnte.
Doch bis zu meinem vierzigsten Lebensjahr war ich immer wieder Opfer. Und verfalle auch heute noch gerne in diese Rolle, jedoch mit einer wesentlich niedrigeren Toleranzgrenze.
Viele Frauen befinden sich in ähnlichen Situationen. Sie landen immer wieder in Beziehungen, in denen Gewalt ein Thema ist, sei es nun ein emotionales Unterdrucksetzen oder körperliche Gewalt. Wie auch ich haben sie sich mit Sicherheit etwas anderes in ihrem Leben erträumt, stellen sich die Frage, warum sie immer wieder leiden müssen, immer wieder an die falschen Männer geraten oder einfach immer wieder herumgeschubst werden. Und wie auch ich es getan habe, werden sie bestimmt regelmäßig Sätze sagen wie: „Ich weiß einfach nicht, warum das immer mir passiert!“, „Warum kann ich nicht endlich mal einen Mann finden, der mich liebt und respektiert?“ oder „Was muss ich noch tun, damit ich endlich geliebt werde?“
Aber noch entscheidender ist der Satz: „Ich komme da einfach nicht raus!“ Ein alles bestimmender, fataler und absolut falscher Satz, der nicht nur prophetisch anmutet, sondern wie eine selbsterfüllende Prophezeiung wirkt. Und die Opferrolle absolut manifestiert.
In unserer Gesellschaft gibt es keine Opfer. Nun, irgendwie schon, denn es gibt ja Frauenhäuser und Organisationen, die sich mit ihnen befassen. Es gibt sogar ein komplettes Gesetzbuch, das sich mit ihnen befasst. Trotzdem gibt es sie irgendwie nicht. Besser gesagt: Man ignoriert sie lieber, fühlt sich peinlich berührt, wenn man mit ihnen konfrontiert wird, und geht ihnen aus dem Weg.
Sicher, wenn Sie Opfer eines Diebstahls geworden sind, dann bedauert man Sie noch zutiefst, aber wenn Sie Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, geht man Ihnen lieber aus dem Weg. Haben Sie sich mal gefragt, wie viele Fälle häuslicher Gewalt vermieden werden könnten, wenn Menschen nicht offensichtliche Signale ignorieren würden? Wenn Nachbarn nicht die deutlichen Schmerzensschreie einer Frau ignorieren würden? Oder Bekannte und Freunde nicht gerne ihr Gehirn ausschalten würden, wenn sie zum zehnten Mal von einem im Weg stehenden Schrank hören, der angeblich ein blaues Auge verursacht hat? Doch es muss gar keine körperliche Gewalt sein, die offensichtlich ist und ignoriert wird. Oftmals fragen sich Freunde hinter dem Rücken der Betroffenen, warum sich diese immer wieder so “unterbuttern” lassen würde. Womit ich nicht sagen möchte, dass gleich jede in einer Beziehung defensiv handelnde Frau unter psychischer Gewalt leidet. Doch hierzu später mehr.
Die Gesellschaft hat eine sehr feine und genau definierte Linie, die akzeptiertes und sogar erwünschtes Opfersein von unerwünschtem und unangenehm berührendem Opfersein trennt. Übertreten Sie diese Linie, werden Sie ignoriert, während sie kurz vorher noch dafür in den Himmel gelobt wurden. Bis zu einem gewissen Grad ist es in dieser Gesellschaft nämlich notwendig, Opfer zu sein. Das gebietet uns schon unser christlicher Glaube. Oder vielleicht eher der, der von den Kirchen gepredigt wird. „So Gott will“, ist ein oft gesprochener Satz. Und der scheinbare „Wille Gottes“, der angeblich für einige unangenehmen Erfahrungen verantwortlich ist, wird gerne herangezogen, um negative Lebensereignisse zu rechtfertigen. Ja, gute Christen gehen sogar so weit, körperliche und seelische Leiden als Segen zu bezeichnen, die sie am Leid Christi teilhaben lassen. Wie sollte da auch irgendwer noch unterscheiden können, wo es nun genug ist mit dem Leiden und man das Leben selbst in die Hand nehmen muss?
Sind Sie eine Frau, die sich schlagen lässt, werden Sie wahrscheinlich als dumm, willenlos, schwach und einfach nur mit Unverständnis betrachtet, während Sie als Frau, die für ihre Familie den Job aufgibt und aufopferungsvoll 24/7 zur Stelle ist, mit Bewunderung bedacht werden.
In dem Gewirr von Rechten, Pflichten, Werten und Prägungen, dem sich Frauen heute stellen müssen, ist es nicht weiter erstaunlich, dass viele von ihnen ein ebenso gespaltenes Leben führen. Und dabei sind es oft die starken, bei denen man es gar nicht vermuten würde, deren Berufs- und Privatleben sich immens unterscheiden.
Natürlich gibt es auch die schwachen Frauen, die nie Selbstbewusstsein gelernt haben und denen von klein auf gezeigt wurde, dass Frauen eben zu ertragen und zu erdulden haben. Dennoch ist es wichtig zu erkennen, dass Opfersein an einer ganz anderen Stelle beginnt, nämlich genau da, wo ein Partner auf den anderen Druck ausübt und seine Position ausnutzt, um das zu erreichen, was er erreichen möchte.
Kommen wir zurück auf die Überschrift dieses Kapitels: „Opfer gibt es nicht!“ Ich möchte Ihnen hier ein Beispiel aus meinem Leben geben. Als ich im Jahr 2011 nach einer schwierigen Flucht vor meinem Ehemann in Deutschland ankam, hatte ich einen dunkelblauen Handabdruck von ihm an meinem Hals, meine linke Gesichtshälfte schillerte in allen Farben und ich humpelte, weil mein linkes Schienbein angebrochen und unbehandelt falsch zusammengewachsen war. Nun konnte ich mich nicht verkriechen und warten, bis ich wieder normal aussah, sondern musste mich um eine Wohnung, Kleidung, diverse rechtliche Angelegenheiten und Geld kümmern. Ich ging also zu diversen Ämtern und Stellen, ohne dort auch nur einmal die Nachfrage zu hören, was mit mir passiert sei. Ich erntete massenhaft mitleidige Blicke, doch gefragt hat mich niemand. Mit einem guten Freund, der mich unterstützte, ging ich zur Bank, um ein Konto zu eröffnen. Während man mich bedauernd ansah, wurde er weitestgehend ignoriert und wenig freundlich behandelt, bis er klarstellte, dass mein Gesicht nicht das Ergebnis seiner Gewalt sei. Die Anmeldung bei der Stadt war begleitet von faszinierten Blicken auf meine Blutergüsse, das Jobcenter war zuvorkommender als erwartet und die Krankenkasse unfreundlich wie immer. Nur die wenigsten Gesprächspartner wollten wissen, was mir denn zugestoßen sei. Und von denen, die sich getraut haben zu fragen, reagierten wiederum nur die wenigsten mit mehr als einem mitleidigen Blick. Offizielle Stellen, die die Möglichkeit gehabt hätten, Hilfe zu vermitteln oder einzuschalten, schwiegen. Von den ganzen privaten Kontakten zu schweigen, die lieber gar nicht wissen wollten, was mir passiert war.
Mit der Zeit habe ich herausgefunden, dass viele Menschen lieber wegsehen, anstatt Gefahr zu laufen, selbst in eine Situation involviert zu werden, die gefährlich für sie werden könnte. Andere wiederum haben einfach keine Lust, „Arbeit” zu investieren und Zeit zu verschwenden mit Dingen, die sie doch eigentlich nichts angehen. Und wieder andere möchten tief in ihrem Innersten einfach wegsehen und dadurch daran glauben, dass es so etwas wie eine vom eigenen Ehemann halb totgeprügelte Ehefrau gar nicht gibt. Alle lesen gerne solche Geschichten, gucken sie sich vielleicht noch im Fernsehen an, möchten sie aber möglichst nicht im eigenen Dunstkreis wissen. Sie lieben ihre kleine heile Welt mit Ecken und Kanten, in der sie mit ihren eigenen Problemen ausgelastet sind. Manchmal sind es aber auch einfach nur das Unvermögen und die Unwissenheit, wie man denn helfen könnte, die Menschen betreten wegsehen lassen.
Welche Gründe es auch am Ende sein mögen, aus denen heraus jeder Einzelne wegsieht: Eine Frau, die körperliche Gewalt durch ihren Partner erfährt, wird nur in den seltensten Fällen Hilfsangebote erhalten und feststellen, dass zwar jeder weiß, was ihr passiert ist, aber auch gerne bereit ist, jede halbwegs passende Geschichte zu akzeptieren.
Es stellt sich also die Frage, wie es in einer Gesellschaft, die Opfern aus dem Weg geht und sie am liebsten ignoriert, doch zu so vielen Gewalttaten in Beziehungen kommen kann. Denn: Im Jahr 2019 ist laut Statistik an fast jedem dritten Tag eine Frau durch die Tat ihres Partners oder Ex-Partners gestorben. Umgerechnet alle 45 Minuten wird in Deutschland eine Frau durch ihren Partner verletzt oder angegriffen. 141.000 Opfer von vollendeten und versuchten Delikten der Partnerschaftsgewalt hat es im Jahr 2019 gegeben. Die bekannt gewordenen Straftaten von psychischer oder körperlicher Gewalt allein in Beziehungen reichen von Stalking über Vergewaltigung bis hin zu Mord und Totschlag. Und dabei geht man davon aus, dass 75 bis 80 Prozent der tatsächlich verübten Gewalttaten gar nicht zur Anzeige gebracht werden. Ganz zu schweigen von den Formen der Gewalt, die nicht in die genannten Bereiche fallen und zu den nicht nachweisbaren oder leichten gehören.
Doch warum ist das so?
In den letzten Jahrzehnten haben sich die Rechte der Frauen deutlich verbessert und auch hinsichtlich Gewalt in Beziehungen hat der Gesetzgeber inzwischen Lücken erkannt und nachgebessert. Trotzdem bleiben viele Grauzonen, denn gerade im psychischen Bereich der Gewalt fehlt oftmals die Möglichkeit der Beweisbarkeit.
Die derzeitige rechtliche Lage sieht folgendermaßen aus: (Auch wenn es etwas trocken sein mag, handelt es sich hierbei um Hintergrundwissen, über das man informiert sein sollte.)
Nach Definition des Bundesgerichtshofs ist Gewalt „körperlich wirkender Zwang durch die Entfaltung von Kraft oder durch sonstige physische Einwirkung, die nach ihrer Intensität dazu geeignet ist, die freie Willensentschließung oder Willensbetätigung eines anderen zu beeinträchtigen.“
Das Strafrecht kennt jedoch auch die psychische Gewalt, die als willensbeugende oder beugende Gewalt definiert wird und bei der der Täter beim Opfer einen bestimmten Willensentschluss hervorrufen will.
Weiterhin kennt das Strafrecht sexualisierte Gewalt wie z. B. sexuellen Missbrauch, Vergewaltigung und sexuelle Belästigung sowie die soziale, ökonomische und häusliche Gewalt. Während es bei der sozialen Gewalt um Isolierung und Kontrolle der sozialen Kontakte des Opfers geht, wird bei ökonomischer Gewalt Kontrolle ausgeübt, indem der Zugang zu finanziellen Mitteln kontrolliert, eingeschränkt oder unterbunden wird. Häusliche Gewalt kann jede der vorgenannten Formen oder eine Kombination aus mehreren beinhalten.
Wer nun das deutsche Rechtssystem kennt, dazu bedenkt, dass das Motto „Im Zweifel für den Angeklagten” gilt, und sich mögliche Strafmaße ansieht, wird verstehen, warum viele Betroffene berechtigterweise daran zweifeln, dass der Rechtsweg erfolgversprechend ist, um sie zu schützen. Hinzu kommt, dass das eigene Leiden über Monate, wenn nicht Jahre immer wieder ins Bewusstsein gerufen wird, weil alle Involvierten immer wieder jede wichtige Einzelheit abfragen: Polizei, Staatsanwaltschaft, Anwälte, Richter usw. Eine effektive Verarbeitung ist so kaum möglich. Psychotherapeuten haben Wartezeiten von bis zu zwei Jahren, professionelle Hilfe ist kaum problemlos in Anspruch zu nehmen und der Zeitraum von einer Anzeige bis hin zur rechtskräftigen Verurteilung derartig lang, dass eine solche gleichbedeutend ist mit jahrelanger Angst vor erneuten Übergriffen.
Lassen Sie mich Ihnen eine Geschichte aus meinem reichen Erfahrungsschatz erzählen:
Nachdem ich mit meiner damals vierjährigen Tochter vor meinem Exmann geflüchtet war, versteckte ich mich einige Tage in einer leerstehenden Wohnung, bevor ich vorübergehend zu meiner Mutter zog. Mein damals Noch-Ehemann kannte diese Adresse, sodass ich schnell eine eigene Wohnung suchte. Von Geburt aus ein unverbesserlicher Optimist, stellte ich Strafanzeige bei der Polizei gegen meinen Ehemann, der sich zwar im Ausland aufhielt, aufgrund unserer Eheschließung in Deutschland und seiner deutschen Tochter jedoch problemlos hätte einreisen können. Ich legte Fotos meines frisch verprügelten Gesichts vor, beschrieb die Stunden des Geschlagenwerdens, legte WhatsApp-Morddrohungen vor und stellte gleichzeitig noch Anzeige wegen Kindesentzug, weil mein damaliger Mann meine Tochter gegen meinen Willen zwei Wochen von mir weggebracht hatte, um mich unter Druck zu setzen. Ich erzählte fast zwei Stunden meine Geschichte und beantwortete Fragen. Der Polizei, der Anwältin, dem Staatsanwalt … Ich durchlebte alles immer wieder, weil jedes Detail zählte. Und dann lief ein monatelanges Verfahren, während dessen ich auf mich selbst gestellt war. Ich musste mich und mein Kind beschützen, ohne dabei auf irgendeine tatkräftige bzw. schlagkräftige Unterstützung hoffen zu können. Das Scheidungsverfahren inklusive Regelung des Sorgerechts wurde zwar schon im Eilverfahren durchgeboxt, trotzdem musste man meinen Mann informieren, der sich weigerte, Bescheide in Empfang zu nehmen, was alles unnötig verzögerte. Zwar wurde auf das Trennungsjahr verzichtet, trotzdem dauerte es mehr als ein Jahr, bis ich rechtskräftig geschieden war. Das Strafverfahren gegen ihn wurde eingestellt, weil er sich im Ausland aufhielt. An einer Einreise konnte man ihn nicht hindern, auch nach der Scheidung blieb die deutsche Tochter, die ein Visum gerechtfertigt hätte. Und als ich eines Tages zwei Männer bemerkte, die vor meinem Haus auf und ab liefen und sehr offensichtlich auf uns warteten, brachte mich ein Anruf bei der Polizei ebenfalls nicht weiter, denn alleine der Aufenthalt vor unserer Haustür war ja nicht strafbar. Mir wurde lediglich gesagt, dass ja noch nichts passiert sei und ich beruhigt sein solle, denn im Regelfall würde man, meine schnelle Reaktion vorausgesetzt, im Falle einer Entführung das Kind schnell finden können. Und das alles neben Anrufen meines Noch-Ehemanns bei meiner Familie, Freunden und mir mit dem Ziel, mich möglichst massiv unter Druck zu setzen. Wie es das deutsche Rechtssystem erfordert, muss zuerst eine Straftat passieren, damit etwas unternommen werden kann. Und glauben Sie mir: Manchmal war die Anspannung so groß, dass ich mir schon fast wünschte, es würde endlich etwas passieren.
Rechtlich gesehen gibt es für Frauen, deren Partner gewalttätig wird, kaum praktikable Lösungen. Sind Kinder involviert oder sind die Frauen finanziell von ihrem Partner abhängig, werden diese Lösungen immer schwieriger umzusetzen. Ob es sich nun um psychische oder physische Gewalt handelt, ist dabei einerlei. Das Wissen, dass es im äußersten Fall zu einer relativ kurzen Haftstrafe kommen kann, gepaart mit dem Wissen, dass man bis zu dieser Haftstrafte entweder schutzlos dasteht oder alternativ sein komplettes Leben aufgeben muss, um in ein Frauenhaus zu gehen, bringt viele Frauen dazu, lieber Gewalt zu ertragen.
Doch damit nicht genug. Die rechtliche Seite ist den meisten Frauen in den Momenten der Gewalt gar nicht so deutlich bewusst. Eine Frau, die von ihrem Partner geschlagen und misshandelt wird, wird in den meisten Fällen wissen, dass dieser nicht richtig handelt. Frauen, deren Partner sich im Laufe der Zeit eine Machtposition „erarbeitet”, indem er seine Forderungen und Drohungen immer weiter steigert, sind sich meistens gar nicht oder erst sehr spät bewusst, dass irgendetwas in ihrer Beziehung nicht so läuft, wie es laufen sollte.
Ich möchte Ihnen zur Verdeutlichung meine Geschichte zusammenfassen: Ich war immer für die Außenwelt eine starke und unabhängige Frau, die über ausreichend Selbstbewusstsein verfügte. Kaum jemand hätte geahnt, dass hinter einem Menschen, der eine Führungsposition im Berufsleben einnahm und auch keine Probleme hatte, vor 500 Leuten auf einer Bühne zu singen, ein Mensch steckte, der in Beziehungen unsicher war und sich selbst als wenig liebenswert empfand. Als ich im Alter von 30 meinen zukünftigen Ehemann kennenlernte, war ich glücklich, in einer Partnerschaft mit einem Mann zu sein, auf den ich mich verlassen konnte und bei dem ich nicht die Führung übernehmen musste. Es fühlte sich durchaus gut an, dass sich ein Mann um mich „kümmerte”. Ich war nur zu gerne bereit, gewissen Dinge an mir zu ändern, denn nach meiner Meinung waren Kompromisse unumgänglich, wollte ich eine gute Beziehung führen. Erregte ich sein Missfallen, fühlte ich mich unwohl. Ich wollte ihm gefallen. Und anfangs waren es nur kleine Dinge wie ein zu tief ausgeschnittenes T-Shirt, die einen Blick bewirkten, der seinen Unmut klar ausdrückte. Er erklärte mir das Warum, ich verbannte das T-Shirt in die Ecke meines Kleiderschranks. Mein Kopf wusste an irgendeinem Punkt genau, dass auch meine Meinung zählen sollte, aber mir war es immer wieder doch wichtiger, von ihm mit einem bewundernden und wohlwollenden Blick bedacht zu werden. Liebe verdiente man sich eben. Nach und nach wurden so die Einschränkungen durch ihn größer, bis ich wagte, mich zu widersetzen. Dann ging auch schon mal eine Tischplatte aus Glas oder ein Teller zu Bruch, weil er wütend wurde. Und immer wieder sagte ich mir: „Das ist es doch nicht wert. Gib nach, dann ist alles wieder okay. So wichtig ist dir das auch nicht!” Irgendwann waren es nicht mehr nur T-Shirts, sondern auch Menschen, mit denen ich mich umgab. Ich
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