Gisela Steineckert. Das Leben hat was - Gisela Steineckert - E-Book

Gisela Steineckert. Das Leben hat was E-Book

Gisela Steineckert

4,9

Beschreibung

Sie hat vielgelesene Bücher veröffentlicht, Drehbücher verfasst und Texte für große Hits geschrieben ("Als ich fortging ..."). Im Gespräch mit Irmtraud Gutschke gibt Gisela Steineckert Auskunft über ihre künstlerische Arbeit und über die Erfahrungen ihres Lebens. Dieses Buch macht Mut, lenkt den Blick auf die Kräfte, die Freiheiten, die der Mensch in sich hat. Mach dir bewusst: Du stehst auf weitem Raum. Erwarte nicht, dass andere dir dein Leben richten, aber geh auf andere zu. Ein Gespräch im Vertrauen: Leserinnen, Leser mögen sich darin einbezogen, in ihren Nöten und Sehnsüchten verstanden fühlen.

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Impressum

ISBN eBook 978-3-360-50037-3

ISBN Print 978-3-360-02157-1

© 2013 Verlag Das Neue Berlin, Berlin

© 2013 Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH

Umschlaggestaltung: Viktoria Ostermann

unter Verwendung eines Fotos von Camay Sungu

Das Neue Berlin Verlagsgesellschaft mbH

Neue Grünstraße 18, 10179 Berlin

Die Bücher des Verlags Das Neue Berlin

erscheinen in der Eulenspiegel Verlagsgruppe.

www.eulenspiegel-verlagsgruppe.de

Irmtraud Gutschke

Gisela Steineckert

Das Leben hat was

Das Neue Berlin

Wir beide haben in unserem Leben Beistand gebraucht.

Dank denen, die ihn uns gegeben haben.

Vorab

»Ich freu mich auf dich«, sagte sie, wenn wir uns verabredeten, und empfing mich mit einem Frühstück. Wenn ich nach mehreren Stunden Gespräch von ihr wegging, aus dem Hochhaus in der Leipziger Straße in Berlin, trugen mich meine Schritte leicht und die Gedanken schwirrten fröhlich im Kopf herum. Wieso eigentlich war ich gestern noch so müde gewesen? »Du stellst meine Füße auf weiten Raum«, zitierte Gisela Steineckert aus Psalm 31,9. Wieso nur vergessen wir oft, dass wir uns in einem weiten Raum befinden?

Ja doch, jeder ist irgendwie eingeengt. Verhältnisse – gesellschaftliche und persönliche – fordern ihren Tribut. Schon als Kind wurde uns klar gemacht, dass wir nicht alles erreichen können, was wir wollen. Früher oder später mag da Entmutigung um sich greifen. Müdigkeit, Resignation. Wie viele Niederlagen sind im Laufe eines Lebens hinzunehmen, wie viele Verluste zu verwinden. In solchen bedrückenden Momenten kommt manch einem der Gedanke, dass alles zu Ende sei.

»Atme, spür dich« heißt es in einem Gedicht von Gisela Steineckert, »du bist doch wer«. Wenn sie das vorträgt, schaut sie ins Publikum und beobachtet, wie die Leute reagieren, sich in diesem Moment erkannt fühlen in ihren Beschwernissen und Ängsten, ihren Gefühlen von Einsamkeit und Nicht-mehr-Weiterkönnen. Wenn sie auf dem Podium sitzt, sucht sie jeden Einzelnen mit ihrem Blick; wie jemand versonnen lächelt, wie jemand verstohlen eine Träne wegwischt, wie da welche zusammenrücken oder ein Stück voneinander weg. Und fühlt sich überhaupt nicht belästigt, wenn die Leute dann auf sie zukommen und ihr Herz ausschütten. Ganz im Gegenteil, sie genießt die Nähe.

Mit ihrer Kunst stellt Gisela Steineckert ganz bewusst eine zwischenmenschliche Beziehung her. Sie schreibt aus sich selbst heraus, aus ihrer Erfahrung, hat aber auch schon Wirkung im Sinn, die als Bestärkung vielleicht auch wieder zu ihr zurückkehrt. Keine Schriftstellerin, die nur für sich selber arbeiten könnte: Sie braucht die Leser, die Hörer so, wie diese ihr in Dankbarkeit begegnen.

Kaum zu glauben: Über tausend Lieder hat Gisela Steineckert geschrieben und Interpreten wie Uschi Brüning, Veronika Fischer, Dirk Michaelis, Angelika Neutschel, Kurt Nolze, Frank Schöbel, Jürgen Walter (für den allein sie etwa vierhundert Lieder schuf) so auf den Leib geschneidert, dass diese ihnen ganz zu eigen wurden und sie selber als Textdichterin schon manchmal vergessen wird. Hinzu kamen über vierzig Bücher – vor allem Erzähl- und Gedichtbände – sowie Hörspiele und Drehbücher für Filme. Eine überaus produktive, erfolgreiche Autorin, der es allerdings nicht um Ruhm zu tun ist. Stolz auf Erreichtes? Das scheint ihr geradezu fremd zu sein. »Ich gehöre nicht zu denen, die sich an fertige Arbeiten klammern«, sagte sie in einem unserer Gespräche. »Unsereins bleibt doch auch nicht beim Staubsaugen stehen und holt die Familie: Guckt mal, wie sauber der Teppich jetzt ist. Man schaut auf das, was noch zu tun ist.«

Leben ins Zukünftige – aber unser Gespräch war in großen Teilen auch Rückschau. Was mir in meinen vorigen Interviewbüchern mit Hermann Kant und Eva Strittmatter aus der Buchreihe von »neues deutschland« und dem Verlag Das Neue Berlin wichtig war, suchte ich auch hier: die Erfahrung aus Zeiten, die ich selbst nicht erlebt habe, und auch den Vergleich zum Eigenen. Diese untergegangene DDR wird zumindest diejenigen noch lange beschäftigen, für die sie zur Biografie gehört. Gerade weil es heute scheint, als ob die Geschichtsschreibung ein Fazit hätte, ist es umso wichtiger, die persönlichen Geschichten zu erzählen und anzuhören, der Verallgemeinerung die Differenzierung hinzuzufügen, will man sich mit schematischen Urteilen nicht zufriedengeben. Das detailgenaue Erinnern, wie man etwas empfunden, wie man reagiert hat, ist in Beziehung zu setzen zu heutiger Erkenntnis. Ein solcher Gesellschaftsumbruch, ein solcher Umsturz, bedarf doch der persönlichen Verarbeitung, um für Künftiges frei zu sein.

Frei sein: ein Grundgedanke in diesem Buch. Wie findet man zu der Erkenntnis, dass es für die eigene Entscheidung oft mehr Spielräume gibt, als man glaubt, dass man sich manchmal auch Einsichten erarbeiten muss, aber sich nicht von vornherein als geducktes Wesen begreifen sollte? Die Verhältnisse sind nicht so? Ja gewiss. Aber wann, meint Gisela Steineckert zu Recht, hat es je die passenden Verhältnisse gegeben? Die Verhältnisse zum Besseren verändern? Versuch’s erst mal im Kleinen, aber tu was. Red dich nicht heraus. Verkriech dich nicht schmollend in eine Ecke.

Sicher, sie ist ein sehr aktiver Mensch, sonst hätte sie die Schwierigkeiten – oder nenn’s Schrecknisse – ihrer Kindheit, von denen sie erzählt, nicht unbeschadet überstanden. Sie hat früh ihre Kräfte und Vorstellungen dagegen mobilisiert. Sie wollte so vieles lernen und hätte gern studiert. Sie wollte so vieles schaffen, hat erlebt, wie Wege sich öffneten und sich auch Schranken schlossen. Musst du eben Tausendfüßler sein, sagte sie sich. Überforderung – der Begriff taucht mehrmals im Gespräch auf – bei sich selber und anderen zu erkennen, dafür hat sie inzwischen feinere Antennen.

Ein Buch über die Erfahrungen eines inzwischen über achtzigjährigen Lebens: historische, menschliche, weibliche Erfahrungen, aus denen auch Lehren gezogen werden sollen. Da geht es um künstlerische Arbeit, um gesellschaftliches Engagement und immer wieder um Existenzielles, das, was Menschen zu allen Zeiten bewegt: Glückshoffnung, Enttäuschung, Kinder, Liebe, Älterwerden. Gedanken an den Tod. Über vieles, das merkte man, hatte Gisela Steineckert schon lange nachgedacht und hatte doch geradezu Lust darauf, etwas noch mal von anderen Seiten zu sehen. Ihre Antworten sind nie oberflächlich. Auszudrücken, was man wirklich meint – einfach mag das scheinen, aber wie oft bleiben wir in Gemeinplätzen hängen, gehen den Dingen nicht auf den Grund. So habe ich immer wieder freudige Überraschung empfunden, wenn ich ihr zuhörte. Im Einverständnis: Ich kann mich in ihren Aussagen wiederfinden.

Es ist also kein Streitgespräch und schon gar keine distanzierte »Befragung«. Das liegt mir womöglich auch nicht. In meinem Text – viele, viele Stunden Interview mussten in eine Form gebracht werden – habe ich versucht, die Vertrautheit der Atmosphäre zu erhalten. Mögen die Leserin, der Leser bei diesem Zwiegespräch per Du gleichsam Teilnehmende sein, sich in ihren unausgesprochenen Bedrückungen, Traurigkeiten, Sehnsüchten verstanden fühlen. Sich etwas bewusst machen, um damit souveräner umgehen zu können. Befreiende Lektüre – das wäre mein Wunsch. Im Sinne des Buchtitels »Das Leben hat was«.

Irmtraud Gutschke

I

Meine Art Anfang

Gewollt hab ich alles

gewusst so wenig

gefühlt zu viel

gedacht kaum je bis zu Ende

wenn ich unterlag, erhob ich mich

wie ein Boxer

Was für ein Ausblick, fast ist man im Himmel über Berlin.

Unsere eigentliche Wohnung hier in der Leipziger Straße ist sogar noch acht Etagen höher, im 25. Stock. Doch dies, im 17. Stock, ist mein Refugium – das erste meines Lebens. Seit anderthalb Jahren. In dieser Zeit ist das Buch »Immer Ich« entstanden. Auch viele Lieder für Sänger. Wenn ich eintrete, hole ich erst mal tief Luft. Selten, dass ich jemanden hier reinlasse.

Da muss ich mich geehrt fühlen.

Auf diesem Stuhl hat vor ein paar Tagen Frank Schöbel gesessen. Er wollte von mir etwas Neues, schwärmte, dass wir vor 30 Jahren doch so schöne Lieder gemacht haben. Während einer Autofahrt hatte er sie wieder mal auf CD gehört. Gut, machen wir wieder mal eins, habe ich gesagt.

In mein Refugium dürfen nur Menschen, die mir keine Unruhe zurücklassen.

Es gibt Leute, die schreiben am liebsten im Kaffeehaus, andere stört schon die Fliege an der Wand. Wie ist das bei dir?

Ich bin doch lange auch Hausfrau und Mutter gewesen. Es kommt darauf an, wann mir etwas einfällt. Wenn ich im Auto sitze – früher neben meinem Mann, jetzt neben Laura –, kommen mir mitunter Worte und Rhythmen in den Sinn. Da bin ich in mich versunken, aller Alltag ist fern, da fange ich an, mir ein Lied auszudenken. Mitten in der Nacht kann mein Kopf zu arbeiten beginnen. Oder beim Kochen singt es auf einmal in mir.

Arbeitest du manchmal bis in die Nacht?

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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