Glauben - Wie geht das? - Matthias Beck - E-Book

Glauben - Wie geht das? E-Book

Matthias Beck

4,6

Beschreibung

„Wozu noch Christentum?“ So fragen sich viele. Kann man das Christentum dem modernen Menschen des dritten Jahrtausends überhaupt noch zumuten? Steht der christliche Glaube im Widerspruch zur Vernunft? Sind die säkulare Ethik oder die esoterische Spiritualität ein zeitgemäßer Ersatz für das Christentum? Der Autor greift diese Themen auf und zeigt ein Christentum, das Antworten auf die drängenden Fragen des heutigen Menschen gibt. Wer bin ich? Wie finde ich mein Glück? Wie bekomme ich den richtigen Beruf? Wie finde ich den richtigen Lebenspartner? Warum gibt es so viel Leid in der Welt? Hat meine Krankheit einen Sinn? Der Kern der christlichen Botschaft wird neu herausgearbeitet, die Botschaft von der Größe und Einmaligkeit des Menschen wird überzeugend dargelegt. Es wird gezeigt, dass Christentum Befreiung, Lebensentfaltung und Leben in Fülle ist. Und damit genau das, was sich jeder Mensch wünscht.

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Matthias Beck

Glauben

~

Wie geht das?

Wege zur Fülle des Lebens

ISBN 9783990401989

© 2013 by Styria premium

in der Verlagsgruppe Styria GmbH & Co KG

Wien · Graz · Klagenfurt

Alle Rechte vorbehalten

Bücher aus der Verlagsgruppe Styria

gibt es in jeder Buchhandlung und im

Online-Shop

UMSCHLAGGESTALTUNG:

Bruno Wegscheider

COVERFOTO: commons.wikimedia.org

1. DIGITALE AUFLAGE: Zeilenwert GmbH 2013

Inhalt

Cover

Titel

Impressum

Vorwort

Hinführung

TEIL A: DER HINWEG ZUM CHRISTENTUM

I. Die Perspektive des Menschen

2. Die Fragen des Menschen

3. Der Mensch und seine Alltagserfahrungen

4. Die Sehnsucht nach Liebe

5. Die Suche nach dem Absoluten

6. Das Absolute – Was ist das?

7. Der Mensch auf der Suche nach dem Unerklärlichen

8. Annäherungen an plausible Gottesvorstellungen

9. „Falsche“ und „richtige“ Gottesvorstellungen

10. Das Absolute als Person

11. Der Gott des Alten Testamentes

TEIL B: DAS CHRISTENTUM

1. Das Neue Testament, ein erster Zugang

2. Das dreifaltige Gottesbild – Die Grundstruktur der Welt ist Beziehung

3. Die drei göttlichen Personen in der Welt

4. Der göttliche Sohn – Das menschliche Gegenüber

5. Die Zwei-Naturen-Lehre Jesu – Zwei Seelen wohnen ach in meiner Brust

6. Das zentrale Geschehen – Die Auferstehung

7. Maria – Die irdische Gottesmutter

8. Glauben – Was ist das?

9. Ist Gott wirklich Mensch geworden? – Die Schriften des Neuen Testamentes

10. Der Heilige Geist – Sein unsichtbares Wirken

11. Unterscheidung der Geister – Zentrale Herausforderung für die Gegenwart

12. Das „Sprechen“ Gottes und die Berufung des Menschen

TEIL C: DIE SAKRAMENTE – HEILIGE UND HEILENDE ZEICHEN

1. Das Wirken des Heiligen Geistes in den Sakramenten

2. Taufe – Befreiung aus der Schattenwelt des Todes

3. Eucharistie 75 – Nahrung des Geistes

3.1. Die Eucharistie als Mahlfeier

3.2. Die Opferfeier

4. Firmung – Erkenntnis und Integration statt Desintegration

5. Beichte – Heilung durch Erkenntnis und Lossprechung

5.1. Was ist Sünde?

5.2. Was ist Schuld?

5.3. Was sind Wurzelsünden?

5.4. Wie sollte eine Beichte aussehen?

6. Krankensalbung

7. Ehe – Polarität und Transzendenz

8. Priesterweihe – Ein Tor zum Göttlichen

TEIL D: WAS IST CHRISTENTUM? – DIE AUSWIRKUNGEN DES DREIFALTIGEN GOTTESBILDES

1. Was bedeutet Erlösung?

2. Leid, Kreuz und Auferstehung

3. Freiheit

4. Christentum und Politik

5. Christentum und Naturwissenschaften

5.1. Heliozentrisches und geozentrisches Weltbild – Evolution und Schöpfung

5.2. Geist und Materie – Seele und Leib

5.3. Wissenschaftstheoretisches

5.4. Natur als System von Wechselwirkung und Selbststeuerung

5.5. Erkenntnisse der Naturwissenschaften und Gottesbilder

6. Christentum und Medizin

6.1. Allgemeine Bemerkungen

6.2. Genetik, Epigenetik und der Geistcharakter des Menschen

7. Christentum und Psychologie – Reifungsphasen und Spiritualität

7.1. Kindheit und Pubertät

7.2. Lebensmitte – Wer bin ich?

7.3. Alter – Was kann ich noch tun?

8. Christentum und Wirtschaft

9. Christentum und Kunst, Kultur, Bildung

10. Praktische Anleitungen

10.1. Gebet und Meditation

10.2. Das Vaterunser

11. Zusammenfassung – Was ist Christentum oder: Warum soll jemand Christ werden?

Anmerkungen

Literaturverzeichnis

1. Vorwort

Das Buch ist entstanden aus vielen Anfragen: Was ist das Christentum überhaupt? Wozu braucht man es? Was sind die Grundaussagen des Christentums? Wie lassen sich diese mit der naturwissenschaftlich geprägten Welt vereinbaren? Kann man sie in eine moderne Sprache übersetzen? Ist das Christentum tauglich für den Alltag? Kann man mit ihm sein Leben meistern? Ist das Christentum überhaupt noch sinnvoll oder längst überholt? So gibt es viele Fragen von Menschen, die wirklich auf der Suche sind. Auch wollen manche Christen Argumente bekommen, um sich gegen Angriffe verteidigen zu können. Dann gibt es andere, die sich über das Christentum informieren wollen.

Schließlich gibt es ein Eigeninteresse des Autors an diesem Buch, nämlich den Versuch zu unternehmen, das Christentum in seinen fundamentalen Aussagen so darzustellen, dass es verständlich ist und von den Verstellungen der Geschichte gereinigt wird. Die Glut unter dieser Asche soll wieder zum Brennen gebracht werden. Vieles ist im Laufe der Geschichte zubetoniert, entstellt und manches nahezu vollständig ruiniert worden. Die zentralen Aussagen des Christentums aber sind sehr tief. Sie müssten eigentlich jeden Menschen erreichen können.

Das Buch will ausdrücklich kein wissenschaftlich theologisches oder dogmatisches Buch sein. Davon gibt es genügend. Es will den Menschen mit seinen Alltagsfragen in den Mittelpunkt stellen. Um das in seiner ganzen Tiefe tun zu können, werden immer wieder theologische Aussagen auf den Alltag hin zugespitzt. Es geht also nicht darum, eine dogmatisch ausgefeilte Darlegung des Christentums zu liefern, sondern darum, den Versuch zu unternehmen, Grundaussagen des Christentums in den Alltag zu übersetzen.1 Dadurch kommt es zu einer Durchmischung von dogmatischen Grundaussagen und Alltagsrelevanz. Manche Aussage entspricht daher womöglich nicht vollständig dem letzten dogmatischen „Schliff“. Aber vielleicht wird sie so besser vom „normalen Menschen“ verstanden, der keine theologische Vor­bildung mitbringt. Das ist das Anliegen des Buches: verständlich darzustellen, was Christentum ist, und ein bisschen Appetit darauf zu machen – auch für den Agnostiker und Atheisten.

Wien, im August 2013

2. Hinführung

Dient der christliche Glaube dem Menschen im Alltagsleben? Hilft er zu seiner Lebensentfaltung oder verhindert er sie? Ist er ein Relikt aus der Geschichte oder ist er hochaktuell? Ist er veraltet und muss durch Neues ersetzt werden? Geht es ohne ihn vielleicht besser im Leben? Anders gefragt: Ist das Christentum längst überholt und veraltet? Geht es im Christentum nicht vor allem um Verbote? Oder ist es eine Befreiung zum wahren Leben? Ist die Frage nach Gott sinnlos geworden oder beschäftigt sie den Menschen nach wie vor? Ist nicht vollständige Gleichgültigkeit der Gottesfrage gegenüber eingekehrt? Ist die Frage nach Gott nicht mehr relevant, weil vieles naturwissenschaftlich erklärbar ist?

Muss die Frage nach Gott heute ganz anders gestellt werden als in der Vergangenheit? Sollte sich unser Gottesbild ändern? Muss man sich von Zerrbildern Gottes verabschieden, um zum wahren Gott durchzustoßen? Oder ist Gott verschwunden und hat sich verlaufen, wie Friedrich Nietzsche meinte? Vielleicht ist der von Nietzsche in einem verzweifelten Aufschrei proklamierte Tod Gottes2 nicht dessen Tod, sondern nur der Tod von falschen Gottesbildern? Gibt es „richtige“ und „falsche“ Gottesbilder, gibt es den „wahren“ Gott?

Die Frage nach Gott interessiert mich nicht, sagen manche Menschen. Sie brauchen die Hypothese „Gott“ nicht. Sie wollen normal sein. Vielleicht haben sie Recht, vielleicht ist ihre Intuition richtig. Vielleicht lebt es sich ohne Gott besser und freier? Gott zu brauchen, steht immer in der Gefahr, ihn zu gebrauchen, ihn in eigene Bilder zu pressen, ihn zu benutzen und zu instrumentalisieren, um mit den eigenen Defiziten und Ängsten zurechtzukommen. Man verwendet ihn dann als Lebenshelfer, als Lückenbüßer für Unerkanntes und Projektionsfläche für Unerfülltes. Vielleicht macht man ihn auch verantwortlich für all das Leid, das in der Welt existiert, das er vermeintlich in der Welt zulässt und nicht unterbindet.

Gott zu brauchen, kann andersherum heißen, sich seine eigenen Schwächen, Ängste, Sorgen und Unvollkommenheiten einzugestehen und diese mit Gott zu teilen. Es kann Ausdruck von Reife sein, sich seiner Endlichkeit und Unvollkommenheit bewusst zu sein. Dann würde man Gott nicht brauchen im Sinne des Gebrauchens, Nutzens und Benutzens, sondern der Einzelne würde eine reife Beziehung zu ihm eingehen, nahezu auf Augenhöhe. So wie ein Freund zum Freund eine Beziehung hat. Zu einem Menschen zu sagen: „Ich brauche dich, ich kann ohne dich nicht leben“, kann Ausdruck tiefster Liebe sein. Ohne den anderen fehlt ein wesentlicher Teil meines Lebens. Derselbe Satz „Ich brauche dich“ kann Ausdruck tiefster Liebe, aber auch falscher Abhängigkeit und Symbiose sein. Die Abhängigkeit von Menschen macht auf Dauer unfrei, die Abhängigkeit von Gott macht frei. Das wird zu zeigen sein.

Den Menschen, die sagen, Gott interessiert mich nicht, müsste man sagen: Womöglich geht es im Christentum primär gar nicht um Gott, sondern um den Menschen. Womöglich ist der christliche Gott in diese Welt gekommen, um dem Menschen zu dienen3 und ihm zu seinem Heil zu verhelfen.4 Oder soll der Mensch Gott dienen? Aber wozu sollte er ihm dienen? Braucht Gott den Dienst des Menschen? Braucht er den Gottesdienst am Sonntag, geht es ihm dann besser? Oder ist es umgekehrt: Der Mensch braucht den Gottesdienst, den Dienst Gottes an ihm? Gott will dem Menschen dienen! Er wäscht ihm die Füße. Ist das nicht eine eigenartige Vorstellung, dass Gott der Diener des Menschen sein will und nicht sein Beherrscher? Er ist doch der Herr. Aber sein Herrsein besteht im Dienen. Und zu diesem Dienst braucht er wiederum Menschen (Arbeiter im Weinberg), die ihm bei seinem Dienst am Menschen helfen. So ist es wohl eine Wechselwirkung: Gottesdienst ist Gottes Dienst am Menschen, aber Gottesdienst ist ebenso Dienst des Menschen an und für Gott im Dienst am Menschen.

Klingt das zu kindlich oder geht es dem christlichen Gott wirklich um das Leben jedes einzelnen Menschen, um dessen Lebensentfaltung und um dessen Leben, das zur Fülle kommen soll? Vielleicht ist der „wahre Gott“ ein Gott, der ganz im Dienst in dieser Welt aufgeht, der sich an die Welt verschwendet, sich darin verliert und geradezu in ihr verschwindet. Er ist kaum wahrnehmbar, um in aller Stille dem Menschen zu helfen, dass sein Leben gelingt. Womöglich ist Gott deshalb Mensch geworden.

Wenn dem so ist, warum öffnet der Mensch sich dann nicht für diesen Gott? Warum findet er ihn nicht? Sucht er ihn nicht, hat er Angst vor ihm oder traut er ihm nichts zu? Er müsste sich ihm öffnen, da Gott sonst keinen Zugang zum Menschen findet. Gott respektiert die Freiheit des Menschen, sich zu verschließen und „Nein“ zu sagen. Er scheint auch hinzunehmen, dass mancher gleichgültig an ihm vorüberschlendert. Wer sich ihm aber öffnet, dem öffnet auch er sich, der bekommt alles.

Gott wirkt offensichtlich still und indirekt in dieser Welt, durch Menschen, durch Ereignisse, durch Freude und Leid. Er kommt in dieser Welt nicht so vor wie ein Gegenstand, wie ein Baum, wie ein Mensch. Er ist implizit in den Dingen und nicht explizit daneben. Und dennoch hat er sich einmal in der Geschichte explizit gezeigt und sich ausgedrückt in einem Menschen. Er ist Mensch geworden. Das ist der christliche Glaube.

Der Mensch will frei sein. Was aber ist wahre Freiheit? Ist Freiheit nicht Beliebigkeit? Oder geht es darum, frei zu werden von falschen Abhängigkeiten? Frei zu werden von äußeren Unterdrückungen und frei zu werden von inneren Blockaden, die verhindern, dass der Mensch zu sich selbst kommt, sein eigenes Wesen vollzieht und seine Identität findet? Ist wahre Freiheit nicht jene, die den Menschen zu sich selbst hin befreit, dazu hin, sein tiefstes Wesen zu vollziehen? Womöglich kann man dieses Wesen erst vollziehen, wenn man in jemand anderem seinen Halt findet, der das eigene Leben übersteigt. Erst wer das Absolute in sich entdeckt, mit diesem Absoluten eins wird, kann auch mit sich selbst stimmig und eins werden. Dann kann er auch den anderen lieben.

Wenn das so ist, dann sind Leben und Freiheit nicht mehr beliebig, sondern im Gegenteil sehr verbindlich, da der innerste Kern eines Menschen nicht beliebig austauschbar ist. Es ist eben genau jener einzigartige Mensch in seiner Einmaligkeit, der gerade nicht der andere ist. Søren Kierkegaard hat es so formuliert, dass die größte Verzweiflung des Menschen darin besteht, nicht man selbst sein zu wollen, sondern ein anderer: „Diese Form von Verzweiflung ist: verzweifelt nicht man selbst sein wollen, oder noch niedriger: verzweifelt nicht ein Selbst sein wollen, oder am allerniedrigsten: verzweifelt ein anderer sein wollen als man selbst, ein neues Selbst sich wünschen.“5

Von hier aus gesehen hat Freiheit etwas zu tun mit Verantwortung für sich selbst, für das Gelingen des eigenen Lebens, mit innerer Anbindung und Verbindlichkeit, dann auch mit der Verantwortung für den anderen. Verantwortung zum Selbstsein, das klingt egoistisch. Aber ein gutes Selbstverhältnis scheint Voraussetzung dafür zu sein, auch ein gutes Verhältnis zum anderen zu haben. Wie kommt man dahin? Kann man das alleine schaffen oder muss man zu sich selbst hin befreit werden? Muss man erlöst werden von Hindernissen, die einen vom eigenen inneren Wesenskern trennen und vom wahren Lebensstrom abschneiden, von Blockaden, die einen daran hindern, zum eigenen Leben vorzustoßen? Hat der Mensch nicht Sehnsucht danach, seine eigene Größe und Einmaligkeit zu entdecken, seine Talente zu nutzen und neue hinzuzugewinnen?

Womöglich ist das, was die Psychotherapie versucht, nämlich Menschen zu helfen, ihre Verstellungen und Blockaden zu lösen, um zur eigenen Lebensentfaltung zu kommen, ein Teil dessen, was auch das Christentum will. Vielleicht gehören Psychotherapie und Spiritualität zusammen. Dann müsste eine gute Psychotherapie offen sein für die spirituelle und religiöse Dimension des Menschen. Umgekehrt könnte eine gute spirituelle Begleitung des Menschen manche Erkenntnis aus der Psychologie integrieren. Umgekehrt: Wenn Psychotherapie nicht offen ist für die religiöse Dimension des Menschen und das Religiöse selbst als pathologisch und krankmachend bezeichnet wird (es gibt durchaus krankmachende Religiosität), steht sie in der Gefahr, Teilerkenntnisse der Psychologie zur Erkenntnis des ganzen Menschen zu machen und zu Fehlschlüssen zu kommen. Dann werden seelische Phänomene nicht in ihrer ganzen Tiefe erfasst und es kommt zu Fehlinterpretationen. Wenn auf der anderen Seite eine religiöse Erziehung meint, ohne ein Grundwissen an Psychologie auszukommen, läuft auch sie Gefahr, in die Irre zu gehen.

Jede einzelne Wissenschaft kann in ihrer Autonomie ihren begrenzten Bereich erforschen, ihre Erkenntnisse bleiben aber immer relativ und endlich. Wenn das Relative zum Absoluten erklärt wird und zum einzigen Zugang zur Welt, wird seine Interpretation den Phänomenen des Menschen nicht gerecht. Teilgebiete erfassen nie das Ganze, sondern je nach methodischem Zugang nur Ausschnitte aus der Wirklichkeit. Sie können im Rahmen ihrer Einzelwissenschaften wie Naturwissenschaften, Psychologie, Medizin die Welt mit ihren Methoden erforschen, aber sie sollten offen sein für die Begrenztheit ihrer Erkenntnisse, und wissen, dass die Welt und der Mensch größer sind, als das, was mit einem wissenschaftlichen Zugang zu erforschen ist.

Erst in der Zusammenschau der Wissenschaften, vor allem zusammen mit Philosophie und Theologie, die integrative Wissenschaften sind, kommt das Ganze in den Blick. Das Ganze ragt aber über das irdische Leben hinaus. Daher bleibt auch ein „ganzheitlicher“ Zugang zum Menschen, der rein innerweltlich ist, im Letzten rudimentär. Das Ganze ragt in die Unendlichkeit und das Absolute hinein, die Welt aber ist endlich und alles Erkennen Stückwerk. (1 Kor 13, 9) So kann auch der rein wissenschaftliche Zugang zum Menschen diesen nicht ganz erfassen. Das Innenleben des Einzelnen bleibt letztlich nur ihm zugänglich und auch hier bleibt vieles rätselhaft. Vieles bleibt im Unbewussten verborgen.

Trotz dieser Endlichkeit der Erkenntnis wollen der christliche Glaube und die ihn reflektierende Theologie das Ganze des Lebens in den Blick nehmen und zur tieferen Erkenntnis führen. Der Mensch soll die tieferen Dimensionen des Lebens und der Welt erkennen können. Schon in vorchristlicher Zeit hat Aristoteles in seiner Metaphysik gesagt, dass der Mensch von Natur aus nach Erkenntnis strebe. Der Mensch ist neugierig und will wissen, wer er ist, wie die Welt funktioniert und warum vieles so mühsam ist. Der Mensch ist das Wesen der Frage. (Rahner) Christlicher Glaube geht davon aus, dass ein richtig verstandener Glaube zur tieferen Erkenntnis der Welt führt: zur Erkenntnis der eigenen Person, der Person des anderen und der Welt. „Ich glaube, damit ich einsehe“ (credo ut intelligam) ist ein Wort von Anselm von Canterbury aus dem 12. Jahrhundert. Glaube ist eine tiefere Weise des Wissens (nicht eines Geheimwissens!) und des Erkennens.

Das vorliegende Buch versucht zu zeigen, dass der christliche Glaube zu dieser tieferen Erkenntnis des Lebens führen kann. Da der Glaube nach Einsicht strebt, sucht der christliche Glaube nach intellektueller Auseinandersetzung. Der Glaube sucht den Intellekt (fides quaerens intellectum), heißt es ebenfalls bei Anselm von Canterbury. Das Wort „Intel-lekt“ kommt von intus legere, und das heißt so viel wie: zwischen den Zeilen lesen oder in den Dingen lesen, hinter die Welt des Scheines blicken. Aus christlicher Sicht sollte das Denken und Fühlen nicht auf der oberflächlichen Ebene des Scheines oder der wissenschaftlichen Erfassung der Welt stehen bleiben. So wichtig dies ist, diese Sicht erfasst nicht die ganze Dimension des Lebens. Christlicher Glaube eröffnet den Blick über die endliche Welt hinaus. Das Christentum erschließt dem Menschen einen großen Horizont: den Blick in sein Inneres, auf den anderen Menschen und die Welt sowie weit darüber hinaus in das, was man Ewigkeit, Himmel oder Sein bei Gott nennt.

Zum Erfassen des Ganzen gehört auch die Komplexität der eigenen Lebenserfahrung: Glück und Unglück, Freude und Leid, Aufbau und Zerstörung sowie die vielen unbewussten Anteile im Menschen, die der Einzelne nur schwer erkennen kann. Daher ist das Christentum keine einfache Lehre vom gelingenden Leben oder eine Philosophie der Glückserfahrungen, sondern es verweist nüchtern auf die Realität des Alltags mit Krankheit und Leid, Endlichkeit und Tod sowie auf die Gefahr, das Leben gänzlich zu verfehlen. Der Begriff „Glück“ taucht in den Schriften des Neuen Testamentes6 kaum auf (außer im Kontext der (Glück-)Seligpreisungen der Bergpredigt). Das Neue Testament spricht von der Fülle des Lebens. Das heißt, das Leben soll voll, ausgefüllt und erfüllt werden, und das geht durch alle Lebenserfahrungen, positive wie negative, hindurch. Der Mensch soll sein Leben zur Fülle bringen, und dies kann er offensichtlich nicht allein aus sich selbst heraus. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“ (Joh 10, 10)

So stehen die Befreiung und die Größe des Menschen im Mittelpunkt der christlichen Lehre, aber es wird auch auf die Gefahren der Unfreiheit, des Scheiterns und der Abgründe hingewiesen. Von dieser Lehre der Größe und der Freiheit des Menschen scheint vieles verschüttet zu sein. Viele Menschen assoziieren mit dem Christentum eher die Lehre von der Unfreiheit und der Sünde, von Verboten und Einengungen. Von dieser Art der einengenden Religion befreien sich die Menschen und wenden sich vom Christentum und der Frage nach Gott ab. Sie brauchen die Hypothese „Gott“ nicht, denn ohne Gott und ohne Kirche geht es ihnen viel besser in ihrem Leben.

Der aufgeklärte Mensch ist säkular eingestellt, er braucht die Suche nach Gott nicht. Diese Suche ist seiner Meinung nach nur für die Schwachen und Hilflosen, die mit dem Leben nicht zurechtkommen. So beginnen viele Menschen ohne religiöse Anbindung zu leben. Sie entfernen sich nicht nur von der Institution Kirche, sondern vom Christentum insgesamt. Sie suchen ihr Heil ganz ohne Religion, oder sie wenden sich anderen Religionen zu. Auf der anderen Seite sind aber spirituelle Gruppen und Esoterik gefragt. Der Markt der Spiritualitäten ist groß. So droht in Europa das Christentum eher an den Rand zu geraten. Der Mensch erwartet von ihm nichts mehr. Mancher schämt sich sogar dafür, ein Christ oder ein Katholik zu sein. Christentum scheint mit der nüchternen naturwissenschaftlichen Welt nicht vereinbar zu sein. Es ist in den Augen vieler ganz irrational und wird belächelt, da doch die Welt intelligent und rational ist und man längst über religiöse Fragen hinausgewachsen ist.

An dieser Stelle soll zurückgefragt werden: Kennen die Menschen eigentlich das Christentum, das sie ablehnen? Gibt es nicht ein großes Nichtwissen? Dieses Nichtwissen hat der Einzelne nicht immer selbst zu verantworten. Das Christentum ist vielerorts schlecht vermittelt worden. In vielen Fällen hat es durch schlechte Vermittlung zum „Atheismus“ geführt. Atheismus kommt aus dem Christentum selbst, so hat es das Zweite Vatikanische Konzil gesagt. (GS 19)7 Auf der Rückseite dieses Nichtwissens zeigt sich aber die Suche vieler Menschen nach der tieferen Dimension ihres Lebens. Die existenziellen Fragen nach gelingenden Beziehungen, nach Liebe, Glück, Leid und Tod drängen sich auf. Sie sind da, und so gibt es doch eine Sehnsucht nach Antworten und nach Spiritualität.

Viele suchen im Internet nach Lebens-Angeboten und „basteln“ sich selbst ihre Lebensphilosophie zusammen. Sie haben Zugang zu nahezu allen Informationen. Allerdings kann das Internet mit seiner Flut an Informationen den Menschen innerlich nicht erfüllen, es kann ihn auch verwirren. Und so bleibt die Frage, wo der Einzelne Orientierung findet, all das Vielerlei zu ordnen. Wo sind die Menschen, die helfen, die Vielfalt der Informationen zusammenzudenken? Mancher verliert in diesem Überangebot die Orientierung. Hinzu kommt das ständige Vernetzt-Sein durch die Handy-Kultur. Das muss nicht schlecht sein, birgt aber die Gefahr des ständigen oberflächlichen Kommunizierens, der dauernden Verfügbarkeit, des schnellen Änderns von Plänen mit einem Verlust an Verbindlichkeiten. In all dem Vielerlei sucht der Mensch Halt und Orientierung. Der Ruf nach Ethik und Spiritualität ist Ausdruck einer solchen Suche.

Das vorliegende Buch möchte Antworten auf die sich stellenden Fragen geben. Die verlorengegangene, verschüttete oder erst neu zu entdeckende Botschaft vom Christentum mit seiner Lehre vom gelingenden Leben soll ans Licht gehoben werden. Denn Christentum ist die Lehre von der Erfüllung des Lebens, von der Größe des Menschen in seiner Ausrichtung auf einen letzten Grund, den alle Menschen Gott nennen. (Thomas von Aquin) Es ist Antwort auf die tiefste Sehnsucht des Menschen nach Angenommensein und Geliebtsein. Es gibt Orientierung und Halt auf dem Weg durch die Zeit. Es verhilft zu einem erfüllten Leben. Es gibt Antworten auf die Frage nach dem Sinn des Lebens. Das Buch möchte zeigen, dass Christentum nicht etwas Zusätzliches zum Leben ist, sondern entdecken hilft, was sich aus dem Leben heraus von selbst zeigen will. Es will das ans Licht heben, was von sich aus sowieso schon „da“ ist. Es zeigt das Natürlichste, Selbstverständlichste und Normalste des menschlichen Lebens auf. Christentum ist ganz normal und ganz menschlich, es ist keine Sonderwelt. Es zeigt, wie das Leben geht,8 es ist insofern eine Lebens­philosophie. Es will dem Menschen zunächst sagen: Sei „normal“ und menschlich.

Allerdings: Aus christlicher Sicht wird das Menschliche erst dann menschlich, wenn es sich selbst übersteigt. Der Mensch übersteigt den Menschen um ein Unendliches. (Pascal) Daher darf der Mensch nicht auf der rein menschlichen Ebene stehen bleiben. Zu sagen: das ist doch ganz menschlich, könnte zu wenig sein. Um wirklich menschlich zu werden, muss der Mensch mehr werden, als er ist, er soll – so komisch das klingt – vergöttlicht werden. Er soll sich je neu überschreiten auf das Göttliche hin, um ganz Mensch zu werden. Natürlich ist er schon „ganz“ Mensch durch seine Zugehörigkeit zur Spezies Mensch. Und so kommt ihm Menschenwürde zu, unabhängig von Alter, Rasse, Geschlecht und genetischer Ausstattung. Aber im Lebensvollzug muss er dieses Menschsein immer wieder neu einholen. Er muss sich je neu überschreiten auf die je neue Lebenssituation und den Nächsten hin, und schließlich auf den letzten Grund allen Seins. Erst von dort her wird er ganz Mensch und kann ausloten, was sein konkretes Menschsein bedeuten könnte. „Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch Euer himmlischer Vater ist.“ (Mt 5, 48)

Das vorliegende Buch will versuchen, all diese Inhalte in einfacher Sprache darzustellen. Es will weder eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem christlichen Glauben und seinen Dogmen leisten, noch eine theologische Grundsatzdiskussion führen. Es will den christlichen Glauben für den Alltag transparent machen. Daher ist das Buch auch für Atheisten und Agnostiker geeignet, die sich einfach informieren wollen. Dabei muss hier und da etwas vorausgesetzt werden, was erst später erläutert werden kann. Mit etwas Geduld wird der Leser seine Fragen beantwortet bekommen.

Teil A~ Der Hinweg zum Christentum

I. Die Perspektive des Menschen

Der Mensch kommt ganz nackt zur Welt. Er ist nicht gefragt worden, ob er leben will. Niemand ist gefragt worden. Er muss dieses Leben leben, ob er will oder nicht. Er kann sich das Leben auch nehmen. Mancher tut dies, weil er mit ihm nicht zurechtkommt. Die meisten Menschen nehmen das Leben aber an. Zunächst hat der Mensch keine Wahl. Er wird ins Leben hingeworfen, er ist der Geworfene, wie Heidegger sagt. Der junge Mensch ist hilflos und auf andere Menschen angewiesen. Er kommt viel zu früh auf die Welt. Er ist eine physiologische Frühgeburt9. Das heißt, er müsste aufgrund seiner Komplexität etwa zwei Jahre im Mutterbauch heranreifen, um einigermaßen „fertig“ für die Geburt zu sein.

Aber er kommt bereits nach neun Monaten auf die Welt. Daher ist er ganz unreif. Die Mutter und die Eltern müssen ihm helfen, zu überleben und ins Leben zu finden. Zum Überleben und zum Leben genügt es auf Dauer nicht, ihm nur zu essen zu geben. Jemand muss mit dem Kind sprechen und es anschauen. Ein Kind, das zwar ernährt wird, aber mit dem niemand spricht und das von niemandem berührt wird, stirbt. Der Mensch braucht Zuwendung, Gespräch, Kontakt, Liebe. Im Laufe seines Lebens sollte der Einzelne vom rein physischen Überleben zu einem eigenen Leben kommen und letztlich zu einem Leben in Fülle. Dieser Weg vom Überleben zum wirklichen Leben ist ein langer Reifungsprozess.

Der Mensch kommt zunächst vom Du der Eltern her zum Ich. Die Eltern haben ihn gezeugt. Das Kind kommt vom anderen Menschen her zum Leben, es wird ernährt und lernt vom anderen. Es wird angesprochen und ant-wortet. Es spricht selbst zunächst nicht und später aus der Perspektive des Du: „Paul Auto putt macht.“ Erst dann kommt das Kind langsam vom Du zum Ich, vom Du-sagen zum Ich-sagen. Es wird angesprochen und angeblickt. Es ant-wortet und blickt zurück. Es ist ein Gegen-worter und ein Gegen-blicker. Es bekommt mehr und mehr Ver-ant-wort-ung und hat ein Ant-litz („litz“ heißt blicken, also gegen-blicken). Auch die Mutter hat ein Antlitz, ein Gesicht. Mutter und Kind blicken einander an. Ein Dialog beginnt: von Ant-litz zu Antlitz, von Angesicht zu Angesicht, von Wort zu Gegen-Wort (Ant-Wort). Mit diesem Dialog wird das Kind schrittweise in das Phänomen der Beziehung eingeführt, es wird zu einem sozialen Wesen herangebildet und sozialisiert. Es kann nur in der Gruppe überleben, allein ist es verloren.

Das Kind reift heran, lernt laufen und sprechen, es lernt, sich in die Gemeinschaft einzufügen. Bei den ersten Versuchen, das Laufen zu lernen, ist es noch unsicher. Es fällt hin und steht wieder auf. Der Schmerz des Hinfallens lässt es aufmerksamer werden. Es will den Schmerz vermeiden und lernt so durch Übung und mehr Aufmerksamkeit das Laufen. Später lernt es Lesen und Schreiben, auch das oft durch Versuch und Irrtum. In all diesen Lernprozessen muss es sich mit dem Leben, mit sich selbst, den Eltern und mit anderen Kindern auseinandersetzen. Es stellt viele Fragen und wird immer wieder in Frage gestellt. Wenn es gut geht, bekommt es vernünftige Antworten und eine gute Atmosphäre, in der auch seine religiösen Fragen Platz haben. Oft aber bekommen Kinder keine Antworten und ihr Fragen endet. Sie hören einfach auf zu fragen. Wenn keine Antworten von den Eltern kommen, kommen sie entweder von anderen Menschen oder aus dem Internet. So versucht der junge Mensch, sich in der Welt zurechtzufinden. Er baut sich langsam „seine eigene Welt“.

Die Welt scheint in der virtuellen Welt des Internet grenzenlos zu sein. Im konkret vollzogenen Leben treten aber immer wieder Grenzen auf. Der Mensch erfährt sie schmerzlich. Er bekommt die Endlichkeit und Unvollkommenheit immer wieder zu spüren. Neben Glück und Freude erfährt er Krankheit, Leid, Mühsal, Scheitern, Tod. Angesicht dieser Erfahrungen stellt der junge Mensch oft schon früh die großen Warum-Fragen: Warum gibt es dieses Leid, warum Krankheit, warum Tod, warum überhaupt etwas und nicht vielmehr Nichts. (Leibniz) Warum gibt es mich, und was ist der Sinn meines Lebens?10 Wenn der junge Mensch Glück hat, können ihm seine Eltern darauf einige Antworten geben oder kluge Rückfragen stellen. Oft aber gehen die Fragen ins Leere. Manchem wird das Fragen auch abgewöhnt.

In der Pubertät kommen andere Fragen hinzu. Während kleinere Kinder noch nach Antworten für das ganze Leben suchen und die großen „Warum-Fragen“ stellen, geht es jetzt um ganz alltägliche Dinge: Wann bekomme ich ein Handy, wie komme ich durch die Schule, wie ist das mit der ersten Liebe und wann kann ich den Führerschein machen? Später kommen andere Fragen hinzu: Wie finde ich den richtigen Beruf und den richtigen Lebenspartner? Der Mensch als Wesen der Frage ist ständig vom Leben herausgefordert und infrage gestellt. Er kann nach allem fragen, ist auf das ganze Sein hin offen, ja er kann sogar sich selbst zur Frage werden. „Ich bin mir zur Frage geworden“, so hat es Augustinus in einer wichtigen Umbruchsphase seines Lebens formuliert.

2. Die Fragen des Menschen

Schon das kleine Kind hat Fragen. Es schaut neugierig in die Welt. Es will die Welt erkunden. Es tastet sich voran. Es fasst die Gegenstände an, be-greift sie. Später will es die Welt geistig begreifen. Es will die Welt und sich selbst verstehen lernen. Ein heranwachsendes Kind sucht nach etwas und weiß vielleicht noch gar nicht wonach. Es hat ein Problem, das es nicht lösen kann. Es stößt auf ein Wort, das es aufhorchen lässt, oder auf ein Ereignis, das sein Leben verändert. Es wird herausgefordert, auf das Geschehene zu reagieren. Es wird von etwas bewegt, über das es nachdenken möchte.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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