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Ich habe das Chaos so lange bekämpft. Jetzt bin ich ein Teil davon geworden. Seth kämpft als mächtigster Krieger des Sonnengottes täglich gegen das Chaos, das die Welt der Götter und Menschen bedroht. Er denkt, dass Layla, die Halbgöttin und Tochter des Götterkönigs, ihm dabei helfen kann. Layla ist wie Seth ein Außenseiter unter den Göttern, aber ihre Macht ist einzigartig. Trotzdem wird sie nie wirklich zur Götterwelt gehören. Nur bei Seth fühlt sie sich wohl. Sie fühlt sich immer stärker zu ihm hingezogen. Doch Seth wehrt sich gegen die Gefühle, denen er sich nicht hingeben darf. Zum einen, weil seine Zuneigung sie in Gefahr bringt. Zum anderen, weil er fürchtet, dass Layla hinter sein Geheimnis kommen könnte. Denn Seth ist längst nicht mehr der, der er einmal war. Die Chaosmagie, die er eigentlich bekämpft, flüstert ihm schon länger zu, dass sie all seine Wünsche erfüllen kann. Und Seth weiß nicht, wie lange es ihm noch gelingen wird, sich gegen sie zu wehren … Gods of Egypt - Chaosmagie ist ein abgeschlossener Einzelband und für Leser ab 14 Jahren geeignet.
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Copyright © 2022 by B.E. Pfeiffer
c/o WirFinden.Es
Naß und Hellie GbR
Kirchgasse 19
65817 Eppstein
www.bepfeiffer.com
1. Auflage
Umschlaggestaltung: Juliane Buser
Lektorat: Fam Marie Schaper
Korrektorat: Julie Roth
Satz: Bettina Pfeiffer
Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Erstellt mit Vellum
Für all jene, die sich auch im Zauber Ägyptens verlieren können …
Kapitel 1 - Layla
Kapitel 2 - Seth
Kapitel 3 - Layla
Kapitel 4 - Seth
Kapitel 5 - Layla
Kapitel 6 - Seth
Kapitel 7 - Layla
Kapitel 8 - Seth
Kapitel 9 - Layla
Kapitel 10 - Seth
Kapitel 11 - Layla
Kapitel 12 - Seth
Kapitel 13 - Layla
Kapitel 14 - Seth
Kapitel 15 - Layla
Kapitel 16 - Seth
Kapitel 17 - Layla
Kapitel 18 - Seth
Kapitel 19 - Layla
Kapitel 20 - Seth
Kapitel 21 - Layla
Kapitel 22 - Seth
Kapitel 23 - Layla
Kapitel 24 - Seth
Kapitel 25 - Layla
Kapitel 26 - Seth
Kapitel 27 - Layla
Kapitel 28 - Seth
Kapitel 29 - Layla
Kapitel 30 - Seth
Kapitel 31 - Layla
Kapitel 32 - Seth
Kapitel 33 - Layla
Kapitel 34 - Seth
Kapitel 35 - Layla
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Nachwort
Über den Autor
Bücher von B.E. Pfeiffer
Ein Schatten legte sich über mich. Ich blickte von meinem Platz zwischen dem Schilf in den strahlend blauen Himmel auf. Ich erstarrte einen Moment und meine Brust wurde eng. Noch nie hatte ich die Sonnenbarke aus dieser Nähe gesehen. Kein Mensch hatte das. Für gewöhnlich erschienen die Götter nicht damit, wenn sie sich uns Sterblichen zeigten.
Ich schluckte und mein Magen zog sich zusammen. Mein Herz begann vor Furcht zu rasen, also betrachtete ich die Barke, die immer näher kam, um meine Gedanken zu beruhigen. Ich hatte mir das Gefährt des großen Re strahlend ausgemalt, wie das Licht des Gottes, dem es gehörte. Aber das, was ich jetzt sah, ließ sich mit meiner Vorstellung nicht vergleichen. Vor mir schwebte ein Schiff aus purem Gold mit weißen Segeln und einem Baldachin, unter dem der Sonnengott selbst saß. Es glitt lautlos durch den Himmel, bis es schließlich auf dem lehmigen Boden ein Stück von meiner einfachen Hütte entfernt landete.
Zögerlich trat ich zwischen dem Schilf hervor und presste die Halme, die ich geerntet hatte, schützend an meine Brust. Meine Mutter hatte gewusst, dass dieser Tag kommen würde. Trotzdem hatte ich nicht mehr daran geglaubt, dass sich mein Schicksal so wenden würde, wie sie es immer vorhergesagt hatte.
Bei dem Gedanken an sie bebten meine Lippen und Tränen brannten in meinen Augen. Seit sie fort war, hatte ich mich jeden Tag einsam gefühlt. Einsam und ausgestoßen. Ich gehörte nicht zu den Menschen des Dorfes. In Wahrheit gehörte ich nirgendwo wirklich hin.
Ich schloss meine Finger noch fester um das Schilf, damit ich das Zittern unterdrücken konnte. Gleich würde ich ihm gegenüberstehen. Er war meinetwegen gekommen und ich musste mich seinem Willen beugen. Vor Re, dem Sonnengott und König der Götter, gab es kein Entkommen. Man verneigte sich vor ihm. Selbst wenn er der eigene Vater war. Bei dem Gedanken zog sich mein Magen noch mehr zusammen.
Verstohlen schaute ich mich um. Kein anderer Dorfbewohner war noch zu sehen. Sie mussten sich alle versteckt haben. Die Götter weilten zwar unter den Menschen und gelegentlich verbrachten sie auch etwas mehr Zeit mit ihnen, aber dennoch wahrte man lieber Abstand.
Ein Landungssteg wurde auf den Boden geschoben und das Licht blendete mich noch mehr. Re war an der Reling erschienen. Die goldene Sonnenscheibe auf seinem Kopf hüllte ihn in warmes Licht und machte es mir schwer, ihn oder die Götter, die hinter ihm standen, von hier aus zu betrachten. Aber das störte mich nicht. Ich wollte ihm ohnehin nicht ins Gesicht blicken. Noch nicht.
Ich rang darum, Luft zu bekommen, legte das Bündel Schilf auf den Boden und sank auf die Knie. Dann neigte ich meinen Kopf. Ich wusste nicht, wie ich mich ihm gegenüber verhalten sollte. Und ich fürchtete mich davor, was er von mir dachte. Er musste gesehen haben, dass ich unter den Menschen eine Ausgestoßene war. Was wollte er also von mir?
Der Sonnengott hatte uns nie besucht. Meine Mutter hatte behauptet, dass er mein Vater war, und ich hatte ihr glauben wollen. Aber dieses Wissen änderte nichts für mich. Ich spürte nur Furcht und Respekt, wenn ich an den Gott dachte, der uns jeden Tag das Licht schenkte. Für mich war Re nie etwas anderes gewesen.
Die Helligkeit nahm ab und ich wagte es, meinen Kopf ein wenig zu heben. Der König der Götter hatte das Sonnenlicht leicht abgeschwächt und ich konnte ihn verstohlen betrachten. Eine weiße Krone ruhte auf seinem Kopf und darüber leuchtete die Sonnenscheibe, deren Glanz noch immer in meinen Augen schmerzte. Re trug einen prächtigen Halskragen aus blauen und goldenen Perlen und sein Lendenschurz bestand aus purem Gold. Allein das hätte genügt, um die meisten Menschen zum Zittern zu bringen. Mich jedoch nahm die Magie, die ihn umgab, vollkommen ein und ich bekam kaum noch Luft, als er nähertrat. Hastig ließ ich den Kopf wieder sinken.
Seine Füße erschienen in meinem Blickfeld. Er räusperte sich. Ich schluckte die Übelkeit hinunter, die meine Kehle hochkroch, und sah erneut auf. Res Miene wirkte verkniffen, fast so, als wäre er nicht freiwillig hier.
Dabei hatte ich ihn nicht gerufen. Mein Leben war auch ohne ihn kompliziert genug und ich bezweifelte, dass er es leichter machen würde. Er erfüllte lediglich ein Versprechen, das er meiner Mutter einst gegeben hatte. Meine Brust wurde eng. Sie hatte lange darauf gewartet, dass der große Re, den sie so geliebt hatte, zu ihr zurückkehrte. Und jetzt, da sie fort war, erschien mein Vater vor unserer bescheidenen Hütte.
»Erhebe dich, Layla, Tochter des Sonnengottes«, sagte Re mit fester Stimme.
Ein Raunen ging durch die Reihe der anderen Götter. Eigentlich hätte ich Stolz empfinden müssen, weil er zugab, mein Vater zu sein, doch alles, was ich wahrnahm, war der bittere Geschmack in meinem Mund. Ein Gott mochte mein Vater sein, aber davon hatte ich bisher nichts bemerkt.
Vaterlose Kinder wurden von der Gesellschaft ausgeschlossen. Ich hatte zwar gewusst, wer mein Erzeuger war, aber niemand glaubte meiner Mutter, dass ich aus einer Verbindung mit dem Sonnengott selbst entsprungen war. Ohne die Hilfe meiner Mutter wäre ich wohl schon vor Jahren getötet worden. Und Re hätte einfach zugesehen. Vor drei Monden war Mama gestorben und ich hatte geglaubt, mein Schicksal wäre besiegelt.
Re hatte sich nie dazu herabgelassen, mir beizustehen, wenn die Menschen mich mit Steinen bewarfen, weil sie mich für ein Dämonenkind hielten. Dennoch hatte Mutter immer mit einem Glänzen in den Augen von ihm gesprochen, einem gütigen, liebevollen Mann, der ihr versprochen hatte, sich um mich zu kümmern, wenn die Zeit reif wäre.
Ich unterdrückte ein Schnauben. Die Zeit wäre in jenem Moment reif gewesen, als sich silberne Strähnen in meinem langen schwarzen Haar gezeigt hatten, die nachts leuchteten. Oder als meine göttlichen Kräfte begannen den Menschen Angst zu machen, weil ich manchmal Funken in den nächtlichen Himmel steigen ließ und diese dann am dunklen Blau zu strahlen begannen. Die Menschen hielten das für ein schlechtes Omen.
Den Sonnengott jetzt vor mir zu sehen nahm mir die Furcht, durch Menschenhand zu sterben. Niemand würde mich steinigen, wenn er mich mit sich nahm. Dennoch zitterten meine Hände, als ich mich erhob. Ich hatte schließlich keine Ahnung, was Re mit mir vorhatte. Vielleicht löste er sein Versprechen ja dadurch ein, dass er mich zu einer Sklavin der Götter machte oder mich an irgendeinen Ort verbannte, wo er mich nicht jeden Tag sehen musste.
Ich hob mein Kinn ein wenig an, um den Blick des Sonnengottes zu erwidern, und musterte ihn genauer. Immer noch umgab ihn das Sonnenlicht auf seinem Kopf, allerdings wirkte es jetzt noch schwächer. Mir fiel auf, dass sein Gesicht faltig aussah, obwohl es erst Mittag war. Laut den Schriften der Priester besaß Re um diese Zeit die meiste Kraft und alterte erst, wenn die Sonne sich gen Westen senkte, bevor er in die Duat – eine Spiegelwelt und Vorort der Unterwelt – stieg, um sich dort zu erneuern und im Osten wiedergeboren zu werden.
Re hob seine Mundwinkel und ein gütiger Ausdruck ließ seine Augen leuchten.
»Du bist Kemat wie aus dem Gesicht geschnitten«, meinte er und sein Lächeln erstarb. »Wie ich es deiner Mutter einst versprach, bin ich gekommen, um dich unter meinen Schutz zu stellen. Verabschiede dich nun von den Menschen, die dir etwas bedeuten, denn du wirst sie vermutlich in diesem Leben nicht wiedersehen.«
»Es gibt niemanden, der mich vermissen würde«, erwiderte ich mit fester Stimme. Er sollte das Beben nicht bemerken, das mich bei dem Gedanken erfasst hatte. Denn obwohl mich nichts hier hielt, fühlte es sich beängstigend an, das, was ich Heim nannte, zu verlassen. »Erlaube mir nur, meine wenigen Habseligkeiten zu holen.«
»Sie befinden sich bereits auf der Barke«, verkündete Re, ohne eine Regung zu zeigen, und erklomm das Sonnenschiff.
Dennoch drehte ich mich um und keuchte, als der Platz, an dem gerade noch meine Hütte gestanden hatte, leer war. Nichts erinnerte an das Zuhause, das meine Mutter für mich erschaffen hatte. Als hätten sie und ich nie existiert …
Ich konnte die Tränen nicht zurückhalten, die in meinen Augen brannten, ebenso wenig wie das Schluchzen, das mir entschlüpfte.
»Seth, ich habe dir, da du der stärkste Kämpfer meiner Getreuen bist, die Aufgabe zugedacht, Layla zu beschützen«, sagte Re in gebieterischem Tonfall.
Ich wandte mich nicht zu ihm um, starrte nur auf den leeren Fleck Erde, der jetzt statt der Hütte vor mir lag. Er hatte, ohne einen Finger zu rühren, meine gesamte Vergangenheit ausgelöscht.
»Es ist mir eine Ehre, großer Re«, erwiderte eine dunkle Männerstimme, die etwas in meiner Brust zum Vibrieren brachte.
Schwere Schritte erklangen, als der angesprochene Gott über den Steg ging und sich mir näherte. Ich hatte erwartet, dass er mich grob packen und in die Barke zerren würde. Immerhin hielt ich durch mein Zögern die Reise der Sonne auf.
Aber seine Hände legten sich behutsam auf meine Schultern und er drehte mich langsam um. Ich schluckte, als ich in sein Gesicht blickte.
Natürlich wussten wir Menschen, dass die Götter schön waren, aber bei seinem Anblick fiel mir nur das Wort perfekt ein. Seine hohen Wangenknochen verliehen ihm zwar einen harten Ausdruck, dafür wirkten seine lehmroten Augen ungewöhnlich warm. Schwarzes Haar, das ihm bis zum Oberarm reichte, rahmte sein Gesicht mit einigen feurigen Strähnen ein. Er trug eine Art Stirnreif, der ebenso golden war wie der Halskragen, die zwei Oberarmreifen und die Unterarmschützer. Seine Fingerspitzen schienen in roten Lehm getaucht worden zu sein, den er ebenfalls unter den Augen aufgemalt hatte, und auch sein Lendenschurz trug diese Farbe. Das Einzige, was mich stutzig machte, waren die Tierohren, die zusätzlich zu seinen richtigen Ohren auf seinem Kopf ruhten und sich wie die einer Katze bewegten. Sie erinnerten mich an den Schakalgott Anubis auf den Darstellungen der Priester, nur waren seine deutlich länger, dafür weniger spitz. Für gewöhnlich wählten Götter entweder menschliche oder tierische Erscheinungsformen.
Seth presste seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen, während er mich betrachtete. In seinen Augen schimmerte eine seltsame Macht, die ich sofort spüren konnte. Eigentlich hätte mich die Kraft, die von ihm ausging, beunruhigen, ja, sogar ängstigen müssen. Aber das Gegenteil war der Fall, in seiner Nähe fühlte ich mich seltsam geborgen.
Seth löste eine Hand von meiner Schulter und strich mit seiner Fingerspitze die letzten Tränen von meinen Wangen. Er war der mächtigste Kämpfer des Re gegen das Chaos, das uns alle bedrohte. Und die Menschen erzählten sich Geschichten über seine Grausamkeit. Niemals hätte ich ihm eine solche Sanftheit zugetraut.
»Dieser Teil deines Lebens ist zu Ende«, sagte er leise. »Jeder Abschied ist eine neue Chance. Nutze diese.«
Ich nickte kaum merklich und Seth ließ mich los. Es gab nichts, was ich hätte unternehmen können, um dieses Schicksal abzuwenden. Re wollte mich mit sich nehmen und sein Wort war Gesetz. Also fügte ich mich.
Seth trat beiseite, damit ich vor ihm zur Barke gehen konnte, und wartete, bis ich den Steg erklommen hatte.
Unter mir knarrten die goldenen Planken, während ich an den versammelten Göttern vorbei und auf meinen Vater zuschritt. Re stand vor dem Thron und ich hielt eine Armlänge davor an. Ich wollte mich gerade vor ihm verneigen, da packte er grob mein Kinn und hob es an.
»Du bist die Tochter des Re, Layla«, sagte er gebieterisch. »Lass die anderen Götter dir ihre Ehrerbietung erweisen.«
Stoff raschelte und dumpfe Geräusche erklangen hinter mir. Mir wurde flau im Magen. Re ließ mich los und ich drehte mich um. Mein Atem stockte. Vor mir knieten alle Götter auf der Barke und neigten ihre Häupter, als wäre ich ihre Königin.
Über die Machtkämpfe der Götter wusste ich nicht viel, aber die Blicke, die mir manche verstohlen zuwarfen, ließen mich schaudern. Hass und Missgunst loderten in ihren Augen auf. Die Feindseligkeit, die mir so offen entgegenschlug, ließ die Luft kühler werden. Deswegen hoffte ich, dass dieser Moment schnell vorbeigehen möge und ich mich irgendwo vor den Augen der Götter verbergen konnte. Aber eines war jetzt schon klar: In meinem neuen Leben würde ich wohl auf dieselbe Ablehnung stoßen, die man mir in meinem alten entgegengebracht hatte.
Erhebt euch, wir wollen weiterreisen. Die Zeit verstreicht zu schnell«, forderte uns Re mit seiner gewohnten überheblichen Art auf.
Aber natürlich leisteten wir ihm alle Folge, denn er war unser König.
Nachdem ich mich erhoben hatte, traf mein Blick jenen von Layla und ich hielt den Atem an. Ihre gräulichen Augen bohrten sich tief in meine Seele und eine seltsame Schwere legte sich über mein Herz. Konnte sie die Dunkelheit darin erkennen? Oder nahm sie nur die Stärke wahr, die ich auch den anderen Göttern zeigte?
Ich schüttelte den Gedanken ab, schaffte es aber nicht, meine Augen von ihr zu lösen. Obwohl sie nur ein schlichtes Kleid und keinerlei Schmuck trug, strahlte sie eine Eleganz aus, die mich in ihren Bann zog. Ich hatte ihre Mutter nie gesehen, aber wenn sie ihr ähnelte, verstand ich, warum der mächtige Re sie auserwählt hatte.
Zwar hatte er seine Geliebte nicht mit sich ins Reich der Götter nehmen können, weil sie die Kräfte des Sonnenpalastes nicht länger als ein paar Tage am Stück überlebt hätte. Aber er hatte viele Jahre jede Nacht bei ihr verbracht, anstatt in die Duat zurückzukehren, um sich zu erneuern.
Vermutlich schwanden seine Kräfte deswegen jetzt so schnell. Er hatte viel zu lange in der Welt der Menschen gelebt, statt seine Macht zu pflegen.
Ich atmete auf, als sich die Barke endlich erhob und ihre Reise fortsetzte. Es war an der Zeit, meinen Posten einzunehmen. Dazu musste ich mich von der Halbgöttin abwenden, die mich bisher gefangen gehalten hatte.
Zum Glück begleitete Nephthys Re heute nicht auf seinem Weg über den Himmel. Sie war meine Gemahlin und obwohl wir keine Liebe füreinander empfanden, wusste ich, dass sie mich stets beobachtete, um Fehler zu finden, die sie gegen mich einsetzen konnte. Ich stieß den Atem aus und ließ einen Speer in meiner Hand erscheinen. Sie hätte diesen Moment, in dem ich Layla betrachtet hatte, ganz bestimmt bemerkt und versucht, ihn zu ihrem Vorteil zu nutzen.
»Hübsches Ding, findest du nicht?«
Ich spannte meinen ganzen Körper an und richtete meinen Blick nach vorn, anstatt mich zu Isis umzudrehen, die zu mir gesprochen hatte. Sie war Nephthys’ Schwester und noch hinterhältiger als meine Gemahlin.
Seit Jahren fiel ich in den Augen der Götter immer mehr in Ungnade. Das hatte ich den beiden Schwestern zu verdanken, die dafür sorgten, dass die Menschen mich fürchteten und die Götter mich verachteten, weil ich angeblich Gräueltaten beging.
Aber Re hatte mich zu seinem Nachfolger auserwählt und mir sein Vertrauen niemals entzogen. Also schenkte zumindest er den falschen Anschuldigungen keinen Glauben. Das beruhigte mich.
»Für einen Menschen vermutlich«, erwiderte ich gleichgültig. Isis musste nicht wissen, dass ich Layla atemberaubend schön fand.
Layla schien noch keine neunzehn Jahre alt zu sein. Sie war zierlich und trug ihre hüftlangen Haare offen. Das war ungewöhnlich. Ich hatte allerdings nie verstanden, warum Frauen ihre Haare zu winzigen Zöpfen flechten ließen oder sie abschnitten, um sie durch Perücken zu ersetzen. Deswegen gefiel es mir, dass Layla ihre nachtschwarzen Haare mit den schimmernden silbernen Strähnen wie einen Schleier trug. In der Nacht leuchteten sie bestimmt hell. Sie würde dann wie eine wahre Göttin aussehen.
Layla besaß eine beeindruckende Magie, die ich selbst jetzt, wo sie ihre Kräfte nicht einsetzte, fühlen konnte. Das musste der wahre Grund sein, warum Re sie abgeholt und sein Versprechen an ihre Mutter eingelöst hatte. Re mochte die sterbliche Kemat geliebt haben, ihre gemeinsame Tochter schien ihm allerdings nichts zu bedeuten. Zumindest verhielt der Sonnengott sich nicht wie ein liebender Vater. Noch nicht einmal jetzt. Er saß auf seinem Thron und würdigte Layla, die neben ihm stand und verloren wirkte, keines Blickes mehr.
Aber Re brauchte sie. Wir alle brauchten sie.
»Und doch siehst du dich ständig nach ihr um.« Isis schmunzelte, aber die Art, wie sie das tat, ließ Gänsehaut über meinen Körper ziehen. »Oder liegt es daran, dass du jetzt ihr Beschützer bist?«
Ich ignorierte ihre Frage und wandte mich meiner wichtigsten Aufgabe zu. Und die lautete, die Sonnenbarke zu beschützen. Mein Blick wanderte über den wolkenlosen Himmel und ich umfasste den Schaft meines Speers fester.
Immer wenn Re schwächer wurde, wuchs das Ungleichgewicht der Mächte. Chaos nannten wir diesen Zustand, den die Urschlange Apophis über die Welt brachte. Selbst jetzt, wo der Himmel strahlend blau leuchtete, wusste ich, dass Apophis nicht weit sein konnte. Und er war nicht die einzige Schlange, vor der ich mich in Acht nehmen musste.
»Ist es nicht beinahe eine Schande«, sagte Isis in dem Moment, »dass du, der Re doch vermutlich auf den Thron folgen soll, weil du so mächtig bist, das Kindermädchen für eine wertlose Halbgöttin sein wirst?«
Ich wusste, dass sie mich aus der Reserve locken wollte. Natürlich sah es seltsam aus, dass Re mich als Schützer der Barke abberief, damit ich mich um seine Tochter kümmerte. Andere Götter könnten deswegen denken, dass Re mir und meiner Stärke doch nicht mehr genug vertraute, um mich zu seinem Nachfolger zu machen. Aber meinen Unmut darüber würde ich nicht vor Isis zeigen.
»Es ist eine Ehre, jedem Befehl meines Königs Folge zu leisten«, erwiderte ich und straffte meine Schultern.
»Natürlich, natürlich«, meinte Isis immer noch lächelnd. »Als Tochter des Königs ist sie für dich allerdings unerreichbar. Das ist dir bestimmt bewusst.«
Worauf wollte sie hinaus? Ich war unglücklich mit ihrer Schwester vermählt. Natürlich war Layla für mich tabu.
»Sie ist das Kind des Königs, du nur vielleicht irgendwann sein Nachfolger. Selbst als Halbgöttin steht sie somit über dir«, fuhr Isis selbstgefällig fort. »Also solltest du ihr nicht zu nahe kommen, wenn du verstehst …«
»Dein Ton gefällt mir nicht«, unterbrach ich sie scharf. »Ich bin kein Kind, dem du die Regeln erklären musst.«
»Ich höre einen stillen Vorwurf aus deinen Worten heraus, mein lieber Schwager«, entgegnete Isis in honigsüßem Tonfall. Nur dass Honig für uns Götter bitter schmeckte, genau wie ihre Worte. »Wir alle haben unseren Platz. Ich wollte dich nur an deinen erinnern.«
Im Himmel bewegte sich etwas. Isis bemerkte es und beendete das Gespräch. Sie stellte sich kampfbereit hin und rief ihre Magie. Ich ließ meinen Blick über das unendliche Blau schweifen und machte mich wurfbereit. Sollte die Schlange Apophis nur angreifen, ich würde sie zurückschlagen, wie ich es immer tat. Damit bewies ich meinen wahren Wert und meine Stärke.
Aber bei dem Gedanken daran, dass dies meine letzte Reise in nächster Zeit sein würde und ich meiner ersten Pflicht, Apophis und das Chaos zu bekämpfen, nicht nachkommen konnte, verknotete sich mein Magen. Isis hatte schon recht, die Aufgabe, die Re mir übertragen hatte, wirkte wie eine Degradierung.
Dabei hatte Re mir selbst gesagt, er wolle, dass ich ihm auf den Thron folgte, wenn seine Zeit, die Welt der Menschen zu verlassen, gekommen sei. Ob er seine Meinung geändert hatte? Würde er vielleicht sogar seine Tochter auf den Thron setzen, falls ihre Kräfte so mächtig waren, wie er hoffte?
Sie sollte die Nacht erhellen, weil in ihr das Licht des Mondes selbst zu fließen schien. Das würde Re Zeit verschaffen, seine eigenen Kräfte länger zu schonen und zu alter Stärke zurückzufinden. Wenn die Nacht nicht länger dunkel war und die Mächte nicht mehr in so einem Ungleichgewicht, konnte das Chaos nicht so stark werden.
Verstohlen blickte ich über meine Schulter und betrachtete Layla, die mittlerweile auf einigen Kissen neben ihrem Vater saß. Ihr Rücken war gerade, ihre Beine anmutig gekreuzt. Sie mochte wie das Kind eines Bauern aufgewachsen sein, aber ihr Ba, ihre unsterbliche Seele, schien schon immer gewusst zu haben, wer sie wirklich war.
Dennoch bezweifelte ich, dass sie in der Lage war, die mächtige Mondmagie so zu nutzen, wie Re es wollte, ohne davon zugrunde gerichtet zu werden. Immerhin war sie nur zur Hälfte göttlich und die Sterblichkeit, die ihr anhaftete, überzog sie wie ein übler Geruch.
Vielleicht war dies auch Res letzte Prüfung an seine Tochter. Konnte sie die Kräfte nutzen und zur wahren Göttin werden, würde sie für ihn wichtig sein und er sie gut behandeln. Wenn sie allerdings dabei starb, hatte er sein Versprechen nicht gebrochen und war diese Bürde los.
Ich wandte mich wieder nach vorn und suchte den Himmel erneut ab. Unsere Reise würde bald am Palast des Re enden, bevor der Gott mit anderen Beschützern den Weg in die Duat antrat. Layla und mich würde er in seinem Palast zurücklassen.
Alles in mir sträubte sich gegen die Vorstellung. So gut es ging, vermied ich es, meine Zeit in dem tempelähnlichen Gebäude zu verbringen, das aus flüssigem Sonnenlicht erschaffen worden war. Denn die Schlangen, die dort lebten, konnte ich nicht mit Speeren bekämpfen. Göttermord galt auch für mich als Verbrechen und ich hätte einige meiner Artgenossen umbringen müssen, um mich dort wohl fühlen zu können.
»Seth!«, rief Re mich in dem Moment.
Gehorsam drehte ich mich um, ließ den Speer sinken und neigte meinen Kopf. »Mein König?«
Er winkte mich ungeduldig zu sich, als ich wieder aufblickte. Ich sah Isis an, die sich mehr in die Mitte stellte, um beide Seiten des Schiffs überwachen zu können. Dann schritt ich auf Re zu.
»Deine Befehle, mein Gebieter?«, fragte ich leise.
Ich fühlte Laylas Blick auf mir, konnte mich aber davon abhalten, sie anzusehen.
»Wenn der Tag sich dem Ende neigt, werde ich ohne dich und Isis in die Duat reisen. Bastet wird mich an eurer statt begleiten.«
Bei der Erwähnung des Namens der Katzengöttin fühlte ich mich etwas beruhigter. Ich vertraute Bastet. Wir hatten schon viele Kämpfe Seite an Seite ausgefochten. Wenn sie die Barke bewachte, musste ich mich weniger sorgen.
»Von dir wünsche ich, dass du an der Seite der Prinzessin verweilst. Zeige ihr den Palast und erkläre ihr, wie ihr Leben fortan aussehen wird«, fuhr Re fort.
Ich hatte keine Ahnung, wie ihr Leben aussehen würde. Dennoch nickte ich. Re war seit Jahren jähzornig und selbst die berechtigtsten Fragen lösten oft einen Wutanfall aus.
»Sie soll ein rituelles Bad nehmen und anschließend neu eingekleidet werden. Du kümmerst dich darum, dass sie alles bekommt, was sie braucht, und beantwortest ihr jede Frage, die sie stellen wird. Ich habe auch Thot informiert, dass er dich unterstützen soll. Außerdem soll er so schnell wie möglich die rituelle Mundöffnung vornehmen. Am besten noch heute. Und ich will, dass er ihr hilft, ihre Kräfte besser kennenzulernen. Er soll sie unterrichten.«
Meine Kiefer mahlten bei dem Gedanken an den eingebildeten Gott der Zeit, der Schriften, des Wissens und des Mondes. Thot galt als der weiseste aller Götter. Aber ob weise oder nicht, er war ein fürchterlicher Besserwisser und Angeber. Re betitelte ihn als Zauberer. Die anderen Götter nannten ihn Ibis, weil er in seiner tierischen Gestalt wie dieser Vogel aussah. Er konnte fast jeden mit seinen Tricks um den Finger wickeln. Von mir abgesehen.
»Gewiss, mein König«, murmelte ich und neigte mein Haupt erneut.
»Gottheit, ich hatte gehofft …«, begann Layla, aber Re unterbrach sie mit einer herrischen Handbewegung.
»Nenn mich Vater, Kind. Und ich weiß, was du gehofft hast. Wir werden morgen, wenn ich aus der Duat zurückgekehrt bin, ein wenig Gelegenheit haben, uns kennenzulernen.«
Unwillkürlich fragte ich mich, warum er diese Reise nicht dazu nutzte. Aber dann bemerkte ich, wie tief die Falten auf seiner Stirn und wie dunkel die Ringe unter seinen Augen geworden waren. Selbst das Licht, das von ihm ausging, wirkte seltsam düster. Es schien ihn all seine verbliebene Magie zu kosten, die Sonne auf seinem Haupt und damit die Barke erstrahlen zu lassen. Falls ihm die Kraft ausging, würden wir abstürzen und die Sonne sich vollkommen verdunkeln. Das würde das Chaos noch mächtiger machen.
»Keine Sorge, Prinzessin«, sagte ich an Layla gewandt, die mich alarmiert mit ihren großen grauen Augen ansah. »Ich werde meine Verantwortung ernst nehmen und dafür sorgen, dass es dir an nichts mangelt.«
Falls das überhaupt möglich war, wurden ihre Augen noch größer und ich meinte, die silberne Scheibe des Mondes darin zu erkennen. Konnte es sein, dass sie mich fürchtete? Ich hätte es ihr nicht übel genommen. Isis und Nephthys hatten dafür gesorgt, dass unter den Menschen neue Legenden über mich verbreitet wurden. Jene von einem Schlächter statt einem Beschützer. Doch der Ausdruck in Laylas Gesicht schmerzte dennoch mehr, als ich vermutet hätte.
»Danke«, hauchte sie.
Ich wünschte mir, dass sie lächeln würde. Aber dazu war sie wohl zu nervös. Trotzdem konnte ich den Blick nicht von ihr abwenden. Etwas an ihr faszinierte mich.
»Du kannst an deinen Posten zurückkehren«, befahl Re und winkte wieder ungeduldig mit seiner Hand.
Noch einmal verneigte ich mich, dann kehrte ich an die Seite von Isis zurück. Zumindest besaß sie im Moment den Anstand, nicht mit mir zu sprechen. Das lag vermutlich daran, dass der Himmel sich unnatürlich kräuselte und wir beide bereit sein mussten, den Sonnengott zu verteidigen.
Isis hob ihre Hände und Magie knisterte über ihre Fingerspitzen. Ich packte den Speer fester und ließ meinen Blick schweifen.
»Wollen wir hoffen, dass Bastet ihre Krallen für heute Nacht geschärft hat«, murmelte ich.
Meine Schwägerin nickte. »Das Chaos wird stärker«, sagte sie leise.
Etwas Bedrohliches schwang in ihrer Stimme mit, aber ich kam nicht dazu, sie darauf anzusprechen. Denn in dem Moment schnellte etwas direkt auf mein Gesicht zu.
Die Luft um uns veränderte sich mit einem Mal. Hatte sie sich gerade noch warm und sonnig angefühlt, legte sich jetzt eine kühle Nässe auf meine Haut. Ich schauderte. Ein modriger Geruch drang mir in die Nase und ich hatte den Eindruck, in einer Grabkammer zu stehen.
Von den anderen Göttern schien niemand die Veränderung zu bemerken. Sie aßen Früchte und tranken Wein, lachten und verhielten sich ausgelassen. Aber als ich zu Seth und der anderen Göttin blickte, erkannte ich, dass auch sie angespannt waren. Magie tanzte wie weiße Feuerfunken auf den Händen der Göttin. Ihr helles Kleid und der prächtige Halsreif erinnerten mich an die Darstellungen von Isis, der Göttin der Magie. Sie war keine Kriegerin wie Seth, aber ihre Macht wurde als unermesslich beschrieben. Vermutlich stand sie deswegen neben Seth, der den Speer so fest gepackt hielt, dass seine Fingerknöchel weiß wurden.
Kälte kroch über meine Haut und ich stand zitternd auf. In dem Moment veränderte sich das Blau des Himmels, verdunkelte sich und brach auf.
»Pass auf!«, rief ich, als ich die Schlange bemerkte, die aus dem Riss im Himmel herausschnellte und auf Seth zuflog.
Er reagierte sofort, hob den Speer und stieß die Spitze durch den Kopf der Schlange. Zischend zerfiel sie zu rotem Sand und ich wollte erleichtert aufatmen. Doch da entstanden noch mehr Risse im Horizont und unzählige Schlangen schossen heraus.
Jetzt brach Panik unter den Göttern aus, die sich wimmernd hinter den Thron von Re unter den Baldachin flüchteten. Der Sonnengott selbst regte sich nicht. Aber ich erkannte den Schweiß auf seiner Stirn und seinen zusammengepressten Mund. Ich konnte seine Magie fühlen, die gegen den aufkommenden Sturm, den die Schlangen mit sich brachten, ankämpfte. Doch er schien nicht in der Lage zu sein, ihn wirklich aufzuhalten.
Als würde die Nacht anbrechen, verdunkelte sich der Himmel und starker Wind kam auf, der die Barke durchschüttelte. Außer Isis und Seth kämpfte niemand gegen die vielen Schlangen. Es gab unter den Göttern nur wenige wirklich gefürchtete Krieger. Seth war einer von ihnen, ebenso die Katzengöttin Bastet und der Krokodilgott Sobek. Es war ihre Aufgabe, zu beschützen und zu kämpfen. Aber dass die anderen Götter sich wie ängstliche Kinder versteckten, machte mich zornig.
Immer mehr Schlangen erschienen, umkreisten das Schiff und griffen Seth und Isis an. Den Baldachin mieden sie jedoch, als wäre er für sie nicht sichtbar oder durch starke Magie geschützt.
Da fiel mein Blick auf Isis, die eine Hand in unsere Richtung gestreckt hatte. Aus ihren Fingern stoben weiße Funken hervor. Offensichtlich schützte sie die anderen Götter, während sie kämpfte.
Doch noch während ich das dachte, flogen mehrere Schlangen auf sie zu und Isis ließ schreiend ihren Zauber enden. Sofort sank die Temperatur um uns und der eisige Wind peitschte die Stoffbahnen des Baldachins auf.
Immer noch wimmerten die Götter und verschanzten sich hinter Res Thron. Aber keiner griff ein, als die Schlangen auf uns aufmerksam wurden.
Meine Wut schwoll an und ich ballte meine Hand zur Faust. Macht drang aus jeder Pore der Götter, aber sie verhielten sich wie einfältige Kinder, die noch nie mit Gefahren konfrontiert worden waren. Und vermutlich traf das auf die meisten zu, weil sie sich nur um ihre eigenen Belange und Aufgaben kümmerten.
Obwohl meine Hände zitterten, griff ich nach einem herrenlosen Chepesch und hob es hoch. Das Krummschwert war viel schwerer, als ich vermutet hatte, und ich musste es mit beiden Händen umfassen.
Einige Schlangen verschmolzen miteinander und brachten sich in Position, um uns anzugreifen. Zischend schoss die manngroße Schlange auf uns zu. Ich sammelte meine Kräfte, gab einen Schrei von mir und hieb mit dem Chepesch auf das Biest ein.
Dunkelrotes Blut tränkte den goldenen Boden und mein Kleid, als der Schlangenkopf vor meinen Füßen und der Körper ein Stück entfernt landete. Dann löste sich auch dieses Wesen in roten Sand auf.
Etwas berührte mich an der Schulter. Ich schrie, wirbelte herum und hielt den Atem an, als ich Seth erkannte. Er trug keinen Speer mehr und Blut bedeckte seinen gesamten Oberkörper.
Als würden wir nicht gerade von einer Armee aus zischenden Schlangen angegriffen, nahm er mir behutsam das Chepesch ab und schob mich hinter sich. Dann machte er einen Satz nach vorne. Seth drehte sich und schwang dabei die Klinge. Die Luft sirrte und unzählige Schlangen verloren ihre Köpfe. Nur wenige Atemzüge später blieb er etwa eine Mannlänge von mir entfernt stehen. Sein Brustkorb hob und senkte sich heftig. Er ließ das Chepesch sinken und erwiderte meinen Blick.
Etwas in diesen lehmroten Augen nahm mich gefangen. Ich konnte mich nicht von ihm abwenden, starrte ihn vollkommen gebannt an. Um uns ging ein Regen aus enthaupteten Schlangen und Blut nieder, bevor sich die Kadaver auflösten und vom Wind verweht wurden. Dennoch betrachtete ich nur Seth.
Ich kannte Geschichten über seine Heldentaten. Aber die Legenden, die ihn als grausamen Kriegsherren und jähzornigen Gott ohne Gewissen beschrieben, waren mir vertrauter. Welche Version stimmte wohl?
Die noch lebenden Schlangen gaben ihren Angriff auf und zogen sich zischend zurück. Der Sturm legte sich und die Dunkelheit wich dem Sonnenlicht, das jetzt wieder stärker von der Barke ausging. Das Chaos war bezwungen. Zumindest vorerst.
Als wäre nichts geschehen, traten die anderen Götter unter dem Baldachin hervor. Die Körper der Schlangen hatten sich zwar aufgelöst, das dunkelrote Blut besudelte aber immer noch den Boden und mein Kleid sowie Seth und Isis. Aber das schienen die Götter entweder nicht zu bemerken oder gekonnt zu ignorieren.
Seth trat auf mich zu. Sein Blick bohrte sich in meinen. Seine Magie tränkte die Luft um uns. Genauso wie der Geruch, den sie erzeugte. Götter entwickelten einen eigenen Geruch, wenn sie Magie wirkten. Zumindest hatten das die Priester behauptet und wie es schien, hatten sie recht. Seth roch nach würzigem Holz und das so intensiv, als läge hier ein frisch gefällter Baum.
Mittlerweile stand er direkt vor mir und blickte auf mich herab. Er war etwa einen Kopf größer als ich und jeder Muskel seines Körpers wirkte angespannt, genau wie seine Miene.
Ich hob mein Kinn an und hielt dem Blick, den er mir zuwarf, stand. Vermutlich wusste er, dass ich Angst vor dem hatte, was gerade geschehen war. Ich konnte das Zittern meines Körpers nicht unterdrücken.
Seth musterte mich und hob eine Hand. Ich biss mir auf die Unterlippe und hielt still. Seine Fingerspitze berührte zärtlich meine Wange.
Da war nichts Gefährliches an dieser Geste. Sie wirkte beruhigend und besorgt, ganz gleich, wie finster seine Miene aussah. In mir regte sich eine Wärme, die ich nicht verstand und die ich nicht wollte. Aber sie war dennoch da, erfüllte mich und nahm mir nach und nach die Angst. Nutzte Seth gerade Magie, um mich zu beruhigen?
»Das war unglaublich mutig von dir«, raunte Seth mir zu und ein schwaches Lächeln erschien auf seinem Gesicht. Als ich das Lob gerade annehmen und das Lächeln erwidern wollte, verschwand es jedoch von seinen Lippen. »Und unglaublich dumm. Du bist nicht kampferfahren, erst recht nicht gegen Chaosgeschöpfe.« Er stieß den Atem aus. »Ich werde die Verantwortung dafür alleine übernehmen und die Strafe akzeptieren, die der Sonnengott bestimmt.«
Verwirrt blinzelte ich und sah an Seth vorbei zu Re, der immer noch regungslos auf dem Thron saß. Von ihm ging ein süßlicher Duft aus, aber seine Magie wirkte wesentlich schwächer als jene von Seth oder Isis. Außerdem fiel mir auf, dass sein Gesicht deutlich gealtert war, obwohl die Reise noch lange nicht zu Ende ging. Was war nur mit ihm los?
»Er kann dich nicht dafür bestrafen, dass ich eine Waffe genommen und sein Leben verteidigt habe«, sagte ich leise.
Seth hob einen Mundwinkel zu einem schiefen Grinsen. »Er wird es anders sehen. In seinen Augen habe ich meine Pflicht vernachlässigt, weil du in den Kampf eingegriffen hast.«
»Das ist doch Unsinn«, erwiderte ich aufgebracht und hielt inne, als Seth noch näher kam.
Keiner der Götter schenkte uns Beachtung. Sie gaben sich dem Wein hin und feierten den glimpflichen Ausgang der Schlacht. Und Isis hatte ihren Platz am Bug wieder eingenommen und überblickte den Himmel.
Seth blieb stehen. Unsere Körper berührten sich und die Wärme seiner Haut ließ mich noch mehr zittern als die Angst, die ich vor wenigen Augenblicken noch gefühlt hatte und die nun wie weggewischt schien.
»Wähle deine Worte mit Bedacht, Prinzessin«, flüsterte er. »Ich will nicht, dass er dich meinetwegen doch noch bestraft.«
»Aber«, begann ich und schluckte. Seth legte einen Finger auf meine Lippen und brachte mich so zum Schweigen.
Mein Herz klopfte wild. Wieder lag ein unscheinbares Lächeln auf seinem Gesicht, das sofort verschwand, als er seine Hand zurückzog und sich aufrichtete.
»Kehr an deinen Platz zurück«, sagte er mit fester Stimme. »Der Rest der Fahrt wird hoffentlich ereignisloser.«
Damit trat er an mir vorbei und ich sah ihm verwirrt nach. Mein Blick fiel auf Isis, die mich nun doch mit einem seltsamen Ausdruck in ihrem Gesicht musterte, bevor sie sich abwandte und wieder den Himmel überwachte.
Da die anderen Götter mich ignorierten, setzte ich mich neben Re, der mich ebenfalls nicht wahrzunehmen schien. Je länger die Fahrt über den Himmel dauerte, umso schwächer nahm ich seine Magie wahr und umso einsamer fühlte ich mich.
Die Luft kräuselte sich. Erst befürchtete ich einen neuen Angriff der Schlangen. Doch dann veränderte sich etwas. Magie umgab uns und vor mir, inmitten der endlos erscheinenden Wüste, erblickte ich einen Tempel aus weißem Stein. Wir hatten wohl den Schleier, der die Welt der Götter von jener der Menschen trennte, durchquert.
Ich erhob mich von meinem Platz und trat an die Reling. Es gab Geschichten über den Sonnenpalast. Re hatte ihn zum Anbeginn der Zeit mit seinem Sonnenlicht erschaffen. Er erlaubte den Göttern, dort zu leben und ihren Aufgaben nachzukommen. Manche Götter wählten zwar die Stadt, in der ihre menschlichen Anhänger ihnen Tempel errichteten, als Wohnort. Allerdings erzählten die Priester, die meisten Götter würden hier leben.
Der Palast war riesig. Er bestand aus mehreren Gebäuden, die nach den vier Himmelsrichtungen ausgerichtet waren. In der Mitte entdeckte ich einen großen Garten mit unzähligen Palmen. Auch zwischen den Gebäuden befanden sich Gärten, Brunnen und mit goldenen Steinen gepflasterte Wege. Im Licht der untergehenden Sonne wirkte dieser Ort verzaubert.
Menschen konnten ihn nur finden, wenn die Götter es erlaubten. Dieser Ort war für Sterbliche gefährlich, weil die Kräfte, die hier wirkten, ihnen schaden konnten. Ich schluckte. Hier sollte ich leben. Was, wenn ich nicht stark genug war, die Magie zu ertragen?
»Kehr zum Sonnengott zurück«, sagte Seth zu mir, ohne mich eines Blickes zu würdigen. »Die Landung könnte holprig werden.«
Ich wollte nicht mit ihm diskutieren. Außerdem senkte die Barke sich bereits und die Gartenanlagen mit den Brunnen und den farbenfrohen Pflanzen verschwanden aus meinem Blickfeld. Also ging ich zu Re zurück und ließ mich neben seinem Thron nieder.
Das Schiff setzte heftig auf dem sandigen Boden vor dem Palast auf. Re keuchte und grub die Fingernägel tiefer in die Armlehnen seines Throns. Dann atmete er auf und streckte den Rücken durch.
Sein Gesicht glich dem eines uralten Mannes. Seine Haut war von Falten überzogen und das Licht seiner Augen schwach. Er konnte auch nicht selbst aufstehen und musste von zwei Göttern gestützt werden, um die Barke zu verlassen.
Vor dem Steg hatten sich bereits gut zwei Dutzend Götter versammelt, von denen ich nur die wenigsten erkannte. Was vermutlich daran lag, dass die Bilder in den Tempeln sie nicht gut darstellten.
Ein Mann mit kurzen schwarzen Locken und einem kunstvoll drapierten Kinnbart, wie ihn Könige trugen, begrüßte Re als erstes. Seine Augen waren grün wie fruchtbare Felder und von dicken schwarzen Kajalstrichen umrahmt. Er war in die blütenweiße Kleidung eines Hohepriesters gehüllt und verneigte sich ehrfurchtsvoll vor Re.
Dann wandte der Mann sich Isis zu, die hinter dem Sonnengott die Barke verließ. Stürmisch umarmte sie ihn und bedeckte sein Gesicht mit Küssen, als hätte sie ihn seit Wochen nicht gesehen. Da wurde mir klar, dass dies Osiris, der Gott der Fruchtbarkeit und Erneuerung, sein musste. Zumindest nahm ich es an, weil er mit Isis vermählt war. Wenn die Geschichten stimmten.
Seth, der neben mir stand und darauf wartete, dass auch ich die Barke verließ, verschränkte die Arme vor der Brust. Als ich mich verstohlen zu ihm umwandte, mahlten seine Kiefer und sein Blick wirkte noch finsterer als sonst. Von Seth wusste ich nur, dass er der Gott der Stürme und der Oasen war. Vor vielen Generationen war er der Schutzherr aller Liebenden gewesen und man hatte ihn gebeten, eine Verbindung zu segnen. Aber das lag lange zurück. Mittlerweile erzählten sich die Menschen eigentlich nur noch die Geschichten über seine Macht als Kriegsherr und seine Brutalität. Ich wusste nicht, ob auch er eine Familie besaß.
Als mir bewusst wurde, dass ich ihn viel zu lange angestarrt hatte, drehte ich mich wieder um und betrachtete die Götter, die vor der Barke warteten.
Hinter Osiris erschien eine Frau, die sich ebenfalls vor Re verneigte. Mein Mund öffnete sich vor Überraschung, nachdem sie sich wieder aufgerichtet hatte. Sie sah genauso aus wie Isis, mit kinnlangem schwarzem Haar und denselben hellblauen Augen. Nur trug diese Frau ein dunkelblaues Kleid, während das von Isis weiß war.
Ein Räuspern ließ mich aufblicken und ich starrte Seth an, der mir mit dem Kopf bedeutete, endlich das Schiff zu verlassen.
Aber meine Beine wollten mir nicht gehorchen und ein Schaudern erfasste mich. Nun da wir vor dem Palast standen, wurde mir erst so richtig bewusst, dass ich hier würde leben müssen.
Ich hielt den Atem an, als Seth mich am Oberarm berührte. Es war keine drängende Geste, er schob mich nicht auf den Steg zu. Sein Finger strich kaum spürbar über meine Haut, während er sprach.
»Beginne den neuen Teil deines Lebens mit erhobenem Haupt und zeige ihnen niemals, dass du verletzlich oder ängstlich bist. Denn dann werden sie sich auf dich stürzen wie Geier auf Kadaver.«
Obwohl mich seine Worte innerlich zittern ließen, lachte ich leise. »Falls mich das beruhigen sollte, hast du gerade das Gegenteil erreicht.«
»Ich wollte dich nur warnen«, erwiderte Seth mit unbeweglicher Miene. »Du bekommst keine zweite Gelegenheit für einen ersten Eindruck. Halte dich aufrecht und zeige ihnen, dass du eine Königin bist.«
»Aber das bin ich nicht …«
»Wenn du es glaubst, werden sie es auch tun«, meinte er und ließ mich los.
Es fiel mir schwer, meine Angst, die wie kalte Wellen durch meinen Körper rauschte, zu unterdrücken. Aber er hatte recht. Ich hatte nur diese Möglichkeit, einen guten ersten Eindruck zu hinterlassen. Also straffte ich die Schultern, hob mein Kinn und schritt über den Steg hinab.
Alle Gespräche verstummten, als ich, dicht gefolgt von Seth, den Sand erreichte.
Re, der immer noch von zwei Göttern gestützt wurde, drehte sich zu uns um. Er wirkte erschöpft und konnte kaum die Augen offenhalten. Aber zum ersten Mal an diesem Tag breitete sich ein echtes Lächeln auf seinen Lippen aus und er winkte mich zu sich.
Kaum stand ich vor ihm, ergriff er meine Hand und löste sich von den Göttern, die ihm bis dahin Halt gegeben hatten.
»Meine Tochter Layla, eure Prinzessin«, verkündete er und ein Raunen ging durch die Menge. Re hob die Hand und die Götter verstummten sofort wieder. »Der ich mein Leben verdanke. Ohne ihr beherztes Eingreifen heute hätte Apophis mit seinen Chaosgeschöpfen den Sieg davongetragen und mich getötet. Ich verdanke es ihr und Seth, dass ich noch lebe.«
Ich hatte keine Ahnung, wieso Re es so darstellte. Aber ich wollte dem Sonnengott nicht widersprechen und rang mir ein Lächeln ab. Vielleicht versuchte er, die Götter zu überzeugen, dass ich nützlich war und nicht eine Bürde, die sie ab jetzt schultern mussten.
Wieder kam Getuschel auf und ich fühlte Seths Nähe hinter mir. Er schien sich anzuspannen, obwohl ich nicht sicher war, wie ich das bemerken konnte, da ich ihn nicht sah. Aber ich fühlte die Veränderung, die von ihm ausging.
»Ich muss nun in die Duat und meine Kräfte erneuern«, fuhr Re fort. »Dennoch bitte ich euch, meiner Tochter einen würdigen Empfang zu bereiten. Badet sie, kleidet sie neu ein und gebt ihr zu Ehren ein Festmahl. Und ruft nach Thot, damit er das Ritual ihrer Erweckung so früh wie möglich durchführen kann. Auch wenn ich nicht hier sein sollte, um daran teilzunehmen.«
Er beugte sich zu mir und presste seine trockenen Lippen an meine Stirn. Die Geste hatte nichts Väterliches, es wirkte wie eine lästige Pflicht, die er erfüllen musste.
»Wir sehen uns morgen, Tochter«, sagte er und ließ mich los.
An seine Seite eilte eine Frau mit langen schwarzen Fingern, an deren Enden Krallen so scharf wie Messer hingen, sowie ein Mann, der eine Art Brustpanzer aus Schuppen trug und einen Krokodilschwanz besaß. Wenn ich hätte raten müssen, um welche Götter es sich handelte, wäre die Antwort Bastet, die Katzengöttin, und Sobek, der Krokodilgott, gewesen.
Sie nahmen die Plätze von Isis und Seth ein, nachdem Re sich wieder auf seinem Thron auf der Barke niedergelassen hatte. Weitere Götter folgten ihnen auf das Schiff, das sich anschließend erhob und in den Westen flog, wo es den Horizont in glutrotes Licht hüllte. Dort würde sich die Duat für Re und alle, die ihn begleiteten, öffnen.
Die anderen Götter wandten sich ab und schritten in den Palast zurück. Sie sprachen nicht mit mir, sahen mich noch nicht einmal an. Wäre Seth nicht an meiner Seite gewesen, hätte ich vollkommen allein vor den Toren gestanden.
Ein Räuspern ließ mich herumfahren. Ich hatte sie nicht bemerkt. Die Frau, die Isis so ähnlich sah, stand mit einem Mal neben Seth und schenkte ihm ein Lächeln, das kühl und berechnend wirkte.
»Ich sollte wohl stolz auf dich sein, mein Gemahl«, sagte sie mit verächtlicher Stimme.
Der Stich in meiner Brust war schmerzhaft, als mir klar wurde, dass Seth verheiratet war. Ich verstand dieses Gefühl nicht. Immerhin kannte ich Seth nicht. Er lebte vermutlich schon deutlich länger, als man ihm ansehen konnte. Natürlich war er vermählt. Dass mich das verletzte, war vollkommen irrational.
Ihre hellblauen Augen trafen auf meine und sie legte den Kopf schief, bevor sie lachte.
»Oje, habe ich meine Raubvogel-Gestalt angenommen oder wieso siehst du mich so an, Tochter des Re?«
Dass sie mich nicht beim Namen nannte, wirkte irgendwie seltsam. Aber noch seltsamer war, dass ich immer noch diesen Stich in meinem Herzen fühlte.
Vielleicht weil Seth der Einzige war, der bisher freundlich mit mir geredet hatte? Oder weil er mich nicht mit Missachtung strafte? Oder weil ich in seiner Nähe zum ersten Mal in meinem Leben Sicherheit gespürt hatte, die ich selbst nicht verstand?
»Sollen wir dann zum Festmahl gehen?«, schlug sie vor.
»Layla muss gebadet und umgekleidet werden, Nephthys«, knurrte Seth, der zu seiner Frau erstaunlich viel Abstand hielt. »Falls es dir nicht aufgefallen ist, sie ist voller Blut …«
»Das bist du ständig und dennoch nimmst du an den Essen teil, ohne vorher zu baden«, erwiderte die Frau und wandte sich mir zu. »Ich bin übrigens Nephthys. Gemahlin von Seth und Schwester von Isis.« Sie neigte ihren Kopf leicht, aber nicht so, wie sie es vor Re getan hatte. »Ich soll mich um dich kümmern. Und ich denke, du könntest eine Stärkung vertragen.«
Bevor ich etwas erwidern konnte, hatte sie einen Arm um meine Schultern gelegt und führte mich ins Innere des Tempels. Ich drehte meinen Kopf, um Seth anzusehen, aber der schnaubte nur und folgte uns. Also widersprach ich nicht. Schließlich wollte ich nicht schon am ersten Abend Streit beginnen.
In einem großen Saal standen bereits mehrere Tische, an denen die Götter saßen. Isis hatte auf dem Schoß ihres Mannes Platz genommen und fütterte ihn mit Weintrauben, die anderen Götter schienen daran aber keinen Anstoß zu nehmen.
Nephthys platzierte mich am Kopfende der Haupttafel und nahm links von mir Platz. Seth setzte sich rechts von mir auf einen Stuhl und funkelte seine Gattin an. Das schien Nephthys aber nicht einmal wahrzunehmen. Sie hob eine Glocke von der Tischfläche und läutete sie.
Daraufhin schwangen die Türen auf und mehrere Ziegen traten ein. Sie sprangen auf die Tische und platzierten sich vor riesigen silbernen Platten. Es verwirrte mich, dass Nephthys Tiere hier erscheinen ließ. Wozu sollte das gut sein?
Jene, die mir am nächsten stand, verneigte sich vor mir. »Ich wünsche ein angenehmes Mahl«, verkündete sie.
Die Ziege verdrehte ihre Augen und zerteilte sich von selbst in kleine Stücke. Mein Magen rebellierte, als aus dem Tier, das gerade vor mir gestanden und zu mir gesprochen hatte, rohe Fleischteile und Innereien wurden. Die anderen schienen damit kein Problem zu haben, denn sie langten zu und brieten die Stücke über kleinen Feuerschalen.
Jegliche Farbe musste aus meinem Gesicht gewichen sein. Und während ich darum kämpfte, mich nicht auf den Tisch zu übergeben, wandten sich alle Augen mir zu.
Die Art, wie Nephthys Layla in den Festsaal zerrte, gefiel mir nicht. Re hatte ziemlich klare Anweisungen gegeben, und im Gegensatz zu mir war Layla es nicht gewohnt, mit dem Blut der Schlangen besudelt zu sein. Aber vielleicht hatte Nephthys recht und ein wenig Nahrung würde der Prinzessin guttun, immerhin wirkte sie – verständlicherweise – ziemlich mitgenommen.
Deswegen bestand ich auch nicht darauf, sie zuerst baden zu lassen. Doch ich hatte damit gerechnet, dass man Layla ein eher kleines Mahl reichen würde und das Festessen erst folgen sollte, wenn sie neu eingekleidet worden war.
Allerdings saßen fast alle Götter an der leeren Tafel, an dessen Kopfende Nephthys Layla platzierte. Zu spät entdeckte ich die Glocke, die Nephthys mit einem triumphierenden Lächeln läutete.
Ziegen stolzierten in den Raum. Die anderen Götter wirkten ebenso verwirrt darüber, dass wir diese Art von Festmahl abhalten würden, wie ich. Nur Isis nicht. Unsere Blicke trafen sich und sie lächelte eiskalt, während sie meinem Bruder weiterhin den Kopf kraulte. Also hatte auch sie etwas mit alldem zu tun.
Vor unseren Augen filetierten die Tiere sich selbst und fielen in verzehrbaren Einzelteilen auf den Tisch. Wir Götter kannten ein solches Festmahl, doch für einen Menschen musste es befremdlich sein. Schnell sah ich wieder zu Layla und mir wurde klar, dass sie mit dieser Situation nicht umgehen konnte. Ihre sonst fast bronzefarbene Haut wirkte blass und ihr Atem ging viel zu schnell.
Noch einmal blickte ich zu Nephthys, die zufrieden grinste, während sie sich ein Stück Darm roh in den Mund stopfte. Layla hatte bisher nichts angerührt und starrte nur auf die Tischplatte vor sich, während alle Augen im Raum auf sie gerichtet waren.
»Was ist los, Prinzessin?«, fragte Nephthys mit samtweicher Stimme. »Geht es dir nicht gut?«
Ein Blick in Laylas Gesicht genügte, um zu wissen, dass sie kein Wort herausbringen würde, ohne sich zu übergeben. Ich presste meine Finger in die Tischplatte, bis das Holz darunter barst. Isis und Nephthys wollten Layla demütigen. Aber das würde ich nicht zulassen.
Mit so viel Schwung wie möglich schob ich meinen Stuhl zurück, damit die Götter mich anstarrten. Mein Plan ging auf und ich atmete einmal durch, bevor ich mich gänzlich aufrichtete und ihre Blicke erwiderte.
»Den Befehlen des Re muss Folge geleistet werden«, sagte ich mit fester Stimme und schritt auf Layla zu.
Immer noch blickte sie auf den Fleischberg vor sich und rang wohl damit, sich nicht zu übergeben. Deswegen beugte ich neben ihr ein Knie und räusperte mich, um ihre Aufmerksamkeit von der ehemaligen Ziege auf mich zu lenken.
Langsam drehte sie den Kopf und ihre Hände begannen zu zittern, genau wie ihre Lippen. Das Grau ihrer Augen leuchtete unnatürlich hell. Ich musste sie hier wegbringen.
»Vergib mir, Prinzessin, ich hätte früher einschreiten sollen«, begann ich meine Erklärung so laut, dass jeder sie hören konnte.