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Viele Monate waren verstrichen, seit Godwin während eines verheerenden Gewittersturms vor seinem Vater aus dem Dorf der Harier geflohen war. Er hatte eine Reihe von Abenteuern bestehen müssen, öfter als einmal hatte ihn der Tod mit seiner kalten Knochenhand berührt, er hatte viel, viel Blut vergossen und am Ende hatte er als strahlender Sieger dagestanden.
Dennoch lag die Zukunft, in die ihm die Götter mehr als einen Blick gewährt hatten, finster wie ein Höllenschlund vor ihm. In seinen Visionen lief alles auf seinen Tod hinaus. Und Landogar hatte geträumt, dass viele Schakale über einen Wolf herfallen und ihn zerfleischen.
Cover: Steve Mayer
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Heimkehr unter schlechtem Stern – Teil 9
Roman von Pete Hackett
Ein CassiopeiaPress E-Book
© by Author
© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
www.AlfredBekker.de
Der Umfang dieses Ebook entspricht 51 Taschenbuchseiten.
Die Zerstörung der Brücken nahm fast eine ganze Woche in Anspruch. Die Heboniter störten die Krieger der Stämme bei ihrem Vernichtungswerk nicht. Wahrscheinlich steckte den Kommandanten der auf der Westseite des großen Flusses verbliebenen Truppenverbände der Schock dermaßen in den Knochen, dass sie sich lediglich für den möglichen Fall der Verteidigung wappneten und sich mit ihren Soldaten nicht aus den Kastellen wagten.
Schließlich ragten nur noch einige dicke Stämme aus dem Wasser. Balken, Bohlen und Bretter hatten die Fluten des gewaltigen Stroms mit sich fortgetragen.
Godwin löste die Armee auf. Die Heerführer verabschiedeten sich von ihm und zogen nach und nach mit ihren Kriegern ab, abgesehen von jenen Truppen, die sie am Fluss zurückließen und für die Sicherung der Grenze zur Verfügung stellten. Nach einem letzten Blick auf die andere Seite des Stroms zogen Godwin, Landogar und Mutbrecht, die den Abzug der letzten Gruppe Krieger abgewartet hatten, ihre Pferde herum und ritten in östliche Richtung davon, die Gewissheit in den Gemütern, dass die Heboniter wohl nie wieder versuchen würden, das Ostreich zu erobern und sich die Stämme zu unterwerfen oder sie zu vernichten.
Viele Monate waren verstrichen, seit Godwin während eines verheerenden Gewittersturms vor seinem Vater aus dem Dorf der Harier geflohen war. Er hatte eine Reihe von Abenteuern bestehen müssen, öfter als einmal hatte ihn der Tod mit seiner kalten Knochenhand berührt, er hatte viel, viel Blut vergossen und am Ende hatte er als strahlender Sieger dagestanden.
Dennoch lag die Zukunft, in die ihm die Götter mehr als einen Blick gewährt hatten, finster wie ein Höllenschlund vor ihm. In seinen Visionen lief alles auf seinen Tod hinaus. Und Landogar hatte geträumt, dass viele Schakale über einen Wolf herfallen und ihn zerfleischen.
Handelte es sich bei dem Wolf um Richwin, der von den Göttern geschickt worden war? Und erneut drängte bei ihm die Frage in den Vordergrund, ob er Richwin war. Oder war der Wolf eventuell nur ein Hirngespinst und er hatte sich in seinen Träumen oder Visionen selbst gesehen? In der Gestalt eines Wolfes - eine Projektion seines Unterbewusstseins auf die mehrmalige Begegnung mit den Wölfen?
Alles in Godwin wehrte sich gegen diesen Gedanken. Richwin war kein Geschöpf von dieser Welt, er konnte die Gestalt eines Raben annehmen, ebenso wie seine elf wölfischen Begleiter.
Ja, es waren zwölf Wölfe, die Godwin und seinen Gefährten immer wieder den Weg gewiesen und dazu beigetragen hatten, dass die Stammesführer das Bündnis eingingen und sich zum gemeinsamen Kampf gegen die Heboniter entschlossen. Godwin überlegte, ob diese Zahl eine besondere Bedeutung haben konnte, fand aber keine Antwort.
Er jedoch, Godwin, war ein Geschöpf von dieser Welt. Darum konnte es zwischen ihm und Richwin keine Identität geben. Und es war eine sehr reale Welt, in der sich Godwin bewegte, eine Welt, in der alles einer Polarität, einer Dualität unterlag, in der es nichts ohne Gegenteil gab; schön und hässlich, Tag und Nacht, groß und klein, gut und schlecht …
Das Schlechte erwartete ihn in der Heimat. Es hatte den Namen Egmont, und das Schlechte wollte seinen Tod.
Da waren aber auch die Schakale, die den Wolf zerrissen haben. Sein Traum war dem Landogars ausgesprochen ähnlich. Doch in seinem Traum waren es die Stammesfürsten und –führer, die über ihn herfielen, um ihn zu töten. Waren sie die Schakale?
Er, Godwin, hatte in Landogars Traum den Wolf versinnbildlicht. Aber er war nicht Richwin.
Godwin fürchtete sich vor der Ankunft in der Heimat.
Landogar der ihn immer wieder verstohlen beobachtete, sagte nach mehreren Tagen, in denen sich Godwin völlig in sich zurückgezogen hatte, als sie Abends am Feuer saßen und einen Hasen brieten, den sie am Nachmittag erjagt hatten: „Du wirst von großen Sorgen regelrecht zerfressen, mein Freund. Und ich kann mir denken, was dir so sehr zu schaffen macht. Es ist die Befürchtung, in der Heimat eine große Zahl von Feinden vorzufinden und noch einmal das Schwert in die Hand nehmen zu müssen, um deine legitimen Ansprüche durchzusetzen.“
„Und es wird Harierblut sein, das ich vergießen muss“, murmelte Godwin bedrückt. „Man wird mir allerdings keine andere Wahl lassen, denn es gibt für mich keinen Grund, der mich veranlassen könnte, über die verbrecherischen Machenschaften Egmonts hinwegzusehen.“
„Ich werde an deiner Seite kämpfen“, versprach Landogar, „selbst wenn ich mit meinem eigenen Leben für meine Treue bezahlen müsste.“
„Auch mit mir kannst du rechnen“, versicherte Mutbrecht.
„Danke. Ich weiß, dass ihr mich niemals im Stich lassen werdet, dass ich mich immer auf euch verlassen kann.“
Am folgenden Tag zogen sie weiter. Ein Tag reihte sich an den anderen, der Sommer hielt Einzug, das Wetter war wechselhaft; mal regnete es, dann schien wieder die Sonne, andere Tage waren nur grau und diesig. Auf den Wiesen blühten die Blumen, die Bäume hatten sich zu ihrer vollen grünen Pracht entfaltet, in den Büschen summten Bienen und Hummeln, Schmetterlinge flatterten im Sonnenschein.
Es war an einem Nachmittag, als das Gehöft Bernulfs, des Vaters von Landogar, in einer Senke zwischen bewaldeten Hügeln vor ihnen auftauchte.
„Endlich!“, stieß Landogar hervor. „Ich kann es kaum erwarten, meine Eltern und meine Geschwister in die Arme schließen zu können. Hoffentlich geht es allen gut.“
Godwin hatte kein gutes Gefühl. Von Iwo, einem der Verfolger, die ihm sein Vater damals nach seiner Flucht aus dem Dorf hinterherschickte und der - wie auch seine Begleiter - Richwin und seinen Wölfen zum Opfer fiel, hatten Godwin und seine Gefährten erfahren, dass Fürst Arnold dem Vater Landogars ziemlich übel mitspielte, ihm aus ihm das Ziel Godwins herauszupressen.
Er, Godwin, verspürte deswegen Schuldgefühle, und sie bereiteten ihm großes Unbehagen.
Der Hof vermittelte Beschaulichkeit. In zwei Pferchen weideten einige Ziegen und Schafe, auf einer Koppel standen zwei Kühe und rupften Gras. Die drei Freunde hatten angehalten und ließen alles, was sich ihren Blicken bot, auf sich wirken, sie nahmen alles in sich auf und schließlich sagte Landogar: „Lass uns hinüberreiten.“
Sie trieben die Pferde an. Aus den Ställen, Schuppen und Scheunen kamen einige Knechte und Mägde, die auf die drei Reiter aufmerksam geworden waren, aus dem großen Wohnhaus traten eine Frau um die vierzig sowie drei Kinder, von denen das Älteste fünfzehn Jahre als sein mochte; es war ein Mädchen mit blonden Zöpfen.
„Das ist Landogar!“, stieg es plötzlich voll Überraschung, gemischt mit überwältigender Freude, aus der Kehle des Mädchens. „Bei den Göttern …“
Landogars Schwester rannte los. Landogar sprang vom Pferd und breitete die Arme aus. Gismara, so hieß das Mädchen, flog regelrecht an die Brust ihres großen Bruders, weinte und lachte, küsste ihn und war außer sich.
Landogars Mutter und die beiden anderen Kinder näherten sich, auch die Knechte und Mägde kamen heran. Mit sanfter Gewalt befreite sich Landogar von Gismara, um seine Mutter und seine beiden jüngsten Geschwister zu begrüßen.
Godwin verspürte eine seltsame Betretenheit, die er sich nicht so richtig zu erklären vermochte. Sein Pferd tänzelte auf der Stelle, als wäre der Funke seiner Unruhe auf das Tier übergesprungen, und er hatte keine andere Wahl, als ihm mit einem harten Schenkeldruck die Luft aus den Lungen zu pressen und es so zum Stillstehen zu zwingen.