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Sigrid Damm erzählt die aufregende, an Widersprüchen, Höhen und Tiefen, persönlichen und politischen Wechselfällen reiche Geschichte der über fünfzigjährigen Freundschaft zwischen Goethe und dem Weimarer Herzog Carl August.
Vom 15. Juni an, dem Tag, als Goethe die Nachricht vom Tod des Freundes erhält, wird in Rückblenden die Lebenszeit der beiden durchwandert. Goethe spricht von ihrer innigsten Seelenverbindung.
Doch es kommt immer wieder auch zu Differenzen, vor allem politischen. Carl August, der Napoleon-Hasser; Goethe, der Napoleon-Bewunderer und von dem Franzosen hofiert. Goethes Skepsis gegenüber den liberalen Bestrebungen seines Fürsten, vor allem im Hinblick auf die Preßfreiheit; von Preßfrechheit spricht er da. Während der Demagogenverfolgung in der düsteren Zeit der Restauration, als Carl August unter der Einschränkung seines Handlungsspielraums leidet, bekundet Goethe jedoch offen Solidarität mit ihm.
Das Buch erzählt – wie stets bei Sigrid Damm auf der Grundlage akribischer Recherchen erarbeitet – von einer einzigartigen lebenslangen Freundschaft zwischen zwei an Beruf und Berufung, an Temperament, Ausstrahlungskraft und Charakter so unterschiedlichen Menschen, einem schöpferischen und einem Tatmenschen, einem Dichter und einem Politiker; von einer Freundschaft, die für die deutsche Literatur folgenreich war, indem Carl August Goethe den Raum zur Schaffung seines großen Werkes gab; ohne seine Existenz würden wir nicht von Weimar als dem Ort der deutschen Klassik sprechen.
»… Er war mir August und Mäcen. Niemand braucht ich zu danken als ihm …« (Goethe über Carl August)
»… der Mich ... in allen Wechselfällen des Lebens begleitet hat ... dessen umsichtigem Rath, dessen lebendiger Theilnahme und stets wohlgefälligen Dienstleistungen Ich den glücklichen Erfolg der wichtigsten Unternehmungen verdanke.« (Carl August über Goethe)
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Seitenzahl: 355
Sigrid Damm
Goethe und Carl August
Wechselfälle einer Freundschaft
Insel Verlag
Für H. J. W.
Das Jahr 1828. Der 15. Juni. Thüringen. Weimar. Das Haus am Frauenplan. Johann Wolfgang von Goethe ist im neunundsiebzigsten Lebensjahr. Er hat, wie fast täglich, zum Mittag Gäste geladen. An diesem Tag sind es der Bibliothekar Weller aus Jena mit seiner Frau, der Rat Töpfer und der junge Eckermann. Auch Goethes Sohn August ist anwesend. Man speist ausgiebig. Die Küche am Frauenplan ist berühmt. Darüber hinaus hat der Hausherr an diesem Tag eine Überraschung für seine Besucher: Aus Tirol sind Musikanten gekommen, die Brüder Franz, Balthasar und Anton Leo. Sie erfreuen die Gäste mit ihrem Spiel, ihren Liedern. Goethes Tagebuch vermerkt: die Tyroler sangen bey Tische.
Eine heiter gesellige Atmosphäre an diesem Sommertag 1828 im Hause Goethe. Überraschend wird Sohn August von einem Diener in einer äußerst dringlichen Angelegenheit hinausgerufen. Draußen erwartet ihn ein Vertreter der Regierung, es ist Kanzler von Müller. Kaum der Rede mächtig, überbringt er die Nachricht, der Großherzog Carl August sei tot. Am Abend zuvor sei er, sich auf der Rückreise von Berlin nach Weimar befindend, auf Schloß Graditz bei Torgau verstorben.
In Goethes Tagebuch daraufhin der lapidare und seltsame Eintrag: Die Nachricht vom Tode des Herzogs störte das Fest.
In der Fremde ereilt Carl August der Tod. Es ist der Abend des 14. Juni 1828.
Sein letzter Lebenstag.
Nach einem turbulenten Aufenthalt im preußischen Berlin hat er Abschied genommen. Hat die Rückreise nach Weimar angetreten.
In Wittenberg äußert er den Wunsch, sich die Zuchtpferde des Königlich-Preußischen Hauptgestüts Graditz in der Nähe von Torgau vorführen zu lassen. Seine Leidenschaft für die Jagd, für Pferde, für seine Hunde. Seinem Wunsch wird entsprochen.
Gegen zwölf die Ankunft auf Schloß Graditz, dem Ort, an dem er übernachten will. In seiner Begleitung befinden sich der Leibchirurg Volgstädt, der Hoffourier Werry sowie drei Kammerdiener beziehungsweise Lakaien und der seit langem bei ihm in Dienst stehende Major Friedrich Ernst von Germar; Letzterer zeichnet die Geschehnisse dieses Tages minutiös auf.
Ein kurzes Ausruhen, danach ein Mittagsmahl, gemeinsam mit den Militärpersonen, die ihn empfangen haben. Carl August, von den Berlin-Tagen erschöpft, ist unpäßlich, sein Magen rebelliert, er kann nichts essen, dennoch trinkt er wie immer sein Bier und raucht seine Zigarre.
Dann werden ihm im Hof des Schlosses – er sitzt auf einem dort aufgestellten Sofa – die Rassepferde vorgeführt. Die Herren Stallmeister sowie die sämtlichen Herren Offiziere sitzen im Halbkreis um ihn. Er äußert den Wunsch, auch die Mutterstuten und Fohlen zu sehen. Man fährt auf den zehn Minuten von Graditz gelegenen Weideplatz. Dort beobachtet er die Tiere und erkundigt sich nach den verschiedenen Grassorten, die auf dieser Weide wachsen.
Nach der Rückkehr auf Schloß Graditz lädt Carl August Offiziere zu sich, es wird getrunken, geredet. Die Unterhaltung kreist um militärische Dinge, unter anderem um Friedrich den Großen und seine gewonnene Schlacht bei Torgau im Jahr 1760.
Major Germar macht seinen Herrn auf die einsetzende Abendkühle aufmerksam, und man verabschiedet sich. Das weiträumige Schloß Graditz. Der Weg Carl Augusts nach oben, um in seine Gemächer zu gelangen. Die Stufen der Treppe machen ihm, wie Germar überliefert, große Atemnot, minutenlang ruht er sich auf einem Fenstersims sitzend aus. Dann muß er mehrere große Säle durchqueren. Im ersten angekommen, stützt er sich am geöffneten Fenster ab, atmet äußerst heftig. Im angrenzenden Raum das gleiche, am Fenster stehend ringt er nach Luft. Dann wird sein Atem flach, ein Brustkrampf schüttelt ihn, er verliert die Balance, bricht zusammen. Kammerdiener und Leibchirurg eilen, von Germar gerufen, herbei, man trägt ihn zu seinem Bett, aber jede Hilfe kommt zu spät. Er ist tot.
Die Stunden davor, das Zusammentreffen mit den Offizieren, das Gespräch über die vom alten Fritz gewonnene Schlacht. Legt das nahe, daß das preußische Militär bis zuletzt sein Denken einnimmt und für ihn von Wichtigkeit ist?
Dafür spricht, daß er auf der Reise nach Berlin, sowohl auf dem Hin- wie auch auf dem Rückweg, hohe Angehörige der Armee trifft und Wert auf militärische Zeremonien legt. So übernachtet er in Magdeburg – eine seiner ehemaligen militärischen Wirkungsstätten – bei General Jagow. Er läßt sich von den versammelten Offizieren die Pferde vorführen, besichtigt das Gelände, wo einst die Herbstmanöver stattfanden, und die Festung; bei seiner Abfahrt salutiert die Artillerie mit 108 Kanonenschüssen.
Auf der Rückreise empfängt Carl August in Wittenberg als erstes den Kommandanten der Festung und das Offizierkorps der Garnison. Da er die Stadt am nächsten Morgen sehr zeitig verläßt – um fünf Uhr ist er schon ganz reisefertig –, verzichtet er auf Kanonenschüsse. Major von Germar überliefert: Die Begrüßung mit grobem Geschütz hatte sich Se. Königl. Hoheit verbeten.
Auch auf Schloß Graditz wird er vom Militär begrüßt. Hier sind sogar die Namen bekannt. Zum Empfang Seiner Königlichen Hoheit waren der Ober-Stallmeister von Knobelsdorf, der Landstallmeister von Zirkel, der Obrist Schleier, 2ter Kommandant von Torgau, Major von Bojanowski und einige andere Offiziere der Garnison von Torgau anwesend.
Das Kriegsspiel sitze ihm wie eine Art Krätze unter der Haut, schreibt Goethe am 2. April 1785 ärgerlich an Carl Ludwig von Knebel. Da ist Carl August siebenundzwanzig Jahre und liebäugelt mit einer Militärkarriere in preußischen Diensten. Das Haupt des Weimarer Musenhofs als preußischer Söldner?
Die militärischen Neigungen des jungen Fürsten. Bereits 1787 trägt er den Titel eines preußischen Generalmajors, nimmt ohne Befehlsgewalt am Feldzug in Holland teil; das Kommando hat Carl Augusts Onkel Ferdinand von Braunschweig. Im Februar 1788 dann erhält er eine Führungsstelle im preußischen Heer, das Altpreußische Kürassierregiment K 6 in Aschersleben wird ihm unterstellt. Später hat er noch eine weitere Pflicht: Er leitet die Magdeburger Kavallerie-Inspektion. Das Befehlen und Exerzieren gefällt ihm. Bereits am 27. April 1788 schreibt er aus Aschersleben an den ersten Kirchenmann seines Herzogtums, an Johann Gottfried Herder, nach Weimar: Ich bin hier sehr zufrieden; das kentaurische Leben die eine Hälfte des Tages, das menschliche die andere Hälfte hindurch amalgamieren sich so artig bei mir, daß ich wirklich Wohlsein empfinde … Er spricht vom neuen Stand und daß der ihm spät gewährt worden sei: Ich handle jetzt mit Ruhe und genieße ohne Hetze, was aus meinem Soldatenhandwerk in meine Existenz paßt.
Carl August findet Gefallen an dieser Existenzform als General zwischen Sattel und Repräsentation. Er sieht den Heeresdienst für die Entwicklung seiner Persönlichkeit als unabdingbar und förderlich an. An anderer Stelle heißt es: Ohne Krieg und ohne Exerzierzeit wird mein Blut zu dick. Und seinem Sohn schärft er ein: Das Kriegshandwerk ist edel, insofern der Mensch dabei alle Leibes- und Seelenkräfte zu einem hohen Zweck anstrengt.
Bis ins Alter hinein dient Carl August – mit Unterbrechungen – in der Preußischen Armee. Er ist sechsundfünfzig Jahre, als er am 24. November 1813 – kurz nach der Völkerschlacht bei Leipzig – den Oberbefehl über das III. Armee-Korps in Belgien übernimmt. Er hat die von Frankreich besetzten Festungen Antwerpen, Maizières bei Metz und Montmédy in Schach zu halten und damit das Vorgehen der Hauptkräfte der Alliierten auf Paris abzudecken. Da schreibt er: dieser Feldzug erscheint mir wirklich wie ein Abenteuer, und – zu meiner Schande seis gesagt – es macht mir Spaß. Es bleibt dabei: Ohne Krieg und Exerzierzeit wird mein Blut zu dick.
Goethes Beobachtung des Siebenundzwanzigjährigen: Das Kriegsspiel sitze ihm wie eine Art Krätze unter der Haut – die Äußerung des Sechsundfünfzigjährigen. Schließt sich hier ein Kreis?
Und so scheint es auch folgerichtig, daß Carl Augusts allerletzte Einladung preußischen Offizieren gilt und das Gespräch sich um militärische Fragen dreht.
Carl Augusts Tod in der Fremde. Auf einer Reise. Was hat ihn überhaupt zu dieser Reise bewogen? Berlin ist sein Ziel, die preußische Hauptstadt. Die familiären Bindungen, die zum dortigen Herrscherhaus bestehen. Der einstige König Friedrich II. war sein Großonkel. Der Thronfolger, seit 1786 als Friedrich Wilhelm II. König, sein Schwager. Friederike, dessen Frau, und Carl Augusts Frau Louise sind Schwestern.
Beide Herrscher sind bereits tot. Friedrich der Große ist 1786 verstorben, Friedrich Wilhelm II. 1797. Lang ist es her. Nun erneut verwandtschaftliche Bindungen zwischen Weimar und Berlin. Es ist Carl Augusts Enkelin Marie, durch die sie zustande kommen. Und sie ist es, die ihn zu dieser Reise veranlaßt. Seit einem Jahr ist sie mit dem preußischen Prinzen Karl verheiratet. Am 20. März 1828 hat sie einem Sohn das Leben geschenkt. Es ist Carl Augusts erster Urenkel. Diesen Winzling namens Friedrich Karl Nikolaus will der Urgroßvater besichtigen.
Goethe bestärkt ihn in seinem Reiseplan. Der Anblick eines neuen Sprößlings des höchsten Hauses, entgegnet er dem Freund, wird gewiß auch die Zufriedenheit fördern … Unwillkürlich fragt man sich, ist er unzufrieden und womit? Goethe fährt sibyllinisch fort: … die Zufriedenheit an demjenigen, was um Höchstdieselben im nächsten Kreis lebt und was sie darin gewirkt haben und wirken. Es ist also Carl Augusts unmittelbare Situation in Weimar, die ihn unzufrieden sein läßt. Details werden nicht genannt.
Die Reise ein Ausbruch aus der Unzufriedenheit? … den Abstecher nach Berlin, so der Regent, wolle er unternehmen um alles dorten Neuentstandene und Hinzugekommene zu beleuchten. Auch da ist Goethe sogleich mit einer Empfehlung zur Stelle. Er macht den Freund auf die jüngsten Errungenschaften in Kunst und Technik aufmerksam. So solle er die Granitarbeiten des Bauinspectors Cantian besehen, jene riesige Schale, deren Durchmesser zweyundzwanzig Fuß betrage, wie Goethe bewundernd schreibt. Er regt die Bestellung von Tischplatten aus diesem Granit für Weimar an; sie seien als größte Zierde fürstlicher Schlösser anzusehen. Weiterhin weist er den Großherzog auf die Berliner Gewerbeschule hin, die unter Leitung des Geh.-Ober-Regierungs-Rath Beuth – so Goethe – unglaubliche Dinge leistet.
Carl Augusts Neugier auf die große Welt? Und zugleich ein Abschied von ihr? Auch davon ist die Rede. Am 15. Mai schreibt der Herzog an Goethe, den Abstecher nach Berlin werde er machen und so zu sagen, von der Außenwelt bey dieser Gelegenheit Abschied nehmen.
Auf diese Aussage des Freundes geht Goethe nicht ein.
Was meint der Herzog mit Abschied nehmen? Ist es eine dunkle Vorahnung?
Überliefert ist, daß es mit Carl Augusts Gesundheit nicht zum besten steht. In seinen Briefen an Goethe ist immer wieder davon die Rede. 1801 von fatale<n> Krämpfen und Gichtanfällen, 1810, daß er in der linken Seite, zwischen Rippen und Hüfte … unausstehliche Schmerzen habe. 1816 entgegnet er dem Freund: was Dich im Arme plagt zwickt mich in der Hüfte. Aber er gibt seine Eßgewohnheiten nicht auf. Seit vielen Jahren hat er mit Übergewicht zu kämpfen. Schlafstörungen und Kreislaufbeschwerden quälen ihn. Am 2. April 1825 klagt er: Mit meiner sehr wacklichen Leibeshütte kann ich noch immer nicht zurechte kommen, es knackt da und dorten, ohne daß man gleich das rechte Fleck treffen konnte.
In Briefen an die Enkelin Augusta wird sein kritischer Zustand vor der Berlin-Reise deutlich. Diese Augusta, 1811 geboren, ist sein Liebling. Sie ist, wie die in Berlin lebende Marie, eine Tochter von Carl Augusts erstgeborenem Sohn Carl Friedrich und dessen Frau Maria Pawlowna, der Schwester des russischen Zaren Alexander I.
Zu Augusta hat der Großvater eine besonders innige Beziehung, wie eine Reihe zauberhafter Briefe aus den Jahren 1824 bis 1828 bezeugen. Bereits 1820 erhält die Neunjährige sein Bildnis. Am 1. Oktober schreibt Carl August an Goethe: Der kleinen Auguste habe ich gestern die silberne Medaille mit meinem Bilde gegeben.
Augusta teilt offenbar die Tierliebe des Großvaters, vor allem seine Liebe zu Hunden, mit denen er sich stets umgibt. Während die Herzogin Hunde nicht leiden und sein Freund Goethe ein ausgesprochener Hundehasser ist, kann er der Enkelin seinen Kummer über den Tod seiner Vierbeiner mitteilen. Da heißt es zum Beispiel am 7. Januar 1827: Leider kann ich Dir auf Deinen lieben Brief keine fröhliche Nachricht erwidern. Ami – ist nicht mehr. Ihn überfiel vor etlichen Tagen die Hundswut; er biß Försters Hühnerhund, auch dieser wurde sogleich toll. Beide, da sie gefährlich krank waren, wurden erschossen und ruhen nun beide im Garten in der kühlen Erde. Später ist die Rede von zwei sehr hübsche<n> – wohl neu angeschafften – Hühnerhunden. Und: Den Tod meiner alten Venus wirst Du wohl betrauert haben.
Aber auch von Vögeln, vom Gesang einer Nachtigall am Römischen Haus ist die Rede. Und er vertraut Augusta gewichtige Dinge an, so den Besuch König Ludwigs I. von Bayern bei Goethe; … daß er elf Uhr herkam, und ich S. Maj. zu Goethen bringen konnte. Dorten hing der König dem Dichter selbst sein weiß und blaues Ordensband um und beglückwünschte ihn.
Auch ein wenig Hofklatsch enthalten die Schreiben. Und Kleinigkeiten, so solle Augusta ihrer Mutter ausrichten, daß wir eine vortreffliche Suppe von Wildpretbouillon und hinterdrein Karlsruher Zwiebeln zum Rindfleisch gehabt hätten und diese Bissen sehr gut geworden wären.
Besondere Freude machen dem Großvater Augustas selbstgefertigte Geschenke. So bedankt er sich für die schöne Tasche … die Du mir gemacht hast! Sie erfüllt so ganz meine Kriegsbedürfnisse, und dabei ist sie mir ein sehr schätzbares Zeichen Deiner Freundschaft für mich.
Wenige Tage nach seinem siebzigsten Geburtstag, den er am 3. September 1827 begeht, dankt er der Enkelin für alle guten Wünsche, die Du an diesen Tag für mich hast machen wollen. Ach, wenn nur nicht so viele Rückerinnerungen an einem solchen Tage sich des Geburtstagsmannes bemächtigten! Aus der Vergangenheit erinnert man sich hauptsächlich dessen, was man nicht hätte tun sollen, und dessen, was man zu tun unterlassen hat. Die Zukunft wird mit dem hohen Alter immer trüber, und der Trost, daß es noch schlechter damit sein könnte, ein trauriges Festtagsbukett.
Die Klage des Siebzigjährigen über die Zukunft. Eine Klage, bei der wohl unterschwellig die Zunahme der körperlichen Beschwerden eine Rolle spielt.
Das Wort vom Abschied nehmen im Brief an Goethe ein Jahr später, unmittelbar geschrieben vor Reisebeginn. Auch sein Liebling, die Enkelin Augusta, erhält in diesen Tagen einen Brief. Darin schreibt der Herzog offen über seinen schlechten Gesundheitszustand. Augusta ist nicht in Weimar, sie befindet sich mit ihren Eltern auf einer Reise zu Verwandten nach Rußland, nach Petersburg an den Zarenhof. Am 22. Mai 1828 – es ist Carl Augusts letzter Brief an Augusta wie auch einer seiner letzten überhaupt – gesteht er: Ich wollte zu Ende der Woche nach Berlin reisen, ich muß aber diese Partie auf acht Tage hinausschieben; … ich bin gar nicht wohl, leide sehr an den Eingeweiden und verliere den Odem.
Vom Verschieben der Reise wegen Unwohlseins ist auch in Carl Augusts Briefen an Goethe die Rede.
Am 26. Mai trägt dieser in sein Tagebuch ein: Serenissimus kamen und sprachen von Ihrer vorhabenden Berliner Reise.
Der Besuch des Freundes am Frauenplan. Goethe hat wenig Zeit. Er ist abgelenkt, ist mit den Gedanken woanders.
Einen Tag zuvor – es ist der Pfingstsonntag – ist der Münchner Hofmaler Joseph Karl Stieler in Weimar eingetroffen. Im Auftrag König Ludwigs I. von Bayern reist er an, mit einem Brief an Goethe im Gepäck. … ein wohlgetroffenes Bildnis des Königs der Teutschen Dichter zu besitzen, schreibt Ludwig I., ist ein von mir lang gehegter Wunsch, … darum allein schicke ich meinen Hofmaler Stieler nach Weimar.
Goethe fühlt sich äußerst geschmeichelt. Er steht dem Abgesandten des bayerischen Königs sofort zu Diensten. Noch am selben Tag wird im Haus am Frauenplan das Deckenzimmer geräumt, um dem Hofmaler Arbeitsmöglichkeit zu schaffen. Goethe ist ganz konzentriert, sagt sogar – König gegen Großfürstin – einen Besuch bei Herzogin Louise ab, entschuldigt sich am Pfingstmontag, ihr am nächsten Tag nicht aufwarten zu können. Der königlich bayerische Hofmaler Stieler nimmt meine Stunden in Beschlag zu einem Geschäft, das nicht unterbrochen werden darf und wozu ich auf alle Weise förderlich zu seyn verpflichtet bin.
Es ist der Tag, an dem Carl August ins Haus am Frauenplan kommt und von seiner vorhabenden Berliner Reise spricht. Einen Tag später, am 27. Mai, beginnt der Maler mit dem Porträt des Königs der Teutschen Dichter. Goethes Tagebuch: Herr Stieler richtete sich ein und mischte seine Farben. Um 10 Uhr fing Herr Stieler an zu malen, es dauerte bis Eins …
Für diesen Tag hat Serenissimus seinen Besuch am Frauenplan angekündigt. Großherzog erwartend bis Abend 7 Uhr, vermerkt das Tagebuch. Aber Carl August kommt nicht. Weiß er, daß Goethe abgelenkt, ein Gespräch unter vier Augen kaum möglich ist?
So bleibt er mit seinen Gedanken allein, sie beschäftigen sich an diesem Tag intensiv mit seinem alten Freund. Wir wissen es von Kanzler Müller, dem der Herzog in einem langen Gespräch unter vier Augen vieles anvertraut, was nach Müllers akribischen Aufzeichnungen wie eine Bilanz seines Verhältnisses zu Goethe erscheint. Tausend Erinnerungen früher Tage in bezug auf Goethe wachten in ihm auf, überliefert Müller. Carl August spricht über die Werther-Zeit und Goethes Generosität gegen junge Talente. Vor allem aber resümiert er dessen Verhältnis zu Frauen. Er behauptet, er habe stets zu viel in die Weiber gelegt, seine eigenen Ideen in ihnen geliebt, eigentlich große Leidenschaft nicht empfunden. In diesem Zusammenhang fällt er auch seine Urteile über Charlotte von Stein und Christiane von Goethe. Über erstere heißt es abfällig, sie sei eine recht gute Frau gewesen, aber eben kein großes Licht. Über letztere: Die Vulpius habe alles verdorben, ihn der Gesellschaft entfremdet. Auch für Goethes Schwierigkeiten mit Carl Augusts Zweitfrau – sie führen zu dessen äußerst kränkender Entlassung als Theaterdirektor – macht er Christiane verantwortlich; der Frau wegen sei dieser mit Karoline Jagemann, später Freifrau von Heygendorff zerfallen.
Dann spricht er davon, die Produktionen des Freundes zuweilen scharf kritisiert zu haben, den Groß-Cophta besonders. Und behauptet, mit dem Tod von Schiller habe Goethe den sichern Halt für lange verloren. Über die Jenaer Romantiker heißt es kritisch, die hätten die Köpfe gar zu hoch getragen. Die Französische Revolution habe sie alle mehr oder weniger verschoben, selbst Goethe sei von ihrem Einfluß nicht ganz frei geblieben …
Das Bedürfnis Carl Augusts, ihm wichtige Stationen seines Verhältnisses zu dem Freund zu überblicken und zugleich zu beurteilen. Ein Resümee? Ein Abschied? Ein langer Monolog, dessen Adressat Kanzler Müller wohl mehr oder weniger zufällig ist; gegen ein bis drei Uhr weilt der Fürst bei ihm, Müller fühlt sich gewiß geschmeichelt durch das Vertrauen, die Offenheit; so viel innre Ruhe in Überblickung einer höchst bewegten Vergangenheit, notiert er bewundernd.
Goethe wartet – wie gesagt – an diesem 27. Mai bis Abend 7 Uhr vergeblich auf Carl August.
Am Vormittag des nächsten Tages aber erscheint der Fürst im Haus am Frauenplan. Wieder ist Goethe nicht allein. Stieler arbeitet schon am Porträt. Die Sitzung wird unterbrochen. Gemälde werden betrachtet, unter anderem ein von Carl Joseph Begas geschaffenes Brustbild von Zelter, wie Goethe diesem einen Tag später schreibt: beym Weggehen stand er – Carl August – mit Herrn Stieler vor deinem Bilde. Der Großherzog ist unter Zeitdruck, die Begegnung verläuft wohl eher nüchtern, wie Goethes Tagebucheintrag vermuten läßt: Kamen Serenissimus und besprachen sich über manches. Nahmen Abschied nach Berlin gehend. Dieses merkwürdige besprachen sich. Wieder wie gestern Müller gegenüber ein Monolog? Nur jetzt in aller Kürze nicht die Freundschaft zu Goethe bilanzierend, sondern vermutlich über seine Vorhaben in Berlin sprechend.
Goethe hält es nicht für nötig, dieses manches im Tagebuch zu präzisieren. Im nachhinein wünscht man sich das, denn diese Begegnung ist das allerletzte Zusammensein der beiden Freunde, es ist ein Abschied für immer.
Am nächsten Morgen – es ist der 29. Mai 1828 – Viertel nach fünf verläßt Carl August Weimar.
Die Reise nach Berlin. Über Halle, Magdeburg und Genthin geht es zunächst bis Potsdam. Dort wird Carl August am 31. Mai von seinem am preußischen Hof dienenden Freund General Friedrich Carl Ferdinand von Müffling und vom Kammerherrn Alexander von Humboldt empfangen. Am Folgetag führt Carl Augusts erster Weg zu seinem Urenkel, dem neuen Sprößling des höchsten Hauses.
Im Brief an Augusta heißt es, ich werde Deine Schwester in Glienicke überfalle<n>. Über die Besichtigung des Kindes im Potsdam nahe gelegenen Schloß Glienicke, wo das junge Paar seinen Sommersitz hat, gibt es keinen Beleg.
Stellen wir uns also vor: Carl August auf dem Weg nach Glienicke. Sein Eintreten ins Haus, die Begrüßung durch Prinzessin Marie und ihren Gemahl Prinz Karl. Dann das Neugeborene, kaum ein Vierteljahr alt. Friedrich Karl Nikolaus schläft. Man läßt ihn mit dem Kind allein. Die Stille im Raum. Carl Augusts Verlegenheit. Er weiß nicht, was er tun soll. Steht auf. Setzt sich wieder.
Vielleicht führt der Anblick des Urenkels ihn in seine eigene Kindheit zurück. Keine acht Monate war er, als sein Erzeuger starb. Ohne Vater ist er groß geworden.
Dessen Leben verlischt mit zwanzig Jahren. Ein blasses, fast tragisches Leben war seinem Vater beschieden, diesem Ernst August II. Constantin (1737-1758). Auch er wiederum ist ohne die Zuwendung seines leiblichen Vaters aufgewachsen.
Carl Augusts Großvater Ernst August I. (1688-1748) war zunächst Mitregent, dann fast zwanzig Jahre despotisch Alleinregierender. Er ist ein militärischer Narr und in das Exerzieren seiner Soldaten verliebt. So läßt er, als er das Dornburger Rokokoschloß hoch über der Saale in Auftrag gibt, mit großem finanziellen Aufwand auf einem davorliegenden Bergsporn ein Fünfeck bauen. Von dort aus will er Heerschau halten, seine Truppen unten im Saaletal aufmarschieren lassen. Sein Vorbild ist König August der Starke, dessen 1730 stattgefundenes Zeithainer Lustlager, die damals größte Truppenschau in Europa. Dem will er nacheifern.
Dazu aber kommt es nicht. Der Regent lebt in allem über seine Verhältnisse, er ist bauwütig, launisch und verschwenderisch. Bei seinem Tod hinterläßt er Schulden von 360 000 Reichstalern; allein Schloß Belvedere hat eine Viertelmillion verschlungen.
Spät, mit fünfzig Jahren, hat er seinen einzigen männlichen Erben gezeugt, ebenjenen Ernst August II. Constantin, den Vater von Carl August. Mit sechzig stirbt der Regent, sein Sohn ist zehn, er ist fern vom Vater aufgewachsen. Als Thronfolger hat er die Aufgabe, den Fortbestand des Landes zu sichern. Dazu ist eine schnelle Heirat und das Zeugen eines Erben notwendig.
Die Jahre vergehen. Die Zeit drängt. Graf Bünau, der erste Minister, wendet sich an Kaiser Franz I. mit der Bitte, daß der Prinz bereits mit achtzehn Regent werden kann. Am 18. Dezember 1755 erklärt der Kaiser ihn für volljährig.
Eine Frau wird für ihn gesucht, die Wahl fällt auf die Prinzessin Anna Amalia, die Tochter Carls I. von Braunschweig-Wolfenbüttel. Die Hochzeit findet statt, am 24. März 1756 zieht das junge Paar in Weimar ein. Sie ist sechzehn, er achtzehn.
Bereits am 3. September 1757 feiern die beiden die Geburt eines Sohnes, des erwünschten Thronfolgers. Sie geben ihm den Namen Carl August. Dann, am 28. Mai 1758, der Tod des jungen Regenten. Die Ursachen dieses Todes sind ungeklärt. Sein Söhnchen ist noch nicht einmal acht Monate alt. Anna Amalia ist erneut schwanger, am 8. September 1758 bringt sie ihr zweites Kind, Constantin, zur Welt.
Ihre schwierige Lage. Die junge Witwe ist noch nicht mündig und somit kaum handlungsfähig. Zwei Testamente sind vorhanden. Das eine von Minister Bünau intendiert. Das zweite, später verfaßt, hat der Leibchirurg und Kammerherr nach dem Diktat des nunmehr Verstorbenen niedergeschrieben. Während im ersten Testament Anna Amalia in den Stand eines »Mündels« versetzt werden soll, bestimmt das zweite Testament, das wohl eher den Willen des jungen Gatten dokumentiert, seine Frau solle nach seinem Tod sofort um die »Venia aetatis«, die vorzeitige Volljährigkeit, für sich selbst und um die Obervormundschaft und damit die Regentschaft ersuchen.
Anna Amalia wendet sich an Kaiser Franz I. Und bereits am 1. August 1758 erhält sie die Vormundschaft. Aber gegen ihre Regentschaft erhebt der Kaiser Einwände, die Erbansprüche Sachsen-Gothas bedürften erst einer eingehenden Prüfung. Von ihren Eltern unterstützt, kämpft Anna Amalia. Weitere Schreiben nach Wien folgen. Mehr als ein Jahr vergeht.
Am 9. Juli 1759 dann wird die junge Frau als Vormund ihrer Söhne und als Vormundschaftsregentin anerkannt. Am 30. August 1759 beginnt ihre Zeit als Herrscherin in Weimar, siebzehn Jahre wird sie die Geschicke des Landes bestimmen, wird ihre Regentschaft dauern.
Die Bewunderung Carl Augusts für seine Mutter. Aber auch das schwierige Verhältnis zu ihr, kommt ihm – vielleicht – jetzt beim Anblick seines Urenkels in den Sinn.
Sein Aufbegehren schon von klein auf. Vor allem gegen die weiblichen Betreuerinnen. Aber auch die Lehrer, die seine Mutter mit großer Sorgfalt aussucht, haben es nicht leicht. So Johann Wilhelm Seidler und Johann Eustach Graf von Görtz.
Ein Gemälde zeigt den Vierjährigen in Rüstung mit Helm und Speer. Zeitgeschmack oder frühe Orientierung auf das Militär? Das Erbe seines Großvaters? Als Carl August fünf Jahre ist, weiß er, daß er einmal regieren wird. Als Sechsjähriger hat er 1763 zur Eröffnung und zum Abschluß des Landtages zu reden; er trägt Auswendiggelerntes vor, das er nicht versteht. Den Zwölfjährigen zeigt ein 1769 entstandenes Gemälde von Johann Georg Ziesenis. Mit allen Insignien seiner zukünftigen Macht ist er darauf zu sehen: in pelzbesetzter Galakleidung, mit Perücke und mit dem Adler- und Falken-Orden. Ein Knabenbildnis, auf das er, wie auf das Ölgemälde von 1761 von unbekannter Hand, keinen Einfluß hatte.
Nie wieder hat er sich mit diesem Pomp abbilden lassen. Er liebte die übertriebene Repräsentation nicht, was wohl auch mit seinen zunehmend liberalen und freiheitlichen Ideen zusammenhing. Erst nach seinem Tod, im Juli 1828, bei seiner Aufbahrung im Weimarer Schloß kommen all diese Kennzeichen seiner Herrschergewalt wieder zum Einsatz.
Als Carl August dreizehn ist, reist seine Mutter im Mai 1771 mit ihm und dem jüngeren Bruder zu ihren Eltern. Auf Schloß Salzdahlum bei Braunschweig wird er König Friedrich II. von Preußen vorgestellt. Dieser soll über seinen Großneffen gesagt haben, er habe noch nie einen jungen Mann dieses Alters gesehen, der zu so großen Hoffnungen berechtige.
Die zunehmenden Konflikte zwischen Mutter und Sohn. Eine gewisse Entspannung tritt ein, als Anna Amalia den Dichter Christoph Martin Wieland als Prinzenerzieher gewinnt. Das ist ihrerseits ein durchaus mutiger Schritt, denn Wielands Roman »Musarion, oder die Philosophie der Grazien«, die Geschichte einer Hetäre, ist von der Zensur des katholischen Österreichs und von der protestantisch-bigotten Schweiz auf den Index gesetzt.
Wieland verlangt statt der gebotenen 900 Taler 1000 und bei Volljährigkeit des Prinzen eine lebenslange Pension. Anna Amalia gewährt ihm beides. Seine Berufung legt den Grund zum Weimarer Musenhof. Mit den Jahre später in die Stadt kommenden Johann Wolfgang Goethe und Johann Gottfried Herder entsteht das, was man bis heute weltweit das klassische Weimar nennt.
Fünfzehn ist sein Zögling, als Wieland am 17. Juli 1773 seine Stelle antritt. Seine Methoden sind moderat, er läßt die Zügel locker, vertritt kein starres Disziplinieren, das gefällt dem Prinzen und seinem Bruder, und – wie gesagt – die Lage entspannt sich.
Im Verhältnis zur Regentin aber ist das Gegenteil der Fall. Immer öfter bäumt sich der Sohn gegen sie auf, im November 1773 kommt es zu einem heftigen Streit zwischen dem Sechzehnjährigen und seiner Mutter. Anna Amalia ist zudem eifersüchtig, sie glaubt, daß die Männer patriarchalisch gegen sie zusammenhalten. Und Carl August nimmt sich Eigenmächtigkeiten heraus, so besetzt er, um ein Beispiel zu nennen, nach dem Schloßbrand im Mai 1774 ohne zu fragen das Landschaftshaus, richtet sich darin ein.
Nachdem im Oktober 1774 die Regentin auf Anraten ihres Ministers Fritsch den erfahrenen Major Carl Ludwig von Knebel nach Weimar kommen läßt, beauftragt sie ihn, mit beiden Söhnen und ihren Hofmeistern eine Kavalierstour zu unternehmen.
Reisebeginn ist am 8. Dezember 1774. Paris steht auf dem Plan, Frankfurt, Karlsruhe.
Die erste Station ist Frankfurt am Main. Knebel ist es wohl, der ein Treffen mit Goethe wünscht und herbeiführt. Er erscheint in Goethes Elternhaus am Hirschgraben mit der Bitte, dem siebzehnjährigen Prinzen Carl August und dessen jüngerem Bruder Constantin sowie Graf Görtz, dem Erzieher des Thronfolgers, als auch ihm, als Erzieher Constantins, eine Zusammenkunft zu gewähren. Im »Roten Haus« sind die Gäste aus dem thüringischen Weimar abgestiegen, sie befinden sich auf der Durchreise.
Goethe eilt mit Knebel dorthin. Und jene legendäre erste Begegnung zwischen künftigem Herrscher und Dichter findet statt. Den Prinzen treibt wohl eher die Neugier, den Autor zu sehen, der gerade mit seinem Roman »Die Leiden des jungen Werther« einen beispiellosen Erfolg hatte und über Nacht berühmt geworden ist.
Goethe dagegen setzt erinnernd die Akzente anders. Beim Eintreten in die Unterkunft der hohen Gäste, berichtet er in »Dichtung und Wahrheit«, hätten Mösers »Patriotische Phantasien« 1. Teil frisch geheftet und unaufgeschnitten auf dem Tisch gelegen. Justus Möser, der Osnabrücker Publizist, Historiker und Staatsmann, wurde von den jungen Stürmern und Drängern außerordentlich geschätzt, vor allem seine »Patriotischen Phantasien« begeisterten. Da ich nun, schreibt Goethe weiter, sie sehr gut, die Gesellschaft sie aber wenig kannte, so hatte ich den Vorteil, davon eine ausführliche Relation liefern zu können.
Als Auftakt ein Vortrag des berühmten Verfassers des »Werther« über Politik? Möser sah die Zersplitterung des Landes in viele kleine Fürstentümer nicht negativ, sondern im Gegenteil als höchst wünschenswert im Hinblick auf die Ausbreitung der Kultur. Sollte das dem künftigen Regenten eines kleinen Landes nicht gefallen? Goethes Darstellung dieser allerersten Begegnung in »Dichtung und Wahrheit« umreißt das Feld politischen Handelns, sowohl für Carl August wie auch – indirekt – für sich selbst.
Das nächste Ziel ist Karlsruhe. Dort trifft Carl August die Braut, die seine Mutter für ihn ausgesucht hat. Es ist Louise Auguste, Prinzessin von Hessen-Darmstadt. Sie hat mehrere Schwestern und alle sind ohne verlockende Mitgift. Die Anstrengung der Mutter, die Töchter unter die Haube zu bringen. Selbst eine weite Reise mit drei ihrer Töchter zur Brautschau nach Sankt Petersburg scheut sie nicht. Die Zarin Katharina sucht für ihren Sohn Paul eine Gemahlin. Die drei werden ihr vorgeführt. Zur ersten sagt sie: c’est un mouton (sie ist ein Schaf), zur zweiten – es ist Louise Auguste – c’est un tête (die hat Köpfchen), zur dritten: ce quil nous faut (das was uns paßt). Sie, die Auserwählte wird im fernen Rußland in ihrem ersten Kindbett sterben.
Die verschmähte, aber mit Lob bedachte Louise: c’est un tête (die hat Köpfchen). Auch Napoleon wird das erkennen, als sie ihm nach der Schlacht von Jena und Auerstädt im Weimarer Schloß mutig entgegentritt. Von Geschlecht ein Weib, von Geist ein Mann, soll er über sie gesagt haben.
Die Begegnung zwischen den beiden in Karlsruhe. Sie sei nicht schön, aber angenehm, wird er seiner Mutter berichten. Ihr Herz scheint nobel, frei und stark, sie gibt sich sehr einfach, wenn man sich mit ihr unterhält.
Die Reise nach Paris. Der Aufenthalt dort wird über zwei Monate dauern. Die Prinzen werden von Melchior Grimm in die Pariser Gesellschaft eingeführt. Besuche bei Diderot, d’Alembert, d’Holbach, bei Marmontel und Raynal stehen auf ihrem Programm. Ebenso Theater- und Konzertbesuche. Und am 7. und 9. Mai wird der künftige junge Regent vom französischen König empfangen. Aber auch in ein erotisches Abenteuer muß sich Carl August gestürzt haben, das wohl nicht ohne Folgen blieb. Stillschweigen darüber. Einzig zu schließen ist es daraus, daß er einer Dame namens Jeanette Brossard, wohnhaft in Epernay, aus seinem privaten Portefeuille zeitlebens einen Jahresbetrag von fünfhundert Franc zahlt.
Auf der Rückreise von Paris macht die Gesellschaft wieder in Karlsruhe halt, die Verlobung des zukünftigen Weimarer Herrschers mit Louise Auguste, der Prinzessin von Hessen-Darmstadt, findet statt.
In Frankfurt begegnen sich dann Goethe und Carl August wieder. Im Sommer die förmliche Einladung an den Dichter, den Prinzen in die thüringische Residenz zu begleiten.
Die Verquickung unglücklicher Umstände, das Ausbleiben des Reisewagens, der Goethe nach Weimar bringen soll; ich richtete mich ein, packte, zog meine Reisekleider an, und blieb sitzen, teilt er Mitte Oktober Knebel mit.
Ungeduld. Vergebliches Warten. Goethes Vater, freier Bürger einer freien Reichsstadt, ist gegen den Fürstenhof; er sei genarrt worden, redet er dem Sohn ein und gibt ihm Geld für eine Reise nach Italien.
Der Entschluß zum Aufbruch. Am 30. Oktober notiert Goethe in sein Tagebuch: Ich packte für Norden und ziehe nach Süden …
In Heidelberg erreicht ihn dann eine herzogliche Stafette, die die Verspätung aufklärt, der Reisewagen steht in Frankfurt bereit, Goethe kehrt um, ändert die Richtung, zieht nun doch nach Norden. Am 3. November geht die Reise mit Herrn von Kalb und seinem Diener Philipp Seidel von Frankfurt über Hanau, Gelnhausen, Salmünster, Steinau, Schlüchtern, Neuhof, Fulda, Hühnfeld, Vacha, Eisenach, Schönau, Mechterstädt, Gotha und Erfurt nach Weimar. Am 7. November 1775morgens um fünf Uhr kommt Goethe in der thüringischen Residenzstadt an.
Am 3. September 1775, seinem achtzehnten Geburtstag, hat Carl August die Regierung angetreten. Kurz darauf reist er nochmals nach Karlsruhe, am 3. Oktober wird die Ehe mit Louise Auguste geschlossen.
Der Weimarer Großherzog im einundsiebzigsten Lebensjahr im Sommer 1828 beim Anblick des kleinen Nachfahren in der dritten Generation in Schloß Glienicke bei Potsdam. Über ein halbes Jahrhundert, genau dreiundfünfzig Jahre sind seither vergangen. Vielleicht wandert er in seinen Gedanken zurück. Sein eigener Vater, so schwach er war, hatte ihn im ersten Jahr seiner Ehe gezeugt.
Und er? Zweieinhalb Jahre vergingen, bis seine Frau erstmals schwanger wurde. Sie gebar ein Töchterchen, das im Alter von fünf Jahren starb. Seine Ungeduld. Endlich dann, nach fast acht Ehejahren, am 2. Februar 1783, ein Sohn. Ein Verewiger, ein Fortpflanzer, ein Endzweck, Erbe, kurzum ein Sohn, jubelte Carl August da. 1785 die Geburt eines weiteren Sohnes; er stirbt nach einer Stunde. 1786 dann die Tochter Caroline Louise, 1792 der Sohn Carl Bernhard. Dann die Generation der Enkelkinder. 1818 der Thronfolger Carl Alexander, 1811 sein Liebling Augusta und drei Jahre zuvor, 1808 Marie, bei der er nun zu Besuch ist, sie hat ihm den ersten Urenkel geschenkt.
Die Stille im Raum. Das Neugeborene – vielleicht – gähnt ausgiebig, schläft weiter.
Fünfundzwanzig Jahre, erinnert sich Carl August, war er, als Carl Friedrich, sein Thronfolger, geboren wurde. Von Anfang an strebt er eine für sein Land günstige Heirat des Sohnes an. Sein Blick geht nach Osten, ins russische Reich. Und tatsächlich gelingt es ihm, 1804 die Ehe seines Sohnes mit der russischen Prinzessin Maria Pawlowna zu arrangieren. Sie ist die Schwester des Zaren Alexander. Für Carl August ebnet sich damit der Weg in eine der ersten europäischen Monarchenfamilien. Sein Stolz darauf. Und ebenso – nach Jahren der Ferne – erneut verwandtschaftliche Beziehungen zur preußischen Monarchie, zu den Hohenzollern durch Maries Heirat mit Prinz Karl.
Auch das erfüllt ihn mit Genugtuung.
Wie haben wir uns Carl August, den Urgroßvater, der in Schloß Glienicke bei seinem Urenkel sitzt, vorzustellen. Wie den siebzigjährigen, den fünfzigjährigen, den dreißigjährigen, den zwanzigjährigen Carl August?
Die Zeichnungen, Kupferstiche, Gemälde, Büsten, Miniaturgemälde und Medaillen, die von ihm existieren. Porträts der Herrschenden waren in dieser Zeit ein beliebtes Geschenk. Je nach dem Status des Empfängers sind es großformatige Gemälde – oft auch Kopien – bis hin zu Miniaturgemälden, die sich auf Dosen und selbst auf Tassen finden.
Auf allen Darstellungen ist Carl August als ein Mann zu sehen, der weiß, was er will, der etwas Derbes, Erdverbundenes hat, ein Handelnder, ein Tatmensch, ein Politiker, kaum aber als ein Schöngeist, der er auch war, den Künsten, vor allem dem Theater und der Literatur zugewandt, aber auch den Naturwissenschaften.
Auf frühen wie späten Bildnissen, ob in repräsentativer herrschaftlicher beziehungsweise militärischer Pose oder in mehr privater Darstellung, stimmen einige Charakteristiken auffällig überein. Da ist zum einen die markante Nase. Zwar die Nase zu groß, doch welcher Verstand in der Nase!, heißt es in einer Glosse Johann Caspar Lavaters von 1797. Weiter sind es die Augen, die kaum einmal dem Betrachter zugewandt sind. Fast immer blicken sie starr und angestrengt in eine unbestimmte Ferne; so, als nehme er dort die Last seiner Verantwortung als Herrscher wahr. Das gleiche könnte man von seiner Mundstellung sagen, auch sie zeugt meist von Anspannung, oft sind die Lippen aufeinandergepreßt.
Oder ist dieser Gesichtsausdruck, dieses Mienenspiel, vielleicht nur als Aversion gegen das Porträtiertwerden zu werten, als Ungeduld wegen des langen Stillsitzens, das dem temperamentvollen und umtriebigen Herzog zuwider ist?
Die frühen Porträts zeigen einen jugendlich schlanken Carl August. So die von Johann Ernst Heinsius 1781 und 1790 geschaffenen Arbeiten und das Bild von Georg Melchior Kraus, auf dem er in preußischer Uniform als Chef des Ascherslebener Kürassierregiments zu sehen ist.
1795 entsteht ein besonderes Gemälde. Es ist das einzige, auf dem Carl August offen und aufmerksam den Betrachter anblickt. Gemalt hat es Johann Friedrich August Tischbein, ein Verwandter von jenem Tischbein, der später in Italien das berühmte Bild »Goethe in der Campagna« schaffen sollte. Carl August hat zu seinem Tischbein, der sich 1795 und 1805 in Weimar aufhält, ein besonderes Verhältnis, mehrfach äußert er sich über dessen Malweise. Auf Tischbeins Gemälde (155 x 114 cm) ist der achtunddreißigjährige Fürst im eleganten Reitfrack und weißgelber Lederhose zu sehen, den Reitstock hält er in der rechten Hand, die linke ruht auf seinem neben ihm liegenden Hund, er sitzt auf einem Felsstück, das links die Aussicht auf die Wartburg freiläßt. Für dieses großformatige Gemälde und ein weiteres, kleines Brustbild im Oval (78 x 64 cm) erhält Tischbein laut herzoglicher Schatullenrechnung vom 26. November 179522 Karolins.
Zehn Jahre später schafft der Weimarer Künstler Ferdinand Jagemann wiederum ein ganzfiguriges Porträt. Carl August ist darauf barhäuptig, zivil, fast bürgerlich anmutend mit einem kurzen, dunklen Tuchrock und grauen Hosen bekleidet. Er steht in einer idealen Landschaft, ihm zu Füßen blühen Pflanzen. Seine Haltung ist ungewöhnlich. Mit der linken Hand stützt er sich auf einen großen Steinblock, der rechte Arm aber ist angewinkelt und demonstrativ hat er seine Hand in den Rock geschoben. Diese Geste assoziiert die Haltung eines anderen Herrschers; Napoleon liebte es, sich so abbilden zu lassen.
Nicht nur Jagemann, der 1780 in Weimar geboren ist und, abgesehen von Studienaufenthalten in Frankreich und Italien, bis zu seinem frühen Tod 1820 in der Stadt lebt, sondern auch die Maler Heinsius und Kraus sind eng mit Weimar verbunden. Heinsius kommt 1773 in die Residenz, Melchior Kraus, der erste Zeichenlehrer Goethes in Frankfurt, 1775. Alle drei werden von Carl August großzügig gefördert. Kraus untersteht das vom Herzog finanzierte Zeicheninstitut. Heinsius wird von Carl August ein dreijähriger bezahlter Studienaufenthalt in Hamburg gewährt. Jagemann, ein Schüler von Kraus, studiert auf herzogliche Kosten bei David in Paris, von 1806 bis 1810 bildet er sich in Rom weiter.
Wieder in Weimar, porträtiert der Maler 1816 das Bild seines Fürsten, mit dem ihm von Friedrich dem Großen verliehenen Hohen Orden vom Schwarzen Adler, der höchsten preußischen Auszeichnung. Carl August trägt eine breite orangefarbene Schärpe, die sich von der linken Schulter zur rechten Hüfte zieht. Auf der Brust ist der achtstrahlige silberne Ordensstern zu sehen, im Medaillon in Schwarz in der Mitte auf orangefarbenem Grund der preußische Adler. Der Fürst ist in der Uniform eines preußischen Generals, die linke Hand ruht auf dem Säbelgriff, hinter der rechten sieht man seinen Federhut, welcher zur Generalsuniform gehört.
1822 wird der Porträtist Heinrich Christian Kolbe nach Weimar gerufen. Der in Paris ausgebildete Maler ist Professor an der Düsseldorfer Kunstakademie. Es entsteht das lebensgroße Gemälde »Carl August auf dem Balkon des Residenzschlosses in Weimar«.
Der Fürst wird es seinem Freund Goethe schenken. Dieser hängt es zunächst im Roten Salon neben dem Kamin auf, später dann findet es seinen repräsentativen Platz im Sammlungszimmer, wo es noch heute ist.
In Öl malt Kolbe den Landesvater, vor einem dunklen Hintergrund tritt sein Gesicht hervor. Links ist eine weite Landschaft mit Schloß Belvedere zu sehen. Die Kleidung ist schlicht, einzig der Ordensstern schmückt den dunklen Tuchrock. Carl August wirkt entspannt, geduldig blickt er auf den Maler.
Kolbe zeigt einen gealterten Herzog, der stark an Leibesfülle zugenommen hat. War es bei Goethe eher die Lebensmitte, die ihn – zum Spott von Charlotte von Stein, die Goethes Frau Christiane dafür verantwortlich machte – unvorteilhaft füllig werden ließ, so daß selbst seine Gesichtszüge an Feinheit verloren, er aber dann im Alter wieder schlanker wurde und sich damit auch die Konturen seines Gesichts wieder schärften, so ist das bei seinem Freund nicht zu beobachten. Davon zeugt eine von Kolbe offenbar als Vorarbeit für sein Gemälde gefertigte Zeichnung, ein Brustbild in Kreide gearbeitet, die Carl Augusts gealtertes Gesicht schonungslos in Nahaufnahme darbietet.
1824 entsteht ein atmosphärisch schöner Stich. Er zeigt den Herzog mit seinen Hunden im Weimarer Park, im Hintergrund ist das Tempelherrenhaus zu sehen. Das Bild hat nichts Repräsentatives, eher etwas privat Intimes; ein fülliger, alter Herr, der im Park spazieren geht, nachdenklich einhält und sich dem Betrachter stellt. Geschaffen hat es der 1785 in Dresden geborene und zunächst von seinem Vater, dann an der Dresdener Akademie ausgebildete Maler Carl August Schwerdgeburth. Bereits 1805 kommt er nach Weimar, ist dann für eine Zeit am Dessauer Chalcographischen Institut tätig, um sich schließlich in der thüringischen Residenzstadt niederzulassen. Goethe nennt ihn unser<n> geschicktesten Kupferstecher. Er selbst versteht sich als fleißigen akkuraten Handwerker. 1822 wird er zum Weimarer Hofkupferstecher ernannt.
Carl August ist auf dieser Arbeit von Schwerdgeburth leger gekleidet zu sehen, er trägt eine Art Hausrock und Hosen, die an den Knien beuteln. Auf dem Kopf sitzt eine Schirmmütze, wie er sie – so ist überliefert – liebte und des öfteren trug. Er gleicht eher einem durchschnittlichen Bürger seines Fürstentums, als daß er als Herrscher zu identifizieren wäre. Und diese Darstellung kommt wohl seinem Selbstverständnis im letzten Lebensjahrzehnt am nächsten.
Eine Verführung auf Schwerdgeburths Kupferstich geht zweifellos von der wunderbar gestalteten Parklandschaft, den Sträuchern, Büschen, Bäumen, der Wiese und im Hintergrund dem Tempelherrenhaus aus. Betrachtet man aber das Gesicht des Porträtierten – das freilich in der Gesamtheit des Stiches winzig erscheint –, stellt man fest, daß in ihm die gleiche Anspannung wie auf vielen früheren Abbildungen zu finden ist; der starre Blick in die Ferne, als sähe er dort seine Verpflichtungen als Herrscher, und die schmalen zusammengepreßten Lippen. Zu seiner offenkundigen Konzentration nach innen gehört, daß er seinen Hunden, deren einer sich schwanzwedelnd um ihn bemüht, keine Aufmerksamkeit schenkt.
Nach Carl Augusts Tod bekommt diese letzte zu seinen Lebzeiten entstandene Arbeit sehr schnell die Funktion eines Gedenk- und Erinnerungsblattes.
Ihm gesellen sich zwei posthum geschaffene Blätter von Schwerdgeburth zu. Das eine, ein Entwurf in grauer Kreide, Feder, Blei und Deckweiß, laviert von 1831 mit dem Titel »Carl August von der Jagd zurückkehrend«, das dann als Kupferstich beziehungsweise als Steindruck weite Verbreitung findet. Und circa um 1860 entsteht ein Doppelporträt von Goethe und Carl August: Es ist die einzige Arbeit, auf der die Freunde gemeinsam zu sehen sind. Der Titel: »Carl August bei Goethe«. In Goethes Haus sitzen die beiden alten Herren im repräsentativen Juno-Zimmer einander zugewandt an einem Tisch, auf dem die Statue der geflügelten Victoria steht. An der Wand die »Aldobrandinische Hochzeit« und links über dem Haupt des Herzogs ein Porträt, vermutlich das von Carl Friedrich Zelter. Während der Fürst den Hausherrn anblickt, geht dessen Blick in die Ferne. Goethe hat ein Blatt in der Hand, als läse er seinem Mäzen etwas vor. Carl Augusts rechte Hand umfaßt einen Handschuh, was einen wohl eher zufälligen flüchtigen Besuch assoziiert. Davon spricht auch seine nachlässig auf dem Tisch liegende Schirmmütze. Seine linke Hand ist zur Brust gehoben und in den Überrock geschoben. Zitiert Schwerdgeburth Ferdinand Jagemanns Gemälde von 1816? Längst sind die Porträts des französischen Imperators mit der bekannten Geste Allgemeingut. Eine bewußte Replik also, eine Herausforderung, das Selbstbewußtsein eines Herrschers betonend? Dafür spricht auch ein weiteres Detail. Zu seinen Füßen liegt ein großer Hund. Kaum denkbar, daß er es zu Goethes Lebzeiten gewagt hätte, einen seiner Jagdhunde mit in die Repräsentationsräume des Freundes zu bringen.
Dieses so lange nach dem Tod der beiden geschaffene Doppelporträt hat bei aller handwerklichen Akkuratesse in seiner Bemühtheit etwas Schwerfälliges, Steifes, fast Biedermeierliches, was der widerspruchsreichen, über fünfzigjährigen Freundschaft der beiden mit ihren Höhen und Tiefen kaum zu entsprechen vermag.
Und dann dieses Reiterstandbild von 1875