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Asher Falls mein Bruder je wieder aus dem Knast kommt, werde ich ihn für den ganzen Ärger erwürgen, den er mir eingebrockt hat. Was für eine dämliche Idee, Koks in der Wohnung neben meiner zu verstecken – zu allem Überfluss Koks, das ihm nicht gehört. Natürlich ist den ursprünglichen Besitzern aufgefallen, dass es weg ist, und jetzt muss ich in die Nachbarswohnung einbrechen, um es zurückzubekommen. Dabei bin ich doch der Gute! Peyton Der Verlag sitzt mir im Nacken, meine Lektorin ist verzweifelt und meine Testleserinnen sagen es mir schonungslos: Meine Sexszenen sind unterirdisch schlecht. Aber wie soll ich so schnell Nachhilfe in Sachen "Prickeln" und "Verführung" bekommen? Ich meine, da ist mein sexy Nachbar, der an mir interessiert zu sein scheint. Doch ist das wirklich die beste Idee? Unter dem Titel GOOD BOYS GONE BAD veröffentlichen bekannte Autorinnen sinnlich-düstere Liebesgeschichten, Dark Romance und erotische Thriller. Im Mittelpunkt stehen vermeintlich gute Kerle mit einer geheimen dunklen Seite – wenn du ihren Weg kreuzt, sag brav Bitte, und bete, dass sie nur Dinge mit dir anstellen, die dir auch gefallen …
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Seitenzahl: 135
Veröffentlichungsjahr: 2017
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Copyright: Mia Kingsley, 2017, Deutschland.
Coverfoto: © djile - Fotolia.com
Korrektorat: http://www.swkorrekturen.eu
Alle Rechte vorbehalten. Ein Nachdruck oder eine andere Verwertung ist nachdrücklich nur mit schriftlicher Genehmigung der Autorin gestattet.
Sämtliche Personen in diesem Text sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig.
Black Umbrella Publishing
www.blackumbrellapublishing.com
Bad Boys in Serie
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
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Über Mia Kingsley
»Nein. Lass mich los, Asher.«
»Hm. Nein. Nein, ich denke, ich werde dich nicht loslassen.«
Asher
Falls mein Bruder je wieder aus dem Knast kommt, werde ich ihn für den ganzen Ärger erwürgen, den er mir eingebrockt hat. Was für eine dämliche Idee, Koks in der Wohnung neben meiner zu verstecken – zu allem Überfluss Koks, das ihm nicht gehört. Natürlich ist den ursprünglichen Besitzern aufgefallen, dass es weg ist, und jetzt muss ich in die Nachbarswohnung einbrechen, um es zurückzubekommen. Dabei bin ich doch der Gute!
Peyton
Der Verlag sitzt mir im Nacken, meine Lektorin ist verzweifelt und meine Testleserinnen sagen es mir schonungslos: Meine Sexszenen sind unterirdisch schlecht.
Aber wie soll ich so schnell Nachhilfe in Sachen »Prickeln« und »Verführung« bekommen? Ich meine, da ist mein sexy Nachbar, der an mir interessiert zu sein scheint. Doch ist das wirklich die beste Idee?
Unter dem Titel GOOD BOYS GONE BAD veröffentlichen bekannte Erotikautoren sinnlich-düstere Liebesgeschichten, Dark Romance und erotische Thriller. Im Mittelpunkt stehen vermeintlich gute Kerle mit einer geheimen dunklen Seite – wenn du ihren Weg kreuzt, sag brav Bitte, und bete, dass sie nur Dinge mit dir anstellen, die dir auch gefallen …
Die Preise in diesem verdammten Copyshop waren reiner Wucher. Ich zerknüllte die Quittung in meiner Hand, bis mir einfiel, dass meine Steuerberaterin mir den Vogel zeigen würde, wenn sie mich sehen könnte.
Frustriert stieg ich die breiten Holzstufen nach oben. Ich hätte meine neue Wohnung mehr als einmal besichtigen sollen. Dann wäre mir nämlich aufgefallen, dass auf dem Außer-Betrieb-Schild vor dem Aufzug eine dicke Staubschicht lag.
Zudem waren die Glühbirnen im Flur durchgebrannt gewesen – einen Monat später waren sie es noch immer. Der Hausmeister war ein Giftzwerg im mittleren Alter, der mir nun ein Dutzend Mal versprochen hatte, sich am nächsten Tag darum zu kümmern.
Ich strich den Kassenbon glatt und bog um die Ecke in den Flur, in dem ich wohnte. Insgesamt hingen hier vier Lampen und nur eine davon funktionierte. Bald würde ich mir einfach eine Öllaterne besorgen oder einen stilvollen neunarmigen Kerzenleuchter und damit durch das Haus laufen. Ein wenig Exzentrik würde mir guttun.
Über zwanzig Dollar hatte es mich gekostet, das Manuskript ausdrucken zu lassen, für 350 Seiten erschien mir das absurd teuer. Als ich die Angestellte danach gefragt hatte, waren ihre Augen groß geworden, und sie hatte hilflos mit den Schultern gezuckt. Da sie gewirkt hatte, als würde sie jede Sekunde zu weinen beginnen, und die Seiten ohnehin schon gedruckt waren, hatte ich bezahlt und den gesamten Rückweg mit den Zähnen geknirscht.
Warum war mein Drucker eigentlich noch nicht aus der Reparatur zurück? Vor drei Wochen hätte ich ihn wiederbekommen sollen. Vermutlich musste ich erst anrufen und irgendjemand anschreien, damit er repariert wurde.
Es hallte durch den Flur, als ich halb schnaubte und halb seufzte, weil ich genau wusste, dass ich viel zu nett war, um jemanden anzubrüllen. Selbst wenn ich mir jetzt vornahm, eine sehr bissige E-Mail zu schreiben, würde sie höflich und zurückhaltend ausfallen. Vielleicht würde ich im nächsten Leben durchsetzungsfähiger werden.
Die letzte Birne im Flur flackerte und erlosch genau in der Sekunde, in der ich den Kopf hob. »Großartig!«
Ich wühlte in meiner Handtasche nach dem Wohnungsschlüssel, dabei balancierte ich den Blätterstapel auf dem linken Arm und hatte die Quittung zwischen den Lippen.
Hinter mir ging die Tür auf, und als ich herumwirbelte, stieß ich gegen einen Körper.
Einen großen, festen und sehr warmen Körper.
Ich strauchelte, aber starke Hände umfassten meine Schultern. Mit einem Rascheln, das mir in der Seele wehtat, flatterte das gesamte Manuskript zu Boden. Wie hoch wohl die Wahrscheinlichkeit war, dass ich ausnahmsweise mal nicht vergessen hatte, die Seiten zu nummerieren?
»Hallo.«
Die Stimme klang rauchig und erinnerte mich aus irgendeinem mir nicht erklärlichen Grund an geschmolzene Schokolade. Dunkle, geschmolzene Schokolade mit Karamell und einem Hauch Meersalz. Ich erschauerte und betete, dass er es nicht gemerkt hatte, da er mich noch immer festhielt.
»Hi«, hauchte ich schwach und hätte mich im gleichen Moment ohrfeigen können. Warum hörte ich mich denn bitte an, als würde ich jede Sekunde in Ohnmacht fallen?
Um meine Schande zu vertiefen, ging das Licht wieder an. Nicht nur eine Lampe, sondern gleich zwei erwachten zu neuem Leben.
Mit meinen knapp 1,80 Meter war ich nicht gerade klein, weshalb es nicht oft vorkam, dass ich trotzdem den Kopf in den Nacken legen musste, um dem Mann ins Gesicht sehen zu können.
»Ich bin Asher«, erklärte er.
Mein Gehirn musste den Geist aufgegeben haben. Anders konnte ich mir meine Antwort nicht erklären. »Ich weiß.«
Er lachte. Ein leises, tiefes Geräusch, das in meinem Bauch zu vibrieren schien. »Ist das so?«
»Ähm«, machte ich wenig intelligent. »Ich habe deinen Namen im Internet gesucht.« Himmel! Wohin war mein Filter verschwunden? Die Instanz zwischen den wilden Gedanken und den wohlartikulierten Sätzen, die ich sonst von mir gab. Normalerweise gelang es mir halbwegs, mich nicht zum Affen zu machen.
»Okay. Professionelle Stalkerin oder einfach nur chronisch neugierig?«
»Chronisch neugierig.« Das Blut schoss in meine Wangen. »Asher Saint Preux ist ein ungewöhnlicher Name.«
»Und was hast du herausgefunden?«
Mein Kopf glühte. »Dass du Comiczeichner bist.«
Ich wusste, dass er einen schönen Sinn für Humor besaß und nicht auf Social Media aktiv war, weshalb ich keine Bilder gefunden hatte. Meine Suche hatte mir nicht verraten, wie groß und attraktiv er war.
Sein rechter Mundwinkel hob sich zu einem charmanten Lächeln und auf seiner Wange zeigte sich ein Grübchen. Ich widerstand dem Drang, wie ein Schulmädchen zu kichern. »Du kannst mich jetzt übrigens loslassen.«
»Kann ich das, P Punkt Weidman?«, las er von meinem Türschild ab.
»Peyton.«
»Hallo, Peyton.« Sein Lächeln vertiefte sich. Es passte hervorragend zu seiner Stimme und den Augen, deren Farbe irgendwo zwischen Karamell und Honig changierte. Die hellen Augen standen dafür umso mehr in Kontrast zu seinen dunklen Haaren. Haare so dunkel wie Zartbitterschokolade.
Ob ich noch Schokolade im Kühlschrank hatte? Offenbar verspürte ich deutliches Verlangen danach. Anders konnte ich mir die absurden Vergleiche beim besten Willen nicht erklären. Ich schrieb zwar Liebesromane, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen, aber Kitsch lag mir üblicherweise fern.
Als Asher seine Hände von meinen Schultern nahm, hätte ich es mir fast anders überlegt und wollte ihn bitten, mich doch wieder anzufassen.
Überall.
Ich senkte den Blick und starrte auf die Knopfleiste seines Henleyshirts, das sich verführerisch an seinen Oberkörper schmiegte. Sie war nicht geschlossen und enthüllte ein Stück feste Männerbrust. Ein viel zu kleines Stück.
Bevor ich verriet, was ich dachte, schaute ich weg. Mist! Meine Manuskriptseiten. Vor lauter Testosteron, das Asher verströmte, hatte ich ganz vergessen, weshalb ich überhaupt im Flur stand.
Hastig kniete ich mich hin und begann, die Blätter einzusammeln. Ich erwartete, dass Asher sich entschuldigte und verschwand. Zu meinem Erstaunen hockte er sich ebenfalls hin und half mir.
Wie nicht anders zu erwarten, nahm er eine Seite und überflog den Text. Seine Augenbrauen hoben sich. Belustigt sah er mich an. »Hat dein Freund einen biomechanischen Schwanz?«
»Was? Warum?« Ich nahm ihm das Blatt weg und las die wenigen Zeilen. Es war das Ende von Kapitel 21, in dem es heftig zur Sache ging.
»Weil das schlicht nicht möglich ist.« Asher zwinkerte mir zu.
Okay, das reichte. Ich brauchte dringend das berühmte Loch im Boden, um darin zu versinken. »Das ist nur ein erster Entwurf«, murmelte ich schwach.
»Also bist du Schriftstellerin?«
»Ich versuche es zumindest.«
Er sagte nichts mehr, sondern stapelte die Manuskriptseiten aufeinander. »Es wäre clever gewesen, wenn du die Seiten nummeriert hättest.«
Statt einer Antwort seufzte ich schwer.
Als ich alles wieder beisammenhatte, umklammerte ich den Stapel mit den Armen. »Danke für die Hilfe. Ich muss jetzt wieder an die Arbeit.«
»Wenn du unter Arbeiten verstehst, Sex mit deinem Freund zu haben und dir in Erinnerung zu rufen, wie ein Schwanz sich wirklich anfühlt, wünsche ich dir viel Spaß.«
Ich hätte ihn korrigieren können, aber dann hätte ich zugeben müssen, dass ich tatsächlich Single war, was meine Sexszenen noch stümperhafter hätte wirken lassen. Stattdessen zwang ich ein Grinsen auf meine Lippen, tastete hinter meinem Rücken nach dem Türknauf und versuchte ihn zu drehen.
Selbstverständlich hatte ich noch gar nicht aufgeschlossen und starb tausend Tode. Asher zuckte nur mit den Achseln. »Bis später, Peyton.«
Hatte er mir gerade zugeblinzelt?
Wahrscheinlich hatte ich mir das eingebildet. Wenn ich Glück hatte, würde ich nicht als Depp in seinem nächsten Comic enden. Mit Ruhm hatte ich mich gerade nicht bekleckert.
Ich schloss endlich die Tür auf und legte das Manuskript auf den Schreibtisch, bevor ich absperrte, meinen Anorak auszog und in die Küche ging, um mir einen Kaffee zu machen. Dieser Tag schrie nach Koffein.
Mein E-Mail-Postfach war mit einer kleinen roten Eins versehen. Meine erste Testleserin war bereits mit dem neuen Roman durch und schickte mir ihr Feedback.
Ich setzte mich, während ich ihr Lob las. Sie liebte die Geschichte, den Protagonisten und die witzigen Wortgefechte. Da sie sehr überschwänglich klang, witterte ich ein großes, fettes »Aber«.
Aber die Sexszene. Sorry, Liebes, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll. Sie sind … ein wenig bemüht?
Ich schluckte und minimierte das Fenster mit der Nachricht. Genau das hatte ich befürchtet. Neuerdings liefen Liebesromane nicht mehr so gut, wenn die Protagonisten nicht miteinander im Bett landeten. Natürlich hatte es vorher in meinen Büchern auch Sexszenen gegeben – hinter der verschlossenen Tür.
Geknickt ging ich zur Kaffeemaschine und stellte meine Tasse unter den Auslauf. In der Theorie wusste ich, wie guter Sex funktionieren sollte – nur offenbar konnte ich ihn nicht zu Papier bringen.
Ich hatte ein paar Pornos und meine Fantasie bemüht, was im Nachhinein betrachtet nicht die beste Kombination war. Wie meine Testleserin und Asher so schön festgestellt hatten: Ich wusste nicht, was ich dort tat.
Mit dem Kaffee ging ich zurück zum Schreibtisch. Wie konnte ich die Sexszenen besser machen, wenn ich selbst so gar keine Ahnung hatte, wie guter Sex sich anfühlte?
Moment. Gab es nicht eine Dating-App, deren Zweck darin bestand, Fickdates zu arrangieren?
Taiga?
Tundra?
Ich bemühte das Internet und fand Tinder. Sollte ich es wagen und mir ein Profil erstellen? Irgendwie musste ich ja daran arbeiten, und wenn ich ehrlich war, würde es mir vermutlich guttun, wieder vor die Tür zu gehen. Außerdem konnten ein paar Erfahrungen in Sachen Geschlechtsverkehr nicht schaden.
Geschlechtsverkehr. Ich erschauderte. Allein das Wort reichte, um ein unangenehmes Gefühl in der Magengegend auszulösen.
Zögerlich nahm ich mein Handy in die Hand. Für den Anfang reichte es vielleicht, wenn ich die App einfach herunterlud. Das würde niemandem wehtun. Mein Daumen kreiste über den Installieren-Button, als es an der Tür klopfte.
Beinahe hätte ich das Smartphone fallen lassen, weil ich mich schrecklich ertappt fühlte. Ein Blick durch den Spion, und ich bekam weiche Knie, weil Asher davor stand. Wäre das eins meiner Bücher, wäre er in der Absicht gekommen, mich zu vögeln.
Ich nahm meinen Mut zusammen und öffnete ihm. »Ja?«
»Hier. Sie muss unter meiner Tür durchgerutscht sein. Zumindest würde das erklären, warum ich sie auf meinem Fußboden gefunden habe.« Er hielt mir eine weitere Manuskriptseite entgegen.
Oh. Wohl doch kein Sex.
»Danke.« Ich wagte es kaum, hochzusehen, da ich förmlich spüren konnte, wie sehr er sich beherrschen musste.
Als ich schließlich einen Blick in sein Gesicht riskierte, presste er die Lippen aufeinander, um nicht zu lachen.
Mit einem Achselzucken sagte ich: »Spuck es aus.«
»Ist dein Freund ein Ameisenbär? Sonst kann ich mir nicht erklären, wieso du denkst, eine Zunge wäre dermaßen lang.«
»Vielleicht ist das eine weitere Vorlage für einen deiner witzigen Comics.«
Sein Lächeln veränderte sich, und er beugte sich nach vorn, stützte sich mit dem Unterarm am Türrahmen ab. Ich konnte erahnen, wie gut er roch. Meine Körpertemperatur geriet vollkommen außer Kontrolle. Trotzdem zwang ich mich, stehen zu bleiben und nicht zurückzuweichen.
»Du findest mich also witzig?«
»Ich glaube, ich muss zurück an die Arbeit.«
Abrupt richtete er sich wieder auf. »Sorry. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.«
»Schon gut. Ich muss nur …« Mit der Hand gestikulierte ich unbestimmt in meine Wohnung. »Ich muss mich zurückziehen, damit ich diese Peinlichkeit hinter mir lassen und in Schande sterben kann.«
»So schlimm war es auch wieder nicht. Eher unfreiwillig komisch.«
»Wow, danke, Asher. Das macht es direkt viel besser.« Mit einem Schnauben warf ich die Tür vor seiner Nase zu. Leider war das Holz dermaßen dünn, dass ich sein angenehmes Lachen hören konnte.
»Nichts für ungut«, rief er, bevor seine Schritte sich entfernten.
Nichts für ungut. Pah! Obwohl das wahrscheinlich kein schlechter Nutzername für Tinder war.
Aufgrund des gequälten Gesichtsausdrucks wirkte ich auf den uniformierten Mann in dem kleinen Schrankenhaus vermutlich wie jeder andere Besucher des Arthur Baine Correctional Centers.
Wenn ich ehrlich war, hätte ich mich lieber mit meiner neuen Nachbarin beschäftigt, aber länger konnte ich es nicht aufschieben, meinen Idioten von Bruder zu besuchen. Patrick saß derzeit eine vierjährige Haftstrafe ab, da er mehrfach mit Drogen erwischt worden war. Beim letzten Mal war die Menge so groß gewesen, dass er nicht mehr abstreiten konnte, sie verkaufen zu wollen.
Statt gemütlich in einer Bar ein Bier trinken zu gehen, bestanden die Treffen mit meinem Bruder aus intensiven Kontrollen, jeder Menge abgeriegelter Türen und großer Frustration meinerseits.
Außerdem war mir das Gefängnis an sich nicht geheuer. Aus Platzmangel hatte die Stadt New York es kurzerhand auf ein Schiff verlegt. Bisher hatte ich Patrick nur einmal besucht, als er noch in einem anderen Gefängnis in Untersuchungshaft gesessen hatte. Seit seiner Verurteilung belegte er eines der achthundert Betten an Bord.
Der Besuch bereitete mir körperliches Unwohlsein und nicht zum ersten Mal in meinem Leben verfluchte ich meinen Bruder. Als er angefangen hatte, sich ständig Ärger einzuhandeln, hatte ich mich gefragt, was anders hätte laufen müssen, damit er keine kriminelle Laufbahn einschlug. Dabei war ich der Jüngere von uns beiden und hatte mich auch nicht immer an die Regeln gehalten. Irgendwann war mir im Gegensatz zu Patrick klar geworden, dass mein Handeln Konsequenzen hatte.
War es der schlechte Einfluss meines Vaters gewesen? Der Moment, als Patrick von der Schule geflogen war? Letztlich spielte es keine Rolle, doch es hatte ein paar Jahre gedauert, bis ich bereit gewesen war, zu akzeptieren, dass es außerhalb meiner Verantwortung lag.
Jede einzelne Entscheidung, die ihn schließlich an Bord eines Gefängnisschiffes geführt hatte, war von ihm selbst gekommen. Niemand hatte ihn gezwungen, irgendetwas davon zu tun.
Trotzdem war er mein Bruder und abgesehen von seiner kleinkriminellen Seite liebte ich ihn genau so. Unsere Eltern waren tot, und manchmal dachte ich heimlich, wie gut es war, dass Mum nichts mehr davon mitbekommen hatte. Patrick hätte ihr das Herz ebenso gebrochen wie Dad. Von wem mein Bruder seine umwerfenden Wesenszüge geerbt hatte, wusste ich ganz genau. Unser Vater wäre bestimmt stolz auf ihn gewesen.
Als Dad an einem Herzinfarkt gestorben war, hatte ich gehofft, sein schlechter Einfluss wäre mit ihm gestorben, weil Patrick erst sechzehn gewesen war. Doch offenbar hatte die … kreative Erziehung meines Vaters bereits vorher gefruchtet.
Nachdem ich mich durch den Papierkram und die diversen Kontrollen gekämpft hatte, stand mir der Schweiß auf der Stirn. Die stickigen Räume waren gnadenlos überheizt, was mein Unwohlsein verstärkte.
Schweres Panzerglas glitt zur Seite und ein stämmiger Mann mit Schnauzbart hob die Hand zum Gruß. »Wenn Sie mir bitte folgen würden«, murmelte der Officer kaum hörbar.
Mein Magen verkrampfte sich, weil am Ende des Flurs zwei Gänge in entgegengesetzte Richtungen führten und wir nicht dem folgten, der mit »Besucherraum« beschriftet war, sondern zur »Krankenstation« liefen. Was hatte Patrick jetzt wieder angestellt?