Good evening, how are you? - Ines Allerheiligen - E-Book

Good evening, how are you? E-Book

Ines Allerheiligen

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Beschreibung

Politik hatte in meinem Leben bisher keine große Rolle gespielt. Doch als 2015 die große Flüchtlingswelle kam, schaute ich genauer hin. Überall in den Medien sah ich Menschenströme, die sich zu Fuß und über das Meer ihren Weg nach Deutschland bahnten. Damals habe ich nicht geahnt, dass ich schon bald einem Syrer helfen würde, in meine Heimat zu kommen. Es begann völlig harmlos mit "Good evening, how are you?" und entwickelte sich zu einer rasanten Flucht per WhatsApp. Alles gut? Diese Frage stellte er mir oft. Apo war in Deutschland! Ich hatte gedacht, alle könnten zur Ruhe kommen und positiv in die Zukunft schauen. Doch die deutsche Bürokratie und Apos Gefühlswelt sollten mir einen gewaltigen Strich durch meine Pläne machen. Auch hatte ich die Gefühle unterschätzt, die Menschen überwältigen, die ihre Heimat verloren haben und sich einem komplett neuen System gegenübersehen. Mitgerissen durch Apos Gefühlschaos fuhren auch meine Gefühle Achterbahn. Die anstrengendste Fahrt meines Lebens. Überarbeitete Neuauflage der Autobiografien "Good evening, how are you?" und "Alles gut?" in einem Doppelband.

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Inhaltsverzeichnis

Teil 1

Vorwort

8. Juli

9. Juli

12. Juli

14 Juli

15. Juli

16. Juli, abends

17. Juli

18. Juli

21. Juli

24. Juli

31. Juli

1. August

2. August

3. August

4. August 9:37 Uhr

5. August 22:13 Uhr

6. August

8. August

9. August

10. August

Am Abend

11. August, 00:01

13. August

14. August

15. August

16. August

17. August

18. August

19. August

20. August

21. August

22. August

23. August

24. August

25. August

26. August

Später am Abend

27. August

28. August

29. August

30. August

31. August

1. September

2. September

3. September

4. September

5. September

6. September

7. September

8. September

10. September

12. September

14. September

15. September

16. September

17. September

18. September

19. September, mittags

20. September, morgens

21. September, morgens

22. September

23. September

24. September

25. September

26. September

27. September

28. September

29. September

30. September

1. Oktober

2. Oktober

1. Oktober

2. Oktober

5. Oktober

6. Oktober

7. Oktober

8. Oktober

9. Oktober

10. Oktober

11. Oktober

Teil 2

Ankunft

Bremen

Frankfurt

Bremen

Bochum

Köln

Kerpen

Schöppingen

Bremen

Nachwort

Teil 1

Vorwort

Ich muss leider gestehen, dass ich noch nie ein großes Interesse, geschweige denn Ahnung vom politischen Weltgeschehen hatte. Ich hörte regelmäßig die Nachrichten und ein paar Mal in der Woche zappte ich so nebenbei in die Tageschau, wenn auch nur, weil ich auf meinen 20.15 Uhr Film wartete.

Bei innenpolitischen Themen hörte ich mittlerweile schon ziemlich genau hin. Sobald es aber um das politische Geschehen der Länder ging, die außerhalb Deutschlands oder sogar außerhalb Europas lagen, schaltete ich ziemlich schnell ab und hörte nur nebenbei zu.

Krieg gab es ja da „unten“ immer irgendwo. Das war zwar traurig, aber nicht in meiner Nähe, betraf mich also nicht.

Als 2015 dann die große Flüchtlingswelle kam, schaute ich schon etwas genauer und interessierter zu. In den Medien sah man täglich die Flüchtlingsströme, die sich aus Syrien zu Fuß und natürlich auch über das Meer ihren Weg nach Deutschland bahnten. Jeden Tag neue Bilder: Menschen über Menschen - an der Grenze, auf den Feldern, den Straßen und alle wollten nach Deutschland. Die ganze Szenerie machte mir Angst, zumal in den sozialen Medien viel Negatives verbreitet wurde.

An Hintergrundwissen mangelte es mir aber immer noch, interessierte mich auch nicht, warum dort Krieg war. Ich sah nur überall die Flüchtlingsheime, die in aller Eile gebaut wurden und wie sich das Straßenbild im kleinen Bremen – Nord änderte.

Bis ich mich eines Tages bei Instagram anmeldete und meine Tochter die folgenden, für den weiteren Verlauf meines Lebens wichtigen Worte sagte: „Mama, ich selber habe neben meinem Account noch einen Fake Account. Da kannst du dann auch anonym auf Seiten gucken und keiner weiß, wer du bist.“ „Aha“, dachte ich. Damit begann dann alles.

Ich legte mir also auch einen Fake Account an. Ich nahm dazu einfach ein paar alte Fotos von mir und machte daraus ein öffentliches Profil. Ich konnte mir jetzt kleine Filmchen anschauen, ein bisschen herumstöbern, ohne dass man sah, dass ich es war, die die ganzen Storys anschaute. Ein wenig voyeuristisch vielleicht, aber die Storys waren ja öffentlich.

Tag für Tag bekam ich mehr Follower, alles Menschen, die ich nicht kannte. Nach einiger Zeit bemerkte ich dann aber, dass es ausschließlich Männer waren, die mir folgten und fast alle mit ausländischem Namen und mit für mich nicht lesbaren arabischen Schriftzeichen. Daraufhin wollte ich das Profil eigentlich wieder löschen, weil es mir doch recht unangenehm war.

Bis ich dann am 21. Juni um genau 17:16 Uhr, freundlich mit einem Smiley und einer winkenden Hand angeschrieben wurde. Ich winkte zurück!

Es folgte ein: „Hey“, ein winkender blonder Mann Smiley und ein „How are you?“ Ich klickte mich nun auf das Profil dieses „winkenden blonden Mannes“, um zu schauen, wer mich denn da so nett anschrieb. Es waren eine Menge Fotos auf seinem Profil zu sehen. Auf allen Fotos, war ein dunkelhaariger junger Mann zu sehen, ohne Zweifel sehr attraktiv. Laut Profil wohnte er in Istanbul. Sein Name im Profil war Apo.

Mittlerweile hatte ich schon eine neue Nachricht: „Hello!“

Na ja, dachte ich bei mir, antworten konnte ich ja. War ja nichts dabei. Also antwortete ich auf seine Frage, wie es mir ginge, mit den Worten: „Fine and you?“ Ihm ging es auch gut, wie ich alsbald erfuhr und er wollte gerne wissen, von wo ich schrieb. Ich antwortete ihm: „Ich komme aus Deutschland, aus Bremen.“

Er begrüßte mich noch einmal und wollte wissen, ob ich Türkisch oder Arabisch sprechen würde. Ich verneinte, denn ich sprach nur Englisch, etwas Französisch, Spanisch und natürlich Deutsch.

Da er auch ein wenig Englisch sprach, konnten wir unsere begonnene Unterhaltung nun fortsetzen. Mich interessierte nun natürlich auch woher er war. Ich erfuhr, dass er aus Syrien stammte, aber seit knapp drei Jahren in der Türkei lebte.

So ganz genau konnte er sich nicht erinnern, wann er gekommen war, aber er versicherte mir, dass er nach Deutschland gehen wolle. Sie würden aber viel Geld benötigen, um ihn nach Deutschland zu bringen und er wüsste nicht, wie er es schaffen solle.

Ich fragte ihn: „Bist du ein Flüchtling“?

Er bejahte meine Frage und erzählte mir, dass er vor dem syrischen Bürgerkrieg geflohen sei und sich nun alleine in der Türkei befand. Auf meine Frage, warum „die“ denn Geld wollten, verriet er mir, dass er illegal sei und vorhätte über Griechenland nach Europa zu gelangen.

„Was kannst du mir empfehlen zu tun?“ Ich antwortete ihm: „Ich finde deine Geschichte sehr traurig.“

Worauf er mir versicherte, wie verzweifelt er sei und mich um Hilfe bat, aber mich zu nichts drängen wolle. Ich konnte ihm nicht helfen, wie denn auch. Außerdem gab es laut neuesten Pressemeldungen, in Deutschland zurzeit strenge Grenzkontrollen, die Horst Seehofer eingeführt hatte.

Er schickte mir wieder Smileys, die wohl eine Umarmung darstellen sollten und fügte nochmals eindringlich hinzu, dass das alles ist, was er wolle und er es nicht alleine schaffen könne.

Ich beendete die Unterhaltung, wollte mich damit nicht weiter beschäftigen, antwortete einfach nicht mehr.

Damit schien das Thema vorerst vom Tisch zu sein, auch er schrieb nicht weiter. Ich wollte mich damit nicht weiter auseinandersetzen, armer Kerl, aber wie hätte ich ihm helfen sollen. Wahrscheinlich würde er mich als Nächstes um Geld bitten. Dass ich ihm nicht mehr antwortete, schreckte ihn dann wohl auch ab und er schrieb auch die nächsten Tage nicht.

Etwa vierzehn Tage später, am 5. Juli, schrieb er mich erneut an. Ich hatte ein Foto in meine Story gestellt, auf welches er nun reagierte. Ich bekam Smileys und Rosen geschickt. Er machte mir Komplemente und sagte, dass er ein tiefes Gefühl für mich entwickelt hätte.

„Wie alt bist du?“, fragte ich ihn.

„Ich bin 28 Jahre alt.“

Laut Profil, war ich erst 18 Jahre alt, aber das war für ihn „no problem.“

Eine Antwort, die ich im Laufe der nächsten Wochen noch sehr oft bekam. Da nun die „Liebeserklärungen“ direkter wurden, machte ich ihn auf mein Profil aufmerksam, welches ich zwischenzeitlich geändert hatte, und auf dem ich nun in einer festen Beziehung war.

Auch das schien ihn nicht weiter davon abzuhalten, erneut Komplimente zu machen. So wurde ich dann etwas deutlicher. Die einzige Reaktion darauf war aber, mich zu fragen: „Willst du zu mir in die Türkei kommen?“

Ich verneinte, mit dem nochmaligen Hinweis auf meinen Freund und der politischen Lage in der Türkei.

„So lange Erdogan dort an der Macht ist, niemals.“

„Alles gut, das macht nichts. Dann komme ich nach Deutschland.“

Er erzählte mir, dass er schon lange keine Beziehung mehr hatte. Nach einigem Hin und Her, in dem ich immer wieder betonte, dass ich mit meinem Freund glücklich bin und es auch so bleiben wird, gab er dann nach. Er wünschte mir noch ein schönes Leben. Er hatte sein Herz verloren und wenn ich mal frei wäre, solle ich mich bitte melden.

Sendepause!

Ich dachte, jetzt hätte sich das „Problem“ wohl erledigt. Aber er tat mir doch ein wenig leid.

8. Juli

“Good evening, how are you?“

Die Wörter, die in den nächsten Monaten unsere tägliche Begrüßung werden würden. Was ich natürlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste.

Er beklagte sich, dass ich nun ein anderes Profilfoto hätte und man nicht mein Gesicht sehen konnte. Er wollte, dass ich ihm ein aktuelles Foto schicke. Ich verneinte – trauriger Smiley.

Da er aber irgendwie sehr höflich war, in allem was er so schrieb und mir unendlich leid tat in seiner Hartnäckigkeit, schickte ich ihm dann doch ein Foto, wo man mich ein wenig sehen konnte. Große Freude!

Da ich in Deutschland war und er in der Türkei, sah ich keine Zukunft, so sagte ich ihm.

Er fragte mich, ob ich meinen Freund wirklich lieben würde.

„Ja.“

„Erwidert er die Liebe?“

„Ja.“

„Ihr liebt euch beide?“

„Ja.“

„Ich wünsche dir ein glückliches Leben.“

Lachender Smiley, winkender „Tschüss“-Smiley meinerseits – geschafft, dachte ich.

„Ich will dir mal was erzählen.“

„Was?“, fragte ich.

„Ich liebe dich von ganzem Herzen.“

„Das kannst du nicht, du kennst mich nur von den Fotos.“

„Aber irgendetwas spüre ich, etwas, was ich noch nie zuvor gefühlt habe.“

Nun versuchte ich ihn auf eine andere Weise los zu werden. Ich machte ihm deutlich, dass ich sehr deutsch wäre und er mit meinem starken Charakter sicher nicht zurechtkäme.

„I agree with time. Für mich ist es genug, wenn du mich mit ganzen Herzen liebst.

Ich liebe starke Frauen. Kann ich dein Herz gewinnen? Ich möchte dich einfach nur kennenlernen.“

Nochmals machte ich ihm klar, dass mein Herz besetzt sei. Er wollte nun wissen, ob wir eine sexuelle Beziehung hätten und ob ich meinen Freund schon einmal betrogen hätte.

Auf mein „Nein“, bekam ich eine Rose und einen „Gute Nacht“ – Smiley. Nun hatte ich es wohl geschafft. Er verstand, dass aus uns nichts werden konnte.

9. Juli

Großer Fehler meinerseits. Er hatte ein Filmchen in seine Story gestellt, in dem er mit einem süßen Katzenbaby spielte. Mein Herz konnte nicht widerstehen. Nun antwortete ich auf seine Story mit einem Katzensmiley, mit Herzchen in den Augen.

Sofort fragte er, wie es mir gehe und wollte einen Videochat machen. Fotos von ihm mit Kätzchen folgten.

Kleine Unterhaltung, immer wieder die Bitte nach einem Videochat – „Nein.“

„Du hast mein Herz gebrochen.“

„Ich denke, es ist besser, wir schreiben uns nicht weiter.“

„As you wish.“ Verabschiedung – Ende.

12. Juli

„Hi.“ „Hallo.“

„Warum schreibst du mir nicht? Du möchtest mich nicht in deiner Nähe. Hast du keine Gefühle für mich?“

Wie immer antwortete ich, indem ich ihm sagte, dass ich einen Freund hätte. Außerdem kenne er mich nicht, sondern nur meine Fotos.

Er erwiderte: „Ich habe das Gefühl, dich schon sehr lange zu kennen.“

„Du bist ein sehr hübscher junger Mann und wirst ein Mädchen in deinem Land finden, da bin ich mir sicher. Ich liebe meinen Freund.“

Resignierter Smiley. „Ich bin verwirrt, mein Herz ist gebrochen.“

Ich sagte ihm, dass er ein wirklich gutaussehender Mann sei und bestimmt schon vielen Mädchen das Herz gebrochen hatte.

„Nein, so bin ich nicht. Ich habe bis jetzt nur eine Frau richtig geliebt und die hat mich betrogen. Darum vertraue ich den Mädchen aus diesem Land nicht mehr.“

Auf meine Frage was passiert war, erzählte er, dass sie zu einem jüngeren Mann mit viel Geld gegangen war.

In Syrien hatte er für zwei Jahre Jura studiert. Er wollte Richter werden, um verräterische Leute zu lebenslangen Haftstrafen zu verhelfen, so seine Worte.

Doch dann begann der Krieg und er wurde eingezogen.

In der Türkei arbeitete er jetzt, um seinen täglichen Lebensunterhalt zu verdienen.

Er würde alles machen, was so anfällt und hätte auch schon gut Türkisch gelernt. Außerdem beherrschte er Kurdisch und natürlich Arabisch, mit 14 Dialekten.

Er schrieb dann zwei Sätze in Deutsch:

„Ich liebe dich und ich vermisse dich.“

Das konnte er, weil seine Verwandten in Deutschland wohnen würden. Er selber sei seit fast drei Jahren in der Türkei.

Damit ich ihm glaubte, schickte er mir den Kontakt seines Verwandten als Screenshot. So konnte ich sehen, dass es eine deutsche Handynummer war. Er würde jetzt bald nach Deutschland kommen, über den verbotenen Weg.

Auf meine Frage, warum er so reisen müsse, schrieb er, dass er kein Visum hätte. Istanbul ist eine große Stadt, aber er hätte das Leben dort so satt. Wenn ich ihn aber nicht wolle, würde er eventuell dortbleiben – trauriger Smiley.

Es folgte eine lockere Unterhaltung, ein paar küssende Smileys und Rosen und wir tauschten noch ein paar Nettigkeiten aus.

Nun wollte er mich unbedingt sehen, „nur eine Minute.“

„Nein.“

„Bitte.“

Also schickte ich ihm ein Foto, von hinten. Auch Videochat lehnte ich weiterhin ab. Noch ein paar Nettigkeiten, Verabschiedung.

14 Juli

Jetzt begann ich die Unterhaltung. Nachdem ich mir sein Profil etwas genauer angeschaut hatte, vor allem die Fotos, war ich der Meinung, dass er mir nicht die Wahrheit über sich erzählt hatte. Auf den Fotos trug er hochwertige Kleidung bekannter Marken und saß in einem Mercedes oder auf einem Motorrad.

Ich sprach ihn darauf an und fragte, ob er mir wirklich die Wahrheit erzählt hatte und er ein Flüchtling sei. Er schickte mir ein Foto zusammen mit einem Polizeibeamten von seiner Arbeit.

„Hübsches Foto, aber keine Antwort auf meine Frage.“

Er war ein reicher Mann in Syrien gewesen, daher die Fotos. Nun arbeitete er in einem Autopark der Polizeibehörde. Hier wurden falsch geparkte Autos abgeschleppt und aufbewahrt, bis sie von ihren Besitzern wieder abgeholt wurden. Er arbeitet hauptsächlich nachts.

15. Juli

Ich ertappte mich dabei, dass ich mich fragte, warum er mir gestern nicht weitergeschrieben hatte. Also schrieb ich ihn an:

„Wo warst du?“

„Eingeschlafen.“

„Ich habe dich vermisst.“

Ganz falsch von mir, aber nicht mehr zurückzunehmen. Tatsächlich hatte ich unseren kleinen Small Talk vermisst. Er wollte jetzt unbedingt ein Selfie, welches ich ihm natürlich nicht schickte. Stattdessen ein paar Fotos von mir, beim Spaziergang heute am Grambker See. Langsam wurde er etwas unleidlich und fragte mich, warum ich ihm mein Gesicht denn nicht zeigen wolle. „Ich mag es einfach nicht“, war meine Antwort.

Stattdessen fragte ich ihn nach seiner Familie. Seine Familie lebte noch in Syrien mit seinen Geschwistern. Zwei seiner Brüder waren in den Libanon geflohen.

Auf meine Frage, ob seine Eltern nicht zu ihm kommen wollten, antwortete er:

„Nein, sie wollen in Syrien bleiben. Ich habe sie seit vier Jahren nicht gesehen.

„Warum gehst du nicht zurück?“

„Ich gehe nicht zurück in ein Land, das mich so behandelt hat. Für mich reicht es, ein Mädchen wie dich zu lieben, das entschädigt mich für alles, was ich dort erlebt habe.“

Jetzt konnte ich nicht mehr weiter schweigen. Das ging mir so nah und tat mir so leid, dass ich mich dazu entschloss, die folgenden Sätze zu schreiben:

„Ich muss das jetzt hier stoppen. Dies ist nicht mein echtes Profil, es ist ein Fake-Profil. Die Fotos sind von mir, aber ich bin darauf erst 18 Jahre alt. Sie stammen hauptsächlich aus den 80er Jahren. Das war alles so nicht geplant. Es tut mir wirklich sehr leid, ich mag dich, aber ich bin viel zu alt für dich und seit 25 Jahren verheiratet. Ich hoffe, du bist nicht böse, aber ich würde dich verstehen, wenn du es wärst.“

„Ich bin nicht böse, ich will bleiben. Aber was ich jetzt wissen möchte, wie alt bist du wirklich?“

„Du möchtest es wirklich wissen? Ich bin 49 Jahre alt. Bist du jetzt geschockt?“

„Jetzt weiß ich, warum du keinen Videochat machen willst.“

„Entschuldigung.“

„Du hast immer noch Gefühle und es ist normal, Beziehungen aufzubauen.“

Ich bekam sofort ein Foto von ihm. Ich schickte ihm nun ebenfalls ein erstes aktuelles Foto von mir. Das war ich ihm schuldig, dachte ich. Sofort startete er einen Videochat, den ich aber nicht annahm, das wollte ich nun wirklich nicht. Er schrieb, dass er mich schön fände und ich seinen Anruf doch annehmen solle. Aber das wollte ich im Moment nicht. Stattdessen schickte ich ihm einen Smiley und bekam zwei zurück.

Ich sagte ihm, dass ich mein Profil jetzt löschen würde, aber wenn er mir seine Handynummer gäbe, würde ich ihn mal anschreiben – als Freund. Er gab sie mir.

Ich speicherte die Nummer ein und schrieb ihn kurze Zeit später an. Er war gerade auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. Ich bekam Fotos zusammen mit ihm und einem Hund und ich schickte Fotos von meinen Hunden. Dann kam erneut der Versuch eines Videochats, den ich ablehnte. Ich wollte einfach nicht, es war mir unangenehm. Ich bekam Videos von ihm und dem Hund. Ich liebte Hunde sehr. In den Videos sprach er mit den Hunden und ich hörte zum ersten Mal auch seine Stimme. Er sprach Türkisch.

Dann fragte er mich:

„Warum hast du mit mir gespielt? Ich habe dir immer die Wahrheit gesagt.“

Ich wollte nicht, dass er so etwas dachte.

Alles was passiert ist, war so nicht geplant, deshalb habe ich es auch schnell beendet.

Er wollte, dass ich ihm jetzt alles über mich erzählte. Ich schrieb ihm die ganze Wahrheit. Er bestand nun auf ein Selfie.

Ich bekam ein Foto von ihm, auf dem er recht böse schaute. Also tat ich ihm den Gefallen. Er fand mich wunderschön, wünschte sich aber, dass ich etwas jünger wäre.

„Bist du jetzt böse und enttäuscht?“

„Nein, es ist passiert.“

„Was?“, fragte ich.

Er sagte dann die Worte, die ich immer wieder im Kopf habe:

„Got to know a girl and get a woman“, ein Mädchen kennengelernt zu haben und eine Frau zu bekommen.

Das fand ich unheimlich süß ausgedrückt.

Ich entschuldigte mich für alles, sagte ihm, er wäre sehr attraktiv und würde sicher bald eine schöne Frau finden wird.

„Ich bin sehr glücklich, dich zu kennen.

Aber jetzt bin ich erst mal im ‚Schockmodus‘. Ich möchte weiter mit dir schreiben, möchte niemanden verlieren, den ich geliebt habe.“

Ich sagte, dass wir irgendwann mal telefonieren könnten. Jetzt hätte ich aber keine Zeit.

Ich saß gerade mit meinem Mann und meinen Eltern auf der Terrasse. Wir verabschiedeten uns und er wollte schlafen gehen. Rose – Küsschen.

16. Juli, abends

„Hast du dich von dem Schock erholt?“

Ich bekam ein Foto, auf dem ich sah, dass er gerade arbeitete.

Am Abend erhielt ich Sprachnachrichten von einem Freund, der aus Deutschland zu Besuch in der Türkei war.

Er erzählte mir, dass er gerade mit Apo zusammensitzen würde und mir sagen sollte, wie sehr er mich mag. Wir unterhielten uns ein wenig auf Deutsch. Er kam aus Düsseldorf und machte gerade Ferien in der Türkei. Er sagte mir, dass Apo bald nach Deutschland kommen würde und ich ihm helfen solle.

„Warum? Es sieht doch gut aus in Istanbul und es scheint ihm gut zu gehen. So schön ist es in Deutschland nun auch nicht. Außerdem weiß ich auch nicht, wie ich ihm helfen sollte.“

Er stimmte mir zu. Er war dann etwas verwirrt, als ich ihm sagte, ich könne ja seine Mutter sein. Also hatte Apo ihm nicht erzählt, wie alt ich wirklich war.

Später sagte ich zu Apo: „Du musst nicht immer erzählen, dass du mich liebst, nur um schneller nach Deutschland zu kommen. Wir beide wissen, wie alt ich bin und dass ich verheiratet bin. Meine große Tochter ist fast so alt wie du. Ich mag dich als einen Freund und ich würde dir gerne helfen, wenn ich könnte, aber ich weiß nicht wie. Bist du jetzt böse?“

„Nein, warum? Ich werbe immer noch um dich.“

„Du bist ein wirklich verrückter junger Mann.“

„Ja das bin ich.“

17. Juli

`Winkende Hand´ „Good evening, warum schreibst du mir nicht?“

Er befand sich gerade vor dem Haus, in dem er wohnte. Er wollte bald schlafen gehen und gerne einen Videochat machen.

„Ich möchte dich sehen.“

„Ich bin schon im Bett.“

„Wo ist das Problem, kein Problem.“

Nein das wollte ich nun wirklich nicht.

Außerdem schlief meine Tochter im Zimmer nebenan.

„Mach eine Sprachnachricht, wenn du möchtest, das reicht doch für den Anfang.

So können wir sehen, ob wir uns verstehen.“

In der ersten Sprachnachricht sagte er:

„Good evening, how are you?“

Es war schwer zu verstehen. Er sprach Englisch mit einem starken Akzent. Kurze Zeit darauf - Videochat.

„Nein“, trauriger Smiley.

Ich versprach ihm, dass wir bald Videochat machen würden. Nun fragte ich noch ein paar Dinge, die mich interessierten. Ich wollte wissen, was für eine Religion er hatte.

Ich merkte, dass ihm die vielen Fragen nicht gefielen, aber er antwortete trotzdem. Ihm war es egal, was für eine Religion jemand hätte. Er war kein Moslem mehr, hielt zum Beispiel keinen Ramadan, war in allem ziemlich frei und akzeptierte jede Glaubensrichtung. Er schrieb, dass er wusste, dass ich Christin bin und erzählte mir so einiges über meinen Glauben, welches ich selber gar nicht wusste.

„Ich selber bin nicht sehr gläubig“, gab ich zu.

„Mir ist es egal, was ein Mensch für einen Glauben hat, solange er seinen Glauben nicht dazu nutzt, anderen Menschen zu schaden oder sogar zu töten.“

„Jeder hat die Freiheit, die Religion zu wählen, die er möchte“, war seine Antwort. Er wolle nun schlafen gehen und ich gab ihm noch mit auf dem Weg: „falls du wirklich jemals nach Deutschland kommst, dann wähle bitte den legalen Weg. Viele Menschen sind schon auf der Flucht gestorben.

18. Juli

„Warum kannst du nicht ganz normal, zum Beispiel als Tourist reisen?“

„Ich kann es nicht, weil mein syrischer Pass abgelaufen ist.“

„Geh doch zurück nach Syrien, lass deinen Pass verlängern und reise dann nach Deutschland.“

„Ich kann nicht zurück nach Syrien“, war die Antwort. Sein Cousin wäre auch auf dem illegalen Weg nach Deutschland gekommen.

„Wenn das alles wahr ist! Ich habe so eine Geschichte bisher noch nie gehört. Aber warum ist es so schrecklich in Istanbul?

Wenn ich jünger wäre, würde ich kommen, dich in meinen Koffer packen und mit nach Deutschland nehmen.“

Er freute sich über meine Sympathie für ihn. Er machte mir deutlich, wie gequält er war. Er wolle auf alle Fälle den gefährlichen Weg nach Europa nehmen, da es keinen anderen Weg für ihn gab. Er dachte bereits ernsthaft darüber nach zu reisen.

Ich sagte ihm, dass das alles gut geplant werden müsse.

Nachdenklicher Smiley.

„Du bist verrückt!“

Ich war gerade mit meiner Familie am Weserstadion spazieren. Es war ein herrliches Wetter und ich schickte ihm ein paar Fotos. Ihm gefiel was er sah.

„Darfst du Alkohol trinken?“

„Ja, ich trinke alle Sorten Alkohol“, war seine Antwort.

„Whiskey, Bier, Wein, Wodka …“ Ich musste lachen.

Am folgenden Tag hatten wir eine recht lustige Unterhaltung. Er war nicht zur Arbeit gegangen und hatte ein paar Freunde getroffen. Sie hatten zusammen Shisha geraucht. Wir redeten aneinander vorbei.

Das passierte schon mal, vor allem, da wir beide auf Englisch schrieben und er es nicht gut verstand.

Er ließ fast alles durch Google übersetzten und irgendwie waren die Übersetzungen von Arabisch in Englisch nicht immer ganz richtig. Die Unterhaltung war auf jeden Fall etwas seltsam.

Es ging darum, wen oder was er denn nun liebte und ich verstand es irgendwie nicht oder er konnte es nicht ausdrücken. Ich wusste zumindest später nicht genau, ob er nun Frauen oder Männer liebte. Er konnte es irgendwie auch nicht erklären, was in ihm vorging. Später verstand ich aber, dass er Kinder über alles liebte. Er wollte viele Kinder haben. Aber da er betrogen wurde, traute er den Frauen nicht mehr. Er wurde recht böse, wollte nicht weiter darüber sprechen – redete verwirrt.

Ich dachte, er wird zu viel getrunken haben.

Er schickte mir ein Foto und sah wirklich sehr unglücklich aus. Ich schrieb ihm, dass ich mir jetzt wünschen würde, dass er hier auf meiner Terrasse säße. Das würde die Unterhaltung wesentlich vereinfachen.

Wir diskutierten noch eine Weile. Er redete komisches Zeug. Wir gingen das erste Mal in einem kleinen Streit auseinander.

Eine Stunde später schrieb ich ihn nochmals an, weil es mir keine Ruhe ließ und fragte ihn, ob er mir wirklich die Wahrheit erzählt hatte über sich. Nun war er aber am Strand mit Freunden und trank. Er kam nicht darüber hinweg, dass ich nicht die war, die er kennengelernt hatte. Er sah schlecht aus. Warum ich nichts für ihn fühlte, wollte er wissen. Ich antwortete, dass ich viel an ihn und sein Schicksal denken würde, aber nicht glaubte, dass er mir die Wahrheit sagte.

Er versicherte mir, dass alles wahr sei, was er mir erzählt hatte. Er war sehr unglücklich in dieser Nacht. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich mich wirklich um ihn sorgen würde und dass er mich heute schlaflos machte. Er wünschte sich, dass ich jetzt bei ihm wäre und ich wollte, dass er jetzt versuchte zu schlafen.

„Du schläfst jetzt, ich gehe in einer halben Stunde nach Hause.“

In diesem wirklich sehr verwirrten Chat erzählte er mir auch, dass er meine Tochter heiraten wolle. Ich meinte, dass sie noch ein Kind sei und er sie auch nicht kennen würde. Das war ihm egal. Es wäre meine Tochter, das würde ihm reichen.

Später am Tag erfuhr ich, dass seine Eltern 53 beziehungsweise 55 Jahre alt waren. Er hatte vier Brüder und fünf Schwestern und er war nicht 28, sondern 30 Jahre alt, der Älteste.

Ich erzählte ihm, dass heute ein syrischer Junge im Schwimmbad ertrunken war, in unserem Ort.

„Seine Zeit war vorbei“, war seine Antwort.

„Er hat den Krieg überlebt, um in seinem neuen Land zu sterben!“