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Christen glauben nicht an die Existenz vieler Götter, sondern daran, dass es einen einzigen Gott gibt. »Du sollst dir kein Gottesbild machen.« So steht es in der Bibel. Und doch existieren seit unseren Kindertagen viele Vorstellungen über Gott in uns. Wir sprechen von Gott letztlich immer in menschlichen Begriffen und Bildern und müssen zugleich bekennen, dass Gott – jenseits aller Begriffe und Bilder – der ganz Andere ist. Thomas von Aquin sagt, dass wir von Gott nicht wissen können, was er ist, sondern viel mehr, was er nicht ist – entsprechend der These von der radikalen Andersheit und absoluten Geheimnishaftigkeit Gottes. Der Autor – gelernter Naturwissenschaftler – geht in diesem Buch von einem Komplementärmodell aus, in welchem Wissenschaft und Religion/Theologie jeweils eigenständige Zugänge zu der einen Wirklichkeit zugestanden werden, bei gleichzeitiger Anerkennung einer wechselseitigen Bezogenheit. Es ist der Versuch einer Versöhnung von Rationalität und christlichem Glauben, der Vereinbarkeit von Religion und Naturwissenschaften. Bilder sind allenfalls Hinweise auf Gott, Fenster durch die wir auf den unsichtbaren und unbegreiflichen Gott schauen können. Wenn Gottesbilder zerbrechen, ist uns Gott nicht abhandengekommen, sondern der Weg ist frei, ihn neu zu entdecken. Zahlreiche Menschen sind auf der Suche nach Erfahrungen mit Gott. Gotteserfahrung ist immer etwas zutiefst Individuelles: Wie erlebe ich Gott in meinem Alltag, in meinen Sorgen und Sehnsüchten, meinen Ängsten und meiner Hoffnung? Bei vielen Menschen ist das Theodizee-Problem der Grund dafür, nicht (mehr) an Gott glauben zu können, das heißt die Frage, wie ein zugleich gütiger und gerechter wie allmächtiger Gott, das Leid der Kreatur, Unrecht und Böses in der Welt zulassen kann. Karl Rahner spricht in diesem Zusammenhang davon, dass die sicherste aller Eigenschaften Gottes seine Unbegreiflichkeit ist. Begeben Sie sich mit dem Autor auf Spurensuche und kommen Sie jenem Gott näher, der unser Leben trägt. Ein Buch für Gottsucher, Zweier, unideologische Atheisten, »Anfänger« im Glauben und Glaubensstarke. Mit einem Vorwort von Abtprimas Dr. Notker Wolf OSB.
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Seitenzahl: 173
Impressum
1. Auflage 2016
© Verlag Mainz
Alle Rechte vorbehalten
Herstellung und Vertrieb:
Druck & Verlagshaus Mainz GmbH
Süsterfeldstraße 83
D - 52072 Aachen
www.verlag-mainz.de
Umschlaggestaltung & Bildkomposition: WoM unter Verwendung vonMark Rothkos »New Forms«, https://luxagraf.net/jrnl/2015/04/the-poison-youve-been-dreaming-of
Autor und Verlag haben sich intensiv bemüht, die Rechte an den Abbildungen zu ermitteln und die Erlaubnis zum Abdruck einzuholen. Es ist nicht in allen Fällen gelungen.
Berechtigte Ansprüche werden selbstverständlich im Rahmen der üblichen Vereinbarungen abgegolten.
ISBN: 978-3-8107-0260-9
Für
Patrick
Johannes
Josefine
Veronika
Zum Geleit – Abtprimas Dr. Notker Wolf OSB
»Wird der Menschensohn, wenn er kommt, auf der Erde noch Glauben vorfinden?« (Lk 18,8) Es sind Worte, die Jesus im Blick auf das Weltende spricht. Manchmal möchte man meinen, unsere Gesellschaft sei schon so weit. Viele scheinen Gott vergessen oder verdrängt zu haben. Anscheinend leben sie ganz gut ohne Gott. Sie brauchen ihn nicht, der Glaube enge höchstens ein und bevormunde den freien Menschen.
Brauchen wir Gott? Jedenfalls ist Gott kein Lückenbüßer, an den man sich wendet, wenn man etwas sich selber nicht beschaffen kann. Er ist auch kein Lückenbüßer in der Naturwissenschaft. Die Wissenschaft fragt nach den Zusammenhängen und Ursachen der sichtbaren Welt. Was zuvor war, welchen Sinn diese Welt hat, ob es darüber hinaus etwas gibt, all diese Fragen entziehen sich der sogenannten wissenschaftlichen Fragestellung. Worüber man nicht reden kann, darüber solle man schweigen, hat der Philosoph Wittgenstein gesagt. Der Mensch aber sucht nach Orientierung und sehnt sich nach Sinnhaftigkeit. Was er braucht, ist ein Sinngefüge.
Die Frage, ob Gott existiert, ob man ihn beweisen kann, ist eine theoretische Frage, über die jüngere Menschen gern debattieren. Wenn der Mensch heranwächst und seine Lebenserfahrung zunimmt, wenn er die Brüchigkeit seiner Existenz erfährt, stellt er die Sinnfrage als Gottesfrage, am schärfsten dann, wenn ein tragisches Schicksal über ihn kommt, wenn Leid ihn überfällt oder nahestehende Menschen plötzlich aus dem Leben gerissen werden.
Dem Menschen wird es dann unbequem in seiner Haut. Denn letzte Antworten gibt es nicht, auch nicht in diesem Buch. Aber der Kampf um Gott oder der Kampf mit Gott, wie ihn der Patriarch Jakob am Fluss Jabbok durchgestanden hat, wird zu einem existenziellen Abenteuer. Gott gibt keinen Namen von sich preis. Deshalb haben ihm die Menschen in der Religionsgeschichte so viele Namen gegeben. Vielmehr gibt Gott am Ende des Kampfes dem Jakob selbst einen neuen Namen und segnet ihn. Das Ringen mit dem Glauben in den verschiedenen Lebensphasen verändert den Gottesglauben und den Menschen selbst. Immer aber bleibt Gott faszinierend. Er ist der je Größere, der ganz Andere.
Wer sein Leben ernst nimmt, wird mit der Gottesfrage konfrontiert, und je ernster wir die Gottesfrage nehmen, desto spannender wird sie. Diese Spannung macht dieses Buch lesenswert.
Abtprimas Notker Wolf
Vorwort: Warum und für wen ich dieses Buch schreibe
In der Zeit, in der ich aufgewachsen bin – ich gehöre dem Jahrgang 1943 an – ist leider das Gottesbild vieler Menschen vergiftet worden. Nicht selten wurden – vor allem durch eine moralisierende, stark mit Drohungen arbeitende kirchliche Verkündigung und die entsprechende religiöse Erziehung durch die Eltern – negative Gottesbilder vermittelt. Dabei haben daran beteiligte Priester und Bezugspersonen nur weitergegeben, was sie selbst empfangen haben. Ich möchte deshalb niemanden anklagen.
Weil sie mit diesen verletzenden Gottesbildern nichts mehr zu tun haben wollen, verabschieden sich manche Menschen ganz von Gott. Mir geht es in diesem Buch jedoch nicht nur um die Menschen, die negative Erfahrungen mit Kirche, Eltern und Gott gemacht haben, sondern auch um die vielen Menschen, die in unseren Tagen Gott suchen. Es geht um die Fragen: Wie können wir heute Gott suchen und finden? Wie können wir Gott erfahren? Wie kann man den Zugang zu Gott »freischaufeln« von den großen und kleinen Hindernissen, die im Weg stehen?
Diese suchenden Menschen habe ich auch im Blick, wenn ich über Gottesenttäuschung und Erfahrungen der Abwesenheit Gottes schreibe. Warum das Leid? Wie kann Gott das Leid zulassen? Ist sinnloses Leiden ein Beweis gegen die Existenz Gottes?
Auf viele Fragen gibt es keine letztgültigen Antworten. Gott lässt sich nicht in die Karten schauen. Ich kann mich nur bemühen, im Nachhinein zu verstehen, was geschehen ist und versuchen, es zu deuten und dadurch zu bewältigen.
Es geht mir in diesem Buch stets um Hinweise und möglichst konkrete Wege, wie wir mit krankmachenden Gottesvorstellungen und -bildern umgehen können und wie wir in unserer Welt Gott erfahren und finden können. Auch wenn es dafür selbstredend keine Rezepte gibt und keine systematisch ausformulierten Anweisungen. Manchmal verhelfen die Erfahrung und die Sichtweise eines anderen Menschen dazu, mit anderen Augen auf eine Situation zu schauen. Ich halte es mit Jean Paul, der einmal sagte, Bücher seien »nur dickere Briefe an Freunde«. »Auf die Dauer der Zeit nimmt die Seele die Farbe der Gedanken an«, sagte schon der Römer Marc Aurel vor bald 2000 Jahren. Heute nennen wir das »Neuroplastizität«. Nervenzellen-Verbindungen formen sich neu, wenn sie genutzt werden. Alles, was wir oft denken und tun, verändert unsere Hirnstruktur. Wir sind verantwortlich, mit welchen Gedanken oder Gefühlen wir auf das reagieren, was uns widerfährt.
Wenn ich einen Vortrag halte, gebe ich immer auch Gelegenheit zum Gespräch. Manchmal kommen sehr zentrale Fragen auf. Da spüre ich, was die Menschen bewegt.
Das im Stil einer Anthologie angelegte Buch ist schwerpunktmäßig aus Redemanuskripten meiner Vortragstätigkeit und aus Aufsätzen von mir entstanden. Es geht um meine – zugegebenermaßen – pragmatische Sicht der Dinge. Ich vertraue darauf, dass das, was mich hält, auch anderen eine Hilfe, ein Halt sein könnte.
Sie finden in diesem Buch auch eine Reihe von Spruchweisheiten, Worten, die mir in verschiedenen Lebenssituationen hilfreich waren und wichtig geworden sind. Als jemand, der sich auch der didaktischen Reduktion verpflichtet fühlt, halte ich mich an Theodor Fontane: »Ein guter Spruch (Aphorismus) ist die Wahrheit eines ganzen Buches in einem einzigen Satz.« Ab und an gilt auch: »Aphorismen müssen nicht stimmen. Sie sollen nur anregen, darüber nachzudenken, ob sie stimmen könnten.« (M. Richter)
Aus der Lernpsychologie wissen wir: Der Mensch denkt in Bildern und das Anschauungsprinzip ist ein außerordentlich wichtiger pädagogischer Grundsatz. Durch Einsatz von Gleichnissen, Parabeln, Metaphern, Vergleichen, Plausibilisierungen wird versucht, diesem Wissen Rechnung zu tragen.
Auch bedingt durch die Kürze der Darstellung klingt die Absicht dieser Schrift vermutlich vermessen: Zweifelnde sollen in ihrem Gottesglauben bestärkt werden. Und: wer nicht an Gott glaubt, könnte vielleicht etwas unsicher und unruhig gemacht werden, denn als gelernter Naturwissenschaftler bin ich mir sicher: Religion und Naturwissenschaften schließen sich nicht aus, wie heutzutage manche meinen und fürchten, sondern sie ergänzen und bedingen einander. »Gott steht für den Gläubigen am Anfang, für den Physiker am Ende allen Denkens« (Max Planck).
Biberach an der Riß, Juli 2016
Johann Ceh
Teil 1: Gottesvorstellungen und Gottesbilder
Einführung
Eine repräsentative Umfrage in der Bundesrepublik Deutschland1 enthielt folgende mit Fragen verknüpfte Aufforderung: »Denken Sie mal an Gott. Was fällt Ihnen dazu ein? Wie stellen Sie sich Gott vor?« Die Antworten zeigten eine unübersichtliche Pluralität und sie fielen so vielfältig aus, dass man daraus den Schluss ziehen konnte: »Jeder zimmert sich seinen Gott selber zusammen.« Menschen haben nur sehr begrenzte Möglichkeiten, Gott zu erkennen, denn er ist nicht beschreibbar, nicht definierbar. Wäre Gott kein unergründbares Geheimnis, dann wäre er nicht Gott, sondern ein Götze. Gott ist und bleibt der ganz Andere und was wir von ihm sagen, ist immer mehr falsch als richtig.
»Wenn du meinst,
du hättest verstanden,
kannst du sicher sein,
dass du es nicht mit Gott zu tun hast.«
Augustinus
Christen glauben an einen persönlichen Gott, an ein »Gegenüber«. Obwohl in der Bibel die radikale Bildlosigkeit Gottes gefordert wird (Ex 20,4), haben sich Menschen zu allen Zeiten Bilder und Vorstellungen von Gott gemacht, denn menschliches Denken geschieht in Bildern und Symbolen. Auf diese Weise lassen sich auch – ebenso wie in Metaphern und Gleichnissen - Erfahrungen mit Gott zum Ausdruck bringen.
Da Gottesbild und Selbstbild eines Menschen in enger Beziehung stehen, kann vermutet werden, dass es so viele Gottesbilder gibt, wie Menschen, die an Gott glauben.
Gottesbilder beginnen sich im Laufe einer religiösen Sozialisation bereits in frühester Kindheit zu entwickeln, und es besteht eine enge Wechselwirkung mit der Herausbildung der Grundmuster des Fühlens, Denkens und Handelns. Bei positiver Ausprägung können Gottesvorstellungen lebensbegründend sein. Im negativen Fall können sie jedoch auch – bis zu dem extremen »Gotteskomplex« (H.E. Richter) oder gar der »Gottesvergiftung« (T. Moser) – eine schädliche, lebensferne und lebensfeindliche Wirkung zeigen.
Horst Eberhard Richter beschreibt in seinem Buch »Der Gotteskomplex« die moderne westliche Zivilisation als psychosoziale Störung. Er stellt die Hypothese auf, der Mensch sei aus mittelalterlicher Ohnmacht heraus in einen Omnipotenzwahn geflüchtet (Ohnmachts-Allmachts-Zirkel), der die tiefste Ursache für die wachsenden Probleme unserer Gesellschaft sei.
In seinem eifernden Buch »Gottesvergiftung« geht es dem Psychoanalytiker Tilmann Moser (geb. 1938) zum einen um die persönliche Aufarbeitung einer gescheiterten religiösen Sozialisation, zum anderen – im Kontext christlicher Gottesvorstellungen – um die Aufdeckung grundlegender Fehlformen religiöser Erziehung und daraus resultierenden Verhaltens. Moser bezeichnet seinen seelischen Zustand als »Krankheit Gott«, die durch die religiöse Erziehung im Elternhaus hervorgerufen wurde.
Menschen basteln sich ihre Gottesvorstellungen so, wie sie ihren Gott gern hätten; wie sie meinen, dass sie ihn brauchen können. Die »Wahlfreiheit in Sachen Gottesbilder« (Jürgen Werbick) greift ganz offensichtlich um sich und Glaubende bevorzugen zunehmend Gottesvorstellungen, mit denen sie gut leben können. Jedoch: Gott ist nicht nur ein angenehmer Begleiter; er fördert auch durch Fordern, und er fordert heraus.
Wer sich mit Gottesbildern auseinandersetzt, erfährt schmerzlich: Alles bleibt Stückwerk, immer unvollendet und zu ergänzen, einem riesigen Mosaik vergleichbar, das aus vielen Teilchen zusammengesetzt ist. Diese Schrift will einige solcher Mosaiksteinchen zusammentragen, indem Gottesvorstellungen gesammelt und »Erfahrungssplitter« eingebracht werden.
Begeben Sie sich auf Spurensuche in Ihrer eigenen Biographie. Setzen Sie sich mit Ihren häufig von Ihren Erziehungspersonen unreflektiert übernommenen, tradierten Gottesbildern auseinander und versuchen Sie, eine eigenständige und tragfähige Gottesbeziehung zu entwickeln.
»Alles, was ich sage, sei Gespräch,
nichts sei ein Rat. Ich würde nicht
so kühn reden, wenn man mir
folgen müsste.«
Erasmus von Rotterdam
Nach Gott Ausschau halten
Walter Habdank, In Erwartung, 1975
Gott spricht:
»Wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, so will ich mich von euch finden lassen.«
Jer 20,13–14
1. Der unerkannte Gott – Zur Frage, ob es einen Gott gibt
»Ohne das Wissen um eine höhere Macht ist der Mensch seiner eigenen Arroganz und Maßlosigkeit ausgeliefert. Ohne jene übergeordnete Autorität fehlen ihm die Orientierungsmarken, hält er sich selbst für allmächtig, bis er nicht einmal mehr an sich selbst glaubt. Wenn es keinen transzendenten Bezug gibt, dann wird in dieser immer verwirrender werdenden Welt die Hilflosigkeit am Ende zur Verzweiflung. Nie zuvor hat es so viel Selbstmorde gegeben wie heute: in der Bundesrepublik sind es täglich 35, darunter ein bis zwei Kinder unter 15 Jahren«.2
Marion Gräfin Dönhoff
»Einer fragte Herrn K., ob es einen Gott gäbe.
Herr K. sagte: »Ich rate dir, nachzudenken, ob dein Verhalten je nach der Art der Antwort auf diese Frage sich ändern würde. Würde es sich nicht ändern, dann können wir die Frage fallenlassen. Würde es sich ändern, dann kann ich dir wenigstens noch so weit behilflich sein, dass ich dir sage, du hast dich schon entschieden: Du brauchst einen Gott.«3
Bertolt Brecht
»Wenn du nicht weißt, ob es Gott gibt,
dann knie jeden Abend nieder
und bete fünf Minuten zu ihm.
Dann wird es sich herausstellen.«
Teresa von Avila
Unzählig viele Argumente und Erfahrungen deuten auf die Existenz Gottes hin. Schleswig-Holsteins Ex-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen gab in einer Fernsehsendung (13.9.2015) auf die Frage: »Wie stellen Sie selbst sich Gott vor?« zur Antwort: »Schwierige Frage. Ich glaube nicht nur an Gott, ich weiß, dass es ihn gibt« – eine Formulierung, die sinngemäß auch C.G. Jung zugeschrieben wird.
Wenn Gott mathematisch zu beweisen wäre, dann wäre der »Glaube« an ihn eine Frage der Intelligenz und nicht der Existenz. Erkenntnisse von naturwissenschaftlicher Beweiskraft sind auf Anschauung angewiesen. Da Gott nicht in Raum und Zeit existiert, ist er nicht Gegenstand der Anschauung. Das Problem der Existenz Gottes ist keine naturwissenschaftliche Fragestellung.
Mit der Macht des Denkens kann man nach Kant nicht zu den – denknotwendigen, aber nicht durchschaubaren! – »Dingen an sich« und erst recht nicht zum wirklichen Gott vorstoßen.4
Umgangssprachlich wird »glauben« meistens im Sinne von vermuten, erwarten, meinen, für wahr halten gebraucht. Kritiker setzen das Wort gerne gleich mit »Nicht-Wissen«.
Der französische Schriftsteller und Philosoph Albert Camus suchte nach aufrichtigem und radikalem Menschsein und er erklärte ausdrücklich: »Ich glaube nicht an Gott und bin kein Atheist.« Camus leugnete Gott nicht, vermochte aber nicht mehr an ihn zu glauben. Zeit seines Lebens hat der Nichtchrist Camus jedoch die Gestalt Jesu sowie ein authentisches Christsein hoch geschätzt
Im Zentrum seiner Werke steht die Erfahrung des Absurden, der Sinnlosigkeit. Da der Mensch nur begreifen kann, was innerhalb seiner Grenzen liegt, kann er nach Camus einen möglicherweise vorhandenen, über sich hinausgehenden Sinn der Welt, unmöglich erkennen.
Die Frage, wie kann man in einer absurden Welt ohne Gott überhaupt leben, beantwortete Albert Camus so: »Das gelobte Land, das wir suchen, gibt es nicht. Es ist unmöglich, für das Morgen zu leben, anstatt dem Heute. Die Welt an sich hat keinen Sinn, erst der handelnde Mensch verleiht ihn ihr, indem er für die Geknechteten und Entrechteten eintritt. Das ist es, was Sinn macht. Unrecht, Leiden und Tod sind nicht aus der Welt zu schaffen. Es gilt, die Erde zu lieben, kühn und intelligent zu denken, klar zu handeln und zu wirken.«5
Nach religiösem Verständnis bedeutet »Glaube« (als Verb) jedoch: Vertrauen auf …, sich verlassen auf … Sich-richten-nach …, Offensein für Offenbarung, Übernatürliches, Transzendentes. Glaube in diesem Sinne ist damit existentiell mehr als Wissen. Das lateinische Wort »fides« heißt Vertrauen und auch Treue.
Für Augustinus ist der Glaube auf der Suche nach Einsicht. »Ich glaube, damit ich verstehe«, so formulierte es Anselm von Canterbury, der Vater der Scholastik, der 1720 zum Kirchenlehrer ernannt wurde. Die Einheit von Glauben und Vernunft herauszustellen war sein großes Anliegen.
Da Gott der Schöpfer der Vernunft ist, kann sie nach Anselm dem Glauben nicht widersprechen, sondern erleuchtet ihn. In dem von ihm 1077/1078 verfassten »Proslogion« - dem ersten Werk, das einen ontologischen Gottesbeweis enthält – schreibt Anselm: »Herr, ich versuche nicht, in deine Höhe vorzudringen; mein Verstand kann dich ja auf keine Weise erreichen. Ich wünsche, nur einigermaßen deine Wahrheit zu begreifen, die mein Herz glaubt und liebt. Denn ich suche nicht zu begreifen um zu glauben, sondern ich glaube um zu begreifen.«
Als Versuch zur Beantwortung der Frage, ob es Gott gibt oder nicht, schlug der französische Mathematiker Blaise Pascal (1623-1662) einem Ungläubigen vor, an diese Problematik wie an eine Wette heranzugehen.
In einem Dialog zwischen zwei fiktiven Gesprächspartnern wird entwickelt, dass die Frage, ob es einen Gott gibt, logisch zwar nicht zu entscheiden ist, dass aber der Glaube an Gott sich als einzige positive Möglichkeit erweist.
Setzt man darauf, dass es Gott nicht gibt, so riskiert man, dass es ihn doch gibt und verspielt – wenn man so lebt, als wenn es ihn nicht gäbe – sein ewiges Glück.
Wenn jemand – im Gegensatz dazu – darauf setzt, dass es Gott gibt, riskiert er fast nichts. Er lebt sein irdisches Leben dann vielleicht etwas stärker gebunden. Das ist alles. Stellt sich später heraus, dass es Gott doch nicht gibt, hat dieser Mensch ein ewiges Leben sowieso nicht mehr zu erwarten.
Was also tun? Pascal als Mathematiker kann nur raten: Auf Gott setzen. Dabei ist das Risiko klein, die Erfolgschancen sind dagegen ungleich größer.
Bei Dostojewski (»Briefe«) findet sich der Satz: »Wenn es keinen Gott gibt, dann ist alles erlaubt.«. Jean-Paul Sartre, berühmter Philosoph und Atheist, stimmte dieser Aussage zu und machte sie zum Ausgangspunkt seiner Philosophie des Existentialismus. »Wenn […] Gott nicht existiert, so finden wir uns keinen Werten, keinen Geboten gegenüber, die unser Betragen rechtfertigen. So haben wir weder hinter uns noch vor uns, im Lichtreich der Werte, Rechtfertigungen und Entschuldigungen.«6
Eine Gegenposition zu Sartre nimmt zum Beispiel der Philosoph Herbert Schnädelbach ein. Er hält die Aussage Dostojewskis für einen der dümmsten Sprüche, die es gibt. Schnädelbach argumentiert: »Selbst wenn es Gott nicht geben sollte, darf ich nicht bei Rot über die Ampel gehen, Steuern hinterziehen oder meine Frau schlagen.« Richtig ist in diesem Zusammenhang, dass es zur Erkenntnis erlaubten oder unerlaubten, also moralischen und unmoralischen Handelns, nicht des Gottesglaubens bedarf. Eine ganz andere Frage ist, wie man ein absolutes Sollen ohne den Gedanken Gottes als des Absoluten und Unbedingten fassen und begründen kann.
Die Aussage, dass Gott Liebe ist, drückt in tiefster Weise etwas über sein Wesen aus, wie und wer er ist. Liebe ist nicht nur eine Eigenschaft Gottes, sondern er ist Liebe in sich selbst und die Liebe hat ihren Ursprung im Wesen Gottes.
Im 13. Kapitel des 1. Korintherbriefs findet sich ein Hymnus an die Liebe, eine Beschreibung von »Die Liebe ist langmütig« bis zu »Die Liebe vergeht niemals«.
Das Evangelium des Johannes beginnt folgendermaßen:
»Im Anfang war das Wort,
und das Wort war bei Gott,
und Gott war das Wort.«
Das Original dieser Frohbotschaft ist in Griechisch geschrieben und für »Wort« steht dort »Logos«. Der »Logos« des Prologs des Johannesevangeliums ist das fleischgewordene Wort, Jesus Christus.
Der altgriechische Ausdruck Logos verfügt über einen außerordentlich weiten Bedeutungsspielraum. Er wird unspezifisch im Sinne von Wort und Rede, sowie deren Gehalt (Sinn) gebraucht – umfassend auch als »Gesamtsinn der Wirklichkeit«.
»Gott existiert, ich bin ihm begegnet«. So provozierend war der Titel eines Buches von André Frossard, das vor einigen Jahrzehnten in Frankreich und im deutschen Sprachraum ein Bestseller war.
Frossard, ein französischer Journalist und überzeugter Atheist hatte als eben 20-jähriger in einer Kapelle in der rue d’Ulm in Paris, die er rein zufällig betrat, während er auf einen Freund wartete und in der das Allerheiligste ausgesetzt war, eine derart intensive Gottesbegegnung, dass er, als er wenige Minuten später die Kapelle verließ und auf die Straße trat, seinem dort wartenden Freund mitteilte, dass er von nun an Katholik sei.
Einen Monat lang hatte André jeden Tag das gleiche Erlebnis. Er erlebte dreißigmal »dieses Licht, das den Tag erblassen ließ, diese Milde, die ich nie vergessen werde und die mein ganzes theologisches Wissen ist.« Da hatte offensichtlich so etwas stattgefunden wie Ergriffenheit, Berührung mit dem Geheimnis, Begegnung.
An der Aufrichtigkeit der Aussagen von Frossard sei nicht zu zweifeln, schrieb – nach gründlichen Recherchen – »Le Monde«.
André Frossard wurde, kurz nachdem Johannes Paul II. sein Pontifikat angetreten hatte, zu einem Gespräch mit ihm in den Vatikan eingeladen. Für den Papst war die Erfahrung Frossards der Schlüssel für die Neuevangelisation: »Gott existiert, ich kann ihm begegnen.«
Der jüdische Gelehrte und Bibelübersetzer Martin Buber schrieb einmal: »Alle Vorstellungen von Gott sind nur Richtungspfeile, […] die Wirklichkeit Gottes erfährt der Mensch nicht in diesen Vorstellungen und Worten, sondern nur in der lebendigen Begegnung.«
Gott ist »der ganz Andere« (Karl Barth) und er bleibt ein Geheimnis. Frère Roger, der verstorbene Gründer der Gemeinschaft von Taizé, sagte einmal: »Den Umrissen des unermesslichen Geheimnisses Gottes können wir uns nur annähern. Zeit unseres Lebens werden wir es nicht ganz verstehen; doch wir können uns ihm nähern, und das genügt zum Leben.«
Das Tröstliche dabei ist, dass dieses Geheimnis einen Namen hat: Liebe. »Gott ist die Liebe«, so steht es lapidar im ersten Johannesbrief (4,8). Und: Einer Liebe kann man sich anvertrauen, auch wenn sie ein Geheimnis ist und bleibt.
Das folgende Gedicht »Der unerkannte Gott« wurde geschrieben von Angelus Silesius (1624–1677), eigentlich Johann Scheffler, einem Barockdichter, der sich selbst »Engel von Schlesien« nannte.
»Was Gott ist,
weiß man nicht.
Er ist nicht Licht,
nicht Geist.
Nicht Wahrheit,
Einheit, Eins,
nicht was
Gottheit heißt.
Nicht Weisheit,
nicht Verstand,
nicht Liebe,
Wille, Güte.
Kein Ding,
kein Unding auch,
kein Wesen,
kein Gemüte.
Er ist,
was ich
und du
und keine Kreatur,
eh wir
geworden sind,
was er ist,
nie erfuhr.«
2. Wer von den Blinden hat Recht?
»Gott hat keinen Namen.
Ein Name ist ein Gefängnis.
Gott ist frei.«
Nikos Kazantzakis
Nikos Kazantzakis, einer der bedeutendsten griechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, erzählt eine Geschichte, deren Quintessenz sich übertragen lässt auf die Problematik der Vielfalt der Gottesbilder. Menschen auf ihrer Suche nach Gott haben Wesentliches gemeinsam mit den Blinden dieser Parabel.7