Gott und Mammon - Andrea Nickel-Schwäbisch - E-Book

Gott und Mammon E-Book

Andrea Nickel-Schwäbisch

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Beschreibung

Andrea Nickel-Schwäbisch widmet sich in ihrem Buch dem Thema Geld aus biblischer und soziologischer Perspektive. In einem ersten Teil beschreibt sie auf spannende und fundierte Art, wie Geld entstanden ist und heute "funktioniert". Anhand ausgewählter Bibelstellen fragt sie dann in einem zweiten Teil danach, welche Rolle Geld in der Beziehung zwischen Gott und Menschen spielt und weckt das Bewusstsein dafür, das Geld schon immer auch eine spirituelle Komponente hatte. Entstanden ist ein tiefgründiges und kluges Buch mit überraschenden Einblicken in die Wechselbeziehung von Geld, Gesellschaft und Religion.

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Seitenzahl: 190

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Andrea Nickel-Schwäbisch • Gott und Mammon

Die Bibelstellen sind folgender Übersetzung entnommen: Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2019 Neukirchener Verlagsgesellschaft mbH, Neukirchen-Vluyn

Alle Rechte vorbehalten

Umschlaggestaltung: Vogelsang Design, Aachen, unter Verwendung eines Bildes von shutterstock.com, © Dimec

Lektorat: Hauke Burgarth, Pohlheim

DTP: Breklumer Print-Service, www.breklumer-print-service.com

Verwendete Schrift: Scala, ScalaSans

Gesamtherstellung: Finidr, s.r.o.

Printed in Czech Republic

ISBN 978-3-7615-6502-5 Print

ISBN 978-3-7615-6503-2 E-Book

www.neukirchener-verlage.de

Meiner Mutter in Dankbarkeit gewidmet

Zum Geleit

In der Gegenwart bestimmen die Ökonomie und ihr Leitmedium, das Geld, in immer stärkerem Ausmaß die Gesellschaft. Die Regeln des Marktes haben fast alle Lebensbereiche infiltriert. Der Bereich dessen, „was man für Geld nicht kaufen kann“ (Michael Sandel) wird kleiner. Diese neoliberale Marktgesellschaft verändert das Zusammenleben der Menschen und ihre psychische Konstitution grundlegend. Nicht von ungefähr sind daher das Geld und der Umgang mit demselben ein zentrales Thema des biblischen Zeugnisses und der theologischen Reflexion.

Die fundierte philosophische und theologische Analyse, die uns Andrea Nickel-Schwäbisch hier vorlegt, macht deutlich, dass Geld mehr ist als ein praktisches Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel, mit dem man zugleich gut rechnen kann. Jeder Umgang mit Geld verweist auf die Gesellschaft im Allgemeinen und auch auf die Religion.

Aus diesem Grunde ist es sehr erhellend, dass Frau Nickel-Schwäbisch die soziologische Perspektive mit der theologischen verbindet. Indem sie biblische Texte aus dieser Doppelperspektive betrachtet, werden gegenwärtige Entwicklungen verständlich. Die Bibel erweist sich dabei als äußerst aktuell.

Das vorliegende Buch konfrontiert die Leserin und den Leser mit wichtigen soziologischen, philosophischen und wirtschaftswissenschaftlichen Überlegungen und deutet sie im theologischen Kontext. Allen, die die gegenwärtige Bedeutungssteigerung des Geldes tiefer verstehen wollen, sei es zur Lektüre empfohlen.

Prof. Dr. Euler Westphal,

Universidade de Joinville (Brasilien)

Danksagung

Als ich meine Arbeit an der Evangelischen Hochschule Nürnberg begann, wurde mir schnell bewusst, dass sich Ethik auf die konkreten Probleme der Gegenwart zu beziehen hat, um für die Studierenden relevant zu sein.

Mit den Studierenden diskutiere ich daher medienethische, medizinethische und eben auch wirtschaftsethische Fragen. Dieses Buch ist aus der von mir erstellten Begleitlektüre zum Seminar „In go(l)d we trust. Biblische und soziologische Untersuchungen zum Medium Geld“ entstanden. Ich danke den Studierenden für die weiterführenden Diskussionen, die für mich sehr bereichernd waren. Der Text wurde für dieses Buch überarbeitet. Die Anmerkungen sind um der besseren Lesbarkeit willen nicht angezeigt. Eine Orientierung über das Literaturverzeichnis ist aber möglich.

Wäre meine Kollegin, Frau Prof. Dr. Martina Plieth, nicht gewesen, so wäre es wohl bei einer Seminarbegleitlektüre geblieben. Sie aber hat mich nachdrücklich zur Veröffentlichung ermutigt.

Mein Dank gilt aber auch in besonderer Weise meiner Freundin Dr. Karin Bassler. Ihr verdanke ich wertvolle Einsichten in die Welt der Ökonomie.

Die Zusammenarbeit mit dem Neukirchener Verlag hat mir große Freude bereitet. Mein Lektor, Herr Hauke Burgarth, darf in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben.

Leonie Petzoldt und meiner Schwester, Renate Finkbeiner, danke ich für die kritische Lektüre des Manuskripts.

Nürnberg, Erntedankfest 2018

Andrea Nickel-Schwäbisch

Das Wesen des Geldes

Als der Philosoph und Soziologe Georg Simmel sich Anfang des letzten Jahrhunderts Gedanken darüber machte, was denn das Wesen des Geldes sei, war er unschlüssig, welchen Titel er seinem Werk geben sollte. Am 20. Mai 1889 hatte er im staatswissenschaftlichen Seminar des Nationalökonomen Gustav Schmoller einen Vortrag mit dem Titel Zur Psychologie des Geldes gehalten und war von dem Thema so berührt, dass er diese Gedanken in einem Buch vertiefen wollte. Letztlich entschied er sich für den Titel Philosophie des Geldes. Ihm war bewusst, dass das Phänomen Geld unter unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden kann und muss. Er hielt fest, „daß zwei Menschen ihre Produkte gegeneinander vertauschen, [ist] keineswegs nur eine nationalökonomische Tatsache“, sondern kann „ganz ebenso legitim als eine psychologische, als eine sittengeschichtliche, ja als eine ästhetische Tatsache behandelt werden“. Geld ist aufs Engste mit der Geschichte der Menschheit verwoben und eine soziale Tatsache, die nur interdisziplinär fassbar ist.

Das Wesen des Geldes scheint banal und gleichzeitig komplex zu sein. Jeder meint zu wissen, was Geld ist, und dennoch bringt es Ökonomen beim Nachdenken über dieses Medium an ihre Grenzen. So konnte das Buch Das Wesen des Geldes des berühmten Nationalökonomen Joseph Alois Schumpeter, an dem er Jahrzehnte gearbeitet hatte, erst zwanzig Jahre nach seinem Tod erscheinen. Zu Lebzeiten schien ihm die Veröffentlichung nicht angezeigt, weil die Thematik zu schwierig wäre. Andere Ökonomen wichen einer Beschäftigung mit der Frage, was Geld denn eigentlich sei, aus und zitierten die Geldtheorie des Ökonomen Adam Smith, der Geld als praktisches Tausch- und Wertaufbewahrungsmittel und als Recheneinheit sah.

Es ist wahr: Mit Geld kann man rechnen, tauschen und Werte aufbewahren. Aber mit dieser Funktionsbeschreibung ist das Wesen des Geldes noch nicht erfasst. Das Geld weist immer über sich hinaus. Schumpeter wurde bei seiner Arbeit immer deutlicher, dass man Geld nicht verstehen kann, ohne die Gesellschaft im Ganzen zu verstehen. Ein Satz aus seinem Werk wurde zum geflügelten Wort: „Der Zustand des Geldwesens eines Volkes ist ein Symptom aller seiner Zustände.“ Geld verweist also auf alles Soziale. Dieser Verweisungszusammenhang begründet die Sonderstellung des Mediums Geld.

Es dauerte lange, bis sich diese Erkenntnis in den Wirtschaftswissenschaften niederschlug. Erst in jüngster Zeit werden verstärkt transökonomische Phänomene mit berücksichtigt. So setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass der wirtschaftlich agierende Mensch nicht nur ein homo oeconomicus ist, der konstante Präferenzen hat, eigeninteressiert und rational handelt und systematisch auf Anreize reagiert, welche von Institutionen bestimmt werden. Neuerdings wird dem wirtschaftlich handelnden Menschen zugestanden, dass er ebenso von Gefühlen bestimmt ist und ethischen und kulturellen Vorgaben verpflichtet sein kann. Das Wirtschaftssystem lässt sich daher nicht länger als ein System sehen, das mathematisch exakt beschrieben werden kann. Es arbeitet immer auch in Bezug zu nicht ökonomischen Lebensbereichen.

Der Umgang mit Geld wird damit in der Innenperspektive von vielen außerökonomischen Variablen bestimmt. Gleichzeitig wirkt er aber auch auf viele nicht ökonomische Bereiche. Die Ökonomie ist keine Insel, die andere gesellschaftliche Bereiche unbeeinflusst ließe. Das war schon immer so. In der Gegenwart weitet sich die Geldbestimmtheit der Gesellschaft aber immer weiter aus. Der Soziologe Colin Crouch fasst diese Entwicklung so zusammen: „Der Finanzmarkt dehnte sich (nach dem Aufkommen des neoliberalen Wirtschaftens) aus wie das Universum nach dem Urknall.“

Das Medium Geld wird zunehmend auch dort bestimmend, wo eigentlich andere Bewertungskriterien gelten. So lassen sich zum Beispiel Drittmitteleinnahmen im Bereich der Wissenschaft leichter vergleichen als Thesen und Theorien. Die Höhe der Bestechungsgelder, die nötig sind, um eine politische Frage zu beeinflussen, gibt Aufschluss darüber, wie mächtig Politiker und Politikerinnen sind. Sage mir den Versteigerungserlös eines Kunstwerkes, und ich gebe dir Auskunft über dessen ästhetischen Wert. Auch der Mensch selbst kann als „Humankapital“ in den Blick genommen werden. Gegenwärtig prägen die Ökonomie und ihr Leitmedium Geld die Gesellschaft in einem nie gekannten Ausmaß.

Aber die gesellschaftliche Dimension des Geldes ist nicht die einzige. Im Wesen des Geldes liegt noch viel mehr. In seinem Buch Geld oder Gott? Zur Geldbestimmtheit der kulturellen und religiösen Lebenswelt schreibt der Theologe Falk Wagner: „Gott – das Absolute – ist zu jeder Zeit gegenwärtig; es fragt sich nur, in welcher Gestalt. Unter den Bedingungen der modernen, ökonomisch bestimmten Gesellschaft tritt das Geld seine Karriere als alles bestimmende Wirklichkeit an.“ Dem Geld käme damit auch eine religiöse Dimension zu. Der Satz „In God we trust“ auf US-Dollar-Noten wäre mutiert zu dem Satz: „In gold we trust“. Oder mit den Worten Falk Wagners: „Geld ersetzt nicht nur religiöse Sicherungsmittel, sondern wird selber zum ‚god-term‘“.

Diese Entwicklung macht deutlich, wie wichtig es ist, sich aus soziologischer und theologischer Perspektive mit dem Medium Geld auseinanderzusetzen. Geld muss als Medium, als Vermittelndes, in soziologischer und theologischer Perspektive in den Blick kommen, will man seine gegenwärtige Bedeutung verstehen. Eine exegetische Annäherung ans Thema wird dadurch erleichtert, dass der doppelte Mediencharakter des Geldes schon in den biblischen Texten angezeigt wird.

Zum einen versucht der Mensch im Medium Geld, sich zu Gott in ein Verhältnis zu setzen. Bis in die Sprache hinein werden Geld und Heil zusammengedacht. So etwa, wenn es heißt, dass der Menschensohn gekommen ist und „sein Leben gebe als Lösegeld für viele“ (Markus 10,45). Das Medium Geld bestimmt zum anderen auch in vielfacher Hinsicht die Relation der Menschen untereinander. Es geht hierbei nicht nur um geregelte Tauschbeziehungen, bei denen Geld als Einheit und Maßstab gebraucht werden kann. Geld regelt auch die soziale Position von Menschen in der Gesellschaft. Im biblischen Zeugnis wird aufgezeigt, wie Geld in der Realität zwischen Mensch und Mensch vermittelt, aber auch, wie es vermitteln sollte.

So steht das Medium Geld zwischen Mensch und Gott und zwischen Mensch und Mensch. Diese Medienfunktionen des Geldes gliedern das Buch. Nach allgemeinen Überlegungen zum Medium Geld fragen wir zunächst nach der Bedeutung des Geldes in der Beziehung Mensch und Gott. In einem zweiten Schritt steht die zwischenmenschliche Beziehung im Vordergrund.

Nach dem biblischen Zeugnis kommt es darauf an, dem Medium Geld eine adäquate Vermittlungsfunktion zuzuweisen, um Gott und Mensch und Mensch und Mensch in ein rechtes Verhältnis zu bringen. Damit Geld nicht zum Mammon wird, muss sich der Mensch zu ihm in ein rechtes Verhältnis bringen.

I. Teil: Geld im Überblick

Wie funktioniert das Geld?

Unter Geld wird in der Regel ein allgemein anerkanntes Tausch- und Zahlungsmittel verstanden. Dem entspricht auch die etymologische Herleitung vom althochdeutschen „gelt“, was so viel wie Vergeltung, Vergütung, Einkommen oder Wert bedeutet. Mit Geld kann man zahlen; Geld kann man gegen anderes eintauschen. Daraus jedoch den Schluss zu ziehen, dass Geld an sich wertvoll sei, ist falsch. Münzen, Scheine und erst recht die bargeldlosen Vermerke auf Konten sind an sich nicht wertvoll. Geld ist vielmehr ein Zahlungsversprechen. Wer Geld hat, hat Anrecht auf eine Einlösung des an sich Wertlosen in unterschiedlichste Werte. Ein Geldschein verleiht damit das Anrecht auf zukünftige Erfüllung von Erwerbszielen. Geld erhält seinen Wert, wenn der Besitzer davon ausgehen kann, dass eine allgemeine Annahmepflicht besteht. Ein Geldbesitzer kann damit rechnen, sein Geld jederzeit gegen Sachwerte oder Dienstleistungen eintauschen zu können.

Damit ist Geld wie ein Schuldschein; im Grunde ist es ein Kredit. Aber der Volkswirt Felix Martin stellt klar: „Obwohl alles Geld Kredit ist, ist nicht jeder Kredit Geld: Der entscheidende Unterschied ist die Möglichkeit der Übertragung. Ein Schuldschein, der dauerhaft ein Kontrakt zwischen nur zwei Parteien bleibt, ist nichts anderes als ein Kredit. Ein Kredit ist aber kein Geld. Erst wenn der Schuldschein an einen Dritten übertragen werden kann – wenn er ‚begebbar‘ beziehungsweise ‚indossierbar‘ ist, wie es im Finanzjargon heißt –, erwacht der Kredit sozusagen zum Leben und dient als Geld. Anders ausgedrückt, Geld ist nicht bloß Kredit, sondern übertragbarer Kredit.“

Als man in England Kerbhölzer, auf denen Schulden verzeichnet waren, weitergeben konnte, um Waren oder Dienstleistungen zu erwerben, wurden diese Kerbhölzer zu Geld. Auf den Kerbhölzern wurden Einzelheiten der Zahlungen an das Schatzamt oder von diesem vermerkt. Diese wurden dann „mittig längs gespalten, sodass jede Partei, die an der Transaktion beteiligt war, einen Beleg darüber besaß. Die Hälfte des Gläubigers wurde stock („Stock“) und die des Schuldners foil („Gegenstück“)“ genannt. Die einzigartige Maserung des Weidenholzes machte einen Kerbstock praktisch fälschungssicher. Geld ist somit ein Schuldschein mit einem abstrakten Wert, der weitergegeben werden kann. Damit ist es kein Warentauschmittel, sondern eine soziale Technologie.

Das Weitergeben eines Schuldscheins gelingt aber nur, wenn der Gläubiger das Vertrauen hat, dass er ihn jederzeit weitergeben kann. Geld ist damit im Wortsinn Kredit, wenn Kredit mit „Vertrauen“ übersetzt wird. Es funktioniert, solange die Menschen glauben, dass es funktioniert. Somit ist es also weder entscheidend, dass Geld jederzeit in Gold umgetauscht werden kann, noch dass ein Bruttoinlandsprodukt vorhanden ist, das der Umlaufmenge des Geldes entspricht. Wichtig ist allein, dass Menschen darauf vertrauen, Geld als Schuldschein gegen andere Werte weitergeben zu können. Solange dieses Vertrauen besteht, bleibt Geld in Geltung. Wenn das Vertrauen nicht mehr aufgebracht werden kann, ist Geld wertlos.

Wie entstand das Geld?

Die Ursprünge des Geldes lassen sich nicht mit Sicherheit ermitteln, aber höchstwahrscheinlich gibt es zwei Herkunftslinien: eine sakral-mythologische und eine praktisch-alltägliche. Die eine geht auf den Kultus, speziell den Opferkult, zurück, die andere hängt mit den Erfordernissen einer funktionierenden städtischen Gesellschaft zusammen.

Die Herkunft des Geldes aus dem Opferkult zeigt sich an Redewendungen wie: „Ich entrichte meinen Obolus“. Der Obolos war eine griechische Münze. Ursprünglich bezeichnete das Wort den Bratspieß, der bei Tieropfern verwendet wurde. Solch ein Spieß konnte seiner sakralen Bedeutung wegen auch im normalen Geschäftsverkehr als Geld verwendet werden. Und dies ist kein Einzelfall: Die Drachme zum Beispiel bedeutet eigentlich „eine Handvoll Spieße“. Die unhandlichen Spieße wurden schließlich durch Münzen aus Silber ersetzt, den Namen Obolos behielten sie.

Auch im Judentum findet sich ein enger Zusammenhang zwischen Münzen und Opfergaben. So wurden männliche Erstgeborene, die nach 2. Mose 13,2 Gott gehören, entweder gegen ein Tieropfer (Lukas 2,22ff) oder die Bezahlung von fünf Silbermünzen an den Priester ausgelöst. Geld ist nach dieser Herkunftslinie die der Gottheit zu entrichtende Abgabe, also der Inbegriff des Opfers.

Die zweite Herkunftslinie ist sehr viel banaler. Diese Anfänge des Geldes reichen noch weit hinter die ältesten nachweisbaren Münzfunde zurück in die Zeit der ersten städtisch geprägten Hochkulturen der Assyrer und Babylonier: Es waren Schuldscheine. Das Material spielte daher nur eine untergeordnete Rolle, denn Geld ist, wie wir gesehen haben, eigentlich Ausdruck einer Beziehung zwischen Gläubiger und Schuldner. Die Geschichte des Geldes kann geradezu als Geschichte des Schuldverhältnisses bezeichnet werden.

In der Gegend des heutigen Irak wurden Tontäfelchen mit eingeritzter Keilschrift gefunden. Darauf steht zum Beispiel, dass der Inhaber eines solchen Täfelchens zur Erntezeit eine gewisse Menge Gerste oder nach einer Reise eine bestimmte Menge Silber zu bekommen hat. Diese Täfelchen sind gleichzeitig die ersten Schriftzeugnisse in der Menschheitsgeschichte.

Nicht um Mythen, Geschichten oder philosophische Überlegungen festzuhalten, wurde die Schrift erfunden, sondern um profane Handels- und Tauschbeziehungen in einer arbeitsteilig organisierten Gesellschaft zu dokumentieren. Geld ist somit eine Sozialkonvention. Wir können dies auch sehr schön mit der aristotelischen Geldtheorie zusammenfassen: „Deshalb muss alles, was ausgetauscht wird, irgendwie vergleichbar sein. Dafür nun ist das Geld auf den Plan getreten: Es wird in gewissem Sinn zu einer Mittlerinstanz, denn alles lässt sich an ihm messen, auch das Zuviel also und das Zuwenig, wie viele Schuhe denn etwa einem Haus oder Nahrungsmittel gleichwertig sind … Als eine Art austauschbarer Stellvertreter des Bedarfs aber ist das Geld geschaffen worden, auf Grund gegenseitiger Übereinkunft. Und es trägt den Namen ‚Geld‘ (nomisma), weil es sein Dasein nicht der Natur verdankt, sondern weil man es als ‚geltend‘ gesetzt (nomos) hat und es bei uns steht, ob wir es ändern oder außer Kurs setzen wollen.“ So kann es sein, dass Menschen Kaurischnecken als Zahlungsmittel definieren oder Tabak, wie insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland und zuvor fast 200 Jahre lang in Virginia.

Freilich ist Geld nicht immer so handlich. In seinem Buch Geld, die wahre Geschichte beschreibt Felix Martin die Steingeldwährung fei der Pazifikinsel Yap. Sie bestand aus massiven Steinscheiben mit einem Durchmesser von 30 Zentimetern bis zu 3,60 Meter. Diese Steine wurden in der Regel nicht transportiert. Sie galten als Erinnerungshilfen für Kauf und Verkauf. Letztlich mussten sie sogar nicht einmal sichtbar vorhanden sein. So berichtet er von einer erstaunlichen Geschichte: „In dem nahe gelegenen Dorf lebt eine Familie, deren Reichtum unbestritten war – von allen anerkannt wurde –, und doch hatte niemand, nicht einmal die Familie selbst, diesen Reichtum jemals zu Gesicht bekommen oder berührt. Er bestand aus einem riesigen fei, dessen Größe allein aus der Überlieferung bekannt war, denn er lag seit zwei oder drei Generationen auf dem Grund des Meeres.“

Obwohl Geld also „nur“ eine Sozialkonvention ist, wurde es dennoch für etwas Wertvolles gehalten. Das liegt daran, dass in der Menschheitsgeschichte Geld und Gold bzw. Edelmetalle sehr eng miteinander verbunden sind. An dieser Stelle laufen auch die sakrale und die profan-praktische Herkunftslinie des Geldes zusammen. Gold und Silber sind von Natur aus rein, selten und wertvoll. Sie waren deshalb immer schon für höhere Zwecke bestimmt und gehörten in die Sphäre des Religiösen, des Ausgesonderten und Heiligen.

Gold wurde der Sonne zugeordnet und Silber dem Mond. Diese galten in vielen Religionen als Gottheiten, und Gold und Silber waren dementsprechend göttliche Substanzen. So war jahrhundertelang ein Gramm Gold genauso viel wert wie 13 1/3 Gramm Silber, weil das Verhältnis 1: 13 1/3 dem Verhältnis der Umlaufzeiten von Sonne und Mond entspricht. Wer Gold und Silber besaß, der war reich in einem absoluten, religiösen Sinn. Könige legten darum Wert darauf, sich und ihre Umgebung mit Gold und Silber zu schmücken. Und die Weisen aus dem Morgenland schenkten dem Jesuskind unter anderem Gold, um zu zeigen, dass sie es für einen König hielten.

Als in Lydien, in der heutigen Türkei, im 7. Jahrhundert vor Christus zum ersten Mal Münzen aus Edelmetallen geprägt wurden, entstanden aus Gold und Silber allgemeine Tausch- und Zahlungsmittel. Das so entstandene Geld hatte aber eine weitere Funktion bekommen: Es war nicht nur Tausch-, sondern auch Wertaufbewahrungsmittel. Gold- und Silbermünzen vereinten damit weltliche und religiöse Qualitäten: Man konnte sie eintauschen und mit ihnen die im Alltag nötigen Waren kaufen, oder man konnte sie aufbewahren und um ihrer selbst willen horten, denn Geld verdarb nicht wie die oft sehr vergänglichen Waren.

Eine dritte Funktion wurde erst in der Neuzeit relevant: Geld kann zur Vergrößerung seines eigenen Wertes eingesetzt, also investiert werden. In diesem Fall wird es als Kapital bezeichnet. Kapital setzt sich aus Eigen- und Fremdkapital zusammen, also aus eigenen Ersparnissen und geliehenem Geld. Unternehmen benötigen Kapital, um Produktionsmittel zu finanzieren, das heißt, um Fabrikhallen zu bauen, Rohstoffe und Maschinen zu kaufen und Arbeitskräfte zu bezahlen. Durch den Produktionsprozess werden dann Produkte geschaffen, die – immer vorausgesetzt, sie können auch abgesetzt werden – mehr wert sind als das ursprünglich investierte Kapital. Dieser eine Periode später entstehende Mehrwert wird dann an die Kapitalgeber aufgeteilt: als Zinsen an den Fremdkapitalgeber und als Gewinn an den Unternehmer, um ihn für das Risiko der Vorfinanzierung und Verschuldung zu entschädigen. Kapital zu sein, ist historisch gesehen die jüngste Funktion des Geldes.

Jeder, der mit Geld umgeht, hat mit diesen drei historisch gewachsenen Funktionen zu tun: Tauschmittel, Wertaufbewahrungsmittel und Kapital. Allerdings begnügt sich Geld nicht damit, die ihm zugewiesenen Funktionen zu erfüllen und nur Mittel zum Zweck zu sein. Es entfaltet vielmehr eine Eigendynamik. Als Tauschmittel verführt es zum Immer-mehr-haben-Wollen und als Wertaufbewahrungsmittel zum Horten. Vom Kapital und der damit einhergehenden Verschuldung geht die permanente Versuchung aus, diesen geeigneten Hebel zu nutzen, um die Grenzen der eigenen Möglichkeiten ins scheinbar Unendliche hinauszuschieben. Dass Geld die ihm zugewiesenen Funktionen nicht einhält, macht es für eine religiöse Deutung interessant.

Ist die Erfindung des Geldes eine Erfolgsgeschichte?

Wir haben gesehen, dass es Geld schon sehr lange gibt. Und genauso lange gibt es auch den Wunsch des Menschen, immer mehr haben zu wollen. Anthropologische Grundkonstanten finden sich häufig in mythologischer Form. So zeigt sich der Wunsch des Immer-mehr-haben-Wollens in der mythischen Geschichte von König Midas. Von diesem wird gesagt, dass er so weise werden wollte wie Silenos. Da er glaubte, dessen Weisheit würde auf ihn übergehen, wenn er ihn finge, stellte er ihm eine Falle. Als Dionysos Silenos befreien wollte, musste er Midas einen Wunsch erfüllen. Dieser wünschte sich, dass alles, was er berührte, zu Gold würde. Es war der Wunsch nach unermesslichem Reichtum. Der Wunsch wurde ihm auch gewährt, aber damit wurde auch die Ambivalenz des Wunsches offenbar, da nun auch Essen und Trinken zu Gold wurden und Midas der Tod durch Hunger oder Durst drohte.

Der Wunsch nach immer mehr Geld ist kein neues Phänomen. In Form des Kapitals kommt nun aber doch etwas Neues in der Menschheitsgeschichte auf, denn dem Immer-mehr-Wollen entspricht plötzlich auch ein Immer-mehr-Bekommen. Wie durch eine „unsichtbare Hand“ gesteuert, erweist sich die individuelle Gier im Kapital als kollektiver Wohlstandsgenerator. Der Siegeszug des Geldes ist daher eng verbunden mit seiner Kapitalwerdung. Erst als Kapital war es in der Lage, die Bedeutung zu erlangen, die es in der Gegenwart hat.

Es ist daher wichtig, sich die Geburtsstunde des Kapitals vor Augen zu führen. Dabei ist zu beachten, dass Darlehensverträge kein Kapital sind. Schon in der Antike machte man größere Anschaffungen, indem man Schulden aufnahm. Diese Anschaffungen galten aber in der Regel dem Konsum. Man machte Schulden, um zum Beispiel einen Palast zu bauen.

Zum Kapital werden Schuldverschreibungen nur, wenn sie investiert werden, um die Produktivität der Arbeitskraft zu steigern. Diese Entwicklung setzte um 1700 in England ein. Die Voraussetzungen wurden freilich schon im 16. Jahrhundert gelegt. König Heinrich VIII. hatte sich nach der Scheidung von seiner ersten Frau Katharina von der katholischen Kirche losgesagt. Die kirchlichen Güter fielen an ihn, und er verteilte das Land an seine getreuen Gefolgsleute. Die Wirtschaftsjournalistin Ulrike Herrmann unterstreicht: „Im Vereinigten Königreich bildete sich eine klare, aber gnadenlose Landverteilung heraus: Etwa 4.000 Grundbesitzer kontrollierten rund 60 Prozent der Agrarfläche, die sie an 250.000 Pächter vergaben, die wiederum 1,25 Millionen Tagelöhner beschäftigten. Die Landnahme seitens des niederen Adels war oft brutal, steigerte aber die Effizienz, was den Ertrag pro Landarbeiter bis 1800 verdoppelte.“

Diese Entwicklung – so schrecklich sie für viele war – führte zu einer deutlichen Verbesserung der Lebensbedingungen. Die relativen Kosten in der Landwirtschaft sanken, sodass sich selbst die einfache Bevölkerung mehr als ein Hemd pro Jahr leisten konnte. Es entstand also eine Konsumentennachfrage, die befriedigt werden wollte. Die Textilindustrie reagierte auf die gestiegene Nachfrage durch den Einsatz von Maschinen, um teure menschliche Arbeitskraft zu ersetzen. Das Stichwort „industrielle Revolution“ beschreibt erfinderische Ingenieurskunst, die genutzt wurde, um Maschinen zu entwickeln, die von Unternehmern vorfinanziert wurden, um die Produktivität der Arbeitskraft zu steigern. Dadurch stiegen die Löhne und wiederum die Binnennachfrage. Beides löste auf unternehmerischer Seite aus, dass wiederum Geld als Kapital eingesetzt wurde zur Anschaffung von weiteren Maschinen. Unter den gegebenen Bedingungen amortisierten sich diese Investitionen. Der Einsatz von Geld als Kapital wurde damit zu einem großen Wachstumsgenerator.

Diese Entwicklung vollzog sich, wie Ulrike Herrmann darlegt, nicht überall. Während das arme und wenig entwickelte England einen großen Entwicklungsschub erlebte, wandelte sich das hoch entwickelte Indien zu einem reinen Agrarstaat. Dort waren die Löhne gering, es entstand kaum Konsumentennachfrage und für die Unternehmer kein Anreiz, in technische Innovation zu investieren.