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Durch die Ausschaltung des österreichischen Parlaments am 7. März 1933 eignete sich die bis dahin mit extrem knapper Mehrheit ausgestattete Regierung Dollfuß diktatorische Regierungsgewalt an. Schlag auf Schlag wurden nun die demokratischen Einrichtungen der noch fragilen Ersten Republik zerstört. Mehr als dreihundert Verordnungen wurden unter permanentem Verfassungsbruch erlassen, die allgemeinen Freiheitsrechte demontiert, die Sozialgesetzgebung aufgeweicht. Der Verfassungsgerichtshof wurde lahmgelegt Wolfgang Maderthaner erläutert, wie die fundamentale ökonomische Krise der dreißiger Jahre diese autoritäre Dynamik befeuerte und wie Engelbert Dollfuß die jahrelange Kampagne gegen das Rote Wien zum förmlichen Finanzkrieg erweiterte.
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Seitenzahl: 37
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wiener vorlesungen
Band 210
Herausgegeben für die Stadt Wien von Anita Eichinger
Vortrag
am 9. März 2023
Wolfgang maderthaner
Legitimation und praxis des austrofaschismus
Picus verlag wien
Copyright © 2023 Picus Verlag Ges.m.b.H., Wien
Alle Rechte vorbehalten
Grafische Gestaltung: Dorothea Löcker, Wien
ISBN 978-3-7117-3030-5
eISBN 978-3-7117-5500-1
Informationen zu den Wiener Vorlesungen unter
www.wienervorlesungen.at
Informationen über das aktuelle Programm des Picus Verlags und Veranstaltungen unter
www.picus.at
Die wiener vorlesungen
Gott will es!
Eine stadt stirbt
Die zeit des grossen ausverkaufs
Rückwärtsgewandte utopie
Die grosse depression
Aushöhlung des rechtsstaates
Die kampagne gegen das rote wien
Planmässige destabilisierung
Die zerstörung des roten wien
Das künftige aus dem vergangenen
Austrofaschismus
Resümee
Referenzliteratur
Der autor
Die Wiener Vorlesungen sind seit über drei Jahrzehnten ein offenes Dialogforum der Stadt Wien und eines der wichtigsten Formate für Wissens- und Kulturvermittlung in dieser Stadt. Ihr Ziel ist es, den Analysen, Einschätzungen und Fragen renommierter Denker*innen und Wissenschaftler*innen aus aller Welt Raum zu geben, um gesellschaftliche Herausforderungen der Gegenwart anschaulich zu analysieren und kritisch zu diskutieren. So wird nicht nur der Blick für die Komplexität und Differenziertheit unserer Wirklichkeit geschärft, sondern auch im Sinne eines kritischen, digital weitergedachten Humanismus Demokratie gestärkt, indem wissenschaftliche Betrachtung und Argumentation breit nachvollziehbar gemacht und vermittelt werden.
Es mag ein Paradox unserer durch vielfältige Krisen geprägten Zeit sein, dass gerade in einem Land, in dem seit jeher großartige Leistungen im Bereich der Wissenschaft erbracht wurden und werden, eine steigende Wissenschaftsskepsis zu beobachten ist. Alternative Wahrheiten haben Eingang in den allgemeinen Diskurs gefunden und persönliche Meinungen werden oft mit wissenschaftlichen Analysen gleichgesetzt, da es vielfach an Verständnis für ihre Verfahren fehlt. Wenn Algorithmen nur mehr auf uns zugeschnittene, angepasste »Wirklichkeiten« und »Wahrheiten« präsentieren, lösen sich geteilte Grundwerte und gemeinsame Referenzrahmen in sogenannten Filterblasen auf – Radikalisierung und Erosion von Demokratie sind die Folgen. Die Digitalisierung hat diese Entwicklungen befördert, bietet jedoch auch Chancen für die Zukunft.
Im Duell von Fake News und Fakten tragen die Wiener Vorlesungen dazu bei, antiaufklärerischen Entwicklungen mit Vehemenz entgegenzutreten und das Vertrauen der Menschen in die Wissenschaft wiederherzustellen sowie kritisches Denken zu fördern. Gerade aufgrund der Komplexität der multiplen Krisen (Klima, Krieg, Künstliche Intelligenz u. v. m), mit denen unsere Welt konfrontiert ist, braucht es einen zukunftsorientierten Zugang und ein gemeinsames Agieren, um Demokratie und Diskurs zu stärken und Lösungsansätze zu formulieren und umzusetzen. Nichts Geringeres als die Frage »Was ist der Mensch«, die letztlich alle Wissenschaft umtreibt, ist vor diesen Hintergründen neu zu stellen.
Es erfordert kreative, mutige und ungewöhnliche Antworten und Ideen, neue Formen der Kooperation und ein Zusammengehen aller wissenschaftlichen Disziplinen, um den Herausforderungen begegnen zu können. Vor allem aber braucht es einen auf valide wissenschaftliche Grundlagen gestützten Diskurs auf breiter gesellschaftlicher Ebene, denn diese Probleme und Entwicklungen betreffen alle Teile der Gesellschaft.
Kritische Analyse und Aufklärung im Sinne der Demokratie und einer starken Zivilgesellschaft sind und bleiben zentrale Anliegen der Wiener Vorlesungen. Insofern freue ich mich, dass sie nicht nur digital im Internet jederzeit abrufbar sind, sondern mit vorliegender Publikation auch in gedruckter Form vorliegen.
Veronica Kaup-Hasler
Stadträtin für Kultur und Wissenschaft
Legitimation und Praxis des Austrofaschismus
Im September 1933 fanden in der österreichischen Bundeshauptstadt Gedenkfeiern der besonderen Art statt. Ein in Konstituierung befindliches klerikal-autoritäres Regime gedachte in öffentlichen Großkundgebungen der zweihundertfünfzigjährigen Wiederkehr der Befreiung Wiens von der türkischen Belagerung, der Allgemeine Deutsche Katholikentag war bewusst in diese Feierlichkeiten integriert. Diese Berufung auf die Geschichte diente als Legitimation diktatorischer Gegenwartsziele, in der Beschwörung von Österreichs »Heldenzeitalter« lag aktueller politischer Sinn. Das Konstrukt einer spezifisch katholischen Identität des Landes, seiner kulturellen Sendung als »Ostmarkwächter und Pionier des deutschen Volkstums, damit des christlichen Abendlandes« (Kurt Schuschnigg) zielte auf die Schaffung eines gegen Hitler-Deutschland gerichteten Selbstbewusstseins des österreichischen Volkes und die Stärkung seiner Willens- und Abwehrkraft ab. Zugleich aber,