Gottes Generäle II - Roberts Liardon - E-Book

Gottes Generäle II E-Book

Roberts Liardon

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Beschreibung

In einer von Unterdrückung und Finsternis geprägten Welt kamen die Reformatoren mit Offenbarungen von Gott und einer Bibelübersetzung in der Sprache des Volkes. Dieses Buch bringt das Leben von sechs Männern näher, die dafür kämpften, den Glauben und die Prinzipien der Urgemeinde wiederzubeleben. Begleite John Wycliffe, Johann Huss, Martin Luther, John Calvin, John Knox und Georg Fox durch die Höhen und Tiefen ihres Lebens – durch die Zeiten, in denen sie neue Einsichten gewannen. Sie legten die Grundlage für die große Freiheit, mit der wir Gott heute vielerorts anbeten können. Lass dich ermutigen, die geistlichen Kämpfe in deinem Leben siegreich zu bestehen, und neu motivieren, die Wahrheiten der Bibel für dein eigenes Leben zu entdecken.

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ROBERTS LIARDON

 

GOTTES GENERÄLE II

 

Die großen Reformatoren

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

RUACH

 

Für die Originalausgabe

Copyright © 2003 by Roberts Liardon

Originally published in English under the title:God‘s Generals II by Roberts Liardonpublished by

Whitaker House, 1030 Hunt Valley Circle,New Kensington, PA 15068, USAAll rights reserved. 

Für die deutschsprachige AusgabeCopyright ©2022, bei:

 

Ruach Verlag

Koch & Sohn GbR

Musikantenstr. 11

D – 31737 Rinteln

 

Alle Rechte vorbehalten

 

1. Auflage, September 2022ISBN 978-3-98590-036-7 (Buch)ISBN 978-3-98590-038-1 (E-Book)

 

Die Bibelzitate wurden, wenn nicht anders angegeben,der Revidierten Elberfelder Bibel, R. Brockhaus Verlag, Wuppertal, 9. Auflage 2003 , entnommen. Hervorhebung durch den Autor.

 

[email protected]

www.ruach-verlag.de

 

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Inhalt

Stimmen zum Buch

Widmung

Danksagung

Einleitung

John Wycliffe

„Der Bibelübersetzer“

Jan Hus

„Der Vater der Reformation“

Martin Luther

„Die Streitaxt der Reformation“

Johannes Calvin

„Der Apostel der Lehre“

John Knox

„Der Schwertträger“

George Fox

„Der Befreier im Geist“

Stimmen zum Buch

 

Mit dem zweiten Band seines wunderbaren Buches Gottes Generäle hat Roberts Liardon uns einen weiteren großen Dienst erwiesen. Er gibt uns ausführliche und authentische Informationen über das Leben einiger herausragender Persönlichkeiten, die Gott erwählte, fordert uns damit heraus und weckt in uns den Glauben, dass Gott das anscheinend Unmögliche tun wird. Die Männer, von denen Roberts Liardon schreibt, haben ein Fundament geschaffen, auf dem wir aufbauen können.

Die großen Reformatoren ist der passende Untertitel für ein Buch über Männer, die diese Bezeichnung wahrhaftig verdienen. Sie waren normale Männer, die auf den Ruf Gottes reagierten, ihr Umfeld und die Menschen ihrer Zeit zu verändern. Wenn wir ihre Geschichten lesen, werden wir vor die Frage gestellt: Erwartet Gott von uns weniger als von diesen Männern?

Ist es wirklich wichtig, sich mit den Erweckungen der Vergangenheit zu beschäftigen und mit den Menschen, durch die Gott diese Bewegungen hervorbrachte? Wenn du von ihren Erfolgen und Niederlagen, ihren Stärken und Schwächen liest, wenn du erfährst, dass sie wegen des übernatürlichen Eingreifens Gottes in ihrem Leben und durch ihren Dienst von manchen begeistert angenommen und von anderen schroff abgelehnt wurden, wirst du zu dem Schluss kommen, dass es sich lohnt, das Leben dieser Männer kennen zu lernen. Dein Glaube wird wachsen, weil du erkennst, dass Gott jeden Menschen so gebraucht, wie er möchte. Du wirst neues Erbarmen mit den Verlorenen empfinden und ein neues Verlangen verspüren, in der Kraft des Geistes als Zeuge Jesu Christi aufzutreten.

Pastorin Iverna Tompkins 

 

Roberts Liardon ist ein bahnbrechender junger Prediger, der in seinem Leben schon manchen Kampf mit den Mächten der Finsternis zu bestehen hatte, dabei auch einige Niederlagen erlitten hat, aber immer wieder aufgestanden und weiter gegangen ist. Er hat sein Leben lang gespürt, dass er sich eines Tages den Geist und Glauben von Männern Gottes wie Wycliffe, Hus, Luther, Knox, Calvin und Fox zu Eigen machen würde, die den religiösen Strukturen des finsteren Mittelalters das Rückgrat brachen und uns das Evangelium Jesu von Nazareth in reinster Form brachten: Der Mensch wird allein aus Gnade errettet, nicht durch Werke, damit niemand sich rühme.

Ein monumentales Werk, das jeden Menschen tief im Herzen berühren wird.

Dr. Oral Roberts

 

Roberts Liardon besitzt umfangreiche Kenntnisse über die Kirchengeschichte und ist ein hervorragender Autor auf diesem Gebiet. Sein Buch über die Reformatoren führt uns deutlich vor Augen, welche Menschen Gott gebraucht hat und wie hoch der Preis war, den sie für die Freiheit bezahlten, in der wir heute leben können.

 

Pastor Rick Godwin

 

Widmung

 

Ich widme dieses Buch vier Gruppen von Menschen, die mir bedingungslose Liebe und Unterstützung entgegengebracht und ihr ganzes Leben investiert haben, um die himmlische Vision zu erfüllen.

Den Missionaren von Operation 500 und den Studenten und Absolventen des Spirit Life Bible College: Danke, dass ihr die Dinge hinter euch gelassen habt, die die Welt zu bieten hat, um stattdessen das zu tun, was Gott auf dem Herzen hat. Behaltet immer im Gedächtnis, dass die in diesem Buch beschriebenen Männer schweren Verfolgungen ausgesetzt waren und manche ermordet wurden, weil sie die schlichten, klaren Wahrheiten entdeckt hatten, die ihr in die Welt hinaustragen werdet.

Der Gemeinde Embassy Christian Center, die für mich wie eine Familie ist: Ihr habt nicht nur voller Liebe in unserer Stadt gearbeitet, sondern seid zum Zentrum eines international arbeitenden Dienstes geworden. Danke, dass ihr die vielen Tausend Menschen, die hier im Laufe der Zeit von Gott gesegnet wurden, so großartig unterstützt habt.

Den Gemeinden und Pastoren der Embassy Ministerial Association: Danke für eure Liebe zur Wahrheit. Danke, dass ihr euch nicht gebeugt habt vor den territorialen Mächten, die versucht haben, Menschen und ganze Städte zu kontrollieren. Mögen die Berichte dieses Buches euch darin bestärken, dass ihr mit eurer Arbeit für das Reich Gottes auf dem richtigen Weg seid.

Meinen Partnern und Freunden in der ganzen Welt: Ich glaube, dass ich unter allen Diensten und Organisationen die treusten und erprobtesten Partner und Freunde besitze. Danke, dass ihr mit unerschütterlicher Treue zu mir und meiner Familie steht. Ich bin auf ewig dankbar für jedes ermutigende Wort, jedes Gebet, jede E-Mail, jede Karte, jeden Brief und jede Spende.

Freunde, ich bin dankbar, dass es euch alle gibt.

Danksagung

 

Ich möchte allen Mitarbeitern von Roberts Liardon Ministries und allen freiwilligen Helfern persönlich dafür danken, dass die Vision für dieses Buch die ganze Zeit über in ihnen lebendig war und sie das Projekt auf seinem langen Weg bis zur Vollendung begleitet haben.

Meine Mutter Carol verdient besondere Anerkennung für ihre unglaubliche Charakterstärke und Liebe. Wo wären wir heute ohne dich? Priscilla, meiner Schwester, einer wahren Frau Gottes, gebührt Dank für ihren starken Glauben und ihre Fähigkeit, zu stehen, wo andere dazu nicht in der Lage waren. Und meiner Großmutter, Oma Gladolyene Moore, sei gesagt: „Deine Gebete haben all dies, auch dieses Buch, erst möglich gemacht.“ Ihr drei seid für mich die mutigsten Frauen auf dieser Erde.

 

Einleitung

 

Als ich beinahe zwölf Jahre alt war, erschien mir der Herr in einer Vision und befahl mir, das Leben der großen Prediger zu studieren und so die Gründe für ihre Erfolge und ihr Scheitern zu entdecken. Während ich dies tat, wurde mir klar, wie wichtig Geschichte ist. Die Geschichte ist ein Abbild unserer Vergangenheit, in dem wir von früheren Fehlern und Erfolgen erfahren. Was die Geschichtsbücher berichten, wiederholt sich in fast jeder Generation unter neuen Vorzeichen, in abgewandelter Form, zu einem anderen Zeitpunkt und an anderen Orten.

Ich habe diesen zweiten Band der Reihe der Generäle Gottes mit dem Untertitel Die großen Reformatoren versehen. Ich bin davon überzeugt, dass es sehr wichtig ist, die Geschichte der Reformation zu kennen und Einblick zu besitzen in den Charakter der Personen, die sie ins Rollen brachten. Jede Generation benötigt eine Reformation. Warum? Wenn wir unsere Geschichte oder den eigentlichen Grund unserer Existenz aus dem Blick verlieren, dann verlassen wir uns immer weniger auf den Heiligen Geist, der Himmel verschließt sich und wir verlieren den Kontakt mit Gott.

Dieses zweite Buch geht stärker ins Detail als das erste, weil das vorliegende Material umfangreicher war. Es enthält Denkansätze und Lehren, die uns womöglich fremd erscheinen. Das liegt hauptsächlich daran, dass wir heute wie selbstverständlich in den Dingen leben, die diese großen Männer erst erreichen mussten. Wir sind Nutznießer der Errungenschaften dieser Männer, für die einige sogar ihr Leben lassen mussten. Sie benötigten viele, viele Jahre, um zu den Schlussfolgerungen und Erkenntnissen zu gelangen, die wir heute in einem einzigen Gottesdienst hören können.

Ich habe dieses Buch auch deshalb geschrieben, weil ich möchte, dass du den Verlauf der Reformation kennen lernst und den Geist, der darin zum Ausdruck kommt. Reformation erzeugt in einer finsteren Situation zunächst ein großes Durcheinander, schafft aber dann durch große physische und geistliche Kraft eine Atmosphäre der Freiheit, in der die Beziehung zwischen Gott und seinem Volk erneuert wird. Im Verlauf des Buches wirst du erleben, wie jeder Reformator auf der Arbeit seines Vorgängers aufgebaut hat, um in seiner Generation eine Reformation hervorzubringen.

Das 16. Jahrhundert wird unter Historikern als das Jahrhundert der Reformation betrachtet, erste Anzeichen und Vorläufer gab es allerdings schon einige Generationen davor – aus diesem Grund habe ich John Wycliffe und Jan Hus in dieses Buch mit aufgenommen. Die sechs von mir ausgewählten Männer waren sehr unterschiedliche Charaktere, auch in ihrem Vorgehen unterschieden sie sich – aber sie verfolgten dieselben Ziele. Jeder hatte eine bestimmte Aufgabe von Gott erhalten. Sie investierten ihr Leben in der Hoffnung, ihre Aufgabe erfüllen zu können – einige starben als Märtyrer. Und alle (mit Ausnahme von Fox) mussten das heuchlerische Wesen und die Gotteslästerungen der mittelalterlichen katholischen Kirche überwinden.

Die in den Kapiteln 1–5 beschriebenen Vorgänge ereigneten sich unter denselben religiösen Rahmenbedingungen. Ich möchte die Situation kurz beschreiben. Bis zum Beginn des 14. Jahrhunderts war es nur im Rahmen der katholischen Kirche möglich, Christ zu sein. Man war entweder Heide oder Katholik. Bereits im 14. Jahrhundert war die katholische Kirche von Machtbesessenheit geprägt und missbrauchte ihren Einfluss durch extreme Heuchelei und Gotteslästerung. Sie hatte sich selbst als Stimme Gottes eingesetzt und war der Meinung, allein sie verkünde den Ratschluss Gottes in der gesamten bekannten Welt. Sie kontrollierte weltliche Regierungen und Königshäuser und war jederzeit in der Lage, Personen, die sie als unerwünscht betrachtete, abzusetzen. Sie tat dies besonders dann, wenn sie ihren eigenen Einfluss und ihren Reichtum bedroht sah. Einige Könige, die den Thron geerbt hatten, wurden vom Papst mit einer „Pachtabgabe“ belegt, um ihre Krone behalten zu dürfen – sie mussten zahlen oder bei Weigerung die entsprechenden Konsequenzen tragen.

Die katholische Kirche achtete sorgfältig darauf, dass die Bibel nur ins Lateinische übersetzt wurde, um ihre diktatorische Position zu erhalten. Das einfache Volk konnte Latein weder lesen noch verstehen, sodass es hilflos allem ausgesetzt war, was die Kirche lehrte. Dem einfachen Mann war es nicht gestattet, eine Bibel zu besitzen, weil man davon ausging, dass ausschließlich den Priestern diese Ehre zuteil werden durfte. Aber auch der Klerus las die Bibel entweder nur sehr selten oder gar nicht und viele Priester hatten keine Ahnung, was darin stand. Sie erfanden zahlreiche Geschichten und Fabeln, von denen die meisten mystische Elemente enthielten. Ihr scheinbares Wissen über geheimnisvolle Dinge verlieh ihnen eine hervorgehobene Position. Es wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass der gemeine Mann Gott nicht kennen und ihm schon gar nicht gefallen könne. Die Menschen mussten sich daher jeder lächerlichen Regel unterwerfen, die die religiöse Obrigkeit erdachte. Sie erfanden das Fegefeuer und die Unfehlbarkeit des Papstes. Sie brachten Ablassbriefe heraus und verkauften sie, um von dem Erlös den riesigen Schuldenberg abzutragen, den ein Papst angehäuft hatte. Den Menschen wurde eingeredet, der Klerus könne ihnen Einlass in den Himmel gewähren, wenn sie nur genügend Geld für Ablassbriefe ausgäben. Durch Legenden wurde verbreitet, dass ein Kind dazu verurteilt sei, entweder als Glühwürmchen, als ein anderes Insekt oder als wildes Tier ruhelos auf Erden umherzustreifen, wenn das Kind stürbe, bevor die Eltern seine Taufe bezahlen könnten.

Die eigentliche Motivation hinter diesen Dingen war der Wunsch nach politischer Einflussnahme durch religiöse Macht. Die katholischen Amtsinhaber waren weniger auf das Wohl des Volkes bedacht, als auf persönliche Bereicherung und Profilierung. Die katholische Kirche und der Klerus lebten im Überfluss, während der einfache Mann Mangel litt. Hinter jedem Dogma und jeder Form der Anbetung stand die Gier nach mehr Geld und Reichtümern.

Sie erließen Gesetze nach Belieben, um sich mehr Geld, größeren Landbesitz und stärkeren Einfluss zu sichern. Im 15. Jahrhundert griffen die Päpste immer wieder zu Mord als politischer Waffe: Wer versuchte, an die Macht zu kommen, musste damit rechnen, eines „plötzlichen Todes“ zu sterben. Unzucht war weit verbreitet. Viele Priester besaßen zahlreiche Mätressen oder lebten in homosexuellen oder ehebrecherischen Beziehungen.

Die Priester lasen nicht in der Bibel, daher hatten sie keinerlei Offenbarung über ihren Inhalt. Das Blut Jesu schien ihnen nicht auszureichen, daher erfanden sie die Lehre von der versöhnenden Kraft von verstorbenen Heiligen wie Anna (die Mutter Marias), Josef, Maria und zahllosen anderen. Wer im 16. Jahrhundert dieses System anzweifelte, wurde vor Gericht gestellt, es wurden frei erfundene Anklagen erhoben und die Person wurde entweder exkommuniziert oder hingerichtet.

Mitten in diesen finsteren Zeiten erhoben Männer wie John Wycliffe, Jan Hus, Martin Luther, John Knox und Johannes Calvin ihre Stimmen. Im 17. Jahrhundert war die Reformation in Schwung gekommen. George Fox stellte sich in anderer Weise gegen die kalte, religiöse Lethargie und die Diskriminierungen im Alltag. Er blieb in der katholischen Kirche und brachte neues Leben hinein, indem er in der Kraft des Heiligen Geistes diente. Jeder dieser sechs Männer stand auf, um das zu tun, was die Stimme Gottes zu seinem Herzen gesagt hatte. Sie waren Vertreter der Wahrheit und wurden Reformatoren für Gott, weil sie sich durch einen unerschrockenen Geist und unbeirrbare Entschlossenheit auszeichneten. Jeder begann auf seine Weise, die ihn umgebende Finsternis mit der Wahrheit Jesu Christi und der Gewissheit des Wortes Gottes zu durchdringen und zu überwinden.

Nun sind wir an der Reihe. Es wird auch heute noch Geschichte geschrieben und die Augen Gottes sind auf uns gerichtet. Nehmt eure Position ein. Steht auf für eure Generation und eure Nationen und lasst uns damit fortfahren, der Welt das Licht und die Wahrheit zu bringen, die nur in Jesus Christus zu finden sind. Lasse dich nicht durch Angst oder Bedrängnis davon abhalten, an der Vision festzuhalten, die du von Gott bekommen hast. Lasse dich nicht einschüchtern, lasse nicht zu, dass das Böse die Stimme Gottes zum Schweigen bringt, die durch dich reden möchte. Möge auch in unserer Generation einmal mehr eine Reformation kommen – möge sie durch dich kommen.

 

 

 

 

Kapitel 1

John Wycliffe

 

 

 

(ca.1330 – 1384) 

 

„Der Bibelübersetzer“

 

„ Der Bibelübersetzer “

 

Ich bekenne und behaupte, durch die Gnade Gottes ein vernünftiger [das heißt ein wahrhaftiger und orthodoxer (rechtgläubiger)] Christ zu sein. Solange ich lebe, werde ich meine Stimme erheben und Gottes Gesetz verteidigen. Ich bin bereit, meine Überzeugungen zu verteidigen, und zwar selbst dann, wenn dies meinen Tod bedeuten sollte.1

 

 

Ich bezeichne John Wycliffe gern als Reformator vor der Reformation. Er lebte nicht in dem Zeitraum, der von Historikern als das Zeitalter der Reformation bezeichnet wird. Der Verlauf seines Lebens, seine Ziele und seine Theologie besitzen jedoch starke Ähnlichkeit mit denen der anderen Reformatoren.

Wycliffe war Vorbote einer umfassenden Revolution, die sich auf religiösem Gebiet ereignen sollte. Es ist allerdings interessant, dass mit Ausnahme von Jan Hus keiner der anderen Reformatoren die Leistungen Wycliffes würdigte, der trotz erbitterter Widerstände den Weg für die weiteren Entwicklungen ebnete, in denen sie eine wichtige Rolle spielen würden. Ich bin der Ansicht, dass dies hauptsächlich darauf zurückzuführen ist, dass die Druckerpresse erst nach Wycliffes Tod entwickelt wurde und viele seiner Schriften von der katholischen Kirche verbrannt wurden. Ich betrachte ihn jedoch als einen Menschen, der die Saat der Wahrheit der Reformation ausgestreut hat. Die auf ihn folgenden Generationen bewässerten die von Wycliffe ausgestreute Saat und ernteten dort, wo er gesät hatte.

Wycliffe war eine geachtete Persönlichkeit. Er hatte sehr gute Verbindungen zu den Reichen und Einflussreichen seiner Zeit, aber er kämpfte auch unerschütterlich für das einfache Volk und machte sich zum Fürsprecher für das Recht jedes Menschen, Gott persönlich zu kennen und eine innige Beziehung zu ihm aufzubauen. Zu Wycliffes Lebzeiten war es undenkbar, dass ein einfacher Mann Gott persönlich kennen könnte, sodass seine Thesen auf heftigsten Widerstand stießen. Es ist gut verständlich, dass er auch als „Morgenstern der Reformation“ bezeichnet wurde – durch seine Bemühungen wurde ein Anfang gesetzt, die geistliche Unmündigkeit des einfachen Volkes zu beenden, sodass durch ihn ein neues Zeitalter der Kirche eingeleitet wurde.

Er wurde auch als „gelehrtester Mann ganz Englands zu seiner Zeit“2 bezeichnet, allerdings sind darüber nur wenige Details bekannt, außer dass er einen sehr einfachen Lebensstil pflegte, der geprägt war von unermüdlichen Studien, Vorträgen und reicher schriftstellerischer Tätigkeit. Ich denke, dass durch sein Leben ein Prinzip Gottes deutlich wird: Wo einer sät, begießt ein anderer und ein weiterer erntet (siehe Joh. 4, 37). Wenn du die Lebensgeschichte Wycliffes liest, wirst du erkennen, dass nicht zu unterschätzen ist, welchen Einfluss du dadurch ausüben kannst, dass du eine Saat oder eine gute Tat in das Leben anderer Menschen säst. Wenn dein heutiges Handeln im Glauben erfolgt und von Gott inspiriert ist, kann es große Auswirkungen in der Zukunft haben. Viele von uns werden zu Lebzeiten niemals erfahren, welch starke Auswirkungen die von uns gesäten Samen im Leben anderer Menschen hatten, sondern dies erst im Himmel erkennen.

 

1 „John Wycliffe and the 600th Anniversary of Translation of the Bible into English“, Christian History Magazine 2, no. 2, issue 3 (Worcester, Pa: Christian History Institute, 1983), S. 18.

2 „Wyclif, John“, The Encyclopedia of Religion 15,(New York, N.Y. :MacMillan Publishing Co.,1987), S. 488.

Wycliffes erste Lebensjahre

John Wycliffe wurde um das Jahr 1330 in Yorkshire in England geboren. Über seine Kindheit und seine Jugend wissen wir kaum etwas. 1360 wurde er Student am Balliol College in Oxford. Von diesem Zeitpunkt an ist wesentlich mehr über sein Leben bekannt. Im Alter von 30 Jahren begann sein Wirken als Reformator vor der eigentlichen Reformation.

Über das Leben Wycliffes vor 1360 kann nur spekuliert werden. Ich halte es für wahrscheinlich, dass er in einer einfachen Landarbeiter-Familie in einer abgelegenen Gegend aufwuchs und in der Schule von dem Priester des Dorfes unterrichtet wurde. In jener Zeit hatte die katholische Kirche sowohl die weltlichen als auch die kirchlichen Angelegenheiten unter Kontrolle. Es wurde in jedem Dorf ein Priester eingesetzt, der fast jeden Lebensbereich überwachte, vom religiösen Leben bis zum Handel auf dem Markt, von der Schulausbildung bis hin zu rechtlichen und verwaltungstechnischen Angelegenheiten.

Es ist wichtig zu wissen, dass Johann von Gent (John of Gaunt, der dritte Sohn von König Eduard III.) der Feudalherr der Gegend war, in der Wycliffe aufwuchs. Dies bedeutet, dass Johann von Gent das Land besaß und die Menschen, die dieses Land bebauten, unter seinem Schutz standen und bestimmte Privilegien genossen. Die Tatsache, dass Johann von Gent der Schutzherr der Bewohner dieser Region war, sollte sich zu einem späteren Zeitpunkt in Wycliffes Leben als wichtig erweisen.

Wycliffe wurde Priester, aber das Datum seiner Ordination ist unbekannt. Er verließ sein Heimatdorf um 1346 im Alter von 16 Jahren, dem damals üblichen Alter zum Eintritt in eine Universität.

 

Schwierige Zeiten treiben ihn zum Wort Gottes

1349 geriet England in die tödlichen Krallen einer Seuche. Als der Schwarze Tod, die Pest, sich 1353 wieder aus dem Land zurückzog, hatte England fast die Hälfte seiner Bevölkerung verloren. Wegen des durch die Pest ausgelösten Chaos’ ergaben sich einige Unterbrechungen in Wycliffes Ausbildung, außerdem musste er verzweifelt mit ansehen, wie viele seiner Freunde und Studienkollegen der tödlichen Krankheit zum Opfer fielen.

Während einige Geistliche nach menschlichen Erklärungen suchten, forschte Wycliffe in der Bibel und suchte nach Trost und nach Antworten, um damit gegen die Verzweiflung und Angst ankämpfen zu können, die sich in ihm ausbreiten wollten. In dieser Zeit des inneren Aufgewühltseins hielt sich Wycliffe sehr eng an das Wort Gottes. Dadurch entstand ein festes Fundament in ihm, das sich als unerschütterlich erweisen sollte – nichts und niemand war fortan in der Lage, Wycliffe die Dinge zu rauben, die er als göttliche Wahrheiten in der Schrift erkannt hatte. Es spielte keine Rolle, wie hoch ein Mensch in der religiösen oder politischen Hierarchie über Wycliffe stand – für ihn hatte Gott in jeder Angelegenheit stets das letzte Wort.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass zu diesem Zeitpunkt keine englischen Bibeln existierten. Es waren nur lateinische Bibeln zugänglich, sodass die Bibel nur von den gut ausgebildeten Männern der römisch-katholischen Kirche gelesen werden konnte. Das Volk war auf Gedeih und Verderb den häufig heidnisch-mystischen Erzählungen der Priester in den Dörfern ausgeliefert – und viele der Priester hatten niemals selbst in der Bibel gelesen.

Das Denken der Priester war von dem Wunsch nach Reichtum und Wohlstand geprägt, sodass sie sich in ihren Aussagen daran orientierten, wie viel Geld ihr jeweiliges Gegenüber besaß. Jeder Dienst der Kirche musste in bar bezahlt werden – von der Taufe der Babys bis hin zur Vergebung der Sünden.

Die Kirche erfand „Ablassbriefe“. Mit ihrer Hilfe konnte man durch Zahlung bestimmter Geldbeträge den Erlass der eigenen Schuld und Sünde bewirken. Diebe und Mörder waren der Ansicht, sie könnten alles tun, was sie wollten, und sich danach selbst erlösen, indem sie sich den Weg in den Himmel erkauften. Wenn Eltern so arm waren, dass sie vor dem Tod ihres Kindes dessen Taufe nicht bezahlen konnten, wurde der Familie gesagt, dass ihr Kind nicht in den Himmel kommen könne und wahrscheinlich als Tier oder Insekt auf der Erde leben müsse. Es klingt zwar unglaublich, aber Lehren wie diese waren zur Zeit Wycliffes weit verbreitet – aber Gott war dabei, einen Mann darauf vorzubereiten, sich gegen den Status quo zu erheben und es zu wagen, Veränderungen im Sinne Gottes herbeizuführen.

 

Der herausragendste Gelehrte Oxfords

Wycliffe besaß eine sehr hohe Meinung von den Schriften des Augustinus (ca. 354–ca. 430), eines der einflussreichsten Menschen aus der Anfangszeit der katholischen Kirche. Die Lehre des Augustinus über das Individuum diente Wycliffe als Basis für seine eigene Lehre, die er durch eigene Forschungsarbeiten und besonders durch intensives Bibelstudium entwickelte. Er war sehr bald bekannt für seine hervorragenden intellektuellen Fähigkeiten, wurde Mitglied des Balliol College und war 1360–1361 dessen Rektor.

Zu Wycliffes Zeiten besaßen die Studenten nicht die Möglichkeit, auf dem Campus zu wohnen, daher mussten sie sich selbst um eine Unterkunft kümmern, was für die meisten von ihnen eine erhebliche Schwierigkeit darstellte. Es gab zwar eine gewisse Anzahl an Häusern, in denen Mönche und Geistliche während ihrer Universitätsausbildung leben konnten, aber es gab weit mehr Studenten, als aufgenommen werden konnten, daher war die Warteliste lang und es galt als besonderes Privileg, wenn man in eines dieser Häuser aufgenommen wurde.

Wycliffe galt als anerkannter Gelehrter, daher wurde ihm eines der besten Häuser Oxfords als Domizil angeboten. Es lag in Fillingham, einem Dorf der Grafschaft Lincolnshire, wo er gleichzeitig die Position des Rektors, also die des Leiters der Gemeinde zu bekleiden hatte. Einen Großteil seiner Zeit musste er auf die Leitung der katholischen Gemeinde verwenden, eine Tätigkeit, bei der er sich den Ruf als hervorragender Diplomat erwarb. Er besaß daneben große organisatorische Fähigkeiten, die in Verbindung mit seiner außergewöhnlichen intellektuellen Begabung dazu führten, dass er hohe innerkirchliche Auszeichnungen erhielt. Der Schwerpunkt seiner Tätigkeit verlagerte sich immer mehr in den Bereich des Colleges. Von den fünf in Epheser 5, 11 erwähnten Gaben (Apostel, Prophet, Pastor, Lehrer, Evangelist) besaß Wycliffe insbesondere die Gabe des Lehrens, sodass seine Arbeit als Dozent an der Universität, die er neben seiner Arbeit als Priester ausübte, ihm besonders große Freude bereitete. Zu diesem Zeitpunkt war die katholische Kirche sehr erfreut darüber, dass ein Mann vom Format Wycliffes sich innerhalb der kirchlichen Strukturen so rasant entwickelte.

1369 erwarb Wycliffe den akademischen Grad „Bachelor of Divinity“ (Gelehrter der Theologie). 1371 galt er als führender Theologe und Philosoph seiner Zeit und Oxford war als die Hochburg der Wissenschaften in ganz Europa bekannt. Oxford hatte die damals berühmte Universität von Paris überflügelt und galt als beste Ausbildungsstätte in der gesamten bekannten Welt. 1372 erhielt Wycliffe nach 16 Jahren intensiven Studiums und ausführlicher Forschungstätigkeit den hochgeachteten Doktortitel.3

 

3Christian History Magazine, S. 11.

Korruption und Machtgier werden offensichtlich

Das Jahr 1374 markiert den Beginn eines Veränderungsprozesses. Wycliffe erlangte größere Bekanntheit und es wurde deutlich, dass er dabei war, neue, eigene Wege zu beschreiten. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte er sich zwar aufgrund seiner intellektuellen Fähigkeiten einen guten Ruf als Theologe erworben, aber als Priester war er immer noch unbekannt und diente als Hirte in verschiedenen Gemeinden. In Europa waren neue Entwicklungen in Gang gekommen, es entbrannte eine hitzige Kontroverse zwischen der Kirche und der Regierung. Die Regierungen Europas wollten sich in gesellschaftlichen und zivilrechtlichen Angelegenheiten die vollständige Oberhoheit sichern und stritten mit dem Papst und seinen Vertretern um diese Rechte. Auch in England waren diese Tendenzen zu beobachten.

In diesem Jahr sprach sich Wycliffe (in Übereinstimmung mit den Theologen der Spätantike) erstmals öffentlich dagegen aus, dass die Kirche in politischen und gesellschaftlichen Fragen tonangebend war. Er hielt es sogar für notwendig, dass in jeder Nation weltliche Kräfte die politischen Geschicke lenkten.

Nach ausführlichen Forschungsarbeiten, in denen er neben der Bibel besonders die Vorstellungen von Augustinus studierte, kam Wycliffe zu dem Schluss, dass die Kirche ihren Einfluss auf die ihr eigenen Angelegenheiten beschränken sollte. Er glaubte, dass geistliche Dinge im Zentrum des Handelns der Kirche stehen sollten und nicht die Politik. Im Zuge dieser Erwägungen entwickelte Wycliffe seine umstrittene Idee von der „Herrschaft durch Gnade“.

Wycliffes Empörung über die Gier nach Reichtum, die die katholische Kirche beherrschte, wurde immer größer. In seiner Lehre über „Herrschaft durch Gnade“ stellte Wycliffe die These auf, dass Gott Eigentümer aller Dinge sei und der Mensch nur dann berechtigt sei, sie zu besitzen, wenn er ohne Sünde sei und sich nichts zuschulden kommen ließe. Er glaubte, dass die katholische Kirche tief in Sünde lebte, und stellte sich entschieden gegen jeden Anspruch der päpstlich kontrollierten Kirche, englisches Land zu besitzen. Er war davon überzeugt, dass die eigentliche Aufgabe der Kirche darin bestand, den geistlichen Nöten der Menschen zu begegnen und sich so um die Herde der Gläubigen zu kümmern, dass sie sich Jesus Christus zuwenden könnten. Wycliffe begann, öffentlich darauf hinzuweisen, dass die Kirche verweltlicht sei und niemandem mehr etwas nütze, weil sie große Ländereien besäße und auf Kosten des Volkes in großem Reichtum lebe.

Der Papst und sein Gefolge waren empört über Wycliffes Position, sie fürchteten um den Einfluss, den Reichtum und den ausgedehnten Landbesitz der Kirche. Zu dieser Zeit legten der Papst und die Kirche die Höhe der Steuern fest, die Könige und ganze Nationen an die Kirche zu zahlen hatten – und Wycliffe, einer ihrer besten Theologen, stellte sich gegen ihre eigenen Bestrebungen.

 

Wycliffe stellt sich gegen denweltlichen Herrschaftsanspruch des Papstes

England besaß schon damals eine lange Geschichte von Differenzen mit dem Papst. Wir sollten die Hauptstreitpunkte kennen, um Wycliffes Position verstehen zu können.

König Johann von England (ca. 1215) war zunächst exkommuniziert und dann gezwungen worden, sich dem Papst bedingungslos zu unterwerfen. Er musste eine hohe Summe zahlen, um sich das Recht auf Fortführung der Thronfolge zu sichern. Auch nach dem Tode König Johanns forderte der Papst regelmäßige Zahlungen von den Königen – also eine Steuer, durch die sie das Recht erhielten, in England zu regieren.

Die Engländer widersetzten sich aus verschiedenen Gründen den Zahlungen an den Papst, besonders waren sie empört darüber, dass ein nicht geringer Anteil den Armeen von Ländern zur Verfügung gestellt wurde, die mit England verfeindet waren. Die englische Regierung war auch darüber ungehalten, dass die Kirche die wirtschaftliche Entwicklung des Landes kontrollierte und reglementierte. Wenn zum Beispiel ein Engländer starb und in seinem Testament der Kirche keinen Anteil seines Vermögens vererbt hatte, nahm sich die Kirche das Recht, seinen gesamten Besitz zu konfiszieren.

Dieser demütigende Zustand herrschte nun schon seit über 100 Jahren und England sehnte die Möglichkeit herbei, sich von der Kontrolle des Papstes zu befreien. Als die Gesandtschaft des Papstes wieder einmal vorsprach, um die jährliche „Miete“ für den Thron zu erheben, war der entscheidende Moment gekommen: Wycliffe stellte sich an die Spitze derer, die im Namen der englischen Obrigkeit intervenierten.

„Es kann in einem Land nicht zwei Herrscher in weltlichen Dingen geben. Entweder Eduard ist König … oder [der Papst] ist König. Wir fällen eine Entscheidung. Wir akzeptieren Eduard von England und lehnen … Rom ab“, schrieb Wycliffe.4

Wycliffes politisches Eintreten für die englische Krone sicherte ihm die Gunst Eduards III. Der König setzte Wycliffe als leitender Priester von Lutterworth ein – eine Position, die ihm einen gehobenen Lebensstandard ermöglichte – und ernannte ihn zum Repräsentanten der Krone in den Verhandlungen zwischen dem König und dem Papst.

Die Verhandlungen wurden niemals zu einem wirklichen Abschluss gebracht, aber durch die Ereignisse war Wycliffe in der Kirche als potenzieller Störenfried aufgefallen. Er wurde nun mit der antiklerikalen Partei in Verbindung gebracht – der Gruppe, die sich für das Recht der Regierung einsetzte, das eigene Land zu regieren – wodurch sich Wycliffe die Gunst von Johann von Gent, dem dritten Sohn des Königs erwarb.

Die antiklerikale Partei stellte sich hinter Wycliffe, weil sie erkannte, dass er die intellektuellen Fähigkeiten besaß, die erforderlich waren, um die katholische Kirche anzugreifen und den Sieg für die englische Regierung zu erringen. Wycliffe erwies sich als nützlicher Verbündeter der Regierung während dieser Zeit der Unruhen. Durch den Schutz des Königs blieb Wycliffe von körperlichen Übergriffen verschont, die ihm vonseiten zorniger Katholiken durchaus drohten.

 

4 „John Wycliffe“, EPC of Australia. <http://www.epc.org.au/literature/bb/wycliffe.html> (5.Juni 2001).

Irrlehren und Missstände werdenschrittweise an die Öffentlichkeit gebracht

Wycliffe war in kirchlich-religiösen Fragen zum Berater des wohlhabenden Johann von Gent aufgestiegen, der Ende des 14. Jahrhunderts zum einflussreichsten Menschen in der Politik geworden war, allerdings auch verhasster war als jeder andere. Wycliffe bewunderte und respektierte Johann von Gent, weil dieser ein guter Diplomat war, der sich mit Beharrlichkeit für das einsetzte, was seiner Meinung nach England zum Besten diente. Johann von Gent besaß großes Geschick darin, Männer mit außergewöhnlichen Fähigkeiten um sich zu scharen. Wycliffe diente Johann von Gent in den folgenden zwei Jahren als persönlicher Sekretär und Berater in allen kirchlichen Angelegenheiten.

Wycliffes Stärke lag darin, dass er der Heiligen Schrift in allen Dingen folgte. Durch regelmäßiges Lesen in der Bibel und ausführliche Studien wuchsen sein Wissen und seine Erkenntnis über die Aussagen des Wortes Gottes, die schrittweise zu einer persönlichen Offenbarung für ihn wurden.

Ich möchte an dieser Stelle eine einfache Aussage einfügen. Dem Teufel ist es egal, ob du eine Bibel besitzt. Er fürchtet sich nicht vor der Größe deiner Bibel oder davor, wie häufig du sie mit dir herumträgst oder wie gut sichtbar du sie zu Hause aufgestellt hast. Es kümmert ihn nicht, ob du sie mit ins Bett nimmst oder andere Menschen hin und wieder damit schlägst. Der Teufel fürchtet nur die Bibelstellen, die du in dein Herz hineinsäst und aufgrund göttlicher Offenbarung in deinem Leben konkret umsetzt. Er hat panische Angst vor dem Leben, das sich aus der Offenbarung dieser Schriftstellen entwickelt. Einzig und allein die Kraft Gottes in seinem Wort versetzt den Teufel in Angst und Schrecken.

Bitte höre damit auf, deine Bibel zur Schau zu stellen, und fange stattdessen damit an, sie zu lesen! Trage etwas dazu bei, dass sie zu einer lebendigen Offenbarung für dich wird. Auf ihren Seiten findest du Antworten auf alle deine Fragen. Warum? Die Bibel ist das einzige Buch auf Erden, das lebt! Es ist unmöglich, die Bibel zu lesen, ohne dass neues Leben in dir an die Oberfläche drängt!

Wycliffe hat dies persönlich erlebt. Er war nicht der Meinung, dass die Bibel so heilig wäre, dass man sie nicht anrühren dürfe. Nein – er öffnete sie, las darin und bezog das Gelesene konkret auf sein Leben und seine Umgebung. Die Offenbarung, die er aus der Schrift empfing, machte ihm deutlich, was richtig und falsch war, und versetzte Wycliffe in die Lage, zu erkennen, dass das von der katholischen Kirche entwickelte System im Widerspruch zur Heiligen Schrift stand. Er erkannte immer klarer, dass viele der Sakramente und Dogmen der Kirche heuchlerische Äußerlichkeiten oder Irrlehren waren. Das religiöse System seiner Zeit war allein darauf ausgerichtet, die Gier nach Geld, Macht und Kontrolle zu befriedigen.

Wycliffe war sich darüber im Klaren, dass er eine Position bekleidete, von der aus er dieses System als heuchlerisch entlarven und bekämpfen konnte. Ich bin mir sicher, dass er sich sehr genau überlegte, wie er vorgehen sollte und welche Strategien er anwenden würde. Wycliffe war sich bewusst, dass seine Worte großen Einfluss ausüben würden. Womit könnte er beginnen? Wie könnte er effektiv den Menschen die Missstände in der Kirche deutlich machen und ihnen die Wahrheit ins Bewusstsein rufen? Die Zustände waren so entsetzlich, dass nicht alles auf einmal ans Licht gebracht werden konnte. Er entschied sich daher dafür, die Irrlehren und Missstände schrittweise an die Öffentlichkeit zu bringen.

1376 begann Wycliffe damit, Traktate zu verfassen, in denen er Position bezog gegen den unermesslichen Reichtum der Kirche. Er verfasste Schriften wie On Divine Dominion (Über die Herrschaft Gottes),On Civil Dominion (Über die Herrschaft des Staates), On the Duty of the King (Über die Aufgaben des Königs) und On the Church (Über die Kirche).

In diesen Schriften führte Wycliffe aus, dass die zivilrechtlichen und materiellen Aspekte der Kirche der Oberhoheit des Königs unterstehen sollten und nicht der des Klerus, weil die Kirche eine höhere Berufung besitze. Der Priesterstand sei berufen, in geistlicher Hinsicht zu lehren und Wegweisung zu geben, daher sollten sie materielle, also auf das Zeitliche begrenzte Güter aus der Hand legen, außer den Dingen, die zum täglichen Leben erforderlich seien wie Nahrung, Häuser und Kleidung. Wycliffe schrieb auch, dass kein Priester ein politisches Amt anstreben solle und dass der König das Recht besitze, jeden unwürdigen Priester seines Amtes zu entheben.

Wycliffe machte in diesem ersten Schritt deutlich, dass die Kirche politische Ziele verfolgte. Wycliffe traf mit diesen Anschuldigungen ins Schwarze und die Wellen, die seine Schriften erzeugten, wurden noch viele Hundert Kilometer entfernt wahrgenommen – vom Heiligen Stuhl in Rom.

 

Ich werde ihn an denHaaren packen und herausschleifen

William Courtenay war der beliebte und angesehene Bischof von London – ein Mann, der seit seiner Jugend begehrliche Blicke auf das Amt des Erzbischofs von Canterbury gerichtet hatte, in dem alle kirchliche Macht Englands vereint war.

Der Papst hatte ständigen Kontakt mit Courtenay gehalten und ihm schließlich befohlen, in die Streitigkeiten zwischen der Kirche und der Regierung einzugreifen. Courtenay wollte die Karriereleiter erklimmen und sich die Gunst des Papstes erwerben und arbeitete daher fieberhaft daran, die Position des damaligen Erzbischofs von Canterbury, Simon Sudbury, zu schwächen, indem er versuchte, Dinge zu erreichen, die Sudbury nicht erreichen konnte.

Courtenays Bemühungen richteten sich vehement gegen Wycliffe, weil dieser eine gute Beziehung zum antiklerikal eingestellten Johann von Gent hatte. Im Februar 1377 lud er Wycliffe nach London vor, wo dieser sich der Anklage stellen sollte, Irrlehren zu verbreiten.

Wycliffe erschien in der St. Pauls Kathedrale in London in Begleitung von Johann von Gent und vier Mönchen aus Oxford. Wer in Johann von Gents Diensten stand, konnte mit seinem Schutz rechnen. Für Johann von Gent war es eine Frage der Ehre und der Aufrichtigkeit, die Kämpfe seiner Mitstreiter zu seinen eigenen zu machen.

Die Bischöfe erwarteten Wycliffe in einer Kapelle in der Nähe der Kathedrale. Sie erblickten seine leuchtende Gestalt, als er auf die Kapelle zuging. Wycliffe wurde beschrieben als „schlank und groß. Er trug eine lange, schwarze, leichte Robe, die von einem Gürtel zusammengehalten wurde. Sein Bart war lang und kräftig, seine Gesichtszüge kühn und markant geschnitten. Sein Blick war scharf und durchdringend, seine Lippen waren geschlossen und drückten Entschlossenheit aus – seine Erscheinung war umgeben von erhabenem Ernst, voller Würde und charakterlicher Stärke.“5

Die Luft schien wie aufgeladen, die Atmosphäre war gespannt. Um zur Kathedrale zu gelangen, mussten sich die Bischöfe und Wycliffe mit seinem Gefolge einen Weg durch die große Menschenmenge bahnen, die gekommen war, um das Spektakel mitzuerleben. Ihre Versuche, sich einen Weg zu bahnen, führten zu einem Handgemenge, das so laut wurde, dass Courtenay die St. Pauls Kathedrale verließ und sich eilends einen Weg zu Wycliffe bahnte. Als Wycliffe schließlich vor dem Gericht erschien, waren die Gemüter bereits so erhitzt, dass von beiden Seiten Drohungen gegen die andere Partei ausgestoßen wurden.

Wycliffe wurde von Johann von Gent gebeten, sich zu setzen und es sich bequem zu machen. Courtenay ergriff das Wort und forderte, dass der Angeklagte vor Gericht zu stehen habe. Es entspann sich eine Kontroverse zwischen Johann von Gent und Courtenay über die Frage, ob Wycliffe zu stehen habe oder sich setzen dürfe. Die versammelte Menge wurde aufgrund der Beleidigungen, mit denen sich Johann von Gent und Courtenay gegenseitig überhäuften, immer aggressiver. Schließlich murmelte Johann von Gent die Drohung, er würde „den Bischof an den Haaren packen und aus seiner Kathedrale herausschleifen“.6

Courtenay war sehr beliebt unter den Bewohnern von London, die bereits über die bloße Anwesenheit von Gent erzürnt waren. Als die ungehaltene Menge hörte, wie Johann von Gent Drohungen gegen Courtenay ausstieß, brach ein Tumult aus. Die Menschen rannten nach vorne, Schimpfworte und wütende Rufe erfüllten die Kathedrale. Johann von Gent musste fliehen, um sein Leben zu retten. Die Situation eskalierte derart, dass es für Courtenay unmöglich war, das geplante Gerichtsverfahren durchzuführen. Wycliffe, der die ganze Zeit über still geblieben war, erhielt die Erlaubnis, ohne Verfahren nach Hause zurückzukehren.

Nach den Ereignissen vor Gericht waren die Bürger von London derart aufgebracht, dass sie bei ihrer Suche nach Verbündeten von Johann von Gent in den Straßen randalierten und einige Menschen misshandelt wurden. Courtenay musste schließlich eingreifen, um die Menschen zu beruhigen.

Wycliffe befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits weit entfernt von den Unruhen auf dem Heimweg nach Oxford. Der Zwischenfall hatte ihn nicht aus der Ruhe gebracht. Wycliffe wurde trotz der Zurechtweisung durch den katholischen Machtapparat sowohl von seinen Kollegen in Oxford weiterhin hoch geschätzt, als auch von der Regierung, den Studenten und den Menschen in seiner Gemeinde.

 

5Christian History Magazine, S. 12.

6 K. B. McFarlane, John Wycliffe and the Beginnings of English Nonconformity (London, England: English Universities Press, Ltd., 1952), S. 76.

Die Wahrheit tut weh

Papst Gregor XI. hörte von Benediktinermönchen, dass der Prozess wegen Verbreitung von Irrlehren gescheitert war. Er war der Meinung, dass es unklug sei, Wycliffe in England anzugreifen, und nahm sich persönlich der Angelegenheit an. Er sandte aus Rom fünf scharf formulierte Bullen (offizielle päpstliche Dokumente), die allesamt gegen Wycliffe gerichtet waren. Im Mai 1377 wurden Abschriften dieser Bullen an den Erzbischof von Canterbury, nach Oxford und an den König gesandt.

In diesen Bullen wurden 18 Zitate aus Wycliffes Traktat On Civil Dominion (Über die Herrschaft des Staates) aufgeführt und als falsche Aussagen gebrandmarkt. Der Papst tadelte die Leitung der Universität von Oxford und schrieb: „… durch eure Nachlässigkeit und Trägheit habt ihr es ermöglicht, dass Unkraut zwischen dem reinen Weizen des Ackers eurer glanzvollen Universität aufgegangen ist … und (was noch viel schlimmer ist) ihr habt es wachsen lassen.“7 Der Papst fuhr fort, dass die Seelen der Menschen in Gefahr seien, der Name Oxfords beschmutzt werde und der ganze wahre Glaube Gefahr laufe, zerstört zu werden, wenn sie Wycliffe nicht zum Schweigen brächten. Arrogant fügte der Papst hinzu, dass die katholische Kirche der Universität ihren Segen und ihre Unterstützung entziehen würde, wenn sie Wycliffe nicht beseitigte.

Trotz der Drohungen stellte sich die Universität hinter Wycliffe. Ein Gremium aus verschiedenen Gelehrten verfasste eine Erklärung, in der es hieß, dass die „Thesen, die man ihm [Wycliffe] zuschreibt, zwar unangenehm, aber nicht unzutreffend“8seien. Wenn man diesen Gedanken in heutigem Deutsch wiedergibt, könnte man sagen, dass Oxford anführte, dass die Wahrheit nun einmal wehtue.

Die Gelehrten in Oxford hatten erkannt, dass der Papst durch Wycliffes Anklagen bloßgestellt worden war und sich stark bedroht fühlte. Ich glaube, dass die Gelehrten auf Wycliffes Erkenntnisse stolz waren und sich insgeheim wünschten, sie besäßen ebenfalls den Mut, so entschlossen gegen die heuchlerischen Machenschaften der katholischen Kirche aufzutreten. Die Universität stand hinter Wycliffe und erlaubte ihm, weiterhin zu lehren. Wycliffe stellte sich jedoch selbst unter Hausarrest, um der Universität weitere Sanktionen seitens des Papstes zu ersparen.

In den Bullen wurde der Regierung auch befohlen, Wycliffe an Courtenay auszuliefern, der Wycliffes Aussagen überprüfen sollte. Die Regierung kümmerte sich jedoch nicht um die Bullen – König Eduard III. starb, bevor die Bullen ihn erreichten.

 

7Christian History Magazine, S. 18.

8 „John Wyclif“, The Catholic Encyclopedia. <http://www.newadvent.org/cathen/15722a.htm> (25. Mai 2001).

Ich gestehe dem Papst keinerlei Rechte zu

Courtenays religiöser und politischer Ehrgeiz trieb ihn dazu, Wycliffe erneut vorzuladen. Er musste vor einem Gericht in Lambeth erscheinen, um zu den Vorwürfen des Papstes Stellung zu beziehen. Wycliffe erschien und antwortete auf die Vorwürfe.

Es hatte sich eine große Menge an Priestern, Bischöfen und Sympathisanten eingefunden, als der Erzbischof von Canterbury und Bischof Courtenay die „Irrlehren“ Wycliffes aufzählten. Wycliffe stand unerschütterlich fest und machte in seiner Antwort seine Haltung unmissverständlich klar:

Ich spreche dem Papst das Rechte ab, politische Macht auszuüben; dass er in bürgerlichen Angelegenheiten irgendeine Art von Herrschaft ausüben dürfe; dass er durch Bullen etwas erlauben oder verbieten dürfe.9

Wycliffes Standfestigkeit war unglaublich – das Gericht war sprachlos! Wir müssen uns vor Augen führen, dass bis zu diesem Zeitpunkt noch niemals ein Mensch die Autorität des Papstes öffentlich in Frage gestellt hatte. Im Laufe des Buches wirst du bemerken, dass viele Reformatoren die päpstliche Autorität in Frage stellten.

Kannst du dir die Wellen der Empörung vorstellen, von denen alle Anwesenden ergriffen wurden? Kannst du die Nervosität und Anspannung nachempfinden? Was sollten sie Wycliffe erwidern? Dies war das allererste Mal. Wie würden sie sich rechtfertigen können? Was könnten sie zur Verteidigung ihrer eigenen Scheinheiligkeit vorbringen, die Wycliffe so schonungslos aufgedeckt hatte? Ihnen fiel nichts anderes ein, als Wycliffe wütend anzuschreien.

Ihre wütenden Schreie und ihre Zornausbrüche waren jedoch in formaler Hinsicht weder Anklagen noch Urteile – Johanna von Kent, die verwitwete Mutter des Königs, ließ dem Gericht in Lambeth ausrichten, dass es ihm verboten sei, Wycliffe zu verurteilen. Durch das Eingreifen von Johanna von Kent zugunsten von Wycliffe wurden die Bischöfe und ihre Anhänger in Angst versetzt und sorgten sich um ihre Zukunft. Wie durch ein Wunder stellte niemand einen Antrag auf Amtsenthebung oder Exkommunikation Wycliffes, sodass auch dieses Mal das Verfahren eingestellt wurde, ohne dass er verurteilt worden wäre.

Die katholische Kirche wusste nicht, was sie mit Wycliffe tun sollte. In einem hilflosen Versuch, ihn zum Schweigen zu bringen, verbot sie ihm, weiter zu predigen. Wycliffe gehorchte, allerdings gebrauchte er weiterhin die Feder und beriet sich weiter mit den Männern, die ihm persönlich nahe standen.

 

9Christian History Magazine, S. 18..

Die apostolischen Männer

Es hatte zum damaligen Zeitpunkt den Anschein, dass Wycliffes Feinde innerhalb der Kirche ihm nicht schaden könnten. Die katholische Kirche gewann den Eindruck, dass Wycliffe, der noch immer ordinierter Priester war, sich zum „Leiter einer Partei“10 innerhalb der Kirche entwickelte.

Wycliffe war Leiter mehrerer Gemeinden und hatte bereits eine Gruppe von Evangelisten um sich geschart, die auf den Straßen arbeiteten und die er als „arme Priester“ bezeichnete. Diese Gruppe von Geistlichen wurde von Wycliffe persönlich betreut. Er erteilte ihnen den Auftrag, durchs Land zu reisen und überall zu predigen, wo die Menschen ihnen zuhörten. Diese „armen Priester“ führten ein genügsames Leben, mieden jede Art von Reichtum und waren einfach gekleidet. Einige waren ordinierte Priester, andere waren Laien. Keiner von ihnen war an eine Gemeinde gebunden, sodass sie die Freiheit besaßen, dorthin zu gehen, wo die Not am größten war.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die unkundigen Dorfpriester ihre Geschichten erzählt, um den Menschen ein wenig Abwechslung zu bieten. Falls ihnen eine theologische Frage gestellt wurde, gaben sie die Antwort, die ihnen in dem Moment am geeignetsten erschien. Wycliffes Prediger taten genau das Gegenteil – sie predigten aus der Bibel und vermittelten den Dorfbewohnern dadurch neue Einsichten und neue Hoffnung.

Wycliffe verteidigte ihr Recht, zu predigen, solange sich diese Männer dazu berufen fühlten. Er bezeichnete sie als „evangelische Männer“ oder als „apostolische Männer“.11 Diese „apostolischen Männer“ zogen durch ganz England, prangerten die Missstände in der katholischen Kirche an und brachten den Menschen gute, klare Lehre aus der Bibel. Sie predigten nicht auf Lateinisch, sondern in der Sprache des einfachen Volkes, damit sie von allen verstanden werden konnten.

Wycliffe verfasste zahlreiche Traktate, die diese Männer verteilen konnten. Er predigte zwar nicht persönlich, aber er schrieb Hunderte von Predigten für diese „apostolischen Männer“, die diese zunächst durchdenken und dann selbst predigen sollten. Leider sind die meisten dieser Predigten nicht erhalten geblieben, sodass wir durch sie nicht mehr erbaut werden können.

 

10Catholic Encyclopedia.

11Christian History Magazine, S. 17.

Seine erstaunlichste Offenbarung

Ich möchte auf einige historische Fakten hinweisen, die zu einem Durcheinander innerhalb der katholischen Kirche führten und für die man Wycliffe die Schuld in die Schuhe schieben wollte. Die Kirche war mit innerkirchlichen Auseinandersetzungen beschäftigt, sodass Wycliffe zunächst in Ruhe gelassen wurde und sich weiteren Studien widmen konnte. Der Heilige Geist hatte die Situation wirklich unter Kontrolle.

Während der Siebziger Jahre des 14.Jahrhunderts wurde im Lager der Katholiken heftig über den Papst gestritten und darüber, wo er sich aufhalten sollte. Ich werde an dieser Stelle nicht auf die Details dieses Streites eingehen. Dem Konflikt lag die Frage zugrunde, wo sich der Amtssitz des Papstes befinden sollte. 1309 war der Amtssitz von Rom nach Frankreich verlegt worden, was im Wesentlichen auf den politischen Einfluss des französischen Königs zurückzuführen war. Er wollte nicht länger Steuern an den Papst entrichten und war der Meinung, er könne stärkere Kontrolle über den Papst ausüben, wenn sich dessen Amtssitz in seinem Einflussbereich befände. Die Katholiken bezeichneten diesen Zustand als „Babylonische Gefangenschaft“.

Schließlich zog Papst Gregor XI 1376 zurück nach Rom. Zwei Jahre später waren die Katholiken immer noch tief gespalten und wählten zwei Päpste – einen für Avignon in Frankreich und einen für Rom. Beide Päpste beanspruchten für sich, unfehlbar zu sein, und exkommunizierten den jeweils anderen. Dieser Zustand wurde als das „Große Schisma“ des Abendlandes bezeichnet und Wycliffe wurde die Hauptschuld für diesen Konflikt zugeschrieben.12

Die katholische Kirche war der Ansicht, Wycliffes „Irrlehren“ hätten die Menschen in die herrschende Unruhe versetzt, weil er sie mit seinen Lehren vergiftet und verwirrt hätte. 39 Jahre lang gab es zwei Päpste an zwei verschiedenen Orten.

Alle Aufmerksamkeit war auf das Schisma gerichtet, daher wurde Wycliffe weitgehend ignoriert, obwohl man andererseits seine Lehren für das Dilemma verantwortlich machte. Wycliffe stand nicht mehr im Zentrum des Interesses und nutzte die relative Ruhe dieser Phase, um die anderen Irrlehren, die er in der Kirche ausgemacht hatte, schrittweise als solche zu entlarven. Seine Arbeiten in den Jahren 1378 und 1379 führten ihn zur Formulierung seiner erstaunlichsten Offenbarung. Es war eine Aussage, die in der damals bekannten Welt noch niemals gehört worden war. Worum handelte es sich? Es war die Aussage, dass die Schrift (die Bibel) die einzige Quelle für jede Art von Lehre und Dogma sei.13

Im März 1378 gab Wycliffe ein Büchlein mit dem Titel On the Truth of the Holy Scripture (Über die Wahrheit der Heiligen Schrift) heraus. Dieses Büchlein erzürnte den gesamten katholischen Machtapparat. Ausgehend von der Grundannahme, dass allein die Schrift die Wahrheit enthalte, was einen christlichen Lebensstil und dogmatische Aussagen betrifft, begann Wycliffe mit großem Geschick, die verschiedenen Irrlehren und scheinheiligen Vorschriften, die innerhalb der katholischen Kirche immer stärkere Blüten trieben, als solche zu entlarven. Das Büchlein enthielt 32 Kapitel, in denen Wycliffe den Lügen des päpstlichen Standpunktes die Wahrheit der Schrift gegenüberstellte.

Wycliffe hatte eine weitere Grenze überschritten.

 

12Catholic Encyclopedia.

13 „H371-The Reformation before the Reformation: John Wycliffe." <http://www.theology.edu/h371.htm> (15. Mai 2001).

Die Entstehung einer Vision

Nach dem Tod Eduards III. wurde sein noch minderjähriger Enkelsohn Richard II. zum König erklärt (ein königlicher Rat übernahm die Vormundschaft, bis Richard 1381 alt genug war, den Thron zu besteigen). Johann von Gent war zwar nicht zum Regenten ernannt worden, da ihm das Parlament misstraute, doch als Onkel tat er alles, um im Hintergrund seinen Einfluss geltend zu machen.

In den folgenden drei Jahren verteidigte Wycliffe die Zuverlässigkeit und Gültigkeit der Bibel. Die Regierung unterstützte ihn weiterhin, allerdings galt ihm nicht ihr Hauptinteresse. Sie konzentrierte sich darauf, das Land auch ohne einen offiziellen König zu regieren. Die Kirche war mit den internen Problemen beschäftigt, die sie selbst geschaffen hatte. Immer wieder meldeten sich Stimmen, die Wycliffe als Irrlehrer bezeichneten, aber sie hatten keinen Erfolg. Wycliffe entgegnete seinen Kritikern, dass die wahren Irrlehrer diejenigen seien, die Widersprüchliches und Unverständliches in der Bibel aufspürten und der Meinung waren, diese Dinge bedürften einer „offiziellen“ Interpretation durch die Kirche.

Wycliffe war nicht der Meinung, dass es einer „offiziellen“ Interpretation der Bibel bedürfe. Er war überzeugt, dass die Bibel auch vollkommen unkundigen Menschen in die Hand gegeben werden könne. Anders als die katholische Kirche predigte Wycliffe, dass die wahre „Gemeinde“ aus dem gesamten erwählten Volk Gottes bestünde – nicht nur aus den Leitern der Kirche. Aufgrund dieser Überzeugung trat Wycliffe vehement dafür ein, dass jeder, der auf den Herrn vertraut, das Recht besitze, sein Wort zu kennen. Er sagte:

„Alle Christen, und besonders auch die Laien, sollten die Heiligen Schriften kennen und sie verteidigen.“14 Und: „Kein Mensch ist ein so großer Gelehrter, dass er es sich leisten könnte, das Evangelium anders zu lesen, als in seinem schlichten Wortlaut.“15

Aus Wycliffes Aussage wird deutlich, dass Gott einen Plan und eine Vision in seinem Herzen entstehen ließ. Fast niemand in England war in der Lage, die Bibel zu lesen, denn sie war nur auf Latein zugänglich. Diese Sprachbarriere ermöglichte es der katholischen Kirche, die Menschen zu kontrollieren, weil nur die Gelehrten – also die Priester – die Bibel lesen konnten.

Für mich steht fest, dass Wycliffe bereits einen Plan geschmiedet hatte, der seine Aussage konkret werden lassen sollte. Irgendwie müsste die lateinische Bibel in das Englisch des einfachen Volkes übersetzt werden – aber wann? Im 13. und 14. Jahrhundert hatte es Menschen gegeben, die auf eine Übersetzung der Bibel ins Englische gedrungen hatten, aber niemand hatte wirklich die Initiative ergriffen.16Es war wichtig, den richtigen Zeitpunkt zu finden. Wycliffe war kein Mann von Ungeduld oder kurzfristigen Entscheidungen. Er wusste, dass Gott zur rechten Zeit die richtigen Rahmenbedingungen für ein solch großes Unterfangen schaffen würde. Es musste eine Übersetzung angefertigt werden, und das würde früher oder später auch geschehen.

Die Katholiken waren empört über Wycliffes Aussage, die Bibel sei die einzige Quelle für kirchliche Lehren und Dogmatik. Sie waren der Meinung, dass die Kirche (also Priester, Mönche, Bischöfe und der Papst) die einzige Quelle aller Lehren sei und der Bibel dabei lediglich eine Hilfsfunktion zukomme, weil sie Geschichten und Illustrationen für eine gute Lebensführung enthalte. Wycliffe ließ sich durch ihren Zorn nicht aus der Ruhe bringen.

Für Wycliffe bildete die Bibel in allen Lehrfragen das Fundament und besaß absolute Autorität. Aufgrund dieser Annahme machte er sich daran, eine klare Trennung vorzunehmen zwischen den von Menschen entwickelten Vorstellungen der Kirche und den von Gott gegebenen Prinzipien der Bibel.

Die folgenden Seiten enthalten eine Übersicht über einige katholische Irrlehren, gegen die Wycliffe Stellung bezog. Er glaubte, dass all diese Irrlehren von Menschen erfunden und verbreitet worden seien. Wycliffe schrieb all diese Dinge, während er als ordinierter katholischer Priester arbeitete. Er liebte seinen Beruf und arbeitete gern für Gott, und war dabei ein erbitterter Gegner von Missständen und Willkür, die das System der katholischen Kirche prägten. Wycliffe war der Meinung, diese Dinge richteten sich gegen Gott und schadeten den Menschen.

In jedem der folgenden Abschnitte wird zunächst kurz die Haltung der katholischen Kirche zusammengefasst, danach folgt ein Zitat Wycliffes, aus dem seine Kritik deutlich wird.

 

1. Er stellte sich gegen das vorgeschriebene System von Buße und Sündenbekenntnis

Die Katholiken lehrten das Volk, man müsse zu einem Priester gehen und seine Sünden vor ihm bekennen, andernfalls gäbe es keine Vergebung von Sünden. Sie behaupteten, dass Priester, Bischöfe und andere Geistliche die einzigen wären, die in der Lage wären, von Sünde zu reinigen. Nach dem Bekenntnis der Sünde legte der Priester fest, welche Akte der Buße der Sünder durchzuführen hätte, um vollständige Vergebung zu erlangen.

Wycliffe schrieb:

Es ist nicht das Bekenntnis vor Menschen, sondern das Bekenntnis vor Gott, der der wahre Priester unserer Seelen ist, das der sündige Mensch so sehr braucht. Das Bekenntnis vor anderen Menschen und das ganze System der kirchlichen Bekenntnisse unserer Zeit wurde nicht von Christus eingesetzt und auch nicht von den Aposteln praktiziert, denn unter den 3000, die sich am Pfingsttag zum Gesetz Christi bekehrten, gab es nicht einen einzigen, der vor einem Priester seine Sünden bekannt hätte … Gott selbst ist es, der vergibt.

Vertraue voll und ganz Christus … und hüte dich davor, zu versuchen, auf eine andere Weise gerechtfertigt zu werden als durch seine Gerechtigkeit. Glaube an unseren Herrn Jesus Christus reicht aus, um errettet zu werden.17

 

2. Er erhob seine Stimme gegen ein falsches Verständnis von Absolution

Die Katholiken lehrten, dass ausschließlich ein Priester, Bischof oder anderer Geistlicher einen Menschen von der Schuld der Sünde befreien könnte, indem er ihnen die Vergebung zuspräche. Häufig musste für diesen Zuspruch der Vergebung mit Geld oder anderen materiellen Werten bezahlt werden.

Wycliffe schrieb:

 

Ein Mensch kann keiner schlimmeren Irrlehre zum Opfer fallen, als zu glauben, dass er von seinen Sünden befreit würde, wenn er Geld bezahlt oder ein Priester ihm die Hand auf den Kopf legt und sagt:

„Ich erlasse dir die Sünden.“ Man muss von Herzen bekümmert sein über die eigene Sünde, sonst erteilt Gott keine Absolution.18

 

3. Er stellte sich gegen Ablassbriefe

Ablassbriefe waren ein Mittel des Vatikans, um Geld einzutreiben, damit er sich nicht weiter verschulden müsse und um die bereits bestehenden Schulden abzubezahlen. Die Kirche lehrte, dass die Menschen sich durch Ablassbriefe vom Fegefeuer (einem Aufenthaltsort nach dem Tod, an dem man die Folgen sündigen Verhaltens abbüßen würde) freikaufen könnten. Den Menschen wurde gesagt, dass der Papst nach dem Kauf von Ablassbriefen den Engeln befehlen würde, die Seele eines Verstorbenen direkt in den Himmel zu bringen (ohne dass dieser ins Fegefeuer müsste),weil für ihre Sünden bereits bezahlt worden sei. Die Menschen lebten daher, wie sie wollten, und taten, wozu sie gerade Lust hatten, weil sie der Meinung waren, dass jede Sünde getilgt würde, sobald sie einen Ablassbrief kauften.

Wycliffe schrieb:

Es scheint mir ganz offensichtlich zu sein, dass unsere geistlichen Würdenträger die Weisheit Gottes lästern, wenn sie Ablassbriefe ausstellen, weil sie in ihrer Gier nach Geld und in ihrer Torheit vorgeben, etwas zu wissen, wovon sie in Wirklichkeit keine Kenntnis besitzen. Sie schwatzen über Gnade, als wäre sie etwas, das man kaufen oder verkaufen könne wie einen Esel oder einen Ochsen. Wegen dieser Haltung haben sie einen regen Handel daraus gemacht, Vergebung zu verkaufen. Der Teufel macht sich diese völlig falsche Lehrmeinung zunutze, um auf dieselbe Art und Weise auch im Hinblick auf moralische Punkte weitere Irrlehren zu verbreiten.

Ich sage ganz deutlich, dass ich die Ablassbriefe des Papstes … für offensichtliche Gotteslästerung halte, insofern als er dadurch für sich die fast grenzenlose Macht in Anspruch nimmt, Menschen zu erretten … Und eines kann ich euch mit größter Sicherheit sagen: Ihr habt zwar Priester und Mönche, die für euch singen, ihr hört jeden Tag mehrere Messen, ihr finanziert Kirchen und Bruderschaften, die für euch vor und nach eurem Tod Messen singen, ihr unternehmt euer Leben lang Pilgerfahrten und gebt all euer Vermögen den Ablasspredigern – aber all diese Dinge helfen euch nicht dabei, eure Seele in den Himmel zu bekommen.19

Wycliffe verdammte solche Praktiken in seinem Traktat On Indulgences (Über die Ablassbriefe) lange bevor Luther seine 95 Thesen anschlug. Wycliffe schloss sein Traktat mit folgenden Worten:

… durch den Schwanz des Drachens – damit sind die Sekten von Mönchen gemeint, die für Dinge arbeiten, die doch nur eine Illusion sind, und sich für solche Dinge einsetzen, die als Verführungen Luzifers Einzug gehalten haben in die Kirche. Ihr jedoch, Soldaten Christi, steht auf! Seid weise genug, solche Dinge und andere Erfindungen des Fürsten der Finsternis entschlossen hinwegzufegen. Zieht stattdessen den Herrn Jesus an … Reinigt die Kirche von solchen Betrügereien des Antichristen und lehrt das Volk, dass sie allein auf Christus vertrauen sollen und auf sein Gesetz und seine wahren Glieder … und lernt vor allem, die Methoden des Antichristen schonungslos aufzudecken!20

Das Blut, das Jesus Christus für uns vergossen hat, reicht aus – aber die Katholiken des Mittelalters machten das Opfer Jesu ungültig, indem sie eigene Vorschriften hinzufügten und die Menschen zwangen, mit barer Münze zu bezahlen, um Vergebung zu empfangen. Möge Gott Erbarmen haben mit denen, die dieser Lehre glauben, und ihnen die Augen öffnen, dass sie die Wahrheit erkennen.

 

4. Er forderte, dass aus dem Wort Gottes gepredigt wird

Viele Mitarbeiter der katholischen Kirche sahen ihren priesterlichen Dienst als einen Beruf an, der ihnen in erster Linie eine lebenslange gute materielle Versorgung sichern würde. Vielen Priestern war aus diesem Grund gar nicht klar, dass sie eine herausgehobene geistliche Position bekleiden sollten und konnten. Die Priester pflegten daher einen weltlichen Lebensstil – beispielsweise besuchten viele von ihnen die lokalen Schankstuben, um sich dem Glücksspiel hinzugeben – und waren in moralischer Hinsicht keine guten, biblischen Vorbilder. Außer einigen isoliert lebenden Mönchen beteten die meisten Priester nicht und lasen auch nicht in der Bibel. Viele hatten noch niemals in der Bibel gelesen, sodass sie nur Geschichten und Sagen erzählen konnten, um das Interesse der Menschen zu wecken. Ich vermute, dass ich mir selbst in meinen kühnsten Vorstellungen nicht ausmalen kann, welch eklatante Irrlehren und Lügen deswegen in der Kirche verbreitet wurden.

Wycliffe schrieb:

Das höchste Amt, das ein Mensch auf Erden erreichen kann, ist das des Predigers des Gesetzes Gottes. Diese Pflicht obliegt insbesondere den Priestern, damit sie andere zu Kindern Gottes machen … Aus diesem Grund hat Jesus Christus sich von anderen Dingen abgewandt und sich darauf konzentriert, zu predigen. Das Gleiche taten die Apostel – und aus diesem Grund liebte Gott sie so sehr … Wir glauben, dass es einen besseren Weg gibt, als den, so zu predigen, dass wir den Menschen nach dem Munde reden; wir sollen Gott vertrauen, aufrichtig sein und die Gebote und besonders das Evangelium unverfälscht predigen. Und weil diese Worte Gottes Wort sind, sollen wir sie glauben, wie sie geschrieben stehen – dann wird Gottes Wort den Menschen neues Leben geben – viel besser als die Worte, die den Menschen behagen wollen.

Oh, welch wunderbare Kraft liegt in dem göttlichen Samen. Er überwindet starke, bewaffnete Männer, macht harte Herzen weich, erneuert die Menschen und verwandelt sie in gottesfürchtige Personen … Solch übernatürliche Kraft kann allein durch das Wort eines Priesters niemals erzeugt werden, wenn nicht vor allem der Geist des Lebens und das ewige Wort darin am Werke sind.21

 

14 McFarlane, S. 91.

15 Ibid.

16 Ibid.

17Christian History Magazine, S. 25.

18 Ibid., S. 24.

19 Peters, Edwards, „Heresy and Authority in Medieval Europe.“ <http://topaz.kenyon.edu/projects/margin/indulge.htm> (4. Juni 2001) [Diese Seite ist derzeit (August 2003) abrufbar unter www2.kenyon.edu/projects/margin/indulge.htm.].

20Christian History Magazine, S. 24.

21 Ibid., S. 34.

Wycliffe stellt sich gegen die herrschende Abendmahlslehre

Wycliffe fuhr damit fort, auf Fehler innerhalb der katholischen Kirche hinzuweisen, und stellte sich gegen jede Form von Betrug und Täuschung durch ihre Methoden. 1379 wandte sich Wycliffe gegen eine Praxis in der Kirche und bezog damit eine Position, die selbst seine besten Freunde in Sorge stürzte. Johann von Gent teilte seine Meinung in dieser Sache nicht und bat ihn, seine Aussage zu diesem zentralen Thema zurückzunehmen. Wycliffe brachte es jedoch nicht fertig, Verrat an seinen aus der Schrift gewonnenen Überzeugungen zu üben, selbst wenn er durch diese Haltung die Unterstützung bestimmter Menschen verlor. Die englische Regierung rückte von Wycliffe ab, weil sie nicht wusste, wie sie auf diese neueste Offenbarung Wycliffes reagieren sollte.

Wycliffes bekannteste Kontroverse entspann sich über die Eucharistie, das Heilige Abendmahl. Die Katholiken vertreten die Lehre der Transsubstantiation. Damit ist gemeint, dass Brot und Wein sich bei der Feier einer Messe durch den Priester tatsächlich in Leib und Blut Jesu Christi verwandeln, dabei aber das Aussehen von Brot und Wein beibehalten. Sie sprachen daher auch vom „Gesegneten Sakrament“.

Wycliffe beurteilte die Transsubstantiation als absolut unbiblisch. In seiner Schrift On the Eucharist (Über das Abendmahl) umriss er seine Überzeugungen ausgehend von zwei Grundsätzen: Erstens befindet sich der Gedanke der Transsubstantiation nicht in der Bibel und zweitens war diese Lehre bis zum 12. Jahrhundert in der Kirche vollkommen unbekannt.22Sie war erst 1215 auf dem 4. Laterankonzil zu einem katholischen Dogma (einer Lehre mit absolutem Wahrheitsanspruch) erklärt worden.

Wycliffe vertrat die Auffassung, dass die Lehre von der Transsubstantiation eine rein menschliche Erfindung – oder falsche Interpretation – sei, die allein das Ziel verfolge, den mystischen Charakter der Messe zu erhalten und die Macht der Priester zu stärken. Seiner Meinung nach kam in der Lehre von der Transsubstantiation in gefährlicher Weise zum Ausdruck, dass man dem Amt des Priesters eine zu große Bedeutung beimaß. Christus würde dadurch in unangemessener Weise zu einem passiven Teilnehmer herabgewürdigt und die Menschen in den Götzendienst getrieben.

Wycliffe vertrat die Lehre von der geistlichen Gegenwart