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Gretchen ist eine längere Erzählung von Heinrich Mann. Auszug: Am Sonnabend mittag hatte Frau Heßling es immer noch nicht ihrem Manne beigebracht, daß Gretchen sich am Sonntag verloben sollte. Beim Essen war Diederich endlich guter Laune; von dem Aal, den er allein aß, warf er Gretchen ein Stück über den Tisch zu. Aber der Aal war groß und fett gewesen; im Mittagsschlaf ächzte Heßling, und nach dem Erwachen verlangte er massiert zu werden. Seine Gattin wisperte Gretchen zu: »Nun könn' mer 'n wieder dein' Hut und Gürtel nich abluchsen. Aber Geld muß her.« Und sie gab der Tochter einen nützlichen Wink. Herr Heßling wartete schon in wollenem Hemd und Unterhosen zwischen den Sofakissen. Er überlieferte seinen blonden Bauch der Gattin zur Bearbeitung mit den Handrücken. Angstbeklemmt blinzelte er, indes sie hackte, den drei Figuren in zwei Drittel Lebensgröße und in Bronze zu, die von der Erkerstufe mit erhabener Heiterkeit auf ihn und seine Not herabsahen: Kaiser, Kaiserin und Trompeter von Säckingen. Und während Frau Heßling sich nach allen übrigen Seiten um ihren Mann verbreitete und ihn laut tröstete, kroch Gretchen zur Tür herein, auf den Knien in ihrem weißen Kleid, umsichtig den langen Hals vorgestreckt und mit Furcht und Hohn in ihren bleichsüchtigen Augen, kroch geräuschlos zum Stuhl mit Papas Hose und griff hinein. Es hatte ein bißchen geklimpert; ihre Mutter sagte um so kräftiger: »Nu haste's gleiche hinter dir, und morgen wollten mer nach Goschelroda machen, daß du's weißt. Der' Herr Assessor Klotzsche geht auch mit, und dich kost es nischt, Alter. Ich hab noch so viel vom Haushaltungsgeld, daß es langt.«
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Am Sonnabend mittag hatte Frau Heßling es immer noch nicht ihrem Manne beigebracht, daß Gretchen sich am Sonntag verloben sollte. Beim Essen war Diederich endlich guter Laune; von dem Aal, den er allein aß, warf er Gretchen ein Stück über den Tisch zu. Aber der Aal war groß und fett gewesen; im Mittagsschlaf ächzte Heßling, und nach dem Erwachen verlangte er massiert zu werden. Seine Gattin wisperte Gretchen zu:
»Nun könn' mer 'n wieder dein' Hut und Gürtel nich abluchsen. Aber Geld muß her.« Und sie gab der Tochter einen nützlichen Wink.
Herr Heßling wartete schon in wollenem Hemd und Unterhosen zwischen den Sofakissen. Er überlieferte seinen blonden Bauch der Gattin zur Bearbeitung mit den Handrücken. Angstbeklemmt blinzelte er, indes sie hackte, den drei Figuren in zwei Drittel Lebensgröße und in Bronze zu, die von der Erkerstufe mit erhabener Heiterkeit auf ihn und seine Not herabsahen: Kaiser, Kaiserin und Trompeter von Säckingen. Und während Frau Heßling sich nach allen übrigen Seiten um ihren Mann verbreitete und ihn laut tröstete, kroch Gretchen zur Tür herein, auf den Knien in ihrem weißen Kleid, umsichtig den langen Hals vorgestreckt und mit Furcht und Hohn in ihren bleichsüchtigen Augen, kroch geräuschlos zum Stuhl mit Papas Hose und griff hinein. Es hatte ein bißchen geklimpert; ihre Mutter sagte um so kräftiger:
»Nu haste's gleiche hinter dir, und morgen wollten mer nach Goschelroda machen, daß du's weißt. Der' Herr Assessor Klotzsche geht auch mit, und dich kost es nischt, Alter. Ich hab noch so viel vom Haushaltungsgeld, daß es langt.«
Heßling brummte; aber die Massage hatte ihn erweicht.
Abends am Stammtisch stand er für Deutschlands Weltmacht so sehr in Flammen, daß er zahlte, ohne den Inhalt seines Geldsacks zu beachten; und was an Gretchen neu war, entging ihm am Sonntag, wie immer. Er bekundete nur den festen Willen, nicht durch den Wald zu gehen.
»Da kommt man zwei Stunden zu kei'm Wirtshaus.«
Assessor Klotzsche gab ihm recht, und man beschritt die Landstraße: Gretchen voran mit Klotzsche. Er sah beifällig den Himmel an; sein hinterer Scheitel rutschte dabei in den Kragen.«
»T-hadelloser T-hach. Wenn auch mit Hitze verbunden.«
»Papa hat seinen Rock ausgezogen«, sagte Gretchen; und mit Senkblick:
»Wollen Sie es nicht auch?«
Aber Klotzsche lehnte ab. Er als Leutnant der Reserve kannte Schlimmeres; und er fing vom Manöver an. Er sprach sachlich und lange; das erste Haus von Gäbbelchen sah schon aus den Bäumen; Gretchen seufzte. Frau Heßling hatte alles überwacht; plötzlich gab sie einen Schrei von sich. Ein Tier! Ein Tier war in ihrer Bluse.
»Ä gräßliches Krabbeltier. Nu is es schon hier … Nee, Männe, aus 'm Halse kriegste's nich mehr raus, du drückst mir bloß die Luft ab … Nicht anstellen, das sagst du wohl. Wenn es doch aber beißt! Wir haben nun mal andere Nerven als wie ihr. Für so was hat ein Mann aber auch gar kein Verständnis, nicht, Herr Assessor?«
Klotzsche beeilte sich, das seine zu bekunden. Er wollte sogar einen Haken öffnen. Frau Heßling entzog sich ihm.
»Einer nützt nichts; es sitzt zu tief. Da hilft bloß: alles aufmachen. Gehen Sie nur ein Stückchen weiter mit Gretchen, Herr Assessor. Bei so was kann ich doch wohl bloß mein' Mann gebrauchen.«
Und sie blinzelte Diederich mit unzüchtiger Schalkhaftigkeit an. Der Assessor war errötet; Gretchen hielt den Kopf gesenkt. Sie gingen.
Klotzsche machte unsicher eine Bemerkung über fatale Lebewesen. Sonst aber sei er sehr für die frische freie Natur, besonders für Segelsport … Gretchen seufzte schon wieder. Er brach ab und fragte, ob auch sie die Natur liebe. Ja? Und was sie denn vorziehe: die Berge? die kleinen Lämmer?
»Grünen Salat«, sagte Gretchen, halb im Traum.
Sie sah selber grünlich aus und fiel vor Bleichsucht fast in Ohnmacht, wie es ihr immer geschah, wenn sie sich sehr langweilte; beim Strümpfestopfen oder in der Kirche.
»Grünen Salat?«
Ja. Denn Gretchen hatte am Morgen von ihrem Wochengeld sofort ein halbes Pfund Pralines gekauft und sie alle aufgegessen; und jetzt träumte sie von Salat mit Pfeffer und Senf.
Klotzsche war von ihrer Antwort überrascht, aber nicht unbefriedigt. Er sah sie an und rückte an seinem Kragen. Gretchen aber, mit tief herabgelassenen Wimpern:
»Was ei'm die ekelhaften Kiesel die Schuhe ruinieren! So 'ne Sohle is auch heutzutage wie aus Papier.«
Sie klagte nicht über die Schmerzen, die ihr die Steine machten; nur über die Kosten! Da entschloß sich Klotzsche:
»Krätchen …«
»Sophus …«
Als das Brautpaar Hand in Hand vor ihn hintrat, wie erstaunte der Vater! Frau Heßling lächelte sieghaft; denn daß Manne einem Reserveleutnant Krach machen werde, war nicht zu befürchten; dafür ging Manne mit einem zu schlechten Gewissen durchs Leben, weil er nicht wenigstens Unteroffizier war.