Griechisches Geheimnis - Stella Bettermann - E-Book

Griechisches Geheimnis E-Book

Stella Bettermann

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Beschreibung

Kommissar Nick Zakos erhält eine unschöne Nachricht: Die Frau seines Vaters wurde verhaftet. Als Staatsanwältin hat Dora in Athen mit einem Tabakschmuggel- und Kunstraubskandal zu tun. Der gegnerische Staatsanwalt in der Sache ist tot und Dora wird beschuldigt. Zakos eilt sofort nach Griechenland, wo ihn Heimtücken und Machtspiele bis auf die Kleinen Kykladen führen. Als die geheimnisvolle Reporterin Martina Beos auftaucht, reist sogar Zakos' Chef Albrecht Zickler für diesen gefährlichen Fall an …

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Das Buch

Kommissar Nick Zakos erfährt während der Taufe seines Sohnes von der Verhaftung seiner Stiefmutter, der Anwältin Dora. Sie wird des Mordes an einem Athener Staatsanwalt verdächtigt. Zakos reist umgehend nach Athen. Dort vertritt Dora den Journalisten Panagiotis Pappas, der für einen Enthüllungs-Blog die mafiösen Strukturen einer Reederei untersucht.

Der in der Strafsache zuständige Staatsanwalt wurde tot in seinem Arbeitszimmer gefunden, genau zu dem Zeitpunkt, zu dem er ein Treffen mit Dora vereinbart hatte. Sie wird noch am Tatort verhaftet. Hat die Reederei das alles eingefädelt, um den Prozess kurzerhand zu beenden?

Pappas ist inzwischen untergetaucht und kommuniziert mit Dora nur über seine Vertraute, die Reporterin Marina Beou. Zakos’ und Marinas gemeinsame Ermittlungen führen sie schließlich bis nach Naxos. Sogar Zakos’ Kollege Zickler, der stoffelige Münchner, kommt dazu, um die beiden zu unterstützen. Gemeinsam begeben sie sich einem dunklen Geheimnis auf die Spur …

Die Autorin

Stella Bettermann ist Halbgriechin und lebt mit ihrer Familie in München, wo sie als Journalistin und Autorin arbeitet. Ihre Griechenlandbücher Ich trink Ouzo, was trinkst du so? und Ich mach Party mit Sirtaki waren SPIEGEL-Bestseller. Griechisches Geheimnis ist der dritte Krimi in der Reihe um den Kommissar Nick Zakos.

Von der Autorin sind in unserem Hause bereits erschienen:

Griechischer Abschied · Griechische Begegnung

Stella Bettermann

Griechisches Geheimnis

Kriminalroman

Ullstein

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ISBN 978-3-8437-1518-8

Originalausgabe im Ullstein Taschenbuch

1. Auflage Mai 2017

© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017

Umschlaggestaltung: zero-media.net, München

Titelabbildung: © FinePic®, München

E-Book: LVD GmbH, Berlin

Alle Rechte vorbehalten.

Prolog

Etwas stimmte nicht – aber vielleicht war das auch nur wieder so ein Gefühl.

Die Nerven eben. In den letzten Jahren hatten sie ihr öfter zugesetzt. Mal hatte sie Alpträume, dann wieder litt sie unter Schreckhaftigkeit, so dass sie schon beim Zuschlagen einer Tür, die der Luftzug ins Schloss getrieben hatte, mit laut pochendem Herzen und Atemnot innehalten musste. Mit der Zeit wurde sie offenbar immer empfindlicher gegen den täglichen Stress.

Heute früh war ihr gewesen, als würde sie beobachtet. Als sie sich umschaute, war aber niemand zu sehen gewesen, niemand Bestimmtes jedenfalls – nur Passanten, die ihren Alltagsbesorgungen nachgingen, wie an jedem normalen Samstag, und keiner verhielt sich auffällig oder beachtete sie auch nur. Sie war also nach einem prüfenden Blick über die Schulter in ihren Wagen gestiegen, ein wenig nervös. Natürlich hatte sie die Zentralverriegelung betätigt. Erst eine Weile später, als sie im Stau festsaß, war ihr die Situation albern vorgekommen, und sie hatte das Seitenfenster heruntergefahren und den linken Arm aufgestützt wie immer.

Doch nun spürte sie das Unbehagen erneut. Da war so ein angstvoller Schauer im Nacken. Sie blickte von dem Schriftstück auf ihrem Schreibtisch auf und ließ den Blick durchs Panoramafenster ihres Büros nach draußen schweifen. Alles wirkte wie immer. Das Gebäude, in dessen oberstem Stock sich die Kanzlei befand, überragte die umliegenden Wohnblöcke und hatte einen Blick auf die Dachterrassen mit den dunkelgrünen Markisen, den Pflanzenkübel¯n und den Essecken, aber auch auf viele öde Leerflächen – mit Wäscheleinen, Klimaanlagenkästen, Schornsteinen, Taubendreck. Doch da – plötzlich ein aufblitzendes Licht von links!

Blitzschnell drehte sie den Kopf. Mit angehaltenem Atem suchte sie mit den Augen die Fenster der umliegenden Gebäude ab. Schon wieder ein Blitzen! Wie aus einem Fotoapparat!

Reflexartig krümmte sie sich in ihrem Bürostuhl zusammen, das Blut rauschte in ihren Ohren. Erst nach einer Weile beruhigte sie sich. Das Ganze war albern, redete sie sich ein. Wer sollte sie schon heimlich fotografieren?! Und selbst wenn, dann sicherlich nicht mit einem Blitzlicht an einem solch strahlend hellen Hochsommertag. Außerdem: Sie war schließlich keine Berühmtheit, keine Politikerin, kein Promi. Ihre Klienten manchmal schon, doch außerhalb beruflicher Kreise kannte sie selbst kaum jemand.

Nein, es war sicher nur eine Reflexion der Sonne gewesen, eine Spiegelung beim Auf- oder Zuklappen eines der umliegenden Fenster, die ihr als zuckender Lichtblitz aufgefallen war. Nichts weiter.

Einen Moment lang dachte sie an den anonymen Brief, der vor einigen Tagen in ihrem Briefkasten zu Hause gelegen hatte, die hingekritzelte Drohung, das fleckige Papier. Als wollte man sie durch diese Schäbigkeiten beleidigen. Sie hatte ihn aufgehoben, sicherheitshalber, aber sie war nicht wirklich beunruhigt gewesen. Es hatte über die Jahre einige solcher Briefe gegeben, und sie ängstigten sie schon lange nicht mehr. Nein, etwas ganz anderes bereitete ihr viel mehr Sorge, und das war sie selbst. Sie hatte die fünfzig bereits überschritten, und auch wenn sie alles tat, damit man ihr das nicht ansah – sie konnte das Alter durchaus spüren. Sie kannte die Geschichten von Kollegen, die plötzlich nicht mehr konnten. Markos zum Beispiel, der sogar jünger war als sie. Eines Tages war er mit einem Zittern in den Händen aufgewacht, für das sich keine medizinische Ursache finden ließ und das sich jeglicher Behandlung widersetzte. Und dann war da noch Koula, ihre alte Schulfreundin, eine Chirurgin mit plötzlichen Herzproblemen, die wahrscheinlich keine andere Ursache hatten als Markos’ Leiden: Überarbeitung, Burn-out.

Sie wusste, sie musste auf sich aufpassen, damit es ihr nicht ebenso erging. Pausen einplanen, Aufgaben delegieren. Es war gut, dass sie Christos vor ein paar Jahren zu ihrem Kompagnon gemacht hatte, dass die Verantwortung auch auf seinen Schultern lastete. Auch jetzt, in diesem Moment, hätte sie ihn gern um sich gehabt. Es gab da ein paar Punkte, die sie mit ihm bereden wollte, nicht erst am Montag, wenn wieder Trubel herrschte. Aber Christos war nicht da, auch Kiki nicht, die neben der Leitung des Schreibzimmers die Aufgabe hatte, sich um ihr leibliches Wohl zu kümmern, damit sie das Essen und vor allem das Wassertrinken vor lauter Arbeit nicht vergaß. Aber heute war Samstag. Sie war allein im Büro.

Sie war gar nicht unglücklich darüber. Zu Hause wirbelte Rita herum, die zum Putzen kam und dabei jede Menge Lärm machte. Hier aber herrschte herrliche Ruhe. Ein echter Luxus, auch am Wochenende arbeiten zu können, denn das nahm Druck von ihr. Normalerweise war das nicht möglich. Konstantinos bestand auf gemeinsamen Wochenenden, auch die Kinder hielten sich möglichst daran – zumindest in den Semesterferien, wenn sie in Athen waren. Aber nun waren sie alle drei nach Deutschland geflogen, und so gern sie dabei gewesen wäre – natürlich genoss sie die Chance, ungestört arbeiten zu können. Keine Plaudereien, keine Rücksichtnahmen, lediglich unsoziales Schweigen und Pflichterfüllung. Die Idee mitzufahren war sowieso unrealistisch gewesen. Sie konnte hier nicht alles im Stich lassen, nicht jetzt.

Und so hatte sie auch am Vorabend mit Akten und ihrem Notebook auf ihrer Terrasse zu Hause gesessen und hatte darüber die Zeit vergessen. Jetzt spürte sie plötzlich die Erschöpfung – und das war sicher der Grund für ihre Nervosität, sagte sie sich.

Außerdem hatte sie Hunger. Das Beste wäre, oben in Athen irgendwo eine Tiropita zu essen und danach vielleicht ein Stündchen in den exklusiven Boutiquen am Kolonaki bummeln zu gehen, bevor sie weiterarbeitete – beim Shoppen konnte sie entspannen, weil sie das Gefühl hatte, sich etwas Verdientes zu gönnen für die harte Arbeit. Aber davor würde sie noch ein paar Schriftsätze ins Handy diktieren, damit Kikis Damen im Schreibzimmer diese Montag früh in Angriff nehmen und sie – korrigiert und auf Kanzleipapier ausgedruckt – verschicken konnten. Dazu sollte sie das Handy allerdings finden. Wenn sie nur wüsste, wo sie es hingelegt hatte …

Wie auf Kommando begann das Gerät zu vibrieren, so dass ein paar Blätter, die darauf gelegen hatten, ins Zittern gerieten. Eine SMS, Sokratis. Er bat sie, dringend bei ihm vorbeizusehen. Noch einer also, der am Wochenende beschäftigt war. Kein Wunder, in seiner Situation, dachte sie. Na gut, dann würde sie eben zuerst bei ihm vorbeifahren.

Sie suchte ihre Sachen zusammen und warf sie in ihre große Handtasche. Zuletzt stöpselte sie das Notebook aus und entwirrte das Kabel, das sich zwischen Aktendeckeln und einer Karaffe verwickelt hatte. Dabei fiel ihr auf, dass die Eulenstatue aus Stein, die sonst hier stand, verschwunden war. Vielleicht hatte eine Putzfrau sie anderswo hingestellt. Hoffentlich war sie niemandem heruntergefallen. Sie war zwar massiv, aber der Sockel aus Holz könnte abbrechen. Gestohlen worden war sie jedenfalls kaum, so hoffte sie – ihre Eule war die Kopie der antiken Eule aus der Akropolis und hatte einen rein persönlichen Wert, denn es handelte sich um ein Geschenk ihres verstorbenen Vaters. Sie würde Kiki am Montag danach fragen. Aber nun sollte sie aufbrechen.

Sie erreichte Sokratis Wohnung in wenigen Minuten. Es war nicht allzu viel los auf den Straßen, und es gab sogar einen Parkplatz vor dem Gebäude. Sie parkte trotzdem um die Ecke und betrat einen Eingang zwei Häuser weiter, von wo aus sie durch einen gemeinsamen Innenhof ins Treppenhaus gelangte. Sokratis hatte ihr diesen Weg verraten. Es sollte niemand mitbekommen, dass sie in Kontakt standen. Anders ging es nun mal nicht.

Dann stand sie im zweiten Stock vor der beschädigten Eingangstür und wusste, dass tatsächlich etwas nicht stimmte. Ganz und gar nicht stimmte. Ihr Gefühl hatte nicht getrogen. Hier war etwas faul.

Ihr Atem stockte. Sie war ganz allein hier oben, niemand war sonst zu sehen. Einen kurzen Moment lang fühlte sie Panik aufsteigen. Doch der Anfall ging so schnell vorbei, wie er gekommen war, gefolgt von einer eiskalten Ruhe, für die sie bekannt, sogar berüchtigt war. Keine Polizei. Keine Überreaktionen. Erst mal nachsehen, was überhaupt passiert war. Außerdem: Wenn bekannt würde, dass sie Sokratis traf, gäbe das einen Skandal, das musste nicht sein.

Sie zog aus ihrer Handtasche das Pfefferspray, schlüpfte aus ihren hohen Sandalen und stieß leise die Tür auf. Barfuß betrat sie den Raum.

Der Marmorfußboden fühlte sich eisig an ihren Fußsohlen an, als sie durch den Eingangsbereich schlich – die Klimaanlage lief auf Hochtouren, aber das war hier immer so. Sie tapste weiter in die Richtung, in der sich Sokratis’ Arbeitszimmer befand. Die Tür war angelehnt, und auch hier war alles ruhig. Es gab kein Tastenklappern, kein Stuhlrücken, kein Räuspern, nichts, was auf seine Anwesenheit – oder auf irgendeine Anwesenheit – schließen ließ.

Nur eine Sekunde lang wollte sich die Angst in ihrer Brust wieder ausbreiten, doch sie rang sie nieder und gab der angelehnten Tür mit ihrer freien Hand einen sanften Stoß, so dass sie sich lautlos öffnete und den Blick in den Raum freigab.

Und da sah sie ihn.

Kapitel 1

Manchmal fand Nick Zakos sein Privatleben anstrengender als den Job als Hauptkommissar bei der Münchner Kripo. Dies war ein solcher Moment. Sein Magen war flau, der Boden unter ihm schwankte. Aber das ging jetzt natürlich gar nicht. Er musste sich zusammenreißen. Ruhig atmen. Ein. Aus. Dann verging es vielleicht wieder. Ein. Aus.

»Ola endaxi?«, raunte sein bester Freund Mimis ihm zu und blickte ihn besorgt an. »Du bist plötzlich so blass!«

Mimis stand in einem schwarzen Nadelstreifenanzug und mit zurückgegelten schwarzen Haaren neben ihm und sah ein wenig aus wie der Pate in dem gleichnamigen Mafiafilm. Er war auch tatsächlich der Pate, nämlich der Taufpate von Nicks Sohn Elias. Deswegen hatten sie sich hier am Altar der griechisch-orthodoxen Kirche in München postiert, und Zakos trug den Kleinen auf dem Arm. Der Gesang des Popen hatte das Kind eingelullt, es schlief mit offenem Mund, schwitzte und wurde immer schwerer. Das war allerdings nicht das Schlimmste.

Das Schlimmste war der Weihrauch. Davon war Zakos schon als Kind schlecht geworden. Einmal in den Sommerferien in Athen hatte er sich sogar übergeben, auf den Kirchenboden. Mosaikkacheln, grauschwarz mit Dunkelrot, er konnte sich plötzlich wieder genau erinnern. Wie der Boden in dieser Kirche hier aussah, wollte er gar nicht genauer wissen. Er mied den Blick nach unten, damit ihm nicht noch schlechter wurde.

»Alles gut«, sagte er trotzdem und rang sich ein Lächeln ab. Es gab Dinge, die konnte man als Polizist einem Nicht-Polizisten einfach nicht eingestehen. Sollte er etwa beichten, dass ihm, dem gestandenen Mordermittler, fast die Sinne schwanden von so einem bisschen Räucherwerk? Keine gute Idee! Er versuchte stattdessen, wie an einem Tatort zu atmen, durch den Mund. Ein. Aus. Es wurde trotzdem nicht besser.

Wenn es nach ihm gegangen wäre, hätte es diese Taufe nicht gebraucht – er war nicht sehr gläubig. Die Sache war die Idee seines griechischen Vaters gewesen, der in Athen lebte. Konstantinos Zakos war ebenfalls nicht sehr gläubig, doch er wollte ein großes Familienfest feiern, und dass Nick und Elias’ Mutter Sarah schon länger kein Paar mehr und folglich keine richtige Familie waren, ließ er nicht gelten.

»Familie ist Familie – ob getrennt oder nicht!«, sagte er. »Ihr seid eben eine moderne Familie. Wir alle sind eine moderne Familie. Wir gehören alle zusammen!«

Nick fand das eine recht gewagte Aussage, denn tatsächlich hatten auch sein Vater und er sich erst im vergangenen Jahr nach über einer Dekade, in der sie kaum Kontakt miteinander gehabt hatten, wieder angenähert. Seine Stiefgeschwister Philippos und Vasso aus der zweiten Ehe des Vaters kannte er zudem selbst noch kaum. Er hatte sie in der jüngeren Zeit erst ein paarmal gesehen, und das auch eher kurz – zuletzt bei einem Wochenendtrip mit Elias nach Athen, um den Kleinen der Familie dort vorzustellen. Und keiner aus der griechischen Familie hatte bis dato Sarah kennengelernt.

»Das spricht doch erst recht dafür, ein großes Familienfest zu feiern – damit wir alle zusammenfinden«, meinte Konstantinos. Von Griechenland aus übernahm er die Organisation, von den Terminabsprachen mit der Münchner Kirchengemeinde bis hin zum Verschicken der Einladungen. Die Sache war ihm sehr wichtig. Am Tag vor der Taufe schließlich stieg er mit Vasso und Philippos ins Flugzeug und schloss Nick am Münchner Flughafen glücklich in die Arme.

»Unfärchofft – kommt – oooft!«, sagte er. Es klang bedeutungsschwer, und Nick musste über den nicht ganz passenden Spruch schmunzeln: Das Deutsch seines Vaters war wohl ein wenig eingerostet. Zakos erinnerte sich außerdem gar nicht daran, dass Konstantinos einen derart starken Akzent gehabt hatte – normalerweise kommunizierten sie untereinander auf Griechisch.

Sie fuhren alle direkt zu Sarah, für ein erstes Kennenlernen und um ihr das Taufkleid zu zeigen, das der griechische Teil der Familie dabeihatte. Es war tatsächlich ein Kleidchen, über und über mit Spitze besetzt. Irgendwie absurd als Outfit für einen zweijährigen Jungen, der noch dazu ein ziemlicher Rabauke war und mit seinen schwarzen Augenbrauen sowie dem entschlossenen Blick auch so aussah, fand Zakos, aber er wollte seine Schwester Vasso nicht kränken. Sie hatte das Kleidungsstück ausgesucht und den Karton mit dem kostbaren Inhalt den Flug über auf ihrem Schoß gehalten, damit nichts zerknitterte.

Elias interessierte sich eher für den mitgebrachten Bagger und zog sich mit dem sechzehnjährigen Philippos, der ebenfalls beigeistert davon schien, in die Spielecke zurück. Sarah dagegen stieß ein verzücktes »BE-ZAU-BERND!« aus und schlug die Hände zusammen, bevor sie das Gewand für Instagram fotografierte.

»Ich danke euch so sehr, dass ihr das alles für Elias tut«, gurrte sie und zeigte ihr betörendes Lächeln. Zakos kannte das schon. Auch er war ihr verfallen gewesen und hatte sie für die charmanteste Person der Welt gehalten. Das war, bevor er erkannte hatte, wie schwierig und launisch sie tatsächlich war.

Vasso schien besonders empfänglich für Sarahs Zauber zu sein und blickte sie hingerissen an. Eine Weile schwelgten sie und Sarah in dem Wust aus Tüll und Spitzen wie kleine Schulfreundinnen. Sehr unterschiedliche Freundinnen – Sarah groß, langbeinig und rotblond, Vasso schwarzhaarig und klein, mit einem herzförmigen Gesicht, das Zakos immer an ihre gemeinsame Großmutter erinnerte. Die beiden hielten sich dabei sogar an den Händen, und Zakos bedauerte, dass er nicht mehr rauchte – es wäre eine gute Gelegenheit gewesen, rauszugehen und diesem Kasperltheater für ein paar Minuten den Rücken zu kehren.

»Schade übrigens, dass Dora nicht mitkommen konnte«, wandte sich Sarah schließlich an Konstantinos. Dora war seine zweite Frau, die Mutter von Vasso und Philippos. »Ich hätte sie zu gern kennengelernt!« Wahrscheinlich, um sich mit ihr gegen Anita zu verbünden, schoss es Zakos durch den Kopf. Anita war seine Mutter. Sarah und sie hatten sich vom allerersten Moment an nicht gemocht. »Eine Diva duldet keine andere in ihrer Nähe«, war die Meinung Mimis’ zu diesem Thema, und dieser Einschätzung seines Freundes war nichts hinzuzufügen, fand Nick.

»Dora schickt chärzliche Grüße«, verkündete Konstantinos. »Abär es gab eine neue Wändung in dieser Strafsachä, an der sie arbaitet.«

»Strafsache? Du hast doch gesagt, sie ist Scheidungsanwältin!«, sagte Sarah zu Zakos, plötzlich nicht mehr mit zuckerüberzogener Stimme, sondern so spitz, wie er sie kannte.

»Das dachte ich auch«, antwortete er. »Jedenfalls ist sie Anwältin.«

Sarah seufzte.

»Es gibt Leute, die sich grundsätzlich kaum für die Berufe anderer interessieren«, sagte sie an niemanden bestimmten gewandt. Aber selbstredend war er gemeint. »Als existierten neben den Kommissaren keine anderen nennenswerten Berufe wie zum Beispiel Lehrer, die Kindern etwas beibringen, oder Chirurgen, die Leben retten, oder Zahnärzte, die …« Sarah war Zahnärztin.

»Schon gut«, sagte Zakos, heftiger, als es nötig gewesen wäre, so dass Vasso zusammenzuckte und ihn verdutzt anstarrte. Doch Sarah fuhr unbeirrt fort.

»Hast du denn tatsächlich nie mit deiner Stiefmutter darüber gesprochen, was sie so den ganzen Tag in der Arbeit macht? Ob sie gestresst ist, mit was sie sich befasst? Offenbar nicht, sonst wäre dir vielleicht nicht entgangen, dass sie etwas komplett, aber auch wirklich komplett anderes macht als das, was du denkst!«

Zakos verdrehte die Augen.

»Okay, ich hab einen Fehler gemacht. Ich bin nun mal alles andere als perfekt«, erwiderte er und versuchte, seine Stimme zu beherrschen. »Na und? Kannst du es jetzt nicht gut sein lassen?«

In diesem Moment hörten sie den Schlüssel in der Tür und Thilo trat ein, Sarahs neuer Freund. Zakos war ausnahmsweise fast froh, ihn zu sehen – alles besser, als wenn Sarah sich wie ein Terrier an einem Thema verbiss.

»Ahhh, Thilo! Ich chabe schon viiiiel von dia gechört!«, sagte Konstantinos, der ebenfalls erleichtert schien, dass der gereizte Wortwechsel zwischen seinem Sohn und dessen Ex beendet wurde, und umarmte Thilo mit großer Geste. Er wollte wohl demonstrieren, dass er die Sache mit der modernen Familie wirklich sehr ernst nahm. Thilo wand sich ein wenig, doch es gab kein Entrinnen, und Konstantinos küsste ihn nach südländischer Manier auf beide Wangen.

»Aile – mit Wahile«, sagte er schließlich, und dann, sehr feierlich: »Neuä – Bähsen – fähgen – gut!« Thilo fielen fast die Augen aus dem Kopf. Zakos ebenfalls.

Er hüstelte. »Baba, vielleicht solltest du erst mal auf deutsche Sinnsprüche verzichten, bis du dich ein wenig akklimatisiert hast«, sagte er auf Griechisch zu seinem Vater. Es war klar, dass der gerade so einiges durcheinanderbrachte. »Du kannst auch erst mal einfach Griechisch sprechen – ich übersetze gern!«

»Naaain, naaain«, wiegelte sein Vater ab. »Ich chabe viel geübt und alte deutze Swarzwaisfilme gesähn. Oder findet ihr main Deutz nicht gut?«

Er blickte in Sarahs Richtung, ein wenig kokett.

»Ich finde es perfekt!«, strahlte sie ihn an.

War ja klar, dachte Zakos. Er fühlte sich erschöpft. Dabei hatte die Taufe noch gar nicht begonnen.

Sarah hatte ihm Thilo knappe sechs Monate nach der Trennung präsentiert; kurz darauf war er bereits bei ihr und Elias eingezogen. Zakos war überzeugt, dass sie es damit nur so eilig gehabt hatte, um ihm zu demonstrieren, wie gleichgültig ihr die Trennung letztlich sei. Zakos war es nämlich gewesen, von dem die Initiative dazu ausgegangen war. Wenn sie aufeinandertrafen – etwa, wenn er Elias abholte oder zu ihr zurückbrachte –, betonte sie mit schöner Regelmäßigkeit, wie ausgezeichnet es ihr jetzt ging und wie fabelhaft ihr Neuer war.

»Thilo ist befördert worden, er ist jetzt Juniorchef in seinem Architekturbüro!« Oder: »Thilo läuft am Wochenende Marathon.« Thilo, Thilo, Thilo. Sollte sie ihn doch bloß in Ruhe lassen und sich freuen, dass ihr neuer Freund erfolgreicher, wohlhabender, attraktiver, sogar schlanker war als er.

Letzteres ärgerte ihn mehr, als er zugeben wollte. Seit Zakos das Rauchen aufgegeben hatte, hatte er ein paar Kilo zugelegt, die einfach nicht verschwinden wollten, während Thilo rank und schlank neben Sarah in einem derart fabelhaft sitzenden, schmalen dunkelblauen Anzug in der Kirche stand, dass jeder andere daneben provinziell wirkte – nicht nur Mimis in seiner Mafioso-Kluft. Thilo schien trotz der Hitze im Gotteshaus nicht mal zu schwitzen, sondern verströmte einen penetrant frischen Duft nach Herrenparfum. Damit sprühte er sich so großzügig ein, dass alles danach roch: Sarahs Wohnung, die früher auch die von Zakos gewesen war, die Tasche mit der Wechselwäsche für den Kleinen, die Sarah an den Besuchswochenenden immer in Zakos’ Flur abstellte, sogar Elias’ Haar. Und nun stand Thilo neben Sarah in der Kirche, obwohl Zakos eigentlich fand, sein Platz wäre auf der Kirchenbank, nicht am Taufbecken. Aber Sarah hatte auf seiner Anwesenheit bestanden, und Zakos hatte sich, um des lieben Friedens willen, schon lange abgewöhnt, ihr zu widersprechen, darum mischten sich nun in der Kirche Parfumschwaden in den Weihrauchdunst. Es war kaum auszuhalten.

Einen Moment lang erwägte Zakos, seinen Sohn Sarah oder Mimis in die Arme zu drücken und einfach hinauszulaufen, an die frische Luft. Doch da schwollen die Gesänge des Popen an, und der Messner hob den schweren Holzdeckel vom kupfernen Taufbecken. Es ging los.

»Und nun bitte ich die Eltern ans Taufbecken!«, sagte Vater Loukas, und Sarah sowie Zakos mit dem schlafenden Elias traten heran.

»Die Eltern bitte!«, sagte Loukas, nun schon fordernder, und machte eine kleine, ungeduldige Armbewegung.

Zakos verstand nicht. Was wollte der Priester? Doch da wandte Loukas sich bereits an ihn.

»Schon gut, Sie können den Jungen nun seinem Vater übergeben«, raunte er, nun bereits ungeduldiger. »Die Taufpaten sind später erst wieder dran.«

»Aber – ich gehöre doch zu den Eltern!«, sagte Zakos. Er hörte, wie ein paar Leute in den vorderen Kirchenreihen, die die Verwirrung mitbekommen hatten, Lacher ausstießen.

»Ich bin der Vater!«, stellte er noch mal klar.

Der Pope blickte zwischen Thilo und ihm hin und her, dann fuhr er einfach mit der Zeremonie fort. Offensichtlich durchblickte er nicht recht, wer in dieser Familie zu wem gehörte, und Zakos konnte das gut nachvollziehen.

»Anita! Ähntlich!«, rief Konstantinos beim Anblick seiner Exfrau aus, die im Gartenbereich von Mimis’ Taverne Pirgos auf sie wartete, und ging mit ausgebreiteten Armen auf sie zu. »Noch sssöner als frühär!«

»Kostaki!«, erwiderte sie und erhob sich so schwungvoll, dass ihre zahlreichen Ketten ins Klimpern gerieten. »Ich freue mich wirklich, dich zu sehen!«

Sie fielen sich um den Hals, und John, Anitas derzeitiger Lebensgefährte, griff feixend nach ihren beiden Weißweingläsern auf dem Tisch, damit diese nicht von Anitas herumwirbelndem Schal oder ihren weiten Ärmeln weggefegt wurden, und zwinkerte Zakos zu.

Für Zakos war das alles ein bisschen sonderbar. Auf der einen Seite war er gerührt, seine Eltern nach so langer Zeit miteinander zu sehen. Aber es war auch merkwürdig, wie eine Reise in die Kindheit: Das letzte Mal, als er sie zusammen erlebt hatte, war er jünger gewesen als Philippos jetzt. Allerdings waren sie damals nicht so freundlich zueinander gewesen, sondern hatten sich die allermeiste Zeit gegenseitig beschimpft.

Für Philippos allerdings schien alles ebenso merkwürdig zu sein, und er wandte sich mit einem Grinsen an Nick. »Kostaki? So hat ihn noch niemand genannt«, sagte er, und auch Vasso blickte verständnislos.

»Doch, früher viele. Zum Beispiel seine Mutter, eure Yiayia.« Die beiden kicherten ungläubig, und Zakos wurde klar, dass seine jüngeren Geschwister die Großeltern gar nicht mehr bewusst erlebt hatten.

»Ihr wart gar nicht in der Kirche. Sehr enttäuschend, wirklich«, erklang nun eine unzufrieden klingende Stimme. Natürlich Sarah, händchenhaltend mit Thilo. Elias wurde währenddessen von Susanne getragen, Sarahs Mutter, einer zurückhaltenden Frau im Leinenkleid, die immer so wirkte, als würde ihre so bestimmt auftretende Tochter sie ein wenig einschüchtern.

»Ach, wir waren einfach ein wenig spät dran, da hätten wir doch nur die Zeremonie gestört«, erwiderte Anita leichthin. »Und daher sind wir hierhergefahren und haben es uns schon mal gemütlich gemacht.« Auf dem Tisch, an dem sie sich niedergelassen hatten, lagen Tageszeitungen, ein aufgeschlagenes Buch, außerdem Anitas buntbestickte hellbraune Ledertasche und ein Korb mit Sandspielzeug für Elias. Die Tischdeko – weiße Blüten mit blauen Bändern – wurde davon fast vollständig verdeckt.

»Man sieht’s«, sagte Sarah düster mit Blick auf den vollgestellten Tisch, doch Anita ignorierte sie. Stattdessen zog sie eine ulkige Grimasse in Elias’ Richtung. Der lachte hell auf und streckte ihr die Ärmchen entgegen, worauf sie ihn der anderen Oma abnahm und ihn sich auf die Hüfte setzte.

»Was hältst du davon, wenn wir zwei uns nun mit unserem ersten Enkelkind eine Weile auf den Spielplatz zurückziehen?«, wandte sie sich an Konstantinos, und dann gingen sie in den hinteren Teil des Hofs, wo es eine Sandkiste gab – begleitet von Susannes enttäuschtem Blick. Wenn Anita aufkreuzte, hatte Elias nur Augen für sie.

Das Lokal füllte sich schnell. Konstantinos hatte Bekannte aus seiner Zeit in München eingeladen, außerdem waren da noch Freunde und Verwandte von Sarah und Zakos. Der hatte nun alle Hände voll damit zu tun, Gäste zu begrüßen, Wasser und zusätzliche Gläser zu ordern sowie Prosecco und Weißwein nachzubestellen. Währenddessen breitete sich vom Grill ein würziger Duft aus: das Lamm war so weit. Mimis, der das Streifenjackett abgelegt hatte und durch die Gänge wirbelte, machte Zakos ein Zeichen: Es wurde allmählich Zeit zu servieren. Doch hinten beim Spielplatz steckten Konstantinos und Anita immer noch die Köpfe zusammen – seiner grau meliert, ihrer grellrot gefärbt.

John war währenddessen zu Weißbier übergegangen, gemeinsam mit Philippos – sie prosteten sich gegenseitig zu. John war ein etwas vierschrötiger Australier, der am laufenden Band Witze erzählen konnte und Unmengen vertrug. Philippos hatte bereits rote Wangen – sicher nicht nur von der Sonne, auch wenn die heute ziemlich herunterstach. Zakos fragte sich, ob der Lebensgefährte seiner Mutter sich klar war über das Alter des Jungen, und blickte sich hilfesuchend nach Vasso um. Aber die stand mit Sarah und ihren Freundinnen an der improvisierten Proseccobar und prostete ihnen zu. Egal, immerhin schienen sich alle zu amüsieren, dachte Zakos. Außer ihm jedenfalls – sein Magen war immer noch flau. Und außer Vater Loukas, der einsam in einer Tasse Tee rührte.

Gerade wollte Zakos zu ihm hingehen, als sich eine Hand von hinten auf seine Schulter legte. Wer das war, hätte er auch mit geschlossenen Augen erraten können: der Herrenduft.

»Hast du eine Minute für mich?«, fragte Thilo.

Zakos nickte.

»Und zwar wollte ich mal eine Sache ansprechen – es kann einfach nicht sein, dass du Sarah permanent die ganze Last der Kindererziehung aufbürdest.«

Aufbürden! Schon Thilos Ausdrucksweise ging Zakos auf die Nerven.

»Thilo, bitte – ein andermal, ja?«, erwiderte Zakos mit mühsam beherrschter Stimme.

»Nein, gerade heute!«, parierte Thilo. »Denn ich hoffe, wenigstens am Tauftag deines Sohnes an dein Gewissen appellieren zu können. Meiner Meinung nach kümmerst du dich viel zu wenig um ihn, und dabei beanspruchst du Sarahs Kraft über die Maßen – die Frau kommt ja bereits auf dem Zahnfleisch daher!«

Wie auf Kommando hörte man sie laut in ihrer Frauenrunde auflachen – sie wirkte alles andere als erschöpft. Aber natürlich gab es einen wahren Kern, das war Zakos schon klar. Sarah war als Zahnärztin in einer Gemeinschaftspraxis ihr eigener Herr und hatte ihre Arbeitszeit heruntergefahren. Sie kümmerte sich viel mehr um Elias als er. Er dagegen schaffte es einfach nicht, weniger zu arbeiten, und hatte deswegen häufig Gewissensbisse. Doch Thilo war der Letzte, dem er Rechenschaft schuldig war, fand Zakos.

Gerade wollte er sich wegdrehen, da berührte Thilo erneut Zakos’ Schulter.

»Ich würde mir von dir wünschen, dass sich das in Zukunft ändert!«

Nun legte er auch die zweite Hand auf. Es war fast wie eine Umarmung. Der Parfumdunst wurde unerträglich. Zakos rang nach Luft und sah sich nach einem Glas Wasser um, das er herunterstürzen konnte. Doch da war kein Wasser. Da war nur Thilo, der den Druck auf seine Schultern nun verstärkte.

»Wir verstehen uns, oder?«, sagte er. Sein Ton hatte etwas von einer Drohung. Das war zu viel für Zakos.

Angeekelt nahm er Thilos Hände von seinen Schultern und brachte ihn mit einer harten Geraden zu Fall, so dass er den langen Tisch mitriss und alle Gläser und Teller darauf zu Bruch gingen – allerdings nur in seiner Fantasie. In der Realität zwang er sich lediglich zu einem verkrampften Lächeln, dann war er auch schon bei dem Popen und erkundigte sich, ob dieser irgendwelche Wünsche hatte. Fast gleichzeitig kehrten seine Eltern mit Elias an den Tisch zurück.

»Habt ihr in alten Erinnerungen geschwelgt?«, fragte Zakos sie, nachdem er Loukas ein Mineralwasser eingeschenkt und ein paar Worte mit ihm gewechselt hatte.

»Ja, es war sehr nett. Wir waren wie früher über alles verschiedener Meinung«, lächelte Anita.

»Nun ja, nichts ist sswerer zu ertragen als eine Raihe von ssönen Tagen!«, sinnierte ihr Exmann. Schon wieder so ein altbackener Spruch. Aber Anita schien ganz gerührt.

»Das habe ich ja ewig nicht mehr gehört – das hat mein Vater früher immer an Weihnachten gesagt!«

»Chubert! Ich chabe ihn sehr gemocht, wie du waist.« Die beiden lächelten sich an, und es herrschte ein Moment wunderbarster Harmonie.

Harmonie war allerdings ein Zustand, der in Anitas Anwesenheit nie allzu lange anhielt. Diesmal endete er, als sie den Blick über den Tisch schweifen ließ und schließlich des Popen gewahr wurde. »Apropos verschiedener Meinung – eines kann ich beim besten Willen nicht verstehen, und zwar, warum du auf einer Taufe für Elias bestanden hast«, sagte Anita. »Du warst doch noch nie kirchentreu. Und ich bin schon vor vierzig Jahren aus der Kirche ausgetreten!«

Plötzlich sprach sie lauter als zuvor – ganz sicher, damit der Priester ihre Meinung über die Kirche auch mitbekam, da war sich Zakos sicher. So gut kannte er seine Mutter.

»Aber Nick ist doch auch getauft«, mischte sich Sarah ein, die sich nun mit Vasso ebenfalls am Tisch niederließ. Mimis und seine Kellner hatten begonnen, das Essen aufzutragen.

»Aber auch nur, weil das Kostakis’ Eltern damals so wichtig war«, sagte Anita. »Und wir haben die Sache zum Anlass für eine rauschende Party genommen. Es gab ein ganzes Blech Haschkekse, erinnerst du dich?«

»Nur verssswommen!« Konstantinos lachte, allerdings ein wenig verhalten und nicht ohne vorsichtigen Seitenblick in Richtung Vasso. Aber die war mit Elias beschäftigt, der nach der Episode in der Buddelecke nicht mehr sehr feierlich wirkte: Das weiße Outfit war zerknittert und trug grüne Rasenflecken. Vasso nahm das Kind auf den Schoß und wischte mit einer Stoffserviette, die sie in Mineralwasser getaucht hatte, unglücklich an den derangierten Rüschen herum.

»Aber damals wie heute ist der ganze Kirchenkram doch eine große Heuchelei – das ist jedenfalls meine Meinung!«, posaunte Anita.

Diesmal war sie beim besten Willen nicht zu ignorieren. Vater Loukas schenkte ihr auch tatsächlich einen betrübten Blick. Doch in dem Moment, in dem er zu einer Replik ansetzte, stellte Mimis einen dampfenden Essensteller vor ihn hin, und er besann sich und konzentrierte sich auf sein Lamm. Anita lächelte huldvoll wie eine Königin, als habe sie einen Sieg zu verbuchen.

»Für mich und John aber bitte die fleischlose Variante!«, wandte sie sich schließlich an den servierenden Taufpaten. »Du weißt doch, wir leben vegan!«

»Klar, extra für euch habe ich auch ein veganes Lämmchen zubereitet – das hat sein Leben lang nur Grünzeug bekommen!«, sagte Mimis und wollte sich über seinen eigenen Witz fast ausschütten. »Nein, nein, keine Sorge, für euch gibt es Imam Baildi.«

Nun ergriff Vater Loukas doch noch das Wort und sprach Anita an.

»Sie lehnen die orthodoxe Kirche ab, aber Sie fasten – das ist absurd!«, dozierte er mit erhobener Gabel. Er sprach akzentfreies Deutsch und besaß einen tiefen, sehr bestimmten Bass – man konnte hören, dass er keinerlei Widerworte gewohnt war. »Veganismus ist nur eine Ersatzreligion, bei dem der eigene Körper die Rolle des göttlichen Moments annimmt. Das sind meiner Auffassung nach lediglich Trends und Moden – das spirituelle Heilsversprechen wird nicht eingelöst.«

»Amen!«, sagte Anita, legte den Kopf zurück und brach in ein lang anhaltendes Lachen aus, so laut und schrill, dass sogar Philippos am anderen Ende des Tisches hochschreckte und Zakos sehen konnte, dass sein jüngerer Bruder glasige Augen hatte. John hatte ihn total abgefüllt.

Anita lachte, bis ihr Lachen bereits hohl und künstlich klang, und alle außer Vater Loukas, der sich wieder seinem Teller zugewandt hatte und stoisch seinen Braten verzehrte, blickten betreten. Zakos schaute unauffällig auf seine Armbanduhr. Für seinen Geschmack dauerten die Taufe und das ganz Drumherum schon viel zu lange, außerdem hasste er es, wenn seine Mutter penetrant nonkonformistisch auftreten musste – sie wollte grundsätzlich anecken, das war bei ihr eine Art innerer Zwang. Nur Konstantinos schien sich nicht zu ärgern, ganz im Gegenteil. Er grinste von einem Ohr zum anderen.

»Deine Mutter hat sich wirklich gar nicht verändert«, sagte er versonnen auf Griechisch zu Zakos. Es klang irgendwie anerkennend.

»So, und nun ist Zeit für eine kleine Rede«, sagte er schließlich, schlug mit einer Gabel gegen ein leeres Glas und stand auf, so dass alle Blicke sich ihm zuwandten.

»Ich möchte aine Ansprache chalten«, sagte er. »Aber lasst oich nicht beim Ässen ssstöhren. Es wird kaine deutze Räde, wo alle die Ohren runden müssen, sondern aine griechissse Räde. Bei ainer griechissen Räde dürfen die Zuchörer essen, tälefonieren, ihre Freundin küssen – aaalles, was sie wollen.«

Die Gäste lachten, ein paar hoben die Gläser auf Konstantinos.

Da läutete sein Telefon, erkennbar daran, dass es – typisch griechisch, fand Zakos – besonders laut gestellt war.

»Ich kann natürlich nicht bei der Räde telefonieren, ich will ja räden«, sagte Konstantinos schmunzelnd und wartete ab, bis es wieder ruhig war. Dann sprach er weiter.

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