Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit - Reinhard J. Wabnitz - E-Book

Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit E-Book

Reinhard J. Wabnitz

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Beschreibung

Dieses Lehrbuch ist der optimale Begleiter für den Einstieg in das „Recht für die Soziale Arbeit“. Studierende der Sozialen Arbeit lernen in 14 Kapiteln das relevante Basiswissen zu den Themen Soziale Arbeit und Recht, u.a. Zivilrecht, Verfassungsrecht, Verwaltungsrecht, Sozialrecht, Strafrecht und Prozessrecht. So bereitet dieser Grundkurs auf die Prüfungen in den Einführungsveranstaltungen und auf die weiterführenden Vorlesungen, Übungen und Seminare, etwa zum Familienrecht, Kinder- und Jugendhilferecht, Existenzsicherungsrecht etc., vor. Mit zahlreichen Übersichten, Vertiefungen, praxisnahen „Fällen“ und Musterlösungen. Für die 6. Auflage wurde das Lehrbuch auf den aktuellen Stand gebracht.

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Seitenzahl: 296

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Prof. Dr. jur. Dr. phil. Reinhard Joachim Wabnitz, Assessor jur., Magister rer. publ., Ministerialdirektor a. D., Professor für Rechtswissenschaft, insbesondere Familien- und Kinder- und Jugendhilferecht am Fachbereich Sozialwesen, Hochschule RheinMain, Wiesbaden

Außerdem im Ernst Reinhardt Verlag erschienen:

Wabnitz, Grundkurs Familienrecht für die Soziale Arbeit, 5. Auflage 2019

(UTB-Bestellnummer 978-3-8252-5314-1)

Wabnitz, Grundkurs Kinder- und Jugendhilferecht für die Soziale Arbeit,

7. Auflage 2021 (UTB-Bestellnummer 978-3-8252-5782-8)

Wabnitz, Grundkurs Bildungsrecht für Pädagogik und Soziale Arbeit,

1. Auflage 2015 (UTB-Bestellnummer 978-3-8252-4350-0)

Sauer, Wabnitz, Fischer, Grundkurs Existenzsicherungsrecht für die Soziale Arbeit, 2. Auflage 2021 (UTB-Bestellnummer 978-3-8252-5739-2)

Fischer, Sauer, Wabnitz, Grundkurs Berufsrecht für die Soziale Arbeit,

1. Auflage 2019 (UTB-Bestellnummer 978-3-8252-5145-1)

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

UTB-Band-Nr.: 3368

UTB-ISBN 978-3-8252-5812-2

6., aktualisierte Auflage

© 2021 by Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, Verlag, München

Dieses Werk einschließlich seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne schriftliche Zustimmung der Ernst Reinhardt, GmbH & Co KG, München, unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen in andere Sprachen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Der Verlag Ernst Reinhardt GmbH & Co KG behält sich eine Nutzung seiner Inhalte für Text- und Data-Mining i.S.v. § 44b UrhG ausdrücklich vor.

Printed in EU

Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart

Satz. ew print & medien service gmbh, Würzburg

Ernst Reinhardt Verlag, Kemnatenstr. 46, D-80639 München

Net: www.reinhardt-verlag.de E-Mail: [email protected]

Inhalt

Abkürzungsverzeichnis

Vorwort

1Soziale Arbeit und Recht

1.1 Recht als Rahmenbedingung Sozialer Arbeit

1.1.1Soziale Wirklichkeit und Recht

1.1.2Soziale Arbeit und Recht

1.1.3Studium der Sozialen Arbeit und Recht

1.2 Recht, Rechtswissenschaft und „die Juristen“

1.2.1Sollensordnungen und Recht

1.2.2Wissenschaften und Recht

1.2.3Juristen und Recht

1.3 Ziele und Funktionen von Recht

1.3.1Interessenausgleich

1.3.2Freiheitssicherung

1.3.3Gewährleistung von Gleichheit

1.3.4Gewährleistung von Gerechtigkeit

1.3.5Gewährleistung von Rechtssicherheit

1.3.6Friedenssicherung

1.3.7Steuerung gesellschaftlicher Prozesse

1.3.8Erziehung

1.3.9Abschreckung

1.3.10Strafe

2Rechtsnormen

2.1 Charakteristika von Rechtsnormen

2.1.1Normierung menschlichen Verhaltens

2.1.2Rechtsetzung durch den Staat

2.1.3Rechtsetzung durch Mehrheitsentscheidungen

2.1.4Rechtsetzung durch formalisierte Verfahren

2.1.5Zunahme des Bestandes an Rechtsnormen

2.2 Objektive und subjektive Rechtsnormen

2.2.1Objektives und subjektives Recht

2.2.2Möglichkeiten der Einteilung von Rechtsnormen

2.3 Hierarchie, Zitierweise und Strukturen von Rechtsnormen

2.3.1Rechtsquellen

2.3.2Gliederung und Zitierweise von Rechtsnormen

2.3.3Strukturen von Rechtsnormen

2.4 Zivilrecht und Öffentliches Recht

3Methoden praktischer Rechtsanwendung

3.1 Rechtstechnik/Subsumtion

3.2 Gesetzesauslegung

3.2.1Grammatikalische Auslegung

3.2.2Systematische Auslegung

3.2.3Historische Auslegung

3.2.4Teleologische Auslegung

3.2.5Weitere Auslegungsmethoden und Argumentationsfiguren

3.3 Fallbearbeitung

3.3.1Arbeiten am Sachverhalt

3.3.2Auffinden einer Norm mit „gefragter“ Rechtsfolge

3.3.3Eventuell: Entwurf einer Lösungsskizze

3.3.4„Fünf goldene Schritte“ bei der Fallbearbeitung

4Allgemeine Zivilrechtsfragen

4.1 Personen

4.1.1Natürliche und juristische Personen

4.1.2Der eingetragene Verein (e. V.)

4.2 Rechtsfähigkeit und Handlungsfähigkeit

4.2.1Rechtsfähigkeit

4.2.2Handlungsfähigkeit

4.2.3Geschäftsfähigkeit

4.2.4Deliktsfähigkeit

4.2.5Altersstufen im Recht

4.3 Willenserklärungen und Verträge

4.3.1Willenserklärungen

4.3.2Verträge

4.4 Rechtsgeschäftliche und gesetzliche Vertretung

4.4.1Rechtsgeschäftliche Vertretung

4.4.2Gesetzliche Vertretung

5Einzelne zivilrechtliche Verträge

5.1 Kaufvertrag

5.2 Mietvertrag

5.3 Dienstvertrag, Arbeitsvertrag, Werkvertrag

5.3.1 Dienstvertrag

5.3.2 Arbeitsvertrag

5.3.3 Werkvertrag

5.4 Fälle

6Zivilrechtliche Haftungsfragen (Deliktsrecht)

6.1 Das System der unerlaubten Handlungen nach dem BGB

6.2 Deliktsfähigkeit

6.3 Der Grundtatbestand des § 823 Abs. 1 BGB

6.4 Haftung für das Handeln oder Unterlassen anderer

6.4.1Haftung für den Verrichtungsgehilfen

6.4.2Haftung des Aufsichtspflichtigen

6.4.3Haftung von Vereinen, Dienstleistungsunternehmen und sonstigen Gesellschaften

6.5 Rangverhältnis

6.6 Fälle

7Gerichtliche und außergerichtliche Rechtsverwirklichung

7.1 Gerichtsaufbau und richterliche Unabhängigkeit

7.1.1Gerichtsaufbau in Deutschland

7.1.2Gerichtliches Verfahrensrecht

7.2 Beratungshilfe und Streitschlichtung

7.2.1Beratungshilfe

7.2.2Streitschlichtung

7.3 Prozesskostenhilfe

8Verfassungsrecht

8.1 Grundgesetz und Landesverfassungen

8.2 Staatsprinzipien des Grundgesetzes

8.2.1Republikanisches Prinzip

8.2.2 Demokratieprinzip

8.2.3 Bundesstaatsprinzip

8.2.4Rechtsstaatsprinzip

8.2.5Sozialstaatsprinzip

8.3 Grundrechte

8.3.1Überblick

8.3.2Einzelne Grundrechte

8.3.3 Das Grundrechtssystem des Grundgesetzes

8.4 Fälle

9Öffentliche Verwaltung und Verwaltungsbehörden

9.1 Grundfragen der Verwaltungsorganisation

9.1.1 Öffentliche Verwaltung

9.1.2 Träger, Organe und Behörden

9.2 Bundes- und Landesverwaltung

9.3 Kommunalverwaltung

9.3.1Rechte und Aufgaben der Städte, Gemeinden und Landkreise als kommunale Gebietskörperschaften

9.3.2Aufbau und Organisation der Kommunalverwaltung

9.4 Sozialversicherung

10Überblick über das Sozialrecht und das Sozialgesetzbuch

10.1 Entwicklung und Prinzipien

10.1.1Gegenstand und Entwicklung des Sozialrechts in Deutschland

10.1.2Strukturprinzipien des Sozialrechts

10.2 Leistungsarten

10.3 Leistungsträger

10.4 Leistungserbringer

10.5 Sozialverwaltungsverfahren

10.5.1Zuständigkeiten

10.5.2Verfahrensvorschriften

10.5.3Sozialdatenschutz

11Grundformen des Verwaltungshandelns

11.1 Verwaltungsakt

11.1.1Begriff und Bestandteile des Verwaltungsaktes

11.1.2Inhalt, Form und Nebenbestimmungen des Verwaltungsaktes

11.1.3Bestandskraft und Aufhebung des Verwaltungsaktes

11.2 Öffentlich-rechtlicher Vertrag

11.3 Gebundene und Ermessensverwaltung

11.4 Fälle

12Rechtsschutz gegenüber Verwaltungshandeln

12.1 Rechtsschutz durch Verwaltung und Volksvertretung

12.2 Widerspruchsverfahren

12.3 Sozial- und verwaltungsgerichtliches Verfahren

12.4 Fälle

13Strafrecht

13.1 Strukturprinzipien und Rechtsquellen des Strafrechts

13.2 Materielles Strafrecht

13.3 Rechtsfolgen der Straftat

13.4 Fälle

14Strafverfahrensrecht, Jugendstrafrecht

14.1 Akteure und Verfahrensabschnitte

14.2 Soziale Arbeit und Strafverfahren

14.3 Jugendstrafrecht

14.4 Fälle

Anhang

Musterlösungen

Literatur

Sachregister

Soweit der Autor Aktualisierungen zu evtl. Gesetzesänderungen mitteilen sollte, wären diese zu finden auf der Homepage des Ernst Reinhardt Verlages und der UTB GmbH bei der Darstellung dieses Titels: www.reinhardt-verlag.de, www.utb.de

Abkürzungsverzeichnis

a. a. O.

am angegebenen Ort

AG

Amtsgericht

BAföG

Bundesausbildungsförderungsgesetz

BEEG

Bundes-Elterngeld- und Elternzeitgesetz

BerHG

Beratungshilfegesetz

BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs

BKGG

Bundeskindergeldgesetz

BTHG

Bundesteilhabegesetz

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

EGBGB

Einführungsgesetz zum BGB

EStG

Einkommensteuergesetz

FamFG

Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit

GG

Grundgesetz

Gbl.

Gesetzblatt (der ehemaligen DDR)

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

ISS

Institut für Sozialarbeit und Sozialpädagogik

i. V. m.

in Verbindung mit

JGG

Jugendgerichtsgesetz

JZ

Juristenzeitung

LG

Landgericht

NJW

Neue juristische Wochenschrift

OLG

Oberlandesgericht

OWiG

Gesetz über Ordnungswidrigkeiten

PKH

Prozesskostenhilfe

RDLG

Rechtsdienstleistungsgesetz

RG

Reichsgericht

RGBl.

Reichsgesetzblatt

RGSt

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

RKEG

Gesetz über die religiöse Kindererziehung

Rz

Randziffer(n)

SGB

Sozialgesetzbuch

SGB I

Erstes Buch Sozialgesetzbuch (Allg. Teil)

SGB II

Zweites Buch Sozialgesetzbuch (Grundsicherung für Arbeitsuchende)

SGB III

Drittes Buch SGB (Arbeitsförderung)

SGB VIII

Achtes Buch SGB (Kinder- und Jugendhilfe)

SGB IX

Neuntes Buch SGB (Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen)

SGB X

Zehntes Buch SGB (Verwaltungsverfahren)

SGB XII

Zwölftes Buch SGB (Sozialhilfe)

SGG

Sozialgerichtsgesetz

StGB

Strafgesetzbuch

StPO

Strafprozessordnung

UN

Vereinte Nationen

VA

Verwaltungsakt

vgl.

vergleiche

WE

Willenserklärung

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

ZPO

Zivilprozessordnung

Vorwort

Lehrveranstaltungen zum Thema Recht sind fester Bestandteil der Ausbildung an den Fachbereichen für Sozialarbeit, Sozialpädagogik bzw. Sozialwesen an Hochschulen in Deutschland. Zumeist ist dort bereits zu Beginn des Studiums eine allgemeine Einführungsveranstaltung zum Recht für die Soziale Arbeit zu besuchen und mit einer Prüfung abzuschließen. Darauf will der „Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit“ vorbereiten. Dieser soll zugleich Neugierde wecken und Freude beim „ersten Einstieg“ in das Recht vermitteln. Das vorliegende Buch, aus Lehrveranstaltungen an der Hochschule RheinMain in Wiesbaden hervorgegangen, stellt in 14 Kapiteln relevantes Basiswissen in einer auf die Zielgruppe zugeschnittenen Art und Weise dar. Im Mittelpunkt der Darstellung stehen Übersichten über das „Wichtigste“ für die Abschlussprüfung, ergänzt um Erläuterungen und Fallbeispiele sowie um (häufig „nicht prüfungsrelevante“) „Vertiefungen“.

Dieses Buch vermittelt die Grundlagen für das Verständnis der im Studium zumeist folgenden Lehrveranstaltungen etwa zum Familienrecht, Kinder- und Jugendhilferecht, Strafrecht, Recht der Existenzsicherungsleistungen sowie zum übrigen Sozialrecht.

Mit dem Ziel, den Text gut lesbar zu gestalten, sind in geeigneter Weise weibliche und/oder männliche Formen der Geschlechteranrede gewählt worden.

Erfreulicherweise ist nach Erscheinen der Erstauflage 2010 bereits eine 6. Auflage dieses Buches erforderlich geworden. Dafür wurde das Werk umfassend aktualisiert.

Hingewiesen wird auch auf die weiterführenden Publikationen des Autors: „Grundkurs Familienrecht für die Soziale Arbeit“, „Grundkurs Kinder- und Jugendhilferecht für die Soziale Arbeit“, „Grundkurs Bildungsrecht für Pädagogik und Soziale Arbeit“, sowie „Grundkurs Berufsrecht für die soziale Arbeit“, die ebenfalls im Ernst Reinhardt Verlag erschienen sind.

Wiesbaden, Sommer 2021     Reinhard Joachim Wabnitz

1Soziale Arbeit und Recht

1.1 Recht als Rahmenbedingung Sozialer Arbeit

1.1.1 Soziale Wirklichkeit und Recht

Was hat Recht mit der sozialen Wirklichkeit und mit der Gesellschaft zu tun, in der wir leben? Vielleicht wird dies deutlich, wenn man einen kurzen Blick in eine x-beliebige Tageszeitung und auf die dort besonders ins Auge springenden Schlagzeilen wirft. Dies könnten z. B. die Folgenden sein, bei denen sofort deutlich wird, dass Politik, Wirtschaft, lokale Nachrichten, ja sogar Sport und Feuilleton sehr häufig zumindest auch eine rechtliche Dimension haben:

• „Neue Gesetze zum Klimaschutz“

• „Bundestag beschließt Kindergelderhöhung.“

• „Wirtschaft fordert verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für Investitionen im Umweltschutz.“

• „Keine Tarifeinigung in Sicht. Droht jetzt ein neuer Arbeitskampf bei der Deutschen Bahn?“

• „Kein neues Einkaufzentrum auf der grünen Wiese“

• „Doping im Radsport und kein Ende.“

Wie man unschwer erkennt, gibt es in all diesen Fällen vielfältige rechtliche Regelungen zu beachten: des Gesundheits-, des Wirtschafts-, des Familien-, des Arbeits-, des Umwelt- und sogar des Sportrechts! Schon diese wenigen Beispiele zeigen, dass ganz offensichtlich große Bereiche von Politik, Wirtschaft, Umwelt, Freizeit und Sport in einem Maße von rechtlichen Regelungen durchdrungen sind, wie man sich dies als „Normalbürger“ mitunter gar nicht vorstellt.

1.1.2 Soziale Arbeit und Recht

Und wie sieht dies in der Sozialen Arbeit aus? Dazu zwei praktische Beispiele.

Beispiel 1:

Frau Anna A. ist 34 Jahre alt und hat zwei Kinder im Alter von fünf und acht Jahren. Frau A. ist von ihrem Ehemann verlassen worden. Von Beruf ist sie Sekretärin, hat jedoch seit der Geburt des ersten Kindes nicht mehr gearbeitet. Sie hat zudem ein chronisches Rückenleiden und wäre kaum dazu in der Lage, in ihren alten Beruf zurückzukehren, in dem sich mit dem Einsatz moderner Informations- und Computertechnologien zudem sehr viel verändert hat. Frau A. erhält von ihrem Ehemann keine finanzielle Unterstützung mehr und ist auch sonst mittellos. Sie befindet sich zudem in einer psychischen Krisensituation und wendet sich in ihrer Verzweiflung an Sie als der zuständigen Sozialarbeiterin bzw. dem zuständigen Sozialarbeiter im Amt X der Stadt Y.

Sofort haben Sie sicherlich eine Menge Ideen, wie Frau A. in persönlicher Hinsicht geholfen werden könnte, insbesondere durch Sozialberatung und durch Vermittlung psychotherapeutischer und gesundheitlicher Hilfen. Aber würde dies ausreichen? Nein, denn in diesem Fall und vielfach auch sonst in der Sozialen Arbeit erfordert professionelle Hilfe nicht nur Sozialberatung, sondern auch Rechtsberatung, ggf. auch Rechtsvertretung.

Deshalb müssen Sie sich als Sozialarbeiter/in, wenn Sie hier wirksam helfen wollen, auch im Familienrecht auskennen, insbesondere im Unterhaltsrecht des BGB. Notwendig wäre hier auch die Kenntnis des Unterhaltsvorschussgesetzes. Mit Blick auf Berufsberatung und Umschulung durch die Agentur für Arbeit ist die Kenntnis der Regelungen des SGB III (Arbeitsförderung) erforderlich, ergänzend möglicherweise auch der Hilfen nach dem SGB VIII (Kinder- und Jugendhilfe) und dem SGB II und SGB XII (Grundsicherung für Arbeitsuchende sowie Sozialhilfe). Im SGB V ist geregelt, welche gesundheitlichen Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung hier in Betracht zu ziehen sind. Damit wird deutlich, dass Sie als Sozialarbeiterin oder als Sozialarbeiter auch die einschlägigen rechtlichen Ressourcen kennen und ausschöpfen müssen, wenn Sie Frau A. wirkungsvoll helfen wollen.

Beispiel 2:

Der drogenabhängige Karl D. kommt in die Drogenberatungsstelle des Evangelischen Dekanats in der Stadt X. D. offenbart Ihnen als dem/der dort tätigen Sozialarbeiter/in Privatgeheimnisse und im weiteren Verlauf des Gespräches sogar die Begehung einer Straftat. Wie verhalten Sie sich nun gegenüber Ihren Kollegen/innen und Vorgesetzten? Wie gegenüber der Polizei? Dürfen oder gar müssen Sie schweigen? Wie sieht es mit dem Datenschutz und ggf. Ihrem Recht auf Zeugnisverweigerung aus, falls es zu einem Prozess kommt? Auch hier ist offensichtlich, dass die Kenntnis des einschlägigen Berufsrechts gleichsam die Grundlage Ihrer Tätigkeit als Sozialarbeiter/in darstellt. Auch hier gehört die Kenntnis des Rechts zum Handwerkszeug für eine(n) Sozialarbeiter/in schlechthin.

1.1.3 Studium der Sozialen Arbeit und Recht

Mit diesen beiden Beispielen ist auch deutlich geworden, wie intensiv in der Sozialen Arbeit die Probleme ihrer Klientinnen und Klienten mit den einschlägigen Rechtsvorschriften „verwoben“ sind. Deshalb gehört es unverzichtbar zum Kanon der Lehrveranstaltungen an den Fachbereichen für Soziale Arbeit, dass dort zumindest Grundkenntnisse im Familienrecht, Kinder- und Jugendhilferecht, im Sozialhilferecht, im Recht der Existenzsicherungsleistungen, ggf. im Strafrecht, Ausländer-/Aufenthaltsrecht, Arbeitsrecht und im Berufsrecht vorgesehen sind (aus kritischer Sicht vgl. auch Hinrichs/Öndül 2016).

Um in diese sehr speziellen Rechtsgebiete mit Aussicht auf Erfolg „einsteigen“ zu können, ist es erforderlich, zunächst allgemeine Basiskenntnisse über die Strukturen von Rechtsnormen, über Rechtsquellen, über die Rechtsanwendung sowie über die wichtigsten Grundbegriffe des Zivilrechts und des öffentlichen Rechts zu erwerben. Dazu dienen die üblicherweise angebotenen Lehrveranstaltungen „Einführung in die rechtlichen Grundlagen der Sozialen Arbeit“ und das vorliegende Buch will eine Hilfe für den Einstieg geben.

„Künftige Sozialarbeiter/innen/ bzw. Sozialpädagogen/innen haben nicht der Rechtsfächer wegen ihr Studium der Sozialen Arbeit begonnen. Würde man sie fragen, mit welchen herkömmlichen Disziplinen sie am ehesten ihr Studium in Verbindung bringen, würden sie vermutlich antworten: mit „Psychologie“, „Pädagogik“, „Methoden der Sozialen Arbeit“, aber wohl eher ausnahmsweise mit „Recht“, das zudem vielfach als formal, unverständlich und scheinbar gegenwartsfern empfunden wird“ (Gastiger 2010, 2).

Recht ist zudem vielfach „gefürchtet“, weil man dort zumeist viel lernen und Klausuren schreiben muss. In der Tat ist es richtig, dass man für die Rechtsfächer Einiges an Zeit aufwenden muss. Die Erfahrung zeigt jedoch, dass spätestens dann, wenn Studierende sich im praktischen Studiensemester/Berufspraktikum befinden, und allerspätestens dann, wenn sie später als Sozialarbeiter/in in der beruflichen Praxis stehen, klar geworden ist, wie wichtig, gesellschaftsrelevant und dynamisch Recht ist – und wie spannend Recht sein kann.

1.2 Recht, Rechtswissenschaft und „die Juristen“

1.2.1 Sollensordnungen und Recht

Recht stellt eine bestimmte „Sollensordnung“ mit Geboten und Verboten sowie mit „Spielregeln“ für das menschliche Zusammenleben dar. Daneben gibt es aber auch Regeln, die nicht rechtlicher Natur sind, sondern ethischer oder moralischer Art.

Ethik und Moral sind Sollensordnungen für das Zusammenleben von Menschen aufgrund von philosophischen oder theologischen Grundpositionen. Nach den zehn Geboten soll man u. a. nicht stehlen und nicht töten, soll man seine Eltern achten, nicht lügen und den Feiertag heiligen. Daneben gibt es Sollensordnungen, die gebieten, an bestimmten Orten eine bestimmte Kleidung zu tragen, in bestimmter Weise seine Mitmenschen zu begrüßen, bis hin zu Tischordnungen oder sonstigen Umgangsformen im Alltag.

Nur ein Teil dieser Gebote und Verbote ist auch rechtlich geregelt. Dies gilt für einen Teil der biblischen Gebote (Verbote zu töten, zu stehlen), aber nicht für alle (z. B. nicht: Seine Eltern zu ehren). Teil der Rechtsordnung sind also nur diejenigen Normen und Gebote, die (in einer formal ordnungsgemäß zustande gekommenen) Rechtsnorm niedergelegt sind. Man kann deshalb die Rechtsordnung auch als das „ethische Minimum“ einer Gesellschaft bezeichnen. Im Folgenden werden wir uns im Wesentlichen nur noch mit Rechtsnormen befassen, und zwar mit solchen, die „der Staat“ gesetzt hat. (Daneben gibt es auch Rechtsnormen der Kirchen und Religionsgemeinschaften, etwa der evangelischen und katholischen Kirche, auf die im Folgenden ebenfalls nicht eingegangen wird.)

1.2.2 Wissenschaften und Recht

Die Wissenschaft, die sich systematisch mit der Entstehung, Formulierung, Interpretation und Fortentwicklung von Rechtsnormen befasst, ist die Rechtswissenschaft. Die Rechtswissenschaft ist einerseits „exegetische“ Geisteswissenschaft, indem sie sich ähnlich wie die Theologie mit der Schaffung und Interpretation von (Gesetzes-, Verordnungs- oder Vertrags-)Texten befasst. Die Rechtswissenschaft ist wegen ihrer engen Bezüge etwa zur Soziologie, Politologie oder den Wirtschaftswissenschaften aber auch als Sozialwissenschaft zu verstehen. In Randbereichen (der Kriminalwissenschaften) hat sie auch Bezüge zu den Naturwissenschaften (etwa bei der Auswertung von Spuren oder der Untersuchung von Körperteilen mit den Methoden der Kriminaltechnik). Obwohl hier manches umstritten ist, kann man sich m. E. bezüglich des Verhältnisses von Rechtswissenschaft und Nachbarwissenschaften auf diese Gliederung der Wissenschaften verständigen (siehe Übersicht 2).

Übersicht 2

Beispielhafte Gliederung der Wissenschaften

1. Geisteswissenschaften

1.1Geschichte

1.2Philosophie

1.3Theologie

1.4Literaturwissenschaft

1.5Sozialwissenschaft

1.5.1 Politikwissenschaft

1.5.2 Soziologie

1.5.3 Psychologie

1.5.4 Wirtschaftswissenschaften

1.5.5 Sozialarbeitswissenschaft

1.5.6 Rechtswissenschaft

2. Naturwissenschaften

2.1 Mathematik

2.2 „reine“ Naturwissenschaften: Physik, Chemie, Biologie

2.3 „angewandte“ Naturwissenschaften, z. B. Ingenieurwissenschaften

2.4 Kriminalwissenschaft

1.2.3 Juristen und Recht

Anekdotische Vertiefung: Recht und Rechtswissenschaft werden maßgeblich geprägt durch „die Juristen“. Wie viele andere Berufsgruppen auch sehen sich Juristen vielfältigen Zuschreibungen, Zuspitzungen und Vorurteilen ausgesetzt: „Juristen sind elitär und arrogant“, zudem „weltfremd und allein auf das Recht fixiert“, wie folgende bekannte kleine Geschichte illustrieren mag.

An einem schönen Frühlingstag, an dem die Sonne scheint, die Blumen blühen und die Vögel zwitschern, stehen nebeneinander in einer großen Parkanlage: ein Maler, ein Schriftsteller, ein Komponist – und ein Jurist. Der Maler sagt: „Wie schön! Ich male ein Bild mit vielen bunten Blumen.“ Und der Schriftsteller sagt: „Ich schreibe ein Gedicht, am besten ein Liebesgedicht mit vielen Strophen.“ Und der Komponist sagt: „Ich schreibe dazu eine wunderbare Melodie.“ Und alle drei vertiefen sich in ihre Phantasien und denken daran, vielleicht miteinander ein „Gesamtkunstwerk“ zu schaffen. Nur einer der vier steht unbeteiligt am Rande daneben und zeigt nur auf das Schild am Rande der Wiese, auf dem „Betreten verboten“ steht.

Solche Karikaturen gibt es natürlich auch für andere Berufsgruppen. Kennen Sie schon die folgende Geschichte? Ein Sozialarbeiter geht durch die Stadt und wird von einem ortsfremden Passanten angesprochen. Dieser fragt: „Wo bitte geht es zum Bahnhof?“ Darauf antwortet der Sozialarbeiter: „Das weiß ich nicht. Aber ich finde es ganz toll, dass Sie mit mir darüber reden wollen!“

Wenden wir uns noch einmal „den Juristen“ zu. Besonders wichtig erscheint – und dies gilt dann auch für Sozialarbeiter/innen als künftige „Rechtsanwender/innen“, dass man Recht nicht als Selbstzweck versteht, sondern als Bestandteil sozialer und gesellschaftlicher Prozesse und Veränderungen begreift. Recht ist nicht von der sozialen Wirklichkeit zu trennen, sondern ist vielmehr Bestandteil derselben. Für die Soziale Arbeit bedeutet dies: Rechtswissen und soziales Handlungswissen immer in Wechselwirkung voneinander zu verstehen und im Interesse der Klientinnen und Klienten erfolgreich zu kombinieren!

1.3 Ziele und Funktionen von Recht

Recht verfolgt sehr unterschiedliche Ziele und hat verschiedene Funktionen. Die Übersicht 3 vermittelt einen Überblick über wesentliche Ziele und Funktionen von Recht, ohne dass damit eine prioritäre Reihenfolge verbunden wäre und ohne dass alle Ziele gleichzeitig erreicht werden könnten, weil diese mitunter in einem Spannungsverhältnis oder gar in Widerspruch zueinander stehen. Eine wesentliche Aufgabe von Recht besteht deshalb auch darin, einen Ausgleich zwischen ggf. nicht in Einklang zu bringenden Zielen und Funktionen von Recht zu schaffen!

Übersicht 3

Ziele und Funktionen von Recht

1. Interessenausgleich

2. Freiheitssicherung

3. Gewährleistung von Gleichheit

4. Gewährleistung von Gerechtigkeit

5. Gewährleistung von Rechtssicherheit

6. Friedenssicherung

7. Steuerung gesellschaftlicher Prozesse

8. Erziehung

9. Abschreckung

10. Strafe

Vertiefung (1.3.1 bis 1.3.10):

1.3.1 Interessenausgleich

Eine ganz wesentliche Funktion von Recht ist der Ausgleich von unterschiedlichen, oft widerstreitenden Interessen verschiedener Menschen, gesellschaftlicher Gruppen, Institutionen etc. Beispiele für solche Interessengegensätze, die das Recht auszugleichen versucht, gibt es in großer Zahl.

Beispiel:

Mieter und Vermieter sind zwar Vertragsparteien, wenn sie einen Mietvertrag abgeschlossen haben; trotzdem können Ihre Interessen widerstreitend sein, z. B. mit Blick auf die Dauer des Mietverhältnisses, die Miethöhe, die Möglichkeit einer Kündigung etc. Mit Hilfe der §§ 535 ff. BGB wird deshalb versucht, einen Interessenausgleich zu erreichen, und werden Regelungen für Konfliktfälle getroffen.

Interessengegensätze bestehen typischerweise auch zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern, z. B. mit Blick auf Gehaltsstrukturen, Arbeitszeit, Urlaub, Kündigung von Arbeitsverhältnissen etc. Die hier bestehenden Interessenunterschiede werden zumeist dadurch ausgeglichen, dass sich beide Seiten auf Tarifverträge verständigen, für die das Tarifvertragsgesetz wiederum einen breiten, aber verbindlichen Rahmen darstellt.

Erhebliche Interessengegensätze etwa zwischen Fragen von Ökonomie und Ökologie stellen sich bei jedem industriellen Großprojekt, wo Interessenunterschiede zwischen ansiedlungswilligen Unternehmen und den in der Region lebenden Bürgerinnen und Bürgern bestehen können, wenn es z. B. um die Ansiedlung eines neuen Einkaufszentrums, um die Ausweisung eines Industriegebietes oder um den Ausbau eines Flughafens geht. Das Recht versucht deshalb, mit differenzierten Regelungen zu einem Interessenausgleich beizutragen, z. B. in Gesetzen im Bereich von Raumordnung, Landesplanung, Flächennutzungs- und Bauleitplanung, im Straßenrecht, im Immissionsschutzrecht, Wasserrecht, Luftverkehrsrecht etc.

1.3.2 Freiheitssicherung

Das Ziel „Freiheitssicherung“ entspricht einem der drei großen Ziele der französischen Revolution: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – und zugleich aller modernen Verfassungen. Gewährleistung und Sicherung von Freiheit als eines der zentralen Ziele der Aufklärung seit dem 18. Jahrhundert und eines der Ziele der bürgerlichen Revolutionen im 19. Jahrhundert bedeutete in klassischer Form zunächst „Freiheit vor dem Staat“, Freiheit vor staatlicher Bevormundung und Gängelung; und dementsprechend finden sich in den meisten modernen Verfassungen Normierungen von Freiheitsrechten der Bürgerinnen und Bürger. Auch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) beinhaltet zahlreiche Freiheitsrechte als Grundrechte. Art. 2 GG beinhaltet mehrere allgemeine Freiheitsrechte, Art. 4 GG die Glaubens- und Gewissens-Freiheit, Art. 5 GG u. a. die Meinungs-, Informations-, Presse- und Wissenschaftsfreiheit, Art. 8 GG die Versammlungsfreiheit, Art. 9 GG die Vereinigungsfreiheit, Art. 10 GG Freiheiten mit Blick auf den Brief-, Post- und Telekommunikationsverkehr. Art. 11 GG beinhaltet ein Grundrecht auf Freizügigkeit, Art. 12 GG auf Berufs- und Berufsausübungsfreiheit, Art. 13 GG auf Freiheit vor Eingriffen in die Wohnung, Art. 14 GG gewährleistet Eigentum und Erbrecht.

Allerdings können Freiheitsrechte nicht unbegrenzt gewährt werden. Ihre Grenzen finden sie regelmäßig in den Freiheitsrechten anderer Menschen. Dies gilt z. B. mit Blick auf die Freiheit, laute Musik auch nach Mitternacht zu hören, mit Blick auf die Öffnungszeiten von Gaststätten, insbesondere in Wohngebieten etc. Die Freiheitsrechte Einzelner müssen, da sie in Konflikt mit den Freiheitsrechten anderer stehen können, in diesen Fällen etwa durch Hausordnungen, Mietverträge, Sperrzeitenregelungen, das Gaststättenrecht u. a. begrenzt werden.

Darüber hinaus würde eine grenzenlose Gewährleistung von Freiheitsrechten („freie Bahn dem Tüchtigen“) typischerweise zu einer erheblichen Ungleichheit der Menschen führen, zumeist zulasten der „Schwächeren“. Bereits an dieser Stelle wird deshalb offenkundig, dass die Prinzipien der Freiheit und Gleichheit, sowie übrigens auch der Freiheit und Gerechtigkeit sowie der Gleichheit und Gerechtigkeit, in einem geradezu unauflösbaren Spannungsverhältnis zueinander stehen.

1.3.3 Gewährleistung von Gleichheit

Das Ziel der Gleichheit der Menschen entspricht der zweiten großen Forderung der bürgerlichen Revolutionen und späteren Verfassungen der Neuzeit. Auch im Grundgesetz sind mehrere Gleichheitsgrundrechte enthalten. Gemäß Art. 3 Abs. 1 GG sind alle Menschen vor dem Gesetz gleich. Weitere Gleichheitsgebote gemäß Art. 3 Abs. 2 und 3 betreffen die Gleichberechtigung von Männern und Frauen bzw. Benachteiligungsverbote wegen des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse, der Sprache, der Herkunft, des Glaubens, der religiösen und politischen Anschauung etc. Behinderte und nicht behinderte Menschen sind im Grundsatz gleich zu behandeln, ebenso wie eheliche und nichteheliche Kinder (vgl. Art. 6 Abs. 5 GG).

Die Gewährleistung von Gleichheit stellt ein wichtiges Regelungsziel zahlreicher Rechtsnormen dar. Ganz allgemein ist es vor dem Hintergrund des allgemeinen Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG Aufgabe aller staatlicher Institutionen und Behörden, alle Bürgerinnen und Bürger bei Vorliegen derselben Voraussetzungen gleich zu behandeln. Auch im Strafrecht gilt der Grundsatz, dass jeder unbeschadet der Person vor dem Gesetz „gleich“ ist. Die antike Göttin Justitia trägt deshalb eine Binde vor den Augen, damit „ohne Ansehen der Person“ gerichtet werde.

Die verbundenen Augen der Justitia lehren aber auch, dass Gleichbehandlung eine Verallgemeinerung voraussetzt. Verallgemeinerung wiederum bedeutet Vergröberung und kann sich im Einzelfall wiederum als ungerecht erweisen. Ein reicher Mann kann seinen Schuldner ebenso auf Begleichung seiner Schulden in Anspruch nehmen wie ein Gläubiger, der darauf viel dringlicher angewiesen ist. Und ungerecht erscheint auch der häufig kolportierte Satz: „Jedem ist es verboten, egal ob reich oder arm, unter den Brücken von Paris zu schlafen“; dies erscheint deshalb als ungerecht, weil reiche Bürger gar nicht erst auf die Idee kommen würden, unter einer Brücke zu schlafen.

Dass absolute Gleichheit zu sehr ungerechten oder unbefriedigenden Ergebnissen führen kann, zeigt auch das folgende lustige Beispiel. Ein Vater hat drei Söhne und möchte sie „gleich“ behandeln, indem er ihnen allen drei zu Weihnachten ein Schaukelpferd schenkt. Dieses „gleiche“ Geschenk hat aber bei den drei Söhnen sehr unterschiedliche Begeisterung ausgelöst, weil der eine Sohn drei Jahre, der andere sechs und der dritte 14 Jahre alt war. Die Verwirklichung absoluter Gleichheit führt also, isoliert betrachtet, oft zu unsinnigen oder ungerechten Ergebnissen.

1.3.4 Gewährleistung von Gerechtigkeit

Bereits Aristoteles wusste: Bei der Frage der Gleichheit stellen sich häufig auch Fragen nach der Gerechtigkeit. Zuvor hatte Platon gefordert: Es sei nicht jedem genau das Gleiche, sondern jedem das ihm „Angemessene“, jedem das „Seine“ zu gewähren. „Suum cuique“, jedem das Seine, war deshalb eine alte Forderung auch des römischen Rechts. Und in ganz ähnlicher Weise hat sich im Mittelalter Thomas von Aquin geäußert: Die Menschen ins rechte Verhältnis zueinander setzen, ist Gegenstand der Gerechtigkeit.

Die Frage nach der Gerechtigkeit ist eines der zentralen Themen der Philosophie und der Theologie, aber auch der politischen Theorie und der Rechtswissenschaft. Wie kompliziert diese „große Frage“ der Menschheitsgeschichte jedoch sein kann, zeigt bereits folgendes Beispiel aus archaischer Zeit (vgl. Arzt 1996, 22): Der älteste von vier Brüdern hatte eine große Ziegenherde von unbekannter Stückzahl; der zweitälteste, ein Schmied, hatte 30 Ziegen, der drittälteste, ein Lastträger, drei Ziegen. Der Jüngste besaß nichts, sollte jedoch Hirte werden. Dazu gaben ihm der älteste Bruder nichts, der Schmied fünf Ziegen und der Lastträger eine Ziege. Der Schmied besaß nun 25, der Lastträger zwei und der Hirte sechs Ziegen. Nach einigen Jahren hat sich der Bestand beim Schmied auf 50, beim Lastträger auf 10 und beim Jüngsten, der sich dem Geschäft von Berufs wegen widmete, auf 132 Ziegen vermehrt. Auch die Herde des ältesten Bruders hatte sich wesentlich vergrößert.

Da stirbt der Jüngste. Sein Testament lautet wie folgt: Mein ältester Bruder, der mir in meiner Not nicht geholfen hat, soll nichts erben. Meine beiden anderen Brüder sollen meine Herde erben, wobei ich auf den Richter vertraue, dass er nach Anhörung dieser beiden Brüder meine Ziegen an sie gerecht verteilen werde.

Wie hätten Sie nach Anhörung der Brüder die Ziegen aufgeteilt? Nach dem Sachverhalt gibt es mindestens fünf Alternativen für eine „gerechte“ Entscheidung:

•Die erste Entscheidungsmöglichkeit könnte dahin gehen, die Herde von 132 Ziegen in zwei gleiche Teile aufzuteilen, so dass sowohl der Schmied als auch der Lastträger je 66 Ziegen erhielten. Dieser „Halbteilungsgrundsatz“, der zudem unkompliziert zu „handhaben“ ist, entspricht dem deutschen Erbrecht.

• Eine andere Möglichkeit der Entscheidung könnte darin bestehen, die Ziegen nach dem Verhältnis aufzuteilen, wie der Schmied und der Lastträger seinerzeit Ziegen abgegeben hatten. Der Schmied hatte fünf Ziegen abgegeben, der Lastträger eine Ziege. Danach wären die 132 Ziegen im Verhältnis von 5:1 aufzuteilen, so dass der Schmied 110 und der Lastträger 22 Ziegen erhielte.

• Eine weitere Variante wäre eine Aufteilung nach der damaligen „Opferquote“. Der Schmied hatte seinerzeit 1/6 seiner Ziegen abgegeben, der Lastträger 1/3. Dies entspräche einer prozentualen Opferquote von 1:2, so dass der Schmied 44 und der Lastträger 88 Ziegen erhielte.

• Sodann könnten die Ziegen auch nach sozialen Gesichtspunkten verteilt werden, so dass derjenige mehr Ziegen erhielte, der bedürftiger wäre. Entsprechende „Billigkeitsentscheidungen“ nach Bedürftigkeit sieht das Recht an vielen Stellen vor.

• Schließlich könnte auch erwogen werden, die genannten Alternativen für eine „gerechte“ Entscheidung ganz oder teilweise miteinander zu kombinieren. Solche „Kombinationsprinzipien“ gibt es nicht selten im Recht.

Ich überlasse der Leserin und dem Leser die Einschätzung, welche Alternative die „gerechteste“ wäre. Allerdings könnten alle fünf Teilungsmethoden, je aus der Perspektive der Betroffenen betrachtet, als „gerecht“ angesehen werden. Auch der Gesetzgeber befindet sich nun häufig in exakt dieser Situation, zwischen mehreren denkbaren „gerechten“ (oder auch: ungerechten) Entscheidungsalternativen abwägen und sich dann für die eine oder andere Alternative entscheiden zu müssen. Damit wird deutlich, dass „Gerechtigkeit“ keine absolut feste Größe darstellt und häufig maßgeblich davon abhängt, aus welcher Perspektive, Betroffenheit oder Interessenlage heraus eine „gerechte“ Entscheidung getroffen werden soll.

Und da es mitunter mehrere „gerechte“ Alternativen gibt und ggf. keinesfalls Einigkeit darüber besteht, wie etwas „gerecht“ geregelt werden sollte, bedarf es letztlich einer verbindlichen Entscheidung darüber, was rechtens sein soll. Vermag niemand festzustellen, was gerecht ist, so muss jemand festsetzen, was rechtens ist (Thomas Hobbes); und dies ist in modernen Zivilisationen der Staat, der durch gesetzgeberische Entscheidung festlegt, was in diesem Sinne „rechtens“ ist.

1.3.5 Gewährleistung von Rechtssicherheit

Ein weiteres Ziel und eine weitere wichtige Funktion von Recht ist die Gewährleistung von Rechtssicherheit. Auch dazu zunächst zwei Beispiele:

Beispiel:

Familie F. (Vater, Mutter, drei Kinder) will ein Haus kaufen. Die Finanzierung ist nur möglich, wenn auch die vom Staat gewährten Beihilfen bzw. Steuervorteile in Anspruch genommen werden. Familie F. muss sich also darauf verlassen können, dass sich an den im Zeitpunkt der Kaufentscheidung bestehenden Regelungen während deren vorgesehener Geltungsdauer nichts zu ihren Lasten ändert, weil sie sonst ggf. ihr Haus wieder verkaufen müssten. Aus Gründen der Rechtssicherheit hat der Staat deshalb bisher immer dafür gesorgt, dass solche Steuervergünstigungen oder Zuschüsse so lange gewährt werden, wie man im Zeitpunkt der Kaufentscheidung darauf hatte vertrauen können.

Weiteres Beispiel:

Studentin A. will Soziale Arbeit studieren. Ihre Eltern, die in sehr bescheidenen Verhältnissen leben, können sie dabei nicht finanziell unterstützen. A. kann auch nicht nebenbei arbeiten gehen, weil sie noch ihre kranke Mutter betreut. A. ist deshalb auf Zahlungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) angewiesen und muss sich darauf verlassen können, dass die gesetzlichen Regelungen des BAföG für sie während ihres Studiums so bleiben, wie sie zu Studienbeginn bestanden haben.

Die beiden Beispiele zeigen, dass das Verfolgen von Zukunftsplänen Orientierungssicherheit und Realisierungssicherheit voraussetzt. Beides im Sinne von Rechtssicherheit zu gewährleisten, ist deshalb ein weiteres wesentliches Ziel und eine wesentliche Funktion von Recht. Rechtssicherheit soll gewährleisten, dass man sich auf die Geltung von rechtlichen Normen verlassen kann. Rechtssicherheit soll also Messbarkeit und Berechenbarkeit von Recht gewährleisten. Deshalb gilt bei staatlichem Handeln der Grundsatz des Vertrauensschutzes. Und deshalb gibt es auch das (rechtsstaatliche) Verbot rückwirkender Strafgesetze und rückwirkender Besteuerung. Es ist ein Gebot der Rechtssicherheit, sich darauf verlassen zu können, dass Strafgesetze oder Steuergesetze so gelten, wie dies im Zeitpunkt der Begehung einer Straftat oder im Zeitpunkt des Entstehens der Steuerpflichtigkeit der Fall gewesen war.

1.3.6 Friedenssicherung

Eine wesentliche Funktion von Recht ist die der Friedenssicherung, in der in früheren Jahrhunderten sogar die wesentliche Legitimation staatlichen Handelns gesehen wurde. Friedenssicherung gilt nach innen und außen. Nach „innen“, also innerhalb des jeweiligen Staates, erfolgt Friedenssicherung u. a. durch das Strafrecht, das Strafprozessrecht, das Polizeirecht, das Straßenverkehrsrecht u. v. m. Friedenssicherung nach „außen“ soll erreicht werden durch das Friedensvölkerrecht, das Kriegsvölkerrecht, Konventionen der Vereinten Nationen, Verträge z. B. über Truppenabbau, Atomwaffenabbau usw. Internationale Gerichte wachen über die Einhaltung dieser völkerrechtlichen Grundsätze und verurteilen ggf. Kriegsverbrecher (z. B. die überlebenden Hauptschuldigen des Nationalsozialismus in den Nürnberger Prozessen 1946 oder Hauptschuldige von Kriegsverbrechen in den 1990er Jahren auf dem Territorium des früheren Jugoslawiens).

1.3.7 Steuerung gesellschaftlicher Prozesse

Eine ganz wesentliches allgemeines Ziel und eine ganz bedeutende weitere Funktion von Recht ist die Steuerung gesellschaftlicher Prozesse. Auf die Vorschriften des Baurechts, Raumordnungsrechts, Straßenverkehrs- und Luftverkehrsrecht etc. zur Steuerung von „Großvorhaben“ ist bereits hingewiesen worden. Aufgrund des Steuerrechts werden Abgaben erhoben, die zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben erforderlich sind. Zahlreiche Rechtsnormen greifen steuernd in das Wirtschaftsleben ein, z. B. solche des Gewerberechts, des Wettbewerbsrechts, Kartellrechts, des Arbeitsrechts.

Und nicht zuletzt werden durch das Sozialrecht in einem außerordentlich bedeutsamen Umfange gesellschaftliche Prozesse gesteuert. Aufgrund des Sozialgesetzbuchs (SGB) und weiterer Sozialgesetze wird in Deutschland zurzeit ca. ein Drittel des jährlich erwirtschafteten Bruttosozialprodukts „umverteilt“, im Wesentlichen für die Finanzierung von Sozialleistungen.

1.3.8 Erziehung

Es gibt Rechtsnormen, mit denen erzieherische Ziele verfolgt werden. Auch dies kann eine Funktion von Recht sein. Auch wenn die Eltern gemäß Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG vorrangig das Recht (und die Pflicht) zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder haben, wird ab dem Schulalter von Kindern auch der staatlichen Gemeinschaft ein Erziehungsrecht ihnen gegenüber eingeräumt, und zwar insbesondere in den Schulgesetzen (der Länder). Auch das Achte Buch Sozialgesetzbuch (SGB VIII) – Kinder- und Jugendhilfe – ist insoweit ein Erziehungsgesetz, als es die Erziehung der Eltern in der Familie unterstützt, ergänzt und (ausnahmsweise) sogar ersetzt. Des Weiteren werden mit dem Jugendgerichtsgesetz (JGG) als einem speziellen Strafgesetz für Jugendliche und Heranwachsende bis zum Alter von unter 21 Jahren u. a. erzieherische Zielsetzungen verfolgt (siehe 14.3).

1.3.9 Abschreckung

Daneben haben sowohl das Jugendstrafrecht als auch das Erwachsenenstrafrecht Abschreckungsfunktion. Sie verfolgen explizit und implizit das Ziel, durch Androhung von Strafe zu verhindern, dass Straftaten überhaupt begangen werden. Ähnliche Ziele verfolgen auch manche Regelungen des Ordnungswidrigkeitenrechts.

1.3.10 Strafe

Insbesondere die Rechtsnormen des Strafrechts einschließlich des Strafprozessrechts und des Jugendstrafrechts dienen dem Ziel und haben die Funktion, einzelne Bürgerinnen und Bürger zu bestrafen, wenn sie gegen Strafgesetze verstoßen haben. Damit wird der Anspruch des Staates realisiert, strafbares Verhalten zu ahnden. Aufgrund der Entscheidung eines unabhängigen Strafgerichts kann deshalb Freiheitsstrafe verhängt oder zur Bewährung ausgesetzt werden, oder es kommt ggf. zur Verhängung von Geldstrafen, zum Ausspruch eines Fahrverbotes im Straßenverkehr oder zur Einziehung von Gegenständen (Tatwaffen). Näheres dazu wird in den Kapiteln 13 und 14 ausgeführt.

2Rechtsnormen

2.1 Charakteristika von Rechtsnormen

Übersicht 4

Charakteristika von Rechtsnormen

– Normierung menschlichen Verhaltens

– Rechtsetzung durch den Staat

– Rechtsetzung durch Mehrheitsentscheidung

– Rechtsetzung durch formalisierte Verfahren

2.1.1 Normierung menschlichen Verhaltens

Gegenstand von Rechtsnormen ist im Wesentlichen die Normierung menschlichen Verhaltens bzw. deren Rechtsbeziehungen. (In früheren Zeiten waren mitunter auch Vorschriften für die Natur und für Tiere vorgesehen, wenn z. B. ein Pferd einem Reiter einen tödlichen Tritt versetzt hatte. Als heute kurios anmutendes Beispiel gilt auch der Berner Maikäferprozess von 1479; vgl. Arzt 1996, 2).

2.1.2 Rechtsetzung durch den Staat

Rechtsetzung durch Schaffung von Rechtsnormen mit allgemeiner Verbindlichkeit ist Aufgabe des Staates, dem insoweit ein Rechtsetzungsmonopol zukommt.

Vertiefung: Auch dies war in früheren Jahrhunderten nicht selten anders, als es etwa den Göttern oder einem einzelnen Gott oblag, Recht zu stiften. So wird z. B. in der Bibel berichtet, dass Gott seine zehn Gebote auf zwei steinerne Tafeln geschrieben habe (5. Buch Moses, 22). Spätestens seit der Aufklärung im 18. Jahrhundert war das staatliche Rechtsetzungsmonopol jedoch nicht mehr umstritten, wenn es auch unterschiedlich begründet wurde. Die Begründung des Philosophen Rousseau war z. B. die, dass die Mitglieder der Gesellschaft mit dem Staat einen „contrait social“ („Sozialvertrag“) geschlossen und damit das Rechtsetzungsmonopol vertraglich an den Staat abgegeben haben, damit dieser verbindlich für alle Rechtsnormen setze.

„Staat“ kann dabei ein Nationalstaat sein oder als Gliedstaat eines solchen ein Bundesstaat in einem föderativen System wie der Bundesrepublik Deutschland, unter bestimmten Voraussetzungen auch eine kommunale Gebietskörperschaft. Von zunehmender Bedeutung ist zudem die Setzung von Rechtsnormen durch die Europäische Union sowie, wenn auch zum Teil erst in Ansätzen, durch die Vereinten Nationen.

2.1.3 Rechtsetzung durch Mehrheitsentscheidungen

In den modernen demokratischen Staaten erfolgt die Setzung von Rechtsnormen zumeist aufgrund von Mehrheitsentscheidungen der vom Volk gewählten Abgeordneten in den Parlamenten. In Deutschland ist dies auf der Bundesebene der Deutsche Bundestag unter Mitwirkung des Bundesrates, in den Bundesländern sind dies die Landtage. Der dort zum Ausdruck gebrachte Mehrheitswille beinhaltet zwar keine Garantie für Gerechtigkeit oder sachliche „Richtigkeit“ der in Rechtsnormen einfließenden parlamentarischen Entscheidungen; dennoch wird diese Vorgehensweise in den westlichen Demokratien als relativ bestes, weil „demokratisches“ Rechtsetzungsverfahren angesehen. Zum Traditionsbestand in den modernen Verfassungsstaaten der Neuzeit gehört dabei aber auch, dass Minderheiten geschützt und maßgeblich am Verfahren beteiligt werden. Bestimmten Minderheiten werden sogar zusätzliche Verfahrensrechte zugestanden (z. B. den Minderheitsfraktionen in den Parlamenten).

2.1.4 Rechtsetzung durch formalisierte Verfahren

Wie schwierig und häufig umstritten es ist, „gerechte“ Entscheidungen zu treffen und dem Gerechtigkeitsgefühl entsprechende Rechtsnormen zu verabschieden, ist bereits in Kapitel 1 deutlich geworden (siehe 1.3.4). Wie dargestellt lässt sich nämlich oft nicht ohne Weiteres sagen, welche Festlegungen „gerecht“ sind, weil nicht selten mehrere „gerechte“ Entscheidungen und Rechtsnormen denkbar erscheinen. Auch der Verweis auf das „Gerechtigkeitsgefühl“ (wessen?) oder auch auf die „Vernunft“ (von wem?) führt oft nicht weiter, da Gefühle und Ansichten über das „Vernünftige“ allzu häufig auseinander gehen.