Gruppentherapie - Valerija Sipos - E-Book

Gruppentherapie E-Book

Valerija Sipos

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Beschreibung

Gruppentherapie ist neben Einzel- und Paartherapie ein häufiges und wichtiges Setting von Verhaltenstherapie. Viele verhaltenstherapeutische Techniken erfordern eine Interaktion mit anderen Menschen. Ihre Umsetzung ist deshalb in einer Gruppe oft einfacher als im Einzeltherapie-Setting. Die Teilnahme an einer Gruppentherapie ermöglicht Patienten im Austausch mit anderen etwas über die Vielfältigkeit ihrer Erkrankung zu erfahren, aber auch Wertschätzung und Unterstützung durch andere zu erleben. Patienten können in einer Gruppentherapie Wissen erwerben, indem sie das Verhalten anderer beobachten oder indem sie Feedback zum eigenen Verhalten bekommen. Sie können konkrete Möglichkeiten der Problemlösung kennenlernen und zwischenmenschliche Fertigkeiten einüben. Das Buch beschreibt einzelfallorientierte sowie interaktions- und störungsspezifische Gruppenkonzepte und stellt Wirkfaktoren der Gruppentherapie dar, insbesondere die Wirkfaktoren, die für die Gruppentherapie spezifisch sind und die die Stärke von Gruppentherapien ausmachen. Weiterhin geht der Band auf Techniken zum Aufbau instrumenteller Gruppenbedingungen ein und auf die Indikation und Kontraindikationen für Gruppentherapie. Schwerpunkte des Buches sind die konkrete Umsetzung von einzelfallorientierter Gruppentherapie und störungsspezifische Gruppen in der Verhaltenstherapie. Anhand zahlreicher Beispiele werden Handlungsprinzipien vermittelt, die dazu dienen sollen, den Erfolg von Gruppen zu optimieren und zu verhindern, dass schwierige Situationen in der Gruppe entstehen.

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Valerija Sipos

Ulrich Schweiger

Gruppentherapie

Standards der Psychotherapie

Band 6

Gruppentherapie

Dr. Valerija Sipos, Prof. Dr. Ulrich Schweiger

Herausgeber der Reihe:

Prof. Dr. Martin Hautzinger, Prof. Dr. Kurt Hahlweg, Prof. Dr. Tania Lincoln Prof. Dr. Jürgen Margraf, Prof. Dr. Winfried Rief, Prof. Dr. Brunna Tuschen-Caffier

Begründer der Reihe:

Martin Hautzinger, Kurt Hahlweg, Jürgen Margraf, Winfried Rief

Dr. phil. Valerija Sipos, geb. 1957. Psychologische Psychotherapeutin, Familientherapeutin, Kinder- und Jugendlichentherapeutin, Anerkannte Supervisorin und Lehrtherapeutin für Verhaltenstherapie. 1978–1984 Studium der Psychologie in Münster. 1984–1987 Psychologin in der Fachklinik Furth im Wald, 1988–1999 in der Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee. Seit 1999 Leitende Klinische Psychologin an der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität zu Lübeck. 2001 Promotion.

Prof. Dr. med. Ulrich Schweiger, geb. 1955. 1975–1982 Studium der Humanmedizin in München und Montpellier, Frankreich. Anschließend klinische und wissenschaftliche Tätigkeiten am Max-Planck-Institut für Psychiatrie, München, an der Harvard University, Boston, USA, in der Neurologischen Klinik Bad Aibling und in der Klinik Roseneck Prien am Chiemsee. 1983 Dissertation. 1995 Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie. 1997 Facharzt für Psychosomatische Medizin. 2000 Habilitation. Seit 2001 stellvertretender Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Universität zu Lübeck. Seit 2004 Inhaber der Professur für neurobiologische Psychotherapieforschung an der Universität zu Lübeck. Anerkannter Supervisor für Verhaltenstherapie.

Wichtiger Hinweis: Der Verlag hat gemeinsam mit den Autoren bzw. den Herausgebern große Mühe darauf verwandt, dass alle in diesem Buch enthaltenen Informationen (Programme, Verfahren, Mengen, Dosierungen, Applikationen, Internetlinks etc.) entsprechend dem Wissensstand bei Fertigstellung des Werkes abgedruckt oder in digitaler Form wiedergegeben wurden. Trotz sorgfältiger Manuskriptherstellung und Korrektur des Satzes und der digitalen Produkte können Fehler nicht ganz ausgeschlossen werden. Autoren bzw. Herausgeber und Verlag übernehmen infolgedessen keine Verantwortung und keine daraus folgende oder sonstige Haftung, die auf irgendeine Art aus der Benutzung der in dem Werk enthaltenen Informationen oder Teilen davon entsteht. Geschützte Warennamen (Warenzeichen) werden nicht besonders kenntlich gemacht. Aus dem Fehlen eines solchen Hinweises kann also nicht geschlossen werden, dass es sich um einen freien Warennamen handelt.

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[email protected]

www.hogrefe.de

Satz: ARThür Grafik-Design & Kunst, Weimar

Format: EPUB

1. Auflage 2019

© 2019 Hogrefe Verlag GmbH & Co. KG, Göttingen

(E-Book-ISBN [PDF] 978-3-8409-2921-2; E-Book-ISBN [EPUB] 978-3-8444-2921-3)

ISBN 978-3-8017-2921-9

http://doi.org/10.1026/02921-000

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Anmerkung:

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Zitierfähigkeit: Dieses EPUB beinhaltet Seitenzahlen zwischen senkrechten Strichen (Beispiel: |1|), die den Seitenzahlen der gedruckten Ausgabe und des E-Books im PDF-Format entsprechen.

Inhaltsverzeichnis

1 Gruppentherapie als Setting

1.1 Erste Entwicklungen

1.2 Entwicklung der Gruppentherapie innerhalb der psychodynamischen und humanistischen Psychotherapie

1.3 Entwicklung der Gruppentherapie innerhalb der Verhaltenstherapie

2 Theorie der Gruppentherapie

2.1 Interaktionsorientierte Gruppenkonzepte

2.2 Einzelfallorientierte Gruppenkonzepte

2.3 Störungsspezifische Gruppentherapien

3 Wirkfaktoren in der Gruppentherapie

3.1 Selbsterkenntnis

3.2 Emotionsmanagement

3.3 Interpersonelles Lernen

3.4 Existenzielle Faktoren

3.5 Altruismus

3.6 Gruppenkohäsion

3.7 Universalität des Leidens

3.8 Experte in eigener Sache

3.9 Rekonstruktion familiärer und früherer Gruppensituationen

3.10 Handlungsorientierung

3.11 Realitätsüberprüfung

3.12 Erwerb von Fertigkeiten

4 Instrumentelle Gruppenbedingungen

4.1 Der Aufbau von instrumentellen Gruppenbedingungen

4.1.1 Kooperative Arbeitshaltung

4.1.2 Kohäsion (Zusammengehörigkeitsgefühl)

4.1.3 Akzeptanz

4.1.4 Offenheit

4.1.5 Vertrauen

4.2 Das Zusammenwirken der Faktoren der instrumentellen Gruppenbedingungen

4.3 Fertigkeiten und instrumentelle Gruppenbedingungen

5 Indikation zur Gruppentherapie

5.1 Allgemeine Indikation zur Psychotherapie

5.2 Differenzialindikation von Gruppentherapie und Einzeltherapie

5.2.1 Effektivität

5.2.2 Patientenpräferenz

5.2.3 Passung zwischen Patienten und Gruppe

5.2.4 Ökonomische Überlegungen

5.2.5 Strukturelle Überlegungen

6 Technische Umsetzung von Gruppentherapie in der Verhaltenstherapie

6.1 Einzelfallorientierte Gruppen

6.1.1 Struktur der einzelfallorientierten Gruppe

6.1.2 Mögliche Schwierigkeiten bei der Durchführung einer einzelfallorientierten Gruppe und wie sie zu vermeiden sind

6.1.3 Beispiel: Transdiagnostische einzelfallorientierte Gruppentherapie im stationären Setting

6.1.4 Beispiel: Einzelfallorientierte Gruppentherapie im Setting einer ambulanten Intensivtherapie

6.2 Indikationsspezifische oder störungsspezifische Gruppen

6.2.1 Struktur der indikationsspezifischen und störungsspezifischen Gruppe

6.2.2 Mögliche Schwierigkeiten bei der Durchführung einer indikationsspezifischen oder störungsspezifischen Gruppe und wie sie zu vermeiden sind

6.2.3 Beispiel: Indikations- und störungsspezifische Gruppentherapie in einer Institutsambulanz

7 Wissenschaftliche Evidenzen zur Anwendung von Gruppentherapie

Literatur

|1|1 Gruppentherapie als Setting

In Gemeinschaft mit anderen zusammenzuleben, ist ein Merkmal vieler Lebensformen. Dies ist adaptiv, da das Überleben als Gruppe deutlich wahrscheinlicher ist, als das Überleben Einzelner. Zahlreiche Beispiele aus Flora, Fauna und aus der menschlichen Entwicklung und Geschichte belegen, dass die natürliche Lebensform das Zusammenleben mit anderen ist. Ein Schicksal, Emotionen, Höhen und Tiefen des Lebens zu teilen, erhöht das Sicherheitsgefühl und hilft, zu überleben. Ein ganzes Leben lang ist der Mensch davon beeinflusst, wie sich die anderen ihm gegenüber verhalten. In den Beziehungen zu anderen Menschen formen sich eigenes Verhalten, persönliche Einstellungen, eigene Werte, Selbst- und Weltbild.

Das eigene Wohlbefinden hängt stark von der Beziehung zu den anderen Mitgliedern der eigenen Gruppe ab. Gemeinsam mit den anderen ist Lernen leichter. Wenn ein Kind nicht mit anderen Kindern in die Schule geht, sondern alleine zu Hause lernt, erleben wir das mit Recht als ungewöhnlich, denn Lernen in der Gemeinschaft ist erfolgreicher und macht mehr Freude. Wer den Kontakt zu anderen meidet und sich als Einzelgänger versteht, der wird als sonderbar wahrgenommen. Gleichzeitig ist jemand, der als Einzelgänger lebt, weniger schwierigen interpersonellen Situationen ausgesetzt. Aus diesem Grund ist Vermeidungsverhalten gegenüber Gruppen und Gemeinschaft bei psychischen Erkrankungen durchaus ein adaptives Verhalten. Wenn ich für mich alleine lebe, dann fallen meine Eigenarten nicht weiter auf. Umso mehr lässt sich feststellen, dass psychische Gesundheit mit guten Fertigkeiten im Umgang mit anderen Menschen einhergeht und das Meiden des Kontaktes zu anderen Menschen erhebliche Nachteile für den Einzelnen sowie die Entwicklung psychosozialer Fertigkeiten mit sich bringt.

Menschen, die eine psychische Erkrankung haben, leiden häufig unter erheblichen Schamgefühlen. Sie ziehen sich aus der Sozialgemeinschaft zurück und geben viele Lebensbereiche auf, die sie mit anderen Menschen in Kontakt bringen würden. Wir sehen in unserer Arbeit häufig Patienten, die aufgehört haben, einer Arbeit nachzugehen, keine Hobbys oder Freizeitaktivitäten mehr betreiben, selbst dann nicht, wenn sie ihre psychische Erkrankung schon weitestgehend überwunden haben. Sie erleben Scham, weil sie eine psychische Erkrankung haben oder hatten. Diese Patienten haben den Kontakt zu anderen Personen noch nicht wieder in ihr Leben integriert, obwohl sie wieder Kontakt zu anderen Menschen und Gruppen benötigen würden.

|2|Um zu üben, Teil einer Gemeinschaft zu sein, ist es naheliegend, dass Psychotherapie in Gruppen stattfinden soll. Nur in Gruppen kann erwünschtes Sozialverhalten trainiert werden. Psychotherapie in Gruppen ist das zielführende Setting dazu. Doch das Erlernen von angemessenem und erfolgreichem Umgang mit anderen Gruppenmitgliedern, das auch auf Situationen außerhalb der Psychotherapie übertragen werden kann, erfordert systematische Planung, Übung, Korrektur in einem professionellen Setting. Welches Verhalten in der Gruppentherapie gelernt wird, kann nicht dem Zufall überlassen werden. Erwünschtes Verhalten kann nur unter professionellen Lernbedingungen erworben werden. Therapeutinnen und Therapeuten sind in der Verantwortung, durch ihr Handeln diese Lernbedingungen herzustellen.

Das Ziel unseres Buches ist, Kolleginnen und Kollegen darin zu unterstützen, diese Herausforderung anzunehmen und erfolgreich zu meistern. Wir möchten dazu beitragen, dass sie ihren Patientinnen und Patienten Fertigkeiten vermitteln, die diese benötigen, um gute und befriedigende Beziehungen zu ihren Mitmenschen pflegen zu können.

1.1 Erste Entwicklungen

Als soziales Wesen macht der Mensch schon immer seine wichtigsten Erfahrungen mit anderen Menschen. Es ist nicht bekannt, ob dieser Gedanke ausschlaggebend dafür war, dass der Arzt Josef Pratt 1905 auf einer Tuberkulosestation begann, seine Patienten in Gruppen über ihre Erkrankung aufzuklären und ihnen Bewältigungsstrategien zu vermitteln (Barlow, Burlingame & Fuhriman, 2000). Die Gruppengröße umfasste dabei bis zu 80 Erkrankte. Pratt leitete seine Gruppen mit einem erfahrenen Patienten, der für die anderen Teilnehmer eine Modellfunktion hatte. Er war von seinem Leitungsstil her eher dominant und entsprach dabei aber einer wohlwollenden „Vaterfigur“. Die Gruppenarbeit hatte das Ziel, das Denken und Handeln der Patienten durch Informationen über ihre Erkrankung zu verändern. Das Konzept Pratts war sehr erfolgreich und wurde später auf die Behandlung weiterer Erkrankungen übertragen. Pratts Konzept markiert vermutlich die Geburtsstunde der psychoedukativen und störungsspezifischen Gruppentherapie.

1.2 Entwicklung der Gruppentherapie innerhalb der psychodynamischen und humanistischen Psychotherapie

Die Entwicklung der Gruppenanalyse fand in den 1920er Jahren statt. Dabei wird dem amerikanischen Psychoanalytiker Trigant Burrow eine Schlüsselrolle zugeschrieben. In den 1930er Jahren entwickelte der österreichisch-amerika|3|nische Psychiater Jacob Moreno das Psychodrama als Gruppentherapie. Er soll erstmals den Begriff „group therapy“ verwendet haben. In den 1940er Jahren wurde von dem amerikanischen Ingenieur Samuel Slavson die Gruppenpsychoanalyse entwickelt, er gründete auch 1943 die „American Group Psychotherapy Association“. Eine wichtige Entwicklung in den 1950er Jahren war die Gestalttherapie, die überwiegend als Gruppentherapie umgesetzt wurde, durch den deutsch-amerikanischen Psychiater Fritz Perls. Ebenfalls in den 1950ern entwickelte der amerikanische Psychologe Carl Rogers die klientenzentrierte Gesprächstherapie. Die zugehörige Gruppentherapieform waren die „Encounter Groups“. In den 1970er Jahren wurde von dem amerikanischen Psychiater Irvin Yalom die „Interpersonal Group Therapy“ entwickelt. Seit den 1980er Jahren findet sich auch im Bereich der psychodynamischen und humanistischen Therapien eine Entwicklung im Sinne eines zielgruppenorientierten Vorgehens. Eine detaillierte Übersicht zur Geschichte der Gruppentherapie findet sich in Burlingame und Baldwin (2011) sowie zum aktuellen empirischen Stand psychodynamischer Gruppentherapien in Strauß (2016).

1.3 Entwicklung der Gruppentherapie innerhalb der Verhaltenstherapie

Gruppentherapie war von Beginn der Verhaltenstherapie an ein wichtiges Setting zur Umsetzung von Therapieprogrammen. Viele verhaltenstherapeutische Techniken erfordern Interaktion mit anderen Menschen. Ihre Umsetzung ist deshalb in einer Gruppe einfacher als im Setting Einzeltherapie. Ein wesentlicher Teil der Evidenzbasierung der modernen Verhaltenstherapie beruht auf Studien, bei denen Gruppentherapie häufig in Verbindung mit Einzeltherapie zum Einsatz kam. Die Entwicklung der Gruppentherapie in der Verhaltenstherapie ist an die allgemeine Weiterentwicklung innerhalb der Verhaltenstherapie gekoppelt. Wenig überraschend ist deshalb, dass heute die meiste Evidenz für gruppenpsychotherapeutisches Vorgehen für Ansätze aus der Verhaltenstherapie vorliegt (Strauß, 2016).

Die Entwicklung der Verhaltenstherapie wird aktuell oftmals in drei „Wellen“ eingeteilt (Dimidjian et al., 2016; Kahl, Winter, Schweiger & Sipos, 2011). Die erste Welle der Verhaltenstherapie, beginnend in den 1950er Jahren, setzte die damals neuen Erkenntnisse der Lerntheorie zu respondentem und operantem Lernen direkt in psychotherapeutische Interventionen um. Folgende Techniken wurden in der ersten Welle entwickelt: Verhaltensanalyse, Verhaltensaufbau, Exposition, verschiedene Formen von Verhaltenstraining (Soziales Kompetenztraining, Problemlösetraining, Kommunikationstraining), Stimuluskontrolle und Selbstbelohnung. Der Einsatz dieser Techniken erfolgte sowohl in der Einzeltherapie als auch in der Gruppentherapie. In beiden Settings stellte sich die Frage:

|4|Welches Verhalten soll der Patient neu lernen, in seiner Frequenz steigern oder vermindern, um auf das Problemverhalten verzichten zu können?

Die zweite Welle der Verhaltenstherapie begann in den 1960er Jahren. Sie stellte die Veränderung der inhaltlichen Informationsverarbeitung und der Selbstinstruktionen in den Vordergrund. Die zweite Welle ist im deutschen Sprachraum unter dem Label kognitive Verhaltenstherapie (KVT) bekannt. Mit der zweiten Welle verbundene Techniken sind sokratischer Dialog und kognitive Umstrukturierung, weiterhin wurde eine große Menge der Techniken der ersten Welle wie beispielsweise Aktivitätsprotokolle integriert. Eines der großen Verdienste der zweiten Welle der Verhaltenstherapie für die Gruppentherapie besteht in der Entwicklung einer großen Anzahl psychoedukativer und störungsspezifischer Gruppen-KVT-Manuale für viele psychische Erkrankungen. Weiterhin erfolgte eine Ausdifferenzierung für durch weitere Merkmale definierte Zielgruppen, wie beispielsweise Gruppentherapie für ältere Patienten, Jugendliche oder Patienten mit malignen Erkrankungen, Diabetes oder koronarer Herzkrankheit. In der Gruppentherapie nach diesem Modell wird die Frage gestellt:

Welche Einstellungen oder Bewertungsmuster soll der Patient neu erwerben oder korrigieren?

Welche Informationen über seine Erkrankung benötigt er?

Welche Selbstinstruktionen könnten hilfreich sein?

Die dritte Welle der Verhaltenstherapie bestimmt seit den 1990er Jahren wesentliche Teile der Psychotherapieentwicklung. Bei diesen Methoden stehen mit psychischen Störungen verbundene Fertigkeitendefizite im Vordergrund, d. h. die Frage, welche Fertigkeit der Patient erwerben muss, damit er seine Störung überwinden kann. Die Antworten sind dabei je nach der Therapiemethode heterogen: in der Dialektisch-behavioralen Therapie (DBT) stehen Fertigkeiten in der Emotionsregulation im Mittelpunkt, im Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy (CBASP) wird operatorisches Denken vermittelt, die Metakognitive Therapie (MCT) fokussiert neue metakognitive Strategien, achtsamkeitsbasierte Methoden vermitteln Fertigkeiten im Bereich Achtsamkeit. Die Schematherapie fördert die Fertigkeit, eigene Modi zu erkennen und zwischen ihnen zu wechseln, bei Behavioral Activation (BA) und Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT) stehen psychologische Flexibilität und werteorientiertes Handeln im Mittelpunkt. In der Gruppentherapie nach diesem Modell geht es um die Fragestellung:

Welche Fertigkeiten braucht der Patient?

Worauf soll er sein Handeln ausrichten?

Welche neuen Erfahrungen braucht er?

Wie kann er die Gruppe nutzen, um neue Fertigkeiten auf der Ebene der Wahrnehmung und des Verhaltens einzuüben?

|5|2 Theorie der Gruppentherapie

2.1 Interaktionsorientierte Gruppenkonzepte

Historisch gesehen spielen bei der Entwicklung gruppentherapeutischer Ansätze gerade die interaktionsorientierten (in der Regel psychodynamischen) Gruppenkonzepte eine wesentliche Rolle. Ausgehend vom Störungsmodell, dass unbewusste Konflikte aus der Kindheit wesentliche Faktoren für die Entstehung und Aufrechterhaltung der psychischen Erkrankungen sind, stehen bei interaktionsorientierten Gruppenkonzepten das Aufdecken, Durcharbeiten und die Überwindung dieser unbewussten Konflikte im Zentrum. Die Interaktion zwischen Gruppenmitgliedern ist dabei das primäre Vehikel des Veränderungsprozesses (Burlingame, MacKenzie & Strauss, 2004). Die Teilnehmer der Gruppe schaffen innerhalb der Gruppentherapie durch ihr Interaktionsverhalten einen Mikrokosmos, der ihr im realen Leben bestehendes Interaktionsverhalten widerspiegeln soll. Die Gruppe fördert die Entwicklung von emotionalen Beziehungen untereinander, eine offene Kommunikation mit Selbstöffnung und Rückmeldungen und die Entwicklung von Einsicht in psychische Prozesse. Die Aufgaben der Gruppenleiter beinhalten Deutungen von Widerstand, Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomenen. Im interaktionsorientierten Gruppenkonzept ist die Gruppendynamik der wesentliche Wirkfaktor für die Veränderung des Interaktionsverhaltens. Aus diesem Grund befindet sich der Leiter der Gruppe außerhalb der Gruppendynamik, er ist mehr Beobachter und deutet das Verhalten des Einzelnen innerhalb des Prozesses, greift aber nicht aktiv strukturierend oder regulierend ein. Ziel ist es, dass durch die entstehende Gruppendynamik, Rückmeldungen der anderen Teilnehmer und möglichst hilfreichen Deutungen des Therapeuten der einzelne Teilnehmer sein problematisches Beziehungsverhalten erkennen kann. Eine Übertragung der Erfahrungen aus der Gruppe auf die reale Lebenssituation des Gruppenteilnehmers ist kein explizites Element des Konzepts. Im Vordergrund stehen die korrigierenden Erfahrungen in der Gruppe. Fertigkeiten, die der einzelne Patient für den Aufbau von neuem Interaktionsverhalten benötigt, werden als zumindest latent vorhanden angesehen. Es findet keine durch den Therapeuten gelenkte Form der Kommunikation statt. Alle Teilnehmer können zu jeder Zeit miteinander in Interaktion treten. Vorrangige Themen sind die Beziehungen der Gruppenteilnehmer untereinander.

|6|Falls ein spezifisches Thema in der Sitzung behandelt wird, geschieht dies auf Initiative eines Teilnehmers, der hierfür die Zustimmung der anderen benötigt. Themen werden also implizit nach einem Mehrheitsprinzip ausgewählt. So fühlen sich viele Gruppenteilnehmer angesprochen und zur Mitwirkung aufgefordert. Wenn ein Teilnehmer ein Thema vorschlägt, kann in der Bearbeitung ein anderer Teilnehmer das Thema aus seiner Sicht und nach seinen Wünschen fortführen. Entstehen während der Zusammenarbeit in einer interaktionsorientierten Gruppe bedeutsame Unstimmigkeiten, wird diesen Inhalten Vorrang eingeräumt. „Störungen“ beeinflussen die Gruppendynamik und müssen deshalb vorrangig geklärt werden. Weitere interaktionsorientierte Gruppenkonzepte sind in der Psychodynamischen Psychotherapie, der Gesprächspsychotherapie und anderen Methoden der Humanistischen Psychotherapie (vgl. „Encounter-Gruppen“ in den 1960er Jahren) verbreitet (zur weiteren Differenzierung siehe Kleinberg, 2012; Sipos & Schweiger, 2018; Tschuschke, 2001).

Merke: Interaktionsorientierte Gruppenkonzepte

Die Gruppendynamik ist der wesentliche Wirkfaktor für die Veränderung des Interaktionsverhaltens.

Durch die entstehende Gruppendynamik, durch Rückmeldungen der anderen Teilnehmer und durch hilfreiche Deutungen des Therapeuten soll der einzelne Teilnehmer sein problematisches Beziehungsverhalten erkennen.

Der Leiter der Gruppe greift nicht aktiv strukturierend oder regulierend ein.

Vorrangige Themen sind die Beziehungen der Gruppenteilnehmer untereinander.

2.2 Einzelfallorientierte Gruppenkonzepte

In einer einzelfallorientierten Gruppe steht die gezielte Bearbeitung der psychischen Probleme oder das vorher festgelegte Thema eines Protagonisten im Vordergrund. Die Auswahl der Themen erfolgt nicht nach Mehrheitsinteresse, sondern ist auf die persönliche, die Lebenssituation und -geschichte des Einzelnen betreffende individuelle Thematik ausgerichtet und damit nicht schwerpunktmäßig in der Gruppendynamik verwurzelt. Es wird davon ausgegangen, dass die meisten Gruppenteilnehmer ähnliche Probleme oder Lebenssituationen kennen. In der Bearbeitung geht es dennoch immer um die individuelle Situation des Protagonisten. Teilnehmer der Gruppe, die nicht in der Protagonistenrolle sind, sollen am Modell der Problembewältigung durch den Protagonisten lernen. Sie stehen als Quelle von Information, Erfahrungen und Feedback und als Übungspartner für Rollenspiele zur Verfügung. Zu den einzelfallorientierten Gruppenkonzepten zählen die Gestalttherapie nach Perls (Perls, 2007), das Psychodrama nach Moreno (Moreno, 2007) |7|und die einzelfallorientierten, verhaltenstherapeutischen Gruppen. In den Siebzigerjahren begann Grawe, ein erstes einzelfallorientiertes verhaltenstherapeutisches Gruppenkonzept zu beschreiben (Grawe, 1980). Dabei wurden lerntheoretische Erkenntnisse und das Problemlösemodell nach Goldfried und D’Zurilla auf die Gruppentherapie übertragen (D’Zurilla & Goldfried, 1971; Nezu, Nezu & D’Zurilla, 2013; Sipos & Schweiger, 2018).

Merke: Einzelfallorientierte Gruppenkonzepte

Die gezielte Bearbeitung der psychischen Probleme oder das vorher festgelegte Thema eines Protagonisten stehen im Vordergrund.

Teilnehmer der Gruppe, die nicht in der Protagonistenrolle sind, sollen am Modell der Problembewältigung durch den Protagonisten lernen.