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Gruppentherapie gewinnt in Kliniken und Praxen zunehmend an Bedeutung: Sie hat gegenüber der Einzeltherapie zusätzliche Wirkfaktoren und ist insbesondere als verhaltenstherapeutische Gruppentherapie sehr gut evidenzbasiert. Dieses Handbuch bietet praktische Hilfen für die Planung und Umsetzung gruppentherapeutisch basierter Methoden und Techniken. Es liefert eine Anleitung zur besseren Strukturierung von Sitzungen sowie klare Regeln zur Interaktion, die Teilnehmern und Therapeuten mehr Sicherheit geben und helfen, schwierige Gruppensituationen zu vermeiden.
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Seitenzahl: 420
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2., überarbeitete Auflage 2018
Alle Rechte vorbehalten
© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart
Print:
ISBN 978-3-17-031639-3
E-Book-Formate:
pdf: ISBN 978-3-17-031640-9
epub: ISBN 978-3-17-031641-6
mobi: ISBN 978-3-17-031642-3
Widmung
Danksagung
Vorwort
1 Grundlegende Konzepte der Gruppentherapie
1.1 Entwicklung der Gruppentherapie
1.1.1 Erste Entwicklungen
1.1.2 Entwicklung der Gruppentherapie in der humanistischen und der psychodynamischen Psychotherapie
1.1.3 Entwicklung der Gruppentherapie innerhalb der Verhaltenstherapie
1.2 Wirkfaktoren in der Gruppentherapie
1.3 Verfahren, Methoden, Techniken, Setting der Psychotherapie und die Einordnung der Gruppentherapie
1.3.1 Verfahren
1.3.2 Methoden
1.3.3 Techniken
1.3.4 Setting
1.4 Formen und Modelle der Gruppentherapie
1.4.1 Modell Nr. 1: »Interaktionsorientierte Gruppenkonzepte«
1.4.2 Modell Nr. 2: »Einzelfallorientierte Gruppenkonzepte«
1.4.3 Prinzipien der interaktionsorientierten vs. einzelfallorientierten Gruppentherapie
1.4.4 Modell Nr. 3: »Störungsspezifische und auf Prävention ausgerichtete Gruppenkonzepte«
2 Praxis der verhaltenstherapeutischen Gruppentherapie
2.1 Bedingungen und Regeln der Verhaltenstherapie in Gruppen
2.1.1 Instrumentelle Gruppenbedingungen
2.1.2 Gruppenregeln
2.2 Methoden der verhaltenstherapeutischen Gruppentherapie
2.2.1 Transdiagnostische Gruppentherapie
2.2.2 Typische Schwierigkeiten bei der Durchführung einer transdiagnostischen, einzelfallorientierten Gruppe
2.2.3 Beispiel einer transdiagnostischen Gruppentherapie
2.2.4 Vergleich des Vorgehens bei interpersoneller Gruppentherapie und transdiagnostischer Gruppe
2.2.5 Problemlösetraining
2.2.6 Beispiel einer störungsspezifischen Gruppentherapie für Essstörung
3 Basisfertigkeiten des Leiters bei der praktischen Umsetzung verhaltenstherapeutischer Gruppen
3.1 Überzeugung, dass die Gruppentherapie ein hilfreiches und angemessenes Setting ist
3.2 Erfolgserlebnisse schaffen
3.2.1 Positive Erfahrungen der Patienten in die Gruppe einbringen
3.2.2 Keine Scheu vor Wiederholungen
3.2.3 Auch bei »erfolglosen« Patienten die Hoffnung nicht aufgeben
3.3 Integration von Außenseitern über direkte Zuwendung
3.4 Making lemonade out of lemons
3.5 Fähigkeit zur Selbstbeobachtung
3.6 Freundlichkeit angesichts von feindseligem Verhalten
3.7 Kenntnis von Validierungsstrategien
3.8 Fähigkeit, die verschiedenen Interaktionsebenen bewusst zu beachten
3.8.1 Die Interaktionsebenen in störungsspezifischen Gruppen
3.8.2 Die Interaktionsebenen in einzelfallorientierten Gruppen
3.8.3 Auswirkungen von Symptomen und Verhaltensweisen des Einzelpatienten auf die Mitpatienten
3.9 Fähigkeit, mit Angst und Scham umzugehen und Selbstwertgefühl aufzubauen
3.9.1 Woran erkennt der Therapeut Angst in der Gruppe
3.9.2 Woran erkennt der Gruppentherapeut Scham in der Gruppe?
3.9.3 Woran erkennt der Therapeut Selbstwertgefühl bei den Gruppenmitgliedern?
3.9.4 Woran erkennt der Therapeut Sicherheitsgefühl bei den Gruppenmitgliedern?
3.9.5 Techniken der Angstreduktion in der Gruppensitzung
3.9.6 Techniken der Schamreduktion in der Gruppensitzung
3.9.7 Techniken des Aufbaus von Selbstwert in der Gruppensitzung
3.9.8 Techniken des Aufbaus von Sicherheit in der Gruppensitzung
3.10 Auswahl der Gruppenmitglieder
3.10.1 Zielgruppen
3.10.2 Voruntersuchung
3.10.3 Vorgespräche
3.11 Umgang mit Werten und Zielen
3.12 Patienten mit Persönlichkeitsstörungen in der Gruppentherapie
3.12.1 Umgang mit externalisierenden Verhaltensweisen
3.12.2 Umgang mit internalisierenden Verhaltensweisen
4 Fragen von Gruppentherapeuten aus der Praxis
Literatur
Stichwortverzeichnis
Wir haben beide in den letzten Jahren schwere körperliche Erkrankungen durchgemacht und dabei erfahren, wie stark Patienten vom guten Fachwissen ihrer Behandler abhängig sind. Das Buch widmen wir deshalb den Ärzten, die uns geholfen haben. Als Spezialisten im Bereich Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie sehen wir täglich, wie sehr die Lebensqualität von Menschen mit seelischen Erkrankungen ebenfalls vom Fachwissen der Therapeuten abhängt. Mit diesem Buch möchten wir die Kollegen dabei unterstützen, mit ihren Behandlungen erfolgreich zu sein und ihren Patienten zu einer höheren Lebensqualität zu verhelfen.
Wir bedanken uns bei unserer früheren Kollegin Dr. Susanne Trenkamp, Psychologische Psychotherapeutin. Sie hat besonders in den Anfängen der Konzeptentwicklung wichtige Ideen beigesteuert.
Prof. Michael Hüppe ist seit über 15 Jahren ein wichtiger Freund und Begleiter bei unserer wissenschaftlichen Arbeit und der Entwicklung unserer psychotherapeutischen Konzepte. Auch dieses Mal hat er uns durch die kritische Lektüre unseres Buches unterstützt.
Frau Silka Ringer, Psychologische Psychotherapeutin, arbeitet seit Langem mit unserem Konzept der transdiagnostischen Gruppe und hat das Manuskript vor diesem Hintergrund gegengelesen. Herr Misha Vithayathil, Psychologe in Ausbildung in unserer Klinik, hat das Manuskript aus der Perspektive eines Ausbildungsteilnehmers gelesen und uns wichtige Anregungen gegeben.
Dr. Kirstin Bernhardt, stellvertretende Direktorin der Klinik für Psychosomatik und Psychotherapie der Universität Kiel, und Frau Dr. Dörtie Bewig, erfahrene Gruppentherapeutinnen, haben ihre Praxiserfahrung mit dem Buch abgeglichen und viele Anregungen geliefert. Dr. Susanne Annis, Psychologische Psychotherapeutin, und Christian Alte, Psychologischer Psychotherapeut und Leiter eines Ausbildungsinstitutes, sind erfahrene Supervisoren im Bereich der Verhaltenstherapie. Sie haben das Buch aus der Perspektive von Ausbildern gelesen. Martin Fernholz ist Lehrer. Er hat das Buch aus dem Blickwinkel der pädagogischen Anwendbarkeit auch außerhalb von Therapiegruppen überprüft.
Prof. Fritz Hohagen, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, hat an der Universität zu Lübeck die Voraussetzungen für eine besondere Kultur der Psychotherapie innerhalb der Psychiatrie geschaffen. Dies hat die Arbeit an den in diesem Buch dargestellten Konzepten und Methoden ermöglicht.
Der Kohlhammer Verlag unter Leitung von Herrn Dr. Ruprecht Poensgen hat unsere Arbeit liebevoll betreut.
Zielsetzung des vorliegenden Buches ist es, praktische Hilfe bei der Planung und Umsetzung von gruppentherapeutischen Methoden und Techniken zu bieten. Dazu werden die (manchmal versteckten) grundlegenden Prinzipien der einzelnen gruppentherapeutischen Verfahren und Methoden transparent gemacht. Das Buch verarbeitet eigene Erfahrungen, die Erfahrungen von Kollegen, Supervisanden und Patienten mit verschiedenen gruppentherapeutischen Methoden sowie den Dialog mit den Teilnehmern unserer Gruppentherapieworkshops. Es ist nicht als eigenständiges Manual intendiert, sondern will als Praxishandbuch Orientierung für die Umsetzung von Manualen geben und die Arbeit mit transdiagnostischen, einzelfallorientierten Gruppen fördern.
Das Manual versteht sich der dritten Welle der Verhaltenstherapie zugehörig. Dementsprechend werden psychische Störungen prioritär mit Fertigkeitendefizit-Modellen erklärt. Therapeutische Interventionen werden von den Fragen geleitet: Was soll der Patient lernen? Welche Verhaltensfertigkeiten braucht er? Welche metakognitiven Fertigkeiten braucht er? Welche Werte und Ziele hat er? Welche Erfahrungen braucht er? Welche Fertigkeiten stehen ihm zur Verfügung, um eigene Bedürfnisse wahrzunehmen und zu befriedigen?
Das Buch will Sie als Leser dazu befähigen, Sie dabei unterstützen und ermutigen, verschiedene Formen von verhaltenstherapeutischen Gruppen anzubieten:
• Transdiagnostische Gruppen sind Gruppen, in denen Patienten mit heterogenen psychischen Störungen behandelt werden können. Dabei stehen die individuellen Bedürfnisse und Fertigkeitendefizite im Vordergrund. Die transdiagnostische Gruppe ist eine generische, verhaltenstherapeutische Methode der Gruppentherapie, die flexibel an Gruppen mit heterogenen Störungen und Bedürfnissen angepasst werden kann.
• Problemlösegruppen unterstützen die Patienten beim Erwerb von Fertigkeiten zur Problemlösung.
• Störungsspezifische Gruppen vermitteln Störungswissen und Fertigkeiten, die von besonderer Relevanz für bestimmte Störungsgruppen sind.
Der Aufbau des Buches ist wie folgt:
Zuerst werden die allgemeinen Faktoren und Prinzipien erklärt, die der Arbeit mit verhaltenstherapeutischen Gruppen zugrunde liegen. Hierbei geht es für den Leser vor allem darum, die Gemeinsamkeiten und Unterschiede der verschiedenen vorhandenen Modelle von Gruppentherapie genau kennenzulernen.
Anschließend werden drei Gruppen exemplarisch in Transkripten vorgestellt und kommentiert: eine transdiagnostische Gruppe über mehrere Sitzungen, eine Problemlösegruppe und eine Essstörungsgruppe als Beispiel für eine störungsspezifische Gruppe. Diese Transkripte beschreiben modellhaft, wie verhaltenstherapeutische Gruppen verlaufen, wenn grundlegende Faktoren gegeben sind. Lassen Sie sich nicht irritieren, wenn Ihre eigenen Patienten schwieriger sind. Auch unsere eigenen Gruppen verlaufen nie auf Dauer problemlos. Der dritte Teil des Buches legt daher den Fokus auf weitere Therapeutenfertigkeiten, die dabei helfen Schwierigkeiten vorzubeugen oder zu überwinden, die sich aus bestimmten Gruppensituationen oder aus der Psychopathologie der Teilnehmer ergeben.
Wenn Sie dieses Buch optimal nutzen wollen, ist es sinnvoll, es zweimal zu lesen. Insbesondere nach der Lektüre des zweiten und dritten Teils, in dem Fallbeispiele dominieren, sollten Sie noch einmal den ersten Teil lesen, um zu einem vertieften Verständnis der grundlegenden Prinzipien zu kommen.
Soweit im nachfolgenden Text personenbezogene Bezeichnungen im Maskulinum stehen, werden diese Formen verallgemeinernd verwendet und beziehen sich auf beide Geschlechter (generisches Maskulinum). Aus Gründen der sprachlichen Einfachheit und Lesbarkeit sprechen wir von Patient und Therapeut, wohl wissend, dass beide Geschlechter Therapeutinnen oder Patientinnen sein können. Insgesamt betreffen die in diesem Buch behandelten Situationen Frauen und Männer in ähnlicher Weise.
Alle in diesem Buch dargestellten Fallgeschichten basieren auf persönlichen Erfahrungen mit konkreten Patientinnen und Patienten und konkreten Therapeutinnen und Therapeuten. Alle Namen sind jedoch fiktiv. Weiterhin sind alle Merkmale, die eine Identifizierung bestimmter Personen ermöglichen würden, verfremdet.
Wir wünschen Ihnen eine anregende Lektüre und viel Erfolg bei der Umsetzung.
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Kooperation mit anderen Menschen ist ein zentrales Merkmal des Verhaltens (Rand & Nowak, 2013). Er wächst in Gruppen auf, er lernt, studiert, arbeitet und verbringt seine Freizeit häufig in Gruppen. Gruppen prägen das Verhalten, das emotionale Erleben und Bewertungsprozesse. Die meisten Menschen verbringen nur den kleineren Teil ihres Lebens alleine oder in geschützten Zweierbeziehungen. Die Psychotherapie war von ihren Ursprüngen her in einer geschützten dyadischen Beziehung angesiedelt. Auch die Psychotherapieausbildung war immer sehr stark auf die Einzeltherapie ausgerichtet. Trotz dieser Ausgangsbedingungen hat sich die Gruppentherapie sehr dynamisch entwickelt. Die Methoden der Gruppentherapie gewinnen in der Anwendung in Kliniken und Praxis eine zunehmende Bedeutung. Viele verhaltenstherapeutische Gruppentherapiemethoden sind sehr gut evidenzbasiert. Störungsspezifische Gruppentherapien sind in der Regel bezüglich ihrer Prinzipien und Inhalte detailliert manualisiert, werden durch gut ausgearbeitete Materialien unterstützt und können dadurch ohne hohen Aufwand in standardisierter Qualität angeboten werden. Eine Gruppentherapie spart nicht nur Behandlungskosten, sie hat auch mit der Einzeltherapie gemeinsame sowie zusätzliche Wirkfaktoren und ist ihr in der Gesamtwirkung zumindest ebenbürtig. Gruppentherapie ist aufgrund der spezifischen Übungsmöglichkeiten die Methode der ersten Wahl bei Störungen mit Problemen der sozialen Kommunikation. Die Durchführung einer Gruppentherapie ist allerdings auch mit spezifischen Problemen verbunden. Die Einarbeitung in gruppentherapeutische Methoden erfolgt häufig durch Versuch und Irrtum oder durch Orientierung am Modell erfahrener Kollegen. Aus der Patientenperspektive werden Gruppen gelegentlich als verunsichernd oder unstrukturiert wahrgenommen. Viele Therapeuten fühlen sich durch Gruppentherapien überlastet und ziehen die Einzeltherapie vor. Die Patienten können dann die Wirkfaktoren der Gruppentherapie nicht für sich nutzen.
Psychotherapie, wie wir sie heute betreiben, ist im Vergleich zu anderen medizinischen Richtungen eine junge Wissenschaft. Erst durch die verdienstvollen Arbeiten von Sigmund Freud haben wir begonnen, psychische Prozesse, also das Denken, die Emotionen und das Verhalten des Menschen und die zugrundeliegenden Mechanismen in der heutigen Form zu erforschen. Die ersten psychotherapeutischen Interventionen waren dabei auf die Einzeltherapie ausgerichtet. Gruppentherapeutische Konzepte entstanden zunächst in der Übertragung des einzeltherapeutischen Wissens auf eine Gruppe. Überwiegend handelte es sich dabei um psychisch gesunde Menschen, die den Wunsch hatten, innerhalb einer Gruppe mehr über sich zu erfahren. Es ging also vielfach um Selbsterfahrung und nicht um die Psychotherapie psychisch kranker Menschen.
Bereits 1905 begann Josef Pratt damit, seine Patienten auf einer Tuberkulosestation in Gruppen über ihre Erkrankung aufzuklären und ihnen Bewältigungsstrategien zu vermitteln (Barlow, Burlingame, & Fuhriman, 2000). Es handelte sich dabei um Gruppen mit bis zu 80 Erkrankten. Pratt leitete die Gruppe gemeinsam mit einem Patienten, der für die anderen Teilnehmer eine Modellfunktion hatte. Von seinem Leitungsstil her war Pratt eher dominant und entsprach einer »Vaterfigur«. Ziel seiner Gruppenarbeit war es, das Denken über die Erkrankung zu verändern. Sein Konzept war sehr erfolgreich und wurde auf unterschiedliche Krankheitsbilder übertragen. Das war vermutlich die Geburtsstunde der störungsspezifischen Gruppentherapie, die durch die Verhaltenstherapie viele Jahre später wieder aufgegriffen wurde.
Ein wichtiger Pionier in den 1930er Jahren war Jacob Levy Moreno, der das Konzept der Gruppentherapie erstmals auch der American Psychiatric Association vorstellte (Hutter & Schwehm, 2009). Wichtige Protagonisten der Nachkriegszeit waren Carl Rogers (Rogers, 1969) und Irwin Yalom (Yalom & Leszcz, 2005). Rogers entwickelte die »Encounter«-Gruppen. In diesen »Begegnungsgruppen« ging es um die Selbsterfahrung von im Sinne des DSM vermutlich weitgehend gesunden Gruppenteilnehmern. Ziele waren psychische Weiterentwicklung und Wachstum. Die Sitzungen begannen mit emotionsaktivierenden Warming-up-Übungen, die bei den Teilnehmern emotionale Themen und Reaktionen auslösten. Die Bearbeitung fand immer bei dem Teilnehmer statt, der die höchste emotionale Reaktion gezeigt hatte. Damit ergab sich die Themenauswahl anhand »emotionaler Betroffenheit« anstelle einer »Mehrheitsentscheidung«. Die humanistische Psychotherapie geht von einem gesunden, positiven und entwicklungsfähigen Menschenbild aus. Vor diesem Hintergrund konnte eine bestimmte Erfahrung mithilfe der Gruppendynamik beim Erleben von intensiven Emotionen bereits als ausreichend angesehen werden, um Veränderung bei einem Individuum zu bewirken. Ausgehend von einem psychisch gesunden Teilnehmer der Gruppentherapie ist diese Hypothese zutreffend. Lerntheoretische Gesetzmäßigkeiten belegen ebenfalls, dass psychisch gesunde Menschen ihr Verhalten auf positive und negative Rückmeldungen aus der Umwelt ausrichten können. Im Besonderen wurde hier auch vorausgesetzt, dass die Teilnehmer der Gruppe in der Lage sind, wenn sie erkannt haben, was das richtige Vorgehen ist, dieses auch in ein konkretes Verhalten umzusetzen und bereits über die dazu notwendigen Fertigkeiten verfügen.
In den folgenden Jahren zeigte es sich jedoch, dass Gruppenteilnehmer, die unter einer erhöhten allgemeinen Symptombelastung standen, anders reagierten. Ein angemessener Transfer von Erfahrungen aus der Gruppendynamik und des eigenen emotionalen Erlebens in der Gruppe in das reale Leben außerhalb fand bei diesen Gruppenteilnehmern nicht statt. Obwohl wichtige Erfahrungen gemacht wurden, konnten einige Gruppenteilnehmer nicht das für ihren Alltag Notwendige lernen. Manche waren sogar so verunsichert, dass sie mit zusätzlichen Problemen aus der Gruppe gingen. Andere suchten immer wieder das »kathartische« Erleben in einer Gruppe und entfernten sich von der Lösung ihrer alltäglichen Probleme. Für diese Teilnehmer wurden andere Gruppenformen notwendig.
Irwin Yalom hat sich intensiv mit den genannten Nebenwirkungen von Encounter Groups auseinandergesetzt (Lieberman, Yalom, & Miles, 1973). Sein eigenes Modell der interpersonellen Gruppentherapie schöpft sowohl aus der humanistischen als auch aus der psychodynamischen Gruppentherapie. Im Mittelpunkt dieses interaktionellen Gruppenkonzepts stehen korrektive emotionale Erfahrungen. Der Gruppenleiter arbeitet darauf hin, dass Spannungen aus Übertragungsprozessen abgeschwächt und Erfahrungen aus der Vergangenheit ins »Hier und Jetzt« geholt werden. Eine wichtige Leistung von Yalom ist die Identifikation der Wirkfaktoren der Gruppentherapie.
Die Entwicklung der Verhaltenstherapie kann in drei »Wellen« eingeteilt werden (Dimidjian et al., 2016; Kahl, Winter, Schweiger, & Sipos, 2011). In der ersten Welle, die in den 1950er Jahren begann, ging es um die direkte Umsetzung der neuen Erkenntnisse der Lerntheorie in psychotherapeutische Techniken. Folgende Techniken sind in dieser ersten Welle verwurzelt: Verhaltensanalyse, Verhaltensaufbau, Exposition, verschiedene Formen von Verhaltenstraining (Soziales Kompetenztraining, Problemlösetraining, Kommunikationstraining), Stimuluskontrolle und Selbstbelohnung.
In der zweiten Welle der Verhaltenstherapie (Kognitive Verhaltenstherapie, KVT), die in den 1960er Jahren begann, steht die Informationsverarbeitung im Vordergrund, mit Veränderungen der kognitiven Inhalte oder Selbstinstruktionen. Die kognitive Verhaltenstherapie wurde in den letzten Jahrzehnten störungsspezifisch ausdifferenziert, sodass für einen großen Anteil der im DSM definierten Störungsgruppen KVT-Manuale zur Verfügung stehen. Weiterhin erfolgte eine Ausdifferenzierung nach Zielgruppen, beispielsweise ältere Patienten, Jugendliche oder Patienten mit malignen Erkrankungen, Diabetes oder koronarer Herzkrankheit.
In der sogenannten dritten Welle der Verhaltenstherapie stehen seit den 1990er Jahren Fertigkeitendefizite im Vordergrund, d. h. die Frage, was muss der Patient lernen, damit er seine Störung überwinden kann. Die Antworten sind dabei durchaus heterogen: Emotionsregulation (Dialektisch-behaviorale Therapie; (Linehan 2014), operatorisches Denken (Cognitive Behavioral Analysis System of Psychotherapy; McCullough 2006; McCullough Jr et al. 2012) neue metakognitive Strategien (Metakognitive Therapie; Fisher & Wells 2014; Wells et al., 2011), Achtsamkeit (Achtsamkeitsbasierte Therapien; Segal et al. 2012), eigene Modi erkennen und wechseln (Schematherapie; Arntz et al. 2010), psychologische Flexibilität und werteorientiertes Handeln (Acceptance and Commitment Therapy; Hayes, Strohsahl, & Wilson, 2012; Villatte, Villatte, & Hayes, 2016).
Die Gruppentherapie war von Beginn der Verhaltenstherapie an ein wesentliches Element der Umsetzung von Therapieprogrammen. Viele verhaltenstherapeutische Techniken erfordern die Interaktion mit anderen Menschen und sind deshalb in der Gruppe besser umsetzbar als in der Einzeltherapie. Ein wesentlicher Teil der Evidenzbasierung der modernen Verhaltenstherapie beruht auf Studien, bei denen die Gruppentherapie, häufig in Verbindung mit einer Einzeltherapie, zum Einsatz kam.
Die Kenntnis der Entwicklung der Gruppentherapie ist wesentlich zum Verständnis der Leitmotive für die jeweilige Therapiemethode:
• Welches Verhalten soll der Patient lernen oder nicht mehr zeigen? (erste Welle)
• Welche Einstellungen oder Bewertungsmuster soll der Patient neu erwerben oder korrigieren? Welche Informationen braucht er? (zweite Welle)
• Welche Verhaltensfertigkeiten oder metakognitive Fertigkeiten braucht der Patient? Worauf soll er sein Handeln und seine Aufmerksamkeit ausrichten? Welche Erfahrungen soll er machen? (dritte Welle)
Die Gruppentherapie ist ein entscheidend anderes Setting als die Einzeltherapie. Auch in der Gruppentherapie sind die allgemeinen Wirkfaktoren der Psychotherapie wirksam. Darüber hinaus sind mit ihr aber Wirkfaktoren verbunden, die entweder spezifisch für die Gruppentherapie sind oder sich in ihr besonders gut umsetzen lassen (Yalom 2010). Die beschriebenen Wirkfaktoren sind über verschiedene Methoden und Verfahren hinweg gültig. Die einzelnen Methoden setzen allerdings sehr unterschiedliche Schwerpunkte.
Die Teilnahme an einer Gruppentherapie führt zu neuen Erfahrungen und Fertigkeiten, die typischerweise das Selbstbild verändern. Verhaltensbezogene Störungsmodelle können in Gruppentherapien nicht nur intellektuell verstanden werden. Die Anwendung der Modelle auf die eigene Situation und die Situation der anderen Gruppenmitglieder macht die tatsächliche Passung dieser Modelle auch erlebbar. Selbstöffnung, erfolgreiche Problemlösung und die Teilnahme an Rollenspielen verändert die Einstellungen zur eigenen Person, wie »ich bin zu schüchtern«, »ich kann mich nicht durchsetzen« oder »niemand interessiert sich für mich«. Derartige Einstellungen sind häufig weniger das Resultat einer verzerrten Informationsverarbeitung, als ein Epiphänomen fehlender interpersoneller Fertigkeiten und Erfahrungen. Die systematische Aufarbeitung von Problemen in der Gruppentherapie führt auch zu einer erhöhten Klarheit über die eigenen Werte und Ziele. Dabei ist sowohl die Erarbeitung von Gemeinsamkeiten wie auch Unterschieden bedeutungsvoll. Insgesamt kann die Gruppentherapie zu einem verbesserten Gleichgewicht zwischen Selbstakzeptanz und Selbstkritik und zu günstigeren Modellen in der Betrachtung des eigenen Verhaltens führen (dynamische, lerntheoretisch informierte, auf Fertigkeiten bezogene Modelle versus statischer charakterologischer Zuschreibungen).
Gruppen bieten die Möglichkeit, in einer geschützten Umgebung bisher vermiedene, schambesetzte Erlebnisse, Gedanken oder Gefühle zu offenbaren (Selbstöffnung). Die Gelegenheit, sich offen zu äußern, anstatt Informationen für sich zu behalten, Emotionen zu unterdrücken oder zu vermeiden, und das Ausbleiben von negativem Feedback können mit einem extremen Gefühl von Erleichterung (Katharsis) verbunden sein. Die Angemessenheit der Emotionen, die Option, mit oder entgegen der Emotion zu handeln, kann mithilfe der anderen Gruppenmitglieder überprüft und, wenn notwendig, korrigiert werden. Die Gruppenteilnehmer erlernen so, Emotionen wirkungsvoll auszudrücken und für ihre Handlungssteuerung zu nutzen. Gruppentherapie ermöglicht auch zu lernen, wie man die Unterstützung anderer Menschen nutzen kann, um eigene Emotionen zu steuern (interpersonelle Emotionsregulation; Reeck, Ames, & Ochsner 2016; Zaki & Williams 2013).
Gruppen bieten eine Gelegenheit zur Schulung der sozialen Kompetenz. Besonders günstig ist, dass die Risiken, die mit dem Lernen nach Versuch und Irrtum in der häuslichen oder beruflichen Umgebung verbunden sind, in der therapeutischen Gruppe fehlen oder erheblich abgeschwächt sind. Die Gruppe bietet ein Feld für ernsthafte Verhaltensexperimente mit Feedback, das nicht durch Übervorsicht, falsche Rücksichtnahme oder Konkurrenz geprägt ist. Durch gezielte Verhaltensproben interpersonellen Verhaltens kann der Schwierigkeitsgrad individuell variiert werden bzw. günstige Varianten können ausgewählt werden (operantes Lernen). Dadurch ist ein programmierter Erfolg möglich. Verhalten, das anderen Gruppenteilnehmern dabei hilft, Probleme zu bewältigen, kann imitiert werden (Lernen am Modell).
Herr Mikelsen, ein 45-jähriger Mann, mit chronischer Depression und einer vermeidenden Persönlichkeitsstörung, möchte gerne seine Woche Bildungsurlaub wahrnehmen, um in London einen Englischsprachkurs zu machen. Er befürchtet, dass sein Chef seinen Wunsch entweder abweist oder ihn lächerlich macht. Er hat von einem Kollegen gehört, dass der Chef in solchen Fällen immer sagt »Ja, ja, diese Sprachkurse in der Südsee, das dient doch nur der Erholung«. Herr Mikelsen befürchtet, dass seine Antwort darauf dann zu aggressiv ausfällt und die Beziehung zum Chef beschädigt. Die Therapeutin schlägt vor, mehrere Skripte mit unterschiedlicher »Aggressivität« zu entwickeln, im Rollenspiel zu überprüfen, Feedback einzuholen und dann die günstigste Variante auszuwählen.
Kommentar: Das geschilderte Anliegen ist typisch für eine Situation, die im Alltagsleben nur beschränkt geübt werden kann, da es sich um eine nicht ständig wiederkehrende Interaktion handelt und ein unangemessenes Verhalten in dieser Situation real negative Konsequenzen hätte. In der Gruppe kann die Situation fiktiv so lange durchgespielt werden, bis sie »passt« und der Protagonist nicht nur einen Plan, sondern auch die notwendigen prozeduralen Fertigkeiten hat, um in der realen Situation zielorientiert zu handeln. Die Gruppenteilnehmer können so ihre interpersonellen Fertigkeiten im Umgang miteinander aber auch mit Außenstehenden verbessern. Vertrauen in andere Menschen entsteht dadurch, dass das Feedback der anderen Gruppenteilnehmer günstige Konsequenzen auf die Lebensumwelt des Patienten hat. Scham wird reduziert, indem die Fehler und Schwierigkeiten anderer Gruppenmitglieder bei schwierigen interpersonellen Situationen und der wohlwollende Umgang der Gruppe damit beobachtet werden können. Günstig ist eine Einschätzung des Schweregrades auf einer Skala von 1 bis 10. Ein gutes Übungsfeld ist der mittlere Bereich. Die Situation kann wiederholt in diesem Bereich geübt werden. In transdiagnostischen Gruppen erfolgt eine gezielte Verhaltensformung durch Rückmeldungen nach festgelegten Regeln. In interaktionsorientierten Gruppen wird auf Entwicklungs- und Wachstumsprozesse innerhalb der Gruppe gesetzt.
Die Gruppentherapie und die damit verbundene Auseinandersetzung mit dem eigenen Schicksal, wie auch dem der Mitpatienten, und die dadurch ausgelösten sozialen Vergleichsprozesse und das Beschäftigen mit Werten und Zielen kann zu einer Besinnung auf existenzielle Faktoren führen: zur Akzeptanz sowohl der ungerechten, tragischen, vergänglichen wie auch lustvollen Seite des Lebens, und zur Konzentration auf das, was wirklich wichtig ist.
Eine kooperative Arbeitshaltung, das Zusammengehörigkeitsgefühl der Gruppe und die gegenseitige Akzeptanz führen dazu, dass andere Mitglieder der Gruppe aktiv unterstützt werden und der Patient Bedeutung für andere gewinnt. Diese Erfahrung, die sich nur aus der Gruppentherapie, nicht aber aus einer Einzeltherapie ergibt, hebt die soziale Isolation auf und führt zum Erleben von Sinnhaftigkeit, während sozialer Ausschluss zu einem Verlust von subjektiver Sinnhaftigkeit führt (Lambert et al. 2013; Stillman et al. 2009).
Die Erfahrung der Zusammenarbeit in einer Gruppe führt zu einem Zusammengehörigkeitsgefühl. Diese Erfahrung hebt die Einsamkeit auf und stellt ein Gegengewicht zur Scham dar. Hohe Gruppenkohäsion führt zu niedrigeren Drop-out in Gruppentherapien und besseren Therapieergebnissen (Burlingame, McClendon & Alonso 2011; Norton & Kazantzis 2016).
Psychisch Kranke haben oft die Wahrnehmung, dass sie mit ihren Problemen alleine sind. In ihrer häuslichen Umgebung oder am Arbeitsplatz und im Zusammenleben mit psychisch Gesunden entspricht dies auch vielfach der Realität. Die Einzeltherapie ist von ihrem Setting her eine Wiederholung dieser Situation: Der Kranke trifft auf einen gesunden Fachmann. In der Gruppe zu erfahren, dass auch andere Menschen ähnliche Probleme, Symptome, innere oder äußere Erfahrungen haben, reduziert Scham und Resignation und wirkt dem Gefühl der Einsamkeit und Isolation entgegen. Leiden als universellen Zustand der Condition humaine zu sehen ist adaptiver, als das Glück als normativen Zustand zu betrachten. Glück direkt anzustreben, kann unglücklich machen (Ford et al. 2015; Mauss, Tamir, Anderson & Savino 2011; Paulson, Azzarelli, McMahon & Schwartz 2016). Menschen, die die Universalität des Leidens anerkennen, haben es leichter, Mitgefühl zu entwickeln.
Die Gruppentherapie führt bei den Patienten zu einem verbesserten Wissen über ihre Erkrankung, die Behandlungsmöglichkeiten sowie auch zu Allgemeinwissen über psychische Mechanismen und die Möglichkeiten, Probleme zu lösen. Es ist einfacher psychische Mechanismen bei anderen zu studieren, als in der Einzeltherapie nur das eigene Beispiel zu haben. An den Beispielen der Mitpatienten lernen, die aus einer ähnlichen Lebenssituation kommen, ist auch deswegen leichter, weil die emotionale Betroffenheit dann etwas geringer ist. Gezielte Psychoedukation reduziert Ängste und Unsicherheiten und führt zu einem besseren Selbstwertgefühl der Patienten. Sie lernen über ihre Erkrankung zu kommunizieren, wodurch auch ihre Kontaktfähigkeit zu Nichtkranken verbessert wird.
Familiäre, schulische oder berufliche Situationen führen manchmal zu dysfunktionalen Rollenzuweisungen, die dann außerhalb der ursprünglichen Gruppe fortleben, z. B. die Aufgabe, unter allen Umständen die Verantwortung zu übernehmen oder für Ordnung zu sorgen. Da die Einzeltherapie das hieraus resultierende Problemverhalten nicht aktiviert, sind Gruppen hier deutlich besser geeignet, um korrigierende Erfahrungen zu machen. Spezifische Interventionen wie Rollenspiele oder Imagery Rescripting (Hackmann, Bennett-Levy & Holmes 2011) können die Neueinordnung früherer Erfahrungen durch die Mitwirkung von Mitpatienten begünstigen.
Das Vorbild von weiter fortgeschrittenen Mitpatienten führt zu einer verbesserten Handlungsorientierung. Beobachtete erfolgreiche Problemlösungen bei anderen Patienten machen Mut, eigene Verhaltensexperimente zu unternehmen, und geben Hoffnung, Probleme zu bewältigen. Das trifft ganz besonders auf offene Gruppen mit heterogenen Teilnehmern zu.
Das Überprüfen von Fakten ist in der Gruppe einfacher als in der Einzeltherapie. Die in einer Gruppe wahrnehmbare Vielfalt von kognitiven Prozessen führt zu einer Flexibilisierung eigener inhaltlich kognitiver wie auch metakognitiver Prozesse. Die Durchführung von verhaltenstherapeutischen Techniken wie Verhaltensanalyse (SORK), Situationsanalyse (SA) oder Kognitionsanalyse (ABC-Modell) und der zugehörigen Verhaltensexperimente sind in der Gruppe einfacher und anregender als in der Einzeltherapie.
Frau Yilmaz, eine 45-jährige Verkäuferin, befand sich wegen einer Depression und einer generalisierten Angststörung in ambulanter gruppentherapeutischer Behandlung. Eines ihrer zentralen Symptome waren Schlafstörungen. Die meisten Nächte lag sie wach und machte sich Sorgen um ihre 19-jährige Tochter Aisha. Frau Yilmaz war 20 Jahre alt, als sie mit ihrer Familie aus der Türkei nach Deutschland immigrierte. Während sie selbst fast nur mit anderen Migrantinnen verkehrte, besuchte Aisha, eine kluge und lebhafte junge Frau, das Gymnasium und hatte fast nur deutsche Freundinnen, mit denen sie viel unterwegs war. Frau Yilmaz war der Meinung, dass sich jede Mutter in dieser Situation Sorgen machen würde. In der Gruppe lernte Frau Yilmaz die gleichaltrige Frau Wimmer kennen, die ebenfalls an einer generalisierten Angststörung litt, und freundete sich mit ihr an. Frau Wimmer machte sich ebenfalls Sorgen um ihre Tochter. Franziska war 17 Jahre alt, vermied es aufgrund einer sozialen Phobie, sich in der Schule zu melden und ging nie abends weg. Auch Frau Wimmer war der Meinung, dass sich jede Mutter in dieser Situation Sorgen machen würde. Frau Yilmaz war zunächst sehr erstaunt darüber, dass jemand sich völlig andere Sorgen machen konnte. Im Rahmen der Gruppentherapie, in der u. a. metakognitive Techniken vermittelt wurden, machten beide Frauen die Erfahrung, dass Sorgen ein ungeeignetes Instrument sind, um das Verhalten ihrer Töchter zu beeinflussen, und lernten auch, die Besonderheiten ihrer Kinder ganz neu wertzuschätzen.
Während die zweite Welle der Verhaltenstherapie einen Schwerpunkt darauf hat, problematische Kognitionen inhaltlich zu verändern, liegt in der dritten Welle der Verhaltenstherapie ein Fokus auf dem Einüben neuer Fertigkeiten. Da für das Üben neuer Fertigkeiten Gruppen einen günstigen Kontext darstellen, sind mehrere Methoden der dritten Welle sicherlich nicht zufällig als Gruppentherapien manualisiert und getestet: Dialektisch-behaviorale Therapie (Linehan 2014), Schematherapie (Fassbinder et al. 2016; Renner et al. 2013) und Mindfulness-based Cognitive Therapy (Galante, Galante, Bekkers & Gallacher 2014; Piet & Hougaard 2011). Lernen am Modell, gegenseitige Hilfestellung und Erfahrungsaustausch unterstützen den konkreten Erwerb von Fertigkeiten. Wichtig dabei sind Rollenspiele, Expositionsübungen, das Einüben von entgegengesetztem Handeln, sozialer Kompetenz, Achtsamkeit oder spannungsreduzierenden Maßnahmen.
Die Psychotherapie kann auf den Ebenen Verfahren, Methoden und Techniken beschrieben werden (WBP 2010). Ein Verfahren beschreibt eine eigenständige Theorie zur Entstehung und Behandlung von psychischen Störungen. Die Verhaltenstherapie, psychodynamische Psychotherapie, systemische Psychotherapie und die Gruppe der humanistischen Psychotherapien zählen zu den wichtigsten Verfahren.
Die psychodynamische Psychotherapie betont die Rolle von intrapsychischen und unbewussten Konflikten sowie von Abwehrmechanismen für die Entstehung psychischer Störungen. Sie geht davon aus, dass Psychopathologie vor allem in Erfahrungen der frühen Kindheit gründet und dass diese Erfahrungen die interpersonellen Beziehungen prägen. Ein weiteres Charakteristikum ist die Annahme, dass sich zentrale Lebensthemen in der therapeutischen Beziehung und in der Beziehung zur Gruppe als Übertragung und Gegenübertragung aktualisieren. Die freie Assoziation ist eine wesentliche Technik der Exploration interner Konflikte. Interpretationen von Übertragung, Abwehrmechanismen und Symptomen durch den Therapeuten sowie das Durcharbeiten aktueller Probleme sind wesentliche Behandlungstechniken. Einsicht wird als kritisch für den Erfolg der Therapie angesehen.
Die systemische Psychotherapie begreift Psychopathologie nicht primär aus dem Individuum heraus, sondern aus Systemen von dyadischen, familiären und gesellschaftlichen Beziehungen. Der Veränderungsansatz richtet sich dementsprechend an Systeme. Es geht um Veränderungen der Beziehungen und der Interaktion innerhalb von Systemen und Subsystemen. Dabei gibt es familientherapeutische und paartherapeutische Ansätze, aber keine spezifischen gruppentherapeutischen Interventionen. Typische Techniken sind: Genogrammarbeit, Erstellen von Familienskulpturen, Identifikation und Veränderung von expliziten und impliziten Familienregeln, generationsübergreifende Arbeit.
Die humanistische Psychotherapie fokussiert das Potenzial jedes einzelnen Individuums und betont die Bedeutung von Wachstum und Selbstverwirklichung. Eine grundlegende Annahme ist, dass Menschen grundsätzlich gut sind. Psychische und soziale Probleme resultieren aus einer Blockade der Tendenz zu Wachstum und Selbstverwirklichung. Die humanistische Psychotherapie benutzt von daher auch andere Begrifflichkeiten und spricht von Klienten und Klientenzentrierung. Die Gruppenleiter in den Encounter Groups verstehen sich als Facilitator, die den Prozess und die Klienten fördern.
Grundlage der Verhaltenstherapie ist die Annahme, dass Entstehung und Aufrechterhaltung von Psychopathologie durch Prozesse des Lernens und der Informationsverarbeitung durch das Individuum in seinem spezifischen Kontext erklärt werden. Der Fokus der einzelnen Methoden ist aber durchaus heterogen. Die Schwerpunkte liegen auf Konditionierungsprozessen, Prozessen operanten Lernens, Prozessen der kognitiven oder metakognitiven Informationsverarbeitung oder auf Defiziten bei verschiedenen Verhaltensfertigkeiten.
Methoden sind Algorithmen, die Gruppen von Patienten mit einer bestimmten Störung und gegebenenfalls weiteren Merkmalen mit einer bestimmten Auswahl und Intensität von einer oder mehreren Therapietechniken in Verbindung bringen. Die Verhaltenstherapie zeichnet sich durch eine große Vielfalt von Methoden aus. Diese Methoden sind eine wichtige Grundlage der psychoedukativen und störungsspezifischen Gruppenkonzepte. Das bedeutet, dass für eine bestimmte Zielgruppe entsprechend eines Störungsmodells eine spezifische Technikauswahl erfolgt, die dann in der Regel als Paket empirisch überprüft wurde. Die Rollen und Aufgaben des Gruppenleiters sind dabei genau festgelegt. Auch innerhalb der psychodynamischen, systemischen und humanistischen Verfahren sind unterschiedliche Methoden entstanden, welche die Rolle des Therapeuten entsprechend der Ausprägung der Störung bei den Patienten variieren.
Techniken sind einzelne abgegrenzte Interventionen, die geeignet sind, psychische Funktionen in hilfreicher Weise zu verändern. Beispiele für Techniken sind das Rollenspiel, Stuhltechniken oder Verhaltensanalysen. Einige Techniken finden sich jeweils nur bei der Verhaltenstherapie, der psychodynamischen Psychotherapie, der systemischen Psychotherapie oder den humanistischen Psychotherapiemethoden, andere Techniken kommen bei mehreren Verfahren zur Anwendung. Die Verfahren geben unterschiedliche Rationale für den Einsatz der jeweiligen Technik. Beispielsweise kann die Technik »Familienskulptur« sowohl im systemischen als auch im verhaltenstherapeutischen Kontext angewendet werden.
Bei der systemischen Psychotherapie würde man beim Einsatz der Familienskulptur daran denken, dysfunktionale Systeme zu beeinflussen, innerhalb derer der Protagonist möglicherweise »Symptomträger« ist. Im verhaltenstherapeutischen Kontext steht bei der Technik die Verdeutlichung der individuellen familiären Lerngeschichte im Vordergrund. Der Unterschied leitet sich aus den unterschiedlichen Störungstheorien auf der Ebene des Verfahrens ab. Ein weiteres Beispiel ist der Einsatz einer Technik, die ursprünglich aus der psychodynamischen Psychotherapie stammt, nämlich die Förderung der spontanen Interaktion unter den Gruppenteilnehmern in der verhaltenstherapeutischen Gruppentherapie. Diese Technik wird innerhalb der psychodynamischen Psychotherapie zur Intensivierung der Gruppendynamik angewendet. Die Gruppendynamik spielt in psychodynamischen Gruppen eine zentrale Rolle als Vehikel der Veränderung, da angenommen wird, dass sich in der Gruppendynamik die unbewussten Prozesse der Teilnehmer widerspiegeln. Durch Wechselwirkung, Rückmeldung und korrektive Erfahrungen werden Veränderungen unbewusster Prozesse beim Einzelnen erreicht. Die Anwendung der Technik in der Verhaltenstherapie erfolgt dagegen ausschließlich zielorientiert, um die notwendigen instrumentellen Gruppenbedingungen aufzubauen.
Eine Integration auf der Ebene des Verfahrens (Verhaltenstherapie, Psychodynamische Psychotherapie, Systemische Psychotherapie und Humanistische Psychotherapien) und der Methode in der Psychotherapie ist nicht möglich. Dies ergibt sich sowohl aus praktischen Erfahrungen, die im Weiteren dargestellt werden, wie auch aus wissenschaftstheoretischen Überlegungen. Der Versuch stellt eine Quelle für Therapeutenfehler und schwierige Gruppensituationen dar. Eine Integration auf der Technikebene ist dagegen möglich und empfehlenswert. Dies steht unter der Voraussetzung, dass entsprechende Rationale vorhanden sind, d. h., der Einsatz der Technik muss beispielsweise mit der Störungstheorie der Verhaltenstherapie und der Behandlungstheorie vereinbar sein. In diesem Kontext ist der Einsatz der Techniken »Arbeit mit leeren Stühlen« oder »Imagination« innerhalb der Verhaltenstherapie gut begründbar. Der Einsatz der Technik »Übertragungsdeutung« ist dagegen aus der Störungstheorie der Verhaltenstherapie nicht ableitbar.
Eine wissenschaftliche Überprüfung der Wirksamkeit von Psychotherapie kann entsprechend den Prinzipien der evidenzbasierten Medizin nur auf der Ebene des Einsatzes einer Methode erfolgen. Dabei wird, wie zuvor dargestellt, ein genau beschriebener Behandlungsalgorithmus bei einer genau definierten Zielgruppe mit einer anderen glaubwürdigen Methode, üblicher Standardbehandlung oder Nicht-Behandlung, verglichen. Verfahren entsprechen Theorien, d. h. auch, dass sie nicht bewiesen oder widerlegt werden können. Ihr Gültigkeitsbereich erweitert sich allerdings, wenn bei zugehörigen Methoden Wirksamkeit angenommen werden kann. Techniken können nicht unabhängig von einer Methode überprüft werden. Der Satz »Exposition ist wirksam« kann nicht allgemein gelten, sondern nur im Kontext einer konkreten Methode.
Eine vom wissenschaftlichen Beirat nur am Rande gestreifte Variable zur Beschreibung eines psychotherapeutischen Vorgehens ist das Setting. Psychotherapie kann als Einzeltherapie, Gruppentherapie, Paartherapie oder Familientherapie erbracht werden. Alle beschriebenen Verfahren nutzen alle diese Settings. Auf der Ebene der Techniken ist es allerdings so, dass sich nicht jede Technik für jedes Setting eignet und das Setting die Technikauswahl beeinflusst bzw. Techniken für den Einsatz in einem bestimmten Setting modifiziert werden müssen. Auf der Ebene der Methoden gibt es Manuale die sich ausschließlich auf ein bestimmtes Setting beziehen oder nur in einem bestimmten Setting evaluiert sind. Die Dialektisch-Behaviorale Therapie ist beispielsweise als Kombination von Einzel- und Gruppentherapie manualisiert und evaluiert, das CBT-E für Essstörungen ist sowohl in der Einzeltherapievariante wie in einer Gruppentherapievariante beschrieben und evaluiert. Metakognitive Therapie dagegen ist bisher nur für Einzeltherapie manualisiert. Für die Einordnung einer spezifischen Form von Gruppentherapie ist es deshalb wichtig zu bestimmen, welchem Verfahren sie sich zuordnet, welche Techniken angewendet werden und ob die Gruppentherapie die Gestalt einer Methode hat, das heißt Störungs- und Behandlungstheorie, Technikauswahl, Zielgruppe und Zeitablauf durch einen Algorithmus festgelegt sind.
Im Wesentlichen lassen sich drei Modelle der Gruppentherapiekonzepte unterscheiden. Die Unterschiede betreffen
• die angestrebte Binnenstruktur der Gruppe,
• das zugrundeliegende Verfahren und die damit zusammenhängenden Konzepte und Regeln,
• den Grad der Manualisierung.
Die Binnenstruktur des Gruppentherapiemodells sieht vor, dass alle Teilnehmer jederzeit mit jedem anderen Teilnehmer der Gruppe in einen Austausch gehen können (symbolisiert hier durch die Richtung der Pfeile). Modellkonform und erwünscht ist die aktive Beteiligung aller Teilnehmer während der gesamten Sitzung. Der Therapeut greift in der Regel nicht in den Gruppenprozess ein. Bei den streng ausgeführten Formen geht die therapeutische Abstinenz so weit, dass der Therapeut im Wesentlichen außerhalb der Gruppe ist. Er beobachtet und deutet am Ende der Sitzung das Verhalten der einzelnen Teilnehmer, ohne aktiv in den Gruppenprozess einzugreifen.
Bei interaktionsorientierten Gruppenkonzepten wird die Interaktion zwischen den Gruppenmitgliedern als das primäre Vehikel des Veränderungsprozesses angesehen (Burlingame et al. 2004). Die zugrundeliegende Idee ist, dass die Teilnehmer der Gruppe innerhalb der Gruppentherapie durch ihr Interaktionsverhalten einen Mikrokosmos schaffen, der den Makrokosmos, also ihr im realen Leben bestehendes Interaktionsverhalten, widerspiegelt. Die Gruppendynamik wird als ein wesentlicher Wirkfaktor für die Veränderung des Interaktionsverhaltens angesehen. Aus diesem Grund befindet sich der Gruppenleiter außerhalb der Gruppendynamik, er ist mehr Beobachter und deutet das Verhalten des Einzelnen innerhalb des Prozesses, greift aber nicht aktiv ein. Durch die entstehende Gruppendynamik, durch Rückmeldungen der anderen Teilnehmer und hilfreiche Deutungen des Therapeuten kann der einzelne Teilnehmer sein problematisches Beziehungsverhalten verändern. Eine Übertragung der Erfahrungen aus der Gruppensitzung auf die reale Lebenssituation des Gruppenteilnehmers ist kein zwingender Bestandteil der Gruppensitzung, sondern wird jedem Einzelnen überlassen. Es geht mehr um die korrigierenden Erfahrungen, die durch die Gruppendynamik gemacht werden, als um den strukturierten Aufbau von neuem Interaktionsverhalten. Es findet keine gelenkte Form der Kommunikation statt. Alle Teilnehmer können zu jeder Zeit miteinander in Interaktion treten. Vorrangig geht es um die Beziehung der Gruppenteilnehmer untereinander.
Das interaktionsorientierte Modell ist verbunden mit den tiefenpsychologischen und psychoanalytischen Therapieschulen. Einer deren erster Vertreter war Paul Ferdinand Schilder 1929 in New York. Aus der humanistischen Psychotherapie war besonders Carl Rogers, der Begründer der Gesprächspsychotherapie, ein bekannter Vertreter dieses Gruppentherapiemodells. Er führte Encounter-Gruppen (Begegnungsgruppen) durch, deren Ziel es war, persönliches Wachstum durch zwischenmenschliche Begegnungen zu fördern. Die Therapiesitzungen waren stets durch starke Emotionalität gekennzeichnet und beinhalteten eine Auseinandersetzung mit intensiven Grenzsituationen. Das Angebot der Gruppentherapie richtete sich nicht spezifisch an Menschen mit psychischen Erkrankungen, sondern vielmehr an psychisch gesunde oder allenfalls leicht kranke Menschen, die in der Lage waren, die Intensität der Gruppendynamik für sich zu nutzen. Bekanntester aktueller Vertreter des interaktionsorientierten Gruppentherapiemodells ist Irwin Yalom, der Begründer der interpersonellen Gruppentherapie.
Wenn spezifische Themen in den Sitzungen behandelt werden, dann sollten diese nach einem Mehrheitsprinzip ausgewählt werden, damit sich möglichst viele Teilnehmer angesprochen und zur Mitwirkung aufgefordert fühlen. Schlägt ein Teilnehmer ein Thema vor, so kann in der Bearbeitung ein anderer Teilnehmer das Thema aus seiner Sicht und nach seinen Wünschen fortführen. Entstehen während der Zusammenarbeit Unstimmigkeiten oder kommt es zu Störungen, die für den Einzelnen von Bedeutung sind, werden diesen Inhalten Vorrang in der Bearbeitung eingeräumt. Da »Störungen« jeglicher Art die Gruppendynamik beeinflussen und die Gruppendynamik als zentraler Wirkfaktor der Gruppentherapie angesehen wird, ist dieses Vorgehen logisch und notwendig. Diese Form der Gruppentherapie ist in den tiefenpsychologischen und psychoanalytischen Therapieschulen, in der Gesprächspsychotherapie und der interpersonellen Gruppentherapie verbreitet (Tschuschke 2001). Zur weiteren Differenzierung siehe (Kleinberg 2012).
Das interaktionsorientierte Modell der Gruppentherapie ist am besten geeignet, wenn die Teilnehmer der Gruppe über ein gutes Sozialverhalten und ausreichend seelische Gesundheit verfügen. Wenn jedoch die Gruppenteilnehmer eine deutliche Symptombelastung haben, dann kommt es bei Gruppen, die nach diesem Modell durchgeführt werden, leicht zu Situationen, in denen die Teilnehmer keine optimalen Lösungen mehr finden. Gegenseitige Grenzüberschreitungen und das Eskalieren von schwierigen Gruppensituationen können nicht mehr mit Sicherheit ausgeschlossen werden.
In der einzelfallorientierten Gruppentherapie steht die Bearbeitung der psychischen Probleme eines Teilnehmers für eine bestimmte Zeit im Mittelpunkt. Der im Mittelpunkt stehende Patient übernimmt die Rolle des Protagonisten. Esgeht um das von ihm eingebrachte Thema. Gemeinsam mit dem Therapeuten bestimmt er, was er bezüglich des Themas in der Therapiesitzung erreichen möchte und mit welcher Technik die Zielerreichung durchgeführt wird. Die Aufgabe der Mitpatienten besteht darin, den Protagonisten in seiner Zielerreichung zu unterstützen. Die Aufmerksamkeit der Gruppenteilnehmer und des Therapeuten – symbolisiert durch die Pfeile – richtet sich auf die Unterstützung des Protagonisten. Der die Gruppe umgebende Kreis symbolisiert die zusätzliche Aufgabe des Therapeuten, die notwendigen Rahmenbedingungen für eine funktionsfähige Gruppe herzustellen. Die Kommunikation in der Gruppe erfolgt nach festgelegten Strukturen. Während der Bearbeitungsphase ist es nicht erwünscht, dass der Fokus von dem Protagonisten zu einem anderen Mitpatienten wechselt.
In den einzelfallorientierten Gruppen steht immer die Bearbeitung der psychischen Probleme oder das zuvor festgelegte Thema eines Protagonisten im Vordergrund. Es werden keine Themen nach Mehrheitsinteresse ausgewählt, sondern vor allem persönliche, die Lebensgeschichte des Einzelnen betreffende und außerhalb der Gruppentherapie angesiedelte, individuelle Themen. Natürlich kennen alle anderen Gruppenteilnehmer ähnliche Probleme oder Lebenssituationen, aber in der Bearbeitung geht es immer um die ganz individuelle Situation des Protagonisten. Zu diesen Formen der gruppentherapeutischen Konzepte zählt die Gestalttherapie nach Fritz Perls (Perls 2007), das Psychodrama nach Jacob Levy Moreno (Moreno 2007) und im Bereich der Verhaltenstherapie die transdiagnostische Gruppentherapie, wie sie in diesem Buch ausführlich beschrieben wird. In den 1970er Jahren begann Grawe die ersten einzelfallorientierten, verhaltenstherapeutischen Gruppen zu beschreiben (Grawe 1980). Dabei wurden lerntheoretische Erkenntnisse und das Problemlösemodell nach Marvin Goldfried und Thomas D’Zurilla (D’Zurilla & Goldfried 1971) auf die Gruppentherapie übertragen. Nachfolgend waren zieloffene Gruppen das gängige Konzept für verhaltenstherapeutische, diagnoseübergreifende Gruppen (Fiedler 2005). Das hier vorgestellte Konzept der transdiagnostischen Gruppe steht in der Tradition der zieloffenen und der Problemlösegruppen. Es wurden wesentliche Prinzipien übernommen, im Rahmen der Praxisrelevanz jedoch auch überarbeitet und konkretisiert.
Die Gemeinsamkeit dieser beiden Modelle besteht darin, dass es eine freie Themenwahl durch die Teilnehmer der Gruppentherapie gibt. Für beide Modelle gilt auch, dass die behandelten Themen nicht von dem Therapeuten vorgegeben werden und dass es keine diagnostischen Festlegungen gibt. Die Teilnehmer der Gruppe können unterschiedliche Diagnosen haben oder auch ganz ohne konkrete Störungsbilder an der Gruppe teilnehmen.
Die interaktionsorientierten Gruppenkonzepte sind im psychodynamischen Verfahren verankert. Ausgangspunkt ist hierbei die Theorie, dass psychische Störungen eine Folge von nicht bewältigten, in der Regel unbewussten Konflikten sind. Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, dass die Aufgabe der Gruppentherapie darin gesehen wird, Bedingungen zu schaffen, durch welche diese Konflikte aktualisiert und in das Bewusstsein der Person integriert werden können. Die Gruppendynamik, Deutungen, Übertragungs- und Gegenübertragungsphänomene und Rückmeldungen sowohl von den Therapeuten als auch den anderen Gruppenmitgliedern sind Techniken, mittels derer bei den Patienten die unbewussten Konflikte aktualisiert werden.
In der einzelfallorientierten Gruppentherapie steht ein Patient für eine bestimmte Zeit im Mittelpunkt der Sitzung. Es geht dabei um seine Lerngeschichte und seine Fertigkeitendefizite. Ausgangspunkt ist hier die Theorie, dass die persönliche Lerngeschichte oder auch die traumatische Lebenssituation des Protagonisten Auslöser und aufrechterhaltender Faktor für die psychische Erkrankung ist. In der einzelfallorientierten Gruppentherapie geht es darum, diesen Patienten darin zu unterstützen, seine Fertigkeitendefizite durch das Erlernen der fehlenden Fertigkeiten auszugleichen. Die Mitpatienten haben die Aufgabe, den Protagonisten dabei zu unterstützen. Die angewandten Techniken sind darauf ausgerichtet, die jeweiligen Ziele, die der Protagonist im Vorfeld formuliert hat, zu erreichen. Dabei können alle Techniken, die zielführend sind, eingesetzt werden. Meistens handelt es sich dabei um Rollenspiele, Verhaltensproben, Verhaltensanalysen, Expositionsübungen, unterschiedliche Stühleübungen, das Erstellen von Skulpturen usw.
Bei der Durchführung unterscheiden sich die beiden Gruppenmodelle deutlich:In der einzelfallorientierten Gruppe steht die Bearbeitung der psychischen Probleme des einzelnen Gruppenmitglieds im Mittelpunkt. Nach der Eröffnungsrunde wird bestimmt, welcher Teilnehmer der Gruppe für die Sitzung die Protagonistenrolle einnehmen wird. Von dieser Zeit an steht er im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit der Gruppe, es geht dann um das von ihm eingebrachte Thema. Der Therapeut bestimmt mit dem Protagonisten gemeinsam das Ziel der Therapiesitzung und die Technik, die zur Zielerreichung eingesetzt wird. Der Protagonist steht während der gesamten Bearbeitungsphase im Mittelpunkt, er wird von den übrigen Teilnehmern der Gruppe und dem Therapeuten darin unterstützt, sein vorher festgelegtes Ziel zu erreichen. Die Interaktion in der Gruppe ist der Zielerreichung des Protagonisten untergeordnet und nicht als eigenständiges Element des Gruppenprozesses anzusehen. Während der Bearbeitung darf es nicht zu einem Wechsel der Aufmerksamkeit hin zu einem anderen Gruppenmitglied kommen. Der Patient, der sich in der Eröffnungsrunde exponiert hat, indem er sein Thema zur Bearbeitung angemeldet hat, bleibt die gesamte Zeit im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit und soll auch den größten Lerngewinn aus der Sitzung mitnehmen können. Die Mitpatienten haben den Protagonisten durchgängig unterstützt und an dem Beispiel der Problembearbeitung bei dem Protagonisten eigene Lernerfahrungen gemacht (Lernen am Modell). Über die Etablierung instrumenteller Gruppenbedingungen werden die Teilnehmer der Gruppe in die Lage versetzt, dem Protagonisten den notwendigen Raum zur Bearbeitung seines Themas zu ermöglichen.
Das Aufarbeiten von Konflikten in der Gruppe ist eine Technik, die in den interaktionsorientierten Gruppenmodellen verankert ist. Hierbei wird davon ausgegangen, dass Konflikte, die in der Gruppe mit den Mitpatienten entstehen, eine Wiederholung von Konflikten sind, die auch außerhalb der Gruppe eine wesentliche Rolle spielen. Durch die Bearbeitung der Konflikte als einen dynamischen Prozess und durch die Rückmeldungen der Mitpatienten kommt es zu wichtigen Erkenntnissen bei den Gruppenmitgliedern, die dadurch befähigt werden, ihr Verhalten zu korrigieren. Die Korrektur verläuft über die Erkenntnis, dass die Gruppe das gezeigte Verhalten als nicht sozial angemessen ansieht. Auf ein gezieltes Training dessen, wie das neue angemessene Verhalten aussehen soll, wird jedoch in der Gruppe nicht konkret eingegangen. Von dieser Art des Erlernens von sozial angemessenem Verhalten profitieren besonders die Teilnehmer einer Gruppe, die im Großen und Ganzen die erforderlichen Fertigkeiten in sozialen Situationen besitzen, aber nicht angemessen anwenden. Weniger profitieren Patienten, die aufgrund einer hohen Symptombelastung oder fehlenden Fertigkeiten nicht in der Lage sind, sich angemessen zu verhalten. Diese Patienten fühlen sich durch die Rückmeldung der Gruppenmitglieder häufig überfordert. Unerwünschte Verhaltensweisen nehmen dann zu.
In einzelfallorientierten, verhaltenstherapeutischen Gruppen werden Konflikte nicht als gruppendynamische Prozesse geregelt, sondern fokussiert auf den individuellen Patienten bearbeitet. Ausgangspunkt dabei ist die Hypothese, dass der Patient sein Verhalten aufgrund von Fertigkeitendefiziten zeigt. Hintergrund ist entweder ein externalisierendes oder ein internalisierendes Verhalten; zur Veränderung sind der Aufbau eines angemessenen Verhaltens und von Verhaltensfertigkeiten notwendig. Der Therapeut hat im Rahmen der Gruppentherapie die Aufgabe, die dazu notwendigen optimalen Lernbedingungen herzustellen. Das beinhaltet, dass das unerwünschte Verhalten von dem Therapeuten gestoppt wird und die individuelle Bearbeitung des Konflikts auf die Lernziele des Protagonisten ausgerichtet wird.
In interaktionsorientierten Gruppen werden überwiegend Themen bearbeitet, die sich aus der Interaktion der Gruppenmitglieder und aus der Gruppendynamik in der Gruppe ergeben. Themen, an denen möglichst viele Gruppenmitglieder interessiert sind, haben in der Bearbeitung eine höhere Priorität als Themen, die ausschließlich für das einzelne Gruppenmitglied von Bedeutung sind. Erwünscht ist bei der Bearbeitung der Themen, dass sich möglichst jeder Teilnehmer beteiligt. Die Themen werden daher oft auf »breites Interesse« angelegt, Gemeinsamkeiten, bei denen sich möglichst jeder angesprochen fühlt, sind wichtig, damit auch jedes Gruppenmitglied mitreden kann.
In einzelfallorientierten, verhaltenstherapeutischen Gruppen sind individuelle Anliegen erwünscht. Bereits in der Eröffnungsrunde wird darauf Wert gelegt, dass jedes Gruppenmitglied sein individuelles Thema benennt. Anschließend wird ein Protagonist gewählt, der sein Thema intensiv bearbeitet. Es geht darum, seine individuelle Situation zu verstehen, und ihm eine »maßgeschneiderte Unterstützung« anzubieten. Inwieweit dieses Thema auch für die anderen Gruppenteilnehmer von Relevanz ist, ist nicht vorrangig. Besprochen werden vorwiegend Themen, die aus dem Alltag der Gruppenteilnehmer kommen, Themen, die wesentlich dazu beigetragen haben, dass der Patient erkrankt ist und sich jetzt in psychotherapeutischer Behandlung befindet.
Die Auswahl des Protagonisten erfolgt in der Eröffnungsrunde nach festgelegten Regeln. In der verhaltenstherapeutischen, einzelfallorientierten Gruppentherapie beginnt jede Sitzung mit einer Eröffnungsrunde. Ziel dabei ist, einen Überblick darüber zu erhalten, mit welchen Themen sich die Teilnehmer der Gruppe beschäftigen und wer im Anschluss an die Eröffnungsrunde die Rolle des Protagonisten einnehmen wird. Die ständige Wiederholung dieses Ablaufs ist notwendig, da durch den immer gleichen Anfang der Sitzung in der Gruppe mehr Sicherheit etabliert wird. Die Teilnehmer können sich darauf vorbereiten, was sie in der Eröffnungsrunde sagen werden, und sie haben die volle Kontrolle darüber, ob sie das Thema, das sie benennen, auch bearbeiten wollen. Es werden keine »Wartelisten« angelegt. Wenn ein Patient in der vergangenen Sitzung sein Thema nicht bearbeiten konnte, dann kann er in der aktuellen Sitzung das Thema wieder benennen. Die Bearbeitung erfolgt immer im »Hier und Jetzt«. Das bedeutet, dass Themen, die zuvor wichtig waren, in der heutigen Sitzung möglicherweise bereits an Bedeutung verloren haben oder deren Bearbeitung bereits in einer anderen Therapieveranstaltung stattgefunden hat. Es wird von jedem Teilnehmer der Gruppe erwartet, dass er ein Thema benennt, nicht aber, dass er es bearbeitet. Gruppe und Therapeut haben durch die Eröffnungsrunde ausreichend Informationen über jeden Teilnehmer. Auf ein »Blitzlicht», in dem jeder Teilnehmer beschreibt, wie es ihm geht, wird verzichtet. Funktion der Eröffnungsrunde ist es, mit möglichst wenig Intervention den Protagonisten zu bestimmen. In der verhaltenstherapeutischen Gruppe beginnt die therapeutische Arbeit erst in der Bearbeitungsphase, also bei dem Protagonisten. Interventionen im Vorfeld dienen der Stabilisierung der instrumentellen Gruppenbedingungen.
Die Themenbearbeitung nach Mehrheitsentscheidung ist eine Technik der interaktionsorientierten Gruppentherapie. In diesen Gruppen wird die gleichmäßige Beteiligung aller Gruppenmitglieder erwartet. Von daher ist es nachvollziehbar, dass möglichst Thermen zur Bearbeitung kommen, an denen die Mehrheit der Teilnehmer der Gruppe interessiert ist. In verhaltenstherapeutischen Gruppen geht es dagegen um den Ausgleich von individuellen Fertigkeitendefiziten, die Bearbeitung ist somit immer auf den Protagonisten zugeschnitten. Selbst wenn Themen angesprochen werden, die im Allgemeinen viele oder sogar alle Menschen betreffen, ist für die einzelfallorientierte, verhaltenstherapeutische Gruppe das individuelle Problem des Protagonisten von Interesse. Die Themen werden nicht nach Mehrheitsentscheidung ausgewählt. Die anderen Gruppenteilnehmer können die erarbeiteten Lösungen auf ihre persönlichen Situationen übertragen, aber es wird nicht das Allgemeingültige in den Vordergrund der Bearbeitung gestellt, sondern die individuelle Situation des Einzelnen. Erwünscht ist von daher, dass jeder Teilnehmer individuelle Themen einbringt. Themen, die ausschließlich für einzelne Gruppenmitglieder von Bedeutung sind, sind genau so wichtig und werden in der Protagonistenrolle bearbeitet, wie Themen, an denen die gesamte Gruppe interessiert ist.
Die Patienten bestimmen den Zeitpunkt, wann sie die Protagonistenrolle einnehmen wollen (Entscheidungsfreiheit bezüglich der Selbstöffnung). In einzelfallorientierten, verhaltenstherapeutischen Gruppen dürfen Patienten nicht in die Situation kommen, dass sie unfreiwillig in die Selbstöffnung gehen oder dazu gedrängt werden. Ein solches Vorgehen würde die Angst in der Gruppe steigern und die instrumentellen Gruppenbedingungen beschädigen. Die erzwungene Selbstöffnung aufgrund von äußerem Druck würde zusätzlich die Perspektive der Problembearbeitung verändern. Der Protagonist handelt aus der Angst heraus, nicht mehr zu der Gruppe zu gehören und nicht aus der intrinsischen Motivation heraus, die Unterstützung der Gruppe und des Therapeuten in Anspruch zu nehmen.
Unterstützung durch die Therapeuten ist besonders bei ängstlichen Patienten notwendig. Patienten mit starkem Vermeidungsverhalten brauchen Hilfe, um sich zu exponieren. Die dazu notwendige Intervention ist die Reduktion, der Angst und Schamgefühle in der Gruppe. Der Therapeut kann den Patienten fragen, was er in der Situation braucht, um sich zu trauen, ein Thema in die Gruppe einzubringen. Mitpatienten möchten gelegentlich Unterstützung leisten und neigen dabei dazu, den Patienten überreden zu wollen. Bei manchen Patienten reduziert dies die Angst, da sie das Interesse der Gruppe an ihren Themen darin erkennen. Bei anderen Patienten dagegen steigert es die Angst und sie stimmen zu, um kein Außenseiter zu werden. Wieder andere Patienten erleben den Druck so stark, dass es ihnen nicht mehr gelingt, an der Gruppentherapie teilzunehmen und sie geraten in Gefahr, die Behandlung abzubrechen. Wenn sich die Gruppenteilnehmer bemühen, einen Patienten in die Protagonistenrolle zu bringen, sollte der Therapeut erst einmal eine positive Hypothese über die Motive der Gruppenteilnehmer formulieren und z. B. sagen: »Herr Müller, die Gruppe möchte Ihnen Mut machen, Ihr Thema zu bearbeiten. Entscheiden Sie,