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Männer im Kampf um Recht und Rache, Geschichten aus der harten Zeit des Wilden Westens - 5 knochenharte Western-Romane in einem Band. Umfang: ca. 450 Normseiten Alfred Bekker schrieb unter dem Pseudonym Neal Chadwick diese fesselnden Romane aus der Zeit der amerikanischen Pionierzeit und des Wilden Westens. Als Neal Chadwick begann der bekannte Autor von Fantasy-Romanen, Jugendbüchern und Krimis seine Karriere. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FAKLSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL AUS MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall. Inhalt (alle auch Separat lieferbar): Ein Mann namens Bradford Gilmore der Einsame Im Schatten der Outlaws Sonora-Geier Die Eisenbahnräuber Cover: Steve Mayer
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Seitenzahl: 500
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Alfred Bekker (schrieb als Neal Chadwick)
Gunslinger
5 Romane
Alfred Bekker schrieb unter dem Pseudonym Neal Chadwick diese fesselnden Romane aus der Zeit der amerikanischen Pionierzeit und des Wilden Westens. Als Neal Chadwick begann der bekannte Autor von Fantasy-Romanen, Jugendbüchern und Krimis seine Karriere. Seine Romane um DAS REICH DER ELBEN, die GORIAN-Trilogie und die DRACHENERDE-SAGA machten ihn einem großen Publikum bekannt. Er schrieb für junge Leser die Fantasy-Zyklen ELBENKINDER, DIE WILDEN ORKS, ZWERGENKINDER und ELVANY sowie historische Abenteuer wie DER GEHEIMNISVOLLE MÖNCH, LEONARDOS DRACHEN, TUTENCHAMUN UND DIE FAKLSCHE MUMIE und andere. In seinem Kriminalroman DER TEUFEL AUS MÜNSTER machte er mit dem Elbenkrieger Branagorn eine Hauptfigur seiner Fantasy-Romane zum Ermittler in einem höchst irdischen Mordfall.
Ein CassiopeiaPress E-Book
© 2012 der Digitalausgabe AlfredBekker/CassiopeiaPress
www.AlfredBekker.de
1. digitale Auflage 2014 Zeilenwert GmbH
ISBN 9783956171062
Cover
Titel
Impressum
EIN MANN NAMENS BRADFORD
GILMORE, DER EINSAME
IM SCHATTEN DER OUTLAWS
SONORA-GEIER
DIE EISENBAHNRÄUBER
Neal Chadwick
Western-Roman
© by Alfred Bekker
All rights reserved
Ausgabejahr dieser Edition: 2010
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Nacht über dem Flusshafen von St.Louis…
Mondlicht fiel auf die zahllosen Schiffe, die hier vor Anker lagen. Transportschiffe vor allem, die auf ihren Fahrten zwischen New Orleans und den Forts am Oberlauf des Mississippi Station machten.
Ein Dutzend Reiter preschte durch die engen Straßen des Hafenviertels. Sie trugen Halstücher vor den Gesichtern. Einige schwenkten brennende Fackeln, die anderen hatten die Winchester- Karabiner aus den Scubbards gezogen.
Die Meute erreichte die notdürftig mit Rundhölzern befestigte Uferzone. Der Anführer deutete mit dem Lauf der Winchester auf einen mittelgroßen Raddampfer, der am Ufer vertäut war.
"Das ist Bradfords Schiff! Die RIVER QUEEN!" Einer der anderen Männer lud mit einer energischen Bewegung seine Winchester durch.
"Los, bringen wir es hinter uns!"
Die Fackelträger ließen ihre Gäule ein Stück vorpreschen. Der erste von ihnen holte aus und schleuderte seine Fackel auf die hölzernen Planken des Schiffes.
*
Ray Bradford, einer der vier Eigner der RIVER QUEEN, war durch den Lärm geweckt worden. Mit katzenhaften Bewegungen schnellte der große, breitschultrige Mann an Deck. An der Seite trug er einen tiefgeschnallten Revolver, in den Händen eine Winchester. Er sah die brennende Fackel auf den Planken.
Ohne Rücksicht auf seine Deckung machte Bradford ein paar schnelle Schritte. Er kickte die Fackel von Bord. Mit einem zischenden Geräusch versank sie im dunklen, schlammigen Flusswasser. Bradford feuerte die Winchester aus der Hüfte ab.
Er erwischte einen der maskierten Angreifer am Arm. Der Kerl schrie auf, ließ die Fackel fallen, die er gerade auf die RIVER QUEEN hatte werfen wollen. Sein Pferd stellte sich auf die Hinterhand und er hatte große Mühe, überhaupt im Sattel zu bleiben.
Einen weiteren Brandstifter holte Bradford aus dem Sattel. Der Todesschreie des Banditen verhallten in der Nacht. Die anderen Maskierten feuerten jetzt aus allen Rohren. Bradford warf sich zu Boden, rollte über die Planken und riss die Winchester hoch. Blutrot züngelte das Mündungsfeuer aus dem Lauf des Karabiners heraus. Rechts und links zischten ihm die Kugeln um die Ohren. Noch zwei weitere Männer kamen an Deck und feuerten auf die Maskierten. Der Größere der beiden war ein Schwarzer. Er schoss mit zwei Revolvern auf die Maskierten. Bei dem anderen handelte es sich um einen hageren Mann mit Biberfellmütze, der ein schweres HenryGewehr sprechen ließ. Zwei weitere Maskierte wurden getroffen.
Die anderen ergriffen die Flucht.
Sie rissen ihre Pferde am Zügel herum und ließen sie davon preschen. Wenig später waren die Überlebenden in den engen Gassen des Hafenviertels verschwunden. Der Hufschlag ihrer Gäule war noch einige Augenblicke zu hören.
Bradford erhob sich.
Die beiden anderen Verteidiger der RIVER QUEEN ebenfalls. Bradford schwang sich über die Reling.
Mit einem Sprung war er an Land.
Der Schwarze folgte ihm, während der Mann mit der Biberfellmütze an Bord blieb.
Bradford drehte einen der am Boden liegenden Maskierten herum und zog ihm das Halstuch vom Gesicht.
"Kennst du den Bastard, Ray?", fragte der Schwarze. Bradford schüttelte den Kopf.
"Nie gesehen, Rick."
"Gesindel, das die Hunde von der United Riverboat Company für ein paar Dollars angeheuert haben."
"Nur werden wir das niemals beweisen können." Jetzt kam auch der Mann mit der Bibermütze an Land. Den Lauf des Henry-Gewehr legte er über den Rücken. "Es hat nicht einmal Sinn, diese Schweinehunde anzuzeigen! Gegen die Company wagt es niemand vorzugehen!"
Alle drei waren sie zu unterschiedlichen Teilen Eigner der RIVER
QUEEN. Es gab noch einen vierten Mann im Bund.
Jim Lawton, seit vielen Jahren Bradfords bester Freund. Die beiden kannten sich seit ihrer Jugend. Beide waren in Ohio aufgewachsen, bevor sie als junge Männer gen Westen gezogen waren, um ihr Glück zu machen.
Das Frachtgeschäft auf dem Mississippi schien dafür wie geschaffen zu sein. Das Warenaufkommen, das auf dem großen Fluss transportiert werden musste wuchs jedes Jahr um ein Vielfaches.
Eigentlich gab es genug Verdienstmöglichkeiten für alle, deren Boote schwimmfähig waren.
Aber es gab eine Schlange in diesem Paradies.
Die United Riverboat Company.
Die mächtige Company versuchte eine Art Fracht-Kartell auf dem Big Muddy aufzubauen. Mit legalen aber auch mit illegalen Mitteln. Anfangs hatte Bradford geglaubt, dem Druck auf Dauer standhalten zu können. Aber außer den Machenschaften der Company plagten Bradford auch finanzielle Sorgen. Um die RIVER QUEEN kaufen zu können, hatte Bradford bei der Grand National Bank of Missouri in St.Louis Geld aufnehmen müssen. Die Rückzahlung wurde in einigen Monaten fällig. Allerdings hatte Bradfords Frachtgeschäft noch lange nicht den erwarteten Profit gebracht. Auch dafür sorgten die Machenschaften der Company. Obwohl Bradford seine Dienste preiswerter anbot als die Konkurrenz, bekam oft nicht die RIVER QUEEN den Transportauftrag, sondern ein Schiff der Company. Viele Geschäftsleute ließen sich von deren Handelsagenten unter Druck setzen und einschüchtern. Und wenn das nicht half, dann heuerten sie für ein paar Dollars eine Horde von schießwütigen Gunslingern an.
Bradford war allerdings wild entschlossen, gegen alle Widerstände durchzuhalten.
Die Frage war allerdings, ob er finanziell dazu einen ausreichend langen Atem haben würde.
Im Augenblick ruhten Bradfords Hoffnungen auf seinem Freund und Teilhaber Jim Lawton. Ihren letzten Cent hatten alle vier Teilhaber in dieses Unternehmen gesteckt. Sie waren blank. Lawton war dann vor ein paar Monaten nach Montana aufgebrochen. Er hatte dort eine Ranch geerbt, die er zu Geld machen wollte, das er in die RIVER QUEEN stecken konnte.
Jim Lawton war mit seiner Erbschaft der finanzielle Rettungsanker, von dem alles abhing.
Der Mann mit der Bibermütze trat neben Bradford.
Er hieß Angus Cray und hatte ehedem im Fellhandel ein kleines Vermögen gemacht. Inzwischen bereute er es schon, alles davon in die RIVER QUEEN gesteckt zu haben.
"Wenn Jim nicht bald mit einer Tasche voll Dollars zurückkehrt, dann sehe ich schwarz, Ray!", bekannte er. "Ich habe mit Rick darüber gesprochen…"
Falten bildeten sich auf Bradfords Stirn. Er wandte sich an den Schwarzen. "Ihr wollt aufgeben?"
"Jim hätte längst wieder zurück sein müssen!", stellte Rick bitter fest.
"Eine Ranch zu Geld zu machen ist vielleicht nicht so einfach!", verteidigte Bradford Lawton. "Außerdem sind es gut tausend Meilen bis Montana. Der Winter liegt hinter uns…"
"…und vielleicht hat dein Freund es sich anders überlegt, und entweder die Ranch behalten oder versucht jetzt etwas anderes mit seinem Geld anzufangen, als es in ein derart risikoreiches Unternehmen wie die RIVER QUEEN zu stecken!", ergänzte Angus Cray. "Nichts gegen deinen Kumpel, Ray. Ich hätte Verständnis dafür!"
"Dann hätte Jim mir eine Nachricht zukommen lassen", beharrte Bradford.
"Montana ist ein weites Land", gab Rick zu bedenken. "Ein weites Land mit einer Handvoll Menschen darin. Pure Wildnis herrscht dort!
Und wie gesagt… Geld verändert einen Mann."
"Nicht Jim."
"Da wäre ich mir nicht so sicher."
Es folgte eine Pause des Schweigens.
Vom Fluss her war das leise Plätschern der Wellen gegen die Außenwanten der RIVER QUEEN zu hören.
"Der Punkt ist einfach der, dass wir unsern Kopf nicht für etwas herhalten wollen, dass von vorn herein aussichtslos ist", erklärte Cray.
"Und ohne Jims Geld ist unser Unternehmen aussichtslos. Das steht fest."
Ray Bradford hob den Kopf.
Er musterte die beiden Männer.
"Was werdet ihr tun?"
"Wenn wir bis nächste Woche nichts von Jim hörten, steigen wir aus", sagte Rick.
"Das hieße, dass wir die RIVER QUEEN verkaufen müssten", stellte Bradford bitter fest.
Angus Cray klopfte Bradford bedauernd auf die Schulter.
"Sorry, aber Rick und ich haben nun mal nicht so einen Dickschädel wie du!"
*
Jim Lawton erstarrte augenblicklich, als er das leise Rascheln im trockenen Präriegras vernahm. Dann folgte ein Klappern, das ihm nur allzu sehr vertraut war.
Sekunden zuvor war alles noch so friedlich gewesen. Die Sonne war blutrot über den Horizont gekrochen und hatte mit ihren kraftvollen Strahlen bereits einen Gutteil der Nachtkühle vertrieben. Lawton hatte bei einer Gruppe von schroff aus der Hochebene ragenden Felsen die Nacht verbracht. Soeben hatte er das heruntergebrannte Lagerfeuer von neuem entzündet und jetzt hielt er in der Rechten seine blecherne Kaffeetasse.
Lawton rührte sich nicht von der Stelle, aber jede Sehne seines Körpers war in diesem Moment auf das Äußerste gespannt. Wieder das Rascheln im Gras.
Und dann dieses klappernde Geräusch…
Lawton überdachte seine Situation und musste feststellen, dass er in einer ziemlich fatalen Lage war.
Es wurde ihm plötzlich bewusst, dass sich sein Revolvergurt nicht an seiner Hüfte befand, sondern ein paar Schritte entfernt bei seinen Sachen. Dasselbe galt für sein Winchester-Gewehr, das mit dem Lauf nach oben an seinen Sattel gelehnt war.
Verdammt!, dachte er. Mit so einer Klapperschlange ist nicht zu spaßen!
Für einen kurzen Augenblick erwog er, sich mit einem schnellen Satz zu seinen Waffen zu begeben, verwarf diesen Gedanken aber rasch wieder. Mit einem Colt in der Hand hätte er sich im Augenblick zwar bedeutend wohler gefühlt, aber es wäre purer Leichtsinn gewesen. Vielleicht befand das Tier sich in der Nähe seiner Sachen im Gras und würde eine solche Aktion als Angriff werten.
Lawtons Pferd wieherte unruhig.
Es spürte die Gefahr, die in der Luft lag.
Lawton glaubte, an einer Stelle das Gras sich bewegen zu sehen, aber das mochte ebenso gut eine Täuschung sein. Vielleicht die Schlange, vielleicht auch nur ein Windhauch, der die Halme krümmte… Es war eine Nervensache.
Vielleicht war die Schlange hinter etwas ganz anderem her und würde ihres Weges ziehen, wenn er sich ruhig verhielt…
Ein Schuss donnerte.
Etwas bewegte sich im Gras, wandte sich verzweifelt mehrfach um die eigene Achse.
Dann rührte sich nichts mehr.
*
"Sie haben viel Glück gehabt, Mister!", sagte der Mann, der in diesem Augenblick hinter einem der Felsen hervorkam. Den Lauf seiner Rifle hatte er über die Schulter gelegt. Mit einer Hand führte er ein mageres Pferd am Zügel.
Lawton atmete erleichtert aus.
"Kann man wohl sagen!"
"Wer sind Sie?", fragte der Mann. Lawton glaubte, eine Spur von Misstrauen in der Stimme des anderen heraushören zu können.
"Ich heiße Jim Lawton. Und Sie?"
"Will Rankine."
Er hatte die sechzig wohl schon um einiges überschritten. Sein Gesicht war runzelig und von Falten zerfurcht. Die Haare, die unter seinem Hut hervortraten, waren grau.
Rankine trat zu jener Stelle, wo sich die Schlange zum letzten Mal bewegt hatte, suchte einen Augenblick lang, nahm dann das lange Gewehr von der Schulter und hob mit dessen Lauf den Kadaver des Tiers in die Höhe.
Es war tatsächlich eine Klapperschlange.
"Schätze, Sie haben mir das Leben gerettet!", meinte Lawton. Rankine nickte und ließ den Kadaver wieder zu Boden fallen.
"Das schätze ich auch, Mister!" Er grinste verschmitzt. "Das war verdammt knapp, kann ich Ihnen sagen! Bei diesen Bestien muss man auf der Hut sein, sonst ist man weg vom Fenster!" Lawton schluckte.
"Danke!"
"Keine Ursache, Mann! Ich war gerade in der Gegend und habe Sie beobachtet!"
"Sie haben ein ziemlich gutes Auge, Rankine! Schließlich haben Sie die Schlange mit dem ersten Schuss erwischt!"
Der Alte nickte selbstbewusst.
"Ja, das habe ich, Mister! Darauf können Sie Ihren Hut verwetten!" Er steckte die lange Rifle in den dafür vorgesehenen Sattelschuh. Da das Gewehr länger war, als es der Sattelschuh eigentlich erlaubte, war dieser unten geöffnet, sodass der Lauf ein Stück hinausragte. Lawton ging zu seinen Sachen und band sich den Revolvergurt um die Hüften.
Als er damit fertig war und wieder aufschaute, bemerkte er, dass Rankine zwei Army-Holster am Gürtel hängen hatte, in denen jeweils ein langläufiger Navy-Colt steckte. Über den Rücken trug er einen Säbel gegürtet, dessen Griff gegen die Hutkrempe stieß, wenn er den Kopf drehte.
An seiner schmuddeligen Wildlederjacke hingen ein paar Orden.
"Waren Sie mal Soldat?"
"Was dagegen?"
Der Alte kniff die Augen etwas zusammen.
Lawton juckte sich an der Narbe in seinem Gesicht.
"Nein. Ich frage nur, wegen Ihrer seltsamen Bewaffnung!"
"Sie stellen 'ne Menge Fragen, Mister! Wie wär's, wenn Sie mal etwas über sich verraten würden?"
Lawton zuckte mit den Schultern.
"Nichts dagegen."
"Was suchen Sie hier in der Gegend?"
"Ich bin auf der Durchreise."
"Woher kommen Sie?"
"Ich bin vor ein paar Wochen in Montana aufgebrochen."
"Und wohin geht die Reise?"
"St.Louis."
Rankine pfiff durch die Zähne.
"Das ist wahrhaftig kein Katzensprung!"
"Kommt drauf an, was man gewöhnt ist!"
Der Alte runzelte die Stirn.
"Und was wollen Sie in St.Louis?"
"Einen Freund treffen."
"Klingt ein bisschen weit hergeholt!"
Lawton zuckte mit den Schultern.
"Es ist mir ziemlich gleichgültig, wie das in Ihren Ohren klingt. Es zwingt Sie niemand, mir zu glauben!"
Rankine lachte heiser.
"Ja, das ist allerdings richtig."
"Gibt es hier in der Nähe irgendwo eine Ortschaft? Ich habe etwas die Orientierung verloren…"
"Wollen Sie Vorräte kaufen?", fragte der Alte zurück, anstatt auf Lawtons Frage zu antworten.
"Ja."
"Na ja…"
"Also gibt es hier nun irgendein verdammtes Nest oder nicht?"
"Nest…", murmelte Rankine. "Gar keine schlechte Bezeichnung. Stadt wäre ziemlich übertrieben! Ein paar Häuser, die etwas dichter beisammen stehen, mehr nicht."
"Wie heißt es?"
"Harlington."
"Nie gehört."
"Kein Wunder, Lawton! Wirklich kein Wunder!"
"Es verirrt sich wohl nicht oft jemand in diese Gegend…" Rankine nickte.
"Stimmt. Und die Menschen sind hier auch nicht gerade für ihre Gastfreundschaft bekannt. Sie sind misstrauisch." Lawton zuckte mit den Schultern.
"Ich habe nicht vor, länger als nötig zu bleiben."
"Das ist gut so!"
*
Es dauerte eine Weile, bis Lawton sein Pferd gesattelt und seine Sachen zusammengepackt hatte. Will Rankine saß währenddessen auf einem glatten Findling, in der einen Hand die Zügel seines mageren Gauls, die andere an der angerosteten Schnalle seines Gürtels und musterte Lawton die ganze Zeit über aufmerksam.
Muss wirklich nicht viel los sein in dieser Gegend, wenn es so interessant für ihn ist, jemanden dabei zu beobachten, wie er seinen Lagerplatz aufräumt!, überlegte Lawton.
"Wo haben Sie gekämpft?", fragte er den Alten dann. "Sie haben da ein paar Orden an Ihrer Brust…"
Will Rankine verzog nur ein wenig das Gesicht, antwortete aber nicht. Es schien, als wollte er die Frage absichtlich überhören. Lawton runzelte die Stirn.
"Wohnen Sie auch in Harlington, Mr. Rankine?"
"Ich komme manchmal dorthin, und ich kenne ein paar Leute dort." Lawton sah ein paar kleinere Felle, die an dem Sattel des Alten befestigt waren.
"Jäger? Fallensteller?"
"Ja."
"Ich wusste gar nicht, dass man davon noch leben kann…"
"Kann man auch kaum noch!"
Er ist nicht wirklich feindselig!, erkannte Lawton. Wäre er das, weshalb hätte er mich dann vor der Schlange retten sollen?
Nein, Rankine war vermutlich ein Mann, der die meiste Zeit des Jahres über allein in der Wildnis lebte. Er war den Umgang mit Menschen kaum gewöhnt, ihre Nähe schien ihm nur schwer erträglich.
"Ich hoffe, Sie sind bald fertig, Lawton!" Der Alte spuckte zu Boden, wischte sich dann mit dem Ärmel den Mund ab und fluchte lautstark.
"Glauben Sie, ich will hier Wurzeln schlagen, verdammt noch mal!" Mit besonderer Sorgfalt, die Rankine nicht entging, befestigte Lawton seine Satteltaschen. Dann prüfte er die Verschlüsse.
"Man könnte denken, da wäre Gold drin, so sorgfältig machen Sie das!" Rankine kniff etwas die Augen zusammen. "Sie sehen mir gar nicht aus wie ein Pedant!"
Lawton erwiderte nichts, sondern schwang sich stattdessen in den Sattel.
"Von mir aus kann's losgehen!"
*
Harlington war wirklich ein erbärmliches Nest. Ein paar Holzhäuser, ein Drugstore, eine Kirche und ein Saloon, der keinen Namen hatte, da er der einzige weit und breit war und somit die Gefahr einer Verwechslung nicht bestand…
"Puh!", machte Lawton. "Sagen Sie, was zieht Sie eigentlich immer wieder hier her, Rankine?"
"Ich habe Freunde hier", erklärte er knapp. Dann runzelte er die Stirn.
"Sie sind ein Mann, der verdammt viele Fragen stellt."
"Ist doch nicht verboten, oder?"
"Nein, das nicht. Aber frage ich Sie vielleicht, wo Sie sich die Narbe im Gesicht geholt haben?"
Lawton lachte.
"Das ist kein Geheimnis! In St.Louis hatte ich mal eine Auseinandersetzung mit einem Mann, der als Messerwerfer in einem Zirkus arbeitete! War 'ne schlimme Wunde!"
"Sieht auch heute noch nicht gut aus!"
"Eine Schönheit sind Sie auch nicht gerade!" Rankine lachte herzhaft. "Tief in Ihnen muss ein Dandy stecken, sonst würden Sie die Sache nicht so wichtig nehmen!" Lawton sah ein paar Männer herumlungern, die ihn misstrauisch betrachteten. Selbst die Tatsache, dass Will Rankine an seiner Seite ritt, ließ ihre Gesichter keineswegs aufhellen.
"Haben Sie keinen besonders guten Ruf in der Stadt oder blicken die wegen mir so finster drein?"
"Sie wissen nicht, wer Sie sind, Lawton. Die Leute hier sind nun einmal so." Er schlug sich auf die Schenkel und fuhr fort: "Ich habe ziemlichen Durst! Kommen Sie mit auf einen Drink in den Saloon?"
"Später vielleicht, Rankine. Sagen Sie, soll das da hinten etwa ein Drugstore sein?"
"Ziemlich klein, das gebe ich zu. Aber bei Stokes bekommt man alles, was man braucht. Und seine Preise sind fair."
*
Sie trennten sich und Lawton lenkte seinen mageren Gaul in Richtung des Drugstores, während Rankine weiter die Straße entlang ritt. Als Lawton den Drugstore erreichte, stieg er aus dem Sattel und machte sein Pferd fest. Er nahm seine Satteltaschen vom Rücken des Tieres und hängte sie sich über die Schulter, bevor er durch die offene Tür trat.
Ein dürrer, hohlwangiger Mann stand hinter dem Tresen und musterte Lawton abwartend.
"Sie sind Stokes?", fragte Lawton.
"Ja, aber woher wissen Sie das? Ich kenne Sie nicht!"
"Will Rankine hat mir Ihren Laden empfohlen!" Stokes grinste. "Mein Laden ist der einzige Drugstore im Umkreis von mehr als einem Tagesritt! Da ist die Konkurrenz nicht besonders groß."
"Ich hoffe, Sie nutzen das nicht allzu sehr aus…"
"Sie meinen, in dem ich die Preise pfeffere?"
"Ja, zum Beispiel."
"Die Leute hier machen nicht viel Federlesen. Die würden mich glatt lynchen, wenn ich so etwas versuchen sollte!" Stokes schlug mit der flachen Hand auf den verkratzten Tresen. "Also, Mister, was wünschen Sie?"
Lawton nannte eine Reihe von Sachen, die er einzukaufen gedachte, woraufhin Stokes sich umwandte, um das Gewünschte zusammenzusuchen.
Es war eine lange Liste. Lawton war ziemlich abgebrannt. In diesem Augenblick hörte Lawton Schritte in seinem Rücken. Er wandte ein wenig den Kopf und sah mit den Augenwinkeln, dass ein rothaariger Mann den Drugstore betreten hatte, dessen Kleider nur so vor Dreck starrten.
Lawton entging nicht der Revolvergurt, den der Rothaarige trug und an dem zusätzlich zu Holster und Revolver noch ein Futteral befestigt war, in dem ein langes Bowie-Messer steckte.
Lawton wurde einer eingehenden, aber wortlosen Musterung unterzogen, bevor der Rothaarige sich an den Ladeninhaber wandte.
"Hallo, Stokes!"
"Tag, Dray! Wie geht's?"
Der Mann namens Dray winkte ab. "Wie soll's schon gehen? Wie immer, natürlich! Nichts Besonderes!"
Unterdessen legte Stokes die Sachen, die er für Lawton zusammengesucht hatte auf den Tresen: Nahrungsmittel und etwas Munition.
Lawton kramte aus seiner Hosentasche ein Geldstück hervor und ließ es auf das Holz klimpern.
"Ich hoffe, das reicht…"
"Leider nicht, Mister… Da fehlen noch 30 Cent!" Lawton griff erneut in die Hosentasche, aber da war nichts mehr.
"Soll ich etwas von den Sachen wieder zurücklegen?", fragte Stokes, während ein breites Grinsen auf seinem mageren Gesicht erschien. Lawton verzog ärgerlich den Mund.
"Nein, das wird nicht nötig sein!"
"Wie Sie meinen, Mister!"
Lawton sah, dass auch der rothaarige Dray jetzt über das ganze Gesicht grinste. Er lehnte sich an den Tresen und wartete aufmerksam ab, was geschehen würde, wobei er mit der Linken am Griff seines Bowie-Messers herumspielte.
"Na, was ist nun?"
Stokes' Züge hatten sich jetzt verändert. Er machte nun einen sehr ernsten Eindruck und verengte ein wenig die Augen.
Unterdessen griff Lawton zu den Satteltaschen, die er sich über die Schulter gehängt hatte und legte sie auf den Tresen.
Dann öffnete er einen der Verschlüsse und holte ein Bündel mit Geldscheinen hervor, aus dem er einen herauszog und Stokes vor die Nase legte.
"Ich hoffe, Sie können auch darauf herausgeben!", feixte Lawton, während dem Drugstorebesitzer fast die Augen aus dem Kopf quollen.
"Oh…", war alles, was Stokes dazu hervorbringen konnte. Sein Mund blieb noch einige Augenblicke offen, so als hätte er einfach vergessen, ihn wieder zu schließen.
Als er sich dann endlich wieder halbwegs gefasst hatte, stieß er fast ehrfürchtig hervor: "Sie haben da eine Menge Papier, Mister…" Lawton gab darauf keinerlei Erwiderung.
Als er dann das Bündel zurückstecken wollte, bemerkte er, dass zwei weitere ein wenig hervorgerutscht waren.
Der rothaarige Dray stierte wie entgeistert auf das Geld und schluckte, als Lawton die Satteltasche wieder verschloss. Stokes gab das Wechselgeld heraus, Lawton steckte die Münzen in die Hosentaschen.
"Sagen Sie, Mister, haben Sie eine Bank ausgeraubt?", fragte Dray. Lawton zog die Augenbrauen hoch.
"Sehe ich so aus?"
"Wie kommt man sonst an eine Tasche voller Geld?" Lawton gab dem Rothaarigen keine Antwort, sondern wandte sich an Stokes.
"Kann man hier irgendwo Telegramme aufgeben?" Stokes nickte.
"Das können Sie bei mir erledigen, Mister." Unterdessen hatte Dray sich zum Gehen gewandt. Er stand bereits in der Tür, als er sich noch einmal zu Lawton hinübersah. Ungläubiges Staunen stand noch immer in seinem Gesicht. Dann waren nur noch seine schnellen Schritte zu hören, mit denen er auf die andere Straßenseite eilte.
*
"Hey, was ist denn mit dir los, Dray?"
Der Rothaarige war ziemlich aufgeregt in den Saloon gestürzt. Die Männer, die vor ihren Gläsern an der Theke standen, musterten ihn amüsiert.
"Brauchst du einen Drink?", fragte der dicke Barkeeper. Dray konnte nur nicken. Ein Glas wurde auf den hölzernen Schanktisch gestellt und aufgefüllt. Dray ergriff es hastig und leerte es in einem Zug. Mit einer fahrigen Bewegung wischte er sich den Mund am Ärmel ab.
"Na sag' schon, was anliegt!"
"Logan!", wandte sich Dray an den Sprecher und plötzlich blitzte es in seinen Augen. "Logan, was würdest du von jemandem halten, der Satteltaschen voller Bargeld mit sich herumschleppt?" Logan verzog den Mund und hob die Augenbrauen. Dann machte er eine großspurige Geste.
"Ich würde meinen, dass so ein Kerl um einiges besser dran ist, als ich es bin!"
Die Männer brachen in schallendes Gelächter aus.
"Ich meine es verdammt ernst!", rief Dray und setzte damit der Ausgelassenheit ein abruptes Ende. "Ich komme gerade aus Stokes'
Laden. Da war so ein Kerl…"
"Was du nicht sagst…", meinte ein Mann, an dessen brauner Lederweste ein Blechstern blinkte, der ihn als Sheriff auswies. "Du erzählst doch bloß wieder Geschichten, Dray!"
"Verdammt, so war ich hier stehe!", schimpfte Dray zornig. Er schlug mit der Faust auf den Schanktisch, so dass der Whiskey aus den Gläsern spritzte. Dann wandte er sich an den Sheriff und funkelte ihn böse an.
"Ich habe ihn gesehen, Don! Er hat in seine Tasche gegriffen, ein Bündel Scheine herausgeholt und mit einem davon bezahlt. Die ganze Tasche war voller Scheine!"
"Hm!", machte der Sheriff. Er wirkte jetzt etwas nachdenklicher.
"Na, macht es jetzt endlich klick bei dir, Don?" Der Sheriff winkte ab.
"Ach, alles nur heiße Luft, Dray!"
"Meinst du, wenn einer mit 'ner Tasche voll Geld herumläuft, dann hat der eine Bank ausgeraubt– oder worauf willst du nun eigentlich hinaus, Dray?", schimpfte Logan etwas ärgerlich. Eine erwartungsvolle Stille entstand.
Dray machte eine bedeutungsvolle Miene und zuckte dann mit den Schultern.
"Könnte doch sein, oder?"
"Klar!", meinte der dicke Barkeeper lauthals. "Das leuchtet mir ein!"
"Es gibt kein Gesetz, dass das Herumtragen von Bargeld verbietet!", mischte sich der Sheriff ein. "Aber ich werde mir den Kerl mal vorknöpfen. Vielleicht ist ja was dran an der Sache!"
"Er wird vermutlich gleich hier auftauchen!", meinte Dray. Er trat ein paar Schritte von der Theke weg und warf einen Blick über die Schwingtüren. "Er kommt!"
*
Dunkel und drohend zogen sich Horizont die Wolken zusammen. Sie richteten sich zu eindrucksvollen, finsteren Gebirgen auf. Dort oben rumorte es bereits ein wenig und es gehörte in diesem Moment nicht viel dazu, das Wetter für die nächsten Stunden vorherzusagen. Eine kühle Brise wehte und trocknete Lawton den Schweiß. Es wird ein Gewitter geben!, dachte er und schob sich den Hut in den Nacken. Die Rechte hielt er an einer Schnallen seiner Satteltaschen, die er sich über die Schulter gelegt hatte.
Die Sache ist ungünstig gelaufen!, überlegte er. Jemand wusste jetzt, dass er einen Batzen Geld mit sich herumtrug und das war nicht gut. So etwas weckte nur Begehrlichkeiten und konnte am Ende gar jemanden dazu verführen, ihm die Dollars abnehmen zu wollen.
So viele Dollars auf einem Haufen machten hungrig, das galt in Harlington nicht weniger, als anderswo.
Wenn es in einem Nest wie diesem einer weiß, dann wissen es alle!, wurde es ihm klar. Er würde also auf der Hut sein müssen, zumal es vielleicht auf Grund des Wetters notwendig sein würde, den Rest des Tages (und möglicherweise auch die Nacht) in dieser Stadt zu verbringen. Wenn es wirklich ein Gewitter gab, dann würden sich die Wege in Sümpfe verwandeln. Es war niemandem, der gerade ein Dach dem Kopf hatte, zu empfehlen, unter solchen Bedingungen weiter zu reiten!
Ein dumpfes Grollen war in diesem Moment zu vernehmen. Lawton spürte die ersten Tropfen fallen und nahm den Hut ab. Dann blickte er nach oben.
Die Nässe war erfrischend.
Als er wenige Augenblicke später die Schwingtüren des Saloons passiert hatte, fühlte er mehr als ein halbes Dutzend Augenpaare auf sich gerichtet.
Lawton sah Will Rankine vor einem leeren Glas sitzen und nickte ihm zu. Der Alte nickte zurück.
Auch der Rothaarige, den er bei Stokes getroffen hatte– Dray– war bei diesen Männern. Auf die anderen achtete er kaum. Er nahm nur noch wahr, dass einer von ihnen einen Blechstern trug.
Die Männer ließen ihn keine Sekunde aus den Augen. Sie starrten ihn wortlos an, während er sich zu Rankine an die Theke stellte und den Barkeeper dazu veranlasste, ihm einen Drink einzuschenken. Draußen hatte es unterdessen zu donnern begonnen. Es goss in Strömen. Kein Gedanke mehr daran, heute noch weiter zu reiten.
"Ziemlich schweigsam, die Leute hier", meinte Lawton an Rankine gewandt. "Sie sind doch öfter hier. Sind die immer so?"
"Nein, erst seitdem Sie den Raum betreten haben, Lawton." Der Alte ließ ein albernes Kichern hören. "Vor wenigen Sekunden hat hier noch eine sehr angeregte Unterhaltung stattgefunden!" Lawton drehte ein wenig den Kopf und unterzog den rothaarigen Dray einer abschätzigen Musterung.
Er wird seinen Zechbrüdern alles brühwarm erzählt haben, was er bei Stokes gesehen hat!, dachte er.
Es war nicht mehr zu ändern.
Kein Zweifel, sie wussten es alle und jetzt warteten sie ab– wie Geier in der Prärie, die es kaum abwarten konnten, sich auf ein Aas zu stürzen. Lawton sah das Funkeln in den Augen der Männer.
"Dray behauptet, Sie hätten die Satteltaschen voller Geld!", brach Logan schließlich das Schweigen, nachdem klar war, dass Dray dazu nicht den Mut haben würde.
Lawton tat, als hörte er das nicht und gab keine Antwort.
"Ich habe Sie etwas gefragt!", sagte Logan. Seine Stimme hatte einen deutlich feindseligen Unterton. Lawton legte den Hut auf die Theke.
"Ich denke aber nicht daran, Ihnen zu antworten, Mister!" In diesem Moment schnellte Dray blitzschnell vor und riss ihm die Tasche von der Schulter. Hastig taumelte er zurück, während seine Hände den Verschluss öffneten und ein Bündel mit Dollars hervorholten.
"Hier!", rief er triumphierend. "Na, habe ich zuviel versprochen, Leute?"
Das Klicken eines Revolverhahns durchschnitt die Luft und Dray erstarrte. Als er in Lawtons Richtung schaute, blickte er direkt in dessen Revolvermündung und wurde bleich.
"Die Tasche her!", lautete der knappe Befehl des Fremden. Dray schluckte und warf einen kurzen Blick zu den anderen. Er wirkte unschlüssig.
Vielleicht überlegte er einen Moment lang, zum Revolver an seiner Seite zu greifen, aber in der einen Hand hielt er die Satteltaschen, in der anderen das Bündel mit Geldscheinen.
Seine Aussichten, den Colt aus dem Holster zu reißen, den Hahn zu spannen und abzudrücken, bevor der Fremde seinen Zeigefinger bewegt und geschossen hatte schätzte er als zu gering ein, um sich auf solch ein selbstmörderisches Spiel einzulassen.
"Na, los!", setzte Lawton mit Nachdruck hinzu. "Wird's bald?"
"Gib dem Mann seine Sachen zurück!", befahl jetzt der Sheriff, während Dray etwas Unverständliches vor sich hin knurrte. Dann steckte er das Dollarnotenbündel wieder in die Tasche und warf sie Lawton vor die Füße.
"Da!"
Lawton steckte die Waffe ein und hob die Satteltaschen auf, um sie sich anschließen wieder über die Schulter zu legen.
Der Sheriff trat jetzt näher an Lawton heran.
"Mein Name ist Miller", erklärte er. "Wie Sie an diesem Abzeichen hier sehen können, bin ich in dieser Stadt für die Einhaltung der Gesetze verantwortlich!"
"Warum sagen Sie mir das?", brummte Lawton. "Habe ich etwa gegen ein Gesetz verstoßen?"
"Nein."
"Na also!"
"Wer sind Sie, Mister? Verstehen Sie mich nicht falsch, aber wenn jemand mit einer Tasche voller Geld durch die Gegend zieht, dann ist ein gewisses Misstrauen angebracht!"
Lawton nickte.
"Verstehe. Sie denken, ich habe eine Bank geleert oder so etwas." Er lachte heiser. "Mein Name ist Jim Lawton. Ich glaube nicht, dass Sie mich auf irgendeinem Ihrer Steckbriefe finden werden!" Sheriff Miller schüttelte den Kopf und machte ein nachdenkliches Gesicht.
"Nein", musste er zugeben. "Mir ist von keinem Mann dieses Namens bekannt, dass er wegen irgendeines Verbrechens gesucht würde…"
"Sehen Sie!"
"Na ja…", schränkte Miller dann ein. "Das allein will noch nicht allzu viel heißen. Schließlich dauert es oft ziemlich lange, bis so ein Steckbrief in einer Stadt wie Harlington ankommt… Es ist sogar schon vorgekommen, dass die Gesuchten längst gehenkt waren, als der entsprechende Steckbrief auf meinem Schreibtisch landete!"
"Geben Sie's auf, Sheriff!", erwiderte Lawton kühl. "Wenn Sie etwas Greifbares gegen mich vorliegen haben, können Sie mich gerne behelligen. Aber bis dahin lassen Sie mich bitte in Ruhe!" Der sarkastische Unterton war nicht zu überhören. Sheriff Miller runzelte die Stirn.
"Der kann Ihnen doch alles mögliche erzählen!", rief Dray aufgebracht. "Fragen Sie ihn doch, woher er das lausige Geld hat, verdammt noch mal!"
"Nun?", fragte Miller. "Woher haben Sie es?"
"Geerbt."
Dray brach in schallendes Gelächter aus.
"Das ist doch die dümmste Story, die ich je gehört habe!"
"Pah! Kann man wohl sagen!", rief Logan dazwischen.
"Habt Ihr irgendwelche Anhaltspunkte dafür, dass sie nicht stimmt?", fragte Miller.
Die Männer schwiegen, wechselten einen unschlüssigen Blick miteinander und wandten sich dann ihren Gläsern zu.
Miller wandte sich an Lawton: "Wie Sie schon sagten: Ich kann nichts gegen Sie vorbringen, Mister! Aber selbst wenn das Geld wirklich rechtmäßig Ihnen gehört, wäre es besser, wenn Sie nicht allzu lange in Harlington bleiben würden. Sie sehen ja, was allein die Tatsache, dass Sie mit einer solchen Summe herumlaufen, in den Köpfen mancher Menschen anzurichten im Stande ist."
"Ja, des ist nicht zu übersehen."
"Ich will keinen Ärger, Lawton. Verschwinden Sie so bald wie möglich!"
"Mach ich. So einladend ist Ihre Stadt nun auch wieder nicht." Er deutete nach draußen, wo der Regen hernieder prasselte. "Ich wäre am liebsten gleich weitergeritten, aber das Wetter hat mir einen Strich durch die Rechnung gemacht. Morgen früh werde ich aufbrechen!"
*
Das Zimmer, das der Barkeeper ihm zugewiesen hatte, war nicht gerade fein und der Preis, den er verlangte, war reiner Wucher. Aber Lawton war nicht in der Lage, wählerisch sein zu können. Auf den Möbeln lag der Staub und Schimmel kroch die Wände hoch. Er zuckte mit den Schultern.
Es ist besser, also irgendwo draußen auf dem aufgeweichten Boden zu liegen!, dachte er.
Draußen hatte sich mittlerweile die Dämmerung über die Stadt gelegt. Der Regen hatte nachgelassen und würde wohl im Laufe der Nacht ganz verebben.
Lawton schloss sorgfältig die Tür und drehte den Schlüssel herum, bevor er ihn an sich nahm und einsteckte.
Er legte die Satteltaschen auf den morschen Holztisch und ließ sich auf das Bett sinken.
*
Es war schon verdammt spät. Die anderen Saloon-Gäste waren längst nach Hause gegangen.
"Denkst du, man sollte sich eine solche Gelegenheit entgehen lassen?", fragte Dray an Logan gewandt.
Außer ihnen beiden war nur noch ein Mann mit Stoppelbart und geflicktem Hemd anwesend, der auf den Namen Grady hörte, sowie Johnny Swann, der Barkeeper.
"Was meinst du damit?", fragte Logan stirnrunzelnd, während ihm der Barkeeper nachschütten musste. "Willst du dem Kerl sein Geld abjagen?"
Dray machte eine Verschwörermiene.
"Warum nicht?"
"Ich finde die Idee auch nicht übel!", warf Grady ein. Er zog den Revolver hervor, den er im Holster trug und überprüfte die Ladung.
"Morgen ist dieser Kerl auf und davon…", sinnierte Dray. "Eine solche Gelegenheit kommt nicht wieder!" Er schlug mit der flachen Hand auf den Schanktisch. "Das müssen mindestens zehn-oder zwanzigtausend Dollar sein, die der Mann da in seinen Taschen hat!"
"Er wird uns den Zaster kaum freiwillig geben!", gab Logan sachlich zu bedenken.
"Dann machen wir kurzen Prozess mit ihm!", erklärte Grady. Dray hörte überhaupt nicht hin. In seinen Augen glänzte es.
"Hm!", machte Logan nachdenklich.
Er sah in die Gesichter von Dray und Grady und wusste, dass in den Köpfen der beiden die Entscheidung längst gefallen war. Sie sahen ihn erwartungsvoll an, hungrig wie Wölfe, die Blut geleckt hatten.
Logan faltete die Hände vor dem Gesicht zusammen und drehte die Daumen umeinander.
Es war verlockend, wer hätte das bestreiten können?
"Mach mit oder lass es bleiben, Logan!", forderte Grady.
"Dazwischen gibt es nichts! Die Taschen voller Dollars oder die paar lumpigen Cents, die du hier regelmäßig versäufst und von denen du jeden dreimal umdrehst, bevor du ihn dann tatsächlich ausgibst!"
"Ich bin dabei!", rief der Barkeeper. "Verdammt, ich bin dabei!"
"Gut so, Johnny! Wer keinen Mut hat, wird nie zu etwas kommen!", meinte Dray.
"Ich werde diesen Schuppen gehörig renovieren!"
"Was, wenn wir am Ende alle in Don Millers Zelle landen?", warf Logan ein. "Habt Ihr daran auch schon gedacht?"
"Don ist unser Freund", gab Grady zu bedenken. "Der wird nichts gegen uns unternehmen!"
"Bist du dir da so sicher?"
"Logan, du bist ein alter Schwarzseher!" Dray machte eine Bewegung mit dem Kopf. "Los, statten wir dem Kerl einen Besuch ab. Johnny wird ja wohl einen Schlüssel haben, mit dem wir ins Zimmer kommen!"
"Es gibt in diesem Haus nur eine Sorte von Schlössern. Jeder von den Schlüsseln dort an den Haken passt für alle Zimmer!", sagte Johnny, während er sich die Finger an seiner Schürze abwischte. Logan dachte angestrengt nach, obwohl ihm der Gedanke an das viele Geld den Verstand zu rauben drohte.
Ein einsamer Reiter kam daher, die Taschen voll Dollars, deren Herkunft im Dunkeln lag… War er nicht ein ideales Opfer? Wer würde schon danach fragen, unter welchem Erdhügel ein Mann wie Lawton begraben lag, wer würde wissen wollen, aus wessen Revolver die Kugel in seinem Kopf stammte?
"Wir sollten Don an der Beute beteiligen", erklärte Logan dann.
"Ich bin dagegen!", rief Dray. "Wenn Don Geld haben will, dann muss er auch mitmachen!"
"Er würde so etwas nicht mitmachen", meinte Logan. "Ich kenne ihn."
"Was schlägst du vor?", wollte Johnny, der Barkeeper wissen.
"Wir müssen Don vor vollendete Tatsachen setzen. Dann bieten wir ihm eine Summe an, die er nicht ablehnen kann." Er zuckte mit den Schultern. "Er wird schwach werden, da bin ich sicher. Letztlich ist das nur eine Frage des Preises! Don Miller ist zwar unser Sheriff, aber kein Heiliger!"
*
Lawton hatte das Geld unter dem Kopfkissen, aber das trug kaum dazu bei, dass er sich sicherer fühlte.
Der Revolver lag griffbereit auf dem kleinen Nachttisch neben dem Bett.
Lawtons Schlaf war in dieser Nacht leicht und unruhig. Immer wieder warf er sich im Bett herum, griff mit der Hand unter das Kopfkissen und vergewisserte sich auf diese Weise, dass das Geld noch dort war, wo er es hingelegt hatte.
Obwohl er hundemüde war, gelang es ihm nicht, Ruhe zu finden. Dann hörte er plötzlich Schritte.
Die Treppenstufen knarrten gut hörbar.
Ein paar Sekunden nur und Lawton war hellwach.
Er hörte, wie jemand vorsichtig einen Schlüssel in die Tür zu stecken versuchte. Aber Lawton hatte von innen abgeschlossen und seinen eigenen Schlüssel stecken lassen.
Ein leiser Fluch war zu hören und Lawton griff zum Revolver. Sein Verstand begann fieberhaft zu arbeiten. Hastig blickte er sich um. Dann wurde der Schlüssel erneut herumgedreht. Jemand stocherte im Schloss herum und der Schlüssel, der von innen steckte, fiel mit einem unverkennbaren Geräusch zu Boden.
Lawton wusste, was das bedeutete.
*
Der rothaarige Dray war der Erste, der das Zimmer betrat. Ohne nach rechts oder links zu blicken schritt er zielstrebig auf das Bett zu, das in einer Ecke stand.
Dort wird er liegen!, dachte er.
"Los, mach kurzen Prozess!", rief Grady, der inzwischen ebenfalls eingetreten war.
Dray zog den Revolver aus dem Holster und spannte den Hahn. Es ist wie eine Hinrichtung!, überlegte er und zögerte für den Bruchteil eines Augenblicks.
Dann drückte er ab.
Insgesamt dreimal feuerte er in jenen dunklen Schatten hinein, der das Bett ausfüllte.
"Es ist genug!", rief Johnny, der Barkeeper schließlich. "In diesem Bett soll noch mal jemand schlafen können! Also mach kein Sieb daraus!"
"Halt den Mund, Johnny! Sorg lieber für Licht!" Das war Logan– wie immer mit einem ausgeprägten Sinn für das Praktische.
Johnny entzündete ein Streichholz, nahm die Lampe vom Nachttisch und einen Moment später war es hell.
Dray blickte wie gebannt auf das Bett.
Mit wutverzerrtem Gesicht riss er die Decke bei Seite. Es lag niemand darunter. Dann fiel sein Blick auf die Satteltasche, deren Rand unter dem Kopfkissen hervorschaute. Triumphierend hob er sie hoch, riss an den Verschlüssen und hielt schließlich ein Bündel mit Dollarnoten in der Hand.
*
Bevor die Männer in das Gästezimmer eingedrungen waren, war es Lawton gelungen, das Bett zu verlassen, die Hose überzustreifen und sich in die Ecke neben der Tür zu schleichen.
Mit dem Revolver in der Hand hatte er dort abgewartet, aber jetzt, da der Barkeeper Licht gemacht hatte, war er gezwungen zu handeln. Lawton sondierte blitzschnell die Lage.
Seine Gegner starrten in diesem Moment wie entgeistert auf das leere Bett und dann auf die Dollars, die der rothaarige Dray in den Fingern hielt.
Lawton blickte zur Tür.
Logan stand dort breitbeinig und mit gerunzelter Stirn. An ihm würde er vorbei müssen!
Lawton schnellte blitzartig vor und rammte Logan mit der Schulter, so dass dieser zu Fall kam und mit dem Kopf schwer gegen den Türrahmen schlug.
Die anderen drehten sich um, Grady war so nervös, dass er einen ungezielten Schuss aus seinem Colt abgab. Aber Lawton war längst aus dem Zimmer.
Logan fasste sich benommen an den Kopf und stöhnte. Er sah, wie Lawton die Treppe hinunterstolperte und griff nach der Waffe an seiner Seite. Er riss den Revolver aus dem Holster, gab einen Schuss in Richtung des Flüchtenden ab, der aber offensichtlich sein Ziel weit verfehlte.
Lawton hatte unterdessen den Schankraum durchquert und die Schwingtüren passiert.
Logan richtete sich mühsam auf. Alles drehte sich vor seinen Augen. Ihm war schwindelig. Ganz am Rande nahm er wahr, dass einer von den Männern mit gezogener Waffe an ihm vorbeihetzte und lauthals vor sich hin fluchte.
"Wenn dieser Kerl entkommt, sind wir dran!", rief Logan keuchend.
"Wir müssen ihn kriegen!"
*
Es war kühl geworden.
Lawton trug nur seine Hose. Der Oberkörper war frei, und er fror. Auf Socken ging er durch den Schlamm, in den sich die staubige Straße seit dem Gewitter vom Abend verwandelt hatte. Die Wolken, die Donner und Regen mit sich gebracht hatten, hatten sich zum Großteil aufgelöst und so stand der Mond hell und fahl am Himmel.
Dort, wo der Untergrund etwas fester geblieben war, bohrten sich ihm kleine Steine schmerzhaft in die Fußsohlen.
Sein erster Impuls war es gewesen, einfach hinauszurennen auf die Straße, aber er hatte sich noch rechtzeitig zurückhalten können. Das Fenster des Gästezimmers, das er bewohnt hatte, lag zur Straßenseite hin. Einer von den Kerlen würde ihn von dort aus mit Leichtigkeit erschießen können.
Aber war keineswegs Lawtons Absicht, eine Zielscheibe abzugeben und so schlich er sich seitwärts an den Häuserwänden davon. In der Rechten hielt er seinen Revolver.
Er hatte nur die sechs Patronen, die jetzt in der Trommel steckten. Der Rest seiner Munition befand sich am Revolvergurt und der lag noch oben auf dem Nachttisch.
Ich werde mir gut überlegen müssen, wem ich diese Kugeln verpasse!, dachte er grimmig. Seine Lage war schlecht, so schlecht, wie schon seit langem nicht mehr.
Ein paar Gedanken verschwendete er noch an die Taschen voller Dollars, die den Männern jetzt in die Hände Gefallen waren, aber er sah schnell ein, dass das keinerlei Sinn machte.
Ich kann verdammt froh darüber sein, noch unter den Lebenden zu weilen!, wurde ihm klar.
Er hörte die Schwingtüren des Saloons hin und her poltern. Lawton drehte sich halb herum und sah noch das Mündungsfeuer eines Revolvers in der Dunkelheit aufblitzen, bevor er sich mit einem Hechtsprung hinter eine Hausecke rettete.
Lawton hielt seine Waffe schussbereit in der Hand und presste sich an die raue Holzwand. Der Puls schlug ihm bis zum Hals. Er vernahm weitere Geräusche. Schritte. Stimmen. Offensichtlich war ein weiterer Mann aus dem Saloon getreten.
"Er muss irgendwo dort hinten sein!"
"Hat er eine Waffe?"
"Ich fürchte ja!"
"Verdammt!"
Und dann war es für einige unsäglich lange Augenblicke still. Kein Geräusch, das ihm etwas verraten konnte, drang an Lawtons Ohren. Er kauerte in seiner Deckung und verhielt sich still. Es war vermutlich das Beste, was er in dieser Situation tun konnte.
Schließlich schaute Lawton vorsichtig um die Ecke.
Er sah Johnny, den Barkeeper, mit seiner weißen Schürze um den Bauch und einem Winchester-Gewehr in der Hand vor dem Saloon auf und ab patrouillieren.
Sie werden sich verteilt haben!, überlegte Lawton. Die Schießfertigkeiten eines Barkeepers waren schwer einzuschätzen und Lawton hatte auch keinerlei Neigung dazu, sie auf die Probe zu stellen. Ich brauche ein Pferd unter dem Hintern!, durchzuckte es ihn. Wenn er es bis zum hiesigen Mietstall schaffte, hatte er vielleicht eine Chance.
Lawton atmete tief durch.
Das waren noch gut zweihundert Schritte, wenn man den direkten Weg nahm. Aber dann musste er an dem Barkeeper vorbei und daher schied diese Möglichkeit aus.
Er musste versuchen, auf der anderen Seite der Häuserfront bis zum Mietstall zu gelangen…
Lawton hatte diesen Gedanken noch nicht ganz zu Ende gedacht, da sah er aus der Dunkelheit einen Schatten auftauchen.
Alles, was dann geschah, war nur eine Frage von Sekunden. Es war unmöglich, genau zu erkennen, wen man vor sich hatte, aber der Instinkt sagte Lawton, dass dieser unscheinbare, vorsichtig und fast lautlos bewegende Schatten einem jener Männer gehörte, die seinen Tod wollten.
Er sah das Mündungsfeuer blitzen und warf sich in den schlammigen Boden, rollte sich herum und feuerte zurück.
An einen gezielten Schuss war in solch einer Lage nicht zu denken. Lawton feuerte einfach zweimal in das Dunkel hinein, dorthin, wo Sekundenbruchteile zuvor noch das Mündungsfeuer zu sehen gewesen war.
Dann rappelte er sich hoch und rannte so schnell er konnte weiter die Häuserfront entlang.
Ein Schuss wurde ihm hinterher gesandt, er schlug einen Haken und verschanzte sich dann hinter einer weiteren Hausecke. Irgendetwas stimmte mit seinem rechten Bein nicht!
Von seinem Ziel, dem Mietstall, war er weiter entfernt denn je. Noch vier Kugeln!, dachte er.
Jetzt erst wurde ihm der Schmerz bewusst, der von seiner rechten Wade ausging. Vorsichtig betastete er das Hosenbein. Es war blutdurchtränkt.
Verzweifelt richtete er sich auf und versuchte aufzutreten. Nur mit Mühe konnte er einen Schmerzensschrei unterdrücken, der ihn unweigerlich verraten hätte und sein endgültiges Todesurteil gewesen wäre. Er knickte ein und sackte an der Hauswand, hinter der er sich verborgen hielt, zu Boden.
*
"Was war los?", fragte der Barkeeper. "Ich habe Schüsse gehört!" Dray blickte sich um und achtete zunächst gar nicht auf seinen Komplizen.
"Verdammt, nun red' schon, Dray!"
"Ich hätte ihn fast gehabt, Johnny?"
"Wo ist der Kerl jetzt?"
"Wenn ich das wüsste!" Der Rothaarige machte eine hilflose Geste.
"Ich habe ihn verloren!"
"So ein Mist! Wir sind geliefert, wenn er entkommt!"
"Weiß ich, Johnny! Wo sind die anderen?"
"Grady schleicht auch hier draußen irgendwo herum. Und Logan hält sich noch immer seinen Schädel!"
"Überleg doch mal, Johnny! Wohin würde es dich ziehen, wenn du in der Lage von diesem Lawton wärst?"
"Hm!" Er runzelte die Stirn, so dass es fast den Eindruck machte, als würde er tatsächlich nachdenken. Aber Dray wusste im Voraus, das nichts dabei herauskommen würde. Johnny hatte einfach keine Phantasie.
In diesem Moment stolperte Logan durch die Schwingtüren des Saloons. Er hielt sich den Schädel, schüttelte sich, wie ein Tier, das man ins Wasser geworfen hatte und starrte die beiden anderen mit einer Mischung aus Unglauben und Zorn an.
Dann drang ein Wiehern durch die Nacht.
"Das kommt von Jones' Mietstall!", rief Johnny.
*
Es war Lawton gelungen, mit letzter Kraft den Mietstall zu erreichen und einem der Pferde Zügel anzulegen.
Auf den Sattel verzichtete er.
Er hatte nicht mehr genug Zeit.
Das Bein tat furchtbar weh, er musste die Zähne aufeinander beißen, um nicht laut loszuschreien.
Während er das Pferd hinausführte, hing er halb am Hals des Tieres. Dann war er endlich draußen. Er steckte sich den Revolver in den Hosenbund und quälte sich mit der Kraft der Verzweifelung auf den Rücken des Tieres.
Er keuchte, als er es geschafft hatte.
Trotz der Nachtkühle schwitzte er jetzt am ganzen Körper. Jetzt galt es, alles auf eine Karte zu setzen.
Er drückte dem Gaul die Hacken in die Seiten, um es voranzutreiben, aber das Tier wollte nicht gleich.
Na, los! Verdammt!
Das Tier setzte sich in Bewegung. Mit den Augenwinkeln bemerkte Lawton eine Bewegung. Schnelle Schritte. Stimmen. Und dann Schüsse. Das Pferd scheute und bäumte sich auf. Und während es auf der Hinterhand stand und er sich an seiner Mähne festkrallte, sah er flüchtig Gestalten durch die Nacht hetzen.
Mündungsfeuer blitzten.
Er spürte einen rasenden Schmerz an seiner Schulter. Seine Hand wollte zum Hosenbund gleiten und den Revolver herausreißen, als ihm eine weitere Kugel in die Seite fuhr.
Lawton sackte kraftlos in sich zusammen, glitt vom Rücken des Pferdes und fiel mit einem schrecklichen, klatschenden Geräusch in den Schlamm.
*
Dray drehte das Gesicht des Toten aus dem Schlamm, bevor er seinen Revolver zurück ins Holster steckte. Er schob sich den Hut in den Nacken und fuhr sich mit der Hand über die Stirn.
"So unappetitlich hast du dir das wohl nicht vorgestellt, was?", war Logans kalte Stimme zu hören.
Dray verzog das Gesicht.
"Halt's Maul!"
Aus dem Dunkel traten jetzt fast zwei Dutzend Männer. Don Miller, der Sheriff, war darunter, nur halb angezogen, aber mit Revolver im Holster, und Stokes, der hohlwangige Drugstorebesitzer, der ziemlich ängstlich schien.
Und Will Rankine, der alte Fallensteller mit seinem SüdstaatlerSäbel.
"Ihr Hunde!", rief der Fallensteller und rieb sich die Augen.
"Ich möchte wissen, was hier passiert ist!", forderte der Sheriff in barschem Ton.
Niemand sagte etwas, nicht einmal Logan, der sonst zu allem etwas zu sagen hatte.
Miller beugte sich kurz über den Toten und nickte dann stumm.
"Seine vielen Dollars haben ihm nicht viel Glück gebracht!", sagte jemand, und Miller wirbelte blitzartig herum, um zu sehen, wer das von sich gegeben hatte.
*
Drei Monate später…
"Wir mögen hier keine Fremden!"
Ray Bradford war gerade aus dem Sattel gestiegen, hatte sein Pferd vor dem Saloon angebunden und war nun damit beschäftigt, sich den Staub von den Kleidern zu klopfen.
Aber nun hielt er inne, um sich nach dem Sprecher umzuschauen.
"Ich würde Ihnen empfehlen, gleich weiter zu reiten!" Bradford blickte in ein stoppelbärtiges Gesicht, aus dem heraus ihn ein giftiges Augenpaar anfunkelte.
Nicht gerade ein herzlicher Empfang!, dachte er sarkastisch. Er musterte sein Gegenüber abschätzig.
"Ich bin den ganzen Tag geritten! Jetzt wird es bald dunkel. Wenn Sie nichts dagegen haben, werde ich zumindest heute Nacht in Harlington bleiben!"
"Doch, Mister! Ich hab' was dagegen!" Er spuckte aus und rülpste ungeniert. "Aber wie es scheint, kann mein gut gemeinter Rat Sie nicht davon abhalten, trotzdem hier zu bleiben!"
"So ist es!"
Bradford war nicht entgangen, dass sein Gegenüber einen Revolvergurt trug.
Er macht einen verdammt angriffslustigen Eindruck!, überlegte Bradford, entschied aber dann, dass es sich wahrscheinlich um einen Maulhelden handelte. Trotzdem war nicht auszuschließen, dass er einen günstigen Moment nutzen und seine Waffe– einen altmodischen Perkussionsrevolver– aus dem Holster reißen und abfeuern würde. Bradford schob sich mit dem Zeigefinger seinen breitkrempigen Hut in den Nacken.
"Es ist nicht gerade die feine Art, Fremde anzupöbeln", meinte er sachlich. "Ich habe Ihnen nichts getan, Sie haben also keinen Grund, mir feindselig gegenüberzustehen!"
Dann ging Bradford, ohne sein Gegenüber noch eines Blickes zu würdigen, an ihm vor rüber und betrat den Saloon.
Der Schankraum war fast leer, nur in einer Ecke saßen ein paar misstrauisch dreinblickende Männer hinter ihren Gläsern. Ihr zänkisches Stimmengewirr verstummte in dem Moment, in dem Bradford eingetreten war und auch der dicke Barkeeper sah ihn an, als wäre er ein exotisches Tier.
"Tag!", grüßte er dann knapp, nickte erst den Männern am Tisch und dann dem Barkeeper zu.
"Tag!", gab der Dicke lakonisch zurück. Seine Gäste zeigten überhaupt keine Reaktion.
Sie starrten schweigend in Richtung des Fremden, musterten ihn mit deutlichem Misstrauen in den Gesichtern und warteten erst einmal ab. Außer Bradfords schweren Schritten, die ihn zur Theke führten und dem angestrengten Atmen des dicken Barkeepers war kein Laut zu hören.
"Mein Name ist Bradford. Ich suche ein Zimmer für die Nacht!" Der Barkeeper sagte nichts, sondern atmete stattdessen tief durch. Wahrscheinlich ist er deshalb so dick, weil er sich zu oft an seinem eigenen Spirituosenvorrat vergriffen hat!, dachte Bradford, der noch immer auf eine Antwort wartete.
Der Dicke wechselte einen unsicheren Blick mit den Männern am Tisch.
Aber niemand sagte ein Wort.
Bradford wartete noch einige Augenblicke lang ab, dann wurde er ärgerlich.
"Mister, ich fragte nach einem Zimmer! Ich bin den ganzen Tag geritten und würde mich heute Nacht gerne irgendwo in Ihrer Stadt bequem ausstrecken!" Bradford verengte etwas die Augen und musterte den Dicken eindringlich. "Sie haben doch Gästezimmer, oder?" Der Barkeeper nickte.
"Ja, habe ich."
Er holte das Gästebuch unter der Theke hervor und brummte mürrisch: "Tragen Sie sich dort ein! Bezahlt wird im Voraus!" Und nach einer Pause setzte er noch hinzu: "Schließlich… sind Sie ein Fremder!" Bradford nickte.
"Verstehe!"
Aber er war sich in diesem Moment nicht sicher, ob er wirklich verstand, was hinter dem aufgeschwemmten Gesicht des Barkeepers vor sich ging.
"Sie wollen eine Nacht bleiben, Mister… äh… Bradford?"
"Ja, erst mal."
Und dabei kritzelte Bradford seinen Namen an die Stelle, die man ihm angegeben hatte.
"Was soll das heißen: erst mal?"
Bradford blickte etwas irritiert auf.
Dann meinte er: "Ich sag's Ihnen früh genug, wenn ich noch eine weitere Nacht bleiben muss!"
Seltsam!, dachte er. Er scheint nicht sehr begeistert davon zu sein, einen Gast zu bekommen!
Der Barkeeper nannte ihm den Preis, den er pro Nacht verlangte und Bradford bezahlte– im Voraus.
Unterdessen hatten die Männer am Tisch ihr Gespräch wieder aufgenommen; gedämpfter allerdings, so dass Bradford nur ein dumpfes Gemurmel vernahm.
Er ließ sich einen Whiskey geben und trat an ihren Tisch heran.
"Hallo, Leute!", sagte er etwas unbeholfen, denn er spürte das eisige Misstrauen, das ihm von Seiten der Einheimischen entgegenschlug.
"Vielleicht haben Sie es eben mitgekriegt: Mein Name ist Bradford!" Die Antwort war Schweigen, ein Schweigen, das mehr sagte, als viele Worte es getan hätten.
"Ich bin hier in Harlington, weil ich einen Mann suche", erklärte Bradford weiter. "Er heißt Jim Lawton und ist ein Freund von mir." Schlagartig ging in den Gesichtern der Männer eine Veränderung vor sich: Aus Misstrauen wurde ungeschminkte Feindseligkeit. Bradford bemerkte diese Veränderung nicht früh genug und so fragte er unbekümmert weiter: "Hat jemand von Ihnen Jim Lawton gesehen?"
"Er hat Harlington nie betreten!", kam die Antwort von einem vierschrötigen, rothaarigen Mann, an dessen Gürtel neben dem Colt auch ein langes Bowie-Messer hing. Der Rothaarige hatte sehr schnell geantwortet.
Zu schnell, wie Bradford fand.
"Lawton ist vierunddreißig, hat etwa meine Größe, dunkelblondes Haar und eine ziemlich auffällige Narbe auf der linken Wange", sagte Bradford an die anderen Männer gewandt. "Sie müssten ihm eigentlich begegnet sein! Schließlich ist Harlington nicht gerade eine Großstadt!
Wenn hier ein Fremder auftaucht, dann fällt das doch auf!"
"Eben!", erwiderte der Rothaarige, der Bradford auf einmal geradezu unnatürlich gesprächig schien. "Wenn dieser Lawton hier gewesen wäre, würde ich mich an ihn erinnern!"
"Lawton war hier!", beharrte Bradford. "Er muss hier gewesen sein, denn er hat mir aus Harlington telegraphiert! Das war das letzte, was ich von ihm gehört habe…"
Die Männer am Tisch wirkten wie versteinert, während Bradford sie einen nach dem anderen musterte. Indessen betrat der Unrasierte den Saloon, der Bradford in Empfang genommen hatte. Bradford bemerkte ihn und wandte den Kopf ein wenig, so dass er den Kerl aus den Augenwinkeln heraus sehen konnte.
"Dachte ich es mir doch, dass der Fremde Ärger macht", meinte der Unrasierte grinsend.
"Keine Sorge. Wir werden schon damit fertig, Grady", erwiderte der Rothaarige.
Grady zuckte die Achseln.
Der Rothaarige lehnte sich unterdessen zurück, zog sein BowieMesser und begann, sich damit die Trauerränder von den Fingernägeln zu entfernen.
In seinem Gehabe lag eine offene Drohung.
Bradford verstand das sofort, aber hatte nicht vor, sich so leicht abwimmeln zu lassen.
Schließlich war er hier, um seinen Freund Lawton– oder doch zumindest eine Spur von ihm– zu finden.
"Wenn dieser… äh… Lawton dem Gentleman hier telegraphiert hat, dann ist er vielleicht doch hier gewesen– und wir haben ihn nur längst vergessen. Was meinst du, Logan?", wandte sich der Rothaarige nun an den rechts von ihm sitzenden Mann.
Logan nickte eilfertig.
"Klar doch, klar doch, Dray! Lass mich noch mal nachdenken…" Dann blickte er zu Bradford. "Er hatte eine Narbe im Gesicht, sagen Sie?"
"So ist es."
Dray schob sich den Hut ins Gesicht und kratzte sich hinter den Ohren.
"So vor drei oder vier Monaten– könnte auch schon länger her sein, ich will mich da nicht festlegen– da war einer hier, auf den Ihre Beschreibung passen würde." Logan wandte sich an die anderen Männer am Tisch. "Hat er einem von euch vielleicht seinen Namen gesagt? Ich habe nicht mit ihm gesprochen, sondern nur gesehen, wie er die Stadt in südliche Richtung verließ."
"Jetzt erinnere ich mich auch!", meinte plötzlich der rothaarige Dray.
"Aber ich habe ebenfalls nicht mit diesem Mann gesprochen."
"Wie gesagt", setzte Logan hinzu. "Ihre Beschreibung könnte passen. Aber vielleicht war es auch jemand anderes."
"Wenn er in Harlington war, dann wird er doch wahrscheinlich in einem Ihrer Gästezimmer übernachtet haben", wandte Bradford sich nun an den Barkeeper. "Er müsste also in Ihrem Gästebuch stehen!"
"Völlig richtig!", stimmte Dray zu, wobei er sein Bowie-Messer wieder einsteckte. Er erhob sich und ging zur Theke.
"Los, Johnny, zeig dem Gentleman mal dein Gästebuch!" wandte er sich an den Dicken.
Bradford zog die Augenbrauen in die Höhe.
Diese plötzliche Hilfsbereitschaft war doch äußerst merkwürdig…
"Wann haben Sie das Telegramm erhalten, Mr. Bradford?" fragte Dray.
Er nahm das Gästebuch und blätterte darin herum.
"Vor drei Monaten."
"Dann müsste er hier irgendwo stehen. Aber sehen Sie selbst! Ein Lawton hat sich dort nicht eingetragen!"
Daraufhin meldete sich Logan vom Tisch aus zu Wort.
"Wenn dieser Mann– Lawton, oder wie auch immer er heißt– tatsächlich hier war, dann muss es wohl so gewesen sein, dass er in unsere Stadt kam, einen kurzen Halt einlegte, um zu telegraphieren, und dann gleich weitergeritten ist." Er verzog das Gesicht. "An Ihrer Stelle würde ich mich möglichst bald auf die Socken machen! Wenn Sie sich nicht schleunigst auf den Weg machen, werden Sie seine Spur völlig verlieren."
Bradford nahm Dray das Buch aus der Hand.
Tatsächlich, Lawtons Name war in dem betreffenden Zeitraum dort nicht zu finden und fast hätte Bradford sich mit der Erklärung der Männer zufrieden gegeben und ebenfalls angenommen, dass Jim Lawton sofort nach Aufgabe des Telegramms weitergezogen war. Aber da war etwas– eine Kleinigkeit nur!– die Bradford stutzen ließ. Er hielt das Buch so in der Hand, wie Dray es aufgeschlagen hatte. Zwischen der letzten Eintragung auf der einen Seite und der ersten Eintragung auf der folgenden lagen ganze drei Monate, die zudem genau den Zeitraum umfassten, in dem Lawton nach Harlington gekommen sein musste!
Drei Monate kein Gast!, überlegte Bradford. Das war selbst für das abgeschiedene Harlington merkwürdig!
Viel wahrscheinlicher war, dass hier jemand– sehr sorgfältig allerdings!– eine Seite aus dem Gästebuch entfernt hatte!
*
Der einzige Mietstall in Harlington wurde von einem alten Mann namens Jones betreut.
Als Bradford ihn aufsuchte, um sein Pferd bei ihm unterzubringen, war Jones zunächst recht geschwätzig.
Im Gegensatz zu den Einheimischen, die Bradford bisher kennen gelernt hatte, schien der Alte ihn als willkommene Abwechslung im Provinznesteinerlei von Harlington zu empfinden.
Als dann aber der Name Jim Lawton fiel, war Jones plötzlich wie umgewandelt.
Auf einmal gab er an, ein schlechtes Gehör zu haben und Bradford nicht zu verstehen, obgleich er ihn zu Anfang sehr gut verstanden hatte. Es war etwas faul an der Sache, das stand für Bradford jetzt fest. Woher kam nur diese Mauer aus Schweigen und Feindseligkeit, sobald er den Namen seines Freundes Lawton erwähnte?
Bradford dachte angestrengt nach.
Es musste eine Erklärung für all das geben! Lawton hatte sich aus Harlington telegrafisch gemeldet und angekündigt, dass er in ein paar Wochen zurück in St. Louis sein würde.
Dort war er allerdings nie angekommen.
Bradford und die anderen Teilhaber der RIVER QUEEN hatten den Raddampfer inzwischen verkauft. Jeder von ihnen hatte dabei einen Verlust hinnehmen müssen. Aber Rick und Cray waren der Ansicht gewesen, dass es besser war, das möglichst schnell zu vollziehen, um die Verluste nicht ins Uferlose wachsen zu lassen.
So hatte Bradford allein dagestanden.
Es hatte wehgetan, den Traum vom Frachtgeschäft auf dem Mississippi aufgeben zu müssen.
Aber da war etwas, das noch viel mehr an Bradfords Seele nagte. Etwas, das mehr zählte als Geld.
Was war mit Jim Lawton geschehen?
Hatte er die anderen Eigner der RIVER QUEEN tatsächlich einfach im Stich gelassen, wie Rick und Cray vermuteten? Beide waren inzwischen gen Süden gezogen waren, um dort neu anzufangen. Aber Bradford wollte sich nicht so einfach zufrieden geben. Er hatte Jim Lawton gekannt, seit sie auf benachbarten Farmen in Ohio groß geworden waren. Es konnte einfach nicht sein, dass er sich in einem Menschen, den er so lange kannte, dermaßen getäuscht haben sollte.
Die Wahrheit.
Das war es, wonach Bradford suchte.
Die Wahrheit über Jim Lawton.
Er war auf dem Rückweg gewesen, als er durch Harlington gekommen war.
Und er musste eine beträchtliche Menge an Bargeld mit sich geführt haben!
Ein ungutes Gefühl machte sich in Bradfords Magengegend bemerkbar.
Es schien, als hätte Lawton sich in Harlington ziemlich unbeliebt gemacht.
Vielleicht war ihm etwas zugestoßen…
Wenn jemand herausgekriegt hat, wie viel Geld Jim bei sich hatte…, schoss es Bradford durch den Kopf.
Er würde mit dem Sheriff sprechen müssen.
*
Als Bradford das Office betrat, war Sheriff Don Miller gerade damit beschäftigt, ein paar Fische auszunehmen und einzulegen. Wahrscheinlich hatte er den Nachmittag damit verbracht zu angeln. Jetzt lag sein Fang ausgebreitet auf dem Schreibtisch; die wenigen Akten waren zur Seite geschoben worden.
Miller war zunächst eher gleichgültig, so als wollte er Bradford unbedingt klarmachen, dass er im Moment mehr an seinen Fischen interessiert war, als an dem, was der Fremde ihm zu sagen hatte. Dann fiel der Name Lawton.
Bradford glaubte für den Bruchteil einer Sekunde, den Ausdruck des Erschreckens im Gesicht des Sheriffs gesehen zu haben. Doch schon im nächsten Moment hatte Miller sich wieder vollkommen unter Kontrolle, so dass Bradford sich nicht mehr sicher war, ob er sich am Ende nicht gar getäuscht hatte…