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Ein Hund redet Klartext, ein Herrchen rauft sich die Haare. Die meisten Hundebesitzer glauben zu wissen, was ihr treuer Freund denkt. Walter, ein Familienvater Anfang 50, findet es heraus: Seine Hündin, Miss Happy, spricht mit ihm, jeden Morgen, unter vier Augen. Und sie hat nicht nur ihre ganz eigene Sicht auf die Welt, sondern auch immer gleich eine Meinung parat. Zu Diäten, Fake News, Hundehotels, Diktaturen, Selbstbaumöbeln, Versicherungsfragen oder der Rangordnung im Familienrudel …
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Seitenzahl: 242
Veröffentlichungsjahr: 2018
Moritz Matthies
Ein Hund redet Klartext, ein Herrchen rauft sich die Haare.
Die meisten Hundebesitzer glauben zu wissen, was ihr treuer Freund denkt. Walter, ein Familienvater Anfang 50, findet es heraus: Seine Hündin, Miss Happy, spricht mit ihm, jeden Morgen, unter vier Augen. Und sie hat nicht nur ihre ganz eigene Sicht auf die Welt, sondern auch immer gleich eine Meinung parat. Zu Diäten, Fake News, Hundehotels, Diktaturen, Selbstbaumöbeln, Versicherungsfragen oder der Rangordnung im Familienrudel …
Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, Oktober 2018
Copyright © 2018 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
Umschlaggestaltung any.way, Barbara Hanke/Cordula Schmidt
Umschlagmotiv: Elke Vogelsang
ISBN 978-3-644-40580-6
Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation
Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp
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«Was hältst du davon, wenn ich ein Buch schreibe?»
Miss Happy hebt ihren schwarzen Labradorkopf. «Ein Buch? Worüber?»
Ich nippe am ersten Espresso des Tages. Die Sonne scheint durchs Küchenfenster. Wie üblich schläft der Rest meiner Familie noch.
«Na, über dich und mich», antworte ich.
«Du willst ein Buch über mich schreiben? Find ich gut.»
«Über uns», korrigiere ich leicht pikiert. «Über unsere Gespräche und Erlebnisse. Eben ein Buch über einen Mann und seinen Hund.»
«Aber hauptsächlich geht es doch um mich, oder?», fragt Miss Happy.
«Nein. Es geht um uns beide», erwidere ich.
Miss Happy überlegt eine Weile, dann sagt sie: «Keine schlechte Idee, aber ich glaube, du solltest noch am Konzept feilen.»
«Inwiefern?»
«Ich frage mich zum Beispiel, wieso du darin vorkommen musst.»
«Was meinst du damit?»
«Na, ich bin mir nicht sicher, ob du irgendetwas zum Erfolg meines Buches beisteuern kannst», sagt Miss Happy. «Ich meine, Geschichten über Durchschnittstypen gibt es ja wie Sand am Meer. Sprechende Hunde sind hingegen rar.»
«Aber ich bin Teil dieser Geschichte», bringe ich perplex hervor. «Zum Beispiel bin ich es, der herausgefunden hat, dass du sprechen kannst, weil ich dich beim Plaudern mit dem Sprachassistenten erwischt habe.»
«Ich hab nicht geplaudert, ich wollte nur den Fernseher einschalten», erwidert Miss Happy. «Übrigens werden es mir sehr viele Hunde übelnehmen, wenn ich dieses kleine Geheimnis lüfte.»
«Du meinst, wenn du verrätst, dass du sprechen kannst?»
«Ich verrate ja auch, dass alle Hunde sprechen können. Und dann ergeht es uns Hunden wie den Papageien: Seit raus ist, dass die sprechen können, haben sie keine ruhige Minute mehr. Wenn mein Buch die Hundebesitzer zu Haustierdialogen ermutigt, dann wird man es mir ankreiden, dass wir jetzt auch noch zum Quatschen herhalten müssen.»
Ich winke ab. «Sieh die Sache mal nicht zu dramatisch. Ich bin sicher, dass man die Geschichte als Fiktion betrachten wird. Selbst Sabine und Emily haben keine Ahnung davon, dass du sprechen kannst. Und die wohnen immerhin mit dir unter einem Dach.»
«Apropos», hakt Miss Happy ein. «Warum tauchen Sabine und Emily eigentlich nicht in meinem Buch auf? Ich meine, wenn du schon unbedingt erwähnt werden willst, dann gilt ja wohl gleiches Recht für deine Frau und deine Tochter, oder?»
«Natürlich sollen sie auch erwähnt werden», sage ich. «Offiziell bist du der Hund unserer Tochter, und Emily hat dir auch deinen Namen gegeben.»
«Zumindest eine Hälfte davon», wirft Miss Happy ein.
«Genau. Sabine hat die Anrede erfunden, weil du sie an die Südstaaten-Miss Scarlett O’Hara erinnerst.»
«Eben. Klingt trotzdem, als würde da jetzt noch ein Aber kommen.»
«Ja. Da Emily und Sabine nicht wissen, dass du reden kannst, sind unsere gemeinsamen Aktivitäten als Familie nicht besonders spannend. Ich meine, wir leben einen normalen Alltag – mit Hund.»
«Das sehe ich etwas anders», widerspricht Miss Happy. «Es gab in meinem jungen Leben schon eine Menge besonderer Momente. Etwa unsere allererste Begegnung. Erinnerst du dich? Wie ich als zuckersüßer Welpe Emily entgegengelaufen bin? Daraus könnte selbst ein unbegabter Schriftsteller eine herzergreifende Geschichte machen. Oder denk an unsere gemeinsam durchwachten Nächte. Ich immer an deiner Seite, weil du so eine seltsame innere Unruhe hattest und nicht schlafen konntest.»
«Du warst es, die nicht schlafen konnte», sage ich aufgebracht. «Weil du als kleiner Hund immer mitten in der Nacht aufgewacht bist und dann unbedingt spielen wolltest.»
«Stimmt! War das nicht auch sehr süß?», fragt Miss Happy. «Schreib das auf, das muss unbedingt in mein Buch.»
«Ich fand es überhaupt nicht süß», erwidere ich. «Im Gegenteil, wenn Sabine nicht dagegen gewesen wäre, dann würdest du jetzt in einer Hundehütte im Garten wohnen.»
«Wirklich? Du hattest vor, mich in den Garten zu verbannen?» Miss Happy hebt verächtlich eine Lefze. «Und so jemanden soll ich in meinem Buch erwähnen?»
Mir platzt der Kragen. «Es ist nicht dein Buch. Wenn überhaupt, dann ist es unser Buch. Eigentlich ist es aber sogar mein Buch, weil ich nicht nur die Idee dazu hatte, sondern es auch eigenhändig schreiben werde.»
«Ach ja? Dann sind wohl auch nur dein Name und dein Bild vorne drauf, oder was?»
«Na ja, ehrlich gesagt denke ich, ein guter Titel wäre so was wie: Hallo, Walter. Weil du mich doch immer so begrüßt, wenn ich in die Küche komme.»
«So habe ich dich im Leben noch nicht begrüßt», widerspricht Miss Happy. «Aber erzähl weiter. Wie sieht das Cover von diesem Ladenhüter aus?»
«Ich dachte, ich bin frontal zu sehen und schaue in die Kamera, also dem Leser direkt in die Augen. Ich fände es ganz schön, wenn du vom unteren linken Bildrand zu mir hochschauen würdest.»
Miss Happy zieht die Lefzen hoch und lässt sie im Strom ihrer Atemluft flattern. Das ist ihre Art, herzhaft zu lachen.
«Gehe ich recht in der Annahme, dass du meine Vorschläge nicht so toll findest?», frage ich gereizt.
Sie schnauft amüsiert. «Walter, wenn du die Wahl zwischen einem Buch mit dem Bild eines jungen schwarzen Hundes und einem Buch mit dem Bild eines alten weißen Mannes hast, dann nimmst du nicht das Buch mit dem alten Knacker», sagt Miss Happy. «Du nimmst selbstverständlich das mit dem jungen Hund.»
«Verstehe. Das heißt dann wohl, du möchtest gern aufs Cover, richtig?»
«Eine sehr gute Idee von dir», antwortet Miss Happy.
«Und erwartest du, dass ich vom unteren linken Bildrand zu dir aufschaue?»
«Nein. Selbst wenn man dein Gesicht nur am unteren linken Rand sehen würde, wäre das Cover ruiniert. Es ist viel besser, wenn man dich überhaupt nicht sieht.»
«Aber dann passt der Titel ja gar nicht mehr», wende ich ein.
«Was für ein glücklicher Zufall», erwidert Miss Happy ungerührt. «Hallo, Walter ist ja auch kein Titel, sondern eine kreative Bankrotterklärung. Wir nennen das Buch Guten Morgen, Miss Happy. Mein Konterfei wird auf einem satten Gelb erscheinen. Das weckt Assoziationen an die aufgehende Sonne und wirkt nebenbei frisch und freundlich. Was hältst du davon?»
«Heißt das, ich tauche gar nicht auf?», frage ich ernüchtert.
«Doch», entgegnet Miss Happy. «Sogar ständig. In den Geschichten. Wir sind doch ein Team. Wie Sherlock Holmes und Dr. Watson. Oder Don Quixote und Sancho Panza. Oder Batman und Robin.»
Ich überlege. Ganz unrecht hat sie nicht. Ich sollte mich um der Sache willen wohl damit zufriedengeben, nur eine untergeordnete Rolle zu spielen, und Miss Happys Vorschläge akzeptieren.
«Na ja, immerhin werde ich als Autor genannt», sage ich und finde es tröstlich, dass wenigstens mein Name auf dem Cover erscheinen wird. «Das ist ja auch nicht zu verachten.»
Miss Happy schüttelt den Kopf. «Glaub mir, Walter. Es ist keine gute Idee, das Buch unter deinem richtigen Namen herauszubringen.»
«Warum nicht?», frage ich empört.
«Habe ich dir doch gesagt. Viele Hunde werden nicht begeistert darüber sein, dass ich unser Geheimnis ausplaudere. Wir ersparen uns also eine Menge Ärger, wenn nicht jeder sofort nachvollziehen kann, wer du bist und wo wir wohnen. Oder willst du, dass Hunde- und Pressemeuten unser Haus belagern?»
Natürlich will ich das nicht. Und da das von Miss Happy entworfene Szenario nicht völlig unrealistisch ist, füge ich mich erneut in mein Schicksal.
«Gut, dann erscheint das Buch eben auch noch unter Pseudonym», sage ich geschlagen.
«Prima», freut sich Miss Happy. «Kann ich sonst noch was für dich tun, Walter? Hast du weitere Wünsche?»
Da ich ahne, dass ich auch den Kürzeren ziehen werde, wenn ich jetzt über die Verteilung der Tantiemen verhandele, sage ich: «Nö. Alles bestens. Genau so machen wir es.»
Miss Happy freut sich.
Ich nicke bestätigend. Manchmal muss man einsehen, dass man seinem Hund einfach nicht das Wasser reichen kann.
«Ich werde jetzt aufs Bett springen.»
Miss Happy weiß ganz genau, dass ich das nicht erlaube. Schlaftrunken nuschele ich: «Wie bitte?»
«Ich sagte, ich werde jetzt aufs Bett springen», wiederholt sie.
Ich bin zu müde, um mich in eine aufrechte Position zu bringen. Wenn ich ihre Stimme richtig verorte, dann dürfte sie am linken Fußende des Doppelbettes stehen. Bereit, mit nur einem Satz dahin zu gelangen, wo eine weiche Matratze mit kuscheligen Kissen und Decken auf sie wartet.
«Du wirst ganz sicher nicht aufs Bett springen», sage ich so bestimmt, wie mein Zustand es erlaubt.
«Werde ich doch», kontert sie trotzig.
«Nein. Wirst du nicht.»
«Werde ich doch.»
«Wirst du nicht.»
«Werde ich doch.»
Das Hin und Her macht mich noch müder, als ich es ohnehin schon bin. Es entsteht ein kurzer Moment der Stille, dann fragt sie: «Also, was ist jetzt? Darf ich?»
«Du kennst die Antwort.»
«Ach, komm schon, Walter. Wenn Sabine und Emily hier wären, dann dürfte ich jetzt auch ins Bett.»
«Sabine und Emily sind aber erst heute Abend wieder da. Und so lange gelten hier meine Regeln.»
Es klingt, als würde sie herzhaft gähnen. Dann höre ich sie sagen: «Willst du wirklich an einem schönen Sonntagmorgen um kurz vor sechs über deine idiotischen Regeln diskutieren?»
«Es ist erst kurz vor sechs?», frage ich und merke, dass ich zu müde bin, um mich angemessen darüber aufzuregen, dass unser Hund mich um diese Zeit in eine Grundsatzdiskussion verwickeln will.
«Ja. Fünf Uhr zweiundfünfzig. Lass mich doch jetzt einfach aufs Bett springen, dann gönnen wir beide uns noch eine ordentliche Mütze Schlaf. Ich verspreche dir, ich werde dich nicht vor halb neun wecken. Ist das ein faires Angebot?»
«Du willst mich bestechen?»
«Wenn es um Freiheit und Komfort geht, ist mir jedes Mittel recht», verkündet Miss Happy.
Ich grinse müde, rutsche ein Stückchen hoch und lehne mich an das Kopfteil. Ich kann jetzt ihre Nasenspitze sehen. «Es ist nicht so, dass ich es dir nicht gönnen würde, bei uns im Bett zu schlafen …»
«Super, dann darf ich jetzt?», unterbricht sie und setzt zum Sprung an, was ich daran erkenne, dass ihre Nasenspitze unter dem Bett verschwindet.
«Nein. Lass mich ausreden. Ich bin prinzipiell der Ansicht, dass Hunde im Bett und im Bad nichts verloren haben …»
«Ach, nicht schon wieder die alte Leier», wirft sie ein.
«Doch, und ich werde das so lange wiederholen, bis alle es verstanden haben, du eingeschlossen. Ich meine, du benutzt weder die Toilette, noch duschst du dich. Du benötigst keinen Föhn und keine elektrische Zahnbürste, denn wenn du dir die Zähne putzen willst, dann machst du das mit einem lederähnlichen Kaustreifen, der nach Rinderhintern schmeckt. Was, zur Hölle, hast du also im Badezimmer verloren?»
Ihre Nasenspitze taucht wieder auf. Miss Happy streckt sich, um mich sehen zu können. «Wer weiß? Vielleicht schminke ich mich ja heimlich.»
«Im Ernst. Warum gehen Hunde gern ins Bad? Kannst du mir das erklären?»
«Wir sind einfach neugierig», antwortet sie. «Und es gibt dort eine Menge zu entdecken. Diese vielen Cremes und Lotions, Seifen und Parfums, das ist wie eine Duftexplosion. Wie Achterbahnfahren: Es brizzelt so schön im Hinterkopf. Außerdem macht es uns Spaß, Wäsche aus dem Bad zu klauen.»
Ich verschränke die Arme vor der Brust. «Mmmmh.»
«Und warum ich morgens gern bei euch in diesem wahnsinnig weichen Bett liege, muss ich dir nicht erklären, oder?»
«Nein, das leuchtet ein», gebe ich zu.
«Heißt das, du hast es dir überlegt? Darf ich jetzt endlich?», fragt sie erwartungsvoll.
Beinahe bin ich versucht, Fünfe gerade sein zu lassen. Es ist Sonntag, im Bett ist genug Platz, außerdem hat sie höflich gefragt. Und es stimmt, wenn Sabine und Emily hier wären, dann läge sie längst zwischen den Kissen. Andererseits kann man ein Prinzip nicht nach Belieben auslegen. Sonst wäre es ja kein Prinzip. «Tut mir leid, aber die Antwort ist: Nein.»
«Du bist ein sturer Hund», sagt Miss Happy. «Wann gibt’s Frühstück?»
«Frühestens gegen acht», antworte ich und rutsche wieder ins Kissen. «Und jetzt entschuldige mich, ich möchte gern noch etwas schlafen.»
Stille.
Ich höre, dass sie das Schlafzimmer verlässt. Ihre Krallen verursachen auf dem Holzfußboden ein leises Klackern, das durch den Flur in die Küche wandert und dort verstummt.
Ich vermute, sie hat sich in ihr Körbchen gelegt und wartet jetzt auf ihr Frühstück. Zufrieden schließe ich die Augen.
Sekunden später höre ich Miss Happy sagen: «Alexa, schalte den Fernseher ein!»
Während mir unser Sprachassistent dazwischenquatscht, rufe ich: «Der Fernseher bleibt aus!»
Zu spät. Ich reiße die Augen auf, weil die Eröffnungsfanfaren der Uralt-Fernsehserie «Dallas» durch die Wohnung scheppern.
«Entschuldigung», ruft Miss Happy und hat Mühe, den Krach zu übertönen. Sie befiehlt Alexa, den Fernseher auszuschalten, um gleich danach «I Don’t Like Mondays» von den Boomtown Rats zu bestellen.
«Auch keine Musik!», rufe ich genervt.
«Aber das war doch mal dein Lieblingslied», erwidert Miss Happy. «Damals, als du jung warst.»
Hätte ich ihr das nur nie erzählt. «Mach es aus!»
«Was ist mit einem Hörspiel? Darf ich ein Hörspiel?»
«Nein! Auch kein Hörspiel!»
«Und Tierstimmen raten?»
«Mach die Kiste aus, verdammt! Es ist sechs Uhr morgens, und die Leute wollen schlafen. Ich übrigens auch.»
Miss Happy schaltet folgsam die Musik aus. Sekundenlang herrscht angenehme Ruhe, dann höre ich sie in die Küche tippeln, von dort in den Flur und dann wieder ins Schlafzimmer. Diesmal bleibt sie nicht am Fußende stehen, sondern sie umrundet das Bett und kommt auf meine Seite. Dort hockt sie sich hin und sieht mich an.
«Was soll das werden?», frage ich.
«Nichts», antwortet sie. «Ich warte einfach hier, bis du fertig bist. Keine Sorge, ich bin ganz leise.»
Wir sehen uns an wie zwei Revolverhelden, die sich zum Duell gegenüberstehen.
«Du denkst, es stört mich, dass du mich beobachtest?», frage ich.
«Tut es das denn?», erwidert sie scheinheilig.
«Nicht die Bohne», sage ich und wende ihr den Rücken zu, indem ich mich auf die Seite rolle.
«Dann schlaf gut», sagt sie.
«Mach ich», antworte ich. Aber das ist leichter gesagt als getan, wenn dein Hund dich anstarrt.
Ich warte darauf, dass sie etwas tut oder sagt, aber es bleibt mucksmäuschenstill. «Willst du da jetzt wirklich zwei Stunden sitzen und warten?»
«Ich bin ein Hund», antwortet sie. «Wenn ich etwas richtig gut kann, dann ist es warten.»
Ich seufze. Das war es dann wohl. Sie hat gewonnen.
Ich drehe mich wieder zu ihr. «Du bleibst auf Sabines Seite und in der unteren Hälfte des Bettes. Und du wirst nicht hecheln, schmatzen oder an dir herumlecken. Und an mir auch nicht. Ist das klar?»
«Alles klar», sagt sie, huscht auf die andere Seite des Bettes und springt hoch. Die Matratze bewegt sich sachte, während sie nach einer Position sucht, die ihr angenehm ist.
Dann liegt sie da und ist im Nu eingeschlafen.
Ich denke darüber nach, mir einen Kaffee zu machen. An Schlaf ist heute Morgen sowieso nicht mehr zu denken.
«Findest du mich eigentlich zu dick?», fragt Miss Happy.
Ich bereite gerade ihr Frühstück vor, und sie verfolgt jeden meiner Handgriffe mit Argusaugen.
«Nö. Wieso?»
«Weil ich offensichtlich neuerdings weniger Fleisch und mehr Gemüse bekomme», sagt sie mit leiser Empörung in der Stimme. «Willst du mich auf Diät setzen, oder was?»
«Nein. Das ist reiner Zufall», wiegele ich ab. «Ich mische dein Futter nach Gefühl und Augenmaß. Ich vermute, heute Morgen ist mir einfach nur ein bisschen mehr Gemüse reingerutscht. Macht aber nichts. Heute Abend kriegst du dann wieder ein bisschen mehr Fleisch. Okay?»
«Soso. Nach Gefühl und Augenmaß», wiederholt sie schnippisch. «Und wozu dann die Küchenwaage?»
«Welche Küchenwaage?», frage ich und tue so, als hätte ich sie gerade erst bemerkt. «Ach die! Die ist nur zur Kontrolle der Gesamtmenge.»
Ich sehe Miss Happy an, dass sie mir kein Wort glaubt. Stumm und vorwurfsvoll blickt sie mich mit ihren rehbraunen Augen an.
«Also gut», sage ich geschlagen. «Die Tierärztin meinte, dass du ein klitzekleines bisschen zu viel wiegst. Nur ein paar hundert Gramm, kaum der Rede wert. Aber gerade in der Wachstumsphase sollte man bei Labradoren darauf achten …»
«… dass sie nicht zu schnell wachsen, weil sich sonst das Knochengerüst ungünstig entwickeln kann», vollendet Miss Happy den Satz. «Ich weiß. Ausnahmsweise habe ich der Ärztin an diesem Tag auch mal zugehört. Ich kann mich aber nicht daran erinnern, dass sie mich auf Diät gesetzt hat.»
«Diät. Das ist ein großes Wort für ein bisschen weniger Fleisch und ein paar Möhren mehr», versuche ich die Situation zu entschärfen. «Und den Vorschlag hat sie mir beim Gehen gemacht, quasi zwischen Tür und Angel. Und es war nicht die Rede davon, dass du ein Gewichtsproblem hast. Es geht ihr nur darum, dass wir auf deine schlanke Linie achten. Das ist alles. Und ich finde die Idee nicht schlecht.»
«Soso. Meine schlanke Linie liegt dir also am Herzen.»
«Nicht nur mir. Auch der Tierärztin. Ich glaube, du hast sie nur nicht gehört, weil du da gerade bei der Sprechstundenhilfe warst, um dir ein paar Leckerlis abzuholen.»
«Oh! Was war das?», fragt Miss Happy spitz. «Ein dezenter Hinweis darauf, dass ich mein Idealgewicht leichtfertig durch Naschereien aufs Spiel setze?»
«Das hast du jetzt gesagt.»
«Aber du hast es gedacht.»
Ich zucke mit den Schultern. «Wie gesagt, ich finde, ein bisschen weniger Fleisch und etwas mehr Gemüse ist nichts, worüber man sich aufregen sollte.» Ich stelle ihr den Napf hin. «Guten Appetit.»
Sie sitzt nur da und rührt ihr Frühstück nicht an.
«Du bist jetzt nicht wirklich eingeschnappt, oder?»
«Sag mal, was ist denn eigentlich mit deiner schlanken Linie?», fragt sie.
Kein schlechter Schachzug. Man muss kein Ernährungsspezialist sein, um zu erkennen, dass mich nicht nur ein paar hundert Gramm, sondern eher ein paar Kilo von meiner Bikinifigur trennen. «Du, keine Ahnung, aber ich glaube, meine Figur ist okay. Zu meinem Gewicht hat die Tierärztin jedenfalls nichts gesagt.»
«Netter Versuch», erwidert Miss Happy und zieht die Lefzen hoch, als würde sie grinsen. «Zum Glück gab es kürzlich im Fernsehen einen interessanten Bericht über den Body Mass Index. Lass uns doch mal sehen, wie es sich damit bei dir verhält. Wie groß bist du? Ich würde sagen, so um die eins achtzig?»
«Eins fünfundachtzig», korrigiere ich mit fester Stimme.
«Das ist gelogen. Ich vermute also, eher eins neunundsiebzig.»
«Was? Frechheit. Ich bin eins dreiundachtzig. Das stimmt. Wirklich.»
«Na gut. Wollen wir das mal glauben. Und was wiegst du?»
«Sechsundachtzig Kilo.»
Wieder zieht sie die Lefzen hoch. «Dann trägst du eine verdammt schwere Unterhose. Als du kürzlich im Bad auf der Waage standest und ich zufällig vorbeikam, da habe ich vorn eine Neun gesehen. Leider konnte ich die hintere Zahl nicht erkennen, weil dein dicker Zeh im Weg war.»
«Wenn ich im Bad bin, dann hast du da nichts verloren», sage ich unwirsch. «Hunde gehören nicht ins Bad.»
«Und nicht ins Bett, ich weiß», ergänzt Miss Happy. «Aber trotzdem sind Hunde von Natur aus neugierig. Wenn niemand wissen darf, dass du mehr als neunzig Kilo wiegst, dann mach doch einfach die Badezimmertür zu.»
«Ich wiege zufällig ganz genau neunzig Kilo», lüge ich. «Und zwar auf den Punkt genau.»
Miss Happy sieht mich mit steinerner Miene an.
«Maximal einundneunzig», lenke ich ein. «Einundneunzigeinhalb.»
«Es sind mindestens fünfundneunzig», erwidert sie. «Und wir beide wissen das. Nebenbei ist es echt peinlich, dass du nicht einfach zu deinem Gewicht stehen kannst wie andere Übergewichtige auch.»
«Wie andere Übergewichtige …?», wiederhole ich empört.
«Willst du das etwa leugnen?», fragt sie.
«Worauf willst du eigentlich hinaus?», versuche ich von den Fakten abzulenken.
«Das ist ganz einfach. Ich will darauf hinaus, dass du zwar eindeutig zu viel auf den Rippen hast, ich aber diejenige bin, die fasten muss. Wo ist denn da die Logik?»
«Ich habe nicht eindeutig zu viel auf den Rippen. Ich bin möglicherweise nur ein bisschen korpulent.»
«Korpulent, aha. Meinst du eher so pummelig-korpulent oder mehr so feist-korpulent?», fragt Miss Happy unschuldig.
Ich überhöre die Beleidigung. «Außerdem bist du ein Hund. Für dich und mich gelten völlig verschiedene Regeln. Wenn du abnehmen musst, dann muss ich das noch lange nicht.»
«Mag ja sein», erwidert Miss Happy. «Sofern ich allerdings die regelmäßigen Ermahnungen von Sabine richtig verstehe, dann müsstest auch du abnehmen. Du tust es nur einfach nicht. Oder wenn du es doch mal versuchst, dann nur halbherzig.»
«Und was hat das jetzt damit zu tun, dass du für eine Weile mal mehr Möhren essen sollst?», will ich wissen.
«Ganz einfach. Wir wollen uns offensichtlich beide zu nichts zwingen lassen. Wir möchten zumindest gefragt werden, bevor wir uns dazu entscheiden, unsere Gewohnheiten zu ändern. Und ich finde, das ist auch nicht zu viel verlangt. Du musst mich also wenigstens fragen, bevor du meine Rationen kürzt.»
Ich überlege. Das leuchtet ein. «Du hast recht. Das klingt fair. Also dann: Möchtest du für eine Weile auf einen kleinen Teil deiner Tagesration an Fleisch verzichten und stattdessen mehr Gemüse essen? Das würde dir guttun, sagt die Tierärztin. Und es wäre nur für ein paar Wochen.»
«Auf gar keinen Fall», erwidert Miss Happy wie aus der Pistole geschossen. «Gib mir jetzt sofort alles zurück, was du mir eben geklaut hast!»
«Aber …»
«Kein Aber. Ich habe mich entschieden. Wenn du mich schon fragst, dann akzeptiere gefälligst meine Entscheidung. Ich lebe ja auch damit, dass du dich im Park kaum bewegst, sondern meistens auf der Bank sitzt, während ich ganz allein …»
«Schon gut, schon gut», sage ich kapitulierend und gebe die Hühnchenstücke in den Napf, die ich eben von Happys Ration abgezogen habe. «Bitte sehr. Guten Appetit.»
«Verbindlichsten Dank», sagt sie. «Ich sehe, wir verstehen uns.»
Dann schlägt sie zufrieden ihre Zähne ins Frühstück.
Als ich in die Küche komme, hockt Miss Happy vor der Terrassentür und blickt träumerisch in den Garten.
«Was machst du da?», frage ich.
«Sollte ein Sonnengruß werden», antwortet sie. «Hat sich aber gerade erledigt. Wenn du hier bist, dann kann ich mich nicht konzentrieren.»
«Soll ich wieder ins Bett gehen?», frage ich.
«Nö, passt schon», sagt sie. «Irgendwann hätte ich ja auch gern Frühstück.»
«Siehste. Das dachte ich mir.»
«Wie war euer Theaterabend?», will sie wissen.
«Interessant», antworte ich. «Wir haben uns eine dreistündige, sehr düstere Inszenierung von Homers Odyssee angesehen.»
«Das klingt stinklangweilig.»
«Ja, das war es auch», gebe ich zu.
«Warum besuchen Sabine und du eigentlich immer staubtrockene Kulturevents, wenn Emily mal bei einer Freundin übernachtet? Macht euch doch einfach einen schönen Abend. »
«Haben wir ja», antworte ich. «Sabine wollte das Stück unbedingt sehen, also habe ich ihr den Gefallen getan. Im Gegenzug waren wir danach noch beim Italiener. So was nennt man Kompromiss. Und ich glaube, es ist außerdem das Geheimnis einer guten Ehe.»
Miss Happy nickt anerkennend. «Falls es dich interessiert, ich habe mir gestern einen Film angesehen, der auch stinklangweilig war.»
«Worum ging es?»
«Um einen Hund namens Hachiko. Ein Akita.»
«Ein was?»
«Akita. Das ist eine japanische Hunderasse. Die erinnern ein bisschen an Huskys, haben aber eine breitere Schnauze und ein gedrungenes Gesicht. Stell dir einfach einen großen Spitz vor, dem was Schweres auf den Kopf gefallen ist, dann weißt du in etwa, wie ein Akita aussieht.»
«Es war also ein japanischer Film», fasse ich zusammen.
«Nein. Die wahre Geschichte von Hachiko hat sich zwar in Japan zugetragen», erwidert Miss Happy. «Aber es war ein amerikanischer Film. Mit Richard Gere als Professor, dem ein Hund zuläuft. Eben besagter Hachiko. Täglich begleitet der seinen Besitzer zum Bahnhof, abends holt er ihn wieder ab. Eines Tages jedoch hat der Professor während einer Vorlesung einen tödlichen Herzinfarkt. Der Hund wartet an diesem Abend also vergebens. Die trauernde Witwe verkauft das Haus und verlässt die Stadt. Den Hund bringt sie bei ihrer Tochter unter. Hachiko reißt jedoch aus und läuft zurück zum Bahnhof, um auf sein Herrchen zu warten. Fortan wartet der Hund Tag für Tag auf den Professor. Bei Wind und Wetter und zu jeder Jahreszeit.»
«Das klingt nach einer sowohl herzerwärmenden als auch sehr eintönigen Geschichte», sage ich. «Ich glaube, im Vergleich dazu war unser Theaterabend geradezu rasant. Und? Wie ging es weiter mit Hachiko?»
Miss Happy schnauft amüsiert. «Am Ende wartet der Hund zehn Jahre lang, dann stirbt er an Altersschwäche. Immerhin macht seine Ausdauer ihn vorher berühmt. Ein Reporter stößt auf Hachikos Geschichte und schreibt darüber. Der treue Hund bekommt Zuwendungen aus allen Teilen des Landes. Die Inhaber der Geschäfte rund um den Bahnhof kümmern sich um ihn und sorgen dafür, dass er seine Tage unbehelligt mit Warten verbringen kann.»
Ich bin beeindruckt. «Und das ist wirklich passiert?»
Miss Happy nickt. «In Tokio am Bahnhof Shibuya haben sie dem echten Hachiko ein Denkmal gesetzt, und der Ausgang, an dem er immer gewartet hat, heißt auch heute noch Hachiko-Exit. Außerdem haben die Japaner den Hund ausgestopft. Du kannst ihn dir in einem Museum in Tokio ansehen, wenn du willst.»
«Toll, was du alles weißt», lobe ich.
«Das weiß nicht ich, sondern Wikipedia», erwidert Miss Happy. «Hachiko hält übrigens nicht den Rekord im Warten. Das hab ich auch recherchiert. Es soll in Edinburgh einen Terrier gegeben haben, der vierzehn Jahre am Grab seines verstorbenen Herrchens ausgeharrt hat. Und wo du eben Odysseus erwähnt hast, dessen Hund Argos soll sogar zwanzig Jahre auf die Rückkehr seines Herrchens gewartet haben. Als er ihn erblickt hat, ist der Hund mit einem Schwanzwedeln verstorben.»
«Ihr Hunde seid eben treue Seelen», stelle ich anerkennend fest.
«Sagen wir mal: einige von uns», erwidert Miss Happy.
«Einige von uns?», wiederhole ich mit gespielter Empörung. «Soll das etwa heißen, du würdest nicht bis zu deinem Tod um mich trauern, wenn ich ins Gras beißen sollte?»
«Selbstverständlich würde ich das», erwidert sie und spielt nun ihrerseits die Entrüstete. «Was denkst du denn? Ich würde für den Rest meines Lebens jeden Morgen sehnsüchtig in dieser Küche auf dich warten. Und ich wäre jeden Tag aufs Neue traurig darüber, dass nicht du, sondern Sabines neuer Mann mir mein Futter gibt.»
Ich muss grinsen. «Sieht er gut aus, Sabines neuer Mann?»
«Er ist jünger und attraktiver als du, aber bestimmt nicht so witzig.»
«Jünger und attraktiver», wiederhole ich mit Grabesstimme. «Gut, dass ich das dann nicht mehr miterleben muss.»
«Ich garantiere dir übrigens, dass ich im Fall der Fälle nicht jahrelang an deinem Grab herumlungere», sagt Miss Happy. «Mal abgesehen davon, dass mir da stinklangweilig wäre, müsste ich auch sehr blöd sein, zu glauben, dass du eines Tages von den Toten auferstehst.»
«Moment mal. Du denkst, diese treuen Hunde waren einfach nur blöd?»
«Weiß ich nicht. Aber ich finde diese ganze Heldenverehrung seltsam.»
«Wieso? Es rührt uns Menschen eben, wenn jemand treu ist wie Gold.»
«Ja, aber nur, wenn es sich um Tiere handelt», wendet Miss Happy ein.
«Nein.» Entschieden schüttele ich den Kopf. «Auch menschliche Treue rührt uns. Vielleicht bewundern wir sie so sehr bei Tieren, weil sie bei uns Menschen nicht so gut ausgeprägt ist.»
«Zum Glück», ergänzt Miss Happy. «Stell dir mal vor, ein Mann wäre einer Frau auf ähnliche Weise treu, wie diese Hunde es ihren Herrchen waren.»
«Ist doch toll», sage ich. «Wenn er die Frau mit der gleichen Bedingungslosigkeit liebt, wird sie das sicher zu schätzen wissen.»
«Glaub ich nicht», antwortet Miss Happy. «Wenn dich als Frau ein wildfremder Hund zum Bahnhof begleitet, dann findest du das wahrscheinlich niedlich. Würde ein wildfremder Mann das machen, dann wäre es dir unheimlich. Und während der Hund dich auch auf dem Heimweg begleiten und sich anschließend vor deinem Haus herumtreiben könnte, würdest du einen Mann, der das Gleiche tut, bei der Polizei melden.»
«Ich verstehe, worauf du hinauswillst», sage ich. «Auch wenn dein Vergleich ein wenig hinkt.»
«Finde ich nicht», erwidert Miss Happy. «Würdest du von Sabine erwarten, dass sie bis zu ihrem Tode an deinem Grab wacht, wenn du vor ihr das Zeitliche segnest?»
«Nein, natürlich nicht», antworte ich.
«Und erwartet sie im Gegenzug, dass du für den Rest deines Lebens trauerst, falls es sie zuerst erwischen sollte?»