Guten Tag, sind Sie die Witwe Meier? - Hajo Lehr - E-Book

Guten Tag, sind Sie die Witwe Meier? E-Book

Hajo Lehr

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Beschreibung

Das Überbringen von Todesnachrichten ist mit die härteste und schwerste Aufgabe im täglichen Polizeidienst. Kaum eine Beamtin oder ein Beamter bleibt von dieser schweren Aufgabe verschont. Einmal trifft es jeden! in diesem Buch schildert der Autor selbst erlebte Ereignisse und erhofft sich vom Normalbürger mehr Verständnis für die Arbeit der Polizisten, Rettungsdienstler, Feuerwehrleute und Notfallseelsorger. Die zweite Auflage wurde mit Illustrationen der Niederwerrner Künstlerin Rose Black ausgestattet.

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Seitenzahl: 68

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Alle Kapitel dieses Buches beruhen auf wahren Begebenheiten. Zum Schutz der Persönlichkeitsrechte wurden sowohl Namen als auch Örtlichkeiten und Einzelheiten so verändert, dass sie nicht nachverfolgt werden können.

Inhalt:

Zu diesem Buch

Das „erste Mal“

Die erste Leiche

Golf GTI

Schwimmstunde

Späte Liebe…

Hirntot…

Polizisten-Weihnacht

Gänsehaut am Telefon

Keine Probleme zu erwarten…?!

Volles Programm

„Familienbande“

Zwischenkommentar

K.O.

„Bratzen hoch – aber schnell“

PAKET

„Warum hat das solange gedauert?!“

Nachbereitung

Zum Autor

Rose Black

Zu diesem Buch:

„Stehen zwei Polizeibeamte vor einer Wohnungstür und klingeln. Eine Frau mittleren Alters öffnet die Tür und schaut die Beiden erstaunt an. Ein Beamter begrüßt sie: ‚Guten Tag, sind Sie die Witwe Meier?‘. Die Frau entgegnet entrüstet: ‚Nein, ich bin die Frau Meier!‘. Daraufhin sagt der zweite Polizist: ‚Haha, gewesen, gewesen…!‘“

Dieser blöde, sarkastische „Witz“ macht –hinter vorgehaltener Hand- seit Jahrzehnten die Runde in den Ausbildungsstätten der Bereitschaftspolizeien und Amtsstuben der Polizeidienststellen in der gesamten Republik. Jedoch kaum eine Beamtin oder ein Beamter können darüber wirklich lachen -denn alle wissen genau: Eines Tages trifft es mich und dann gibt es einfach Nichts zu lachen! So ist der unqualifizierte Spruch wohl lediglich als ungeeigneter Versuch, ein ganz und gar heikles Tabuthema mit schwarzem Humor zu „entschärfen“, zu werten.

Dieses Buch soll weder eine „wissenschaftliche Ausarbeitung“ des Themas „Überbringen von Todesnachrichten und andere belastende Einsätze“ darstellen, noch der Befriedigung von Neugier und/oder dem Voyeurismus dienen. Es ist kein „Lehrbuch“, kein „Fachbuch“ und auch kein „Sensationsroman“! Es ist für mich, nach über 40 Jahren Polizeidienst an der Basis, eine Aufarbeitung von Erinnerungen, die mich immer wieder einholen und auch nach langer Zeit –sogar jetzt im Ruhestand- nicht loslassen. Ich würde mich freuen, wenn es für Polizeikolleginnen und -Kollegen, Rettungsdienstlern, Feuerwehrleuten und Notfallseelsorgern in irgendeiner Weise bei der Bewältigung ihrer täglichen Arbeit helfen könnte. Für den „Normalbürger“, der in seinem Leben vermutlich niemals direkt mit diesem Thema in Berührung kommen wird, wünsche ich mir mehr Verständnis für die Arbeit der Polizei und vielleicht nötigt es dem einen oder anderen Leser sogar etwas mehr Respekt für deren Tätigkeiten ab.

Das „erste Mal“

Sonntag-Frühdienst: Um 07:00 Uhr sitzt die gesamte Dienstgruppe im Aufenthaltsraum. Dienstunterricht ist angesagt. Ich bin mit meinen 20 Jahren der „Benjamin“ der Dienstgruppe. Nun schon fast 6 Monate auf der Schicht. Unmittelbar nach dem Lehrgang und der Prüfung für den mittleren Polizeivollzugsdienst auf die Wunschdienststelle gekommen – fast wie ein Sechser im Lotto!

Das Sagen hat heute der stellvertretende Dienstgruppenleiter (DGL), ein ehemaliger Bundesgrenzschützer mit paramilitärischer Ausbildung und anschließender Grenzpolizeierfahrung in der Rhön zu Zeiten des „Kalten Krieges“ - ein echter „Eisenfresser“.

Er betritt den Aufenthaltsraum mit der Dienstpost, Vorgängen und Unterrichtsunterlagen, setzt sich an den großen Tisch und beginnt mit lauter Stimme den Tag: „Vor einer Stunde kam ein Fernschreiben von den Kollegen aus Augsburg. Dort ist heute Nacht die Schwester eines Kollegen von unserer Nachbardienststelle tödlich verunglückt! Wir müssen heute Vormittag die Angehörigen verständigen! Das macht heute der Hans und der nimmt einen von beiden Jungen mit, die müssen das lernen!“ Peter, der 6 Monate länger im Dienst ist als ich, meldet sich sofort zu Wort und erklärt: „Da kann ich nicht hinfahren, mit dem Kollegen war ich in der Ausbildung, der ist doch so sensibel, das halte ich nicht aus!“ Damit waren die Würfel gefallen und es war klar: Streifenpartner von Hans bin ich und ich werde an diesem sonnigen Sonntagmorgen eine bittere Erfahrung machen müssen: Meine erste Todesnachricht überbringen…

Ich bekomme feuchte Hände und der Kaffee schmeckt plötzlich nicht mehr. In meinem Kopf überschlagen sich die Gedanken und auf dem Rücken macht sich eine leichte Gänsehaut breit. Erinnerungen an die Ausbildung werden wach – da war doch was - in Psychologie oder Polizeidienstkunde wurde das Thema doch mal gestreift, oder? Zaghaft hebe ich die Hand und wende ein: „Da sollte man doch vielleicht einen Pfarrer mitnehmen, oder?“ Zur Erklärung: Professionelle Notfallseelsorge gab es damals noch nicht! Ich – der Jüngste im Boot- machte so einen ungeheuren Vorschlag! Der DGL schaut mich unendliche Sekunden fragend an und meint dann: „So schlecht ist die Idee gar nicht, holen Sie sich ein Telefonbuch und rufen Sie die in Frage kommenden Pfarrer einfach mal an. In dem Stadtteil gibt es eine katholische und eine evangelische Pfarrei.“

In dem damals noch ländlich geprägten Stadtteil hatte ich vor nicht allzu langer Zeit die dortige Realschule besucht und kannte deshalb auch einen der tätigen Pfarrer. Ich rief den ersten Geistlichen an, stellte mich vor, schilderte den Sachverhalt und bat den Pfarrer um entsprechende Unterstützung. Was ich zu hören bekam, zog mich im wahrsten Sinne des Wortes runter:

„Mir ist der Name der Familie gerade nicht geläufig, sind die Leute denn evangelisch oder katholisch? Ich kann doch nicht zu Angehörigen einer anderen Konfession gehen und so eine heikle Angelegenheit mit ihnen besprechen und im Übrigen, es ist Sonntag und ich muss ja meinen Gottesdienst halten – nein, es tut mir leid, da kann ich Ihnen nicht helfen!“

Also - Anruf beim Pfarrer der anderen Kirchengemeinde. Ergebnis: Nahezu die gleichen zusammengestammelten Floskeln wie beim Amtsbruder der anderen Fakultät.

Das ging sauber in die Hose und prägte lange Zeit meine, hier nicht näher erläuterte, damalige Meinung zur Kirche.

Hans und ich fuhren los. Mein Streifenpartner, ein erfahrener, ruhiger und abgeklärter Polizeihauptmeister erklärte mir auf der Anfahrt unsere „Taktik“: „Also Kleiner, das, was wir vor uns haben, wird bestimmt verdammt hart! Lass einfach mal nur mich reden und halte dich so gut wie möglich im Hintergrund. Man weiß nie, wie die Leute reagieren und du hast es ja von Peter gehört, der Kollege B. soll ziemlich sensibel sein. Ich weiß, dass „deine Nerven Pfötchen geben“, das ist bei so einer Sache ganz normal, aber da müssen wir Beide jetzt durch und du wirst in deinem Gendarmenleben noch so manche Nachricht dieser Art überbringen müssen. Es kann sein, dass wir vielleicht sogar einen Arzt zur Unterstützung brauchen – sollte dies der Fall sein, ist dies deine Aufgabe – du gehst dann raus an den Funk und forderst einen an.“

Klare Worte, aber auch die Gewissheit, einen kompetenten Partner an der Seite zu haben!

Am Anwesen der Familie B. angekommen, öffnete uns Kollege B. die Tür, sah in unsere Gesichter und sagte gleich: „Ach Gott, mit Claudia ist was passiert, oder?“ Hans sagte in ruhigem Ton, dass etwas Schlimmes passiert sei und fragte, ob wir in das Haus kommen dürften. Kollege B. ließ uns ein, führte uns ins Wohnzimmer und sagte, dass die gesamte Familie gerade zur Kirche gehen wollte…!

Mit einfühlsamen, aber deutlichen Worten erklärte Hans der Familie, dass die Tochter bzw. Schwester in der Nacht an den Folgen eines Verkehrsunfalls verstorben ist. Fassungslosigkeit, Entsetzen und offen gezeigte Trauer der Angehörigen stürmten auf mich ein. Ich kann heute nicht mehr wiedergeben, was Hans den Leuten im Einzelnen erzählt hat. Er hatte jedoch die Gabe, die Familie soweit zu trösten, dass kein Arzt geholt werden musste und wir uns nach ca. einer Stunde verabschieden konnten. Kollege B. brachte uns ziemlich gefasst zur Tür und bedankte sich sichtlich berührt bei uns…

Zurück auf der Dienststelle erstattete Hans knapp Bericht und erledigte zusammen mit mir den erforderlichen Papierkram.

Irgendwie kamen mir die anderen Kollegen vor, als gingen sie uns aus dem Weg. Später bemerkte ich an mir selbst dieses Phänomen – Die Unsicherheit, vielleicht ein falsches Wort zu sagen. Erst mit der wachsenden Erfahrung und der damit erworbenen Abgeklärtheit erkannte ich, dass es ganz wichtig ist, „sich die Sache einfach mal von der Seele zu reden“… lange vor der Einführung des Polizeilichen Sozialen Dienstes (PSD), Zentralen Psychologischem Dienstes (ZPD) und anderen Einrichtungen, an die man sich heute, wie selbstverständlich, wenden kann…

Die erste Leiche