Hades - Candice Fox - E-Book
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Hades E-Book

Candice Fox

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Beschreibung

Hades ist der ›Herr der Unterwelt‹ von Sydney. Er weiß alles über das Verbrechen in seiner Stadt, denn auf seiner gigantischen Müllhalde entsorgt er gegen Honorar Menschen, die gewaltsam zu Tod gekommen sind. Dieses Schicksal hätten auch beinahe die Kleinkinder Eden und Eric geteilt, die man bei Hades deponiert hat. Aber die beiden leben noch. Sie wachsen bei Hades auf und werden Top-Cops bei der Mordkommission von Sydney. Das ist jedoch nur ihr eines Gesicht, ihr eines Konzept von »Gerechtigkeit«. Denn schließlich hat Hades Eden und Eric erzogen.

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Hades ist der »Herr der Unterwelt« von Sydney. Er weiß alles über das Verbrechen in seiner Stadt, denn auf seiner gigantischen Müllhalde entsorgt er gegen Honorar Menschen, die gewaltsam zu Tode gekommen sind. Dieses Schicksal hätten auch beinahe die Kleinkinder Eden und Eric geteilt, die man bei Hades deponiert hat. Aber die beiden leben noch. Sie wachsen bei Hades auf und werden Top-Cops bei der Mordkommission von Sydney. Das ist jedoch nur ihr eines Gesicht, ihr eines Konzept von »Gerechtigkeit«. Denn schließlich hat Hades Eden und Eric erzogen …

CANDICE FOX stammt aus einer eher exzentrischen Familie, die sie zu manchen ihrer literarischen Figuren inspirierte. Nach einer nicht so braven Jugend und einem kurzen Zwischenspiel bei der Royal Australian Navy widmet sie sich jetzt der Literatur, mit akademischen Weihen und sehr unakademischen Romanen. Für ihr Debüt Hades, den ersten Teil einer Trilogie, wurde sie 2014 mit dem Ned Kelly Award for Best First Fiction ausgezeichnet. Der zweite Teil, Eden, erscheint im September 2016, und Fall folgt im Frühjahr 2017.

CANDICE FOX

HADES

THRILLER

Aus dem australischen Englisch von Anke Caroline Burger

Herausgegeben von Thomas Wörtche

Suhrkamp

Die Originalausgabe erschien 2014 unter dem Titel

Hades

bei Bantam.

Published by Random House Australia Pty Ltd

eBook Suhrkamp Verlag Berlin 2016

Der vorliegende Text folgt der 1. Auflage der Ausgabe des suhrkamp taschenbuchs 4673.

© der deutschen Ausgabe Suhrkamp Verlag Berlin 2016

© 2014 by Candice Fox

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das des öffentlichen Vortrags sowie der Übertragung durch Rundfunk und Fernsehen, auch einzelner Teile.

Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder andere Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.

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Umschlaggestaltung: cornelia niere, münchen

Umschlagabbildung: © Hybrid Images / Getty Images; Nga Nguyen / Getty Images

eISBN 978-3-518-74444-4

www.suhrkamp.de

Für meine Eltern

Als der Fremde das Bündel auf den klebrigen Küchenboden legte, wusste Hades sofort, dass es eine Kinderleiche war. Zusammengekrümmt lag der kleine Körper auf der Seite, in ein altes, blaues Laken verpackt und an Hals, Taille und Knien mit Klebeband umwickelt. Ein kleiner, perlweißer Fuß ragte schlaff unten heraus. Hades lehnte an der Anrichte seiner kleinen, unordentlichen Küche und starrte das Füßchen an. Der Fremde stand unruhig in der Tür, zog Zigaretten und Streichhölzer aus der Tasche. Der Mann, den man Hades nannte, warf einen kurzen Blick in das hagere Gesicht des Fremden.

»Bei mir wird nicht geraucht.«

Dem Fremden war gesagt worden, wie man zu Hades kam, aber nicht, wie schrecklich es dort war. Hinter dem Eisentor der Utulla-Deponie, der Müllkippe am Schmutzrand der westlichen Vororte Sydneys, erhoben sich Abfallberge, dazwischen eine Schotterpiste. Hoch und schwarz ragte der Müll neben der Piste auf, so hoch, dass Himmel und Sterne dahinter verschwanden. Ein Kranz aus Bäumen und Büschen versperrte die Sicht auf die Holzhütte oben auf dem Hügel. Vorsichtig war der Fremde an den turmhohen Halden vorbeigefahren, in denen es vor Nachtwesen nur so wimmelte – Eulen, Katzen, Mäuse und Ratten scharrten und schnüffelten in alten Milchtüten und Säcken mit vergammeltem Fleisch herum. In ausgebrannten Autowracks leuchteten Augen, Tiere spähten unter Wellblechgeknäuel hervor.

Weiter oben an der Schotterstraße hielten Kreaturen anderer Art Wache. Gestalten aus Altmetall und kaputten Maschinenteilen standen an der Straße – eine in die Form eines brüllenden Löwen gehämmerte und gebogene Waschmaschinentrommel, Fahrräder, die zusammengeschweißt und zu einem Flamingo mit langem Hals zerdehnt worden waren. Im Mondlicht wirkten die Tiere mit den Federn aus Küchenutensilien und den Augen aus Glasflaschen lebendig und bereit zum Sprung. Der Fremde war froh, dass er ihre aufmerksamen Blicke nicht mehr auf sich spürte, als er das Haus betrat. Die Erleichterung verpuffte sofort, als er den Mann vor sich sah, der als Herr der Unterwelt bezeichnet wurde.

Als der Fremde eintrat, stand Hades in der Küchenecke. Als habe er sein Kommen geahnt. Und dort war er stehen geblieben, die haarigen Arme über der Tonnenbrust verschränkt. Unter schweren Lidern blickte Hades das Bündel in den Armen des Fremden an. Auf der vollgekramten Anrichte lag eine Walther PP mit Schalldämpfer neben einem halbvollen Glas Scotch in Reichweite. Die grauen Haare auf Hades’ eckigem Schädel waren gekämmt. Er war breit wie ein Schrank und stark wie ein Ochse und strahlte Aggressivität aus, was sie die Küche peinigend eng wirken ließ.

Die Bäume bildeten eine dunkle Kuppel über dem kleinen Holzhaus, an der die heiße Luft leckte und streichelte. Dinge, die Hades aus dem Müll gerettet hatte, zierten die Küche. Flaschen und Gläser in allen erdenklichen Formen und Farben hingen an Angelschnüren von der Decke, bizarre Schneidewerkzeuge waren wie Waffen an die Wände genagelt. Porzellanfische und Plastikfrüchte standen herum, ein ausgestopftes gelbes Frettchen schlief zusammengerollt in einem Korb neben der Tür. Einmachgläser waren mit Gegenständen gefüllt, die niemand mehr brauchte – bunte Murmeln und glaslose Brillengestelle und Tausende von Kronkorken.Auf dem Fensterbrett eine Galerie von Puppenköpfen, manche mit Augen, andere ohne, Plastikmünder, die lächelten, schmollten, weinten. Hinter der Tür war das kleine Wohnzimmer zu sehen, in dem sich zerfledderte Taschenbücher stapelten; von den rohen Bodendielen bis zur stockfleckigen Decke lagen und standen Bücher, überall Bücher.

Der Fremde wand sich in dem unangenehmen Schweigen. Am liebsten hätte er sich alles angesehen, fürchtete sich aber vor dem, was er finden würde. Nachtvögel stöhnten draußen in den Bäumen vor den bunt zusammengewürfelten Bleiglasfenstern.

»Soll ich, äh …« Der Fremde bearbeitete seinen Nacken mit den Fingernägeln. »Soll ich das andere holen gehen?«

Hades sagte lange nichts. Er starrte nur die Kinderleiche in dem alten blauen Laken an.

»Sag mir, wie das passiert ist.«

Der Fremde spürte, wie ihn der Schweiß an den Schläfen kitzelte.

Er seufzte. »Man hat mir gesagt, dass es keine Fragen geben würde. Ich habe gehört, ich könnte einfach kommen und sie hier abladen und …«

»Da hast du was Falsches gehört.«

Mit einem dicken Finger tippte Hades langsam auf seinen linken Bizeps, als würde er die Sekunden zählen. Der Fremde fingerte an der Zigarette herum, die er sich nicht angezündet hatte, steckte sie sich in den Mund, erinnerte sich wieder ans Rauchverbot. Er ließ sie in die Tasche rutschen und starrte auf das Bündel am Boden, auf den Umriss des an die Brust gedrückten kleinen Mädchenkopfes.

»Es war alles perfekt geplant. Einwandfrei hätte das laufen sollen.« Der Fremde schüttelte den Kopf. »Das Ganze warBennys Scheißidee. Der hat in der Zeitung was über einen Professor gelesen, Tenor hieß er, keine Ahnung. Jedenfalls hatte der gerade fett abgesahnt für irgendwas, was er erforscht hatte, Hautkrebs, Sonnenbrand, was weiß ich. Benny hat sich total reingesteigert und war völlig besessen von dem Typ, schleppte ständig irgendwelche Zeitungsausschnitte an. Er zeigte uns Bilder von ihm und seiner Frau und den zwei Kids und meinte, die Familie wüsste sowieso schon nicht mehr wohin mit dem ganzen Schotter und jetzt wurde der dicke fette Haufen Kohle nur noch fetter.«

Der Fremde atmete tief durch, so dass sich seine Hühnerbrust blähte. Hades sah ihn regungslos an.

»Dann hieß es, die Familie würde allein in ihr Ferienhaus in Long Jetty fahren. Wir also hin, alle sechs, wollten sie nur ein bisschen aufmischen und die Bambinos mitnehmen – nur für kurz, ist doch klar, nicht lange. Ein Kinderspiel hätte das sein können, Mann. Reinstürmen, die Bambinos schnappen, raus, sie ein paar Tage behalten und dann die Übergabe anleiern. Wir wollten ihnen nichts zuleide tun. Ich habe sogar Spiele ausgeliehen, Mann! Damit sie bei uns was zu tun hatten.«

Hades zog eine Schublade neben sich auf und holte einen Notizblock und einen Stift heraus. Er knallte beides auf einen kleinen Beistelltisch an der Wand.

»Die anderen«, sagte er. »Schreib ihre Namen auf. Deinen auch.«

Der Fremde wollte protestieren, aber Hades schwieg. Mit zitternden Händen setzte sich der Fremde auf den Kunststoffstuhl und schrieb die Namen auf. Seine Handschrift war kindlich schief und verschmiert.

»Dann ist alles den Bach runtergegangen, ganz schnell«,murmelte er beim Schreiben und hielt den Zettel mit seinen langen weißen Fingern fest. »Benny hatte auf einmal die fixe Idee, der Prof würde ihn schräg angucken, als hätte er irgendwas Verrücktes vor. Keine Ahnung. Ich hab nicht drauf geachtet. Die Frau hat geweint und geschrien wie am Spieß und einer hat ihr eins übergezogen und die Kinder haben sich gewehrt. Da hat Benny die Eltern weggepustet. Hat einfach … drauflosgeballert, bis das Magazin alle war. Immer die Hand am Abzug, der Mann, echt zum Kotzen. Viel zu aggressiv, der Depp.«

Seufzend stieß der Fremde die Luft aus. Er starrte auf die Namen, die er aufgeschrieben hatte. Hades beobachtete ihn.

»In der einen Minute lief noch alles prächtig. In der nächsten sitzen wir in der Karre, die Kinder im Kofferraum, und niemand, der sie uns abkaufen will. Wir haben drüber geredet, wie wir sie loswerden sollen, einer meinte, er würde Sie kennen, und …« Der Fremde zuckte die Achseln und wischte sich die Nase mit dem Handrücken ab.

Zum ersten Mal seit der Ankunft des Fremden kam Hades aus seiner Küchenecke hervor. Als er jetzt mit seinen Riesenpranken nach dem Notizblock griff und die Seite mit den Namen abriss, ragte er groß und bedrohlich vor dem Fremden auf, wie ein Gott. Völlig eingeschüchtert saß er auf seinem Plastikstühlchen. Er wagte es nicht, zu Hades aufzublicken, als der das kleine Stück Papier zusammenfaltete und in die Tasche steckte. Er merkte nicht, wie der Ältere die Pistole in die Hand nahm und entsicherte.

»Es war ein Versehen«, murmelte der Fremde, in dessen roten Augen die Tränen standen, als er mit offenem Mund hinunter auf das Leichenbündel starrte. »Es lief doch alles so gut.«

Der Mann, den man Hades nannte, jagte dem Fremden zwei Kugeln ins Herz. Der blickte mit verwirrtem Blick hoch und drückte die Hände auf die Löcher in seinem Rumpf. Hades legte die Pistole zurück auf die Anrichte und hob das Scotchglas an die Lippen. Die Nachtvögel hatten aufgehört zu ächzen, nur die Sterbegeräusche des Fremden füllten die Luft.

Seufzend stellte Hades das Glas ab und überlegte, wo er auf der Deponie rund um seinen Berg die Leiche des Fremden am besten loswurde. Die beiden Kleinen würde er an einem anderen, passenderen Ort begraben. Hinter der Sortieranlage gab es eine Stelle, an der ein Baum zwischen den Abfallbergen wuchs, ein verkrüppeltes, krummes Ding, das trotz allem manchmal rosa blühte. Dort würde er die Kinder nebeneinander begraben. Den Fremden würde er irgendwo verscharren, neben den Dutzenden von Vergewaltigern, Mördern und Dieben, die bereits auf der Halde lagen. Hades schloss die Augen. Zu viele Fremde kamen mit ihren Bündeln zu ihm, wenn etwas schiefgegangen war. Er musste es allen sagen, dass er keine neue Kundschaft mehr annahm. Die, die er kannte, seine Stammkunden, die brachten ihm die Leichen von Bösen. Aber diese Fremden … Er schüttelte den Kopf. Die Fremden kamen immer wieder mit Unschuldigen bei ihm an.

Hades stellte das leere Glas auf der Anrichte neben der Pistole ab. Sein Blick wanderte über den aufgeplatzten Linoleumboden zum kleinen Perlmuttfuß des toten Mädchens.

Erst da fiel ihm auf, dass sich die Zehen zusammengekrallt hatten.

Als ich Eden Archer zum ersten Mal erblickte, hielt ich mich für einen glücklichen Menschen. Sie saß an der verspiegelten Trennscheibe und wandte mir den Rücken zu. Als sie einen Blick in die Runde der um sie versammelten Männer warf, war ein wenig von ihrem markanten Gesicht zu sehen. Es schien sich um ein Briefing zu handeln, vermutlich ging es um den Mann, den ich ersetzen sollte. Edens verstorbenen Teampartner. Manche der Männer im Kreis hatten graue, mürrische Gesichter, als könnten sie ihre Gefühle kaum unter Kontrolle halten. Sogar die Psychologin sah aus, als hätte ihr gerade jemand den letzten Fünfer aus der Tasche geklaut.

Eden hingegen wirkte gelassen. In der rechten Hand hielt sie, nur von meiner Warte aus sichtbar, ein Springmesser, das sie mit dem Daumen öffnete und wieder zuschob. Ich betrachtete ihren langen schwarzen Zopf und leckte mir über die Zähne. Ihren Typ kannte ich. Frauen wie sie hatte ich auf der Akademie kennengelernt. Keine Freundinnen, keine Kumpel, kein Interesse an einer schnellen Nummer im Männerschlafsaal an einem ruhigen Wochenende, wenn die anderen weg waren. Sie wusste, wie man mit diesen Sieben-Zentimeter-Stöckeln rannte, da war ich mir sicher. Die Nägel hatte sie sich diesen Monat zum dritten Mal im Edelstudio machen lassen, aber einer Ratte in ihrem Vorratsschrank würde sie gnadenlos den Hals umdrehen. Sie sah hinreißend aus. Ich fand es toll, wie sie seelenruhig dasaß und gleichmäßig atmete, während die Kollegen um sie herum versuchten, nicht die Fassung zu verlieren.

Ich lehnte am Einwegspiegel und hörte nur halb hin, wie »Captain« James über den herben Verlust schwadronierte, den die Mordkommission von Sydney Metro durch Doyles Tod erlitten, welchen Schaden die Truppenmoral genommen hatte. Die Therapiesitzung wurde beendet und Eden steckte das Messer zurück in den Gürtel. Ihr weißes Baumwollshirt schmiegte sich an die hart antrainierten Muskeln ihres Oberkörpers. Der Blick ihrer großen, dunklen Augen war auf den Teppichboden gerichtet, als sie auf mich zuging.

»Eden.« Der Chef zeigte auf mich. »Das ist dein neuer Partner, Frank Bennett.«

Grienend schüttelte ich ihr die knochige, warme Hand.

»Mein Beileid«, sagte ich. »Doyle soll ein ausgezeichneter Kollege gewesen sein.« Angeblich war sein Blut Eden ins Gesicht gespritzt, und sein Hirn hatte in Bröckchen an ihrem Hemd gehangen.

»Dein Vorgänger war ein besonderer Mann.« Sie nickte. Ihre Stimme klang ausdruckslos.

Sie lächelte mir so müde zu, als sei mein Auftauchen als ihr neues Teammitglied nichts als ein weiteres Ärgernis an einem bereits sehr langen und beschissenen Morgen. Für einen Sekundenbruchteil blickte sie mir in die Augen, dann ging sie weg.

Chief Superintendent James zeigte mir meinen Schreibtisch im Dezernat. Doyles persönliche Sachen waren ausgeräumt worden. Der Tisch war kahl und angestoßen, außer einem schwarzen Plastiktelefon und einem Laptop-Dock stand nichts darauf. Einige Leute im Büro blickten auf, als ich hereinkam. Die würden sich schon noch vorstellen kommen. Ein Grüppchen an der Kaffeemaschine musterte mich einmal von Kopf bis Fuß und wandte sich dann wieder ab, garantiert, um über mich zu tratschen. In der Hand hielten sie Kaffeebecher mit humorigen Aufdrucken wie »Achtung, Biss-Fan!« oder »Größtes Arschloch der Welt«.

Meine Mutter war eine radikale Tierschützerin gewesen, die Sorte, die am Straßenrand anhält und in den Beuteln totgefahrener Kängurus nach überlebenden Babys kramt und halb zu Brei gefahrene Vögel von der Straße kratzt, um ihnen einen schnellen Tod zu bescheren oder sie zu retten. Eines Morgens brachte sie mir eine Schachtel mit drei flaumigen kleinen Eulen, die von der Eulenmutter verlassen worden waren. Ich sollte mich um die Viecher kümmern. Die Leute in dieser Dienststelle erinnerten mich an die verlassenen Eulen – an die Art, wie sie sich in eine Ecke des Schuhkartons gedrückt hatten, als ich den Deckel anhob, und mich mit großen Augen voll bodenloser Angst anglotzten.

Dabei freute ich mich auf meine neuen Kollegen hier. Es gab eine ganze Reihe interessanter Fälle in diesem Dezernat, und für mich war es auf jeden Fall eine Stufe nach oben auf der Karriereleiter. Als Letztes hatte ich in North Sydney gearbeitet, hauptsächlich Asiaten-Gangs. Das war alles ziemlich langweilig gewesen, immer dasselbe – Turf Wars, Drive-bys, Gangster-Hinrichtungen, Überfälle auf Restaurants, verprügelte Väter, voller Todesangst schweigende Mädchen. Aus den Medien und dem Gerede in meiner alten Dienststelle wusste ich, dass Sydney Metro nach einem elfjährigen Mädchen suchte, das vor kurzem verschwunden und vermutlich tot war. Außerdem ging das Gerücht um, einer hier habe etwas mit dem Backpacker-Serienmörder Ivan Milat zu tun gehabt. Ich wollte meine Sachen so schnell wie möglich auspacken und mir dann ein paar gute Geschichten erzählen lassen.

Eden lehnte an meinem Schreibtisch, während ich meine Plastikbox aus- und die Schubladen einräumte. Sie räusperte sich, wich meinem Blick aus und blickte nervös in die Gegend.

»Verheiratet?«, fragte sie.

»Zwei Mal.«

»Kinder?«

»Ha!«

Sie drehte die silberne Uhr an ihrem Arm immer weiter im Kreis und warf mir einen schnellen Blick zu. Ich setzte mich auf Doyles Stuhl. Er war warm. Natürlich wusste ich, dass er nur von der Morgensonne, die zu den Fenstern über uns hereinkam, angewärmt worden war. Dennoch lief mir bei der Vorstellung, Doyle habe bis vor kurzem noch hier gesessen, telefoniert oder seine E-Mails gecheckt, eine Gänsehaut über den Rücken.

»Und warum hast du die Stelle hier angenommen?«

Als ich mich vorbeugte und meinen Rucksack vom Boden hochhob, konnte ich Eden riechen. Sie roch teuer. Rassige Lederstiefel schmiegten sich an ihre Waden, am Hals duftete Designerparfüm. Ich schätzte sie auf Ende zwanzig, garantiert suchte sie wie alle Frauen in ihrem Alter nach einem Mann mit ein bisschen mehr Erfahrung – ich war kein alter Sack, nur weil ich plus minus zehn Jahre älter war als sie. Sie würde das Grau an meinen Schläfen bestimmt nicht bemerken.

»Ich habe auch meinen Teampartner verloren. Bin seit einem halben Jahr allein.«

»Tut mir leid.« Wieder diese ausdruckslose Stimme. »Im Einsatz?«

»Nein. Suizid.«

Ein Mann kam im Bogen auf uns zu und pflanzte sich neben Eden auf den Schreibtisch. Eine große, hässliche Narbe lief wie ein weißer Blitz über seine gesamte rechte Schläfe und verschwand im Haaransatz. Sie zog den rechten Augenwinkel ein wenig nach oben. Eden sah ihn mit einem betreten wirkenden, schiefen Lächeln an.

»Frankie, richtig?« Er griente mich mit seinen weißen Hauern an.

»Frank.«

»Eric.« Er griff nach meiner Hand und schüttelte sie. »Falls du Schwierigkeiten mit unserer Schönen hier hast, sag mir einfach Bescheid. Ich kümmer mich um sie.« Er versetzte Eden einen harten Ellbogenstoß in die Rippen. Was für ein Kotzbrocken. Sie verzog das Gesicht.

»Keine Sorge, ich komme zurecht.«

Ich fing an, meine Sachen schneller einzuräumen. Aber Eric fasste einfach in die Box und zog einen Ordner heraus.

»Ist das deine Personalakte?«

Ich streckte die Hand nach dem braunen Ordner aus. Er zog ihn einfach weg.

»Ja. Das kannst du mir jetzt gern wiedergeben, danke.« Ich merkte, wie mir die Zunge am Gaumen kleben blieb. Eden lehnte daneben und sah zu. Eric stellte sich außerhalb meiner Reichweite und blätterte in meinen Unterlagen.

»Jetzt schaut euch das mal an. North Sydney Homicide. Asiatische Gangs. Du sprichst Koreanisch? Chinesisch? Ein Disziplinarverfahren haben sie dir auch angehängt, steht hier. Alkohol am Steuer auf dem Weg zur Arbeit.« Er lachte. »Auf dem Weg zur Arbeit, Frankie! Jetzt sag nicht, du hängst an der Flasche. Trinkst gern mal einen übern Durst, was?«

Ich riss ihm die Akte aus der Hand. Seine Pranke landete auf meiner Schulter.

»Nichts für ungut, war nur ein Witz.«

Ich reagierte nicht, und er schlenderte zurück zu den Eulen. Über die Schulter hinweg zeigte er mit dem Daumen auf mich und sagte etwas. Die Eulen starrten. Eden beobachtete mich. Mir wurde ganz heiß vor Zorn, und ich kratzte mich am Hals.

»Was für ein verdammter Idiot.« Ich schüttelte den Kopf.

»Ja.« Sie lächelte mich mit blitzenden, weißen Zähnen an. »Die Nummer kann er besonders gut.«

Dass Eric Edens Bruders war, fand ich erst heraus, als wir zu unserem ersten Tatort gerufen wurden. Beziehungsweise kurz davor. Ich weiß nicht, warum mir die Ähnlichkeit vorher nicht aufgefallen war. Beide waren markante dunkle Typen, denen die unter der Oberfläche schwelende Aggressivität deutlich anzusehen war. Gelangweilt und voller Energie – was für Alptraumgeschwister. Keine Ahnung, wer der Ältere war, Eric wirkte jedenfalls wilder, unbeherrschter. Eden saß neben mir auf dem Fahrersitz, Hände am Lenkrad, und kaute auf ihrer Unterlippe, als denke sie über etwas nach. Ich musterte sie von der Seite. Sie wirkte, als habe sie irgendwann in ihrem Leben ein schreckliches Trauma mitgemacht, von dem sie nicht loskam, etwas, das ihr Tag und Nacht zusetzte. Lügen und Geheimnisse. Eric wirkte außer Rand und Band, Clown oder Partyschreck, je nach Laune.

Kaum waren wir am Polizeipräsidium an der Little Street losgefahren, wurden wir vom Stau auf der Parramatta Road ausgebremst, vor uns die bläulich verschwommene Skyline der City. Wir krochen über eine Kreuzung, dann standen wir schon wieder, jetzt vor einem griechischen Restaurant, an dem ein Junge mit vielmonatiger Verspätung die auf die Fensterscheiben gesprühten Schneeflocken abkratzte. Ein riesiges, über einer Videothek hängendes Schild schrie mir in lautem Gelb und Rot entgegen, ob ich längeren, besseren Sex wollte, angestrahlt von der bereits tiefstehenden, brutalen Sonne. Der Vater des griechischen Jungen kam heraus, trieb ihn zum schnelleren Arbeiten an und zeigte auf die Thai-Restaurants links und rechts mit ihren blitzblanken Schaufensterscheiben.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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