Halloweenkind - Kathryna Kaa - E-Book
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Kathryna Kaa

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Beschreibung

Halloween - in dieser Nacht verschwimmen die Grenzen zwischen den Lebenden und dem Reich der Toten. In dieser Nacht stehen die Pforten zur Anderwelt weit offen, und in dieser Nacht bekommt die 19-jährige Paulina Schwarz ein neues Herz. Noch ahnt sie nicht, dass diese gefährliche Verbindung von Leben und Tod ihr Schicksal für immer verändern wird. Doch kurz vor dem nächsten Halloweenfest vernimmt sie in ihrem Inneren das unheimliche Flüstern einer unbekannten Stimme, und bald darauf beginnt ein Kampf um Leben und Seele.

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Hal­lo­ween­kind
Ein Flüs­tern im Dun­keln
Ka­thry­na Kaa
Im­pres­s­um © 2020 Ka­thry­na Kaa
Ka­thry­na Kaac/o Block Ser­vicesStutt­gar­ter Str. 10670736 Fell­bachhttp://www.ka­thry­na­kaa.deAl­le Rech­te vor­be­hal­tenDie in die­sem Buch dar­ge­stell­ten Fi­gu­ren und Er­eig­nis­se sind fik­tiv. Jeg­li­che Ähn­lich­keit mit le­ben­den oder to­ten re­a­len Per­so­nen ist zu­fäl­lig und nicht vom Au­tor be­ab­sich­tigt.Kein Teil die­ses Bu­ches darf oh­ne aus­drü­ck­li­che schrift­li­che Ge­neh­mi­gung des Her­aus­ge­bers re­pro­du­ziert oder in ei­nem Ab­ruf­sys­tem ge­spei­chert oder in ir­gend­ei­ner Form oder auf ir­gend­ei­ne Wei­se elek­tro­nisch, me­cha­nisch, fo­to­ko­piert, auf­ge­zeich­net oder auf an­de­re Wei­se über­tra­gen wer­den.Lek­to­rat und Kor­rek­to­rat: Li­li­an R. Fran­keCo­ver­de­sign von: chae­la (http://www.chae­la.de) un­ter Ver­wen­dung von Mo­ti­ven von free­pik.com: ©kjpar­ge­ter, ©re­na­ta.s
In­halt
Ti­tel­sei­te
Im­pres­s­um
Pro­log
Ka­pi­tel 1
Ka­pi­tel 2
Ka­pi­tel 3
Ka­pi­tel 4
Ka­pi­tel 5
Ka­pi­tel 6
Ka­pi­tel 7
Ka­pi­tel 8
Ka­pi­tel 9
Ka­pi­tel 10
Ka­pi­tel 11
Ka­pi­tel 12
Ka­pi­tel 13
Ka­pi­tel 14
Ka­pi­tel 15
Ka­pi­tel 16
Ka­pi­tel 17
Ka­pi­tel 18
Ka­pi­tel 19
Ka­pi­tel 20
Ka­pi­tel 21
Ka­pi­tel 22
Ka­pi­tel 23
Epi­log
Pro­log
Alles be­gann im ver­gan­ge­nen Herbst in der Nacht zu Hal­lo­ween.
Mein Herz war tot. Es war 18 Jah­re alt ge­we­sen, als es vor ei­ni­gen Stun­den aus mei­nem Leib ge­schnit­ten wur­de und nun ir­gend­wo im Kühl­raum der Pa­tho­lo­gie dar­auf war­te­te, ver­brannt zu wer­den.
Das war das Ers­te, wor­an ich dach­te, wäh­rend ich müh­sam mei­ne Au­gen öff­ne­te. Ich dreh­te den Kopf zur Sei­te und sah ei­ne Kran­ken­schwes­ter. Ihr wach­sa­mer Blick ruh­te auf den Ge­rä­ten, die mei­nen Zu­stand über­wach­ten. Mein Kopf­kis­sen ra­schel­te und un­ter­brach die Stil­le der In­ten­sivs­ta­ti­on, auf der bis auf das Pie­pen der Mo­ni­to­re und dem Ge­mur­mel des Pfle­ge­per­so­nals nichts zu hö­ren war. Die Schwes­ter schenk­te mir ein kur­z­es Lä­cheln, be­vor sie ver­schwand, um den Arzt zu in­for­mie­ren.
Jetzt schlug al­so die­ses neue Herz in mir. Um Mit­ter­nacht hat­ten es die Ärz­te in mei­ne Brust ver­pflanzt; um Mit­ter­nacht hat­te es zum ers­ten Mal das Blut durch mei­ne Adern ge­pumpt. Mein ei­ge­ner Herz­schlag war ver­lo­ren, lag ver­schüt­tet un­ter den lau­ten, kräf­ti­gen Schlä­gen des Spen­der­or­gans. Es fühl­te sich so fremd und un­ge­wohnt an, dass ich mir nicht vor­stel­len konn­te, es zu be­hal­ten.
Mit Un­be­ha­gen er­in­ner­te ich mich an das Schwei­gen mei­ner Groß­mut­ter am Te­le­fon, als ich sie am Hal­lo­wee­n­abend an­ge­ru­fen und ihr von dem Spen­der­herz er­zählt hat­te. Deut­lich hall­ten ih­re un­aus­ge­spro­che­nen Wor­te in mei­nem Kopf wi­der: Lass sein, Kind, lass sein! Hal­lo­ween ist nicht die Nacht, in der man Le­ben und Tod ver­bin­den soll­te.
Mein Na­me ist Pau­lie, Pau­li­na Schwa­rz, und das ist mei­ne Ge­schich­te.
Ka­pi­tel 1
Ge­ne­sis
Ich trat durch das Gar­ten­tor. Der Wind weh­te an die­sem Tag aus vol­len Kräf­ten. Di­cke Wol­ken zo­gen über das frisch ge­deck­te Dach des Häus­chens hin­weg und die leuch­tend grü­nen Fens­ter­lä­den schlu­gen ge­gen die rot­ge­stri­che­ne Fas­sa­de. Das höl­zer­ne Klop­fen klang dumpf und be­droh­lich und schien mich da­vor war­nen zu wol­len, die schwe­re Ei­chen­tür zu öff­nen.
Der schma­le Gar­ten­weg schlän­gel­te sich zwi­schen Ap­fel­bäu­men hin­durch, de­ren Äs­te so dicht über dem Bo­den schau­kel­ten, dass ich mit mei­ner Ja­cke dar­an hän­gen blieb. In die­sem Mo­ment ver­lor das Ge­bäu­de sei­ne Ver­traut­heit, mit der es mich frü­her ein­mal emp­fan­gen hat­te.
Trotz­dem war das Haus für mich das schöns­te Ge­schenk, das Groß­mut­ter mir nach ih­rem Tod vor ei­nem hal­b­en Jahr hat­te ma­chen kön­nen. Hier woll­te ich wie­der­fin­den, wer ich einst ge­we­sen war, als mein ei­ge­nes, nun to­tes Herz noch kräf­tig in mir ge­schla­gen hat­te. Ich war be­reit, mich Stück für Stück in Groß­ma­mas Welt zu be­ge­ben und auf die ma­gi­sche Sei­te ein­zu­las­sen.
Mein Herz poch­te in ei­nem selt­sam un­re­gel­mä­ßi­gen Rhyth­mus. Es hüpf­te hin und her und such­te ver­zwei­felt einen Aus­weg aus mei­ner Brust. Ir­gen­d­et­was ver­setz­te es in hel­le Auf­re­gung.
Ich lös­te mei­ne Ja­cke aus den Zwei­gen der Ap­fel­bäu­me. Der Wind blies mir mit al­ler Kraft ent­ge­gen. Du könn­test in ein paar Mo­na­ten wie­der­kom­men, über­leg­te ich. Im­mer­hin hat­te ich jetzt je­de Men­ge Zeit. Mei­ne El­tern hat­ten mich durch ihr Ver­mö­gen und zahl­rei­che Ver­si­che­run­gen mit ei­nem le­bens­lan­gen Rund­um-Sorg­los-Pa­ket aus­ge­stat­tet.
Nein. Ich zog den Ja­cken­reiß­ver­schluss bis zum Kinn, kniff die Au­gen zu­sam­men und zwang mich Schritt für Schritt vor­wärts. Da trat ich auf et­was Wei­ches. So­fort setz­te ich mei­nen Fuß zu­rück. Auf dem Bo­den lag ein to­ter Vo­gel.
»Ei­ne Am­sel«, flüs­ter­te ich. »Ei­ne ver­dammt to­te Am­sel.«
Vor­sich­tig stups­te ich sie mit mei­nem Stie­fel an. Sie war be­reits steif und ihr Kopf war un­na­tür­lich ver­dreht. Der Schna­bel stand auf­ge­ris­sen, als wä­re sie in ei­nem Mo­ment der Angst ge­stor­ben.
Wo kam sie her? Ich blick­te mich um. Da be­merk­te ich ein paar Me­ter ent­fernt ei­ne zwei­te ver­en­de­te Am­sel. Auf dem Ra­sen sah ich ei­ne wei­te­re. Ver­rückt. Je ge­nau­er ich hin­sah, des­to mehr to­te Vö­gel ent­deck­te ich.
»Was zum Teu­fel …«, press­te ich her­vor. So et­was hat­te ich bis­her noch nie ge­se­hen. Ich hat­te zwar von plötz­li­chem Vo­gels­ter­ben ge­hört, aber die­ser An­blick wirk­te auf mich ex­trem ver­stö­rend.
Das frem­de Herz in mir häm­mer­te ge­gen mei­ne Rip­pen und Ab­scheu stieg in mir hoch. Hat­te ich sonst eher Mit­leid emp­fun­den, bahn­te sich jetzt ein Ge­fühl von Ab­nei­gung sei­nen Weg. Mit je­dem wei­te­ren Herz­schlag ver­wan­del­te es sich mehr in Wut, die rot und heiß mei­nen Kopf er­reich­te und dort im Blut pul­sier­te.
An der Haus­tür hielt ich mich an dem ei­ser­nen Tür­klop­fer in Form ei­nes Dra­chen­kop­fes fest und rang nach Luft. Ich tas­te­te mein Ge­sicht ab und konn­te es kaum glau­ben: Ich glüh­te trotz des küh­len Herbst­ta­ges und ein dün­ner Schweiß­film be­deck­te mei­nen Nacken. War­um hat­ten mich die to­ten Vö­gel der­art aus der Fas­sung ge­bracht? Sol­che Wut hat­te ich noch nie emp­fun­den. Sie kam nicht aus mir, sie fühl­te sich fremd an, so fremd wie … Das Herz, Pau­lie. Dein Herz.
Be­un­ru­higt kram­te ich nach dem Haus­sch­lüs­sel in mei­ner Jack­en­ta­sche. Mich über­kam das un­heim­li­che Ge­fühl, dass Groß­mut­ters Haus Din­ge frei­set­zen wür­de, die bis da­hin tief in mir ge­schlum­mert hat­ten. Es steck­te vol­ler Ma­gie aus al­ten Ta­gen. Al­le Zau­ber, die Groß­ma­ma je ge­wirkt hat­te, wa­ren hier ge­spei­chert und durch­dran­gen das Häus­chen. Sie strahl­ten aus je­der Rit­ze und fin­gen mich jetzt ein, be­vor mei­ne Fü­ße über­haupt den Ab­tre­ter be­rührt hat­ten. Es war eben ein wasch­ech­tes »He­xen­haus«.
Ich rei­nig­te die Tür­klin­ke mit ei­nem Hy­gi­e­ne­tuch für un­ter­wegs. Die Welt war vol­ler Kei­me und ich woll­te kein Ri­si­ko ein­ge­hen. Auch wenn das kri­ti­sche ers­te Jahr nach der Trans­plan­ta­ti­on fast vor­über war, die Ge­fahr ei­ner In­fek­ti­on war noch ge­nau­so vor­han­den wie mei­ne Ängs­te. Mir ging es her­vor­ra­gend, das trans­plan­tier­te Herz ar­bei­te­te ein­wand­frei. Trotz­dem blieb da die­ses ei­gen­ar­ti­ge Ge­fühl, dass mein Le­ben nach wie vor be­droht war.
Der Schlüs­sel dreh­te sich im Tür­schloss und mit ei­nem Schritt in den Flur fühl­te ich mich da­heim. Das Herz schlug wie­der ru­hig und re­gel­mä­ßig. Ich schloss die Au­gen und durch­streif­te in Ge­dan­ken die klei­nen, ge­drun­ge­nen Zim­mer mei­nes neu­en Zu­hau­ses, die ver­trau­ter wirk­ten, als die el­ter­li­che Woh­nung es je ge­tan hat­te.
Es war kein gro­ßes Ge­bäu­de. Es be­stand aus zwei Eta­gen: Un­ten be­fan­den sich die Kü­che und ein ge­räu­mi­ges Wohn­zim­mer mit Tür in den Gar­ten hin­aus. Oben la­gen Schlaf­zim­mer mit Bal­kon, Ba­de­zim­mer, Ar­beits­zim­mer und der Dach­bo­den. Mehr als zwei Per­so­nen fan­den hier nicht Platz. Aber für mich war es ge­nau rich­tig.
Hin­ter mir krach­te die Haus­tür ins Schloss. Die Fens­ter­lä­den flo­gen zu und es war dun­kel im Flur. Der Schreck fuhr mir in die Glie­der und ich spür­te er­neut das frem­de Herz ge­gen mei­nen Brust­korb trom­meln. Hek­tisch tas­te­te ich nach dem Schal­ter und knips­te das Licht an.
»Oh Mann!«, ent­fuhr es mir. Ge­räusch­voll stieß ich die Luft aus. Da er­fass­te mich der alt­be­kann­te Duft aus Omas Heim. Er ström­te ge­ra­de­wegs in mich hin­ein und er­zeug­te Bil­der aus ver­gan­ge­nen Ta­gen. Vor mei­nem in­ne­ren Au­ge sah ich die Gä­rungs­fla­schen, in de­nen Groß­mut­ters Hal­lo­ween­wein vor sich hin blub­ber­te. Ich sah Bü­schel frisch ge­sam­mel­ter Kräu­ter auf dem Kü­chen­tisch. Ich sah Oma, in ih­rem Schau­kel­stuhl sit­zend, wie sie mich an­lä­chel­te, ei­ne Tas­se Abend­tee in der Hand.
Ich lä­chel­te zu­rück in mei­ne Er­in­ne­rung und zog mir die Boots von den Fü­ßen. Schu­he im Wohn­be­reich hat­te Groß­ma­ma nie er­laubt.
Ob­wohl der Schreck aus dem Flur schnell ver­flo­gen war, ras­te das Herz in mei­ner Brust noch im­mer. Ich tas­te­te un­ter mei­nem Pul­li nach der drei­ßig Zen­ti­me­ter lan­gen Na­r­be, die sich senk­recht über die Mit­te mei­nes Brust­kor­bes er­streck­te, und lausch­te in mich hin­ein.
Das ka­pier­te ich nicht. Ich fühl­te mich voll­kom­men nor­mal. Ru­hig. Trotz­dem klopf­te die­ses Or­gan wie wild, als be­sä­ße es sein ei­ge­nes Tem­po, sein ei­ge­nes … Nein, dar­an moch­te ich gar nicht den­ken. Das ist üb­lich, ver­such­te ich mich zu be­ru­hi­gen. Die Ärz­te ha­ben ge­sagt, dass sol­che Fremd­heits­ge­füh­le vor­kom­men kön­nen. Bald hast du einen Kon­troll­ter­min, dann fragst du den Doc.
Mich be­schlich ein selt­sa­mes Ge­fühl. Mein un­re­gel­mä­ßi­ger Herz­schlag gab mir ei­ne Vor­stel­lung da­von, was auf mich zu­kom­men wür­de, wenn ich Omas Wil­len folg­te und mich auf die Din­ge ein­ließ, die zwi­schen Him­mel und Er­de la­gen. Und die­se Vor­stel­lung ge­fiel mir über­haupt nicht. Ich schüt­tel­te mich, woll­te die­sen ab­scheu­li­chen, be­droh­li­chen Ein­druck los­wer­den. Al­so ver­such­te ich mich auf an­de­re Sa­chen zu kon­zen­trie­ren.
In So­cken be­trat ich das Wohn­zim­mer. Die Nach­mit­tags­son­ne tauch­te das Zim­mer in einen war­men Schim­mer. Er über­zog Sa­l­va­dor Da­lís Schwä­ne mit zar­tem Oran­ge und färb­te den Him­mel des Ele­fan­ten­bil­des blut­rot. Die Luft ver­ström­te Ge­rü­che von Ro­sen­holz und Ber­ga­mot­te aus längst er­lo­sche­nen Duft­lam­pen.
Ich moch­te kei­ne Ver­än­de­run­gen in Omas He­xen­haus. Nur ei­ni­ge Mö­bel hat­ten mei­ne El­tern so um­ge­stellt, wie ich es mir ge­wünscht hat­te. Denn ob­wohl die Mö­bel­stü­cke im Haus ver­schie­de­nen Ur­sprungs wa­ren und sich je­des vom an­de­ren un­ter­schied, füg­ten sie sich auf selt­sa­me Wei­se zu ei­ner Ein­heit zu­sam­men. Der nied­ri­ge Couch­tisch mit sei­nen ver­schnör­kel­ten Fü­ßen pass­te zu dem al­ten, dun­kel­grü­nen So­fa mit der über­ge­wor­fe­nen, bun­ten Patch­work­de­cke. Die Steh­lam­pe aus Zei­ten der Jahr­hun­dert­wen­de ver­wuchs ge­ra­de­zu mit dem dunk­len Holz des Schau­kel­stuhls und dem run­den Bei­stell­tisch­chen ne­ben der Trep­pe. Sie bil­de­ten klei­ne In­seln, die zu­sam­men­ge­fügt ein Gan­zes er­ga­ben; ei­ne stim­mi­ge, ge­müt­li­che Um­ge­bung, in die man sich ver­krie­chen woll­te, um nie wie­der her­aus­zu­kom­men.
Ein lei­ses, kaum hör­ba­res Kna­r­zen lenk­te mei­ne Auf­merk­sam­keit auf Groß­ma­mas ge­lieb­ten Schau­kel­stuhl. Ich ging zum Trep­pen­auf­gang und stieg zwei Stu­fen hin­auf, um dann ste­hen zu blei­ben und ihn von der Sei­te an­zu­star­ren. Da­bei hielt ich mich am Ge­län­der fest, als hät­te ich Angst, je­mand könn­te mich in ei­nem un­acht­sa­men Au­gen­blick aus dem Gleich­ge­wicht brin­gen. Doch der Stuhl weil­te still in sei­ner Ecke, oh­ne sich zu re­gen.
Ich wand­te mich der Trep­pe zu und setz­te ge­ra­de an, hin­auf­zu­stei­gen, da kna­rz­te es er­neut. Ruck­ar­tig dreh­te ich mich zum Schau­kel­stuhl um. Nichts. Trotz­dem war ich mir si­cher, aus dem Au­gen­win­kel ei­ne Be­we­gung wahr­ge­nom­men zu ha­ben. Als hät­te sich Groß­mut­ter von ih­rem Platz er­ho­ben, um mit mir hin­auf­zu­ge­hen.
Be­glei­tet von die­sem selt­sa­men Ge­fühl, nicht al­lein zu sein, stieg ich ins ers­te Stock­werk. Ein Luft­zug streif­te mei­nen Rü­cken und drück­te mich die schma­len Stu­fen hin­auf, die zum Dach­bo­den führ­ten. Ich ließ mich von der sanf­ten Kraft vor­wärts schie­ben und nach oben füh­ren, di­rekt zur Tür der Dach­bo­den­kam­mer.
Die Da­ch­kam­mer war Groß­ma­mas Hei­lig­tum ge­we­sen. Hier poch­te das ma­gi­sche Herz des He­xen­hau­ses. Hier be­fan­den sich all die al­ten, voll­ge­stopf­ten Bü­cher­re­ga­le, die Spie­gel, Räu­cher­scha­len, Sitz­kis­sen und die Kris­tall­ku­gel. Hier hat­ten wir un­ser jähr­li­ches Hal­lo­ween­fest mit ei­nem Will­kom­mens­gruß an die Geis­ter be­gon­nen und das ers­te Glas dun­kel­ro­ten, herr­lich sü­ßen Hal­lo­ween­wein ge­trun­ken. Dies war das »Me­di­ta­ti­ons­zim­mer«, in dem Groß­mut­ter Ri­tu­a­le und Séan­cen ab­ge­hal­ten hat­te, an de­nen mir die Teil­nah­me nicht je­des Mal er­laubt ge­we­sen war.
In ehr­fürch­ti­ger An­dacht drück­te ich die Tür­klin­ke zur Da­ch­kam­mer nach un­ten, als ir­gen­d­et­was mei­ne Brust traf. Der Schlag war so hef­tig, dass es mir den Atem aus den Lun­gen press­te. Ich krümm­te mich. Die Tür sprang auf, aber ich ver­such­te mich wei­ter an der Klin­ke fest­zu­hal­ten, um nicht die Trep­pen­stu­fen hin­un­ter­zu­stür­zen. Den­noch ent­glitt mir der Tür­griff. Erst im letz­ten Au­gen­blick be­kam ich das Ge­län­der zu fas­sen und klam­mer­te mich dar­an fest. Ich spür­te die Schweiß­per­len an den Schlä­fen, wäh­rend sich mei­ne Hän­de in das Holz der Stä­be krall­ten. Letzt­lich schaff­te ich es, auf die Knie zu kom­men. Ich japs­te und brach­te es nicht fer­tig, auf­zu­ste­hen. Ei­ne un­sicht­ba­re Klaue drück­te mein Herz zu­sam­men, als woll­te sie es zer­quet­schen. Sie um­klam­mer­te mei­ne Rip­pen; al­les war eng, eng, eng, so­dass ich kaum zu at­men ver­moch­te. Ich rang nach Luft. Für einen Mo­ment dach­te ich, dass die Pum­pe je­de Se­kun­de zu schla­gen auf­hö­ren wür­de. Pa­nik kroch durch sämt­li­che Fa­sern mei­nes Kör­pers.
Was war das? Was zur Höl­le war los mit mir? War das ei­ne wei­te­re Ab­sto­ßungs­re­ak­ti­on? Bit­te nicht. Da­von hat­te ich schon ei­ne durch­ge­macht und moch­te das nicht noch ein­mal er­le­ben. Oder war es ei­ne Re­ak­ti­on auf ei­ne der un­ge­fähr zwan­zig Pil­len­sor­ten? Ich ver­spür­te den Drang, mein Han­dy zu zü­cken und den Not­ruf zu wäh­len. An­de­rer­seits - or­ga­ni­sche Pro­ble­me fühl­ten sich an­ders an, das wuss­te ich.
Ein ver­trau­tes Bauchkrib­beln er­in­ner­te mich an die Emp­fin­dun­gen, die weg­ge­sperrt dar­auf lau­er­ten, aus­bre­chen zu kön­nen. Ich lausch­te einen Mo­ment in mich hin­ein. So­fort nutz­te ein Ge­dan­ke die Ge­le­gen­heit und ent­wisch­te aus dem Ker­ker mei­nes Un­ter­be­wusst­seins, um sich in mei­nem Kopf fest­zu­set­zen: Et­was will dich vom Dach­bo­den fern­hal­ten.
Ge­nau­so hat­te es sich an­ge­fühlt. Wie ei­ne Kraft, die mich mit Ge­walt zu­rück­ge­wor­fen hat­te, um zu ver­hin­dern, dass ich die­sen Raum be­trat. Die­se Vor­stel­lung er­schreck­te mich, und ei­lig ver­bann­te ich sie zu­rück in die Tie­fen mei­nes Bau­ches.
End­lich schaff­te ich es, mich auf­zu­rich­ten. Ich stand nach vorn ge­beugt, die Hän­de auf die Knie ge­stützt, und kon­zen­trier­te mich auf mei­ne At­mung. Ein. Aus. Ein. Aus. Ich zähl­te bis drei und rich­te­te mich auf. Schwin­del über­kam mich. Das Herz häm­mer­te wie ver­rückt. Ich muss­te mich drin­gend aus­ru­hen und zur Be­sin­nung kom­men. Nur ein Blick. Oma ist so nah.
Ich zwang mich, mei­nen Kör­per zu stre­cken, so­dass ich über die obers­te Trep­pen­stu­fe hin­weg in die Bo­den­kam­mer se­hen konn­te. Da ent­deck­te ich Omas Ta­rot­kar­ten­set. Es lag auf der Tür­schwel­le, di­rekt vor mei­ner Na­se. So­wie ich es er­späh­te, rutsch­te es ei­ne Stu­fe nach un­ten. Merk­wür­dig. Mein Zu­stand er­laub­te mir nicht, wei­ter dar­über nach­zu­den­ken, al­so beug­te ich mich mit letz­ter Kraft nach vorn und hob es auf.
Ob­wohl ich seit Groß­mut­ters Tod nichts mit die­sen Din­gen zu tun ge­habt hat­te, fühl­ten sich die ab­ge­nutz­ten Kar­ten in mei­ner Hand an, als wä­ren sie ein Teil von mir selbst. Sie ver­mit­tel­ten mir ein Ge­fühl von Si­cher­heit und Ver­traut­heit, und ge­nau das brauch­te ich jetzt. Aus ei­nem Im­puls her­aus nahm ich das Kar­ten­set an mich und steck­te es in mei­nen Nie­ten­gür­tel.
»Dan­ke, Oma«, flüs­ter­te ich kaum hör­bar. Denn auch wenn es mir ab­surd er­schien, kam mir den­noch der Ge­dan­ke, sie könn­te das ge­we­sen sein.
Ich war er­le­digt. Der Zwi­schen­fall hat­te mich ge­schafft, to­tal durch­ein­an­der­ge­bracht und ver­ängs­tigt. An die Wand ge­lehnt und völ­lig ver­schwitzt hielt ich mich auf­recht. Da be­merk­te ich den Licht­strahl, der durch den Tür­spalt des Schlaf­zim­mers fiel. Bis dort­hin wür­de ich es schaf­fen.
Ich schlepp­te mich die Stu­fen hin­un­ter bis zur Schlaf­zim­mer­tür, stieß sie auf und stol­per­te in den flie­der­fa­r­be­nen Raum. Ich strau­chel­te zwi­schen den Kar­tons mit mei­nen Sa­chen, die sich vor dem al­ten Klei­der­schrank und der dunk­len Holz­tru­he sta­pel­ten, hin­durch zu mei­nem Bett. Dort ließ ich mich fal­len.
Man hat­te mir zwar ge­sagt, dass Trans­plan­tier­te manch­mal un­ter Herz­rhyth­muss­tö­run­gen lit­ten, dass die je­doch der­art stark auf­tre­ten konn­ten, da­vor hat­te mich kei­ner ge­warnt. Und das mach­te mir ge­ra­de rich­tig Angst. Mei­ne Fin­ger tas­te­ten nach dem Han­dy und zo­gen es aus mei­ner Ho­sen­ta­sche. Die Num­mer des Not­a­rz­tes war schnell ge­fun­den. Wenn es nicht gleich bes­ser wird, dach­te ich, dann rufst du an.
Aber der Druck hin­ter mei­nen Rip­pen ließ nach. Ich at­me­te durch. Ei­ne Wei­le blieb ich lie­gen und starr­te die De­cke an, von der mein rie­si­ger Traum­fän­ger bau­mel­te. Ei­gen­ar­tig. Er schwang ei­lig hin und her, doch das Fens­ter war ge­schlos­sen und die Bal­kon­tür eben­so. Ich konn­te kei­nen Luft­zug spü­ren.
Das Han­dy fest in der Hand ver­harr­te ich re­gungs­los und merk­te, wie sich mein Herz­schlag ver­lang­sam­te und das Zit­tern mei­ner Glie­der nachließ. Mei­ne Ge­dan­ken kreis­ten. Viel­leicht war es kei­ne gu­te Idee ge­we­sen, hier ein­zu­zie­hen. Jetzt war ich auf mich ge­stellt. Ab die­sem Tag wür­de ich al­lein zu den Kon­troll­un­ter­su­chun­gen ins Kran­ken­haus fah­ren müs­sen. Nie­mand er­in­ner­te mich an mei­ne Pil­len. Und mei­ne Ein­käu­fe be­sorg­te ich eben­falls selbst. Die­se Aus­sich­ten wa­ren nach dem Er­leb­nis ge­ra­de eben auf der Dach­bo­den­trep­pe nicht da­zu ge­eig­net, mich zu be­ru­hi­gen.
Nein. Ich dreh­te mich auf die Sei­te. Du ziehst das durch. Oma hat es so ge­wollt.Und sie hat im­mer ge­wusst, was das Bes­te für dich ist. Ich tat das Rich­ti­ge, da gab es kei­nen Zwei­fel.
Vor mei­ner Er­kran­kung hat­te ich mein ei­ge­nes Le­ben ge­führt. Die Schu­le hat­te ich ge­ra­de hin­ter mich ge­bracht und woll­te stu­die­ren. Ich war es ge­wohnt ge­we­sen, al­lein kla­r­zu­kom­men. Ich war frei ge­we­sen. Doch in­ner­halb we­ni­ger Wo­chen hat­te die­se ver­teu­fel­te Grip­pe mein kom­plet­tes Da­sein lahm­ge­legt. Sie hat­te aus mir ei­ne Ge­fan­ge­ne mei­nes Kör­pers ge­macht. Ei­ne Ge­fan­ge­ne im Haus mei­ner El­tern. Ei­ne Ge­fan­ge­ne in den Klau­en der Ärz­te.
Nie­mand ver­moch­te sich vor­zu­stel­len, wie er­bärm­lich es sich an­fühl­te, von an­de­ren ab­hän­gig zu sein. Mit dem kran­ken Her­zen hat­te ich Hil­fe bei al­lem ge­braucht, was ich tat. Hil­fe beim Trep­pen­stei­gen. Hil­fe beim Es­sen­ko­chen. Zu­letzt so­gar beim Ba­den und An­zie­hen, weil das Herz es ein­fach nicht mehr ge­schafft hat­te, ge­nug Sau­er­stoff zu lie­fern, um mich bei Kräf­ten zu hal­ten.
Das fri­sche Or­gan in mei­ner Brust be­deu­te­te für mich in ers­ter Li­nie ei­nes: Frei­heit. Die Fes­seln der Krank­heit hat­ten sich ge­löst und die­se Stim­mung woll­te ich so lan­ge wie mög­lich aus­kos­ten. Es hat­te mir ein zwei­tes Le­ben ge­schenkt, das hier im He­xen­haus be­gin­nen soll­te. Groß­mut­ters Häus­chen be­frei­te mich aus den Fän­gen der el­ter­li­chen Für­sor­ge. Da­für nahm ich die Schre­cken in Kauf, die sich aus der neu­en Her­aus­for­de­rung er­ga­ben.
Ein Knacken riss mich aus mei­nen Ge­dan­ken. Ich hob den Kopf und blick­te hin­über zur Bal­kon­tür. Der Wind hat­te sie einen Spalt auf­ge­drückt. Ein Luft­zug strich mir durch die Haa­re.
Sie ist da.
Deut­lich spür­te ich Omas star­ke Prä­senz. Wie sehr ich sie ver­miss­te. Mit ihr war es ein­fa­cher ge­we­sen, auf mich selbst zu ver­trau­en. Oh­ne sie da­ge­gen ge­wann mein ge­züch­te­ter, an­er­zo­ge­ner und or­dent­lich trai­nier­ter Ver­stand im­mer wie­der den un­glei­chen Kampf ge­gen die in­ne­ren In­stink­te. Ich pen­del­te zwi­schen den Wel­ten. Seit ih­rem Tod fühl­te ich mich ver­lo­ren im Ge­wirr aus si­che­rer Ver­nunft und der Sehn­sucht nach der Ma­gie des Le­bens, die ir­gend­wann ver­schwun­den war.
Aber hier war es, als wä­re sie an mei­ner Sei­te. Ihr leich­ter Duft nach La­ven­del steck­te in sämt­li­chen Fa­sern der Hand­tü­cher, De­cken und Tep­pi­che. Er hing an den Wän­den und Vor­hän­gen. Sie leb­te in all den Fläsch­chen und Do­sen und Kräu­tern. Wie ei­ne schüt­zen­de Hand schweb­te sie über mir, un­ter mir und um mich her­um. Oma war nach wie vor da - ir­gend­wie.
Bei die­sem be­ru­hi­gen­den Ge­dan­ken über­mann­te mich der Schlaf.
Die Stra­ßen­la­ter­nen leuch­te­ten be­reits in die ein­set­zen­de Dun­kel­heit hin­ein, als ich auf­wach­te. Mei­ne Kräf­te wa­ren zu­rück­ge­kehrt. Das Herz in mei­ner Brust hat­te zu dem Rhyth­mus zu­rück­ge­fun­den, der zu mir ge­hör­te. Er­leich­tert steck­te ich mein Han­dy zu­rück in die Ho­sen­ta­sche, stand auf und schal­te­te rasch über­all im Haus das Licht an. Ich fühl­te mich bes­ser, trotz­dem blieb ein un­gu­tes Ge­fühl hän­gen und ließ sich nicht ab­strei­fen.
Doch was war das für ein Flüs­tern? Was war das nur für ei­ne Stim­me in mei­nem Schä­del? Ir­gen­d­et­was mur­mel­te aus den hin­ters­ten Rit­zen mei­nes Hirns. Die­se Stim­me war nicht die mei­ne, ich er­kann­te sie nicht. Ihr Klang war hart und un­ver­traut, und ih­re Käl­te jag­te mir ei­ne Gän­se­haut über den Rü­cken. Sie flüs­ter­te un­ver­ständ­li­ches Zeug und wirk­te be­droh­lich und fremd. Den­noch kam sie mir auf ei­ne ei­gen­ar­ti­ge Wei­se be­kannt vor. Als wä­re ich auf et­was ge­sto­ßen, das ich längst ver­ges­sen hat­te.
Ich klopf­te mit den Hand­flä­chen ge­gen mei­ne Oh­ren, um die­ses ner­vi­ge Ge­mur­mel ab­zu­stel­len. Es ha­lf nichts. Kam es wirk­lich aus mei­nem Kopf? Oder hat­te es eher mit dem Her­zen zu tun?
Oma hat­te im­mer ge­meint, je­des We­sen hät­te sei­ne Le­bens­zeit in die­ser Welt. Es wä­re nicht schlimm, sie zu ver­las­sen, denn man be­trat nur ei­ne an­de­re. Nach ih­rer Auf­fas­sung wa­ren sämt­li­che Kör­per­tei­le mit der Ener­gie der See­le durch­drun­gen. Bei ei­ner Trans­plan­ta­ti­on wür­de ein Stück des Ver­stor­be­nen in mich hin­ein wan­dern, so­dass er in mir wei­ter­leb­te. Was, wenn das stimm­te? Wenn ein Stü­ck­chen der Spen­der­see­le mit dem Or­gan in mich hin­ein­ge­wan­dert war und jetzt aus mir sprach? Wenn mei­ne Ge­dan­ken nicht mei­ne ei­ge­nen wa­ren, und nicht al­les, was ich tat, wirk­lich von mir selbst aus­ging?
Oh Mann, Pau­lie. Wie viel von dir hat die­ses Teil in dei­ner Brust sich be­reits ein­ver­leibt?
Mein Schä­del brumm­te vor sich über­schla­gen­den, wir­ren Über­le­gun­gen. Mir schwin­del­te und ich setz­te mich auf die obers­te Trep­pen­stu­fe. Nicht durch­dre­hen, Pau­lie, er­mahn­te ich mich. Du soll­test den Not­a­rzt ru­fen.
Ei­ne Se­kun­de spä­ter ent­schied ich mich da­ge­gen. Lie­ber nicht. Wenn ich de­nen er­zähl­te, was ich glaub­te, er­lebt zu ha­ben, wür­den die nicht mei­ne kör­per­li­che, son­dern mei­ne geis­ti­ge Ge­sund­heit über­prü­fen.
Nein. Ich schüt­tel­te den Kopf. Ich war noch nicht so weit. Mei­ne Ener­gie und mei­ne Ner­ven reich­ten nicht aus, um mich auf Omas Welt ein­zu­las­sen und mei­nem Bauch­ge­fühl zu trau­en, das ich für ge­wöhn­lich mit Macht un­ter­drück­te. Ich wür­de mei­ne Pro­ble­me auf ver­nünf­ti­ge, wis­sen­schaft­li­che Wei­se klä­ren. Al­so klam­mer­te ich mich an mei­ne ra­ti­o­na­le Sei­te. Ein Or­gan be­sitzt kein Be­wusst­sein und schon gar nicht so et­was wie ei­ne See­le. Du bist nicht die Ma­ri­o­net­te ir­gend­ei­nes To­ten.
»Sor­ry, Oma«, flüs­ter­te ich und ver­schloss mit die­sen Wor­ten sämt­li­che be­un­ru­hi­gen­den Emp­fin­dun­gen tief in mei­nem Bauch. »Al­les in Ord­nung«, rief ich laut­hals in den Raum hin­ein und igno­ri­er­te die Stim­me, die mal lau­ter, mal lei­ser in mir wis­per­te. Statt­des­sen stapf­te ich mit über­trie­be­ner Ent­schlos­sen­heit die Trep­pe hin­un­ter ins Wohn­zim­mer. Ich wür­de mich nicht un­ter­krie­gen las­sen, und das woll­te ich mir be­wei­sen.
Ich sank in den Fern­seh­ses­sel und schal­te­te das Heim­ki­no ein. Das hat­ten mei­ne El­tern sprin­gen las­sen, um mir die schwie­ri­ge ers­te Zeit zu ver­sü­ßen. Es war ih­re Art, Für­sor­ge zu zei­gen, und die fand ich okay. Der Kon­takt zu mei­nen El­tern be­schränk­te sich ge­mein­hin auf all­mo­nat­li­che Pflicht­an­ru­fe und Be­su­che zu fei­er­li­chen An­läs­sen. Die Trans­plan­ta­ti­on hat­te nichts an un­se­rem un­ter­kühl­ten Ver­hält­nis ge­än­dert; es leb­te nach wie vor von Luft­küs­sen, Au­gen­zwin­kern und stei­fen Um­ar­mun­gen. Aber ge­nau das gab mir et­was Ver­trau­tes, und das war gut in die­ser Wand­lungs­pha­se, wie Oma ge­sagt hät­te.
Ich ku­schel­te mich auf die Couch in Groß­mut­ters selbst ge­näh­te Patch­work­de­cke. Die De­cke duf­te­te nach ih­rem La­ven­del und hüll­te mich in den Al­les-ist-gut-Man­tel mei­ner Kind­heits­ta­ge. Hier wür­de ich den Rest des Abends sit­zen, Nu­deln es­sen, Ka­kao schlür­fen und mir einen Spiel­film nach dem an­de­ren rein­zie­hen. Die gan­ze blu­ti­ge Ecke. Ich lieb­te Hor­ror, Gru­sel und Splat­ter. Je mehr Tod in den Strei­fen vor­kam, des­to bes­ser lenk­ten sie mich von der Nä­he des ei­ge­nen ab. Und sie wür­den das frem­de Flüs­tern in mei­nem Kopf pro­blem­los über­tö­nen.
Ka­pi­tel 2
La­by­rinth der Sin­ne
Hhhh …!« Ich fuhr hoch und at­me­te schwer. Mein Brust­korb hob und senk­te sich an­ge­strengt, um ge­nug Luft zu be­kom­men. Ge­ra­de noch hat­te ich mich in die­sem düs­te­ren Wald be­fun­den, aus dem ich kei­nen Aus­weg fand, da stand plötz­lich die­ser glatz­köp­fi­ge Hü­ne vor mir. Wie hyp­no­ti­siert hat­te ich an sei­nen star­ren Au­gen ge­klebt, de­ren Schwär­ze das Au­gen­weiß fast gänz­lich ver­dräng­te. Und wäh­rend mein Geist die­se in dunk­le Klei­dung gehüll­te Ge­stalt zu fas­sen ver­sucht hat­te, durch­fuhr mich ein hef­ti­ger Ruck. Un­glaub­li­cher Schmerz hat­te mei­nen Kör­per er­grif­fen und mir den Atem ge­nom­men. Nur mit Mü­he hat­te ich mei­nen Blick von dem Un­ge­heu­er vor mir lö­sen kön­nen, um an mir her­ab­zu­schau­en. Und mit Ent­set­zen hat­te ich sei­nen Arm zwi­schen mei­nen Rip­pen ste­cken se­hen, den fes­ten Griff ge­spürt, mit dem er mein Herz um­klam­mert hielt. Bei die­sem An­blick hat­te ich auf­ge­schri­en - und war keu­chend in mei­nem Bett er­wacht.
Ich tas­te­te nach der Na­r­be un­ter mei­nem nass ge­schwitz­ten Shirt. Sie fühl­te sich heiß an und brann­te.
Ich brauch­te einen Au­gen­blick, bis mir ein­fiel, wo ich mich be­fand. Es war die ers­te Nacht im He­xen­häus­chen ge­we­sen. Kein Wun­der, dass ich er­war­tet hat­te, mich in mei­nem Bett auf dem el­ter­li­chen An­we­sen wie­der­zu­fin­den. Statt­des­sen lag ich auf der Couch, vor mir auf dem Fern­seh­bild­schirm das Me­nü mei­ner Fest­plat­te. Beim letz­ten Film muss­te ich ein­ge­schla­fen sein. Ich stöhn­te und mas­sier­te mir den Nacken. Für aus­ge­dehn­te Schläf­chen war das So­fa nicht ge­eig­net.
Puh. Ich rieb mir die Au­gen. Eben hat­te ich noch ge­glaubt, die Hand die­ses glatz­köp­fi­gen Mons­ters wür­de di­rekt in mich hin­ein nach mei­nem Her­zen grap­schen. Was für ein fie­ser Traum. Hor­ror. Alb­träu­me hat­ten bis da­hin nicht zu mei­nem Le­ben ge­hört, und der Schreck steck­te mir tief in den Kno­chen. Die­ser Typ aus dem Traum. Er schien so be­ängs­ti­gend re­al. Ich er­in­ner­te mich nicht an viel, aber die Bil­der des kahl­köp­fi­gen Rie­sen mit sei­nem wuch­ti­gen Kör­per reich­ten, um mir den Atem sto­cken zu las­sen, wenn ich nur dar­an dach­te. Die­se schreck­lich schwa­r­zen Au­gen. Die di­cken Zor­nes­fur­chen über den Brau­en.
Ich wa­rf einen Blick in mei­nen Hals­aus­schnitt. Al­les in Ord­nung. Kein Blut zu se­hen. Und die Na­r­be sah aus wie im­mer. Sie war nicht blass wie der Rest mei­ner Haut, son­dern hob sich in ei­nem dunk­len Ro­sa ab. Doch sie zeig­te nicht die Rö­tung, die ich auf­grund des Bren­nens er­war­tet hät­te.
Der Tag hat­te ge­ra­de erst be­gon­nen, und die Son­ne bahn­te sich ih­ren Weg über den Him­mel. Aber an Schlaf war nicht mehr zu den­ken. Die bes­te Ab­len­kung wür­de ich an mei­nem PC fin­den. Al­so stand ich auf und setz­te mich nach ei­ner aus­gie­bi­gen Du­sche an mei­nen Com­pu­ter. Den hat­ten mei­ne El­tern be­reits in mei­nem ehe­ma­li­gen Zim­mer auf­ge­baut, in dem ich in Kin­der­ta­gen wäh­rend der Fe­ri­en bei Oma ge­wohnt hat­te. Jetzt dien­te es als Ar­beits­zim­mer und grenz­te di­rekt an den Schlaf­raum. Wenn mir lang­wei­lig war, ver­fass­te ich am Rech­ner Re­zen­si­o­nen über Hor­ror­fil­me und Bü­cher für mei­nen Blog auf bloo­dyeye­s­cream.com.
Kei­nen ein­zi­gen Ge­dan­ken woll­te ich an die­se schreck­li­che Frat­ze aus mei­nem Traum ver­schwen­den. Ich wei­ger­te mich, noch län­ger dar­über nach­zu­den­ken. Es war ein Alb­traum ge­we­sen, nichts wei­ter als ein Hirn­ge­spinst, ein Pro­dukt mei­ner Ängs­te, völ­lig nor­mal in ei­ner Si­tua­ti­on wie mei­ner. Man be­kam schließ­lich nicht je­den Tag ein frem­des Or­gan ein­ge­pflanzt.
Ich at­me­te durch und wa­rf einen Blick aus dem Fens­ter, wäh­rend der Rech­ner hoch­fuhr. Für die nächs­ten Wo­chen plan­te ich, Omas He­xen­häus­chen mehr und mehr zu mei­nem ei­ge­nen zu ma­chen. Groß­ma­mas Hab­se­lig­kei­ten wür­den sich mit mei­nen ver­mi­schen und mir das Ge­fühl ge­ben, an­ge­kom­men zu sein. Lei­se summ­te ich die Me­lo­die von Lou Reeds Song »Walk on the wild si­de« vor mich hin. Ich steck­te vol­ler Ta­ten­drang und woll­te mich in mein neu­es Le­ben stür­zen.
Aber die­ses stän­di­ge Flüs­tern in mir nerv­te. Ich hat­te es mit mei­nem Ein­zug in das He­xen­haus am Vor­tag be­merkt und es fiel mir zu­neh­mend schwe­rer, es zu igno­rie­ren. Das dämpf­te mei­ne Lau­ne, selbst wenn ich al­les dar­an­setz­te, sie mir da­durch nicht ver­sau­en zu las­sen. Tin­ni­tus nimmt man ir­gend­wann auch nicht mehr wahr, sag­te ich mir. Die glei­che Hoff­nung hat­te ich bei die­sem end­lo­sen Ge­mur­mel, das ich so­wie­so nicht ver­stand.
So saß ich in der Mor­gen­däm­me­rung am PC und hack­te wie be­ses­sen mei­ne Mei­nung zu »30 Days of Night« in mei­nen Blog. Bei Aus­flü­gen auf Fried­hö­fe sam­mel­te ich Gra­b­in­schrif­ten, und auf mei­nem letz­ten Streif­zug hat­te ich ei­ne ge­fun­den, mit der ich mei­nen Ar­ti­kel ab­schlie­ßen woll­te: »Die Nacht lässt al­les an­ders wer­den«, tipp­te ich und grins­te. Ziem­lich pas­send für die­sen Film.
Klack, klack. Ich dreh­te mich im Stuhl zum Fens­ter zu mei­ner Lin­ken und be­merk­te die Am­sel auf dem Fens­ter­sims, die mit ih­rem Schna­bel ge­gen die Schei­be klopf­te.
In die­sem Au­gen­blick stieg das Flüs­tern in mir zu ei­nem schril­len Krei­s­chen an. Es ließ sich nicht mehr un­ter­drü­cken, ge­schwei­ge denn igno­rie­ren. Ich hielt mir den Kopf mit bei­den Hän­den, aus Angst, er könn­te plat­zen. Ein lau­ter, zor­ni­ger Schrei ent­wich mei­ner Keh­le. Die Stim­me in mei­nem Schä­del floss in mei­ne ei­ge­ne und ich hör­te mich laut­hals brül­len: »Hau ab! Hau ab! Hau ab!«
Ich form­te die­se Wor­te mit mei­nen Lip­pen, ich spür­te das Vi­brie­ren der Stimm­bän­der. Doch die­ser Ton ge­hör­te nicht zu mir. Ich er­kann­te ihn nicht. In ihm schwang Wut und der dunk­le Klang groll­te und brumm­te bis in mei­nen Bauch.
Die Am­sel blieb sit­zen. Mein Wut­aus­bruch hin­ter der Fens­ter­schei­be schien sie nicht zu be­ein­dru­cken. Ur­plötz­li­cher, un­kon­trol­lier­ba­rer Zorn stieg in mir auf und zer­riss mir fast den Brust­korb. Hät­te er mich in die­sem Au­gen­blick nicht der­art ver­ein­nahmt, ich hät­te mich vor mir selbst ge­fürch­tet.
Ich riss das Fens­ter auf. Ein ste­chen­der Schmerz durch­fuhr mei­ne Schul­ter; die Wucht mei­ner Be­we­gung hat­te einen Mus­kel ge­zerrt. End­lich er­schrak das Vo­gel­vieh und flat­ter­te da­von. Mein Kör­per er­schlaff­te und ich sank auf den Bo­den. Ich fuhr mir durch mei­ne schwa­rz ge­färb­ten, strub­be­li­gen Haa­re, die wild und un­ge­zähmt um mei­nen Kopf zu ste­hen pfleg­ten. Im­mer wie­der strich ich hin­durch, als müss­te ich sie wa­schen. Mei­ne Gü­te, Pau­lie.Bis­her ha­ben dich Vö­gel nie ge­stört. Er­neut über­kam mich das Ge­fühl, dass die­ser Aus­bruch nicht zu mir ge­hör­te, dass et­was an­de­res in mir war. Et­was Star­kes, Ge­fähr­li­ches. Bö­ses.
Bei die­sem Ge­dan­ken wan­der­ten mei­ne Fin­ger ein wei­te­res Mal zu der Na­r­be auf mei­nem Brust­bein. Ich tas­te­te an ihr ent­lang, vor­sich­tig, aus Angst, sie könn­te sich öff­nen und Grau­si­ges zum Vor­schein brin­gen.
Die­se Am­seln. Ich sah sie neu­er­dings über­all.
Ich er­in­ner­te mich an den letz­ten Spa­zier­gang im Wald ein paar Ta­ge vor mei­nem Ein­zug. Ich hat­te re­gel­rech­te Schwär­me von Am­seln ent­deckt. Sie wa­ren über mich da­hin­ge­zo­gen oder hat­ten am Bo­den in der Er­de ge­scharrt und mich arg­wöh­nisch von der Sei­te be­äugt. Nie zu­vor in mei­nem Le­ben hat­te ich sol­che An­samm­lun­gen ge­se­hen. Ihr An­blick hat­te mich in un­er­klär­li­che Wut ver­setzt, und ich hat­te Stei­ne nach ih­nen ge­wor­fen.
Wie hat­te ich das ver­ges­sen kön­nen? Die­se Vie­cher schie­nen an mir zu kle­ben. Wo­hin ich ging, sah ich sie sit­zen. Sie starr­ten auf mich her­ab oder zu mir hin­auf und sand­ten Ru­fe durch die Luft, als woll­ten sie mich war­nen. Doch wenn ich ver­such­te, sie zu füt­tern oder auch nur in ih­re Nä­he kam, spür­te ich im glei­chen Au­gen­blick freu­di­ge Er­re­gung bei der Vor­stel­lung an blut­be­fleck­te Fe­dern.
Das war nicht ich. Das war ich nicht! Ich schüt­tel­te den Kopf, bis mir schwin­de­lig wur­de. Um mich zu be­ru­hi­gen, hol­te ich mir die lo­gi­schen Stim­men mei­ner El­tern ins Ge­dächt­nis. Was für ein Un­sinn, wür­de mein Va­ter sa­gen. Und wahr­schein­lich hat er recht, dach­te ich und stand auf.
Aber die­se üb­len Ge­dan­ken kreis­ten wei­ter in mei­nem Hirn. Was war nicht in Ord­nung mit mir? War es et­was Or­ga­ni­sches? Et­was Pa­ra­nor­ma­les? Him­mel, Pau­lie. Es gibt für al­les ei­ne Er­klä­rung. Du musst sie bloß fin­den. Und nie­mand eig­ne­te sich bes­ser da­für als Lot­ta.
Ich zück­te mein Han­dy und such­te ih­re Num­mer. Lot­ta war mein Ge­gen­pol, mei­ne Er­dung in der Welt der Nor­ma­los, und die brauch­te ich jetzt. Doch Lot­ta ar­bei­te­te in Pa­ris, weit weg von hier, so­dass uns nur Mails und Te­le­fona­te blie­ben. Das mach­te mir zu schaf­fen.
Es tu­te­te.
»Pau­lie.«
»Hey Lot­ta«, sag­te ich, »wird Zeit, dass ich von mir hö­ren las­se.«
»Pau­lie, es ist grad un­güns­tig. Muss gleich in ein Mee­ting.«
»Oh.«
»Was gibt es denn? Al­les in Ord­nung?«
Na­tür­lich war nichts in Ord­nung. Ich muss­te end­lich je­man­den in die Merk­wür­dig­kei­ten ein­wei­hen, die da vor sich gin­gen. Mein Fass quoll über und ich konn­te das nicht län­ger für mich be­hal­ten. Ab­ge­se­hen von den jüngs­ten Er­eig­nis­sen woll­te ich ihr von dem Brief er­zäh­len, den ich an die An­ge­hö­ri­gen des Spen­ders ver­fasst hat­te, bloß um her­aus­zu­fin­den, dass er gar kei­ne be­ses­sen hat­te. Ihr sa­gen, wie mich die­ser Um­stand er­leich­tert hat­te, weil ich mich der Be­klem­mung nicht ent­le­di­gen konn­te, die un­trenn­bar mit dem Ding in mei­ner Brust zu­sam­men­hing. Des­halb fand ich es im Au­gen­blick leich­ter, nicht zu wis­sen, was für ein Mensch mir sein Or­gan ver­macht hat­te.
»Pau­lie?« Lot­tas Stim­me riss mich aus mei­nen Ge­dan­ken. Für einen kur­z­en Mo­ment hat­te ich tat­säch­lich ge­glaubt, ich wür­de ihr ge­ra­de die­se Sa­chen an­ver­trau­en, und Lot­ta sä­ße ne­ben mir und hör­te mir ge­dul­dig zu. »Pau­lie! Bist du noch dran?«
»Ja.« Ich räus­per­te mich.
»Was woll­test du mir sa­gen?«
»Ja. Nein. Ich mei­ne, al­les in Ord­nung.«
»Hey.« Lot­tas Ton­fall be­kam ei­ne sanf­te Fär­bung. »Da stimmt doch was nicht.« Na­tür­lich roch sie den Bra­ten. Im­mer­hin war sie mei­ne bes­te Freun­din. In der Schu­le hat­ten wir ne­ben­ein­an­der­ge­ses­sen, über die Leh­rer ge­läs­tert und von­ein­an­der ab­ge­schrie­ben. Sie war die Schi­cke von uns bei­den, die brü­net­te Da­me mit den Rie­sen­ge­hän­gen im Ohr. Aber so un­ter­schied­lich wir wa­ren, et­was Be­son­de­res band uns an­ein­an­der wie Schwes­tern. Selbst wenn wir nicht wuss­ten, was ge­nau es war.
»Pau­lie, hör zu. Ich muss jetzt los. Ruf mich heu­te Abend an, in Ord­nung?«
»Mach ich.«
»Und bis da­hin, Klei­ne«, sag­te sie und ihr Ton klang wie der ei­ner be­sorg­ten Mut­ter, »mach dir kei­ne Sor­gen. Das neue Herz hat dir ein zwei­tes Le­ben be­schert, aber eben auch be­ängs­ti­gen­de Din­ge wie Me­di­ka­men­te und Kran­ken­haus­auf­ent­hal­te. Glaub mir, du wirst ler­nen, da­mit um­zu­ge­hen.«
Ich brumm­te nur.
»Du schaffst das. Such dir et­was, das dich ab­lenkt. Be­gib dich end­lich mal wie­der un­ter Leu­te! Weißt du was?«
»Was?« Ich moch­te Vor­schlä­ge nicht.
»Du gehst heu­te raus! Geh in ein Ca­fé und trink einen Cappuc­ci­no. Und den Mund­schutz lässt du da­heim.«
»Hm.« Da­zu hat­te ich ab­so­lut kei­ne Lust. Au­ßer­dem ging ich nie oh­ne Mund­schutz aus dem Haus. Selbst wenn ich ihn nicht mehr brauch­te.
»Tu es ein­fach!«, be­stimm­te sie. »Du wirst se­hen. Al­les, was du brauchst, ist ein Stück Nor­ma­li­tät. Dann ver­schwin­den dei­ne Ängs­te ganz von al­lein.«
Ich gab auf. »Okay.«
»Lass uns heu­te Abend te­le­fo­nie­ren. Bis spä­ter, Klei­ne.«
Ich hass­te es, wenn sie mich so nann­te. Zu­ge­ge­ben, be­son­ders groß war ich nicht. Trotz­dem war ich 19 Jah­re alt und nicht so zart und zer­brech­lich, wie ich viel­leicht wirk­te. Mei­ne so­li­den Kno­chen mach­ten mich kei­nes­wegs zu ei­nem Leicht­ge­wicht, und die Mus­keln auf mei­nen dün­nen Ar­men lie­ßen mich drah­tig er­schei­nen. Den­noch ver­lieh mir die­ser Aus­druck jetzt ein Ge­fühl von Ge­bor­gen­heit, so al­bern sich das auch an­hör­te.
Lot­tas Wor­te klan­gen rich­tig. Ich woll­te auf sie hö­ren. Al­so be­hielt ich ih­re Stim­me so gut es ging in mei­nem Kopf. Sie soll­te mir hel­fen, das Un­be­ha­gen in mei­ner Bauch­ge­gend zu über­tö­nen. Ich hielt mich dar­an fest, straff­te mich und nahm mir vor, einen Aus­flug un­ter Leu­te zu wa­gen. Mit mei­nem Mo­tor­rol­ler. Und zwar oh­ne Mund­schutz. Ye­ah.
Mein rot-wei­ßer Rol­ler im Re­tro­look stand vor der Haus­tür, wo ihn mei­ne El­tern ein paar Ta­ge zu­vor ab­ge­stellt hat­ten. Elf Mo­na­te hat­te ich seit der Trans­plan­ta­ti­on über­stan­den und das Herz ar­bei­te­te ein­wand­frei. Jetzt trau­te ich mich an den Ge­dan­ken her­an, wie­der da­mit durch die Ge­gend zu knat­tern.
Es war ein mil­der Ok­to­ber­tag und nicht weit von hier gab es ein Ca­fé mit ei­ner ge­müt­li­chen Ter­ras­se. Am Vor­mit­tag hiel­ten sich im Ca­fé »Stadt­blick« nur we­ni­ge Men­schen auf und ich fühl­te mich ei­ni­ger­ma­ßen si­cher, dass mir nicht tau­sen­de ge­fähr­li­cher Kei­me um die Oh­ren flo­gen.
Auf dem Frei­sitz schlürf­te ich mei­nen Kaf­fee und blät­ter­te in ei­nem Ma­ga­zin, als vor mir am Stra­ßen­rand ein Au­to stopp­te. Es war ein klei­nes, klapp­ri­ges Mo­dell, dun­kel­blau und ab­so­lut un­auf­fäl­lig. Wä­re da nicht die­ser aus­fül­len­de Auf­kle­ber auf der Heck­schei­be ge­we­sen, der mei­ne Auf­merk­sam­keit er­reg­te. Ich hat­te die­ses Bild vor Jah­ren schon ein­mal in ei­nem von Omas Bü­chern ge­se­hen. Ein Kreis von Sym­bo­len um­gab einen Zie­gen­bock im um­ge­kehr­ten Pen­ta­gramm. Das Zei­chen des Ba­pho­met, fiel es mir wie­der ein. Ich kann­te mich nicht ge­nau aus, aber ich wuss­te, es ge­hör­te zur schwa­r­zen Ma­gie.
Es war nichts Au­ßer­ge­wöhn­li­ches, dass die Men­schen ih­re An­sich­ten auf Au­tos spa­zie­ren­fuh­ren. Trotz­dem starr­te ich auf die­se Heck­schei­be, bis mei­ne Au­gen brann­ten. Das Flüs­tern in mei­nem Kopf bahn­te sich den Weg aus der Ver­drän­gung zu­rück in mein Be­wusst­sein.
Ein Jun­ge lief an der Hand sei­ner Mut­ter an mir vor­bei und ver­sperr­te mir den Blick auf das Bild. Plötz­lich quoll hei­ßer Zorn durch mei­ne Adern, mein Ge­sicht glüh­te und Übel­keit brei­te­te sich in mir aus. Ich er­trug die­sen An­blick ein­fach nicht, die­ses Händ­chen­hal­ten, die­se Mut­ter­lie­be. Ich hät­te mich über­ge­ben kön­nen.
Un­be­merkt schob ich mei­ne Ta­sche ein we­nig un­ter dem Tisch her­vor. Das Kind stol­per­te, fiel zu Bo­den und hielt sich heu­lend das auf­ge­schla­ge­ne Knie. Ich stier­te in mei­nen Kaf­fee, aber aus dem Au­gen­win­kel be­ob­ach­te­te ich die Si­tua­ti­on und, ja, ver­dammt, ich er­freu­te mich an ihr.
Ei­ne Am­sel ließ sich zu mei­nen Fü­ßen nie­der, glotz­te mich an und tschilp­te. Noch so ein ver­fluch­tes Vieh. Ich rühr­te mich nicht, bis der Vo­gel ganz nah an mei­nen Schuh hüpf­te. Dann trat ich zu. Mist. Ab­ge­se­hen von ein paar Fe­dern war sie dies­mal da­von­ge­kom­men.
Mei­ne Au­gen such­ten das Au­to mit dem Ba­pho­met auf der Heck­schei­be, woll­ten sich dar­an fest­sau­gen, satt­se­hen, auf­tan­ken. Doch es war ver­schwun­den. Mit die­ser Er­kennt­nis klär­te sich mein Kopf wie nach ei­ner Kopf­schmerz­ta­blet­te: Der Him­mel riss auf und die Son­ne ließ wie­der kla­re Ge­dan­ken zu. Mir däm­mer­te, was ge­ra­de mit mir ge­sche­hen war und mei­ne Ver­gnügt­heit ver­schwand.
Ich blick­te mich um und wun­der­te mich, dass ich kei­ne Auf­merk­sam­keit er­regt hat­te. Da­bei hät­te ich hun­der­te stra­fen­der Bli­cke ver­dient. Ich muss­te weg. Teu­fel auch, ich muss­te nach Hau­se und mich ein­schlie­ßen, be­vor Schlim­me­res pas­sier­te. Ich be­zahl­te, stieg auf mei­nen Mo­tor­rol­ler und braus­te los.
Der Fahrt­wind tat mir gut. Er weh­te für ei­ne kur­ze Wei­le die Ge­dan­ken fort, die sich in mir fest­set­zen woll­ten. Was ließ mich sol­che Din­ge füh­len? Was ließ mich sol­che Din­ge tun?
In al­ler Ei­le stell­te ich den Rol­ler ab und flüch­te­te in die schüt­zen­de Ob­hut mei­nes He­xen­häus­chens. Dort ver­brach­te ich den rest­li­chen Tag da­mit, über die Ge­scheh­nis­se nach­zu­grü­beln. Ziel­los lief ich im Haus um­her. Schließ­lich ging ich hin­auf und durch das Schlaf­zim­mer auf den Bal­kon. Da blieb ich und at­me­te die Stil­le des Nach­mit­ta­ges.
Vom Bal­kon aus sah ich di­rekt auf den Fried­hof auf der ge­gen­über­lie­gen­den Sei­te der klei­nen Stra­ße. Die­se lag ru­hig wie eh und je vor dem dich­ten Grün des Stadt­wal­des, der sich hin­ter der letz­ten Häu­ser­rei­he er­streck­te. Bis dort­hin brauch­te ich kei­ne fünf Mi­nu­ten zu Fuß. Man fiel ge­ra­de­zu hin­ein in das Meer aus Bär­lauch im Früh­ling, das di­cke, üp­pi­ge Blatt­werk im Som­mer und die Ber­ge an bun­tem Laub im Herbst.
Hier zu woh­nen gab mir das Ge­fühl, weit weg von der Stadt zu sein. Weg vom ra­sen­den Puls des Zen­trums mit sei­nem Grund­rau­schen aus Au­tos, Men­schen und Ta­tü­ta­ta. Weg von wech­seln­den Ge­rü­chen nach Brat­wurst, Pa­r­füm und Ta­bak. Hier duf­te­te es nach re­gen­nas­sem Gras und frisch­ge­brüh­tem Kaf­fee. Hier hör­te ich das Knacken mor­scher Äs­te. Und ab und zu ei­ne Fahr­rad­klin­gel.
Ich zog mein Han­dy aus der Ta­sche, schick­te ei­ne Nach­richt an Lot­ta und schal­te­te es aus. Ich war durch­ein­an­der, er­schöpft und gleich­zei­tig auf­ge­regt. Und ob­wohl ich nichts drin­gen­der woll­te, als Lot­ta an­zu­ru­fen, fühl­te ich mich nicht da­zu in der La­ge. Das wür­de bis mor­gen früh war­ten müs­sen.
Die Däm­me­rung setz­te ein. Mit ei­nem letz­ten, tie­fen Atem­zug lös­te ich mich von der Bal­kon­brüs­tung und schlepp­te mich nach un­ten ins Wohn­zim­mer. Ich wünsch­te mir ein­fach nur, mich auf dem So­fa von ein paar Film­chen be­rie­seln zu las­sen.
Doch be­reits wäh­rend des ers­ten Strei­fens fie­len mir die Au­gen zu und ich mach­te mich auf ins Bett.
Ich glitt in das Dun­kel ei­nes lee­ren Flurs, an des­sen En­de ein klei­ner, ma­ge­rer Jun­ge stand. In der lin­ken Hand hielt er ein Ka­nin­chen an den Oh­ren, des­sen Bauch auf­klaff­te. Die In­ne­rei­en fehl­ten. Mit der rech­ten Hand um­klam­mer­te er ein Ta­schen­mes­ser, von des­sen Klin­ge Blut tropf­te. Schließ­lich fand ich mich in ei­nem Pulk la­chen­der Kin­der, die mich um­ring­ten und be­dräng­ten.
Mein Be­wusst­sein tauch­te kurz­zei­tig an die Ober­flä­che und nahm das ge­dämpf­te Licht der Stra­ßen­la­ter­ne wahr, das durch die Vor­hän­ge drang. Dann über­mann­te mich der Schlaf er­neut.
Die In­iti­a­len »C.S.« fla­cker­ten vor mir auf, und un­auf­hör­lich jag­te ich durch Traum­se­quen­zen wie die ei­nes schlech­ten Hor­ror­films, bis ich mich ein wei­te­res Mal in die­sem Wald wie­der­fand. Die to­ten Bäu­me um mich her­um rag­ten end­los in den Him­mel. Ich dreh­te mich um mei­ne Ach­se, lief in ver­schie­de­ne Rich­tun­gen, doch es schien mir un­mög­lich, den Ort zu ver­las­sen. Angst raub­te mir je­de Luft zum At­men. Nur mein Keu­chen durch­brach die un­heim­li­che Stil­le, die mich um­gab. Ein Be­ben er­fass­te die Um­ge­bung, so­dass sie er­zit­ter­te wie ein ver­wa­ckel­tes Fern­seh­bild. Mein Atem stock­te: der Glatz­kopf. Mit ei­nem Grol­len schoss sei­ne dunk­le Ge­stalt vor mei­nen Fü­ßen in die Hö­he, bis sie mich um drei Köp­fe über­rag­te. Ich kann­te ihn. Selbst im Traum war mir be­wusst, dass wir uns schon ein­mal be­geg­net wa­ren. Wie­der streck­te er sei­nen Arm nach mir aus. Doch was hielt er mir da vor das Ge­sicht, so na­he, dass es mich fast be­rühr­te? Es sah aus wie … wie ei­ne Hand! Mit der ab­ge­hack­ten Hand ei­nes Men­schen, de­ren Mit­tel­fin­ger wie ei­ne Ker­ze brann­te, blen­de­te er mei­ne Au­gen und brüll­te: »Du bist mein! Du bist mein!«
Mein ei­ge­ner Schrei riss mich aus dem Schlaf. Ich fand mich auf­recht im Bett sit­zend, das Shirt nass ge­schwitzt. Das Herz häm­mer­te ge­gen mei­ne Brust. Ta­ges­licht schim­mer­te durch die Rit­zen der Fens­ter­vor­hän­ge, und ich dank­te den Göt­tern für das En­de die­ser Nacht mit ih­ren schreck­li­chen Vi­si­o­nen.
An die­sem Mor­gen dusch­te ich aus­gie­big. Ich schrubb­te mei­nen Kör­per, scheu­er­te und putz­te mich in der Hoff­nung, da­mit die Er­in­ne­run­gen an die ver­gan­ge­ne Nacht zu­sam­men mit dem Was­ser den Ab­fluss hin­un­ter­zu­spü­len. Aber es ha­lf nichts. Sie kleb­ten an mir, und es be­schlich mich das un­heim­li­che Ge­fühl, dass ich die­sen furcht­ein­flö­ßen­den Kahl­kopf nicht zum letz­ten Mal ge­se­hen hat­te.
Die Träu­me ver­folg­ten mich den gan­zen Mor­gen. An sämt­li­chen Wän­den sah ich Blut­sprit­zer. Ge­wohn­te Ge­räu­sche schreck­ten mich auf. Ich ver­mied jeg­li­chen Blick in den Spie­gel, aus Angst, dort die­sen Glatz­kopf zu ent­de­cken, der mir seit zwei Näch­ten den Schlaf raub­te. So­gar im wa­chen Zu­stand spür­te ich sei­ne al­les über­la­gern­de Wut. Die­ses zor­ni­ge Rau­schen, das un­ter­schwel­li­ge Grol­len, das je­den Au­gen­blick mit Don­ner­ge­tö­se aus­zu­bre­chen droh­te.
End­lich kam die Zeit für mein Ge­spräch mit Lot­ta. Wir hat­ten uns zum Früh­stück am Te­le­fon ver­ab­re­det. Ich trank einen Schluck frisch­ge­brüh­ten Kaf­fee, schwa­rz mit ex­tra viel Zu­cker. Et­was an­de­res brauch­te ich nicht, nach der Auf­re­gung be­kam ich so­wie­so kei­nen Bis­sen run­ter.
Das Han­dy klin­gel­te ei­ne Ewig­keit, bis Lot­ta schließ­lich ab­nahm.
»Na, du«, mur­mel­te sie ins Mi­kro­fon. Ich sah ih­ren Mund vor mei­nem in­ne­ren Au­ge, der genüss­lich ein Cro­is­sant kau­te.
»Hey«, sag­te ich. Mehr brach­te ich nicht her­vor.
»Mei­ne Gü­te, Pau­lie.« Ich hör­te ein Schlür­fen, und ih­re Wor­te klan­gen deut­li­cher. »Ist wie­der was pas­siert? Al­les in Ord­nung bei dir? Ich mei­ne … du weißt schon, mit dem Her­zen?«
»Ja, ja.« Dar­um ging es nicht. Oder doch? »Ich mei­ne, nein.«
Lot­tas Ton­fall be­kam ei­ne auf­ge­reg­te Fär­bung. »Wie­so? Was hat der Arzt ge­sagt?«
»Nicht so was«, wie­gel­te ich ab. Und dann platz­te es aus mir her­aus: »Oma war da­ge­gen, dass ich das Spen­der­herz in der Hal­lo­ween­nacht be­kom­men ha­be! Je­der weiß, dass in die­ser Nacht die Gren­ze zwi­schen un­se­rer und der Welt der To­ten durch­läs­sig ist. Es be­deu­tet Un­heil, wenn man zu die­ser Zeit mit ei­ner Trans­plan­ta­ti­on den Tod mit dem Le­ben ver­bin­det.«
Ich hör­te Lot­ta auf­at­men. »Al­so al­les in Ord­nung.«
»Wie kannst du das sa­gen?« Mei­ne Stim­me schraub­te sich ei­ne Ok­ta­ve hö­her. »Du hast ja kei­ne Ah­nung, was hier ab­ge­ht! Es pas­sie­ren merk­wür­di­ge Din­ge.«
Hal­lo­ween war für Groß­ma­ma im­mer ei­ne be­son­de­re Nacht ge­we­sen. So­bald ich dar­an dach­te, dass ich ge­nau in die­ser Nacht mein Herz mit dem ei­nes Ster­ben­den ge­tauscht hat­te, über­kam mich ein un­gu­tes Ge­fühl. Groß­ma­ma hat­te zeit­le­bens mei­ne In­tu­i­ti­on ge­för­dert, oder, wie sie es ge­nannt hat­te, mei­ne »Ga­be, die Welt auf fein­stoff­li­che Wei­se wahr­zu­neh­men«. Al­ler­dings im Ge­hei­men, denn mei­ne Mut­ter hat­te ihr ver­bo­ten, mich mit die­sem »eso­te­ri­schen Blöd­sinn« zu be­hel­li­gen.
»Pau­lie, Klei­ne. Ich weiß, du und dei­ne Groß­mut­ter wa­ren eng mit­ein­an­der. Aber ich glau­be, es ist bes­ser, wenn du jetzt mal auf dei­ne El­tern hörst. Das hilft dir be­stimmt mehr, mit der Si­tua­ti­on kla­r­zu­kom­men.«
»Viel­leicht hast du recht.« In mei­ner jet­zi­gen La­ge konn­te mir die ra­ti­o­na­le Er­zie­hung mei­ner El­tern wirk­lich hel­fen. Für sie war das neue Or­gan ein fri­scher Mo­tor; ein aus­tausch­ba­res Ge­rät, das man ein­fach an die Ka­bel an­schloss, an de­nen vor­her das ka­put­te ge­han­gen hat­te. Der Ge­dan­ke ent­spann­te mich, doch das mul­mi­ge Krib­beln in mei­nem Bauch woll­te nicht ver­schwin­den. »Lot­ta?«
»Hm?« Sie kau­te wie­der.
»Ich muss dir was er­zäh­len.« Ich be­rich­te­te ihr von den Am­seln, die mich zu ver­fol­gen schie­nen, und von mei­nem un­er­war­te­ten Im­puls, sie tö­ten zu wol­len. Ich schil­der­te ihr die Er­eig­nis­se im Ca­fé. Ich be­schrieb die schreck­li­chen Alb­träu­me, die mich durch die Näch­te jag­ten.
»Pau­lie …« Ich hör­te die Sor­ge in ih­rer Stim­me.
»Lot­ta!« Es muss­te aus mir her­aus, und mit ei­nem Mal form­ten sich all die auf­ge­stau­ten Ge­dan­ken zu ei­nem Fluss, der nicht ver­sie­gen woll­te. »Weißt du noch, die Ab­sto­ßungs­re­ak­ti­on ganz am An­fang?«
»Klar.«
»Ich hab ge­le­sen, dass bei ei­ner Or­ga­n­ab­sto­ßung nicht nur die Zel­len selbst ab­ge­sto­ßen wer­den, son­dern auch die Ener­gi­en, die dar­in ge­spei­chert sind. Was, wenn das Herz ne­ga­ti­ve Schwin­gun­gen in sich trägt, ge­gen die ich mich ge­wehrt ha­be?« Ein neu­er Ge­dan­ke koch­te in mir em­por und er­goss sich wie hei­ße La­va über mei­ne Haut. »Ver­dammt, Lot­ta, was ist, wenn der Spen­der nicht ganz dicht war? Und wenn sich die Spen­der­see­le nun nicht vom Or­gan tren­nen kann? Dann steckt ein Stück von dem Wahn­sin­ni­gen in mir drin!«
Kaum hat­te ich die­se Idee aus­ge­spro­chen, krampf­te sich mein Bauch re­gel­recht zu­sam­men, als woll­te er mir sa­gen, dass ich einen Voll­tref­fer ge­lan­det hat­te. Pa­nik brei­te­te sich in mir aus.
»Das ist doch al­bern.« Ich spür­te förm­lich Lot­tas be­ru­hi­gen­de Fin­ger, die an mei­nen Haar­spit­zen zupf­ten, wäh­rend ihr Blick ver­träumt ins Lee­re lief. »Es gibt kei­ne über­trag­ba­ren Ener­gi­en, kein Kar­ma oder wie im­mer man das nen­nen mag.«
»Aber was ist, wenn der Emp­fän­ger wirk­lich Tei­le von der Per­sön­lich­keit des Spen­ders über­nimmt und sich da­durch zwangs­läu­fig ver­än­dert?« Vor Auf­re­gung blieb mir die Luft weg. »Lot­ta, das im Ca­fé, das war ich nicht. So ken­ne ich mich nicht und du hät­test mich auch nicht wie­der­er­kannt.« Mei­ne Stim­me vi­brier­te und mich be­schlich ein be­klem­men­des Ge­fühl, als Lot­ta nicht gleich ant­wor­te­te. »Lot­ta?«
»Pau­lie, hör zu. Dein Herz ist ein Or­gan. Es ist ein Mus­kel, dem es egal ist, durch wel­chen Or­ga­nis­mus er das Blut pumpt. Sag dir das im­mer wie­der. Das wird dir hel­fen, be­stimmt.«
»Hm.« Ich hol­te hör­bar Luft. Einen Ver­such war es wert. In die­sem Mo­ment dank­te ich mei­nen El­tern für ih­re be­harr­lich na­tur­wis­sen­schaft­li­che Er­zie­hung. Sie press­te, drück­te und quetsch­te mei­ne Ein­drü­cke in ei­ne lo­gi­sche, wis­sen­schaft­lich er­klär­ba­re Form. Das ha­lf mir jetzt, mich nicht voll­ends in den Ängs­ten zu ver­lie­ren, die mein neu­es Herz mit sich brach­te.
»Und lenk dich ab, so gut es geht. Ich komm dich bald be­su­chen. Ver­spro­chen.«
»Okay.« Ich fühl­te mich bes­ser. Die in­ne­re Auf­re­gung ebb­te ab, mei­ne Mus­keln ent­krampf­ten sich und das Zit­tern in mei­ner Stim­me ver­schwand.
Wir te­le­fo­nier­ten noch bis zur Mit­tags­zeit. Lot­ta schwärm­te von den Schuh­lä­den in Pa­ris. An die­ser Stel­le soll­te ich wohl er­wäh­nen, dass mei­ne bes­te Freun­din an ei­ner aus­ge­reif­ten Sam­mel­lei­den­schaft für Schu­he litt.
»Bin ich froh, dass ich mich für die Woh­nung mit dem be­geh­ba­ren Klei­der­schrank ent­schie­den ha­be«, seufz­te sie se­lig in den Hö­rer, »da ist ge­nug Platz.«
Ich hör­te ein Pus­ten durch das Te­le­fon. »Rauchst du?«
»Hm …«
»Ich dach­te, du woll­test auf­hö­ren.«
»Woll­te ich?« Ein Ki­chern folg­te.
»Zu­min­dest hast du das mehr­fach an­ge­kün­digt.« Die Spit­ze konn­te ich mir nicht ver­knei­fen.
»Kann sein.« Lot­tas Stim­me klang nicht son­der­lich reu­mü­tig.
Ich er­hielt noch ein paar Ein­bli­cke in Lot­tas Pa­ri­ser Le­ben, bis sie mit der ei­gent­li­chen Neu­ig­keit her­aus­rück­te. Sie hat­te ein Date. Das war im Grun­de kei­ne be­son­de­re Sa­che, Lot­ta hat­te an­dau­ernd Dates. Und sie griff bei der Wahl ih­rer Män­ner gern da­ne­ben.
»Was ist es denn dies­mal für ei­ner?«, woll­te ich wis­sen.
»Oh, Pau­lie.« Vor Be­geis­te­rung sang Lot­ta bei­na­he ins Mi­kro. »Stell dir vor, er stu­diert Me­di­zin. Wird bald Chir­urg. Er hat Ni­veau. Und er sieht um­wer­fend aus, sag ich dir. Die­ses Mal hab ich wirk­lich ein gu­tes Ge­fühl.«
Ich roll­te mit den Au­gen.
»Pau­lie!«, hör­te ich Lot­tas vor­wurfs­vol­le Stim­me. »Ich kann förm­lich hö­ren, wie du mit den Au­gen rollst.«
»Sor­ry«, sag­te ich. »Aber schraub dei­ne Er­war­tun­gen ein Stück run­ter, okay?«
»Ja, ja.«
Ich ver­kniff mir wei­te­re Kom­men­ta­re. In Lie­bes­din­gen war Lot­ta ein­fach nicht zu hel­fen. Da muss­te sie al­lein durch. Und was soll­te ich schon da­zu sa­gen? Ich war schließ­lich selbst nicht bes­ser dran.
Wir lie­ßen das The­ma sein und un­ter­hiel­ten uns noch ei­ne Wei­le über Be­lan­g­lo­sig­kei­ten wie Fil­me, Bü­cher, Kla­mot­ten. Lot­ta frag­te, ob ich nach wie vor mei­ne ge­lieb­ten Boots und den Nie­ten­gür­tel trug, der um mei­ne Hüf­ten hing wie ein Re­vol­ver­gurt oh­ne Ha­lf­ter. Das tat ich, denn die­se Sa­chen ga­ben mir ei­ne Ver­traut­heit, die ich mit dem frem­den Her­zen hin­ter mei­nen Rip­pen jetzt drin­gend brauch­te.
Als ich das war­me Han­dy schließ­lich ab­leg­te, fühl­te ich mich wie ein stin­knor­ma­ler Mensch. Es hat­te gut­ge­tan, für ei­ne kur­ze Zeit die Pro­ble­me zu ver­ges­sen, die mich von al­len Sei­ten be­drück­ten und be­dräng­ten. Lot­ta be­trach­te­te die Din­ge auf ih­re ei­ge­ne, le­bens­fro­he und manch­mal fast ober­fläch­li­che Art. Da­mit hat­te sie mich schon ein ums an­de­re Mal ge­ret­tet, wenn ich mich in mei­nen Ge­dan­ken ver­rann­te. Sie ha­lf mir zu­rück auf die Son­nen­sei­te des Le­bens. Da­zu, mich nor­mal zu füh­len und nicht durch­zu­dre­hen. Da­für gab ich ihr bis­wei­len Ge­le­gen­heit zu Grü­be­lei­en, denn dar­in war ich un­schlag­bar.
Ich ver­gaß vor­über­ge­hend die Schre­cken der ver­gan­ge­nen Nacht. Die Er­eig­nis­se der letz­ten Ta­ge la­gen in die­sem Mo­ment so weit ent­fernt, als wä­ren sie nie ge­sche­hen. Auf­ge­la­den mit po­si­ti­ver Ener­gie setz­te ich mich an den PC, surf­te im In­ter­net und schrieb ein paar neue Film­re­zen­si­o­nen für mei­nen Blog.
Die Son­ne war be­reits ver­schwun­den und die Stra­ßen­la­ter­nen be­leuch­te­ten die dunk­le Stra­ße. Ich schal­te­te den Com­pu­ter aus, dreh­te mich auf dem Stuhl ein­mal im Kreis und streck­te mei­ne Ar­me, so­weit ich konn­te. Ich fühl­te mich gut. Das Ge­spräch mit Lot­ta hat­te mich ge­ra­de­ge­rückt und ich er­leb­te mich wie einen ge­wöhn­li­chen Men­schen nach den Som­mer­fe­ri­en.
Ich ging ins Schlaf­zim­mer und be­trat den Bal­kon. Die Nacht roch frisch, jung und un­ver­braucht. Gril­len zirp­ten im Schutz der Dun­kel­heit. Die La­ter­nen wa­r­fen ein schwa­ches Licht in den Gar­ten, der sich wie ein schüt­zen­der Man­tel um das Häus­chen leg­te. Er um­rahm­te es mit sei­ner dich­ten, fast manns­ho­hen He­cke, die nur von dem Kirsch­baum über­ragt wur­de, des­sen Zwei­ge sich bei­na­he bis zur Bal­kon­brüs­tung streck­ten.
Ich ver­such­te, in das nächt­li­che Schwa­rz hin­ter der Fried­hofs­mau­er zu bli­cken, dem ich mich auf selt­sa­me Wei­se ver­bun­den fühl­te. Der Fried­hof war der äl­tes­te in der Stadt, ei­ne his­to­ri­sche Be­gräb­niss­tät­te un­ter Denk­mal­schutz. Ein­mal war ich kurz dort ge­we­sen. Er war wun­der­schön, be­saß groß­zü­gig an­ge­leg­te Ra­sen­flä­chen und um­fang­rei­che Baum­be­stän­de.
Sehn­sucht keim­te in mir auf, Sehn­sucht nach den Ge­heim­nis­sen zwi­schen Him­mel und Er­de, die ir­gend­wo auf dem Weg zum Er­wach­sen­sein ab­han­den­ge­kom­men wa­ren. Ich sehn­te mich zu­rück nach dem Zau­ber aus der Zeit mit mei­ner Groß­mut­ter, der al­le noch so klei­nen Din­ge mit ei­ner ge­heim­nis­vol­len Be­deu­tung ver­se­hen hat­te. In mei­ner Er­in­ne­rung glich er ei­nem ma­gi­schen Fens­ter, durch das man die Welt an­ders wahr­nahm: rät­sel­haf­ter, mär­chen­haf­ter, le­ben­di­ger. Ich such­te den Glau­ben, der mir die Si­cher­heit gab, auf mei­ne ei­ge­ne, in­ne­re Kraft zu ver­trau­en. Denn die wür­de ich bald brau­chen, das spür­te ich deut­lich mit je­der Fa­ser mei­nes Kör­pers, die nicht aus dem frem­den Her­zen stamm­te.
Der Fried­hof sprach zu mir, er er­wi­der­te mei­ne wort­lo­se Be­grü­ßung und lud mich zu sich ein. Ich be­schloss, sein An­ge­bot an­zu­neh­men und am nächs­ten Tag auf ei­nem Streif­zug mei­ne Samm­lung an Gra­b­in­schrif­ten zu ver­grö­ßern.
Ka­pi­tel 3
Schat­ten­spie­le
Die Nacht war traum­los ver­lau­fen. Zu­min­dest er­in­ner­te ich mich an nichts, und das war ein gu­tes Zei­chen, wie ich fand. Träu­me, die sich nicht in mein Be­wusst­sein ein­brann­ten, wa­ren be­lan­g­los und spiel­ten kei­ne Rol­le. Mein Shirt war zwar an man­chen Stel­len nass ge­schwitzt, aber das küm­mer­te mich nicht. Von den zahl­lo­sen Me­di­ka­men­ten, die ich nahm, hat­ten eben ei­ni­ge ih­re Ne­ben­wir­kun­gen.
Ich sah aus dem Fens­ter und schob mir den Rest des Mar­me­la­den­bröt­chens in den Mund. Die Glä­ser mit Omas Brom­beer­mar­me­la­de hat­te ich in ei­nem der Kü­chen­re­ga­le ge­fun­den. Ein wah­rer Schatz, et­was Köst­li­che­res konn­te man zum Früh­stück ein­fach nicht es­sen. Da­zu schlürf­te ich ei­ne Tas­se mit hei­ßem, schwa­r­zem Kaf­fee. Schon lan­ge hat­te ich mich nicht mehr so aus­ge­schla­fen und er­holt ge­fühlt wie heu­te. Das war der bes­te Start in den Mor­gen seit ei­ner Ewig­keit.
Di­cke, graue Wol­ken hin­gen tief am Him­mel und nur ver­ein­zelt ver­irr­te sich ein Son­nen­strahl hin­ab zum Bo­den. Aber es reg­ne­te nicht, und da­mit war es der per­fek­te Tag für einen Streif­zug. In die­sen frü­hen Sonn­tag­mor­gen­stun­den la­gen die meis­ten Men­schen noch in den Bet­ten. Die Son­ne hat­te sich ge­ra­de erst über den Ho­ri­zont ge­scho­ben und die Mor­gen­däm­me­rung ver­trie­ben. Um die­se Ta­ges­zeit wür­de ich auf dem Fried­hof mit den To­ten al­lein sein. Ge­nau die­se Ein­sam­keit galt es zu nut­zen, al­so ver­lor ich kei­ne Zeit.
Hy­gi­e­ne­tü­cher und Mund­schutz steck­ten griff­be­reit in der Ta­sche mei­ner ab­ge­wetz­ten, aber schön war­men Le­der­ja­cke. Ich griff mir Han­dy, Blei­stift und No­tiz­block und zog die Boots an. Mei­ne Lau­ne war bes­tens.
Die Tür fiel hin­ter mir ins Schloss, und ich ver­stau­te den Schlüs­sel in mei­ner Jack­en­ta­sche. Mei­ne Hän­de pack­te ich gleich da­zu. Die Käl­te des Mor­gens biss mir in die Fin­ger­spit­zen, und ich hat­te nicht die ge­rings­te Ah­nung, in wel­chen Um­zugs­kar­ton ich mei­ne Hand­schu­he ge­packt hat­te. Ob­wohl die Ta­ge den Herbst fest­hiel­ten, spür­te man nachts be­reits den kom­men­den Win­ter. Die küh­le Mor­gen­luft form­te klei­ne, wei­ße Wölk­chen aus mei­nem Atem.
Im Ge­hen pfiff ich »Pet Se­ma­ta­ry« von den Ra­mo­nes, das sich pas­send zum Vor­ha­ben in mei­nem Kopf fest­ge­setzt hat­te. Ich schlen­der­te den Fuß­weg ent­lang am Nach­ba­r­haus vor­bei und bog dann links um die Ecke. Von dort ging ich wei­ter ge­ra­deaus, bis ich zu der brei­ten, kaum be­fah­re­nen Stra­ße kam. Auf der an­de­ren Stra­ßen­sei­te ver­lief die Fried­hofs­mau­er. Das Ein­gang­s­tor lag schräg ge­gen­über. Bis zur re­gu­lä­ren Öff­nungs­zeit war es noch ein biss­chen hin, aber ich hoff­te, das Tor trotz­dem of­fen zu fin­den.
Ich hat­te Glück: Der ei­ser­ne, manns­ho­he Tor­bo­gen hing lo­se im Schloss. Sei­nem Zu­stand nach zu ur­tei­len, hat­te sich seit ei­ner Ewig­keit nie­mand wei­ter dar­um ge­küm­mert. Das war auch nicht zwin­gend not­wen­dig, schließ­lich han­del­te es sich in ge­wis­ser Wei­se um ein mor­bi­des Frei­luft­mu­se­um. Hier wur­den schon lan­ge kei­ne Lei­chen mehr ver­scharrt. Ich grins­te. Je­den­falls nicht of­fi­zi­ell.
Ei­ne di­cke Rost­schicht über­zog das Ein­gang­s­tor. Sie schäl­te sich grob und rau vom Ei­sen, so­dass man sich leicht dar­an ver­let­zen konn­te. An ein paar Gum­mi­hand­schu­he hat­te ich na­tür­lich nicht ge­dacht. Ich gab mir al­le Mü­he, die Pfor­te mit so we­nig Fin­gern wie mög­lich auf­zu­stem­men.
Das Tor quietsch­te ent­setz­lich, als ich es auf­schob, und noch ent­setz­li­cher, als ich es hin­ter mir wie­der zu­drück­te. Mit ei­nem krat­zen­den, me­tal­li­schen Ge­räusch prall­te das Schloss auf sein Ge­gen­stück.
Die­ser Krach muss­te sämt­li­che Vö­gel auf­ge­schreckt ha­ben, die sich rund­her­um in den Grün­an­la­gen ver­bor­gen hat­ten. Bei­na­he gleich­zei­tig er­ho­ben sich Scha­ren von Krä­hen beid­sei­tig des Haupt­we­ges in die Luft und ver­dun­kel­ten den Him­mel über mir. Mit lau­tem Kräch­zen zo­gen sie ir­ri­tiert ih­re Krei­se. Es dau­er­te ei­ne Wei­le, bis sie sich mit auf­ge­reg­tem Ge­schrei zu ei­nem Schwarm sor­tier­ten und weg­flo­gen, als flüch­te­ten sie vor ei­nem grau­si­gen, un­sicht­ba­ren Schat­ten.
Längst hat­te ich mein Pfei­fen un­ter­bro­chen. Da war es er­neut, je­nes Flüs­tern, das sich wie ein un­heil­brin­gen­des Ge­wit­ter den Weg zur Ober­flä­che mei­ner Wahr­neh­mung bahn­te. Hei­ße, un­kon­trol­lier­ba­re Wut er­goss sich in mein Blut. Trotz des bro­deln­den Zorns in mir such­te ich in ei­si­ger Ru­he nach pas­sen­den Stei­nen am Weges­rand, um da­mit auch den letz­ten ver­damm­ten Vie­chern am Him­mel den Garaus zu ma­chen. Doch noch be­vor ich den ers­ten Stein wer­fen konn­te, wa­ren al­le Vö­gel ver­schwun­den. Das Grol­len in mir ließ au­gen­blick­lich nach, und ich schaff­te es, die plötz­lich ein­set­zen­de Stil­le des Or­tes auf­zu­neh­men. Mei­ne Wan­gen kühl­ten sich ab, mei­ne Mus­keln ent­spann­ten sich und ich fühl­te mich wie­der wie ich selbst.
Die­se Aus­brü­che ver­un­si­cher­ten mich. Was zur Höl­le war es, das mich der­art aus der Fas­sung brach­te? Klar, ich hat­te wäh­rend der letz­ten Mo­na­te ei­ni­ges mit­ge­macht. Aber mach­te mich das gleich zur Psy­cho­pa­thin? Viel­leicht soll­test du dich zu ei­nem The­ra­peu­ten auf die Couch le­gen.
Doch jetzt war ich hier, und von die­sem Er­leb­nis wür­de ich mir nicht den Tag ver­sau­en las­sen. Ich ver­such­te, mei­ne gu­te Lau­ne wie­der­her­zu­stel­len, nach Pfei­fen war mir je­doch nicht mehr zu­mu­te. Stumm folg­te ich dem Haupt­weg zum hin­te­ren Teil des Fried­hofs, den ich mir heu­te ge­nau­er an­se­hen woll­te.
Dies war erst mein zwei­ter Aus­flug auf die­sem Ge­län­de. Trotz­dem hat­te ich den Ein­druck, dass der Fried­hof mich er­kann­te und mich mit sei­ner ei­ge­nen Mi­schung aus Stil­le und Blät­ter­rau­schen be­grüß­te. Zahl­rei­che Bäu­me sä­um­ten die Geh­we­ge und ver­lie­hen so­wohl ih­nen als auch den Ra­sen­flä­chen einen wald­ähn­li­chen Cha­rak­ter.
---ENDE DER LESEPROBE---