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Dieser Band enthält folgende Krimis: Alfred Bekker: Kommissar Jörgensen und der Fall Mika Harmsen Peter Haberl / Chris Heller: Kommissar Jörgensen und der Spezialauftrag Peter Haberl / Chris Heller: Kommissar Jörgensen und der Moment des Killers Voller Stolz sieht der Pate von St. Pauli, Carlo Bernadoni, zu seiner Tochter, die gerade den Mann heiratet, den er für sie gewählt hat. Doch plötzlich bricht er neben seiner Frau tödlich getroffen zusammen. Die Hamburger Kriminalkommissare Jörgensen und Müller werden beauftragt, den Mörder des Paten dingfest zu machen. Während sie ermitteln, wird der Nachfolger des Paten ermordet, wenig später auch Bernadonis Bruder. Als ein Mann aus der Vergangenheit der Bernadoni-Brüder auftaucht und den Abgleich alter Schulden verlangt, glauben die Kommissare den Mörder gefunden zu haben. Aber ist der wirklich der Drahtzieher der Morde?
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Seitenzahl: 484
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Hamburg Thriller Dreierband 1005
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Kommissar Jörgensen und der Fall Mika Harmsen
Kommissar Jörgensen und der Spezialauftrag
Kommissar Jörgensen und der Moment des Killers
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Alfred Bekker: Kommissar Jörgensen und der Fall Mika Harmsen
Peter Haberl / Chris Heller: Kommissar Jörgensen und der Spezialauftrag
Peter Haberl / Chris Heller: Kommissar Jörgensen und der Moment des Killers
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Alles rund um Belletristik!
von ALFRED BEKKER
Das Neonlicht flackerte über den nassen Straßen von St. Pauli, wo das Echo der letzten Regentropfen auf den Kopfsteinpflaster widerhallte. Der Geruch von Meer vermischte sich mit dem Duft von gebratenen Würstchen und altem Alkohol, eine Mischung, die typisch für das Hamburger Viertel war. Der Kiez hatte seinen eigenen Rhythmus, seinen eigenen Herzschlag, der von Nacht zu Nacht zu pochen schien.
Am Eingang der Reeperbahn saß Gustav „Gussy“ Müller, ein ehemaliger Boxer, der nun als Türsteher vor dem „Golden Lion“ arbeitete. Seine breite Gestalt und das markante Narbengesicht waren genug, um jeden verhinderten Raufbold zweimal überlegen zu lassen, bevor er Ärger machte. Aber Gussy war nicht nur ein Muskelpaket; er war ein Mann, der viel sah und hörte.
„Hey Gussy, alter Knabe!“, rief eine wohlbekannte Stimme. Es war Ralf „Ratte“ Brunner, ein kleines Licht im großen Netzwerk der Taschendiebe, die über den Kiez wimmelten. Ratte war flink und geschickt mit seinen Fingern, aber auch mit seinen Worten. „Irgendwas Neues?“
„Nichts, was dich interessieren könnte, Ratte,“ knurrte Gussy und schob seine Sonnenbrille nach oben, obwohl die Sonne schon lange untergegangen war. „Halt dich raus aus Ärger, wenn du schlau bist.“
Ratte zuckte mit den Schultern und verschwand in den Schatten, um seine Geschäfte zu erledigen. Er wusste genau, wo er die touristischen Opfer finden konnte, die besoffen genug waren, um ihre Wertsachen nicht zu bemerken.
Nicht weit entfernt, in einer schmuddeligen Bar namens „Blue Velvet“, lehnte sich Maddie an den Tresen. Sie war eine Barfrau, die am besten wusste, wie man mit harter Hand und noch härterem Humor umging. Heute Nacht schien jedoch alles ruhig zu sein - bis sich die Tür öffnete und ein verhärteter Zuhälter namens Toni „der Tiger“ Riehl hereintrat. Sein Spitzname mochte kindisch erscheinen, aber Toni war alles andere als das. Er beherrschte seine Branche mit eiserner Faust und einem Kalkül, das selbst die hartgesottensten Leute auf dem Kiez zitternd ließ.
„Maddie, Schätzchen, mach mir einen Bourbon“, verlangte er und zündete sich eine Zigarette an. Maddie schenkte ihm ein sardistisches Lächeln und servierte ihm den Drink. Sie wusste, dass es besser war, keine dummen Fragen zu stellen. Toni kam nicht für den Smalltalk.
Im hinteren Teil der Bar saßen zwei Gestalten in einem düsteren Eck, die alles andere als unauffällig waren. Es waren die Brüder Cem und Murat, Mitglieder einer berüchtigten Gang, die in den dunklen Ecken des Viertels mit Drogen handelte. Ihr Geschäft lief gut, und sie hatten keinerlei Absicht, dieses goldene Pflaster aufzugeben.
Während die Nacht voran schritt, traf sich im „Coyote Club“ Sandra. Sie war eine Stripperin mit einer Vorliebe für gefährliche Männer, besaß jedoch ein Herz aus Gold. Ihre Freundin und Mitbewohnerin, Lisa, erzählte oft, dass Sandra aus einer anderen Welt stammte - eine, in der die Dunkelheit nicht alles verschluckte. Heute Nacht stand sie auf der Bühne, ihre Bewegungen elegant und zugleich sinnlich, in dem Bestreben, das Beste aus ihrem Leben zu machen.
Außerhalb des Clubs, auf einer Seitenstraße, saß Kurt, ein Obdachloser, der die Welt aus einer anderen Perspektive sah. Seine Augen waren verschleiert, aber sein Geist war hellwach. Jede Bewegung, jedes Flüstern in den Gassen nahm er wahr. Kurt war wie ein Schatten, immer präsent, aber selten beachtet. Manchmal konnte man ihm Informationen abkaufen, wenn man wusste wie.
Hamburg bei Nacht hatte viele Gesichter, viele Geschichten. Es war ein Mosaik aus Lichtern und Schatten, ein Kaleidoskop von Leben - jede Facette eine neue Welt für sich. Doch in diesen Schatten verbargen sich Geheimnisse, die früher oder später ans Licht kommen würden. Und wenn dies geschah, würden diejenigen, die heute Nacht durch die Straßen streiften, in das größere Bild einer Geschichte gezogen werden, die niemand erwartet hätte.
Die Morgendämmerung machte sich langsam über dem Hafen breit, als die durchzechte Namenlosigkeit der Nacht allmählich den Farben des herannahenden Tages wich. In einem verlassenen Teil des Hafens, fernab vom vibrierenden Trubel der Reeperbahn, richtete Mika seinen Wellenkamm auf das weite, silbrige Meer. Mika war ein Drogendealer von der harten Sorte - intelligent, skrupellos und unglaublich einsam. Er wusste, dass sein Geschäft auf der Kippe stand. Neue Rivalen tauchten auf, und das ungleiche Verhältnis zu den Clans machte ihm das Leben schwerer, als es bereits war.
Gegenüber, auf den abblätternden Stufen eines Hauses, saß Elvira, eine Prostituierte mit einer Vergangenheit, die vielleicht sogar tragischer war als die anderer Frauen, die durchs Viertel hasteten. Ihr Blick ruhte auf ihrem kleinen Sohn, der schlafend auf ihrem Schoß lag. Elvira träumte oft von einem besseren Leben für ihn, fernab von den Straßen von Hamburg. Ihre Nächte waren von anonymen Begegnungen und verlorenen Träumen geprägt, die in der Dunkelheit verschwanden.
„Elvira,“ flüsterte eine vertraute Stimme. Es war Petra, eine ältere Dame, die inzwischen den Spitznamen „Mutti“ trug. Sie war eine Art Schutzengel für viele Mädchen auf dem Kiez - eine Retterin in verzweifelten Momenten, wenn die Schatten zu überwältigend wurden und die Hoffnung schwand.
„Mutti,“ sagte Elvira schwerfällig und versuchte ein Lächeln. „Ich kann die Augen kaum noch offen halten.“
„Geh ins Bett, meine Liebe. Ich passe auf deinen Kleinen auf.“
Gleichzeitig, weiter in der Stadt, aber nicht weniger düster, bereitete sich der Besitzer der „Red Phoenix Bar“, Lars „Schlange“ Jensen, auf den neuen Tag vor. Sein Bart war buschig, die Augenbrauen grimmig, und seine Statur erinnerte an einen Bär, der gerade aus dem Winterschlaf erwacht ist.
„Kaffee, stark und schwarz“, rief er zurück in die Küche, wo seine Freundin, die ehemalige Rockergattin Nina, bereits in der morgendlichen Hektik versunken war. Nina hatte eine Vergangenheit, über die sie nur selten sprach, doch ihre Narben erzählten Geschichten von Freiheit und Betrug.
„Jensen, du brauchst dringend eine Pause“, sagte Nina, als sie ihm den dampfenden Becher reichte.
„Pause? In diesem Geschäft gibt es keine Pausen,“ murmelte er, während er einen tiefen Schluck nahm.
Der Samstagmorgen war auch für eine andere Gruppe Menschen üblicherweise etwas Besonderes. Sie versammelten sich in einem abgelegenen Bunker unterhalb des Hafens. Es waren die „Nordlichter“, eine berüchtigte Motorradgang, deren Einfluss weit über die Grenzen Hamburgs hinausging. Dieter „Der Krake“ war ihr Anführer, ein Mann, dessen Vergangenheit in dichten Nebeln vergangener Gewalt und Machtkämpfe lag. Seine Augen glitzerten kalt, doch hinter dieser Fassade verbarg sich ein strategisches Genie, ein Drahtzieher in einem Netz aus Intrigen und Loyalitäten.
„Wir müssen aufmerksam bleiben,“ sagte Dieter, als er sich über die Karte von Hamburg beugte. „Es gibt Gerüchte, dass jemand neuer im Revier ist.“
„Meinst du, es hat etwas mit den Typen von St. Pauli zu tun?“ fragte einer seiner engsten Vertrauten.
Dieter, der Krake, zuckte mit den Schultern. „Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Aber eins ist sicher: Niemand spielt hier ohne unser Wissen.“
Zur gleichen Zeit, auf den Straßen, wo die ersten Sonnenstrahlen durch die Mauern brachen, war Jakob unterwegs. Ein ehemaliger Anwalt, der seinen Job und fast sein Leben verloren hatte, als er dem Alkohol verfallen war. Heute kämpfte er sich als Straßenmusiker und der Schutzengel jener durch, die ebenfalls am Abgrund standen. Sein Saxophon war durch jahrelange Benutzung abgegriffen, aber seine Melodien hatten die Macht, selbst die verbittertsten Seelen zu erweichen.
Als die Stadt nun vollständig erwachte, verbreitete sich ein Summen von Geheimnissen, gestohlenen Blicken und unausgesprochenen Vereinbarungen. Die Menschen, die sich durch diese dunklen Gassen und überfüllten Straßen bewegten, waren wie Schauspieler in einem düster-schönen Schauspiel, in dem jedes Wesen eine Rolle spielte. Hamburg war eine Stadt der Kontraste - von Schönheit und Verfall, Hoffnung und Verzweiflung, Liebe und Verlust.
Doch eines war sicher: In den Schatten dieser Stadt verbargen sich Geschichten, die nur darauf warteten, ans Licht gezerrt zu werden - und wenn dies geschah, würden die Figuren, die sich bis dahin nur als Statisten glaubten, zu den Hauptdarstellern eines Dramas, das die Stadt für immer verändern sollte.
Mika, mit vollem Namen Mikael Harmsen, war nicht immer ein Mann der Schatten und des Lichts des Hamburger Hafens. Er stammte aus einer ruhigen Vorstadt, wo das Größte, was man riskierte, ein verpasster Schulbus war. Seine Eltern waren bescheidene Leute, die von harter Arbeit lebten - sein Vater ein Zimmermann und seine Mutter eine Krankenschwester. Mika wuchs mit der Vorstellung auf, eine ähnliche, unauffällige und ehrbare Existenz zu führen.
Doch das Schicksal hatte andere Pläne. Mit sechzehn Jahren verlor er seine Eltern bei einem Autounfall, ein Ereignis, das sein Leben von Grund auf veränderte. Plötzlich musste er sich alleine zurechtfinden. Seine Ersparnisse reichten nicht weit, und als er selbst in Schwierigkeiten geriet, ließ er sich auf krumme Geschäfte ein, nur um über die Runden zu kommen. Zuerst waren es nur kleine Botengänge für zwielichtige Gestalten in seinem Viertel, doch schon bald stieg er in die Ränge der Unterwelt auf.
In den spärlich möblierten Zimmern, die er sich leisten konnte, lernte er schnell, dass Vertrauen eine Ware war, die man sich nicht leisten konnte. Die Nacht wurde sein Zuhause, die Dunkelheit seine Vertraute. Er machte sich einen Namen als cleverer Dealer, der die besten Waren besorgen konnte und sich nicht davor scheute, sich die Hände schmutzig zu machen. Es war ein Leben voller Gefahr, doch das Adrenalin und die schnellen Gewinne hatten etwas Verführerisches an sich.
Eines Nachts, im Halbdunkel einer heruntergekommenen Bar, traf er auf Nina - damals noch „die Uhrmacherin“ genannt, weil sie jedes Detail ihres kriminellen Netzwerks im Blick hatte. Nina erkannte Mikas Potenzial und nahm ihn unter ihre Fittiche. Sie lehrte ihn die Feinheiten des Geschäfts: wann man hart durchgreifen, wann man nachgiebig sein musste, und vor allem, wie man seine Feinde in Schach hielt, ohne je selbst zum Opfer zu werden.
„In diesem Geschäft bedeutet Mitleid Schwäche“, sagte sie ihm eines Abends, während sie in der „Red Phoenix Bar“ saßen. Ihre Finger spielten gedankenverloren mit ihrem Glas Whisky. „Du musst immer einen Schritt voraus sein, immer bereit, zuzuschlagen.“
Mika saugte jedes Wort auf, machte sich ihre Lektionen zu eigen und schärfte seine Fähigkeiten. Doch trotz seines Erfolgs war da immer ein Hauch von Bitterkeit. Irgendwo tief in ihm gab es noch den Traum von einem anderen Leben, einem besseren Ort, fernab von Gewalt und Unsicherheit.
Ein besonders prägendes Erlebnis war der Verlust seines besten Freundes, Jan, der in einer verpfuschten Drogenübergabe erschossen wurde. Mika hatte Jan seit seiner Jugendzeit gekannt; sie waren zusammen auf den Straßen groß geworden, hatten die gleichen Hoffnungen und Ängste geteilt. Jans Verlust war ein schwerer Schlag, der ihm brutale Klarheit verschaffte über die Realität seines Lebens.
Trotzdem - oder gerade deswegen - entschied er sich, noch tiefer in das kriminelle Netzwerk Hamburgs einzutauchen. Es war die einzige Welt, die er kannte, und in dieser Welt war Macht das einzige Mittel, um zu überleben und Kontrolle zu behalten. Mika nahm den Mantel der Unsichtbarkeit an, wurde gewissenhafter und strategischer, und baute sich ein Netz aus Informanten und loyale Anhängerschaft auf.
Doch in den stillen Stunden der Nacht, wenn Mika allein war und das Flüstern der Wellen gegen den Kai prallte, stellte er sich manchmal vor, was hätte sein können. Ein anderes Leben, irgendwo außerhalb der dunklen, unbarmherzigen Gassen von St. Pauli. Eines, in dem er nicht ständig über die Schulter blicken müsste. Ein Leben, das ihm und seinen Eltern vielleicht gefallen hätte.
Und so war Mika gefangen. Ein Mann, der zu weit gegangen war, um zurückzukehren, aber niemals so weit, um seine Menschlichkeit völlig zu verlieren. Es war dieser innere Konflikt, der ihn manchmal nachts wach hielt und ihn fragen ließ, welche Entscheidungen ihn wirklich hierhergebracht hatten.
Eines war sicher: Die Dunkelheit in Hamburg war nicht nur um ihn herum, sondern auch in ihm - eine Dunkelheit, der er niemals ganz entfliehen konnte, egal wie sehr er es versuchte. Doch trotz allem trug Mika immer einen Rest Funken Hoffnung in sich, dass er eines Tages einen Ausweg finden könnte. Ob dieser Tag jemals kommen würde, wusste niemand - am wenigsten er selbst.
Der entscheidende Moment in Mikas Leben kam an einem regnerischen Abend im November, als die Stadt von einem kalten, hartnäckigen Regen heimgesucht wurde. Die Straßen glänzten in den Lichtern der Laternen, und der Regen verwischte die Grenzen zwischen Realität und Reflexion. Der Hafen lag still, das Wasser unruhig und schwarz wie Tinte.
Mika hatte an diesem Abend ein wichtiges Treffen im „Blue Velvet“ vereinbart, einer Bar, die genauso viel Geschichte wie Alkohol in ihren Wänden trug. Er wusste, dass etwas Großes bevorstand. Das Geschäft, das er in die Wege geleitet hatte, war riskant, aber die Belohnung war zu verlockend, um es nicht zu wagen. Er hatte sich mit einem neuen Drogenlieferanten eingelassen, einem berüchtigten Clan aus dem Osten, der bekannt dafür war, dass er keine Fehler verzieh.
Im Halbdunkel der Bar saß er mit seiner Kontaktperson zusammen, einem Mann namens Igor, der mit stählernen Augen und einer Aura von Kälte dasaß. Ihre Unterhaltung verlief angespannt und von unterdrückter Spannung durchzogen. Es ging um Lieferungen, Geld und Vertrauensfragen. Alles schien nach Plan zu laufen, bis plötzlich die Tür der Bar aufflog und eine Gruppe bewaffneter Männer hereinströmte. Es war ein Blitzangriff eines konkurrierenden Clans, der offensichtlich von dem Treffen Wind bekommen hatte.
Chaos brach aus. Schüsse fielen, Glas zersplitterte, Menschen schrien. Mika fand sich mitten in einem Feuergefecht wieder, sah Igor durch einen Kopfschuss niedergestreckt am Boden liegen. In dem Tumult sah Mika eine flüchtige Bewegung hinter der Theke und erkannte, dass es Nina war, die versuchte, sich in Sicherheit zu bringen. Ohne nachzudenken, rannte er zu ihr und zog sie hinter einen schweren Tisch, der ihnen vorerst Deckung bot.
„Mika, raus hier!“, schrie Nina, ihre Stimme voller Panik, die sonst so beherrschte Fassade gebrochen. „Wenn sie uns kriegen, sind wir tot!“
Doch Mika dachte nicht an seine Flucht. Er wusste, dass dies der Moment war, der alles verändern würde. Wenn er jetzt weggerannt wäre, würde er für immer ein Getriebener bleiben, auf der Flucht vor seinen Feinden und seinen Entscheidungen. Stattdessen griff er zu einem der Waffen, die am Boden lagen, und nahm den Kampf auf.
Es waren Minuten, die wie Stunden vergingen. Mika feuerte und duckte sich, schrie Befehle und koordinierte, als ob er sein ganzes Leben für diesen Moment trainiert hätte. Er spürte die Hitze der Kugeln, die an ihm vorbeizischten, den Geruch von Blut und Schweiß, der die Luft erfüllte. Dann endlich - Stille. Die Angreifer zogen sich zurück, einige von ihnen blutend, andere tot.
Die „Blue Velvet“ war ein einziges Schlachtfeld, doch Mika und Nina hatten überlebt. Er ließ die Waffe sinken und atmete schwer, sein Herz hämmerte in seiner Brust. Er wusste, dass er gerade eine Linie überschritten hatte, von der es kein Zurück mehr gab.
„Mika“, flüsterte Nina, ihre Stimme zitterte, aber ihre Augen waren dankbar. „Du hast uns gerettet.“
Er nickte schweigend, spürte eine seltsame Mischung aus Erschöpfung und Erleichterung. Aber tiefer, darunter, war da diese Erkenntnis: Von jetzt an würde er immer die Konsequenzen seiner Entscheidungen tragen müssen. Diese Erkenntnis machte ihn nicht nur zu einem gehärteten Anführer, sondern auch zu einem Mann, der sich bewusst war, dass jede Handlung, jede Entscheidung, einen Preis hatte.
Der Regen draußen hatte nicht aufgehört, und Mika trat an die zerbrochene Barfenster, die Hand auf die kalte Scheibe gelegt. Die Straße war leer, das Echo der Schüsse hallte noch immer in seinem Kopf nach. Er wusste, dass der Weg, den er gewählt hatte, voller Dunkelheit und Gefahren sein würde. Aber er wusste auch, dass er ihn mit erhobenem Haupt weitergehen würde, ungeachtet dessen, was noch kommen mochte.
Dieser Abend veränderte alles. Mika wurde nicht nur zu dem Mann, den die Unterwelt Hamburgs fürchtete und respektierte, sondern auch zu dem einen, der die Dunkelheit beherrschen konnte, ohne darin vollkommen zu versinken. Es war der Moment, der ihn endgültig formte - und ihn dazu brachte, nie wieder zurückzuschauen.
Hamburg war in dichten Nebel gehüllt, als ich an diesem verfluchten Morgen in die Nähe der Landungsbrücken fuhr. Die Elbe sah aus wie eine riesige, graue Fläche, die sich ins Unendliche erstreckte. Es war einer dieser Tage, an denen der Regen so fein und beharrlich fiel, dass man ihn kaum spürte, aber er sich dennoch in alle Poren festsetzte. Ich parkte meinen Wagen und zog den Kragen meines Mantels höher, als ich ausstieg. Roy wartete bereits am Tatort, sein markantes Gesicht war ernst, und seine Augen funkelten in der dämmernden Helligkeit.
„Uwe, du musst das sehen“, sagte er düster und drehte sich zu den Hafenkais um, wo sich bereits eine kleine Gruppe uniformierter Kollegen und Spurensicherer versammelt hatte.
„Was haben wir hier, Roy?“ fragte ich, obwohl ich es bereits ahnen konnte. Solche Menschenmengen vor den ersten Cocktails am Mittag deuteten nie auf etwas Gutes hin.
„Ein Toter. Er liegt hintern einen der alten Containern.“ Roys Stimme war tonlos, aber seine Augen verrieten seine Betroffenheit. „Es ist Mika Harmsen.“
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Mika - der Hochstapler, der Drogendealer, die Legende der Hamburger Unterwelt. Die Nachricht würde sich schnell verbreiten und wahrscheinlich ein Erdbeben im kriminellen Netzwerk der Stadt auslösen.
„Wie sieht’s aus?“ fragte ich und ging zum Tatort hinüber.
Der Anblick war brutal und endgültig. Mika lag auf dem kalten, feuchten Boden, die Augen weit geöffnet, als würde er immer noch versuchen, seinen Mörder zu identifizieren. Mehrere Schusswunden durchzogen seinen Oberkörper und seine blutdurchtränkte Kleidung. Die Spurensicherer bewegten sich effizient und routiniert um den leblosen Körper, suchten nach jeder nur erdenklichen Spur, die uns einen Hinweis auf den Mörder geben könnte.
„Garantiert ein Auftragsmord“, murmelte ich, während ich mich über den Körper beugte und die Situation betrachtete.
Roy nickte. „Das hier stinkt nach Rache oder Abrechnung. Jemand wollte sicherstellen, dass er niemals mehr aufsteht.“
„Lass uns die Zeugen befragen,“ entschied ich und trat zurück, Roy folgte mir. Das Erste, was wir herausfinden mussten, war, ob irgendjemand etwas gesehen oder gehört hatte, das uns weiterhelfen könnte.
Wir arbeiteten uns durch die Umgebung, befragten Hafenarbeiter, ein paar Frühaufsteher und sogar Touristen, die dummerweise in die falsche Richtung getaumelt waren. Jeder von ihnen hatte dieselbe Geschichte: Niemand hatte etwas gesehen. Nur der ewige Nebel und der leise Klang des Wassers blieben uns als trostloser Begleiter.
Nachdem wir den Tatort abgesperrt und die Beweise gesichert hatten, machten wir uns auf den Weg zurück ins Hauptpräsidium. Der Weg führte uns durch die engen Straßen der Speicherstadt, vorbei an den imposanten roten Backsteingebäuden, die diesen Teil von Hamburg so unverwechselbar machten. Der Anblick war beruhigend und doch beunruhigend - eine Erinnerung daran, wie schön und gefährlich diese Stadt gleichermaßen sein konnte.
Im Präsidium erwartete uns Jonathan Bock, unser Kriminaldirektor. Sein Büro war ein Hort des geordneten Chaos, ein Mikrokosmos aus Aktenstapeln und verdächtig unbenutzten Schreibtischorganisatoren.
„Was haben Sie, Jörgensen?“ fragte er ohne Umschweife, als wir eintraten. Bocks Körperhaltung war immer straff wie ein Seil, und seine grauen Augen ließen keinen Raum für Spielereien.
„Mika Harmsen, ermordet. Mehrere Schusswunden, wahrscheinlich Auftragsmord,“ berichtete ich. „Wir haben gerade erst mit der Untersuchung begonnen. Keine Augenzeugen bisher.“
Bock nickte und lehnte sich zurück. „Machen Sie’s genau und gründlich. Harmsen hatte viele Feinde, das wissen wir. Graben Sie tief, und bleiben Sie dran.“
Als wir uns zurück in unser eigenes Büro begaben, betrachtete ich die weißen Wände und die Pinnwand, die demnächst mit neuen Informationen über Mikas Umfeld gefüllt sein würde. Hamburg war eine Stadt voller versteckter Verbindungen und Geheimnisse - ein dichtes Netz, in dem wir nun den richtigen Faden finden mussten.
„Roy, was denkst du? Wer hatte den größten Grund, Mika aus dem Weg zu räumen?“ fragte ich, als wir uns an unsere Schreibtische setzten.
Roy starrte nachdenklich aus dem Fenster, auf die vorbeiziehenden Wolken, die wie schweigende Wächter über die Stadt zogen. „Da gibt es mehrere Kandidaten. Aber ich würde mit den Clans anfangen. Mika hat irgendwann jemanden ziemlich verärgert.“
Ich nickte. Es war ein guter erster Ansatz. Die Clans waren bekannt für ihre brutale Effizienz, wenn es darum ging, Rivalen auszuschalten. Wir wussten, dass es ein mühsamer, steiniger Weg werden würde, doch jeder Schritt brachte uns vielleicht näher an die Auflösung dieses rätselhaften Mordes.
Die Ermittlungen hatten offiziell begonnen, und während der Rest der Stadt sich im einsetzenden Nieselregen ihren Alltag zurückholte, bereiteten wir uns darauf vor, die Geheimnisse aufzudecken, die in den Schatten von Hamburgs dunklen Gassen lauerten.
*
Der erste Anlaufpunkt an diesem Tag war die „Red Phoenix Bar“. Wenn es einen Ort gab, an dem man etwas über die dunklen Machenschaften Hamburgs erfahren konnte, dann hier. Die Bar hatte schon viele Gestalten wie Mika gesehen - und viele Enden wie seines erlebt.
Als wir das schummrige Innere betraten, empfing uns der bewährte Mix aus abgestandenem Rauch und abgestandenem Bier. Hinter der Theke stand Nina, die Besitzerin der Bar, die gerade Gläser polierte, obwohl sie wahrscheinlich genauso gut in den Krieg hätte ziehen können. Ihre Augen verengten sich, als sie uns kommen sah.
„Guten Morgen, Frau Zehrer,“ begann ich formell und zeigte meinen Ausweis. „Ich bin Kommissar Jörgensen, das ist mein Kollege Kommissar Müller. Wir müssen mit Ihnen reden.“
„Ich habe nichts falsch gemacht,“ schnappte sie und stellte das Glas fest auf die Theke. Ihre Hände waren ruhig, aber ich konnte die Anspannung in ihrer Stimme hören.
„Es geht um Mika Harmsen,“ sagte Roy ruhig. „Er wurde heute Morgen tot aufgefunden. Wir haben gehört, dass er öfter hier war.“
Ninas Gesicht verhärtete sich, doch sie nickte. „Ja, Mika war ein häufiger Gast. Aber ich weiß nichts über seinen Tod, wenn Sie das meinen.“
„Haben Sie gestern Abend hier gearbeitet?“ fragte ich, die Augen auf sie gerichtet, um jede kleine Regung zu erfassen.
„Ja, ich war hier. Er war auch hier. Ging aber gegen Mitternacht.“
„Hat er mit jemandem gesprochen? Irgendwelche Streitigkeiten oder ungewöhnliches Verhalten?“ Roy lehnte sich leicht auf die Theke, versuchte ihr etwas entgegenzukommen.
Nina schüttelte den Kopf. „Nur das Übliche. Ein paar Typen kamen rein, sprachen kurz mit ihm. Nichts Auffälliges.“
„Können Sie diese Typen beschreiben?“, fragte ich. „Jede Information könnte hilfreich sein.“
„Verschiedene Gesichter, nichts Einprägsames. Sie sehen alle gleich aus, wissen Sie? Harte Kerle, laute Stimmen. Nichts Konkretes.“
„Verstehe. Vielen Dank, Frau Zehrer,“ sagte ich und legte meine Visitenkarte auf die Theke. „Falls Ihnen noch etwas einfällt, rufen Sie uns bitte an.“
Als wir die Bar verließen, blickte ich über meine Schulter zurück. Nina war wieder dabei, Gläser zu polieren, ihr Gesicht eine Maske der Unnahbarkeit. Uns entging nichts. Doch ich spürte, dass sie mehr wusste, als sie zugab. Die Frage war nur, wie wir sie zum Reden bringen konnten.
Zurück im Präsidium fingen wir an, alle Informationen zusammenzutragen, die wir über Mikas letzte Bewegungen hatten. Das Bild, das sich abzeichnete, war eines von wachsender Spannungen und zahlreichen losen Enden. Wir wussten, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis wir auf etwas stießen, das uns weiterhelfen würde.
Roy setzte sich an seinen Schreibtisch und begann, die Informationen zu durchforsten, die wir bisher gesammelt hatten. „Wir müssen uns auf die großen Spieler konzentrieren,“ sagte er. „Die Clans, die Gangs, vielleicht auch ein paar alte Rechnungen.“
„Richtig,“ stimmte ich zu. „Mika hat sich viele Feinde gemacht. Jeder könnte einen Grund gehabt haben, ihn zu erledigen.“
Es klopfte an der Tür, und Kriminaldirektor Bock trat ein. „Wie laufen die Ermittlungen?“ fragte er knapp.
„Langsam, aber wir kommen voran,“ berichtete ich. „Wir haben einige neue Informationen aus der ’Red Phoenix Bar’. Aber es gibt noch viele lose Enden.“
„Bleiben Sie dran,“ sagte Bock. „Ich erwarte Ergebnisse.“
Nachdem Bock das Büro verlassen hatte, lehnte ich mich zurück und starrte aus dem Fenster auf die vorbeiziehenden Wolken. Es war ein düsterer Tag, und doch war da dieser unerschütterliche Drang, Licht in das Dunkel zu bringen, das Mikas Ende umgab.
Später am Nachmittag entschieden Roy und ich, einen weiteren Schlüsselort aufzusuchen: die Hafenkaschemmen, wo sich die heruntergekommenen Gestalten der Unterwelt herumtrieben. Dort trafen wir auf Karl „Kalle“ Bremer, einen zwielichtigen Informanten, der mehr wusste, als er jemals mitteilen würde, aber für den richtigen Preis immer einen Tipp parat hatte.
„Bremer,“ sprach ich ihn an, als wir ihn in der schäbigen Bar „Zum Anker“ fanden. „Kommissare Jörgensen und Müller. Wir müssen ein paar Fragen stellen.“
Kalle musterte uns abschätzig, aber es war klar, dass er wusste, mit wem er es zu tun hatte. „Was wollt ihr denn, Herr Kommissar?“
„Mika Harmsen wurde ermordet,“ erklärte Roy direkt. „Irgendwelche Infos, die du teilen möchtest?“
Kalle grinste dreckig. „Mika? Dafür gibt’s 'ne Menge Leute, die tüchtig zahlen würden. Aber Infos kostet extra.“
Ich steckte ihm einen kleinen Betrag zu, der ihn vielleicht zum Reden bringen würde. „Nun?“
„Ja, da war was. Gestern Nacht, hab‘ paar Gestalten gesehen, die nicht aus’m Viertel stammen. Die reden nicht viel, aber als ich näher kam, hörte ich was von 'Abrechnung'. Den Rest müsst ihr selbst rausfinden.“
Das war etwas, ein kleiner Hinweis, aber in der Dunkelheit dieser Stadt konnten auch kleine Lichter den Weg weisen.
Zurück im Präsidium setzten wir uns, um die neu gewonnenen Details zusammenzufügen. Mikas Ermordung begann, ein klareres Bild zu formen - ein Netz aus Rache, Eifersucht und Machtkämpfen, das sich über ganz Hamburg erstreckte. Doch wer wirklich hinter dem Mord steckte, blieb noch immer ein Rätsel, das darauf wartete, gelöst zu werden.
„Es wird eine lange Nacht,“ murmelte Roy und sah auf die Uhr über seinem Schreibtisch.
„Es wird so viele lange Nächte geben, wie es braucht,“ antwortete ich entschlossen und nahm den Fallordner zur Hand. Den Fall zu lösen - das war unsere Mission, und wir würden nicht ruhen, bis wir es geschafft hatten.
*
Die Nacht senkte sich allmählich über Hamburg und ließ die Stadt in einem melancholischen Schimmer erstrahlen. Roy und ich nahmen uns einen Moment, um einen kräftigen Kaffee aus der Kaffeemaschine zu holen – der Koffeinrausch war unverzichtbar, um die lange Nacht in Angriff zu nehmen. Zurück im Büro breiteten wir die gesammelten Informationen aus. Die Pinnwand vor uns wurde mit Fotos, Notizen und Verbindungen gefüllt, die ein immer komplexeres Bild von Mikas Leben und seinem gewaltsamen Ende ergaben.
„Lass uns die Clans nochmals eingehend betrachten,“ sagte Roy und kritzelte Namen und Pfeile auf das Whiteboard. „Mika hatte zuletzt vermehrt Probleme mit den Ost-Clan-Leuten, richtig?“
Ich nickte nachdenklich. „Ja, aber auch die anderen Gangs hatten Grund, auf Rache zu sinnen. Wir müssen alle Optionen offenhalten.“
Gerade als wir dabei waren, einen neuen Ansatz zu diskutieren, klingelte mein Handy. Es war Kalle Bremer.
„Kommissar Jörgensen,“ meldete ich mich.
„Kommissar, ich habe noch was für Sie,“ sagte Kalle leise. „Treffen Sie mich in einer halben Stunde beim alten Speicherhaus am Hafen. Allein.“
Ein ungutes Gefühl beschlich mich, doch ich wollte die Spur nicht vernachlässigen. „Ich werde dort sein,“ versprach ich und legte auf.
„Kalle hat was,“ erklärte ich Roy. „Er möchte, dass ich ihn allein treffe.“
Roy runzelte die Stirn. „Allein?“
„Ja, aber keine Sorge, ich werde vorsichtig sein. Du hältst das hier im Blick.“
Roy nickte nur widerwillig und sah mir hinterher, als ich das Büro verließ. Der Weg zum alten Speicherhaus war nicht lang, aber die Dunkelheit und das Echo meiner Schritte auf den nassen Steinen verstärkten meine Anspannung. Das alte Hafenviertel war eine Szenerie aus Vergangenheit und Verfall, ein perfekter Ort für geheime Absprachen und finstere Geschäfte.
Kalle wartete bereits, in seinem Mantel gehüllt, das Gesicht von einer Kapuze verhüllt. Sein nervöses Verhalten fiel sofort auf. „Kommissar,“ raunte er, als er mich sah. „Da ist etwas Großes im Gange. Mika sollte ein Exempel sein, eine Warnung an jene, die zu viel wissen oder zu mächtig werden.“
„Von wem genau sprechen wir hier?“ fragte ich scharf.
„Von der Bruderschaft,“ flüsterte er und sah sich um, als ob die Schatten selbst lauschen könnten. „Eine Gruppe, viel größer und gefährlicher als die Clans. Organisiert, aber unsichtbar.“
„Und was haben Sie darüber herausgefunden?“ drängte ich weiter.
„Es gibt Gerüchte, dass sie eine Liste führen. Jeder Name darauf ist ein Problem für sie, und Mika war der erste. Sie nennen es den 'Schwarzen Zettel'.“
Die Information war überwältigend und ließ mein Blut in den Adern gefrieren. Eine organisierte, unsichtbare Macht, die über Hamburgs kriminelle Unterwelt herrschte und eine tödliche Liste führte? Das klang wie eine Verschwörung direkt aus einem Kriminalroman, aber ich wusste, dass ich es ernst nehmen musste.
„Haben Sie irgendwelche Beweise?“ fragte ich angespannt.
„Nur Gerüchte,“ sagte Kalle bedauernd. „Aber in diesen Kreisen haben Gerüchte oft mehr Gewicht als Tatsachen.“
„Danke, Kalle. Sie sollten sich jetzt verstecken. Falls Sie noch mehr erfahren, wissen Sie, wie Sie mich erreichen.“
Kalle nickte und verschwand in der Dunkelkeit, während ich zum Hauptpräsidium zurückeilte. Roys besorgt blickende Augen nahmen mich sofort in Empfang, als ich das Büro betrat.
„Was hast du erfahren?“ fragte er gespannt.
„Eine Bruderschaft, die anscheinend das Verbrechen in Hamburg lenkt und eine Liste von Zielen führt, Mika war das erste auf ihrer Liste,“ erklärte ich.
Roy atmete tief ein. „Das ist riesig. Wenn das stimmt, haben wir es mit einem weit größeren Problem zu tun, als wir dachten.“
„Ja, und es bedeutet, dass wir uns auf ganz neue Gefahren einstellen müssen,“ sagte ich und sah mich in unserem Büro um. Die Drohungen, die in der Luft hingen, fühlten sich plötzlich greifbarer an. „Wir müssen herausfinden, wer hinter dieser Bruderschaft steckt, und vor allem, wer als Nächster auf dieser Liste steht.“
Der Fall hatte eine neue, tiefere Dimension angenommen, und die Gefahr wurde immer realer. Hamburg verbarg unter seiner strahlenden Oberfläche dunkle Geheimnisse, und es lag an uns, sie zu entwirren. Die Nacht versprach, eine der längsten zu werden, aber Roy und ich waren bereit, bis zum Morgen zu kämpfen – und wenn nötig, noch weiter.
Am nächsten Morgen traf ich Roy bereits im Büro an. Er hatte die Nacht über kaum geschlafen, und das sah man ihm auch an. Doch noch bevor ich ihn auf die neuesten Entwicklungen ansprechen konnte, schellte das Telefon. Es war Kriminaldirektor Bock.
„Jörgensen, Müller, in mein Büro, sofort!“ schnarrte seine Stimme durch die Leitung. Es war klar, dass dies kein gewöhnliches Briefing werden würde.
Wir machten uns umgehend auf den Weg. Als wir Bocks Büro betraten, bemerkte ich sofort die angespannte Atmosphäre. Bock stand hinter seinem Schreibtisch, die Hände fest um die Stuhllehne gekrallt. Sein sonst so geordnetes Büro wirkte noch hektischer als sonst – was nichts Gutes verhieß.
„Setzen Sie sich,“ befahl er knapp.
Roy und ich nahmen Platz und sahen den Kriminaldirektor erwartungsvoll an. Bocks Blick bohrte sich in unsere.
„Was gibt es Neues im Fall Harmsen?“ fragte er direkt, ohne Umschweife.
Ich atmete tief durch und begann: „Wir haben herausgefunden, dass Mika Harmsen möglicherweise das Opfer einer größeren, organisierten Gruppe wurde. Kalle Bremer hat uns erzählt, dass es eine ‚Bruderschaft‘ gibt, die eine Todesliste führt – der sogenannte ‚Schwarze Zettel‘. Mika war das erste Ziel.“
Bocks Augen weiteten sich für einen Moment, dann setzte er eine Maske des unerschütterlichen Gedankenschusses auf. „Eine Bruderschaft?“ wiederholte er. Sein Gesichtsausdruck wandelte sich von Überraschung zu konzentriertem Nachdenken.
„Ja,“ fügte Roy hinzu. „Unsere Quellen deuten darauf hin, dass diese Gruppe weitreichenden Einfluss in Hamburgs Unterwelt hat. Wenn das stimmt, stehen wir vor einer ernsthaften Bedrohung.“
„Ihr wisst, dass wir handfeste Beweise brauchen. Gerüchte und Andeutungen reichen nicht aus,“ warnte Bock. „Was haben Sie in der Hand?“
Ich schüttelte den Kopf. „Derzeit nichts Handfestes, nur Kalles Aussage und ein paar Indizien. Aber wenn wir den Spuren nachgehen, sollten wir mehr herausfinden können.“
„Dann tun Sie das. Nutzen Sie alle Ressourcen, die Sie benötigen,“ sagte Bock. „Aber seien Sie diskret. Wenn diese Bruderschaft wirklich so mächtig ist, dann werden sie wissen, dass wir ihnen auf den Fersen sind.“
„Verstanden, Herr Direktor,“ antwortete ich mit einem entschlossenen Nicken.
„Und noch etwas,“ fügte Bock hinzu. „Kontaktieren Sie Ihre Informanten sorgfältig. Jeder Schritt muss bedacht und kalkuliert sein. Die kleinste Fehlentscheidung könnte alles zunichtemachen.“
Das Gespräch dauerte noch einige Minuten, in denen wir unsere bisherigen Erkenntnisse und zukünftigen Pläne durchgingen. Bock machte deutlich, dass die Situation mehr Fingerspitzengefühl und Präzision erfordern würde, als wir es gewohnt waren.
Als wir das Büro verließen, spürte ich das Gewicht der Verantwortung schwer auf meinen Schultern. Der Regen hatte inzwischen nachgelassen, aber der Himmel blieb bedrohlich grau, als wir die Straßen von Hamburg erneut durchstreiften.
„Also, wie gehen wir das an?“ fragte Roy, als wir zum Wagen zurückgingen.
„Wir müssen tiefer graben als jemals zuvor,“ stellte ich fest. „Wir nehmen Kontakt zu unseren vertrauenswürdigsten Informanten auf, und wir durchforsten jedes noch so kleine Detail, das wir über diese Bruderschaft finden können. Irgendwo da draußen ist die Wahrheit – und wir werden sie finden.“
„Ich werde die Spurensicherung und die Archive durchkämmen,“ sagte Roy entschlossen. „Vielleicht gibt es in den alten Akten einen Hinweis auf ähnliche Fälle oder Namen, die im Zusammenhang mit der Bruderschaft stehen.“
„Gut. Ich kümmere mich um die Verbindungen in der Szene. Kalle hat uns einen wertvollen Tipp gegeben, aber es gab noch andere, die Mika nahestanden. Wir müssen jeden Stein umdrehen.“
Uns war klar, dass diese Ermittlungen uns an die Grenze dessen führen würden, was wir bisher erlebt hatten. Doch es ging um mehr als einen Mord – es ging um ein ganzes Netzwerk von Schuld und Rache, das sich wie ein undurchdringliches Netz über die Stadt gelegt hatte.
Zurück im Hauptpräsidium machten wir uns umgehend an die Arbeit. Roy durchsuchte die alten Fallakten, während ich mich darauf vorbereitete, unsere Informanten zu besuchen. Hamburgs Unterwelt war ein gefährlicher Ort, aber wir hatten keine Wahl – wir mussten Antworten finden. Antworten, die das gesamte Puzzle um Mikas Tod und die mysteriöse Bruderschaft zusammensetzen würden.
Die Stunden vergingen im Eilschritt, doch die Nacht war lang und voller Möglichkeiten. Und so machten wir uns bereit, den Kampf gegen diese unsichtbare Bedrohung aufzunehmen. Hamburg mochte in Dunkelheit getaucht sein, aber wir – Roy und ich – waren entschlossen, das Licht wieder zurückzubringen, bis keine Frage mehr offen blieb.
*
Am folgenden Tag machten wir uns auf den Weg zur Gerichtsmedizin. Dr. Gerold Wildenbacher war ein erfahrener Pathologe, jemand, der schon viele Mysterien aus den kalten Körpern gelüftet hatte, die auf seinen Stahltischen gelandet waren. Sein makellos gepflegtes Labor war ein eigenartiger Kontrast zu den brutalen Wirklichkeiten, die durch die Tür traten.
„Guten Morgen, Herr Dr. Wildenbacher,“ begrüßte ich ihn, als wir den sterilen Raum betraten. Der Doktor sah von seinen Notizen auf, nickte uns zu und setzte seine Brille ab.
„Guten Morgen, Kommissar Jörgensen, Kommissar Müller. Setzen Sie sich doch,“ sagte er ruhig und deutete auf zwei Stühle nahe seinem Arbeitstisch. „Ich nehme an, Sie sind wegen Mika Harmsen hier?“
„Ganz richtig,“ bestätigte Roy. „Was können Sie uns über seinen Tod sagen?“
Dr. Wildenbacher schlug sein Notizbuch auf und begann methodisch zu berichten. „Mika Harmsen starb an mehreren Schusswunden. Es gab fünf Einschüsse - drei in den Brustkorb und zwei im Rücken. Der Tod trat nahezu sofort ein aufgrund massiver innerer Verletzungen, insbesondere durch eine Kugel, die das Herz durchbohrte.“
Ich runzelte die Stirn und dachte nach. „Können Sie uns etwas über die Waffe sagen, die verwendet wurde?“
„Ja, ich kann Ihnen sagen, dass es sich höchstwahrscheinlich um eine halbautomatische Pistole kaliber 9mm handelt,“ antwortete Dr. Wildenbacher. „Die Schusswunden passen zu diesem Kaliber. Die Einschüsse sind sauber und präzise, was auf einen Schützen hindeutet, der genau wusste, was er tat.“
Roy lehnte sich vor. „Gab es irgendwelche Auffälligkeiten an der Leiche? Hinweise auf ein körperliches Ringen vor den Schüssen?“
Der Pathologe schüttelte den Kopf. „Keine Anzeichen eines Kampfes. Keine Abwehrverletzungen an den Händen. Es scheint, als wurde er überrascht und hatte keine Möglichkeit zu reagieren.“
„Interessant,“ murmelte ich und kratzte mir nachdenklich am Kinn. „Gab es noch etwas Ungewöhnliches, das Sie entdeckt haben?“
„Tatsächlich, ja,“ sagte Dr. Wildenbacher und blätterte in seinen Notizen. „Mika Harmsen trug eine kleine Tätowierung am inneren Handgelenk – ein kryptisches Symbol, das ich erst nach einer gründlicheren Untersuchung bemerkt habe. Es handelt sich um ein Dreieck mit einem durchgehenden Pfeil. Vielleicht könnte das in Ihren Ermittlungen von Bedeutung sein.“
Roy und ich tauschten einen bedeutungsvollen Blick. „Können Sie mir das Symbol skizzieren?“ bat ich.
Dr. Wildenbacher nickte und skizzierte schnell das Symbol auf einem Blatt Papier. Ich steckte die Skizze ein und bedankte mich. „Das könnte uns tatsächlich weiterhelfen.“
„Ebenfalls hatte ich bei der toxikologischen Untersuchung festgestellt, dass Mika Harmsen keine Drogen oder Alkohol im Blut hatte. Er war bei vollem Bewusstsein und handlungsfähig,“ fügte der Gerichtsmediziner hinzu.
Das war wichtig. Es bedeutete, dass Mika nicht durch Substanzen beeinträchtigt wurde und sich in einem vollkommen klaren Zustand befand – er wusste, was geschah.
„Vielen Dank, Herr Dr. Wildenbacher,“ sagte ich und stand auf. „Ihre Erkenntnisse sind äußerst hilfreich.“
„Gern geschehen, Kommissar,“ erwiderte er. „Ich hoffe, dass Sie bald den oder die Verantwortlichen finden.“
Zurück im Präsidium gingen Roy und ich die neuen Informationen durch. Das Symbol am Handgelenk könnte ein Schlüssel sein. Wir mussten herausfinden, was es bedeutete und ob es eine Verbindung zu der ominösen Bruderschaft gab.
„Lass uns die Liste der bekannten Symbole und Tätowierungen in Straßengangs und kriminellen Organisationen durchsehen,“ schlug Roy vor. „Vielleicht finden wir etwas Vergleichbares.“
„Gute Idee,“ stimmte ich zu und zog einige Akten aus unserem Archiv. Wir machten uns daran, jede Information, die wir hatten, zu durchforsten, fest entschlossen, diesen Fall zu knacken.
Während die Minuten verrannen und die Abenddämmerung hereinbrach, wurde das Bild von Mikas letztem Tag nach und nach klarer. Es gab Hinweise, aber immer noch keine eindeutigen Antworten. Doch wir würden nicht aufgeben, bis die Schatten von Hamburg ihr Geheimnis preisgaben.
*
Später am Tag machten wir uns auf den Weg zum Labor von Dr. Dr. Friedrich G. Fornheim, unserem exzentrischen und brillanten Forensiker. Fornheim war bekannt für seine arrogante Art und seine unverhohlene Geringschätzung gegenüber denen, die seiner Meinung nach nicht auf seinem intellektuellen Niveau waren – also praktisch gegenüber allen. Trotzdem war er unersetzlich, wenn es um komplexe forensische Analysen ging.
„Kommissar Jörgensen, Kommissar Müller,“ begrüßte er uns, als wir das Labor betraten. Sein Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass er sich nicht freute, uns zu sehen. „Ich nehme an, Sie sind hier, um die Ergebnisse meiner umfassenden Analysen zu erfahren?“
„Ja, genau deswegen sind wir hier,“ antwortete ich und unterdrückte die Lust, mit den Augen zu rollen. „Haben Sie etwas Interessantes gefunden?“
Dr. Fornheim warf uns einen nachsichtigen Blick zu und zog ein Paar Handschuhe an, bevor er zum sezierten Beweismaterial griff, das vor ihm auf dem Labortisch lag. „Selbstverständlich habe ich etwas gefunden. Es wäre geradezu erstaunlich, wenn meine Erkenntnisse für jemanden wie Sie nicht neu und revolutionär wären.“
„Kommen Sie zum Punkt, Dr. Fornheim,“ sagte Roy und verschränkte die Arme. Geduld war nicht gerade unsere Stärke, wenn es um Fornheim ging.
„Gut, gut,“ antwortete Fornheim spöttisch lächelnd. „Nun, hier haben wir die Projektile, die aus dem Körper von Mika Harmsen extrahiert wurden. Typische 9mm, wie Ihnen Ihr Pathologe sicher bereits gesagt hat. Aber das wirklich Interessante ist die Legierung dieser Kugeln.“ Er hielt ein Projektil hoch, als wolle er einen Schatz präsentieren.
„Eine spezielle Legierung?“ fragte ich, durchaus neugierig.
„Ach, welch ein bescheidenes Verständnis,“ spöttelte Fornheim. „Ja, eine sehr spezielle Legierung. Nur wenige Hersteller nutzen eine derartige Mischung, und sie wird üblicherweise in personalisierten Munitionen verwendet – maßgeschneidert für besondere Auftraggeber, nicht für den normalen Straßenverbrecher.“
„Bedeutet das, dass die Kugeln zurückverfolgt werden können?“ fragte Roy.
„Nun, für jemanden mit Grundkenntnissen in der Forensik vielleicht nicht,“ sagte Fornheim süffisant. „Aber für mich schon. Ich habe bereits einige Hersteller in Deutschland identifiziert, die solche Munitionen produzieren. Zwei befinden sich hier in Hamburg.“
Das war ein Durchbruch. Personalisierte Munition bedeutete, dass der Kreis der möglichen Täter kleiner wurde. Aber ehe wir es weiterverfolgen konnten, fuhr Fornheim fort.
„Und dann haben wir hier etwas noch Interessanteres,“ fuhr Fornheim fort und hob ein kleines, durchsichtiges Plastiktütchen an. „Diese Fasern wurden aus der Kleidung von Harmsen entnommen. Sie stammen von einem sehr seltenen Stoff – einem einzigartigen, handgewebten Material, das normalerweise nur von einer bestimmten Designerboutique vertrieben wird. Wie dachten Sie, dass jemand aus der Unterwelt Hamburgs zu solch exklusiver Garderobe kommt?“
„Sie meinen, jemand Wohlhabender oder zumindest gut Vernetzter könnte beteiligt sein?“ fragte ich und versuchte, meine Überraschung zu verbergen.
„Bravo, Kommissar!“ antwortete Fornheim sarkastisch. „Sie beginnen, die offensichtlichen Schlüsse zu ziehen. Es spricht für eine Verbindung zu gehobeneren Kreisen. Offensichtlich hat jemand, der sich teure und exklusive Kleidung leisten kann, ein Interesse an Mikas Tod gehabt.“
Das tat der Chose eine neue Dimension auf. Womöglich war der Mord an Mika nicht nur eine interne Angelegenheit der Unterwelt, sondern hatte Verbindungen zu höher gestellten Persönlichkeiten Hamburgs.
„Gab es sonst noch irgendetwas, das wir wissen sollten?“ fragte ich vorsichtig.
„Nur das Offensichtliche, das Ihnen wahrscheinlich entgangen ist,“ entgegnete Fornheim und wandte sich ab, als ob er das Interesse verloren hätte. „Es gibt Spuren von Schmieröl unter Mikas Fingernägeln. Alles deutet darauf hin, dass er in letzter Minute versucht hat, etwas mit ölverschmierten Händen zu greifen. In Anbetracht seiner Sauberkeit spricht dies möglicherweise für einen letzten Überlebensversuch.“
„Vielen Dank, Dr. Fornheim,“ sagte Roy und rappelte sich auf. „Ihre Hilfe ist immer sehr geschätzt.“
„Das ist sie in der Tat. Meistens von Menschen, die nicht wissen, was sie sonst tun sollen,“ erwiderte Fornheim spöttisch und wandte uns den Rücken zu, während er in seine Analysen eintauchte.
Zurück im Präsidium gingen wir die neuen Erkenntnisse durch. „Personalisierte Munition und exklusive Stoffe,“ murmelte Roy und sah mich an. „Das klingt nach jemandem, der tiefere Taschen hat als die üblichen Verdächtigen.“
„Ja,“ sagte ich nachdenklich und studierte die Skizze des Tattoos, das Dr. Wildenbacher gezeichnet hatte. „Vielleicht sollten wir uns die beiden Hersteller der Munition genauer ansehen. Zudem bleibt die Frage, wessen Interesse so groß war, dass er Mika auslöschen lassen hat. Der Kreis zieht sich enger, aber wir müssen noch tiefer graben.“
Unser Plan war klar: Wir mussten die Wurzeln dieses Netzwerks finden, wer die Fäden zog und warum. Der Fall hatte zunehmend Dimensionen, die weit über das normale Maß hinausgingen, und wir würden sicherstellen, dass Hamburg auch weiterhin seine dunklen Geheimnisse preisgab.
Die Jagd ging weiter, entschlossener und intensiver als je zuvor. Die Nacht würde lang werden, aber wir waren bereit, uns allen Herausforderungen zu stellen, die auf unserem Weg lagen.
Die Straßen von Hamburg schienen noch dunkler und geheimnisvoller zu werden, je tiefer wir in die Ermittlungen eintauchten. Nach unserem Besuch bei Dr. Fornheim hatte ich das deutliche Gefühl, dass wir irgendwo an der Oberfläche kratzten, aber der Schlüssel zur Lösung lag tiefer begraben.
Zurück im Präsidium setzten wir uns wieder an die Arbeit, als es an der Tür klopfte. Ein junger und nervös wirkender Beamter stand im Türrahmen.
„Kommissar Jörgensen, Kommissar Müller? Da draußen sind zwei Personen, die behaupten, etwas über den Fall Harmsen zu wissen,“ sagte er. „Sie sollten sich das anhören.“
Ich seufzte und warf einen Blick auf Roy. „Wahrscheinlich ein paar Wichtigtuer, die sich wichtigmachen wollen,“ murmelte ich.
„Könnte sein, aber wir können es uns nicht leisten, irgendwelche Hinweise zu ignorieren,“ sagte Roy und hob die Schultern.
Wir folgten dem Beamten nach draußen, wo zwei Personen warteten – ein älterer Mann mit einer abgetragenen Ledermütze und ein dünner, junger Mann mit einer viel zu großen Jacke und hektischen Augen. Sie sahen tatsächlich wie typische Wichtigtuer aus, die auf ihre 15 Minuten Ruhm hofften.
„Guten Tag, meine Herren,“ begrüßte ich sie. „Sie behaupten, etwas über den Mord an Mika Harmsen zu wissen?“
Der ältere Mann nickte energisch. „Ja, ja, das stimmt, Herr Kommissar,“ sagte er in einem Ton, der die Aufmerksamkeit auf sich ziehen wollte. „Ich bin Wilhelm Pohl, und das hier ist mein Neffe, Torben. Wir haben etwas gesehen, was für Ihre Ermittlungen wichtig sein könnte.“
„Dann legen Sie los, Herr Pohl,“ forderte Roy ihn auf.
Wilhelm Pohl räusperte sich, genoss offensichtlich die Bühne, die ihm plötzlich geboten wurde. „Nun, es war in der Nacht, als dieser Harmsen umgebracht wurde. Wir waren gerade auf dem Weg zurück von einer späten Bootsfahrt – ein kleines Hobby, wissen Sie. Da sahen wir zwei Männer, die sich in der Nähe des Hafengeländes auffällig verhielten. Sie schienen etwas Schweres zu tragen.“
Torben, der nervös an seiner Jacke herumnestelte, nickte hektisch. „Ja, stimmt. Sie sahen wirklich so aus, als würden sie etwas verstecken. Und einer von ihnen hatte eine Waffe!“
„Können Sie diese Männer beschreiben?“ fragte ich und zog mein Notizbuch hervor.
„Hm, na ja…“ begann Wilhelm zögerlich. „Der eine war groß und kräftig gebaut. Trug eine Ledermütze, ähnlich wie meine, aber neuer. Der andere war kleiner, drahtig. Hatte das Symbol eines Drachen tätowiert – zumindest sah es so aus – auf seinem Nacken.“
„Ein Drache, sagen Sie?“ wiederholte Roy und schrieb sich die Details auf.
„Ja, genau. Und sie unterhielten sich in einer fremden Sprache. Ich konnte sie nicht genau verstehen, klang wie Russisch oder etwas Ähnliches,“ fügte Torben hinzu.
Das passte irgendwie ins Bild. Der Hinweis auf die fremde Sprache konnte mit dem vermuteten osteuropäischen Clan zusammenhängen, mit dem Mika möglicherweise Probleme hatte.
„Irrelevant vermutlich, aber habe ich noch was gefunden,“ intervenierte Wilhelm wieder, die Dramatik in seiner Stimme nicht zu überhören. „Kurz bevor wir die Männer entdeckten, fanden wir einen Schlüsselbund im Gras. Der muss einem der beiden gehören.“
Wilhelm zog tatsächlich einen alten, rostigen Schlüsselbund aus seiner Jackentasche hervor. „Ich habe ihn sicherheitshalber aufbewahrt gedacht, dass es vielleicht Bedeutung haben könnte.“
Ich nahm den Schlüsselbund und inspizierte ihn – drei einfache Schlüssel, ohne erkennbare Markierungen. Vielleicht konnte die forensische Untersuchung mehr darüber herausfinden.
„Danke, Herr Pohl, und danke, Torben,“ sagte ich ernsthaft. „Ihre Informationen könnten uns weiterhelfen. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, melden Sie sich bitte bei uns.“
Die beiden nickten eifrig, und ich drückte ihnen meine Visitenkarte in die Hand. Nachdem sie gegangen waren, wandte ich mich an Roy.
„Na ja, ich hätte nicht gedacht, dass diese beiden tatsächlich brauchbare Hinweise hätten,“ sagte Roy, seine Augen immer noch auf den Schlüsselbund gerichtet. „Aber das Tattoo und die Beschreibung der Männer könnten uns weiterbringen.“
„Und vielleicht enthüllen die Schlüssel etwas, was wir noch nicht wissen,“ fügte ich hinzu.
Zurück im Büro reichten wir den Schlüsselbund zur forensischen Untersuchung weiter und informierten Dr. Fornheim über die Schlüsselfunde – auch wenn wir wussten, dass seine Reaktion wenig erfreut ausfallen würde. In der Zwischenzeit recherchierten wir die möglichen Verbindungen zu Drachen-Tattoos, die in kriminellen Gruppen verwendet wurden.
Zwischen den Munitionsherstellern, den exklusiven Stoffen, dem geheimnisvollen Symbol von Mikas Tätowierung und den neu auftauchenden Zeugen war unser Kopf voller Informationen. Es war klar – die Sache hatte eine weitreichendere Dimension, als wir ursprünglich angenommen hatten.
Hamburg hielt weiterhin seine dunklen Geheimnisse fest umklammert, aber Stück für Stück würden wir sie schonungslos ans Licht zerren. Die Nacht war noch jung, die Fäden im Netz noch unentwirrt, und wir wollten sie so lange verfolgen, bis wir den wahren Puppenspieler entlarvt hatten.
Die Informationen, die wir von Wilhelm und Torben erhalten hatten, brachten uns auf eine neue Spur. Die Beschreibung der Männer und der Hinweis auf das Drachentattoo deuteten möglicherweise auf osteuropäische Verbindungen hin. Dennoch fühlte ich, dass noch mehr hinter diesem Fall steckte. Es blieb keine Zeit zu verlieren.
Dr. Fornheim rief uns schließlich ins Labor, um die Analyse des Schlüsselbunds zu besprechen. Als wir ankamen, erwartete er uns mit einem selbstzufriedenen Lächeln auf den Lippen.
„Ah, Kommissare,“ begann Fornheim, „wie erfreulich, dass Sie es für wert erachten, wieder hierherzukommen. Ich nehme an, Sie sind hier wegen der Schlüssel?“
„Ja, Dr. Fornheim,“ antwortete ich, meine Ungeduld kaum verbergend. „Haben Sie etwas Interessantes gefunden?“
„Selbstverständlich,“ replizierte Fornheim, beinahe beleidigt. „Diese Schlüssel scheinen auf den ersten Blick gewöhnlich, aber sie sind es nicht. Nur ein kurzer Blick darauf genügt, um ihre Einzigartigkeit zu erkennen. Der Rost verrät uns, dass sie dort bereits einige Zeit lagen, bevor sie gefunden wurden.“
„Und was können Sie uns sonst noch darüber sagen?“ drängte Roy.
„Geduldig, Kommissar Müller, geduldig,“ sagte Fornheim spöttisch. „Diese Schlüssel wurden in einer speziellen Legierung hergestellt, die auf eine hochwertige Fertigung hinweist. Es gibt nur wenige Schmieden und Schlossereien in Hamburg, die solche Schlüssel herstellen.“
„Und haben Sie herausgefunden, von welcher Schmiede sie stammen?“ fragte ich.
„In der Tat,“ antwortete Fornheim und lehnte sich arrogant zurück. „Eine renommierte Schlosserei namens "Schmidt & Sons", gelegen in der Speicherstadt. Sie spezialisiert sich auf maßgeschneiderte Schlüssel für exklusive Kunden, darunter auch einige wohlhabende Familien und Firmen aus Hamburg. Wenn Sie dort nachfragen, könnten Sie möglicherweise herausfinden, für welches Schloss diese Schlüssel gemacht wurden.“
„Vielen Dank, Dr. Fornheim,“ sagte ich, obwohl seine Arroganz mir erneut auf die Nerven ging.
Zurück im Präsidium warfen wir die neuen Informationen zusammen und bereiteten uns auf unseren Besuch bei „Schmidt & Sons“ vor. Die Speicherstadt war unser nächster Anlaufpunkt – das historische Ölgemälde Hamburgs, voller alter Geschichten und neuer Geheimnisse.
Als wir die Schlosserei erreichten, trat uns der Duft von Metall und Maschinenöl entgegen. Der Besitzer, Herr Schmidt, ein älterer, freundlicher Mann mit einer Brille, begrüßte uns.
„Guten Tag, meine Herren,“ sagte er und musterte uns über den Rand seiner Brille hinweg. „Wie kann ich Ihnen helfen?“
Ich zeigte ihm den Schlüsselbund. „Wir haben diese Schlüssel bei einem Tatort gefunden und hoffen, dass Sie uns sagen können, für welches Schloss sie gemacht wurden.“
Herr Schmidt nahm die Schlüssel in die Hand, drehte und wendete sie, um jeden Winkel zu begutachten. Schließlich nickte er.
„Ja, diese stammen definitiv von uns,“ sagte er und betrachtete uns durch seine Brillengläser. „Wir fertigen solche Schlüssel oft für besondere Kunden, die höchste Sicherheit wünschen.“
„Können Sie uns sagen, für welchen Kunden diese Schlüssel gemacht wurden?“ fragte Roy.
Herr Schmidt nahm ein großes Buch aus einem alten Holzregal, das vor uns stand. Er blätterte vorsichtig durch die Seiten, bis er schließlich anhielt und die Finger über eine der Einträge gleiten ließ.
„Ah, hier sind sie,“ sagte er schließlich. „Diese Schlüssel wurden für ein Lagerhaus in der Speicherstadt gemacht. Es gehört einem gewissen Herrn Sergey Ivanov.“
Der Name ließ unsere Herzen schneller schlagen. Sergey Ivanov war bekannt als einflussreicher Geschäftsmann mit zwielichtigen Verbindungen, darunter auch zu diversen kriminellen Organisationen.
„Vielen Dank, Herr Schmidt,“ sagte ich, die Aufregung in meiner Stimme kaum verbergend. „Dieser Hinweis ist äußerst hilfreich.“
Zurück im Auto rief ich sofort das Präsidium an, um einen Durchsuchungsbefehl für das Lagerhaus von Sergey Ivanov zu beantragen. Die Verbindung zu Ivanov war ein bedeutender Durchbruch. Wenn wir Glück hatten, könnten wir dort Spuren oder Beweise finden, die direkt zu Mikas Mörder führten.
Eine Stunde später standen wir vor dem Lagerhaus in der Speicherstadt, umgeben von uniformierten Polizisten. Der Durchsuchungsbefehl war schnell gekommen, und wir waren bereit, das Gebäude zu betreten. Die Atmosphäre war angespannt, als wir die Türen aufbrachen und das dunkle Innere betraten.
Das Lagerhaus war ein Labyrinth aus Kisten und Schachteln, in denen sich möglicherweise wichtige Hinweise versteckten. Die Polizisten durchkämmten den Raum systematisch, während Roy und ich uns auf einige besonders auffällige Kisten konzentrierten.
Nach einigen Minuten des Suchens fand Roy eine kleine, unscheinbare Kiste. Er öffnete sie vorsichtig und zog etwas hervor – ein Notizbuch, randvoll mit handschriftlichen Einträgen.
„Das könnte wichtig sein,“ murmelte er und begann, durch die Seiten zu blättern.
Ich entdeckte derweil eine Tür im hinteren Teil des Lagerhauses, die zu einem kleinen Büro führte. Als wir eintraten, fanden wir einen Computer und mehrere Dokumente auf dem Schreibtisch verstreut. Diese Papiere und der Computer könnten uns die Hinweise liefern, die wir brauchten, um den Fall endgültig zu lösen.
Ich rief nach einem unserer IT-Spezialisten, um den Computer zu durchsuchen, während Roy und ich die Dokumente durchgingen. Wir fanden Rechnungen, die auf illegale Transaktionen hinwiesen, und weitere Notizen, die Ivanovs Verbindungen zu Mikas Tod bestätigten.
„Hier ist eine Liste, Roy,“ sagte ich und hielt ein Blatt Papier hoch. „Sie enthält Namen und Daten. Es sieht aus, als ob es eine Art 'Schwarzer Zettel' ist – die Todesliste, über die Kalle gesprochen hat.“
Roy betrachtete die Liste und nickte ernst. „Wir sind nah dran, Uwe. Wenn wir Ivanov finden und verhören können, bringt uns das vielleicht endlich die entscheidenden Antworten.“
Unser nächster Schritt war klar: Wir mussten Sergey Ivanov finden und ihn zur Rechenschaft ziehen. Der Fall war auf dem Weg zur Aufklärung, aber es blieb noch viel Arbeit – und möglicherweise noch mehr Dunkelheit, die ans Licht gebracht werden musste, bevor wir alle Puzzleteile zusammen hatten.
Hamburg hatte uns tief in seine mysteriösen Abgründe gesogen, aber wir waren fest entschlossen, jede Wahrheit ans Licht zu bringen, jede Lüge zu entlarven und Gerechtigkeit für Mika zu erwirken.
Der nächste Morgen begann für mich mit einem schrillen Klingeln meines Handys. Es war noch früh, der Nebel hing schwer über den Straßen und das erste Licht des Tages brach durch die Fensterläden. Ich griff nach dem Handy und sah, dass es eine unbekannte Nummer war. Zögernd nahm ich den Anruf entgegen.
„Jörgensen?“ meldete ich mich knapp.
„Guten Morgen, Kommissar Jörgensen!“ Eine übermäßig freundliche Stimme erklang am anderen Ende der Leitung. „Hier spricht Markus Berger vom Hamburger Abendblatt. Ich habe gehört, dass Sie an einem besonders brisanten Fall arbeiten: der Ermordung von Mika Harmsen. Unsere Leser würden nur zu gerne die neuesten Details erfahren.“
Ich unterdrückte ein Seufzen. „Herr Berger, ich bin mir nicht sicher, woher Sie diese Informationen haben, aber ich kann Ihnen versichern, dass laufende Ermittlungen keine öffentliche Angelegenheit sind.“
„Nun, sicher verstehen Sie, dass die Öffentlichkeit ein Recht auf Information hat,“ drängte der Reporter. „Ein Mord in der Unterwelt, mögliche Verbindungen zu höheren Kreisen - das ist großes Kino. Ich verspreche Ihnen, Ihre Seite der Geschichte wird fair und akkurat wiedergegeben.“
„Herr Berger,“ sagte ich streng, „Sie müssen verstehen, dass solche Berichterstattung unsere Ermittlungen ernsthaft gefährden könnte. Falls Informationen unkontrolliert an die Öffentlichkeit gelangen, könnten Täter gewarnt werden und wichtige Beweise verschwinden lassen. Sie wollen doch sicherlich nicht die Bestrafung der Schuldigen gefährden, oder?“
„Natürlich nicht, Kommissar,“ antwortete Berger, aber seine Stimme war immer noch hartnäckig. „Aber ich habe verlässliche Quellen, die behaupten, dass Sergei Ivanov involviert ist. Ein Name wie seiner macht Schlagzeilen, und das Interesse der Öffentlichkeit ist immens.“
„Ich wiederhole: Ich kann und werde keine Informationen zu einem laufenden Fall preisgeben,“ sagte ich, meinen Tonfall noch ein wenig härter. „Wenn Sie jedoch offizielle Statements benötigen, rate ich Ihnen, unsere Pressestelle zu kontaktieren. Alles Weitere ist vertraulich.“
Ein kurzes Schweigen trat ein. Ich konnte mir vorstellen, wie Berger die Stirn runzelte und überlegte, wie er mich weiter ausfragen konnte. Schließlich seufzte er.
„Gut, Kommissar. Aber ich werde dranbleiben. Dieser Fall hat das Potenzial, eine riesige Story zu werden, und ich gebe nicht so leicht auf.“
„Das ist Ihr gutes Recht, Herr Berger,“ erwiderte ich. „Aber bitte achten Sie darauf, dass Ihre Neugier nicht unseren Ermittlungen in die Quere kommt. Schönen Tag noch.“
Ich legte auf, noch bevor er antworten konnte. Der Kaffee auf meinem Schreibtisch war inzwischen kalt geworden, aber ich tat mir einen neuen ein. Der Anruf hatte lediglich meine Entschlossenheit verstärkt, den Fall so ruhig und diskret wie möglich zu behandeln.
Im Präsidium traf ich Roy, der bereits dabei war, die letzten Informationen von der Durchsuchung des Lagerhauses zu sortieren. „Na, wer hat dich denn so früh aus dem Bett geholt?“ fragte er mit einem Schmunzeln.
„Ein Reporter vom Hamburger Abendblatt,“ antwortete ich und setzte mich an meinen Schreibtisch. „Er wollte Details zum Fall Harmsen.“
„Die Presse kriegt immer Wind von sowas,“ kommentierte Roy und schüttelte den Kopf. „Aber wir müssen aufpassen. Ein falscher Schritt und die ganze Stadt weiß Bescheid.“
„Genau das habe ich ihm auch gesagt,“ stimmte ich zu und nahm einen weiteren Schluck Kaffee. „Wir müssen den Ball flach halten und uns auf die Fakten konzentrieren.“
Einige Stunden später erhielten wir die Nachricht, dass Sergey Ivanov lokalisiert worden war. Er wurde in einem exklusiven Restaurant gesehen – das „Elbpanorama“ in der Hafencity, ein Ort, der oft von wohlhabenden Geschäftsleuten besucht wurde. Gemeinsam mit einem Einsatzteam machten wir uns auf den Weg dorthin.
Das Restaurant lag im obersten Stockwerk eines modernen Glasgebäudes, mit atemberaubendem Blick auf die Elbe. Solch ein luxuriöser Ort schien fast paradox zu den schäbigen Hinterzimmern und dunklen Gassen, in denen der Mord an Mika Harmsen seinen Anfang genommen hatte.
Als wir das Restaurant betraten, schweiften unsere Blicke sofort über die Gästetische. Es dauerte nicht lange, bis wir Sergey Ivanov entdeckten, der an einem Ecktisch saß, vertieft in ein Gespräch mit einem Geschäftspartner. Seine Präsenz war unverkennbar – groß, breitschultrig und mit einem selbstgefälligen Lächeln auf den Lippen, als hätte er die Welt in der Hand.
„Herr Ivanov,“ rief ich laut durch den Raum, als wir uns ihm näherten. „Ich bin Kommissar Jörgensen, und dies ist mein Kollege, Kommissar Müller. Sie müssen mit uns kommen.“
Ivanov hob den Blick, seine Augen flackerten kurz in Überraschung, bevor er sich wieder fasste. „Kommissare, was für eine unerwartete Überraschung. Was kann ich für Sie tun?“
„Das ist keine Bitte, Herr Ivanov,“ sagte Roy entschlossen. „Wir haben einen Durchsuchungsbefehl und einige Fragen an Sie.“
Ohne Widerstand ließ sich Ivanov schließlich von seinem Tisch erheben und uns zum Präsidium begleiten. Unsere Umgebung wechselte von der eleganten Kulisse des Restaurants zur nüchternen Atmosphäre des Verhörzimmers. Sergeys düsteres Lächeln blieb jedoch unverändert.
„Also, wollen wir anfangen?“ fragte er lässig, als er sich setzte.
„Oh ja, Herr Ivanov,“ antwortete ich ruhig und setzte mich ihm gegenüber. „Wir haben viele Fragen und ich bin sicher, dass Sie uns gerne behilflich sein werden.“
Das Verhör versprach spannend zu werden. Jede Information, jedes kleinste Detail musste sorgsam analysiert werden, um die Puzzleteile zusammenzuführen. Wir standen kurz davor, die Schatten von Hamburgs Unterwelt gänzlich zu erhellen.
Hamburgs Geschichten waren düster und verworren, aber wir würden sie entwirren – eine Antwort nach der anderen, bis die gesamte Wahrheit aufgedeckt war. Der Fall Harmsen würde gelöst werden, davon war ich überzeugt. Und das Schicksal der Verbrecher – ob in noblen Restaurants oder dunklen Gassen – würde sie letztendlich einholen.
Das Verhör mit Sergey Ivanov begann zäh und schleppend. Obwohl wir wussten, dass er tief in diesen Fall verwickelt war, blieben seine Antworten ungenau und ausweichend. Doch wir ließen uns nicht entmutigen. Schritt für Schritt, Frage für Frage, arbeiteten wir uns durch seine Aussagen.
„Herr Ivanov,“ begann ich ernst, „wir wissen, dass Sie in der Nacht von Mika Harmsens Tod in der Nähe des Hafens gesehen wurden. Wir haben Zeugen und nun auch handfeste Beweise, die Ihre Anwesenheit belegen. Möchten Sie das noch immer bestreiten?“
Sergey lehnte sich zurück und musterte uns durch seine schiefen Augenbrauen, als ob er einen Weg suchte, durch unsere eisernen Vorwürfe zu dringen. „Sie interpretieren da etwas falsch, Kommissar,“ sagte er leise, aber fest. „Ja, ich war am Hafen. Aber nur für geschäftliche Angelegenheiten, nichts Illegales.“
„Geschäftliche Angelegenheiten? Mit wem genau?“ fragte Roy, seine Augen funkelten.
„Dinge, die einen ehrlichen Geschäftsmann wie mich betreffen,“ antwortete Ivanov mit einem sardonischen Lächeln. „Handelsware. Nichts, was Sie interessiert.“
Fast zeitgleich klopfte es an der Tür des Verhörzimmers. Ein uniformierter Beamter trat ein und reichte mir eine Mappe voller Dokumente. „Die Ergebnisse der forensischen Analyse von den Dokumenten aus dem Lagerhaus, Sir,“ sagte er knapp.
Ich bedankte mich und öffnete die Mappe. Was ich darin las, ließ mein Herz schneller schlagen. „Interessant, Herr Ivanov,“ sagte ich langsam. „Es scheint, als ob Ihr Name nicht nur durch Zufall auf diesen Dokumenten auftaucht.“
„Was meinen Sie?“ fragte Ivanov, jetzt sichtbar nervöser.
„Diese Papiere,“ erklärte ich und hielt eine Kopie hoch, „zeigen eindeutig Ihre Unterschrift unter mehreren Transaktionen mit illegalen Waren. Nicht nur das, diese Dokumente führen uns direkt zu den Wurzeln eines Netzwerks, das Sie zu leiten scheinen. Ein Netzwerk, das auch Mika Harmsen zum Opfer fiel.“
Ivanovs Gesicht blieb ausdruckslos, aber ich konnte die Nervosität in seinen Augen flackern sehen. Roy nutzte die Gelegenheit, um ihm weiter zuzusetzen.
„Und dann gibt es da noch diese Todesliste, die bei Ihnen gefunden wurde,“ fügte Roy hinzu, „eine Liste mit Namen, darunter Mika Harmsen. Wollen Sie immer noch behaupten, dass Ihre Nähe zum Tatort Zufall war? Dass Ihre Geschäfte weniger dunkel sind, als sie scheinen?“
Mit jeder Sekunde wurde Ivanov’s Widerstand schwächer. Er begann Schweißperlen auf seiner Stirn zu zeigen und fuhr sich nervös durch das Haar. „Ich bin nicht der Kopf dieses Netzwerks,“ sagte er schließlich. „Ich habe nur Anweisungen befolgt. Es gibt jemanden, der viel gefährlicher und einflussreicher ist als ich.“
Endlich kamen wir der Wahrheit näher. Ivanov war bereit, mehr preiszugeben, um seine eigene Haut zu retten. Während der nächsten Stunde legte Ivanov dar, wie er unter Druck gesetzt wurde, bestimmte Aktionen durchzuführen, einschließlich der Beseitigung von Mika. Er entfaltete eine Geschichte von Macht, Gewalt und Angst, die das organische Netzwerk enthüllte, das Hamburgs Unterwelt wirklich kontrollierte.
„Wer ist dieser einflussreiche Drahtzieher?“ fragte ich hartnäckig. „Wenn Sie uns helfen, ihn zu fassen, könnte das Ihre Strafe mindern.“
Ivanov zögerte, dann flüsterte er: „Vladimir Petrov. Er ist der wahre Kopf hinter allem. Er zieht die Fäden. Ich bin nur einer von vielen, die für ihn arbeiten.“
Vladimir Petrov. Der Name klang wie ein Echo alter Geheimnisse und neuer Gefahren. Petrov war ein berüchtigter Name, einer, der mit dunklen Geschäften und skrupellosen Verbrechen in Verbindung gebracht wurde, aber es war schwer gewesen, etwas Konkretes gegen ihn in der Hand zu haben – bis jetzt.
„Gut, Herr Ivanov,“ sagte ich und unterdrückte einen Hauch von Triumph in meiner Stimme. „Ihre Kooperation wird notiert werden. Aber erwarten Sie keine Schonung. Wir haben Ihre Verbrechen nicht vergessen.“
Nachdem Ivanov von den Beamten abgeführt war, wandte ich mich an Roy. „Das ist der Durchbruch, den wir brauchten,“ sagte ich entschlossen. „Jetzt wissen wir, wer wirklich hinter dem Mord an Mika steckt. Es ist Zeit, Petrov zur Strecke zu bringen.“
„Ich stimme zu,“ sagte Roy und lehnte sich zurück. „Wir müssen alles mobilisieren, was wir haben. Jeder verfügbare Mann, jede Fäden müssen wir nachgehen. Petrov darf nicht entkommen.“
Die Operation, Petrov zu fassen, war komplex und riskant. Er war gut geschützt und hatte Kontakte in der gesamten Stadt. Doch mit jeder Stunde, die verging, sammelten wir Beweise und bündelten unsere Kräfte. Wir informierten unsere Vorgesetzten und die Staatsanwaltschaft, während wir einen sorgfältig ausgearbeiteten Plan entwickelten, um Petrov und sein Netzwerk zu zerschlagen.
Der Morgen dämmerte, als das Einsatzteam schließlich bereit war, zuzuschlagen. In einem großen koordinieren Einsatz stürmten wir mehrere Liegenschaften gleichzeitig, die alle zu Petrov und seinem Netzwerk gehörten. Die Überraschung war unser größter Vorteil.