Handbuch naturwissenschaftliche Bildung - Gisela Lück - E-Book

Handbuch naturwissenschaftliche Bildung E-Book

Gisela Lück

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Beschreibung

Dieses Handbuch ist in Kitas nicht mehr wegzudenken, wenn es um die Vermittlung naturwissenschaftlicher Bildung geht. Der Ansatz - eine gelungene Mischung aus Theorie und Praxis - hat sich bewährt und ist seit jahrzehnten praxiserprobt und -tauglich. Gisela Lück hat ihr bewährtes Grundlagenwerk teilweise überarbeitet. Der Kern, ein entwicklungspsychologisch begründetes Konzept, in dessen Mittelpunkt, die kindliche Neugier an naturwissenschaftlichen Phänomenen steht, bildet weiterhin das zentrale Element dieses Werkes.

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Meinem früheren Kinderarzt

Dr. Dietrich C. Zschocke

in tiefer Dankbarkeit gewidmet

10., durchgesehene und aktualisierte Auflage 2022

© Verlag Herder GmbH, Freiburg im Breisgau 2003

Alle Rechte vorbehalten

www.herder.de

Umschlaggestaltung: Verlag Herder

Umschlagmotiv: © Gokcemim / AdobeStock

Fotos im Innenteil: © Gisela Lück

Illustrationen im Innenteil: © Nikolai Renger

E-Book-Konvertierung: Newgen Publishing Europe

ISBN (Print) 978-3-451-39308-2

ISBN (EPUB) 978-3-451-82805-8

ISBN (PDF) 978-3-451-82806-5

Inhalt

Vorwort

Einleitung – ein Blick zurück und nach vorne

Teil I: Die Theorie

1 Stolpersteine der frühen Naturwissenschaftsvermittlung: „Bio“ ist nicht alles

2 Die Naturwissenschaften im elementarpädagogischen Bildungsauftrag

2.1 Bildungsvereinbarungen bzw. -pläne mit naturwissenschaftlichen Inhalten

2.2 Luft ist nicht nichts – ein Experiment mit vielen Bildungsfacetten

3 Was Vorschulkinder verstehen können: Entwicklungs- und kognitionspsychologische Konzepte

3.1 Die kognitionspsychologische Sichtweise Piagets

3.2 Die psychoanalytisch geprägte Entwicklungspsychologie Eriksons

3.3 Die soziokulturellen Aspekte der Entwicklungspsychologie Wygotskis

3.4 Piaget – Erikson – Wygotski: Wann ist ein guter Zeitpunkt für den Beginn mit naturwissenschaftlicher Bildung?

3.5 Bereichsspezifisches Wissen

3.6 Neurophysiologische Aspekte zum naturwissenschaftlichen Lernen

4 Was Kinder bereits wissen

4.1 Intuitive Zugänge zu Naturphänomenen

4.2 Wenn intuitives Wissen auf naturwissenschaftliche Erklärungen trifft – die Conceptual-Change-Theorie

5 Motivationale Aspekte der Naturwissenschaftsvermittlung

5.1 Interesse im frühen Kindesalter

5.2 Extrinsische und intrinsische Motivation

5.3 Vom Interesse zur Glückserfahrung

6 Ein Kapitel zur Inklusion oder: Naturwissenschaftliche Bildung für Kinder mit Förderbedarf – in Erfahrungsbericht

6.1 Berichte von Einzelfallstudien

6.2 Die Zuverlässigkeit der Naturgesetze als innerer Halt – die „kosmische Ordnung“

6.3 Resilienzerfahrung und naturwissenschaftliche Bildung

6.4 Studien mit Patientinnen und Patienten der Kinder- und Jugendpsychiatrie

7 Was bleibt hängen? Zur Nachhaltigkeit frühzeitiger Naturwissenschaftsvermittlung

7.1 Die Erinnerungsfähigkeit von Vorschulkindern

7.2 Langzeitwirkungen einer frühen Heranführung an die Naturwissenschaften

8 Die naturwissenschaftliche Deutung des Experiments – nicht einfach, aber wichtig

8.1 Die unterschiedlichen Abstraktionsebenen bei der Deutung eines Naturphänomens

8.2 Die Analogie als Instrument der naturwissenschaftlichen Deutung

8.3 Die animistische Deutung

9 Die Bedeutung der sinnlichen Erfahrung beim naturwissenschaftlichen Experimentieren

9.1 Warum Sprache oft höher bewertet wird als die Sinne: Ein kleiner Ausflug in die Philosophie

9.2 Mit Sinn und Verstand: Die Perspektive der ­Entwicklungspsychologie

9.3 Sinnliche Erfahrung und kognitive Entwicklung beim Experimentieren

9.4 Die Rolle der Ästhetik beim naturwissenschaftlichen Experimentieren

10 Sprachförderung durch naturwissenschaftliche Frühförderung

10.1 Naturwissenschaftliches Experimentieren als Quelle von Sprechanlässen

10.2 Kinder brauchen Geschichten – auch beim naturwissenschaftlichen Experimentieren

11 Was Medien zur frühen Naturwissenschaftsvermittlung beitragen

11.1 Naturwissenschaftsvermittlung durch Fernsehsendungen

11.2 Naturwissenschaften für den Bücherwurm

11.3 Experimentierkästen für Kinder

11.4 Science Center, Mitmachlabors und Kinderuniversitäten

11.5 Kinder und elektronische Medien

Resümee

Teil II: Die Praxis

Experimentieren mit Kindern

Die Experimentiertage

Vorbereitung und Ablauf eines Experimentiertages

Anforderungen zur Durchführung von Experimenten

Experimentierreihe I: Luft und Gas, Feuer und Lösungen

1. Experimentiertag: Luft begreifen

1.1 In einem leeren Glas ist Luft enthalten

1.2 Trockentauchgang für Gummibärchen

2. Experimentiertag: Luft hat Eigenschaften

2.1 Luft ist ein Gegenstand, der umgefüllt werden kann

2.2 Luft dehnt sich beim Erwärmen aus

3. Experimentiertag: Luft und die Kerze

3.1 Die Kerze benötigt zum Brennen Luft

3.2 Das Löschen der Kerze genau betrachtet

3.3 Das Löschen der Kerze – und ein bisschen Mathematik

4. Experimentiertag: Es gibt noch andere Gase als Luft

4.1 Kerze löschen durch Übergießen mit Kohlenstoffdioxid

4.2 Kerze löschen durch Verdrängen der Luft im Glasschälchen von unten

4.3 Drei Teelichter in einer Glasschüssel erlöschen nacheinander

5. Experimentiertag: Die Löslichkeit von Feststoffen in Wasser

5.1 Die Löslichkeit von Feststoffen in kaltem Wasser

5.2 Die Löslichkeit von Feststoffen in warmem Wasser

6. Experimentiertag: Wiedergewinnen von Feststoffen aus Lösungen

Experimentierreihe II: Wasser

7. Experimentiertag: Die Wasseroberfläche und die Mischbarkeit von Flüssigkeiten

7.1 Die Oberflächenspannung von Wasser

8. Experimentiertag: Schwimmen und Sinken

9. Experimentiertag: Unterschiedliche Saugfähigkeit von Materialien und was dahintersteckt

10. Experimentiertag: … noch mehr Eigenschaften von Wasser

10.1 Warum Kirschen im Regen platzen – Das Phänomen der Diffusion

10.2 Eine Gurke wird entwässert

10.3 Wiederholung vom letzten Tag: Saugfähigkeit einmal anders

11. Experimentiertag: Chromatografie – oder: Die Farbenpracht des schwarzen Filzstifts

12. Experimentiertag: Naturphänomene sind dufte

12.1 Lavendelparfüm selbst gemacht

12.2 Herstellung eines Zitronenöls

12.3 Eigenschaften ätherischer Öle

12.4 Duftöl verduftet

Experimentierreihe III: Lebensmittel

13. Experimentiertag: Vitamine

13.1 Mit Vitamin C Nahrungsmittel haltbar machen

13.2 Nicht alles, was gesund ist, ist wasserlöslich oder: Woher hat die Möhre ihre Farbe?

14. Experimentiertag: Rund ums Ei

14.1 Kann ein hart gekochtes Ei wieder flüssig werden?

14.2 Verhalten von Eiweiß bei Zugabe von Säure

14.3 Die Eierschale – oder: Was die Dolomiten und die Eierschale miteinander verbindet

15. Experimentiertag: …noch einmal Kohlenstoffdioxid

15.1 Brausepulver und Brauselimonade – selbst gemacht

15.2 Entkalken einmal chemisch betrachtet

16. Experimentiertag: Farbindikatoren

16.1 Rotkohl oder Blaukraut?

16.2 Schwarzer Tee – mit Zitrone oder mit Backpulver?

17. Experimentiertag: Milch

17.1 Aus Sahne wird Butter

17.2 Ein Kleber zum Selbermachen: Casein-Kleber

Schlussbemerkung

Glossar der chemischen Begriffe

Literatur

Internetadressen

Über die Autorin

Vorwort

Seit 2003 liegt das ‚Handbuch naturwissenschaftliche Bildung in der Kita‘ nun schon in der dritten völlig überarbeiteten Auflage vor – der anfänglich eher unbeliebte Bildungsinhalt scheint inzwischen nicht nur etabliert zu sein, sondern sogar an Beliebtheit deutlich dazugewonnen zu haben. Das zeigen auch einige Fakten: Seit über 20 Jahren hat naturwissenschaftliche Frühbildung als Teil des Bildungsauftrags im Elementarbereich einen festen Platz. Sie wird inzwischen nicht nur in den meisten Einrichtungen praktiziert, darüber hinaus haben die naturwissenschaftlichen Themen auch zu neuen Vernetzungen der Kita geführt: Mitmachlabors in Universitäten und Industrieunternehmen bieten seit vielen Jahren Experimentiertage für Kinder an. Science Center, vor 20 Jahren noch so gut wie unbekannt, verzeichnen einen großen Besucherandrang gerade von Familien mit kleinen Kindern.

Aber wie steht es um die Beliebtheit naturwissenschaftlicher Themen bei Kindern? Auch bei dieser Frage helfen Fakten weiter: Nicht nur Untersuchungsergebnisse, auf die im Handbuch noch näher eingegangen werden, weisen auf das frühkindliche Interesse am Experimentieren und an Fragen zur Natur hin, auch die vom Buchhandel jährlich veröffentlichten beliebtesten Kindersachbücher werden 2021 mit naturwissenschaftlichen Themen und Experimentierbüchern angeführt. Das war vor 20 Jahren noch völlig anders. Gute Experimentierbücher gab es kaum oder lagen als schwer verständliche Übersetzungen aus dem Englischen vor, wobei viele der Experimente kaum nachvollziehbare Deutungen enthielten.

Ganz entscheidend für die kindgerechte Implementierung der frühen naturwissenschaftlichen Bildung waren aber weder Politik noch Experimentierangebote von außen, sondern vor allem die ErzieherInnen, die tagtäglich mit den Kindern den Kindergartenalltag gestalten. Nicht selten hatten sie die Unterrichtsfächer Chemie und Physik selbst aus dem eigenen Unterricht in wenig guter Erinnerung und die Hürde, sich nun dennoch mit diesen Themen zu befassen, war verständlicherweise groß.

Es ist daher sehr zu begrüßen, dass auch Ausbildungsinstitutionen für den Elementarbereich – seien es Sozialfachschulen oder Fachhochschulen – auf die Notwendigkeit reagiert haben, zukünftige ErzieherInnen behutsam an Naturphänomene und die Kunst der Vermittlung heranzuführen.

Zahlreiche pädagogische Fachkräfte PädagogInnen, deren Ausbildung nun schon einige Zeit zurückliegt, haben sich selbst auf den Weg gemacht, sich die erforderlichen Grundlagen zu erarbeiten. Ohne sie wäre eine so große Akzeptanz der naturwissenschaftlichen Bildung, wie sie inzwischen selbstverständlich ist, nicht möglich gewesen!

In der Bildungslandschaft gibt es immer wieder neue Strömungen, die z. T. ältere Themen verdrängen oder überlagern. Aufgrund von aktuellen Entwicklungen sind derzeit vor allem Sprachförderung, Inklusion und Digitalisierung in den Vordergrund gerückt. Dies hat aber kaum dazu beigetragen, dass die naturwissenschaftliche Bildung wieder verdrängt wurde, im Gegenteil, oft werden Inhalte zu Naturphänomenen mit anderen Bildungsanforderungen vernetzt, wozu im Handbuch an vielen Stellen auch Einsatzmöglichkeiten aufgezeigt werden. Hier nur so viel: Experimente zu Naturphänomenen werden nicht schweigend durchgeführt. Allein die Benennung der beim Experimentieren notwendigen Materialien hat viel mit Wortschatzerweiterung zu tun.

Aber es gibt auch Schattenseiten bei der frühkindlichen Heranführung an Experimente: Hin und wieder steht das „Pauken“ anstelle der lustvollen Erfahrung des Experimentierens und Hinterfragens im Vordergrund. Dann kann das zarte Pflänzchen der kindlichen Freude an Naturphänomenen schnell verwelken. Manch eine Fortbildungsinstitution setzt sich mitunter zu ehrgeizige Ziele bei der Verbreitung und Implementierung frühkindlicher Naturwissenschaftsbildung und verliert dabei das eigentliche Anliegen aus den Augen, nämlich den natürlichen Forscherdrang des einzelnen Kindes zu unterstützen.

Umso wichtiger ist es daher, mit Behutsamkeit und pädagogischem Weitblick dem naturwissenschaftlichen Bildungsbereich zu begegnen. Wann immer möglich und notwendig soll darauf in der überarbeiteten Neuauflage verwiesen werden. Aufbauend auf ausgewählten Forschungsergebnissen werden zudem die Möglichkeiten, aber zugleich auch die Grenzen dieses Bildungsbereichs aufgezeigt.

Ich bin weiterhin zuversichtlich, dass naturwissenschaftliche Themen auch in Zukunft auf kindgerechte Weise in unseren Kindergärten Bestand haben werden. In den letzten Jahren habe ich bei vielen Vorträgen das Engagement und die Begeisterungsfähigkeit gerade der Zielgruppe erleben können, auf die es im Kindergarten ankommt – der Pädagoginnen und Pädagogen des Elementarbereichs, die sich mit Herzblut in ihrem Beruf einsetzen. Das hat mir gezeigt, dass der naturwissenschaftliche Bildungsbereich auf dem richtigen Weg ist.

Ich danke allen MitstreiterInnen, die Kindergartenkinder schon früh liebevoll an kindgerechte naturwissenschaftliche Experimente heranführen und mit ihnen gemeinsam Antworten auf Fragen zur Natur zu erarbeiten.

Gisela Lück

Einleitung – ein Blick zurück und nach vorne

Naturwissenschaftliche Bildung in der frühen Kindheit ist bei Weitem nichts Neues. Verfolgt man die Entwicklung über einen langen Zeitraum, dann ist zu beobachten, dass es wie bei einer Pendelbewegung ein häufiges Hin und Her gab: Auf eine Naturwissenschaftseuphorie folgte wenig später die große Ernüchterung. Aus diesem Wechselspiel sollten wir lernen, damit die derzeitigen naturwissenschaftlichen Bildungsinhalte diesmal Bestand haben, und deshalb werfen wir gleich zu Beginn einen kurzen Blick in die nicht allzu ferne Vergangenheit.

Küchenlabors im viktorianischen England

Im 18. und 19. Jahrhundert erlebten die Naturwissenschaften eine nie zuvor gekannte Blüte in Europa, vor allem in Deutschland, Frankreich, England und Italien. Es wurden ständig neue Entdeckungen hervorbracht, die das alltägliche Leben erleichterten – etwa die Erfindung des elektrischen Lichts, die Entwicklung wirksamer Medikamente oder die erstmalige Herstellung künstlicher Düngemittel, die die Ernährung der ständig zunehmenden Bevölkerung sicherstellte.

Naturwissenschaftsbegeisterung im 19. Jh.

Vor allem das Bürgertum des viktorianischen Englands wurde in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von einer Welle der Naturwissenschaftsbegeisterung erfasst, die es zuvor nicht gegeben hatte. Das Interesse an Chemie und Physik war so verbreitet, dass viele Familien ihre eigenen kleinen Labors einrichteten, um die neuen Entdeckungen bei sich zu Hause nachzuvollziehen, sodass sie auf diese Weise Anteil am Zeitgeschehen hatten. Entsprechend groß war auch die Nachfrage an Büchern mit einfachen chemischen und physikalischen Experimenten, die oft auch am Küchentisch durchgeführt wurden, wenn es für ein eigens Labor keinen Platz gab. Das Buch „The Science of Home Life“ (sinngemäß übersetzt „Naturwissenschaften in unserem Haushalt“) von Albert James Bernays oder das Buch „Chemical Recreations“ (zu Deutsch „Unterhaltsame Chemie-Experimente“) von John Joseph Griffin erfreuten sich schon in Kürze zweistelliger (!) Auflagen (vgl. Bernays 1862 und Griffin 1854). Nicht selten wurde die in diesen Büchern beschriebene Küchenchemie als gemeinsamer Zeitvertreib in der Familie durchgeführt: Man ließ z. B. ein Stück Kreide in ein Glas mit Essig fallen, beobachtete, wie es sprudelte, und goss das entstandene Gas über eine Kerzenflamme, wodurch diese zur allgemeinen Verblüffung sofort gelöscht wurde. Auch in Teil II dieses Handbuchs Buchs wird dieses Experiment beschrieben (vgl. 3. Experimentiertag, S. 172).

Entsprechend groß war auch das öffentliche Interesse an naturwissenschaftlichen Vorlesungen. Wenn Humphry Davy, einer der Begründer der Elektrochemie und Entdecker zahlreicher chemischer Elemente, Vorträge an der Londoner Royal Institution hielt, versammelten sich große Menschenmengen vor den Sälen und blockierten mit ihren Kutschen sogar die Straßen. Es ist überliefert, dass auch Kinder an diesen Ereignissen teilnahmen und noch viele Jahre später nachhaltig beeindruckt waren.

Ein Schüler Davys, Michael Faraday, ließ es sich nicht nehmen, alljährlich zur Weihnachtszeit Vorlesungen für Kinder und Jugendliche abzuhalten, die zu einer Art „Straßenfeger“ in London wurden, so etwa seine berühmte Vorlesungsreihe „Naturgeschichte einer Kerze“ (Faraday 1979).

Abb. 1: Michael Faraday bei seiner Weihnachtsvorlesung am 27. Dezember 1855 (Lithographie von Alexander Blaikley).

Der Sputnikschock und seine Folgen

Ressentiments gegen Naturwissenschaften in den 1970er-Jahren

Eine zweite Welle der Naturwissenschaftseuphorie liegt zwar weniger lange zurück, gerät aber allmählich ebenfalls in Vergessenheit. Sie erfasste auch die Menschen hierzulande: Als die Sowjetunion 1957 den ersten künstlichen Erdsatelliten Sputnik 1 erfolgreich startete, nachdem die USA dies vergeblich versucht hatten, führte dies im damaligen Kalten Krieg in den westlichen Industrienationen zu einer drastischen Änderung der Bildungsinhalte. Der sogenannte Sputnikschock hatte zur Folge, dass auch in Deutschland zu Beginn der 1970er-Jahre die Unterrichtslehrpläne neu formuliert und gerade auch jüngeren Kindern das Lernen von Chemie und Physik nahegebracht (oder besser gesagt: „verordnet“) wurde. Anders als bei der ersten Welle strebte man dabei allerdings – wie so oft in diesen Fällen – ein Extrem an, das an den Interessen und kognitiven Möglichkeiten der Kinder vorbeiging. Durch eine Mathematisierung der Naturphänomene und unnötigen Formeldrill wurde das aufkeimende kindliche Naturinteresse schon bald nachhaltig erstickt. Die Reaktionen blieben nicht aus: Desinteresse, ja sogar Ressentiments machten sich gegenüber den Naturwissenschaften breit. Die Folgen ließen nicht lange auf sich warten: Eine späte Einführung der Naturwissenschaften (meist erst ab Klasse 7) und die resolute Streichung aller naturwissenschaftlichen Inhalte aus den Lehrplänen der Fachschulen für Sozialpädagogik waren die Folgen. Diese naturwissenschaftliche Lücke bestimmten fast 30 Jahre unser Bildungssystem. Noch heute sind daher für manchen Erwachsenen chemische und physikalische Zusammenhänge unbekannt oder unverständlich.

TIMSS und PISA – Stärkung für ein erst zartes Pflänzchen naturwissenschaftlicher Frühbildung

Mitte der 1990er-Jahre wurde seitens der Frühpädagogik wieder wahrgenommen, dass Kinder schon im Vorschulalter mit großem Interesse die Vorgänge ihrer Umgebung verfolgen und ihre Zusammenhänge ergründen wollen. Nicht von ungefähr waren Naturwissenschaftssendungen für Kinder schon seit Jahrzehnten ein Renner (vgl. Kapitel 11). Als Ende der 1990er-Jahre die ersten Studien zur Naturwissenschaftsvermittlung im Elementarbereich vorlagen (vgl. Lück 2000), bereiteten sich zahlreiche Bundesländer vor, neben biologischen Themen nun auch chemische und physikalische Inhalte in den Bildungsempfehlungen aufzunehmen. Naturwissenschaftliche Bildung wurde zu einem der wichtigsten Themen der pädagogischen Fachtage im Elementarbereich.

„Pisa-Schock“ 2001

Durch diese Entwicklung wurde gerade die Kita zu der Bildungsinstitution, die besonders gut auf die 2001 publizierten PISA-Ergebnisse vorbereitet war. Diese bescheinigten den deutschen 15-Jährigen nämlich, dass ihre Leistungen in Lesen, in der Mathematik und in den Naturwissenschaften im internationalen Vergleich nur unterdurchschnittlich waren (vgl. Deutsches PISA-Konsortium 2001, S. 230 ff.) und das überraschte hierzulande die Bildungspolitik sehr, obwohl auch die TIMSS-Studie von 1996 zu vergleichbaren Ergebnissen kam, die allerdings weniger Presseresonanz fanden (vgl. Baumert, Lehmann et al. 1997, S. 98).

Dieser „PISA-Schock“ gab der naturwissenschaftlichen Bildung im Elementarbereich Auftrieb und die bereits vorliegenden Konzepte wurden erweitert und verbreitet.

Damit schwang das Pendel endlich wieder in Richtung Naturwissenschaftsvermittlung zurück – und zwar mit der Wucht von 30 Jahren aufgestauten Verharrens und zugleich mit der Gefahr einer erneuten Überforderung der Kinder und der pädagogischen Fachkräfte. Der Ruf wurde laut, statt bildungspolitischem Aktionismus und gut gemeinten Reformbemühungen mehr Behutsamkeit an den Tag zu legen, damit das kindliche Interesse nicht unter einem möglichen Naturwissenschaftsdrill verschüttet werde.

Die durchaus berechtigte Sorge, die Fehler der 1970er-Jahre zu wiederholen, war groß, und es wurden daher Fragen diskutiert, die in den früheren Naturwissenschaftswellen bislang keine Rolle gespielt hatten: „Ist die Vorschule aus Sicht der Entwicklungspsychologie überhaupt schon in der Lage, Naturphänomene begreiflich zu machen, ohne das Kind zu überfordern?“ oder „Welche Konsequenzen hat es, ein Kind schon so früh in Kognitionsprozesse einzubinden?“ Ganz zentral wurde die Frage der kindgerechten Heranführung an Naturphänomene, also der didaktische und lernpsychologische Aspekt, in den Mittelpunkt gerückt.

TIMSS belegt inzwischen Erfolge naturwissenschaftlicher Frühbildung

Dass die frühe naturwissenschaftliche Bildung nun nachhaltig Erfolg zeigte, belegen die TIMSS-Studien von 2011, wonach am Ende der 4. Klasse Grundschulkinder gerade in den Naturwissenschaften deutlich aufgeholt haben (vgl. Bos 2011), was in der TIMSS-Studie von 2019 in weiten Teilen bestätigt werden konnte (vgl. Schwippert, Kasper et al. 2019). Hieran hat natürlich auch die Grundschule einen erheblichen Anteil, denn auch die Lehrpläne für den naturwissenschaftlichen Sachunterricht wurden quantitativ erheblich ausgeweitet und qualitativ angehoben (vgl. Brüggemeyer 2018, S. 9). Einen erneuten Dämpfer brachte der PISA-Vergleichstest, der 2019 erschien (Erhebungszeitraum 2018, Anzahl der teilnehmenden SchülerInnen aus Deutschland nur 5500), nach dem 15-jährige SchülerInnen weniger Punkte erzielten als noch 2016 – nicht nur beim Leseverständnis und bei mathematischen Aufgaben, sondern auch in den Naturwissenschaften – aber immer noch über dem OECD-Durchschnitt liegen (vgl. Reiss, Weiss et al 2018). Dies zeigt, dass die bisher gemachten naturwissenschaftlichen Fortschritte in der Elementarbildung trotz immer wieder neuer aktueller Herausforderungen niemals aufgegeben werden sollten.

Ein fester Platz für naturwissenschaftliche Bildung

Heute ist naturwissenschaftliche Bildung in allen Bundesländern fest verankert, aber deren Bedeutung im Bewusstsein vieler pädagogischer Fachkräfte Pädagogen droht angesichts vieler neuer Anforderungen überlagert zu werden.

Natürliches Interesse wahren ohne Lernstress

Dieses Buch soll daher dazu beitragen, zum einen die Grundlagen naturwissenschaftlicher Frühbildung in Theorie und Praxis zu vermitteln und zum anderen die Vernetzungsmöglichkeiten mit weiteren anderen Bildungsbereichen aufzuzeigen.

Für diejenigen, die noch wenig Erfahrung mit Naturwissenschaftsvermittlung in der Kita haben, werden Hilfestellungen zum Einstieg ins naturwissenschaftliche Experimentieren mit Kindern gegeben. Gleichzeitig soll es dazu beitragen, dass die frühkindliche Heranführung an Naturphänomene mit Augenmaß betrieben wird, sodass das natürliche Interesse der Kinder im Blick bleibt, ohne einen zu frühen Lernstress in Gang zu setzen.

Deshalb beginnt das vorliegende Handbuch zur naturwissenschaftlichen Bildung im ersten Teil mit theoretischen Aspekten: Nach einer kurzen Einführung in den naturwissenschaftlichen Bildungsbegriff wird in Ausführungen zur Entwicklungspsychologie mit dem alten Vorurteil aufgeräumt, dass Kinder im Vorschulalter noch „zu klein“ für einen Zugang zu Naturphänomenen seien. Diese Überlegungen werden durch Erkenntnisse der Neurobiologie unterstützt. In weiteren Kapiteln folgen Ausführungen zu kindlichen Zugängen zu Naturphänomenen, die bereits intuitiv angelegt sind, zur Interessensbildung bei Kindern zum Thema Naturphänomene, zu ihrer Erinnerungsfähigkeit in Bezug auf die Deutung durchgeführter Experimente, zur Rolle der Animismen im Vermittlungsprozess sowie zur Bedeutung der sinnlichen Dimension beim naturwissenschaftlichen Experimentieren. Ein ausführliches Kapitel befasst sich schließlich mit der Aufarbeitung naturwissenschaftlicher Themen in den Kindermedien.

Der zweite Teil dieses Buches widmet sich ausschließlich der Praxis. Hier wird für 17 Experimentiertage eine Auswahl von 35 Experimenten vorgestellt, die für den Elementarbereich zusammengestellt und dort über viele Jahre hinweg evaluiert wurden. Neben einer ausführlichen Beschreibung der Experimentdurchführung wird dabei ganz besonders viel Wert auf die Deutung des Phänomens und deren Vermittlung an Kinder gelegt.

… Und um zum Anfang zurückzukehren: So manch ein Küchenchemie-Experiment, das im 19. Jahrhundert das viktorianische Bürgertum begeisterte, hat auch heute noch nichts an Attraktivität verloren und ist daher auch in der vorliegenden Sammlung von Experimenten für den Elementarbereich dabei.

Ich wünsche Ihnen und den Kindern viel Spaß beim Experimentieren, Staunen und Begreifen.

Teil I:

Die Theorie

1 Stolpersteine der frühen Naturwissenschaftsvermittlung: „Bio“ ist nicht alles

In seiner packenden Autobiografie erinnert sich der Mediziner und Neurologe Oliver Sacks (1933–2015), wie er in seiner rund 60 Jahre zurückliegenden Kindheit an Naturphänomene herangeführt wurde: „Ständig bombardierte ich meine Eltern mit Fragen. Woher die Farben kämen. Wie es meiner Mutter gelinge, die Flamme des Gasbrenners zu entzünden. Was mit dem Zucker geschehe, wenn man ihn in den Tee rühre. Wo er bleibe. Warum sich Blasen bildeten, wenn Wasser koche …“ (Sacks 2003, S. 10). Und etwas später schreibt er einen Satz, der angesichts seiner späteren Naturwissenschaftlerkarriere eigentlich gar nicht verwunderlich ist: „Meistens ging meine Mutter geduldig auf meine Fragen ein …“ (ebd., S. 10 f.).

Frühes Interesse an Phänomenen der unbelebten Natur

So wie es dem fünfjährigen Oliver vor vielen Jahrzehnten erging, so fordern auch heute noch Kinder im Vorschulalter mit „Warum-Fragen“ Antworten auf ihre Neuentdeckungen ein, wie etwa, warum es nachts dunkel wird oder warum die Sonne heiß ist.1 Kinder im Vorschulalter sind nicht nur an der Tier- und Pflanzenwelt, sondern gerade auch an Phänomenen der unbelebten Natur interessiert.

Häufig wird dann aber nicht – wie im Falle von Oliver Sacks – die Mutter zur Stelle sein können, um kindgerechte Antworten zu geben und zu weiteren Fragen zu inspirieren. Stattdessen wird nicht selten mit Sätzen wie: „Dafür bist du noch zu klein.“ von der eigenen Unwissenheit abgelenkt oder Ungeduld kaschiert. Gerade wir, die wir den Bildungsauftrag erfüllen wollen und im Staffellauf der Generationen das Wissens- und Bildungsgut weitergeben sollen, haben in unserer eigenen Schul- und Berufsausbildung so wenig über Naturphänomene erfahren. In trockener Formelsprache und fernab jeglicher Anschaulichkeit vermittelt, blieben für viele von uns Chemie und Physik alltagsfern und unverständlich. Sicherlich war auch in unseren Kindertagen das Interesse an Naturphänomenen groß, doch durch das häufig vergebliche Warten auf Antworten war irgendwann schlichtweg „die Luft raus“ und die Neugier wich einer Gleichgültigkeit bis hin zum Ressentiment gegenüber den Themenfeldern, die doch so viel Einfluss auf unser Leben haben (vgl. Merzyn 2008, S. 67 ff., und Pollmeier 2014, S. 276).

Phänomene der belebten Natur haben im Sachunterricht Vorrang

Rudimente naturwissenschaftlichen Verstehens hielt bestenfalls die belebte Natur bereit: Biologische Phänomene wie das Wachsen einer Tulpe aus einer Zwiebel oder die Entwicklung eines Schmetterlings aus einer Raupe sind nicht nur farbenprächtige Naturereignisse, sondern vermitteln uns durch die Zuverlässigkeit der Wiederholung auch ein Gefühl der Vertrautheit und des Verstehens. Wer als Kind schon früh an biologische Themen herangeführt worden ist, kann auch Kinder gut an Naturbeobachtungen heranführen und für die biologische Umwelt begeistern. Auch heute noch nehmen biologische Themen im Elementar- und Primarbereich einen hohen Anteil des Sachunterrichts ein (vgl. Abb. 2), wenn auch in den letzten Jahren überarbeitete Sachunterrichtslehrpläne verabschiedet wurden, in denen physikalische und chemische Themen einen höheren Stellenwert erlangt haben (vgl. Brüggemeyer 2018, S. 9).

Aber gelingt es uns wirklich, einem staunenden Kind zu erklären, warum sich aus einer Raupe ein Schmetterling entwickelt oder wie aus einer Zwiebel eine Tulpe entstehen kann? Finden wir für diese hochkomplexen Vorgänge kindgerechte Erklärungen? Häufig sieht das Kind in den unterschiedlichen Entwicklungsstadien voneinander völlig unabhängige Lebewesen. Ein aus einer Kaulquappe entwickelter Frosch – das sind eben zwei unterschiedliche Tiere: Da war zunächst eine Kaulquappe, die nun weg ist und ein Frosch ist nun sichtbar (vgl. Carey & Gelman 1991, S. 270). Und wie sieht es mit einem experimentellen Zugang aus, der gerade im Vorschulalter so wichtig ist? Können wir Kindern bei biologischen Phänomenen eine Gelegenheit zum Experimentieren bieten, die die Nähe zum Phänomen, zur Beobachtung und sinnlichen Wahrnehmung fördert? Nach dem Einpflanzen der Zwiebel muss das Kind – bei allem Handlungsdrang – in der Beobachterrolle verharren. Und die einmal entwickelte Tulpe lässt sich nicht mehr in eine Zwiebel zwängen, ihr Wachstumsprozess ist möglicherweise auch nicht mehr wiederholbar, da die Jahreszeit inzwischen weiter fortgeschritten ist.

Abb. 2: Fächeranteile in den Sachunterrichts-Lehrplänen in Deutschland (Stand 2016; Brüggemeyer 2018, S. 9).

Einseitiges Naturwissenschaftsverständnis?

Damit soll keinesfalls die Biologie verunglimpft werden, und es ist natürlich in jedem Fall sinnvoll und richtig, Kinder an biologische Phänomene heranzuführen. Allerdings bieten sich diese kaum für eine Deutung an. Problematisch wird es überdies, wenn die Naturerfahrung ausschließlich auf Phänomene der belebten Natur begrenzt bleibt und Phänomene der unbelebten Natur zu kurz kommen, weil wir sie selbst nicht vermitteln können. Das kann zu einem einseitigen Naturwissenschaftsverständnis führen, demzufolge alles Belebte, Biologische gut und alles Chemische oder Physikalische schlecht ist. Aber das stimmt nicht: Wer von uns kennt beispielsweise nicht die Gefahren, die von einem giftigen Pilz ausgehen können, auch wenn er noch so sehr dem Reich der Biologie entstammt, und wer hat nicht schon die wohltuende, durstlöschende Wirkung der „Chemikalie H20“ beim Wassertrinken erfahren?

Es gibt auch noch ein ästhetisches Argument, das der Pflanzen- und Tierwelt den Vorzug gibt: Diese hält so faszinierende Naturschauspiele bereit, mit denen die unbelebte Natur scheinbar nicht konkurrieren kann. Aber auch in der unbelebten Natur können viele ästhetische Phänomene entdeckt werden, wenn wir sie denn überhaupt einmal in den Blick nehmen. Haben Sie schon einmal genau hingeschaut, wie sich ein Zuckerwürfel in einem Glas mit Wasser auflöst und die Ästhetik des allmählichen Auflösens, beginnend an den Ecken, dann an den Zuckerwürfelkanten bis hin zu den Flächen, bewundert? Dieses Experiment wird in Teil II am 5. Experimentiertag beschrieben.

Phänomene der unbelebten Natur im Elementarbereich

Es gibt viele gute Gründe dafür, dass neben biologischen Phänomenen auch die Phänomene der unbelebten Natur im Elementarbereich (wieder) Einzug halten. Voraussetzung dafür ist jedoch die fachliche Unterstützung der frühpädagogischen Fachkräfte bei der Auswahl und Deutung der Naturphänomene, nicht zuletzt deshalb, weil dieses Themenfeld vielen noch nicht so ganz vertraut ist (vgl. hierzu auch Zimmermann 2011, S. 4 ff.).

Wenn in der Familie oder im Kindergarten die Antworten auf Warum-Fragen ausbleiben, bieten sich den interessierten Kindern meist nur zwei Möglichkeiten an, ihren Wissensdurst zu stillen: Zum einen die Medien – allen voran das Fernsehen mit Kindersendungen wie „Die Sendung mit der Maus“ oder „Löwenzahn“, die mit immer noch hohen Einschaltquoten Zeugen des Wissensdurstes der Kleinen sind (vgl. Kapitel 11), die allerdings kaum Experimentiermöglichkeiten für Kinder anbieten können. Die andere Möglichkeit liegt im Warten. Warten, bis das Bildungssystem die naturwissenschaftliche Neugierde befriedigt. Dazu ist dann allerdings viel Geduld erforderlich, denn in der Grundschule kommen naturwissenschaftliche Themenfelder – wie oben beschrieben – nur im Sachunterricht vor – immer noch mit viel zu wenig Stunden (vgl. GDSU Perspektivrahmen Sachunterricht 2013). Es muss also weiter gewartet werden, bis in den weiterführenden Schulen nun endlich Chemie und Physik eingeführt werden – mit etwas Glück bereits in der Orientierungsstufe oder je nach Bundesland oftmals erst in der 7. oder 8. Klasse. Es kann als gesichert gelten, dass bei den dann inzwischen Dreizehn- oder Vierzehnjährigen die frühere Neugier an naturwissenschaftlichen Themen verflogen sein wird, zumal sich das Interesse mit Beginn der Adoleszenz eher hin zu soziologischen Themenfeldern verlagert, die den Jugendlichen Antworten auf das Erwachsenwerden geben. Unter entwicklungspsychologischen Aspekten wird also für die Naturwissenschaftsvermittlung nicht gerade der günstigste Zeitpunkt gewählt. Um eine kontinuierliche Vermittlung insbesondere chemischer Inhalte ist die Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) bemüht, die sich für einen durchgängigen Unterricht mit chemischen Inhalten von Klasse 1 bis Klasse 9 einsetzt und dazu ein Positionspapier herausgebracht hat (vgl. GDCh 2017), das in Zusammenarbeit mit den Kultusministerien entstand – es tut sich also etwas!

Hinführung zu Naturphänomenen von Anfang an

Dank der frühen naturwissenschaftlichen Bildung und der didaktisch verbesserten Aufbereitung des Naturwissenschaftsunterrichts, der sich verstärkt an SchülerInneninteressen orientiert, haben die TIMSS-Ergebnisse von 2015 und 2019 einen deutlichen Anstieg der Naturwissenschaftskenntnisse der Viertklässler verzeichnet (vgl. Brüggemeyer 2018, S. 22; Wendt 2016, S. 160–183). Damit dieser Weg fortgesetzt werden kann, sind Kindergärten und Kindertageseinrichtungen bei der Hinführung zu Naturphänomenen weiterhin ganz besonders gefordert. Neben den anderen Erziehungs- und Bildungsaufgaben zählen auch die Naturwissenschaften zum Bildungskanon des Elementarbereichs.

1 Eine Tatsache, die heute allerdings auch von einigen wenigen bestritten wird, so etwa von Salman Ansari in seinem Buch „Rettet die Neugier! Gegen die Akademisierung der Kindheit“ (2013).

2 Die Naturwissenschaften im elementarpädagogischen Bildungsauftrag

Im allgemeinen Bewusstsein gilt es als unbestritten, dass geisteswissenschaftliche Kenntnisse über Philosophie, Poesie oder Geschichte eindeutig zur Bildung gehören. Einen Menschen, der bei diesen Themen „mitreden“ kann, würden wir ohne zu zögern als gebildet bezeichnen. Wenn jedoch jemand die Elemente des Periodensystems aufzuzählen vermag, mit der Nachweisreaktion von Zucker oder Eiweiß vertraut ist oder erklären kann, warum sich im Herbst die Blätter verfärben, so würden wir diesen Menschen dagegen nicht unbedingt als gebildet wahrnehmen. Bei naturwissenschaftlicher Kompetenz wird eher von Wissen gesprochen.

Dies überrascht angesichts der Tatsache, dass in Deutschland seit dem Beginn der modernen Naturwissenschaften vor rund 250 Jahren zahlreiche naturwissenschaftliche Entdeckungen gemacht wurden, im deutschen Nationalmythos aber nur vom Volk der „Dichter und Denker“ gesprochen wird. Die Forscher und Tüftler, die den Weg für volkswirtschaftlichen Wohlstand und zivilisatorischen Komfort geebnet haben, unter Bildungsaspekten hingegen außen vorgelassen werden.

Naturwissenschaften als Bildungsgut

Ob Chemie, Physik oder Astronomie – sämtliche Naturwissenschaftsdisziplinen haben es schwer in der Anerkennung ihrer Inhalte als Bildungsgüter. Das hat sicherlich auch etwas mit der Selbstdarstellung dieser Disziplinen zu tun. Einzelfakten scheinen im Vordergrund zu stehen. In der Forschung ist eine extreme Spezialisierung wahrzunehmen, die oft weder soziale noch ökologische Faktoren berücksichtigt, sodass die Kenntnisse kaum zu einer Werteorientierung oder ganzheitlichen Sichtweise der Mitwelt beitragen.

Bildung als Beziehungsgeflecht von Erkenntnissen

Tatsächlich können aber gerade die Naturwissenschaften viele differenzierte Einsichten in die Prozesse unserer Umwelt vermitteln, die uns helfen, selbstverantwortlich und eigeninitiativ an der Gestaltung unserer zukünftigen Lebensbedingungen mitzuwirken und die uns erfahren lassen, wie wir unsere Umwelt nutzen können und wann wir sie schützen müssen. Zu diesen Einsichten zählt u. a.die Tatsache, dass Stoffe nicht einfach spurlos verschwinden können (Gesetz von der Erhaltung der Masse), auch wenn wir dies umgangssprachlich mit Formulierungen wie „Mein Schlüsselbund ist weg“ vorgeben. So wie der Schlüsselbund ganz sicherlich nicht weg, sondern nur an einem anderen Ort ist, ist auch ein Stoff niemals ganz verschwunden, er hat sich lediglich chemisch umgewandelt, wie etwa im Falle von Wachs, aus dem beim Abbrennen einer Kerze Kohlenstoffdioxid und Wasser entstanden ist (vgl. Teil II, 3. Experimentiertag). Ein anderes Beispiel: Ein Stoff ist für unser Auge unsichtbar geworden, beispielsweise wenn sich ein Zuckerwürfel in Wasser oder Tee auflöst. Weg ist der Zucker bestimmt nicht, sonst könnten wir ihn nicht schmecken (vgl. Teil II, 5. Experimentiertag). Aus einem derartigen Beziehungsgeflecht von Erkenntnissen, zu deren Grundlage sicherlich auch Faktenwissen gehört, erwächst eben nicht allein naturwissenschaftliches Wissen, sondern naturwissenschaftliche Bildung. Naturwissenschaftliche Grundkenntnisse eröffnen berufliche Perspektiven und fördern die Meinungsbildung.

Naturwissenschaftliche Kompetenzen und gesellschaftliche Teilhabe

Nun ist der Bildungsbegriff, seitdem Wilhelm von Humboldt ihn vor ca. 200 Jahren prägte, mit sehr vielen unterschiedlichen und z. T. widersprüchlichen Inhalten belegt worden (vgl. zum Bildungsbegriff Böhm, 2021, S. 22 ff.). Daher möchte ich im Folgenden nicht auf die derzeitige Bildungsdiskussion im Detail eingehen. Hier sei deshalb nur ein Aspekt in Bezug auf unser Thema herausgegriffen: Naturwissenschaftliche Grundkenntnisse stellen eine der wesentlichen Kompetenzen für die partizipative Gestaltung unserer Gesellschaft dar und eröffnen neben beruflichen Perspektiven vor allem auch den Weg zu einer eigenständigen Meinungsbildung in Bezug auf technische bzw. naturwissenschaftliche Entwicklungen.

Naturwissenschaftliche Bildung im Elementarbereich

Warum aber sollte naturwissenschaftliche Bildung Bestandteil der Elementarpädagogik sein? Zu den Kernaufgaben des Elementarbereichs zählen nach dem Sozialgesetzbuch VIII die drei Säulen Bildung, Erziehung und Wissensvermittlung. Gerade dem Bildungsaspekt kommt in den letzten Jahren eine zunehmend größere Rolle zu. So heißt es etwa in der Empfehlung des Forums Bildung in der Geschäftsstelle der Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung: „Weichen für Bildungschancen und damit für Lebenschancen werden bereits früh gestellt. Insbesondere die Motivation und die Fähigkeit zu kontinuierlichem und selbstgesteuertem Lernen sind früh zu wecken. Neben dem wichtigen Lernen in der Familie sind die Möglichkeiten der Kindertageseinrichtungen zur Unterstützung früher Bildungsprozesse deutlich besser zu nutzen“ (Arbeitsstab Forum Bildung 2001, S. 5).

Vermittlung von Schlüsselqualifikationen

Die durch Bildung vermittelten Schlüsselqualifikationen werden in einem langen Katalog durch die Bund-Länder-Kommission zusammengefasst, wobei hier nur drei hervorgehoben werden sollen:

►System- und Problemlöseorientierung: Darunter wird das Verstehen komplexer Situationen sowie die Fähigkeit zum Perspektivwechsel zusammengefasst. Ebenso zählen dazu die Urteilsfähigkeit, zukunftsgerichtetes Denken, Fantasie, Kreativität, Forschungsgeist u. a.

►Situations-, Handlungs- und Partizipationsorientierung: Diese Fähigkeiten sollen u. a. zur Entscheidungsfähigkeit beitragen, Mitbestimmung ermöglichen und Handlungskompetenzen fördern.

►Ganzheitlichkeit: Sie umfasst u. a.eine möglichst umfassende Wahrnehmungs- und Erfahrungsfähigkeit (vgl. Bund-Länder-Kommission für Bildungsplanung und Forschungsförderung 1998).

Bildung als Selbstbildung

Dass naturwissenschaftliche Bildung einen Beitrag zu diesen genannten Schlüsselqualifikationen leisten kann, liegt auf der Hand. Mehr noch: Naturwissenschaftliche Erfahrungen und insbesondere die Deutung naturwissenschaftlicher Phänomene bieten sich geradezu dazu an, Qualifikationen wie Problemlöseorientierung und Ganzheitlichkeit zu erwerben.

Betrachtet man Bildung nicht im Sinne eines Bildungsziels, sondern als Aktivität, die vom Kind ausgeht, so kann man diese auch als „Aneignung von Welt“ im Sinne von Selbstbildung verstehen, wobei dem Elementarbereich die Aufgabe zukommt, bei diesem Prozess helfend die Hand auszustrecken (vgl. hierzu z. B. auch Laewen & Andres 2002; Schäfer 2005). Auch aus diesem Blickwinkel des Bildungsbegriffs kommt der naturwissenschaftlichen Bildung im Vorschulbereich ein fester Platz zu, bedenkt man einmal, mit welchem Eigenantrieb und Interesse Kinder Antworten auf Fragen zu Naturphänomenen geradezu „einfordern“. Daher ist die Entwicklung der letzten 20 Jahre im Elementarbereich als ausgesprochen positiv anzusehen, da in nur wenigen Jahren alle bundesdeutschen Bildungsvereinbarungen dem Bildungsbereich „Naturwissenschaftliche Bildung“ einen festen Platz zugewiesen haben. Im Folgenden soll diese Entwicklung näher beleuchtet werden.

2.1 Bildungsvereinbarungen bzw. -pläne mit naturwissenschaftlichen Inhalten

In den Jahren zwischen 2003 und 2007 wurden in allen Bundesländern Bildungsvereinbarungen bzw. Bildungspläne verfasst, die sich auch den naturwissenschaftlichen Themenfeldern widmeten und neben biologischen Themenfeldern nun auch solche der sogenannten unbelebten Natur, also chemie- und physiknahe Aspekte, berücksichtigten. Die aktualisierte Tabelle 1 zeigt, dass die Naturwissenschaften gemeinsam mit der Mathematik und Technik einen festen Platz erhalten haben, der z. T. einen recht großen Umfang in den Bildungsplänen einnimmt.

Abb. 3: Überblick über die Bildungsempfehlungen mit naturwissenschaftlichem Bezug nach http://www.bildungsserver.de/Bildungsplaene-der-Bundeslaender-fuer-Kitas-2027.html (z.T. ohne direkte Links zu den Bildungsempfehlungen

Was die Konkretisierung des Bildungsbereichs Natur betrifft, so differieren die einzelnen Bildungspläne je nach Bundesland sehr stark. Manche gehen instruktiv vor und beschreiben die einzelnen durchzuführenden Experimente recht detailliert. Hier ist etwa der Bayerische Bildungsplan zu nennen, in dem über mehrere Seiten allein zum Themenfeld unbelebte Natur einige Experimente ganz konkret beschrieben werden.

Ähnlich detaillierte Beschreibungen enthält auch der Hessische Bildungsplan, der über den Elementarbereich hinaus auch die Grundschulzeit mitberücksichtigt. Auch die Bildungspläne des Saarlands oder Sachsens widmen dem Bildungsbereich Natur mehrere Seiten.

Instruktive oder offene Orientierungshilfen

Die Absicht hinter diesen ausformulierten Themenvorschlägen liegt auf der Hand: Denjenigen, die sich auf dem Gebiet der Naturwissenschaften noch nicht so sicher fühlen, sollen die konkreten Themenfelder als Orientierung dienen. Allerdings besteht die Gefahr darin, dass der eng gesteckte Rahmen die Entdeckerfreude zu stark reglementiert und dadurch einschränkt. Andere Bundesländer geben daher nur wenige Orientierungshilfen vor und bauen auf die Erfahrungen der pädagogischen Fachkräfte, den Bildungsbereich Natur so behutsam zu vermitteln, dass er den individuellen Aneignungsprozessen der Kinder entspricht.

Studien von Windt, Scheuer und Melle geben deutliche Hinweise darauf, dass Vorschulkinder beim naturwissenschaftlichen Experimentieren einen deutlichen größeren Wissenserwerb zeigen, wenn die Kinder mit den pädagogischen Fachkräften unter Anleitung arbeiten und ihnen nicht allein die Gelegenheit zur situativen Auseinandersetzung gegeben wird (vgl. Windt et al. 2014, S. 69 ff.). Vergleichbare Überlegungen finden sich auch bei der frühen Mathematikförderung, bei der ebenfalls die Frage nach einer intrinsischen oder instruktiven Vorgehensweise diskutiert wird und die Entscheidung deutlich für die instruktive, systematische Vorgehensweise ausfällt (vgl. Benz et al. 2015, S. 46 ff.).

Bei aller Vielfalt der unterschiedlichen Bildungsvereinbarungen – ganz so beliebig sollte die frühkindliche Heranführung an naturwissenschaftliche Themenfelder nicht vonstattengehen. Die im Praxisteil zusammengestellte Auswahl an Experimenten und deren didaktischen Reduktionen hat sich in der Praxis bewährt. Dass naturwissenschaftliche Bildung immer auch verbunden ist mit anderen Kompetenzen, soll im Folgenden an einem Experiment gezeigt werden, das in keiner Experimentierreihe fehlen sollte, da es mit einer verbreiteten kindlichen Vorstellung aufräumt, die der Wirklichkeit so gar nicht entspricht: „Luft ist nichts“.

2.2 Luft ist nicht nichts – ein Experiment mit vielen Bildungsfacetten

Umgangssprachlich hat sich der Begriff „nichts“ auch bei Vorschulkindern bereits fest etabliert. Da werden Formulierungen verwendet wie: „In der Spielecke ist nichts“, wenn eigentlich gemeint ist, dass sich dort nicht die gewünschten Spielsachen befinden, wohl aber ein Teppich, eine Kiste, möglicherweise auch ein Stuhl und ein Tisch … und eben auch Luft. Letztere kommt in unserem Sprachgebrauch nur selten unter naturwissenschaftlicher Perspektive vor. Meistens wird sie mit dem Begriff „nichts“ gleichgesetzt. So ist beispielsweise ein Glas leer, obwohl es eigentlich randvoll mit Luft gefüllt ist. Ohne Frage zählt Luft zu den lebenswichtigen Stoffen, die uns umgeben. Trotzdem findet sie kaum eine Berücksichtigung – allenfalls umgangssprachlich durch einen Satz wie: „Wir gehen nach draußen an die frische Luft“, was bei Kindern zu der Vorstellung führt, dass sich Luft eben nur draußen im Freien befindet.

In einem einfachen Experiment, das im Praxisteil dieses Buches ausführlich beschrieben wird (vgl. Teil II, 1. Experimentiertag: Luft begreifen), kann das Phänomen Luft Vorschulkindern nähergebracht werden: Ein leeres Glas wird mit der Öffnung nach unten in eine mit Wasser gefüllte Salatschüssel getaucht und leicht schräg gehalten. Dabei entweichen mit einem blubbernden Geräusch Luftblasen nach oben. Das Kind schließt daraus schnell, dass es sich hier um mehr als nur um „nichts“ handeln muss. Blasen sind auch im Innern mit etwas gefüllt – nämlich mit Luft, die aus dem schräg gehaltenen Glas entweicht.

Sinnliche Wahrnehmung Sozialer Austausch Sprachliche Umsetzung

Dieses Experiment enthält unterschiedliche Bildungsfacetten. Die sinnliche Erfahrung wird auf ein Ereignis fokussiert: Neben dem Experimentieren selbst, das schon ein wenig Geschicklichkeit erfordert und die Feinmotorik fördert, kommen der Gesichtssinn, der akustische Sinn, aber auch die taktile Wahrnehmung zum Einsatz. Es muss genau beobachtet werden, und zwar zu einem vorgegebenen Zeitpunkt, denn im nächsten Augenblick ist das Geschehen vorbei. Damit auch die anderen Kinder der Gruppe „ganz Ohr“ sein können, müssen sich alle für einen Augenblick ruhig verhalten und dürfen dem anderen die Sicht nicht nehmen. Es spielen also auch soziale Komponenten beim Experimentieren mit hinein. Soll das Beobachtete formuliert werden, sind sprachliche Kompetenzen gefordert oder genauer: Sie werden gefördert. Jedes Experiment ist ein Sprechanlass. Um beim Beispiel zu bleiben: Das Aufzählen der zum Experimentieren erforderlichen Gegenstände bereitet manch einem Kind Schwierigkeiten: Da wird anstelle des Begriffs „Glas“ der Begriff „Becher“ verwendet. Das Wort „Blase“ ist sicherlich auch nicht allen geläufig. Das Nennen der Begriffe bei gleichzeitigem sinnlichem Wahrnehmen des Gegebenen bietet einen unmittelbaren Zugang zur sprachlichen Umsetzung. Dieser sprachliche Bezug hat eine so herausgehobene Bedeutung, dass ihm im Folgenden ein eigenes Kapitel gewidmet wird (vgl. Kapitel 10).

In Kausalbeziehungen denken

Neben der sinnlichen Erfahrung, dem sozialen Austausch und der sprachlichen Förderung kommt noch der entscheidende kognitive Aspekt hinzu. Das Naturphänomen bedarf einer Deutung. Dies entspricht dem Wissensdrang der Vorschulkinder, den sie mit zahlreichen Warum-Fragen zum Ausdruck bringen. „Warum kommt eine Blase aus dem Wasser, wenn ich ein leeres Glas schräg halte?“, „Woraus besteht die Blase?“, „Wo kommt das Blaseninnere her?“ Von der Luft in der Blase auf die Luft in dem vermeintlich leeren Glas zu schließen, macht es erforderlich, dass das Kind in Kausalbeziehungen zu denken lernt: „Wenn – dann“ ist eine der grundlegenden Beziehungen im naturwissenschaftlichen Verstehen. Wenn in der Blase Luft ist und die Blasen aus dem unter Wasser gehaltenen Glas entwichen, dann muss auch im Glas Luft sein. Und wie kommt die Luft ins Glas? Sie war schon vorher dort! Die nächste Wenndann-Beziehung wird eingeleitet. Wenn Luft schon vorher im Glas war, dann ist Luft eben nicht nur draußen, sondern zumindest auch in dem Glas – aber vielleicht auch überall. Das kann in weiteren Experimenten überprüft werden. Mit der Deutung des Experiments wird nun allmählich eine entscheidende Erkenntnis vorbereitet. Nicht „nichts“ ist existent, sondern Luft. Nur das, was vorhanden ist, kann auch geachtet, geschützt und erhalten werden.

Dieses Beispiel für ein naturwissenschaftliches Experiment im Elementarbereich zeigt, dass neben der frühen naturwissenschaftlichen Bildung zugleich auch weitere Kompetenzen gefördert werden. Um all diese Bildungsfacetten im Blick zu haben, ist es zumindest anfangs hilfreich, Angaben für eine konkrete Vorgehensweise zu erhalten, damit die ersten Schritte – sowohl für uns pädagogische Fachkräfte als auch für die Kinder – nicht in eine Ratlosigkeit und Beliebigkeit münden, die auf allen Seiten Unzufriedenheit zur Folge hätte (weitere Beispiele sind auch zu finden unter Lück, 2021, S. 271 ff).

Auch mit einer noch so umfassenden Definition des Bildungsbegriffs und seiner Übertragung auf eine frühzeitige Heranführung an Naturphänomene ist aber eine entscheidende Frage noch nicht geklärt, nämlich die, ob die Vermittlung naturwissenschaftlicher Inhalte im Elementar- bzw. Vorschulbereich überhaupt auf fruchtbaren Boden fällt: Können Vorschulkinder denn überhaupt naturwissenschaftliche Experimente nachvollziehen und die Deutungen verstehen und behalten? Eine Antwort auf diese Frage gibt uns die Lern- und Entwicklungspsychologie, mit der sich das folgende Kapitel befasst.

3 Was Vorschulkinder verstehen können: Entwicklungs- und kognitionspsychologische Konzepte