Hani & Ishu: Fake-Dating leicht gemacht - Adiba Jaigirdar - E-Book

Hani & Ishu: Fake-Dating leicht gemacht E-Book

Adiba Jaigirdar

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Beschreibung

Die 17-jährige Humaira "Hani" Khan ist eines der beliebtesten Mädchen an ihrer Schule in Dublin. Doch gerade, wenn es um ihre bengalischen Wurzeln geht, fühlt sich Hani besonders von ihren beiden besten Freundinnen nicht wirklich verstanden. Und auch, als sie ihnen offenbart, dass sie bisexuell ist, glauben sie ihr nicht. Ohne darüber nachzudenken, behauptet Hani, sie sei in einer Beziehung - mit der ehrgeizigen Ishita "Ishu" Dey, die so ziemlich das genaue Gegenteil von ihr ist. Ishu spielt mit, unter einer Bedingung: Hani soll ihr helfen, Schulsprecherin zu werden. Der Plan scheint perfekt - bis Gefühle, Familie und Freundschaften alles verkomplizieren ...

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Seitenzahl: 389

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Inhalt

Cover

Titel

IMPRESSUM

Triggerwarnung

Widmung

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Kapitel neunundzwanzig

Kapitel dreißig

Kapitel einunddreißig

Kapitel zweiunddreißig

Kapitel dreiunddreißig

Kapitel vierunddreißig

Kapitel fünfunddreißig

Kapitel sechsunddreißig

Kapitel siebenunddreißig

Kapitel achtunddreißig

Kapitel neununddreißig

Kapitel vierzig

Kapitel einundvierzig

Kapitel zweiundvierzig

Kapitel dreiundvierzig

Kapitel vierundvierzig

Kapitel fünfundvierzig

Kapitel sechsundvierzig

Kapitel siebenundvierzig

Kapitel achtundvierzig

Kapitel neunundvierzig

Kapitel fünfzig

Kapitel einundfünfzig

Danksagung

Achtung: Spoiler!

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Titel der Originalausgabe:

»Hani & Ishu’s Guide to Fake Dating«

Für die Originalausgabe:

Text Copyright © 2021 by Adiba Jaigirdar

Published by arrangement with Page Street Publishing Co. All rights reserved.

Dieses Werk wurde im Auftrag von Page Street Publishing Co. durch die Literarische Agentur Thomas Schlück GmbH, 30161 Hannover, vermittelt.

Die Übersetzerinnen danken dem Literarischen Colloquium Berlin, dem Deutschen Übersetzerfonds und dem Europäischen Übersetzer-Kollegium Straelen für die Unterstützung ihrer Arbeit.

Für die deutschsprachige Ausgabe:

Copyright 2023 by

Bastei Lübbe AG, Schanzenstraße 6 – 20, 51063 Köln

Textredaktion: Elena Bruns, Lingen

Covergestaltung: Johannes Wiebel | punchdesign, München

eBook-Erstellung: 3w+p GmbH, Rimpar (www.3wplusp.de)

ISBN 978-3-7517-3825-5

one-verlag.de

luebbe.de

Liebe Leser:innen,

dieses Buch enthält potenziell triggernde Inhalte. Dazu findet ihr eine Triggerwarnung auf S. 367.

Wir wünschen uns für euch alle das bestmögliche Leseerlebnis.

Euer Team vom ONE-Verlag

Für alle jungen Bengalis, die aufwachsen mussten, ohne sich je repräsentiert zu sehen.

Kapitel eins

Ishu

Ich bin gerade völlig in die Biohausaufgaben vertieft, als plötzlich mein Handy vibriert. Einmal, zweimal, dreimal. Dann ruckelt es sich über die Tischkante in den Papierkorb.

»Ach, Scheiße«, brummle ich leise vor mich hin. Ich klappe das Biologiebuch zu und wühle mich durch Abschminktücher und Papierknäule. Kann ja keiner ahnen, dass mein Handy 1. unbedingt in den Müll will und 2. so empfindlich auf Nachrichten reagiert.

Der Fairness halber muss ich zugeben, dass ich es nicht gewohnt bin, Nachrichten zu bekommen, und mein Handy deshalb genauso wenig. Es ist mittlerweile auch schon drei Jahre alt, war ziemlich billig und braucht mindestens eine Minute, um egal was zu laden.

Als ich es endlich finde, vibriert es immer noch. Jetzt will auch noch jemand telefonieren.

Keine Ahnung, wann ich zuletzt angerufen wurde. Ab und zu sagen Ammu und Abbu vielleicht mal Bescheid, dass es später wird. Aber diesmal leuchtet auf dem Display der Name meiner älteren Schwester auf: Nikhita.

»Nik?«

»Ishu, Gott sei Dank!« Niks Stimme klingt am Telefon komisch, viel höher als in meiner Erinnerung. Könnte auch daran liegen, dass ich schon ewig nicht mehr mit ihr geredet habe. Vor zwei Jahren ist sie weggezogen, um am University College London zu studieren. Ausgerechnet. Damit hat sie ja auch gar keine übertriebenen Standards gesetzt oder so. Seit wir ihr damals am Flughafen hinterhergewinkt haben, ist sie nur ein einziges Mal für zwei Wochen zurückgekommen. Und da saß sie die ganze Zeit bloß über ihre Medizinbücher gebeugt, nur um am Ende mit blutunterlaufenen Augen wieder in den Flieger zu steigen, als wäre sie überhaupt nicht im Urlaub gewesen. So ist das Leben einer Medizinstudentin am UCL. Selbst Ammu und Abbu ruft sie so gut wie nie an, aber das stört die beiden kaum, weil Nikhita der Stolz der Familie ist. Sie erfüllt sich alle ihre Träume.

»Äh, warum rufst du mich an?« Mir fällt erst auf, wie unfreundlich das klingt, als die Worte schon raus sind. Aber Nik ruft mich eben nicht an. Das hat sie noch nie getan. Manchmal schreibt sie mir über WhatsApp, wenn Ammu und Abbu nicht erreichbar sind, um rauszufinden, wann sie denn wieder erreichbar sind. Nie, um mit mir zu quatschen oder zu fragen, wie es mir geht.

»Mensch, Ishu, ich werd doch wohl noch meine kleine Schwester anrufen dürfen! Warum gehst du jetzt erst ran?« Sie klingt frustriert, aber da schwingt noch irgendwas anderes mit. Überspielte Nervosität. Doch wieso sollte die perfekte Nikhita nervös sein?

»Ich lerne grade. Nicht mehr lange bis zum Abschluss, weißt du doch.« Sie wird ja wohl kaum vergessen haben, dass diese Prüfungen entscheiden, auf welche Universität man es schafft.

»Ach ja, das Leaving Cert. Wow, das waren Zeiten. Ich wünschte, ich könnte das noch mal erleben.« Nik versucht, sarkastisch zu klingen, aber es kommt nicht richtig rüber. Als wäre sie nicht ganz bei der Sache. »Sind Ammu und Abbu schon zu Hause?«

Na bitte.

»Glaub schon, ja.« Ich sehe aus dem Fenster – es ist stockfinster draußen. Beim Lernen habe ich gar nicht gemerkt, wie spät es schon ist: laut Wanduhr 20:33 Uhr. »Ich glaube, die gucken gerade Fernsehen.« Leises Gemurmel und einige Fetzen Hindi aus einem Natok wabern durch die angelehnte Zimmertür.

»Okay, cool. Hör mal, kannst du mir einen Gefallen tun?«

Ich richte mich auf. Ein Gefallen ist definitiv was Neues. Wie soll ich damit umgehen? Verlange ich Details, bevor ich zusage? Bestehe ich auf einer Gegenleistung? Ehe ich mich entscheiden kann, erklärt Nik schon, was sie von mir will.

»Ich komme für ein paar Tage nach Hause, um Ammu und Abbu zu überraschen. Aber ich habe letztes Mal meinen Schlüssel dagelassen, deshalb müsstest du mir morgen nach der Schule aufmachen. Das geht doch, oder?«

»Du willst Ammu und Abbu überraschen?« Das Wort »überraschen« will mir nicht in den Kopf gehen. Bengalische Eltern überrascht man nicht, außer man möchte sich eine Thappor einfangen. Nicht, dass Ammu und Abbu ständig Ohrfeigen verteilen würden – oder überhaupt –, aber trotzdem. Überraschungen und bengalische Eltern sind keine gute Kombi.

»Sag das doch nicht so.« Nik klingt beleidigt.

»Wie?«

Sie seufzt. »Egal. Kannst du mir bitte einfach helfen?«

»Aber es ist doch mitten im Semester? Warum kommst du morgen? Ist alles in Ordnung?«

»Ja, alles gut«, antwortet Nik in einem Ton, der so gar nicht danach klingt, als wäre alles gut. Hoffentlich kriegt sie das als Ärztin irgendwann mal besser hin. »Ich hab euch bloß so lange nicht mehr gesehen, und ... ich habe Neuigkeiten. Tust du mir den Gefallen?«

»Na ja, ich werd dir wohl kaum die Tür vor der Nase zuschlagen.«

Ich höre Nik genervt ausatmen, als hätte dieser Satz ihren ohnehin schon überspannten Geduldsfaden reißen lassen. »Okay, danke, Ishu. Also ... dann bis morgen.«

»Bis m–« Doch Nik hat schon aufgelegt.

Wahrscheinlich sollte ich mir Gedanken darüber machen, was mit meiner Schwester los ist, aber am Ende werden wir eh so damit umgehen wie sonst auch – unabhängig voneinander. Ich bin nur dafür zuständig, ihr die Haustür aufzuschließen. Das kriege ich hin.

Außerdem will ich mir noch zu einem ganzen Bioka‍p‍i‍tel Notizen machen. Also werfe ich das Handy aufs Bett, schlage das Buch wieder auf und schiebe die Gedanken an Nik beiseite.

*

Ein Glück, dass ich gestern Abend gelernt habe. Ms. Taylor überrumpelt uns zu Beginn der Nachmittagsdoppelstunde Biologie mit einem unangekündigten Test. Sie schreibt gerne Überraschungstests, auch wenn sie noch nicht mal die Hälfte des vorgesehenen Stoffs mit uns geschafft hat. Mindestens einmal alle zwei Wochen beginnt sie so den Unterricht. Wahrscheinlich wird es noch häufiger Tests geben, je näher der Abschluss rückt. Aus irgendeinem Grund sind die anderen in der Klasse trotzdem jedes Mal wieder überrascht. Ich verdrehe die Augen, schnappe mir einen Kuli und fange an.

Da es in den meisten Fragen um die Kapitel von gestern Abend geht, habe ich ein gutes Gefühl. Am Nebentisch kaut sich Aisling Mahoney so doll auf der Lippe rum, dass sie eigentlich bluten müsste. Sie sieht auf, bemerkt meinen Blick und funkelt mich an. Ich schenke ihr ein fieses Lächeln.

Das scheint sie zu treffen: Sie verzieht das Gesicht und wendet sich wieder ihrem Blatt zu, das noch ziemlich leer aussieht. Würde Aisling im Unterricht weniger Zeit mit Snapchat und mehr mit Zuhören verbringen, wüsste sie vielleicht auch ein paar Antworten.

Nach dem Test geht Humaira durch die Reihen und sammelt die Blätter ein.

»Wie ist es gelaufen?«, fragt sie Aisling.

»Schlecht.« Aisling wirft mir einen wütenden Blick zu, als wäre ich daran schuld. »Ich hasse diese Überraschungstests. Bio ist einfach viel zu viel Stoff, wie soll man das schaffen?«

»Keine Sorge, ich kann dir helfen, wenn du magst. Vielleicht können wir in der Mittagspause ein paar Sachen durchgehen«, schlägt Humaira vor und lächelt ihr zu. Sie ist das einzige andere südasiatische Mädchen in der Klasse – eigentlich im ganzen Jahrgang –, und weil sie schon länger auf der Schule ist, scheinen die Leute manchmal zu erwarten, dass ich genau wie sie bin. Aber Humaira ist einfach übertrieben hilfsbereit, und vermutlich waren alle etwas enttäuscht, als sie festgestellt haben, dass ich das genaue Gegenteil von hilfsbereit bin.

»Danke, Maira.« Aisling lächelt sie an, als wäre es nicht ihre eigene Schuld, wenn sie weder aufpasst noch lernt.

Mir fällt auf, dass ich die Hände auf dem Tisch zu Fäusten geballt habe. Ich lockere den Griff, versuche, die aufgestaute Anspannung der letzten Minuten aus meinem Körper weichen zu lassen, und öffne das Biologiebuch.

Humaira braucht meine Hilfe nicht, egal, wie sehr ich sie durchschütteln und Jetzt hör doch mal auf damit! rufen will. Immer muss sie für alle ein offenes Ohr haben. Sie merkt gar nicht, wie die sie nur aussaugen und rein gar nichts zurückgeben. Manchmal frage ich mich, wie Humaira das schon so lange aushält. Manchmal frage ich mich, wie lange das noch so weitergehen kann.

Aber das geht mich nichts an.

Humaira und ich sind schließlich nicht mal befreundet.

Als ich im zweiten Jahr der Secondary School hierher gewechselt bin, sollte Humaira mich herumführen und mir alles erklären. Natürlich nur, weil wir beide People of Colour sind und alle dachten, wir würden uns sicher gut verstehen. Aber Humaira und ich könnten unterschiedlicher nicht sein, auch wenn wir beide bengalisch sind.

Jetzt wendet Humaira sich mir zu und lächelt mich zu meiner Überraschung ebenfalls an. »Und bei dir, Ishita?« Sie ist echt gut im Codeswitching. Wegen unserer bengalischen Eltern haben wir beide zwei Namen. Meine Familie und die meisten Bengalis nennen mich Ishu, alle anderen Ishita. Humaira hat mittlerweile so viele Namen, dass ich kaum mehr mitkomme.

»Ganz gut, denk ich.« Ich zucke mit den Schultern. Ehrlich gesagt habe ich ziemlich sicher mit Bravour bestanden. So wie bei allen bisherigen Tests an dieser Schule – jedes Mal mit A, der Bestnote. Aber Aisling feuert schon wieder mit den Augen Blitze auf mich ab und bringt mich möglicherweise noch um, wenn ich nicht ein bisschen Bescheidenheit zeige.

»Schön.« Humaira legt meinen Test auf den Stapel.

»Und bei dir?«, frage ich.

Sie lächelt nur und tippt sich seitlich an die Nase, dann geht sie weiter zur nächsten Reihe.

Ich verdrehe die Augen. Aisling hätte sie bestimmt eine Antwort gegeben.

Egal.

Kapitel zwei

Hani

Abba vor all diesen Leuten reden zu sehen fühlt sich surreal an. Die Menge ist ganz in seine Stimme gehüllt, und obwohl er sich an alle Anwesenden richtet, kommt es mir vor, als würde er nur zu mir sprechen. In gewisser Hinsicht wirkt er gar nicht wie mein Abba. In anderer schon. Die ganzen wundervollen Eigenschaften, die ihn zu meinem Abba machen, schwingen auch jetzt irgendwie mit.

Neben mir zieht Aisling ihr Handy aus der Tasche. Das Display ist unangenehm hell. Ich bin kurz genervt, schlucke meinen Ärger aber runter.

Von der anderen Seite hält Deirdre mir ihr Handy vor die Nase und deutet darauf. Der Anzeige in der oberen Ecke zufolge ist es 18:35 Uhr. Fragend hebt Dee eine Augenbraue. Ich schüttle den Kopf in der Hoffnung, dass ihr das als Antwort reicht, doch sie runzelt nur die Stirn.

Ehe ich mich's versehe, hat sie sich so weit zu mir rübergebeugt, dass ihre Schulter meine rammt. »Hast du nicht gesagt, wir können um halb sieben gehen?« Es klingt, als wäre es eine Strafe für sie, hier sein zu müssen.

»Nur noch ein paar Minuten ...«, murmle ich, den Blick starr nach vorne auf Abba gerichtet. Ich versuche, wieder in seine Rede hineinzufinden. Natürlich habe ich sie schon tausendmal gehört. Wahrscheinlich könnte ich sie sogar selbst halten, wäre da nicht meine riesengroße Abneigung dagegen, vor Publikum zu sprechen.

Dee erschwert das Ganze, indem sie sich noch weiter vorbeugt und an mir vorbei bedeutungsvolle Blicke mit Aisling tauscht. Als wäre fünf Minuten länger zu bleiben für die beiden eine Zumutung.

Ich beiße mir auf die Unterlippe, während ich über die beste Vorgehensweise nachdenke. Einerseits will ich nicht mitten in Abbas Rede gehen. Andererseits sollen Aisling und Dee nicht weiter für Unruhe sorgen.

»Kommt«, flüstere ich schließlich und bedeute den beiden, mir zu folgen. Kurz darauf haben wir uns durch die Menschenmenge vor der Moschee gekämpft und stehen auf der anderen Seite des Zauns. Von hier aus hört man immer noch gedämpft Abbas Stimme, aber sie ist nicht laut genug, um einzelne Wörter auszumachen.

»Falls dein Dad Stress macht, sag einfach, dass du mit uns verabredet warst«, meint Aisling, als sie meinen Gesichtsausdruck bemerkt. Offenbar hat sie die Anspannung darin als Angst vor Abbas Reaktion missverstanden.

»Er wird keinen Stress machen«, sage ich leise und folge Aisling und Dee zur Bushaltestelle.

»Wir müssen ja nicht zu allen seinen Reden gehen, oder?«, fragt Aisling. In ihrer Stimme schwingt ein höhnischer Unterton mit, während sie – vergeblich – versucht, ein möglichst neutrales Gesicht zu machen.

Ich unterdrücke ein Seufzen. Fast wünschte ich, ich hätte Aisling und Dee nichts von der Veranstaltung erzählt. Als sie mich gefragt haben, ob ich heute Zeit habe, hätte ich irgendwas anderes sagen sollen – alles außer der Wahrheit: dass ich Abba beim Wahlkampf unterstütze.

Nicht mal die Tatsache, dass das Ganze auf dem Platz vor der Moschee stattfinden sollte, konnte Aisling und Dee vom Mitkommen abhalten. Ich hatte mich sogar ein bisschen darauf gefreut, ihnen unsere Moschee zu zeigen. Immerhin habe ich hier schon ziemlich viel Zeit verbracht: zu den Eid-Gebeten und, in den Schulferien, zum Juma-Gebet.

Aber das war offensichtlich ein Fehler.

»Ich fand's eigentlich ganz interessant«, sagt Dee.

Aisling dreht sich zu ihr um, und die Überraschung steht ihr ins Gesicht geschrieben. Anscheinend findet sie Abbas Wahlkampf und die Tatsache, dass er als erste südasiatische Person und als erster Muslim in den County Council gewählt werden könnte, so gar nicht interessant.

»Mein Dad hat gesagt, er ist stolz drauf, wie fortschrittlich die Politik in Irland geworden ist. Dass sogar jemand mit ...« – verstohlen blickt Dee in meine Richtung – »... nicht so gutem Englisch eine Chance hat, zu gewinnen.«

Darauf kann ich nur mit einem Stirnrunzeln antworten. »Mein Dad spricht perfekt Englisch.«

Das stimmt. Wahrscheinlich ist sein Englisch sogar besser als meins. Im Gegensatz zu uns haben Amma und Abba als Kinder alle Feinheiten der englischen Sprache gelernt. Bei den ganzen mir völlig unbekannten Wörtern, die er benutzt, frage ich mich manchmal, ob Abba in seiner Freizeit Wörterbücher auswendig lernt.

»Ja, schon, aber ... na ja.« Dee hebt eine Augenbraue, als wäre da irgendein Witz, den ich verstehen müsste.

»Na ja was?«

»Er hat einen Akzent«, rückt sie endlich mit der Sprache raus. »Nen ziemlich dollen.«

»Hat doch jeder«, gebe ich standhaft zurück. Ich will das Thema nicht einfach fallenlassen. Immerhin kandidiert Abba nicht jeden Tag für den City Council.

Aber Aisling und Dee begreifen es nicht, und ich bin nicht sicher, ob ich das ändern kann.

»Es war schon ein bisschen langweilig, schätze ich ...« Ich verschränke die Arme, lehne mich gegen die Glasscheibe der Bushaltestelle und versuche gleichzeitig, das komische Ziehen in meiner Magengrube zu ignorieren.

Ein paar Minuten später kommt der Bus, und wir steigen ein. Aisling und Dee lassen sich nebeneinander auf zwei Sitze in derselben Reihe fallen, und ich gleite auf einen Fensterplatz auf der anderen Seite des Gangs. Während der Bus Fahrt aufnimmt, bleiben meine Augen an der Moschee hängen, die draußen an uns vorbeizieht. Eine Menschentraube bewegt sich auf den Eingang zu. Abba hatte vor, sich den Leuten zum Maghrib-Gebet anzuschließen, obwohl er zu Hause fast nie betet.

Kurz wünschte ich, ich wäre bis zum Ende der Versammlung geblieben. Aber wir hatten wirklich abgemacht, um halb sieben zu gehen, und es ist ja auch nicht Dees und Aislings Schuld, dass Abbas Rede länger gedauert hat. Oder dass das Maghrib erst viel später losgeht. Höchstwahrscheinlich wissen Aisling und Dee gar nicht, dass das Maghrib unser Abendgebet ist – ganz zu schweigen davon, wann es anfängt.

»Also, wenn wir bei mir sind, wollen Dee und ich gerne Riverdale weitergucken«, verkündet Aisling. Ursprünglich war der Plan, bei ihr einen Film zu schauen – wie früher, als wir drei uns regelmäßig zusammen bei einer von uns im Zimmer verkrochen haben. Aber das ist eine gefühlte Ewigkeit her.

»Ich weiß nicht, ob ich so Lust auf Riverdale habe«, sage ich, bereue meine Worte aber sofort. Ich kann förmlich dabei zusehen, wie sich Aislings Augenbrauen zusammenziehen.

»Tja, zwei gegen eine, sorry«, mischt Dee sich ein.

Ich seufze tief. »Wisst ihr was, es ist schon spät. Vielleicht sollte ich einfach nach Hause fahren.«

»Dein Ernst?« Aisling verschränkt die Arme vor der Brust und taxiert mich mit einem bohrenden Blick. »Du hast gesagt, du kommst mit zu mir, wenn wir davor zu dieser Sache von deinem Dad gehen.«

»Ich habe gesagt, dass ich zu meinem Dad gehe und vielleicht danach mit zu dir komme. Ihr wolltet mit zu der Rede.«

Aisling verdreht nur die Augen, als hätte ich sie gegen ihren Willen in die Moschee geschleppt – als ob irgendwer Aisling dazu bringen könnte, irgendetwas gegen ihren Willen zu tun.

»Sag deinen Eltern einfach, du möchtest bei Aisling schlafen. Ich schlaf jedenfalls bei ihr«, erklärt Dee.

»Das geht nicht, wisst ihr doch.« Ich seufze wieder und drehe mich weg. Keine Ahnung, wie oft ich diese Unterhaltung schon mit Aisling und Dee geführt habe. Sie lassen einfach nicht locker.

»Ich kapier's nicht«, sagt Aisling. »Deine Mom kennt mich. Sie weiß, wer ich bin. Bei mir zu Hause bist du definitiv sicher, und bequem hast du's da auch. Warum kannst du nicht einfach bei mir schlafen?«

»Es gibt keinen logischen Grund dafür, Aisling.« Ich hab es satt, mich immer und immer wieder erklären zu müssen. Vor allem, weil ich befürchte, dass Aisling und Dee es eines Tages auch satthaben werden und mich dann eben nicht plötzlich so akzeptieren, wie ich bin, sondern sich lieber jemand anders suchen, mit dem sie die ganzen »normalen« Sachen machen können. Beieinander übernachten zum Beispiel. »Ich bin halt bengalisch und muslimisch. Bei uns ist das so.«

»Also gehst du jetzt einfach nach Hause?« Aisling hat die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst und sieht nicht glücklich aus. Ich hasse es, wenn sie mich so anschaut. In letzter Zeit kommt es mir vor, als würde sie das überdurchschnittlich oft tun. So als könnte ich ihr einfach nichts recht machen.

Ich erinnere mich noch gut an unsere Grundschulzeit, lange bevor wir Dee kennengelernt haben. Damals waren wir unzertrennlich, und Aisling fand es nicht schlimm, dass ich abends nicht lange wegbleiben oder bei ihr übernachten oder Alkohol trinken konnte (was sie logischerweise auch nicht tat). Jetzt scheinen ihr die ganzen Kleinigkeiten aufzufallen, die uns voneinander unterscheiden. Und sie hasst sie alle.

»Ich muss. Es wird bald dunkel, und ... ja.« In Wahrheit würde es Amma nichts ausmachen, wenn ich mit Aisling und Dee ein paar Folgen Riverdale gucke und später nach Hause komme. Wahrscheinlich hätte sie nicht mal was dagegen, wenn ich bei Aisling übernachte. Aber dann würde ich das Maghrib verpassen, und das sind mir zwei Stunden Riverdale mit den beiden definitiv nicht wert. Zu Aisling gehen würde bedeuten, dass ich überhaupt nicht beten kann. Die ein- oder zweimal, die das Thema bei uns aufgekommen ist, haben Aisling und Dee sich nämlich so sichtlich unwohl gefühlt, dass sogar ich mich unwohl gefühlt habe. Besser also, wenn ich diesen Teil meines Lebens hübsch verpackt zu Hause versteckt halte.

»Morgen kommst du aber mit, oder?«, fragt Dee. Ich löse den Blick vom Fenster und schaue zu ihr rüber. Sie lächelt mich strahlend an. »Nach der Schule. Nimm was zum Umziehen mit!«

»Ich weiß nicht ...« Aisling und Dee haben mich gefragt, ob ich morgen mit ins Kino will, und ich weiß, dass ihre Freunde, Barry und Colm, ebenfalls da sein werden. Keine Ahnung, ob ich ihnen als fünftes Rad am Wagen einen ganzen Nachmittag lang beim Knutschen im dunklen Kino zuhören will. Bevor mir eine gute Ausrede einfällt, lehnt Aisling sich vor und sieht mich mit funkelnden Augen an.

»Sag jetzt bloß nicht ab!«, droht sie. »Komm schon, Maira. Wir sind zu der Sache von deinem Dad mitgekommen. Und du hast es versprochen!«

Auch wenn es das Letzte ist, worauf ich nach einem langen Schultag Lust habe, nicke ich. »Okay, klar.«

*

Am nächsten Tag wirkt Aisling in der Schule immer noch ein bisschen sauer. Ich versuche, sie zu beschwichtigen, indem ich sie ununterbrochen anlächle.

Aber als ich in der Mittagspause gerade ein paar Bücher aus meinem Schließfach hole, wirft sie mir einen merkwürdigen Blick zu.

»Alles okay?«, frage ich.

Sie lehnt sich mit dem Rücken gegen das Schließfach neben meinem und fragt: »Bist du echt mit Ishita Dey befreundet?«

Dee hört auf, vor ihrem Spind heimlich durch ihren Instagram-Feed zu scrollen, und schaut mich prüfend an.

»Wie kommst du denn darauf?« Ich würde Ishitas und meine Beziehung definitiv nicht als Freundschaft bezeichnen. Nicht mal als freundschaftlich. Ehrlich gesagt weiß ich nicht, als was ich sie bezeichnen würde. Als kompliziert wahrscheinlich.

»Sie ist auf dem Foto, das du letztes Wochenende auf Instagram gepostet hast?« Aislings Feststellung klingt eher wie eine Frage, auch wenn sie gleichzeitig ihr Handy hochhält, um mir das Foto zu zeigen. Sie muss sich das Bild wirklich sehr genau angeschaut haben, Ishita ist nämlich nur ganz verschwommen am äußersten Rand zu erkennen.

»Sie ist ... sowas wie eine Freundin der Familie. Oder – eine bengalische Bekannte. Keine Ahnung. Das war bei 'ner bengalischen Feier.« Ich schüttle den Kopf. Wie soll ich das erklären? Alles, was mit meinem bengalischen Leben zu tun hat, ist so anders als das Leben meiner weißen irischen Freundinnen – unmöglich, es zu beschreiben, ohne gleich ein riesiges Fass aufzumachen. Und selbst dann würden sie es nicht verstehen. Oder es nicht verstehen wollen. Es gibt in der irischen Kultur einfach nichts, was man mit Dawats vergleichen könnte.

»Sieht ganz cool aus«, sagt Dee und lässt ihr Handy in die Brusttasche der Schuluniform gleiten, um es vor den argwöhnischen Blicken des Lehrpersonals zu schützen. »Warum werden wir nie zu diesen ›bengalischen‹ Sachen eingeladen?«

»Ähm.« Ich zögere, unsicher, was ich darauf antworten soll. Weil ihr nicht bengalisch seid kommt mir ein bisschen zu direkt vor. Aber es ist die Wahrheit. Ich weiß nicht, weshalb sie überhaupt kommen wollen würden. Sie würden ungefähr so gut reinpassen wie ein Elefant auf einen Hühnerhof. »Also, es ist einfach ... ein Familiending. Und eher nichts für Freundinnen.«

»Ishita gehört nicht zu deiner Familie«, wirft Aisling ein.

Ich muss mich zusammenreißen, um nicht laut zu seufzen. Außerdem muss ich mich davon abhalten, mir frustriert den Nasenrücken zu reiben. Und vor allem muss ich auf meinen Tonfall achten, damit darin nichts von meinem Ärger mitschwingt. »Na ja, wie gesagt, Ishita ist eine Art Freundin der Familie. Darum ist das ein bisschen was anderes. Ist kompliziert.«

Aisling und Dee stehen immer noch eine Million Fragen ins Gesicht geschrieben. Fragen, auf die ich keine Antwort weiß. Fragen, auf die ich keine Antwort geben will. Also ziehe ich den Reißverschluss meines Rucksacks zu, werfe ihn über die Schulter und sage: »Ich bin am Verhungern. Können wir jetzt bitte einfach essen?«

*

Als es endlich zum Schulschluss klingelt, bin ich komplett erschöpft. Aus irgendeinem Grund ist bei Aisling und Dee das Gegenteil der Fall. Die Tatsache, dass heute Freitag ist, scheint sie nur noch aufgedrehter zu machen.

»Wir gehen aufs Klo, uns umziehen«, sagt Aisling zu mir. »Kommst du mit?«

»Meine Klamotten sind noch im Schließfach. Ich komm gleich nach.«

Als ich meine Sachen holen gehe, sehe ich Ishita am anderen Ende des Gangs so böse auf ihren Spind starren, als hätte er sie persönlich beleidigt. Ich schultere meinen Turnbeutel im selben Moment, in dem Ishita die Schließfachtür zuknallt. Außer mir scheint niemandem die Lautstärke aufzufallen. Was hat das Schließfach dir nur getan, I‍s‍h‍i‍t‍a?

»Hey!«, rufe ich ihr zu, obwohl ich weiß, dass das nicht die beste Idee ist. Ishita ist nicht gerade bekannt für ihre gute Laune, aber ich glaube, so wütend habe ich sie nicht mehr gesehen, seit sie letztes Jahr ein B+ für einen Engli‍schaufsatz bekommen hat. Damals hat Ishita Ms. Baker einen Vortrag über die Qualität ihres Aufsatzes gehalten, um nachträglich eine bessere Note zu bekommen. Wor‍aufhin Ms. Baker nur matt lächelte und ihr mitteilte, sie hätte sich entschieden und an der Bewertung sei nicht mehr zu rütteln. Ishita bekam einen Wutanfall und eine Woche Nachsitzen.

»Was?« Jetzt bin ich es, die von Ishita böse angestarrt wird.

»Alles okay?« Ich senke die Stimme, um ihr zu signalisieren, dass wir ein vertrauliches Gespräch führen können, wenn sie möchte.

»Was interessiert dich das?«, fragt Ishita.

»Du wirkst einfach so ... wütend? Hast du eine schlechte Note bekommen?«

Ishita übergeht meine Frage, als wäre diese Erklärung zu weit hergeholt, um beachtet zu werden. Dabei sind Noten doch das Einzige, was Ishita zu interessieren scheint.

Sie schüttelt den Kopf. »Nein, es ist nichts. Egal.« Dann macht sie auf dem Absatz kehrt, wirft sich den Rucksack über die Schulter und rauscht davon.

»Na dann, tschüss, Ishita!«, brummle ich leise vor mich hin, während ich mein eigenes Schließfach zumache. »Dir auch ein schönes Wochenende, Ishita!«

»Mit wem redest du da?« Dee kommt um die Ecke und sieht sich auf dem beinahe leeren Flur um. Sie ist schon umgezogen und trägt jetzt Jeans und ein Crop-Top. Außerdem hat sie ihren Pferdeschwanz gelöst, und ich bin ziemlich beeindruckt von der Menge an Make-up, die sie innerhalb kürzester Zeit aufgetragen hat.

»Mit niemandem.« Ich schüttle den Kopf, um Ishita daraus zu vertreiben. Seit ihrem ersten Tag an dieser Schule ist sie nichts als eine Bürde für mich. Früher konnte ich sein, wer ich wollte. Mit Ishita hat sich das schlagartig geändert. Seit sie hier ist, werden wir wegen unseres gemeinsamen kulturellen Hintergrunds ständig über einen Kamm geschert. Bei allem, was Ishita macht, fragen mich Aisling und Dee: »Warum hat sie das gemacht?«; bei allem, was sie sagt: »Warum hat sie das gesagt?«. Ich weiß, es ist nicht Ishitas Schuld, wenn die Leute denken, dass unsere Kultur unser Sprechen und Handeln bestimmt. Aber trotzdem.

»Ich muss mich noch umziehen«, sage ich schnell. »Bin gleich zurück.« Ich versuche, nicht mehr an Ishita zu denken. Es gibt genug andere Dinge, über die ich mir den Kopf zerbrechen kann.

Kapitel drei

Ishu

Nik: Jetzt sterb ich garantiert an ner lungenentzündung.

Beim Blick aufs Handy verdrehe ich die Augen, auch wenn Nik es gar nicht sehen kann. Dieses leblose Objekt ist mein einziger Zeuge. Schon seit einer Stunde schreibt Nik mir ununterbrochen, dass sie zu Hause angekommen ist und ich sie reinlassen soll. Sogar im Unterricht! Weil Nik so selten an irgendwen anders als sich selbst denkt, ist ihr wohl gar nicht in den Kopf gekommen, dass ich ihr nicht aufmachen kann, wenn ich in der Schule bin. Offenbar weiß sie nicht mal mehr, wann der Unterricht endet, obwohl sie hier vor zwei Jahren selbst noch Schülerin war.

Nik: Ishu!!!

Ihre Nachrichten kommen in immer kürzeren Abständen und werden immer nervtötender. Sie treiben meinen Puls in die Höhe. Vom Bus aus kann ich ihr eh nicht helfen, und auch wenn sie mir noch so oft schreibt, ändert das nichts daran, dass es in Strömen regnet und ich erst in einer Viertelstunde zu Hause ankomme.

Ich stecke mein Handy in die Vordertasche vom Rucksack, verschränke die Arme und starre aus dem regennassen Fenster. Wenn ich es nicht schaffe, meinen Ärger etwas abzukühlen, dann werfe ich Nik noch irgendwas an den Kopf, was ich später bereue. Es ist ihr erster Besuch seit Monaten. Den sollte ich nicht gleich verderben.

Nik versucht zu lächeln, als sie mich durch den Regen auf sich zukommen sieht. Von Herzen kommt das nicht, aber egal. Ich kann es ihr nicht übelnehmen, es ist echt kalt hier draußen im Regen.

»Hi.« Mit dem Schlüssel in der Hand schiebe ich mich an ihr vorbei zur Haustür. Eine Umdrehung, klick, und sie ist offen. Ich schlüpfe hinein. Nik folgt mir leicht zitternd, wobei sie sich umsieht, als würde sie das Haus zum ersten Mal sehen.

»Ihr habt gestrichen«, stellt sie fest.

Ich betrachte die Wand. Das kommt mir schon so lange her vor, eine Erinnerung, die sich mittlerweile mit vielen anderen vermischt hat.

»Jup.«

»Sieht gut aus.« Nik streicht mit dem Finger über die Wand, als müsste sie sich jetzt anders anfühlen.

Wir ziehen die Schuhe aus, und während Nik von einem Zimmer zum nächsten geht und alle Neuerungen seit ihrem letzten Besuch betrachtet, sehe ich sie an. Nicht nur das Haus hat sich verändert, sondern auch Nik.

Ihr Haar ist viel kürzer. Die dicken schwarzen Locken, die sie immer voller Stolz ganz lang getragen hat, gehen ihr nur noch bis zu den Schultern, und sie hat sogar braune Strähnchen. Zugenommen hat sie auch. Früher war sie nur Haut und Knochen und hat als einzige wirklich regelmäßige Mahlzeit literweise Kaffee getrunken. Jetzt tragen wir wahrscheinlich die gleiche Größe.

Ammu wird das gar nicht gefallen.

»Seit wann haben wir so eine schicke Kaffeemaschine?«, ruft Nik aus der Küche.

Ich seufze und folge ihr, um zu sehen, wie sie die Kaffeemaschine bewundert, die ich Ammu und Abbu mit der Begründung aufgeschwatzt habe, ich bräuchte sie, um das Leaving Cert mit Bestnote zu bestehen. Ammu und Abbu würden mir vermutlich auch eine Herde Einhörner kaufen, wenn ich behaupte, dann besonders gute Noten zu schreiben.

»Seit zwei Monaten oder so«, beantworte ich Niks Frage.

»Wow, Ammu und Abbu verwöhnen dich ganz schön, was? Ihr Babu.«

Ich verdrehe die Augen. Babu nennen Bengalis manchmal das jüngste Kind der Familie. Wörtlich übersetzt bedeutet es Baby. Aber ich bin immer ausgerastet, wenn mich jemand so genannt hat, deshalb hat es sich nicht durchgesetzt. Nur Nik benutzt es manchmal, um mich aufzuziehen. Als hätten Ammu und Abbu sie nicht ihr Leben lang betüddelt, ihr perfektes Lieblingskind.

»Warum bist du hergekommen?«

Nik beendet die Kaffeemaschineninspektion und sieht mich geringschätzig an.

»Ich darf also nicht mal ohne bestimmten Grund nach Hause kommen?«, fragt sie in beleidigtem Ton.

»Du warst seit über einem Jahr nicht mehr hier«, entgegne ich. »Du rufst nie an.«

»Na und? Ich wollte euch halt einfach mal wiedersehen«, sagt Nik. »Ammu und Abbu ...« Sie lässt den Satz einen Moment in der Luft hängen, bevor sie hinzufügt: »Na ja, ich hab auch was zu erzählen.«

»Und du konntest ihnen nicht vorher sagen, dass du kommst?«, frage ich.

»Ich wollte sie eben überraschen. Sie freuen sich bestimmt, mich so unerwartet zu sehen.« Nik lächelt, und plötzlich ergibt alles Sinn.

Niks eigentliche Überraschung wird Ammu und Abbu wütend machen. Aber wenn sie sich gleichzeitig über Niks plötzlichen Besuch freuen, schlucken sie die Wut vielleicht runter. Darauf scheint Nik zu setzen – dass sie sich mehr freuen als ärgern.

Die Neuigkeiten müssen ziemlich übel sein, wenn sie extra herfliegt, um sie zu überbringen.

»Sie kommen erst in ein paar Stunden nach Hause, nur dass du's weißt.«

»Okay. Dann können wir beide ja noch ein bisschen quatschen. Wie läuft's in der Schule? Hast du einen Freund?«

Ich seufze. »Ich muss lernen.«

»Echt jetzt? Ich hab dich seit einem Jahr nicht mehr gesehen.«

Und wessen Schuld ist das?, will ich antworten. Sie ist die große Schwester. Sie sollte zu Besuch kommen. Sie sollte zu Weihnachten und Silvester hier sein. Sie sollte anrufen und schreiben und erzählen, was bei ihr so los ist. Aber das tut sie nicht.

Wir waren nie besonders dicke, aber seit Nik weg ist, fühlt sich das Haus leer an. Ihre Abwesenheit bedrückt uns alle.

»Dein Überraschungsbesuch wird meine Lehrer nicht davon abhalten, uns Tests aufzubrummen.«

»Es ist Freitag.« Nik lässt nicht locker. Als hätte sie nicht selbst auch ihre Freitagabende damit verbracht, in ihrem Zimmer fürs Leaving Cert zu lernen. Aufs UCL kommt man nicht, indem man sich Lernpausen gönnt, wann immer einem danach ist.

Ich seufze. »Weißt du, unter welchen Umständen Ammu und Abbu sich noch mehr freuen würden, dich zu sehen?«

Niks Gesicht hellt sich bei dieser Frage auf. »Schieß los!«

»Wenn sie nach Hause kommen und ihre beiden Töchter Abendessen gekocht haben.«

*

Nik und ich bringen tatsächlich einen Topf Biryani zustande, noch bevor Ammu und Abbu nach Hause kommen. Wir sind beide nicht gerade geübte Köchinnen, aber mit einer Packung Shan Masala ist uns ein halbwegs vorzeigbares Gericht gelungen. Ammu und Abbu werden sich freuen.

Als das Haustürschloss klickt, huscht ein Schatten über Niks Gesicht. Doch im nächsten Moment hat sie bereits ihr für unsere Eltern reserviertes Lächeln aufgesetzt – das Lieblingstochterlächeln. Während Nik unsere Eltern begrüßt, decke ich weiter den Tisch.

Ich verteile Teller, gieße Wasser ein und lausche dabei Ammus und Abbus Freudenrufen bei Niks Anblick.

»Was machst du denn hier?« Ammus Stimme klang schon lange nicht mehr so froh. »Du hast ja gar nicht angerufen!«

»Es sollte eine Überraschung sein ...«, antwortet Nik erstaunlich unbekümmert. »Kommt in die Küche, Ishu und ich haben für euch gekocht.«

Abbu kommt in die Küche und sieht mich an.

»Ishu, du wusstest, dass Nikhita kommt und hast gar nichts gesagt?«

Ich zucke mit den Schultern. »Sie hat gestern erst angerufen ... Sie meinte, sie will euch überraschen.« Einen Augenblick lang befürchte ich, sie könnten schimpfen, weil ich es geheim gehalten habe. Stattdessen strahlen Abbu und Ammu mich an – und als sie den gedeckten Tisch und die Schüssel mit Biryani bemerken, lächeln sie noch breiter.

»Das hast du gekocht?« Ammu schnuppert beim Hinsetzen in der Luft, die Augen erstaunt geweitet. Abbu nimmt ihr gegenüber Platz und häuft sich sofort Biryani auf den Teller.

»Ishu hat mitgeholfen.« Nik stupst mich mit der Schulter an, als müsste ich für die Erwähnung dankbar sein. Dabei habe ich ihr nicht »geholfen« – wir haben gemeinsam gekocht.

Und sowieso: Das Ganze war meine Idee. Wenn, dann hat sie mir geholfen. Ach, egal.

»Das ist wirklich lecker«, sagt Abbu zwischen zwei Bissen. Selbst Ammu scheint es zu schmecken. Sie würden das Essen wahrscheinlich aber auch in den Himmel loben, wenn es scheiße wäre. Immerhin hat ihre Lieblingstochter es zubereitet, Königin Nikhita.

Allerdings muss ich zugeben, dass es echt nicht schlecht schmeckt. Nicht ganz so gut wie Ammus Biryani, aber sie hat ja auch jahrelange Übung und Nik und ich gar keine. Wir haben uns selbst übertroffen.

Ich quelle über vor Stolz und Biryani, als Nik schließlich die Bombe platzen lässt.

»Ammu, Abbu ...«, beginnt sie. »Ich bin nicht nur hier, um euch zu besuchen. Ich hab Neuigkeiten.«

»Ach ja?« Ammu beugt sich vor. Natürlich erwartet sie etwas Gutes: Nik wurde mit einem Preis ausgezeichnet, sie hat einen Praktikumsplatz bekommen, sie macht den Abschluss früher. Wie man es von der Vorzeigetochter erwartet.

Nik atmet tief durch. »Ich nehme mir ein Jahr Auszeit vom Studium«, stößt sie hervor. »Ich ... hab jemanden kennengelernt.«

Auf einen Schlag fühlt sich der Raum an, als sei alle Luft entwichen.

Kapitel vier

Ishu

»Was soll das heißen, du hast jemanden kennengelernt?«, fragt Abbu, und gleichzeitig ruft Ammu: »Ein Jahr Auszeit vom Studium?«

Niemand schenkt dem Biryani noch Beachtung. Es liegt unberührt auf den Tellern.

Na ja, ich beachte es schon noch, kann während einer Familienkrise ja aber wohl kaum beherzt weiteressen.

Nik blickt unseren Eltern nicht in die Augen. Sie fixiert ihren Teller, als könnte der sie retten. Von all den schlechten Nachrichten, die Nik hätte überbringen können, wäre ich darauf nie gekommen.

»Nur für eine Weile«, erklärt sie. »Wir ... also, wir sind schon länger zusammen. Und, na ja ... wir wollen heiraten, und ich kann nicht gleichzeitig studieren und die Hochzeit planen. Und –«

»Bist du schwanger?«, fährt Ammu dazwischen. »Ist das der Grund?«

»Nein!« Endlich blickt Nik auf. In ihren Augen glänzen ungeweinte Tränen. Dieses ganze Geständnis scheint sie wirklich mitzunehmen. Der Anblick versetzt meinem Herz einen Stich. Ich kann mich nicht erinnern, Nik schon mal weinen gesehen zu haben. Vielleicht vor Jahren, als wir noch klein waren. Nik ist hart wie Stein. Nik ist unverwundbar.

Dachte ich zumindest immer.

»Na ja ...« Nik zögert. »Wünscht ihr euch das nicht? Dass ich heirate und Kinder kriege? Du hast es doch auch so gemacht, Ammu?«

Ammu schüttelt den Kopf, dabei hat sie es tatsächlich genauso gemacht. Sie hat ein Jahr vor dem Uniabschluss geheiratet und geradeso die Prüfungen bestanden. Seitdem hilft sie Abbu mit dem Laden. Sich mit ihrem Abschluss auf eine andere Stelle beworben hat sie nie. Von uns hat sie immer mehr erwartet. Genau wie Abbu.

»Doch nicht jetzt«, antwortet Ammu. »Du gehst aufs UCL, Nikhita. Du studierst Medizin. Das ist dein Traum. Den darfst du nicht für irgendeinen Mann aufgeben. Deine Träume sind ihm ja offenbar egal, wenn er will, dass du dein Studium unterbrichst.«

»Er will gar nichts.« Niks Stimme ist jetzt fest. »Ich will diese Pause. Ich ... ich brauche die für mich selbst. Für uns. Wir heiraten. Das ist ein großer Schritt, keine Kleinigkeit. Ich hör ja nicht auf zu studieren. Nach einem Jahr mach ich weiter. Das wird überhaupt keinen Unterschied machen. Versprochen.« Sie klingt wie ein Kind, das seine Eltern um ein Geschenk anbettelt, nicht wie eine Erwachsene, die anscheinend bald heiratet.

Scheiße, Nik heiratet bald.

»Wer ist dieser Typ?«, fragt Abbu mit Nachdruck. »Irgendein weißer Londoner?«

Nik schüttelt den Kopf. »Er heißt Rakesh. Er ist auch indisch und hat letztes Jahr seinen Ingenieursabschluss gemacht.«

Ich schaue zu Ammu und Abbu rüber. Mit einem indischen Ingenieur werden sie doch wohl zufrieden sein – eigentlich sollten sie sich freuen. Da bleibt ja nichts zu wünschen übrig. Nik hat sich genau die Art Mann ausgesucht, die unsere Eltern auch für sie gewählt hätten. Und trotzdem sehen sie beide so empört aus, als hätte Nik soeben verkündet, einen shada Typen ohne Ambitionen heiraten zu wollen.

»Unglaublich, nach allem, was wir getan haben, damit du einen Platz auf einer guten Universität und die beste Ausbildung bekommst ...« Abbu lässt den Satz in der Luft hängen und schüttelt den Kopf. Er steht auf, sein Stuhl kratzt über die Küchenfliesen. Einen Moment lang sieht er Nik an, als wollte er noch etwas hinzufügen, dann wendet er sich ab und stürmt die Treppe hoch. Ammu folgt ihm einen Moment später.

Nik sitzt einfach nur da, lautlose Tränen kullern ihr über die Wangen. Ich weiß nicht, was ich tun oder sagen soll.

Wie konnte Nik so ... dämlich sein? Nach einer halben Ewigkeit hier aufkreuzen und verkünden, dass sie die Uni schmeißt und heiratet? Warum muss sie zum Heiraten überhaupt die Uni schmeißen?

»Die werden sich schon wieder einkriegen«, sage ich und tätschle Nik die Schulter, in der Hoffnung, sie zu beruhigen. Sie schüttelt meine Hand ab, als würde die Berührung brennen.

»Werden sie nicht«, seufzt sie. »O Gott, wie konnte ich mir nur einbilden, dass sie es vielleicht verstehen würden?«

»Das sind ziemlich große Neuigkeiten«, sage ich in rechtfertigendem Ton. »Ist doch klar, dass sie wütend sind. Du hast so hart gearbeitet, um ans UCL zu kommen, und jetzt schmeißt du alles hin ...«

»Tu ich doch gar nicht!«, ruft Nik. »Ich hab doch gesagt, ich mach den Abschluss später noch. Aber ... grad geht es einfach nicht. Ich brauch Zeit ...« Sie scheint eher sich selbst überzeugen zu wollen als mich.

»Kannst du ihn nicht heiraten und das Semester trotzdem durchziehen?«, frage ich. »Ist doch nur eine Hochzeit.«

»Das geht nicht«, sagt Nik mit steinerner Stimme. »Das verstehst du nicht. Du hast nie ...« Sie schüttelt den Kopf, als wäre es einfach zu schwer zu erklären. »Ich sollte gehen. Rakesh hat uns ein Hotelzimmer in der Stadt gebucht.«

»Er ist hier?«

»Ja. Ich wollte ihn euch vorstellen. Aber ... vielleicht lieber nicht. Keine Ahnung. Muss ich mir überlegen. Könntest du ...« Jetzt sieht sie mich mit großen, flehenden Augen an. Ein Gesichtsausdruck, den ich von meiner Schwester nicht kenne. »Versuchst du, sie zu überzeugen, dass ich das Richtige tue?«

Wie soll das gehen, wenn ich mir sicher bin, dass sie das Falsche tut? Aber nachdem sie gerade geweint hat, kann ich nicht Nein sagen.

»Klar, ich versuch's«, verspreche ich halbherzig.

Nik scheint das zu reichen, sie lächelt sogar. »Danke, Ishu.«

*

Abends lasse ich meine Tür einen Spalt breit offen, um Ammus und Abbus Diskussion über die Ereignisse des Tages zu hören. Sie sind es gewohnt, dass ich still über meinen Schulbüchern sitze, und kämen wohl nie auf die Idee, ich könnte sie hören oder sogar absichtlich lauschen.

»Wir müssen sie irgendwie zurück an die Universität bekommen«, sagt Ammu, als wäre es ihre Entscheidung, nicht Niks. Ich kann mir sehr gut vorstellen, dass meine Eltern Nik überreden könnten zurückzugehen. Darin sind sie gut.

»Ich rede mit ihr. Allein. Sie ist jung und denkt, sie wäre verliebt«, verkündet Abbu selbstsicher. »Das wird schon wieder.«

»Was, wenn nicht?« Ammu klingt verzweifelt. »Was machst du, wenn du sie nicht überzeugen kannst? Wir haben uns solche Mühe gegeben, anständige Menschen aus den beiden zu machen, und jetzt –«

»Nik wird das Studium wieder aufnehmen, ihren Abschluss machen und Ärztin werden.« Der Nachdruck in Abbus Stimme lässt mich zweifeln, wen er eigentlich gerade überzeugen will. »Und bei Ishu ... läuft es doch gut. Sie ist auf dem richtigen Weg, oder nicht?«

Ich fahre hoch und lasse fast das Mathebuch fallen, in dem ich zu lernen vorgebe.

»Das dachten wir bei Nik auch.« Ammu seufzt, als wäre Niks Entscheidung, eine Auszeit zu nehmen, ansteckend. »Nik war immer so ... zielstrebig. Ich versteh nicht, was passiert ist.«

»Ich ruf sie an und kläre ...« Lautlos schließe ich die Zimmertür, während Ammu und Abbu weiter versuchen, das Nik-Problem zu lösen.

Ich lege das Buch auf den Tisch und lasse mich zurück auf den Stuhl fallen, unsicher, was ich davon halten soll. Wenn ich mich zusammenreiße, lerne, mir Mühe gebe, auf die beste Uni komme und auch Medizin studiere, werden Abbu und Ammu stolz auf mich sein – das dachte ich zumindest immer. Darauf arbeiten wir schon mein ganzes Leben hin. Nicht nur ich, sondern auch meine Eltern. Sie sind mit uns hierhergezogen, in dieses Land, damit wir ein besseres Leben haben. Damit wir Chancen haben, die sie nie hatten.

Bloß weil Nik es verbockt, heißt das plötzlich, dass ich es auch tun könnte? Unsere Eltern haben uns immer als Einheit betrachtet, obwohl Nik und ich kaum was gemeinsam haben. In diesem Augenblick wird mir klar, dass sie nur zwei Versuche haben, alles ganz genau richtig zu machen. Und weil Nik ihren Versuch in den Sand gesetzt hat, ist es jetzt an mir, zu beweisen, dass ich zu allem bereit bin.

Ich brauche nur die passende Gelegenheit.

Kapitel fünf

Hani

Ich weiß nicht, warum, aber Ishita und ihr wütendes Gesicht lassen mich bis zum Kino nicht mehr los. Falls Aisling und Dee es seltsam finden, dass ich im Bus kaum ein Wort sage, lassen sie es sich nicht anmerken. Sie sind zu beschäftigt damit, verschwörerische Blicke zu tauschen und zu kichern. So läuft es eigentlich immer, wenn ich als fünftes Rad am Wagen mit auf ihre Doppeldates komme.

Vor dem Kino werden wir von Aislings Freund Barry und Dees Freund Colm begrüßt. Und dann ist da noch ein dritter Junge. Einer, den ich noch nie gesehen habe.

»Das ist Fionn«, stellt Barry ihn grinsend vor. So, wie Dee und Aisling mich mit leuchtenden Augen und selbstgefälligem Lächeln ansehen, ist mir sofort klar, dass sie uns verkuppeln wollen. Innerlich stöhne ich laut, setze aber nach außen hin ein Lächeln auf.

»Hey, Fionn.«

Fionn hat straßenköterblonde Haare, blasse weiße Haut und strahlend blaue Augen. Er ist einen halben Kopf größer als ich, hat allerdings eine dermaßen schlechte Haltung, dass er kleiner wirkt.

Er ist absolut nicht mein Typ.

Noch klarer wird es, als Aisling und Dee sich an ihre Liebsten hängen und mir nichts anderes übrigbleibt, als neben Fionn herzutrotten, der irgendwas über Schule und Prüfungen nuschelt und seinen Lieblingsfilm Midnight in Paris und dessen ach so genialen Regisseur Woody Allen. Ich muss mich mit aller Kraft davon abhalten, die Augen bis in den Hinterkopf zu verdrehen und aus dem Kino zu sprinten. Stattdessen verschränke ich krampfhaft die Hände ineinander und sage »Wow, spannend«, als ob ich total gerne was über Filme von pädophilen Regisseuren erzählt bekomme.

Während der Vorführung sehe ich immer wieder zu Aisling und Dee rüber in der Hoffnung, dass eine von ihnen meinen Blick auffängt, der sagt: Bitte holt mich hier raus! Aber sie sind zu beschäftigt damit, ihren Freunden die Gesichter abzuschlecken. Irgendwann versucht Fionn tatsächlich, mit mir Händchen zu halten. Das ist mein Zeichen. Ich springe auf, verkünde atemlos »Toilette« und stürme aus dem Saal.

»Und? Wie fandest du Fionn?«, fragt Aisling, als der Film vorbei ist und ich ihnen gesagt – darauf bestanden – habe, dass ich nach Hause muss. Zum Glück haben sie mich nicht allein gehen lassen, auch wenn sie eindeutig lieber noch ein bisschen ihre Freunde abgeknutscht hätten. Es ist ein kühler, klarer Abend, darum ist der Weg zur Bushaltestelle eigentlich ganz schön – bis auf das ganze Gerede über Fionn.

»Ihr habt ja echt den kompletten Film über gequatscht«, bemerkt Dee.

Ich lächle angespannt, unsicher, wie ich es ihnen beibringen soll. Fionn hat definitiv den ganzen Film über gequatscht. So exzessiv, dass ich kaum was von der Handlung mitgekriegt habe.

»Er ist ganz okay«, murmle ich.

»Nur ganz okay?«, fragt Dee. »Ich fand ihn echt nett. Ist ja auch einer von Colms besten Freunden.« Komisch, ich habe noch nie was von Fionn gehört oder gesehen, dabei sind Colm und Dee schon ein Jahr zusammen.

»Ich glaub nicht, dass es passt«, sage ich. »Ich meine, wir hatten kaum was gemeinsam. Keine Ahnung.«

»Er steht garantiert auf dich.« Aisling lächelt. »Kannst doch ruhig sagen, wenn du auch auf ihn stehst.« Sie stupst mich mit der Schulter an, als wäre ich bloß zu schüchtern, um meine Gefühle für Fionn zuzugeben oder so.

»Wolltet ihr mich verkuppeln?«, frage ich. »Sowas mag ich nämlich gar nicht.«

Jetzt verdreht Aisling die Augen, und Dee wirft mir einen nervösen Blick zu.

»Ach, stell dich nicht so an, Maira«, schnaubt Aisling, so als wäre ich bescheuert, nur weil ich nicht mal eben mit einem x-beliebigen weißen Typen wahllos verkuppelt werden will. »Fionn ist doch heiß. Und du hattest schon ewig keinen Freund mehr.«