Harrowmore Diary (Band 2): Tibby und die Saat des Blutes - Miriam Rademacher - E-Book

Harrowmore Diary (Band 2): Tibby und die Saat des Blutes E-Book

Miriam Rademacher

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Beschreibung

Blut fließt in Malmö – und das fast jede Nacht. Immer mehr Menschen werden Opfer von Vampiren und nur wenige überleben das. Während die Angst in der schwedischen Küstenstadt um sich greift, kann Tibby es kaum glauben, dass ausgerechnet ihm die Aufgabe zufällt, das Versteck der Blutsauger aufzuspüren. Doch schon bald findet er eine Spur und diese führt ihn geradewegs in eine Schule …

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Informationen zum Buch

Impressum

Widmung

Prolog

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Epilog

Dank

Miriam Rademacher

Harrowmore Diary

Band 2: Tibby und die Saat des Blutes

Fantasy

 

 

 

 

 

Harrowmore Diary (Band 2): Tibby und die Saat des Blutes

Blut fließt in Malmö – und das fast jede Nacht. Immer mehr Menschen werden Opfer von Vampiren und nur wenige überleben das. Während die Angst in der schwedischen Küstenstadt um sich greift, kann Tibby es kaum glauben, dass ausgerechnet ihm die Aufgabe zufällt, das Versteck der Blutsauger aufzuspüren. Doch schon bald findet er eine Spur und diese führt ihn geradewegs in eine Schule …

 

 

Die Autorin

Miriam Rademacher wuchs auf einem kleinen Barockschloss im Emsland auf und begann früh mit dem Schreiben. Heute lebt sie mit ihrer Familie in Osnabrück, wo sie an ihren Büchern arbeitet und Tanz unterrichtet. Sie mag Regen, wenn es nach Herbst riecht, wenn es früh dunkel wird und die Printen beim Lesen wieder schmecken. In den letzten Jahren hat sie zahlreiche Kurzgeschichten, Fantasyromane, Krimis, Jugendbücher und ein Bilderbuch für Kinder veröffentlicht.

 

 

 

 

 

www.sternensand-verlag.ch

[email protected]

 

1. Auflage, Mai 2024

© Sternensand Verlag GmbH, Zürich 2024

Umschlaggestaltung: Juliane Schneeweiss

Lektorat / Korrektorat: Lektorat Laaksonen | Stefan Wilhelms

Satz: Sternensand Verlag GmbH

 

 

ISBN (Taschenbuch): 978-3-03896-311-0

ISBN (epub): 978-3-03896-312-7

 

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten.

Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

 

 

 

 

Für Christiana

Danke für unsere unerschütterliche Freundschaft

 

Prolog

 

September 1962, Malmö

 

Fria Öberg spannte ihren Regenschirm auf. Nur Sekunden später drängte sich eine Gruppe Zweitklässler ganz nah an sie heran, um ebenfalls vor den dicken Regentropfen geschützt zu sein, die aus einem bleigrauen Himmel herabstürzten. Die Ecke eines Schulranzens traf sie dabei schmerzhaft am unteren Rippenbogen, doch Fria biss die Zähne zusammen und strich dem semmelblonden Besitzer der Tasche sanft über das akkurat gescheitelte Haar.

Ein langer, trockener Sommer war zu Ende gegangen und machte einem nassen Herbst Platz, in dem es täglich kühler wurde. Die Kinder um sie herum wollten davon freilich noch nichts wissen. Und natürlich hatte keines von ihnen einen eigenen Schirm oder auch nur eine wetterfeste Jacke dabei, obwohl ihre Eltern es hätten besser wissen können.

Doch im Alltag der Erwachsenen gingen solche Kleinigkeiten oft unter. Ganz besonders in diesem Teil der Stadt, wo es nur wenige Mütter gab, die nicht berufstätig waren.

Fria Öberg arbeitete seit zwei Jahren als Lehrerin am Rande von Malmö und liebte ihre Arbeit mit den Kindern.

Wenngleich sie in Wahrheit keinerlei Qualifikationen für eine solche Aufgabe besaß. Das aber wusste niemand, der sie hier kannte. Nicht die Kollegen, nicht der Schulrektor und schon gar nicht die Kinder.

Ja, tatsächlich ahnte auch keiner der Menschen an der Lindeström-Schule, dass Fria Öberg gar nicht ihr richtiger Name war und sie nicht einmal aus Schweden stammte.

Lauter kleine Geheimnisse, die, nach Frias Meinung, niemandem wehtaten und demnach zwangsläufig auch keinen etwas angingen außer sie selbst.

»Wann kommt denn endlich der Bus?«

Die kleine Ava sah treuherzig zu ihr auf. In den zerzausten weißblonden Haaren des Mädchens glitzerten Regentropfen, und sie schien in ihrem dünnen Sommerkleid, über dem sie nur eine Strickjacke mit zu kurz gewordenen Ärmeln trug, zu frieren.

»Er hat noch fast fünf Minuten, um pünktlich einzutreffen«, antwortete Fria nach einem schnellen Blick auf ihre Armbanduhr. »Hab noch etwas Geduld.«

Wie an jedem Freitagmittag führte Fria die Busaufsicht an der Haltestelle hinter der Schule. Von diesem Punkt aus wurden die Kinder, deren Schulweg als ›zu weit zum Laufen‹ erachtet wurde, abgeholt und näher an ihr Zuhause herangefahren.

Meist waren es die jüngeren Schüler, die den Bus nahmen. Etwa ab der fünften Klasse zogen es die Schüler vor, das Fahrrad zu benutzen. Daher war keines der Buskinder an diesem Tag älter als zehn Jahre.

Jeden Tag kam der klapprige Kleinbus hier an, dessen Fenster sich nie ganz schließen ließen, weswegen die Hälfte der Buskinder auch ständig erkältet war, und holte die Horde ab. Bei schlechtem Wetter wie heute bestand keine Gefahr, dass die Kinder zu wild am Straßenrand herumtollten.

Aber oft genug war es nur Frias Wachsamkeit zu verdanken, dass keiner der Rabauken zu Schaden kam.

Jetzt jedoch waren alle Blicke auf die Kurve nahe der Bäckerei gerichtet, durch die sich ihnen der Bus jeden Moment nähern musste. Sie alle wollten ins Trockene.

Lediglich Frias Aufmerksamkeit wanderte gelegentlich nach oben, zu dem Balkon auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Auf ihm konnte sie die Gestalt des einsamen Mannes erkennen.

Wie jeden Tag stand er dort und schaute auf sie und die Schüler herab. Wie jeden Tag verharrte er an dieser Position und bewegte sich nicht. Er rauchte noch nicht einmal eine Zigarette, was seine Anwesenheit im Freien bei solch einem Wetter irgendwie erklärt hätte, er war einfach nur da.

Fria war die Gestalt des Mannes unheimlich. Ihr gefiel der Gedanke nicht, dass ein Fremder ihr und ihren Schützlingen tagtäglich so viel Interesse entgegenbrachte. Ein Grund mehr dafür, diese Person genauso im Auge zu behalten wie er sie. So war ihr das Hinaufschauen zum Balkon längst zur festen Gewohnheit geworden.

»Wie lange noch?«, quengelte nun ein zweites Kind. Ein Junge, dessen Name Sven war, wenn sich Fria richtig erinnerte.

»Etwa vier Minuten.« Dieses Mal sah sie gar nicht erst auf die Uhr. Es konnte noch nicht viel Zeit vergangen sein, seit Ava ihr dieselbe Frage gestellt hatte.

»Da ist er«, riefen mehrere Kinder unvermittelt und deuteten mit den Fingern nach vorn.

Und tatsächlich bog soeben ein Bus um die Ecke und näherte sich der Haltestelle. Es war nicht derselbe, der die Kinder gestern und vorgestern abgeholt hatte. Die Farbe war eine andere und die Größe stimmte auch nicht mit dem üblichen Gefährt auf dieser Route überein.

Aber er war genauso alt und klapprig, wie Fria es von Schulbussen gewohnt war, und als er hielt und die Tür aufschwang, lächelte der Fahrer ihr und den Kindern freundlich entgegen.

»Na? Habt ihr die Nase voll für heute? Wollt ihr nach Hause?«, rief der Mann mit der Schiebermütze und dem grauen Kittel, die ihm irgendwie einen offiziellen Anstrich verliehen, obwohl seine Gummistiefel das Bild störten. Ein gewaltiger Schnurrbart beherrschte sein Gesicht. Fria war davon überzeugt, ihn noch nie zuvor gesehen zu haben.

Es war diese Kombination aus einem fremden Bus und einem ihr unbekannten Fahrer, die sie kurz misstrauisch werden ließ.

»Ist das hier der Bus für die Kinder der Lindeström-Schule?«, fragte sie sicherheitshalber und hielt Ava zurück, die es kaum erwarten konnte, ins Trockene zu kommen.

»Aber ja.« Er strahlte sie an. »Meine Güte, du erinnerst mich an jemanden, ich weiß gerade nur nicht, an wen.«

Das bekam Fria häufig zu hören. So häufig, dass diese Bemerkung eine Art Vertrautheit zwischen ihr und dem Fahrer schuf. Dies war eine ganz alltägliche Situation, es gab keinen Grund für ihre Besorgnis.

»Also gut, dann hinein mit euch.« Sie ließ Ava los, die als eine der ersten die zwei steilen Stufen hinaufstieg und sich den vordersten Platz, gleich hinter dem Fahrersitz sicherte. Die anderen Kinder ließen sich mehr Zeit, schlenderten betont lässig am Fahrer vorbei und verzogen sich freiwillig in die hinterste Sitzreihe.

»Schönen Tag noch! Ah! Jetzt weiß ich es! Du siehst aus wie Schwester Hildgitha«, rief der Fahrer ihr zu, bevor sich die Tür zwischen ihnen schloss.

Die kleine Ava winkte ihr überschwänglich mit beiden Händen gleichzeitig zu. Fria winkte zurück und sah dem davonschaukelnden Bus nach.

Nun war der Feierabend zum Greifen nah. Nur ein paar Straßen weiter befand sich ihre kleine Wohnung. Dort konnte sie dem Regen entfliehen und es sich mit einem guten Buch vor dem Ofen gemütlich machen.

Noch einmal schielte sie hinauf zu dem Mann auf dem Balkon, doch nun war er verschwunden.

So verhielt es sich immer. Waren die Kinder erst fort, verließ auch der seltsame Beobachter seinen Posten.

Es war und blieb eigenartig, doch wer war sie, dass sie sich über die Schrullen anderer Leute den Kopf zerbrach?

Ausgerechnet sie.

Gerade wollte sich Fria abwenden und zurück zum Schulgebäude gehen, um ihre Tasche zu holen, als ein unvorhergesehenes Ereignis ihren Herzschlag plötzlich stolpern ließ. Um die Kurve beim Bäcker bog soeben ein weiterer Bus. Und dieses Mal handelte es sich genau um das Modell, das die Kinder an den Vortagen eingesammelt hatte.

Mit wachsendem Entsetzen beobachtete Fria, wie das Gefährt direkt vor ihr abstoppte, die Tür sich öffnete, und ein ihr wohlbekannter Fahrer rief: »Nanu? Hast du heute keine Kinder für mich?«

Sie öffnete den Mund, um etwas zu erwidern, doch ihr fehlten die Worte. Ein eiskalter Schauer überlief sie.

»Ist alles in Ordnung mit dir? Du wirst so blass.«

Frias Blick schweifte vom Gesicht des Mannes in jene Richtung, in die der fremde Bus mit den Kindern verschwunden war.

Noch immer weigerte sich ihr Mund, die Worte zu formulieren, die ihr durch den Kopf schossen. Es war ja auch ein zu absurder Gedanke.

»Kann ich irgendwie helfen?« Der Fahrer des Busses drehte den Zündschlüssel herum, der Motor erstarb und er kam die zwei Stufen seines Gefährts zu ihr heruntergestiegen.

»Die Kinder.« Endlich hatte sie ihre Sprache wiedergefunden. »Jemand hat die Kinder entführt! Wir müssen die Polizei rufen!«

Kapitel 1

 

Vier Wochen später

 

Bereits kurz nach dem Anlegen der Fähre wurde Tibbys Gepäck ausgeladen und ihm direkt vor die Füße gestellt. Der Blick des Kofferträgers sprach Bände, als er ihm die geöffnete Hand entgegenstreckte und mit der anderen auf die Kiste von der Größe einer Hundehütte klopfte. Für die Plackerei, sie Tibby bis hierher nachgetragen zu haben, erwartete er offensichtlich ein angemessenes Trinkgeld.

»Hier, guter Mann.« Tibby kramte ein paar Kronen aus seiner Geldbörse und hoffte, sein Gegenüber damit ausreichend entlohnt zu haben. »Und wo bekomme ich ein Taxi?«

Als eine Antwort ausblieb und der Gepäckträger sich brüsk von ihm abwandte, wusste Tibby nicht, ob seine gut gemeinte Gabe zu klein ausgefallen war oder der andere kein Englisch verstand. So setzte er sich erst einmal auf sein sperriges Gepäckstück, kramte eine Zigarette aus dem Rucksack, zündete sie an und ließ seinen Gedanken freien Lauf.

Vier Jahre lag es nun schon zurück, seit Tibby zum letzten Mal als Kurier durch die Welt gereist war.

In der Zwischenzeit hatte er eine Reihe beruflicher Experimente gewagt, war mit einem Zirkus herumgezogen, hatte sich als Unterhalter in Nachtclubs versucht und war kurzfristig sogar als Totengräber tätig gewesen.

Bei all seinen Unternehmungen hatte ihn sein Glück nie verlassen, und es war der Hunger nach ›noch mehr Leben‹, der ihn unablässig weitertrieb. Jetzt, mit Anfang Dreißig, fühlte er sich noch genauso rastlos wie zehn Jahre zuvor, und eben dieser Wesenszug hatte ihn hierher nach Schweden gebracht.

»Hey! Hey, hallo!«, rief eine Stimme in diesem Moment.

Als Tibby den Kopf hob, bemerkte er ganz in seiner Nähe ein knallgelbes Schwedentaxi der Marke Volvo, vor dem ein kleiner Mann stand und seine Chauffeurmütze schwenkte.

Erneut hatte sein Glück die Dinge für ihn geregelt und ihm zur rechten Zeit Hilfe geschickt.

In Ermangelung einer Mütze winkte Tibby mit seiner brennenden Zigarette als Zeichen dafür, dass er tatsächlich eine Mitfahrgelegenheit suchte, und deutete dann auf sein Gepäckstück. Eilig kam der Mann angelaufen und begutachtete die Tragegriffe der Holzkiste mit skeptischem Blick.

Besagte Griffe bestanden lediglich aus Tauen, die um den Korpus geschlungen worden waren. Probehalber rüttelte und zog der Fahrer daran. Doch die Kiste rührte sich keinen Millimeter vom Fleck.

»Der Gepäckträger von der Fähre hat es auch ganz allein geschafft«, meinte Tibby, sah aber sofort am ratlosen Gesichtsausdruck seines Gegenübers, dass er nicht verstanden worden war. »Na gut, dann versuchen wir es eben zu zweit.«

Nach einer kurzen Phase des Gestikulierens wuchteten sie das Ungetüm gemeinsam in die Höhe und trugen es zum Volvo.

In dessen Kofferraum fand das gute Stück so gerade eben Platz. Tibbys Rucksack musste auf der Rückbank verstaut werden.

Tibby sprach kein einziges Wort Schwedisch, doch er zögerte nicht, dem Taxifahrer in Englisch zu erklären, was es mit seinem Gepäck auf sich hatte. »Nein, ich habe keine Ahnung, was sich darin befindet. Ein Londoner Anwalt hat mir hundert Pfund plus Spesen geboten, wenn ich dieses Schwergewicht zu einem seiner Klienten bringe. Hierher nach Malmö. Das habe ich natürlich angenommen. Hätten Sie auch, oder?«

Der Mann zuckte mit den Schultern und zog eine Grimasse, bevor er sich zu einer ausführlichen Antwort hinreißen ließ, die Tibby ebenfalls nicht verstand. Er öffnete sich selbst eine der Autotüren, stellte zufrieden fest, dass in diesem Land genau wie bei ihm zuhause Linksverkehr herrschte, und ließ sich auf den Beifahrersitz fallen. Als der Chauffeur seinerseits hinter dem Steuer Platz nahm, reichte er dem Mann einen zusammengefalteten Zettel.

»Zu dieser Adresse soll ich das Riesenbaby bringen, und danach bin ich frei, zu tun und zu lassen, was ich will. Ich habe gehört, in diesem Land soll es wunderschöne Frauen geben.« Er strich sich über das schwarze Haar und richtete den Sitz seiner nagelneuen goldgeränderten Sonnenbrille. Sicherheitshalber klappte er die Sonnenblende herunter und vergewisserte sich mit einem Blick in den Spiegel, dass er noch immer derselbe gut aussehende Mann wie zu Beginn dieser Reise war.

Das war der Fall, auch wenn die Geheimratsecken bei dieser Beleuchtung nicht mehr zu leugnen waren. Indes war er zweifellos nach wie vor jung und attraktiv.

Er zwinkerte sich selbst durch die getönten Gläser zu, klappte die Sonnenblende wieder nach oben und bemerkte, wie der Taxifahrer beim Lesen des Zettels anerkennend nickte.

Offensichtich handelte es sich um eine gute Adresse, an die er nun gebracht werden würde.

Die Fahrt durch Malmö dauerte nur wenige Minuten. Doch diese Zeit reichte aus, um Tibby zu zeigen, wie viele hübsche Damen allein dieser Teil der Stadt zu bieten hatte. Sie flanierten in knappen Miniröcken die Trottoirs entlang, ließen ihr Haar offen bis auf den Rücken fallen und scherten sich offensichtlich nicht darum, dass die Witterung an diesem Tag eher für wärmere Kleidung gesprochen hätte. Ja, die Mode hatte sich in den letzten Jahren sehr verändert, und Tibby begrüßte die Erfindung des Minirocks zu einem Zeitpunkt, da er sich noch jung genug fühlte, um der Trägerinnen dieses Kleidungsstücks den Hof machen zu dürfen.

»Ich mag Schweden.« Tibby kurbelte das Seitenfenster hinunter und warf einer vorbeigehenden Frau in kniehohen Stiefeln eine Kusshand zu, die diesen Gruß spontan erwiderte. »Ich denke, ich werde eine Weile bleiben.«

Gerade wollte er sich zurücklehnen, als das Taxi auch schon wieder hielt. Ungläubig schaute Tibby aus dem Fenster und las den Schriftzug an dem hohen Gebäude vor sich.

»Wir sind schon am Scandic Hotel? Das war ja nur ein Katzensprung. Wie viel bin ich schuldig?«

Er bezahlte dem Taxifahrer eine horrend hohe Summe an Kronen, woraus Tibby schloss, dass sein Trinkgeld für den Gepäckträger nach dem Anlegen der Fähre wohl wirklich zu klein ausgefallen war, und stieg aus.

Das Scandic Hotel wirkte modern und hätte an jedem x-beliebigen Ort der Welt stehen können. Auf Individualität war beim Bau dieses Komplexes kein Wert gelegt worden. Aber was das anging, konnte Malmö in den kommenden Jahren ja noch dazulernen.

»Hey!« Der Taxifahrer hatte die Heckklappe geöffnet und wies auf Tibbys Gepäck. Offensichtlich hatte er nicht die Absicht, es allein aus dem Auto zu heben.

Seufzend griff Tibby nach dem Strick und unter großem Ächzen schleppten sie die Kiste bis direkt vor die Hoteltür.

Allmählich, so gestand er sich ein, wurde ihm das Ding lästig. Der Inhalt interessierte ihn nicht, er wollte es einfach nur noch loswerden. Und dieses Gefühl verstärkte sich noch, als ein Hotelpage mit bitterbösem Blick aus dem Gebäude trat und sich vor ihm aufbaute.

Augenblicklich bat Tibby den Taxifahrer darum, ihm den Notizzettel zurückzugeben, was dieser auch prompt tat.

»Ich habe nicht vor, den Eingangsbereich zu verschandeln, ich führe nur einen Auftrag aus«, sagte er zu dem spitznasigen Burschen in Livree und hielt ihm die Notiz hin. »Schauen Sie hier: Scandic Hotel, Zimmer 417, Mister Havelock. Ich muss diesen Kram nur abgeben, und alles Weitere sollten Sie besser mit Mister Havellock besprechen, ja? Aber vielleicht wären Sie so nett, mir zu helfen, das unförmige Ding bis zum Fahrstuhl zu schleppen. Ha-hallo?«

Tibbys Wortschwall verebbte. Er wurde einfach stehen gelassen, und zwar sowohl von dem Pagen als auch von dem Taxifahrer, der soeben davonbrauste.

»Na, großartig.« Verärgert blickte Tibby auf die Kiste. »Jetzt gibt es also nur noch dich und mich, ja? Wenn ich es mir recht überlege, wäre Schieben bestimmt eine gute Idee. Spätestens sobald dadurch dort drinnen ein teurer Fußboden Schaden nimmt, werden ein paar Helfer angelaufen kommen.«

Energisch packte er den Tragegurt und bugsierte das sperrige Objekt gerade unter Aufbietung all seiner Kräfte durch die gläserne Drehtür, als der Hotelpage mit einem Gepäckwagen aus Messing zurückkehrte, der an einen überdimensionalen Vogelkäfig erinnerte. Mit vereinten Kräften hoben sie die Kiste auf die Transportfläche. Und schon konnte Tibby seine Fracht zu den Fahrstühlen rollen, die offensichtlich gerade für eben diesen Gepäckwagen plus einer weiteren Person, die zwischen Falttür und Gefährt eingequetscht stehen konnte, konstruiert worden waren.

»Vierter Stock?«, fragte Tibby noch, bevor sich die Tür zwischen ihm und dem Pagen schloss. Dann setzte sich der Lift mit einem Ruck in Bewegung.

Als die Kabine hielt und er das Wägelchen herausgezerrt hatte, war Tibby schweißgebadet und wünschte sich nichts mehr als eine erfrischende Dusche und ein sauberes Hemd. Letzteres trug er, wie auch seinen Pass, seinen Reisekamm, sein Tagebuch, ein paar Socken und ein Stück Kernseife in seinem Rucksack bei sich. Mehr Gepäck brauchte es seiner Meinung nach nicht, um Schweden zu erkunden. Alles andere konnte er bestimmt kaufen.

»Zimmer 417.« Er klopfte an und hoffte von ganzem Herzen, dass dieser Mister Havellock nicht ausgegangen war. »Nun endet der anstrengende Teil meiner Reise. Auf Wiedersehen Plackerei und Hallo Schweden. Ich kann es kaum erwarten, mir den Bauch mit Smörrebröd vollzuschlagen.«

In diesem Moment wurde die Tür des Hotelzimmers schwungvoll geöffnet und eine ihm wohlbekannte Person stand vor ihm.

Tibbys Kinnlade sank hinunter bis auf seine Schuhspitzen. Zumindest fühlte es sich so an. Und von einer Sekunde zur anderen begriff er, dass er einem Irrtum aufgesessen war, als er geglaubt hatte, die kommenden Tage genießen zu können. Der wirklich anstrengende Teil dieses Trips lag offensichtlich noch vor ihm. Und vielleicht würde es auch gefährlich werden.

»Da bist du ja endlich«, rief der platinblonde Mann im schwarzen Anzug. »Cayden hatte schon Angst, du könntest mitsamt unserer kostbaren Fracht auf dem Grund des Öresund liegen. Was hat dich nur so lange aufgehalten? Hast dich von hübschen Frauen ablenken lassen, was? Alter Schwerenöter.«

»Abe«, stöhnte Tibby und suchte Halt im Türrahmen. »Was soll das alles? Was machst du hier? Wenn das wieder irgendetwas mit einer Expedition oder sonst einem verrückten Auftrag zu tun hat, bin ich nicht interessiert.«

»Aber den Auftrag hast du doch schon erledigt«, rief Abe und deutete auf den Gepäckwagen samt Kiste. »Jetzt komm rein und begrüß Cayden, während ich mich um die kostbare Fracht kümmere. Hupps. Ist aber schon ein bisschen schwer, was? Na, was soll’s, der Gepäckwagen hat ja Rollen.«

Tibby, der das Gefühl hatte, gerade von eben jenen Rollen überfahren worden zu sein, stolperte ins Innere des Zimmers, wo er auf Cayden, die dunkelhaarige und wesentlich gelassenere Ausgabe von Abe, traf. Doch auch er war ihm nicht weniger unheimlich, denn vor vier Jahren hatte Tibby mit eigenen Augen gesehen, wie der Mann, der ebenso wie Abe vorgab, ein Dämon zu sein, sich in eine Drossel verwandelt hatte.

Tibby, dem Übernatürliches eigentlich nicht fremd war, fiel es trotzdem nicht leicht, den beiden ihre Dämonenstory abzukaufen. Ganz besonders deswegen, weil die Männer stets darauf beharrten, die Guten unter den Bösen zu sein. Und wer hatte schon jemals von guten Dämonen gehört?

»Hallo Tibby.« Cayden lächelte, als wäre es das normalste der Welt, dass sie einander hier in einem Hotel in Malmö wiederbegegneten. »Ist es wirklich fast vier Jahre her, seit wir zusammen den Kongo hinaufgefahren sind? Du hast dich überhaupt nicht verändert. Von den Geheimratsecken einmal abgesehen.«

»Wie unhöflich von dir«, tadelte Abe seinen Freund, zückte ein Taschenmesser und säbelte an den Tauen der Kiste herum, bevor er sich den Nägeln zuwandte, die den Deckel festhielten. »Aber Cayden kann eben nicht lügen. Er ist der Dämon der Wahrheit, wie du dich vielleicht erinnerst. Schade, dass er nicht der Dämon des Klappehaltens ist.«

»Hör auf damit, diese Kiste ist für einen Mister Havelock bestimmt«, protestierte Tibby und wollte ihm das Messer abnehmen.

Doch Abe wehrte ihn ab. »Ich bin Mister Havelock. Und Cayden ist auch Mister Havelock, wir sind alle Havelock. Zumindest, was das Hotelpersonal angeht. Ist einfacher so.« Er riss Nagel um Nagel aus dem Holz und schließlich die gesamte Abdeckung von der Kiste herunter. »Wunderbar. Das wird uns weiterhelfen.«

Sprachlos stand Tibby neben ihm und blickte zum ersten Mal auf das, was er unter Aufbietung all seiner Kräfte von London bis nach Malmö transportiert hatte, und musste erst einmal tief durchatmen, bevor er fragte: »Holzpflöcke? Eine ganze Kiste voller Holzpflöcke? Und was ist das da? Ein Hammer? Und noch ein Hammer? Und noch zwei?«

»Einen für dich, einen für Abe, einen für mich und einen für Doktor Hambling«, erwiderte Cayden und betrachtete zufrieden die eigentümliche Lieferung. »Dieser Tage kann man in den Straßen Malmös gar nicht vorsichtig genug sein.«

»Außerdem sind es keine gewöhnlichen Pflöcke«, ließ sich nun Abe vernehmen und nahm eines der spitz zulaufenden hölzernen Objekte in die Hand. »Sie wurden aus dem Sarkophag eines Pharaos gefertigt, der schon vor Urzeiten gewissen bösen Mächten den Kampf angesagt hatte. Frag mich nicht nach seinem Namen, es war irgendwas mit ›Tutti‹ glaube ich. Wer kennt sich da schon aus.«

»Ihr habt mich zu euch bis ans Ende der Welt kommen lassen, damit ich eine Kiste überdimensionaler Zahnstocher liefere?«, rief Tibby entrüstet und schnappte sich einen der Pflöcke, der überraschend angenehm in der Hand lag. »Was soll der Blödsinn?«

»Wir haben nicht nur dich und diese äußerst nützlichen Gegenstände hierherkommen lassen, sondern hoffentlich auch dein nahezu sprichwörtliches Glück«, fiel ihm Cayden ins Wort, bevor Tibby sich weiter ereifern konnte. »Grausame Dinge gehen derzeit in Malmö vor sich. Sobald die Sonne versinkt, beginnt es, und die Gefahr bleibt bis zum Morgengrauen bestehen. Zudem ist es Herbst, die Nächte werden mit jedem Tag länger und die Opfer daher zahlreicher. Längst sind es zu viele, als dass wir weiterhin tatenlos zusehen könnten. Das Böse streift durch diese Stadt, und wenn wir es gewähren lassen, wird es sich ausbreiten. Auch bis zu dir nach London, Tibby. Willst du das?«

»Du liebe Güte.« Tibby legte das Stück Holz zurück in die Kiste und ließ sich in einen äußerst bequemen Sessel fallen. »Hoffentlich habe ich auch genügend Glück eingepackt. Gleich mal nachsehen, ob noch etwas am Boden des Rucksacks herumliegt. Nein, tut mir leid, da gibt es nur Kekskrümel.« Er blickte auf und sah Cayden mit ernster Miene an. »Sagt mal, spinnt ihr beiden jetzt total, oder was ist los? Ihr glaubt doch nicht ernsthaft, dass ich bei so etwas mitmache.«

Anstatt Cayden antwortete Abe, der die Balkontür weit aufriss und ihm zurief: »Komm her zu mir, Tibby, ich möchte dir etwas zeigen.«

Dieser erhob sich nur ungern aus den weichen Polstern und stellte sich neben den weißblonden Mann, der ins Freie getreten war und über die schmiedeeiserne Brüstung deutete.

»Das ist Malmö. Eine enorm schnell wachsende Stadt. Niemand weiß, wo sie noch hinwill, sie breitet sich aus wie Fieber, zieht immer mehr Menschen an und nicht nur die. Es kommen auch jene, die Menschen zum Fressen gernhaben. Ist doch logisch, oder? Wo viele kleine Fische im Teich schwimmen, erscheint auch irgendwann der Hecht.«

»Der erscheint ja wohl nicht einfach, den muss jemand da reingesetzt haben«, behauptete Tibby.

»Wie recht du hast.« Cayden war hinter sie getreten, ließ seinen Blick ebenfalls über die Dächer der expandierenden Stadt gleiten und ergänzte: »Nur weiß niemand, wer den Hecht hier ausgesetzt hat. Sonst wären wir schon weiter.«

»Ihr seid also in der Stadt, um eine Art Raubfisch zu erlegen.« Tibby drehte sich zu Cayden um und schüttelte langsam den Kopf. »Und aus irgendeinem Grund braucht ihr dafür jede Menge Holz und mich. Tut mir leid, aber ich verstehe das nicht.«

»Dabei ist er doch sonst immer so ein helles Köpfchen gewesen.« Abe klopfte Tibby heftig gegen die Schläfe. »Hallo-o? Was ist aus dem Tibby geworden, der nahezu jede Form von Spuk wahrnimmt, ob er will oder nicht, und uns so grandios durch das beinahe tödliche Abenteuer in Afrika gelotst hat?«

»Tja, er könnte erwachsen geworden sein und harmlosere Vergnügen bevorzugen«, schlug Tibby vor und schob sich an Cayden vorbei zurück in das Hotelzimmer, wo noch immer die geöffnete Kiste mit den Holzpflöcken das Gesamtbild dominierte. Er beugte sich über das Zeug, das er den ganzen Weg von England hierhergebracht hatte, und nahm sich nun sowohl einen Hammer als auch eines der spitzen Objekte.

»Ihr wollt also Vampire erledigen, ja?«

»Sieh mal an, er ist geistig doch nicht so erschlafft wie ich schon zu fürchten anfing.« Abe schien sich gut zu amüsieren.

Im Gegensatz zu seinem Gefährten, der todernst dreinblickte und die Arme vor der Brust verschränkt hielt.

»Was weißt du über Vampire, Tibby?«, wollte Cayden wissen.

»In etwa so viel wie Bram Stoker und all die anderen, die schon einmal über sie geschrieben haben«, begann Tibby. »Sie meiden das Sonnenlicht und zerfallen zu Staub, sobald ein Strahl sie trifft. Sie haben kein Spiegelbild, verabscheuen Knoblauch, Kreuze und Weihwasser und sie können durch einen Holzpflock, der ihnen ins Herz getrieben werden muss, getötet werden.« Probehalber schlug er mit dem Hammer auf das stumpfe Ende des Holzes und konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, auf diese Weise eine Kreatur zu töten, ganz egal, was sie war oder getan hatte.

»Wunderbar, dann kann es ja losgehen.« Abe rieb sich die Hände. »Wie es aussieht bricht in Malmö gerade eine Epidemie aus, und so etwas will nicht einmal die Hölle zu verantworten haben. Lasst uns aufräumen. Wir müssen herausfinden, wo sie sich tagsüber verkriechen,«

»Dann ist es also wahr?« Tibby ließ den Pflock sinken. »Das, was ich gerade aufgezählt habe, entspricht den Tatsachen?«

»Vorsicht.« Cayden hob mahnend einen Zeigefinger. »All diese Informationen gehen auf Menschen zurück, die einen Angriff eines Vampirs überlebt haben. Doch niemand kann sagen, ob das für sämtliche Blutsauger gilt, oder ob manche von ihnen nur bestimmte oder gar keine dieser Merkmale aufweisen. Haben die Vampire von Malmö Angst vor dem Sonnenlicht? Wir vermuten es, weil sich die meisten Überfälle nachts abgespielt haben. Fürchten sie das christliche Kreuz? Es sieht nicht danach aus, denn eines ihrer Opfer war ein Geistlicher. Er wird wohl eins bei sich getragen haben, und es hat ihm nichts genützt.«

»Wie viele Opfer sind es schon?« Eigentlich war Tibby nicht davon überzeugt, ob er die Antwort hören wollte.

»Die, von denen wir bisher wissen, belaufen sich noch nicht einmal auf zwanzig, doch so etwas kann sich ganz rasch verdoppeln und verdoppeln und verdoppeln.« Abe schien amüsiert. »Wir wissen nämlich noch nicht, ob mit jedem Biss neue Vampire erschaffen werden. Auch das kann man ja in der einschlägigen Literatur hier und dort nachlesen.«

»Ich habe tatsächlich einmal gehört, ein einziger Biss würde schon genügen, damit man selbst zum Blutsauger wird.« Tibby spürte, wie sein Mund austrocknete. »Anderswo heißt es allerdings, dass viele Begegnungen dieser Art nötig seien, und wieder andere haben geschrieben, es müsse ein ganz bestimmter Biss erfolgen, bei dem quasi ein Gift in den Körper des Opfers indiziert wird.«

»Ja.« Cayden nickte. »So viel ist uns bekannt. Aber was davon in diesem Fall zutrifft, ist uns, wie gesagt, noch nicht ganz klar. Fakt ist, dass bisher nur wenige der Opfer überlebt haben. Die Mehrheit von ihnen wurde völlig blutleer und ziemlich tot aufgefunden. Man hat sie, ihrem Glauben entsprechend, bestattet, und sie sind, soweit wir wissen, danach nicht mehr gesichtet worden. Das lässt uns hoffen, dass die Zahl der Vampire in Malmö nicht allzu rasant ansteigen wird.« Er nahm auf der Bettkante Platz und ließ sich von Abe einen der Pflöcke reichen, dessen Spitze er vorsichtig mit dem Finger prüfte. »Die Polizei von Malmö ist in Aufruhr. Sie glauben, sie haben es mit einem Verrückten zu tun, der sich nur für einen Vampir hält.«

»Und wie soll der seine Opfer komplett ausbluten lassen?«, fragte Tibby.

»Darüber wollen sie lieber gar nicht nachdenken.« Cayden zuckte mit den Schultern. »Uns halten sie für Mitglieder einer amerikanischen Spezialeinheit, die gekommen ist, um ihnen den Arsch zu retten. Genau genommen stimmt das ja auch. Nur in Bezug auf unsere Herkunft liegen sie ganz leicht daneben. Wir lassen sie trotzdem in dem Glauben.«

»Gehöre ich jetzt auch zu dieser angeblichen Spezialeinheit?«, wollte Tibby wissen.

»Na klar, du bist doch unser Glücksbringer.« Abe klang schon wieder genervt. »Und während wir hier reden und reden, stirbt bereits der nächste Mensch auf den Straßen dieser Stadt. Also fangen wir an, nach den Vampiren zu suchen, räuchern sie aus und rammen ihnen die Pflöcke ins Herz. Wenn alle vernichtet sind, ist die Jagd beendet. Und wir sitzen bald in einem guten englischen Pub beim Bier.«

»Aber jetzt ist noch helllichter Tag«, stellte Tibby fest. »Aktuell stirbt also niemand auf diesen Straßen. Wo wollt ihr überhaupt mit der Suche beginnen? Auf einem Friedhof oder in der Kanalisation?«

»Da waren wir schon.« Cayden zog eine Grimasse. »Da war nichts los. Deswegen müssen Abe und ich die Suche an weiteren verdächtigen Orten fortsetzen. «

»Nur ihr beide? Und wo komme ich ins Spiel? Wie soll ich mit den schwedischen Polizisten zusammenarbeiten, wenn ich doch nicht einmal ihre Sprache spreche? Auch sonst kann ich niemandem Fragen stellen, ja nicht einmal um Hilfe rufen ist drin, falls es nötig wird. Wie habt ihr euch das gedacht?«

»Keine Sorge.« Abe wurde sichtlich ungeduldig. »Das Wichtigste, das du über die schwedische Sprache wissen musst, ist, dass sie sich gerade im Umbruch befindet. Bis vor Kurzem ging es hier noch recht hierarchisch zu. Nach unten duzen und nach oben siezen, was schwierig ist, wenn man nicht genau weiß, wer einem gegenübersteht. Doch jetzt haben wir die Sechziger, das Land will jung und aufgeschlossen sein und diese Sitte über Bord werfen. Also sprich die Leute einfach mit ihrem Vornamen an, sofern du ihn kennst.«

»Und wie soll ich den rauskriegen, ohne eine schwedische Vokabel zu beherrschen?« Nun war es Tibby, der ungeduldig wurde.

»Das ergibt sich alles irgendwie, mach dir nicht zu viele Sorgen«, sagte Cayden. »Du wirst sicherheitshalber mit jemandem im Team agieren, der Schwedisch spricht und notfalls für dich übersetzen kann.«

Tibby spürte, wie sein Puls sich ein wenig beruhigte. Das klang gut. Einer der beiden Möchtegerndämonen würde ihn unter seine Fittiche nehmen und ihn Tag und Nacht begleiten. Ihm konnte gar nichts passieren. Das klang nach einer Strategie, die ihm durchaus zusagte.

»Doktor Hambling wird sich deiner annehmen. Ihr seid heute zum Dinner verabredet, damit ihr alles Nötige besprechen könnt. Doktor Hambling ist eine Koryphäe auf dem Gebiet des Vampirismus«, fuhr Cayden fort. »Damit haben wir zwei schlagkräftige Teams, die Malmö nach dem Vampirversteck durchsuchen, und niemand von uns geht allein. Alles klar?«

»Doktor Hambling?« Der Name klang vertraut und ungewohnt zugleich in Tibbys Ohren: »Ich weiß nicht recht. Wer ist denn dieser Kerl? Ist er ein reiner Theoretiker oder hat er Erfahrung als Vampirjäger? Wäre es nicht besser, wenn jedes Team wenigstens einen Dämon beinhalten würde? Versteht mich nicht falsch, dieser Doktor Hambling ist bestimmt ein sehr cleverer Mann, ich bin mir nur nicht sicher, ob er für meine Sicherheit sorgen kann.«

»Vielleicht sogar besser als wir beide.« Cayden deutete auf sich selbst und den breit grinsenden Abe. »Hier hast du die Adresse des Restaurants, und nun beeil dich. Dieses Abendessen für zwei Personen findet aus nachvollziehbaren Gründen noch vor Sonnenuntergang statt.«

Tibby starrte auf das Blatt Papier, das Cayden ihm soeben in die Hand gedrückt hatte. Der Name des Treffpunkts mutete italienisch an, weswegen er davon ausging, dass sich dahinter ein Restaurant verbarg. Tibby ließ die Notiz sinken.

»Ich will nicht geldgierig erscheinen, doch mir mangelt es noch an der richtigen Motivation. Ich meine hundert Pfund waren völlig in Ordnung, als es noch darum ging, dieses sperrige Gepäckstück durch die Lande zu schleppen, aber hier geht es ja wohl um mein Leben, oder nicht? Da sollte doch etwas mehr drinstecken.«

»Habe ich dir nicht gesagt, er macht es nicht umsonst?« Abe lachte meckernd. »Der gute Tibby ist und bleibt ein Geschäftsmann.«

Cayden seufzte und verdrehte die Augen. »Also gut. Was schwebt dir denn vor?«

Tibby überlegte. »Es sollte genug dabei rausspringen, um die schäbige alte Sternwarte im Schloss meiner Familie von Grund auf zu renovieren. Das war schon immer einer meiner Lieblingsorte und er hat es nicht verdient, langsam, aber sicher zu verfallen wie etwa der Südflügel.«

»Wenn wir dieser blutigen Geschichte ein gutes Ende bereiten können, kümmert sich Abe um deine Sternwarte, das verspreche ich«, verkündete Cayden. »Und du weißt, ich bin der Dämon der Wahrheit.«

»Tja, und wer sagt mir, dass das nicht gelogen ist«, brummelte Tibby, nickte aber und stopfte Pflock und Hammer in seinen Rucksack, bevor er sich aufmachte, um Doktor Hambling zu treffen.

Hoffentlich hatte der Mann ein breites Kreuz, hinter dem Tibby notfalls in Deckung gehen konnte, falls wirklich ein Vampir auf der Bildfläche erschien.

 

 

Chronik des Klosters Bara, Sommer 1912

 

Wir beten. Seitdem Schwester Julitha nicht von ihrem Abendspaziergang ins Kloster zurückgekehrt ist, flehe ich auf meinen Knien, sie möge heil und unversehrt sein und so schnell wie möglich wieder zu uns stoßen.

Seit meiner Ankunft in diesem Mutterhaus vor drei Jahren, fühle ich mich Julitha ganz besonders verbunden. Vermutlich deshalb, weil wir beide noch unter dreißig sind und damit einer anderen Generation angehören als die übrigen. Wenn ich mit ihr spreche, habe ich nie das Gefühl, geprüft oder bewertet zu werden, wie es mir bei den älteren Ordensschwestern oft ergeht. Sie ist mir eine gute Freundin geworden und für gewöhnlich begleite ich sie bei ihrem Abendspaziergang in die Umgebung.

Gestern aber war ich vom Tagwerk schon zu erschöpft, als sie aufbrach, um die letzten weißen Nächte, wie sie sagte, noch ein wenig zu genießen. Dabei ist Mittsommer schon eine Weile her, und die Nächte sind gar nicht mehr weiß. Für kurze Zeit ist es bereits stockdunkel und Julitha hätte dann laut Hausregel in ihrer Zelle sein sollen.

Ich habe mir zunächst trotzdem keine Sorgen gemacht, als sie nicht pünktlich heimkam. So ist sie eben. Und da sie einen eigenen Schlüssel für die Gartenpforte und die Küchentür hat, kann sie ohnehin kommen und gehen, wie sie will.

Also habe ich mich nach meinem Nachtgebet zur Ruhe gelegt. Nur fand ich keinen Schlaf und lauschte mit einem Ohr auf die Geräusche in dem alten Gemäuer. Die Zelle von Julitha liegt direkt neben meiner, ich hätte sie hören müssen, wenn sie heimgekommen wäre. Doch die Zeit verstrich, und nichts tat sich.

Zur ersten Andacht habe ich dann Alarm geschlagen. Und jetzt beten wir. Sobald das erledigt ist, werden wir das Kloster verlassen und nach ihr suchen. Dass sie sich bestimmt nur verirrt hat, wie die Schwester Oberin behauptet, glaube ich keine Sekunde lang. Julitha kennt die Gegend rund um das Kloster in- und auswendig.

Aber vielleicht ist sie irgendwo gestürzt und hat sich verletzt. Ganz sicher sitzt sie jetzt mit geschwollenem Knöchel auf einem Baumstumpf, friert und wartet auf Hilfe.

Wenn nur diese Gebete endlich enden würden, mir ist nach Handeln zumute. Also lenke ich mich ab und schreibe diese Zeilen für meine Aufzeichnungen. Weil ich ganz hinten sitze, bemerkt niemand, dass mein Gebetsbuch in Wahrheit ein Notizbuch ist. Ich finde eben, jedes Kloster sollte eine eigene Chronik haben. Damit wenigstens etwas von uns und unserem Leben hinter diesen Mauern überdauert. Vielleicht kann es einmal wichtig werden.

Kapitel 2

 

Das Mamma Leone