Haunted Hearts: Fluch der Magie - B.E. Pfeiffer - E-Book
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Haunted Hearts: Fluch der Magie E-Book

B. E. Pfeiffer

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Beschreibung

Ein Fluch, acht Häuser und eine starke Liebe ... Drei Jahre nach ihrer Flucht aus Paris kehrt Isabelle d’Hiver zurück in das Haus ihrer Ahnen. Zurück zu den Erinnerungen an einen Mann, der ihr Herz gebrochen hat, und einer uralten Magie, die immer dunkler zu werden scheint. Direkt nach ihrer Ankunft muss sie sich einer hasserfüllten Macht und lange gehüteten Familiengeheimnissen stellen. Dabei erhält sie unerwartet Hilfe von Balthasar, einem der stärksten Magiebegabten und Mitglied des dunklen Hauses Ivoire. Doch auch Balthasar verbirgt etwas und Isabelle muss sich entscheiden, wem sie weiterhin vertrauen kann. Ein Spiel gegen die Zeit beginnt, als die Magie die Menschheit zu vernichten droht. Und dann wäre da noch der Fluch, der auf Isabelles Herz liegt und es an jemanden bindet, der eigentlich nicht mehr am Leben ist … Ein magisch, mystischer Einzelband, der den Leser in das Paris des späten 19. Jahrhunderts entführt.

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Haunted Hearts - Fluch der Magie

B.E. PFEIFFER

Copyright © 2022 by B.E. Pfeiffer

c/o WirFinden.Es

Naß und Hellie GbR

Kirchgasse 19

65817 Eppstein

www.bepfeiffer.com

[email protected]

1. Auflage

Umschlaggestaltung: Jaqueline Kropmanns

Lektorat: Diana Steigerwald

Korrektorat: Carolin Diefenbach

Satz: Bettina Pfeiffer

Alle Rechte, einschließlich dem des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form sind vorbehalten. Dies ist eine fiktive Geschichte. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.

Inhalt

Prolog

1. Isabelle

2. Julien

3. Isabelle

4. Julien

5. Isabelle

6. Julien

7. Isabelle

8. Julien

9. Isabelle

10. Julien

11. Isabelle

12. Julien

13. Isabelle

14. Julien

15. Isabelle

16. Julien

17. Isabelle

18. Julien

19. Isabelle

20. Julien

21. Isabelle

22. Julien

23. Isabelle

24. Julien

25. Isabelle

26. Isabelle

27. Julien

28. Isabelle

29. Julien

30. Isabelle

31. Julien

32. Isabelle

33. Julien

34. Julien

35. Isabelle

36. Isabelle

37. Julien

38. Isabelle

39. Julien

40. Isabelle

41. Julien

42. Isabelle

43. Julien

44. Isabelle

Epilog

Ohne Titel

Glossar

Danksagung

Über den Autor

Bücher von B.E. Pfeiffer

Für Angela, Ricky und Alex. Weil Ihr immer an mein Herzensbuch geglaubt hast.

Prolog

PARIS, APRIL 1889

Ich starrte meinem fast durchsichtigen Spiegelbild in die ausdruckslosen Augen. Milchig blaues Licht umgab mich, während draußen der Regen prasselte.

Sie kehrte zurück, nach all der Zeit. Wie lange hatte ich auf diesen Moment gewartet? Geduldig meine Kräfte kennengelernt, die ich wegen dem besaß, was sie mir angetan hatte?

Ich hatte sie geliebt. Von Herzen. War bereit gewesen, alles für sie zu tun, und wie hatte sie es mir gedankt? Durch sie war ich ein körperloses Monster, das festsaß in diesem Haus, das ihr gehörte.

Aber die Zeit meiner Rache war gekommen. Ich war mächtig, vielleicht mächtiger als sie. Sie würde für all das büßen, das ich ihretwegen hatte erleiden müssen. Auf Gnade durfte sie nicht hoffen. Denn mein Herz war nicht nur zerbrochen, es war genauso zu Eis gefroren wie mein Körper, der irgendwo in den Tiefen dieses Gebäudes lag.

Endlich würden wir uns gegenüberstehen und ich hoffte, sie erkannte mich, bevor ich tat, was ich mir so lange ausgemalt hatte.

KAPITEL1

Isabelle

PARIS, APRIL 1889

Der ›Arc de Triomphe‹ erschien für einen kurzen Moment in meinem Blickfeld, doch die Regentropfen trommelten heftig auf das Dach meiner Kutsche und bedeckten auch das Glas des Fensters. Dadurch konnte ich von dem zwölfzackigen Stern, den die Straßen auf dem Boden bildeten und der für meine Familie und all die anderen Magiebegabten als eine Art Wahrzeichen galt, nichts erkennen. Aber eigentlich wollte ich das auch nicht. Ich ließ die Vorhänge wieder das Fenster verdecken und lehnte mich zurück. Meine Heimat zeigte sich an jenem Frühlingstag nicht gerade von ihrer besten Seite.

Das Wetter passte zu meiner Stimmung, denn ich hatte eigentlich nicht so bald in das Pariser Stadthaus meiner Familie zurückkehren wollen. Nicht seit jenem schicksalhaften Tag vor drei Jahren.

Ich stieß den Atem aus und schob den Saum meines weißen Handschuhs zurück. Ein zartes Armband mit einem herzförmigen Anhänger kam zum Vorschein und ich strich liebevoll darüber.

»Julien«, murmelte ich und schloss die Augen. Es war sein erstes und letztes Geschenk gewesen, bevor er für immer aus meinem Leben verschwunden war.

Wir stammten aus so unterschiedlichen sozialen Schichten. Meine Familie gehörte dem Magie-Adel an, seitdem Paris errichtet worden war, und er war der Sohn eines stadtbekannten Anwalts. Seine Familie hatte in der französischen Revolution vor hundert Jahren gegen den Adel gekämpft und sich schon damals einen Namen gemacht. Zu dieser Zeit hatte es zwölf Familien gegeben, genauso viele wie Strahlen am Stern des ›Arc de Triomphe‹.

Seit der Revolution hatte sich Frankreich verändert. Die zwölf Familien hatten sich in viele Kämpfe und Auseinandersetzungen eingemischt und schließlich waren fünf davon ausgelöscht worden. Dafür hatte es eine andere geschafft, sich in den Magie-Adel zu erheben und ein Haus zu gründen.

Ich entstammte einer der ältesten Familien und obgleich es keine Ständegesellschaft im eigentlichen Sinne mehr gab, durfte ich mich Comtesse nennen. Somit war ich eine Gräfin in einem Land ohne König. Doch so wie die anderen Mitglieder des Magie-Adels trug ich meinen Titel mit Stolz. Für mich war er zu einem Schutz geworden, der mir Freiheiten einräumte, von denen andere nur träumen konnten.

Nach dem Tod meines Vaters hatte ich die Führung des Hauses Hiver übernommen. Wobei, eigentlich führte es mein Großvater in meinem Namen.

Denn die Oberhäupter der anderen Häuser sahen mich als jung und unerfahren an. Wenn es nach ihnen ginge, dürfte ich nicht selbst über mein Leben bestimmen oder gar ein Haus führen. Ein Haus konnte nur führen, wer Magie beherrschte. Das traf nicht auf alle Mitglieder einer Familie zu. In letzter Zeit auf immer weniger.

Als einzige Magiebegabte meines Hauses, die noch am Leben war, konnte nur ich die Linie weiterführen und das musste ich auch. Schließlich war unser höchstes Ziel, das brüchige Gleichgewicht zwischen den Kräften zu halten.

Trotzdem hatte mein Großvater mir immer zu verstehen gegeben, dass ich als Frau wertlos war. Lange hatte ich es geglaubt, mich ihm demütig untergeordnet, weil ich es nicht anders kannte.

Aber dann war ich auf Julien getroffen und alles war für einige wundervolle Monate anders.

Bis ich seinen Brief fand, in dem er mir mitgeteilt hatte, dass er in die neue Welt aufbrechen wolle und mich nicht mitnehmen werde. Noch immer sah ich die Zeilen vor mir.

Isabelle,

es mag feige wirken, was ich dir jetzt schreibe, aber wenn ich dir die Worte persönlich gesagt hätte, hätte ich vielleicht Mitleid gehabt und wäre geblieben. Die Wahrheit ist, ich habe immer nur Mitleid mit dir gehabt. Anfangs dachte ich, ich könnte mehr als nur Freundschaft für dich empfinden. Aber mir ist bewusst geworden, dass du dich nicht ändern wirst. Du bist und bleibst eine Magiebegabte. Uns trennen Welten, Isabelle, und es ist mir nicht möglich, dich zu lieben. Ich habe dir immer nur etwas vorgemacht, in der Hoffnung, so Teil deiner Welt zu werden.

Ich habe genug von diesem Spiel. Deswegen gehe ich nach Amerika, um ein neues Leben zu beginnen, fern von der alten Magie dieses Kontinents. Versuche nicht, mir zu folgen. Ich möchte dich nicht wiedersehen. Wir zwei hätten ohnehin nie zusammen sein dürfen.

Ich wünsche dir dennoch Glück für dein Leben.

Julien.

Während ich an die Worte dachte, die mein Leben so verändert hatten, strich ich über den Anhänger, der eine eigene Magie in sich trug und Fotografien von Julien und mir preisgab, wenn ich es wollte. Er war alles, was ich noch von ihm besaß, und beinahe hätte ich ihn aus Wut zerstört. Aber ich konnte nicht. Genauso wenig wie ich Julien vergessen konnte, obwohl er mich vor drei Jahren verlassen hatte. Bei dem Gedanken an ihn schlug mein Herz immer noch schneller, als wäre ich frisch verliebt.

»Du bist so dumm, Isabelle«, murmelte ich mir selbst zu und versteckte das Armband wieder unter meinem Handschuh.

Ich schob den Vorhang beiseite, starrte aus dem beschlagenen Fenster und bewegte meinen Finger, um Magie zu wirken. Die Regentropfen lösten sich auf und gaben den Blick auf die regennassen Häuser der Stadt frei, die an mir vorbeizogen. Wenn die Sonne schien, wirkte alles hell und wunderschön. Aber in diesem Moment schienen selbst die schönen Villen, die auf dem Weg zu meinem Haus lagen, so grau wie der windgepeitschte Himmel zu sein.

Das Heimweh hatte mich in den letzten Jahren, in denen ich auf Reisen gewesen war, nie überkommen. Ich kehrte nur zurück, da die Weltausstellung, die für Paris und die Häuser wichtig zu sein schien, bald beginnen sollte und meine Anwesenheit bei der Eröffnung notwendig war. Immerhin vertrat ich ein Haus, zudem wollten die Magiebegabten die Gelegenheit nutzen und den Menschen ihre Stärke demonstrieren.

Früher waren sie von uns abhängig gewesen. Mit unserer Magie hatten wir Straßen errichtet, Städte mit Wasser und Nahrung versorgt, Häuser gebaut, die Menschen beschützt. Aber irgendwann hatten wir das aufgegeben und uns über die Leute gestellt, denen wir eigentlich hätten helfen sollen.

Jetzt fürchteten sie uns höchstens, wandten sich aber immer mehr von uns ab. Deswegen sollten sie sehen, dass wir noch Macht besaßen.

Ich lehnte meine Stirn an die Scheibe und schloss einen Moment die Augen. Wir waren schon sehr nahe an dem Gebäude, in dem ich aufgewachsen war. Das Haus meiner Familie war alt und selbst als meine Eltern noch gelebt hatten, hatte ich es nie als Zuhause empfunden. Etwas Düsteres lag dort verborgen, eine Magie, über die man nicht sprach. Ich vermutete, dass es die Schuldmagie war, die sich dort seit Jahrhunderten sammelte.

Sie entstand, wenn man Zauber wirkte, die man für eigennützige Dinge einsetzte oder die anderen schadeten. Irgendwann musste man diese Schuld für sein Haus bezahlen. Ich wusste allerdings nicht, womit, denn auch darüber sprach man nicht.

Ich öffnete meine Lider, als die Kutsche zum Stehen kam. Keuchend wich ich vom Fenster zurück, während ich das Haus betrachtete, das sich vor mir erhob. Die einstmals weiße Fassade meines Elternhauses wirkte fast schwarz, die Engelsfiguren, die den Eingang gesäumt und mit gütigem Blick bewacht hatten, waren vollkommen verändert. Sie glichen Gestalten aus der Hölle mit hässlichen Fratzen, die darauf warteten, Opfer in Empfang zu nehmen. Gänsehaut überzog meinen Körper und ich rieb mit den Händen über meine eiskalten Oberarme.

Was war hier in meiner Abwesenheit nur geschehen? Hatte die Schuldmagie Besitz von diesem Haus ergriffen?

Der Kutscher öffnete die Tür und steckte seinen Kopf in die Kabine herein. Regentropfen fielen auf meine Schuhspitzen und die Kälte des Tages ließ mich noch mehr frösteln.

»Sind Sie sicher, dass dies die richtige Adresse ist, Madame?«, fragte er mich mit besorgter Stimme. »Das Haus sieht verlassen aus. Wenn Sie eine Unterkunft benötigen, kann ich Ihnen einige nennen, die empfehlenswert sind.«

Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Das ist das Haus meiner Familie, Monsieur, und ich bin sicher, dass jemand hier ist. Ich habe meine Ankunft angekündigt.« Er betrachtete mich mit in Falten gelegter Stirn und ich richtete mich auf und versuchte, sicherer zu klingen. »Ich weiß Ihre Sorge um mich zu schätzen. Aber ich denke, dem Haus fehlt nur meine Magie, damit es wieder erstrahlen kann.«

Der Mann riss die Augen auf. »Sie sind eine Magiebegabte«, murmelte er und verneigte sich ehrfürchtig. »Ich hatte keine Ahnung …«

»Bitte, Sie müssen sich nicht deswegen vor mir verneigen«, stammelte ich.

Ich hatte die Achtung, die mir manche Menschen ohne magische Fähigkeiten entgegenbrachten, nie verstanden. Mehr noch, ich empfand sie als unangemessen. Sie hatte irgendwie immer zwischen Julien und mir gestanden.

Ich stieß den Atem aus, raffte die bauschigen Röcke meines Reisekleids und schob mich auf der Bank nach vorn. Der Kutscher reichte mir eine Hand und hielt mit der anderen einen Schirm über mich, als ich ausstieg, damit der Regen mich nicht sofort durchnässte.

Kaum hatte mein Fuß den Boden berührt, öffnete sich die aus purpurnem Holz gefertigte Tür und drei Diener liefen heraus. Einer nahm dem Kutscher den Schirm ab und blieb neben mir stehen, während die anderen beiden die Kutsche entluden und mein Gepäck ins Haus schafften.

Ich öffnete meinen Beutel und zog ein Silberstück heraus, das ich dem Kutscher in die Hand drückte. Zwar galt in Frankreich seit einiger Zeit eine Währung, die man Franc nannte, aber den meisten Menschen waren die alten Münzen, die besonders in den Kreisen des Magie-Adels genutzt wurden, lieber. Sie verloren ihren Wert nicht, im Gegensatz zu dem Papiergeld, das man leicht fälschen konnte.

»Madame, das ist viel zu viel«, raunte der Kutscher und machte Anstalten, mir die Münze zurückzugeben.

Ich schloss seine Hand darum und drückte sie. »Haben Sie Dank, guter Mann, dass Sie mich im strömenden Regen hergebracht haben«, sagte ich und ließ mich dann von den Dienern die wenigen Stufen hinauf zur Eingangstür führen.

Der Mann, der mir den Schirm hielt, war mir ebenso wenig vertraut wie die beiden Jungen, die mein Gepäck trugen. Die Haushälterin, die mich im Inneren in Empfang nahm, kannte ich hingegen hervorragend.

Sie knickste schwerfällig wie immer und in ihren Augen stand eine Mischung aus Erleichterung und Verachtung. Yvette, die mittlerweile um die vierzig Jahre alt sein musste, hatte nie einen Hehl daraus gemacht, wie sehr sie Magiebegabte verabscheute. Aber sie war die Tochter unserer ehemaligen Haushälterin und wir zahlten gut. Deswegen war sie nach dem Tod ihrer Mutter geblieben und hatte ihre Stelle übernommen.

»Willkommen zu Hause, Comtesse«, begrüßte sie mich mit ihrer dünnen Stimme.

Ihr Äußeres hatte sich kaum verändert. Sie hatte noch immer etwas zu viel auf den Rippen und ihre blonden Haare trug sie streng nach hinten frisiert. Ihre Haut hatte wohl in den letzten Jahren kaum Sonnenlicht gesehen und ihre blassen blauen Augen wirkten stumpf.

»Wir sind froh, Sie wohlbehalten wiederzusehen, Madame.«

Es überraschte mich, dass ihre Stimme keine Spur von Hohn enthielt. Sie nahm mir meinen feuchten Umhang, den viel zu großen Hut und meine Handschuhe ab und führte mich zum Salon.

»Madame Beatrice erwartet Sie bereits. Soll ich ein leichtes Mittagessen servieren lassen?«

»Ja, bitte, Yvette, ich würde mich über etwas Warmes sehr freuen.«

»Sehr wohl, Madame«, erwiderte sie, neigte ihren Kopf und ging rückwärts fort.

Es galt als unhöflich, seinen Herrschaften den Rücken zuzukehren. Allerdings hatte ich die Vermutung, dass die meisten Diener des Magie-Adels es deswegen vermieden, weil sie fürchteten, sonst von einem Zauber getroffen zu werden.

Früher, als noch ein König über dieses Land geherrscht hatte, durften die Magiebegabten sich über fast jedes Gesetz hinwegsetzen. Ich schauderte alleine bei dem Gedanken daran, was manche von ihnen ihren Dienern antaten, nur weil sie es konnten.

Nach dem Untergang der Monarchie schuf man neue Gesetze. Gesetze, die jeden schützen sollten. Anfangs war der Magie-Adel dagegen gewesen, hatte sich jedoch fügen müssen, da man den Häusern sonst ihren Besitz genommen hätte.

Woher die Magie stammte, die wir beherrschten, war nicht vollständig geklärt. Aber es hatte wohl etwas mit dem Grund und Boden zu tun, den man besaß und über die Jahre mit seinen Kräften nährte. Deswegen zogen die meisten Familien nicht um. Obwohl immer wieder Häuser ausstarben und die Magie bei neuen Familien auftauchte. Ob irgendwann auch mein Haus erlöschen würde?

Bevor ich noch tiefer in düsteren Gedanken versinken konnte, betrat ich den Salon.

Meine Cousine Beatrice sprang aus dem Sessel, in dem sie vor einem kleinen Feuer gesessen hatte, und lief auf mich zu. Wir waren wie Schwestern aufgewachsen, dennoch hatte sie nicht mit mir auf Reisen gehen wollen. Sie fürchtete sich davor, die Stadt zu verlassen, seitdem ihre Eltern bei einem Kutschunfall gestorben waren. Nicht einmal Ausflüge unternahm sie, ging nur an Orte, die sie zu Fuß erreichen konnte. »Belle!«, rief sie freudig und warf ihre Arme um mich.

Beatrice war in meiner Abwesenheit erwachsen geworden. Sie war zwei Jahre jünger als ich, somit einundzwanzig. Als ich aufgebrochen war, hatte sie noch kindlich runde Wangen gehabt, trotz ihres großen, recht burschikosen Körpers. Jetzt war sie eine wunderschöne Frau mit dunkelbraunen Haaren und haselnussbraunen Augen.

»Ich freue mich so, dich zu sehen«, verkündete ich und küsste sie auf die Wangen. Ich hatte ihr unzählige Briefe geschickt und sie hatte auf alle geantwortet. Beatrice war ein schüchternes Wesen, aber sie war lieb und freundlich. Ich wusste, ihre Nähe würde mir guttun und den Schmerz etwas lindern. »Lass dich anschauen!«, forderte ich und machte einen Schritt zurück, während ich ihre Hände hielt. »Du siehst umwerfend aus.«

»Ach, Belle.« Sie winkte ab und errötete leicht. »Gegen deine Schönheit kommt niemand an.«

Ich lächelte verlegen. Mein Aussehen war mir nie wichtig gewesen, trotzdem schien ich den Geschmack der Zeit zu treffen. Ich hatte viele Verehrer, aber das konnte auch daran liegen, dass ich reich war.

Bei Julien war ich mir sicher gewesen, dass er mich um meinetwillen gemocht hatte. Aber der Brief, den er mir geschrieben hatte, ließ mich mittlerweile an meinem Urteil zweifeln.

Ich schüttelte den Kopf. Nein, ich war sicher, dass er mich geliebt hatte. Das alles ergab immer noch keinen Sinn.

»Wo ist Großvater?«, fragte ich, um nicht länger an Julien denken zu müssen.

»Er hatte etwas zu erledigen«, erwiderte Beatrice ausweichend. Ich musterte sie und fragte mich, was sie mir verschwieg, da drückte sie meine Hände fester. »Komm, setz dich, erzähl mir von deinen Reisen.«

»Bea«, sagte ich eindringlich, als wir nebeneinander auf einem Sofa Platz genommen hatten und uns immer noch an den Händen hielten. »Was ist hier geschehen? Wieso hast du mir nicht erzählt, dass hier alles so … dunkel geworden ist?«

Schon immer stattete ich Grand-père mit Magie aus, weil er das Haus gemeinsam mit mir repräsentierte. Aber vor meiner Abreise hatte ich ihm so viel Macht wie möglich überlassen und diese auf seinen Gehstock übertragen. Es hatte mich Wochen gekostet, mich von den Strapazen zu erholen, aber es war die einzige Möglichkeit, um das Haus zu schützen und in Schuss zu halten, solange ich fort gewesen war. Und, natürlich, um das Gleichgewicht der Kräfte zu bewahren.

War die Macht, die unterschwellig im Keller lauerte und mich das Fürchten lehrte, seitdem ich sie als Kind dort gefunden hatte, so stark geworden?

Beatrice räusperte sich und mied meinen Blick. »Großvater wollte nicht, dass ich dir davon erzähle. Er hat jeden meiner Briefe gelesen, bevor ich ihn absenden durfte. Also konnte ich dir nichts darüber schreiben.«

»Was ist hier los?«, fragte ich so leise, als müsste ich befürchten, dass uns jemand belauschte.

Tatsächlich hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Trotzdem sah ich nur meine Cousine an, die scheinbar nach den richtigen Worten suchte.

»Es begann, kurz nachdem du aufgebrochen bist«, raunte sie und ihre Hände begannen zu zitterten. »Ich glaube, die dunkle Magie hat jemanden ermordet und sein Geist spukt hier herum.«

Ich schluckte. Die Schuldmagie hatte ein Opfer gefordert? Aber … wen?

Bea biss sich auf die Unterlippe und drückte meine Hände. »Seitdem geschehen hier seltsame Dinge. Diener werden verletzt. Bilder zerrissen. Gegenstände verschwinden an einem Ort und tauchen an einem anderen auf. Großvater meinte, er könne es nicht mehr aufhalten, weil die Magie, die du hiergelassen hast, nicht ausreicht.«

Ich hob eine Augenbraue. Hatte ich mich wirklich so verschätzt? Ich war sicher, meinem Großvater genug Magie überlassen zu haben, selbst wenn etwas wie ein Geist sein Unwesen trieb.

»Die Diener liefen scharenweise fort«, berichtete meine Cousine weiter. »Ich kann es ihnen nicht verübeln.«

»Warum habt ihr mir nichts gesagt?«, fragte ich und musste mich beherrschen, nicht laut zu werden. »Ich wäre sofort zurückgekommen!«

»Großvater schien es nicht zu wollen«, erwiderte Beatrice und sah mich mitfühlend an. »Und ich wollte nicht, dass du herkommst, weil … wegen Julien.«

»War er hier?« Ich hasste mich dafür, dass meine Stimme hoffnungsvoll klang. Vielleicht befand sich Julien ja bereits wieder in Paris. Dann könnte ich ihn aufsuchen.

Aber Beatrice schüttelte den Kopf. »Nein, ich meinte, weil dich alles hier an ihn erinnert. Und weil du ihm immer noch nachtrauerst.«

Ihre fast gereizte Art, auf die sie die Tatsache feststellte, trieb mir Tränen in die Augen. Beatrice umfasste meine Hände fester.

»Verzeih mir, Belle. Ich wollte nicht … Ich dachte …«

»Schon gut«, brachte ich mühevoll hervor. »Du hast ja recht. Ich wäre nicht gekommen, wenn ich nicht gemusst hätte. Aber ich bin froh, jetzt hier zu sein. Bei dir.« Ich rang mir ein Lächeln ab. »Ich kümmere mich um diesen Geist und werde das Haus wieder in Schuss bringen.«

»Wirst du länger bleiben oder nur bis zur Eröffnung der Weltausstellung?«, wollte Beatrice wissen.

»Das erzähle ich dir noch«, meinte ich und wischte mir die Tränen aus den Augen. »Aber erst essen wir etwas und ich packe aus. Ich habe Geschenke für dich mitgebracht. Danach werde ich mir das Haus ansehen und versuchen, wieder in Ordnung zu bringen, was auch immer hier geschehen ist.«

Beatrice nickte lächelnd. »Ich freue mich auf deine Erzählungen«, sagte sie, während wir in das Esszimmer gingen.

Auf dem Weg dorthin lief mir ein eiskalter Schauer über den Rücken und ich fühlte brennende Augen eines düsteren Wesens, die mich beobachteten. Wenn ich eines wusste, dann dass man einer dunklen Kreatur niemals Beachtung schenken durfte. Also wandte ich mich nicht um, sondern schritt erhobenen Hauptes durch mein Haus.

Was auch immer hier sein Unwesen trieb, es würde mich noch kennenlernen.

KAPITEL2

Julien

Sie saß am Klavier, als der Abend dämmerte. Alleine. Wie überaus unvorsichtig von ihr.

Es hatte den ganzen Tag geregnet und sie war nach dem Essen stundenlang mit ihrer Cousine in ihrem Zimmer gewesen, hatte Geschichten erzählt und gelacht. Danach war sie durch das Haus gegangen, hatte ihre Magie gewirkt und sich vermutlich gefragt, warum trotzdem alles düster geblieben war.

Tief im Keller dieses Hauses, dort, wo mein Körper in einem ewigen Schlaf verweilte, gab es eine dunkle Macht, die dieses Gebäude verdunkelte und die ich benutzte, um mich zu rächen. Die Kräfte waren alt und boshaft, genährt von einer tiefen Schuld, die sich die Magiebegabten selbst auferlegt hatten. Damit passte sie hervorragend zu Isabelle, durch die mir ein grauenhaftes Schicksal widerfahren war. Wie falsch ich doch gelegen hatte, als ich mich in sie verliebte.

Es kam mir manchmal vor, als wären Jahrhunderte vergangen seit jenem Tag, als ich ihr das erste Mal begegnet war. Ich begleitete meinen Vater, der die Angelegenheiten der Familie d’Hiver vertreten hatte. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich es Liebe auf den ersten Blick genannt. Denn von jenem Moment an hatten sich meine Gedanken nur noch um Isabelle gedreht. Ich hatte ihre Nähe gesucht, mir die fadenscheinigsten Gründe ausgedacht, um sie zu besuchen.

Doch von den Gefühlen, die ich ihr entgegengebracht hatte, war nichts mehr übrig. Jetzt wusste ich, wer sie wirklich war, und würde nie wieder daran zweifeln, dass sie verdiente, was ich mit ihr vorhatte.

Für menschliche Augen verborgen blieb ich in ihrer Nähe und wartete, bis sie wirklich alleine war. Anfangs hatte ihre Cousine neben ihr am Klavier Platz genommen, aber nach einiger Zeit war sie aufgestanden und gegangen.

Seitdem spielte Isabelle dasselbe Lied wieder und wieder. Die Noten, die sie aufgeschlagen hatte, betrachtete sie kaum noch. Ihre Finger flogen über die Tasten und eine ruhige, fast fröhliche Melodie erklang.

Ich hatte lange genug auf meine Rache gewartet. Die Zeit war gekommen, ihr die Fröhlichkeit zu nehmen. Ich sammelte gerade meine Kräfte, um meine Form zu verändern und ihr als Monster zu erscheinen, als sie aufhörte zu spielen und leise schluchzte.

Sie tastete mit ihrer Hand nach etwas an ihrem Arm. Als ich es erkannte, stockte mein Atem. Aus der Überraschung wurde schnell Zorn, denn sie wagte es tatsächlich immer noch, das Armband zu tragen, das ich ihr geschenkt hatte.

»Ach, Julien«, raunte sie und ich trat bei diesen Worten näher an sie heran. Ihre Finger glitten über das feine Bändchen mit dem zierlichen Herzanhänger, in dem Erinnerungen enthalten waren.

Ich kniff die Augen zusammen, als sie die Magie auslöste und ein Bild erschien, das uns beide beim Tanzen zeigte. Es war an jenem Abend aufgenommen worden, als ich ihr meine Liebe gestanden hatte. Ein Winterball, den wir keine fünf Minuten getrennt voneinander verbracht hatten.

Mein Blick fiel auf die Notenblätter vor ihr und ich hob eine Augenbraue. Warum hatte ich das Lied nicht erkannt? Sie hatte es spielen lassen, als wir den Ball gemeinsam eröffneten. Bei der Erinnerung floss einen Wimpernschlag lang Wärme durch meinen Körper, die ich sofort zurückdrängte.

Das ergab keinen Sinn. Es wirkte fast so, als würde sie um mich trauern. Dabei war sie es doch, die mich getötet und meinen Körper wie Abfall entsorgt hatte. Aber ihre Magie schien nicht richtig gewirkt zu haben, denn ich lebte noch. Irgendwie zumindest, während meine Seele nach Rache sann und mein Körper zu Eis erstarrt im Keller ruhte. Ich ging nicht davon aus, dass sie geplant hatte, mich als Poltergeist an dieses Haus zu ketten. Sie hatte mich einfach nur loswerden wollen.

Aber Isabelle … Nun, da ich neben ihr stand, sie betrachtete, erinnerte ich mich daran, was wir füreinander empfunden hatten. Sie war so schön wie an jenem Abend, als mein Schicksal eine schreckliche Wendung genommen hatte. Ihre dunkelblonden Locken fielen ihr schimmernd über die Schultern und ich war sicher, dass das Meergrün ihrer Augen immer noch atemberaubend aussah.

Das Bild, welches das Armband zauberte, veränderte sich und mein Gesicht erschien. Isabelle schluchzte noch einmal und hob zittrig ihre Finger an meine Lippen.

Trauerte sie tatsächlich um mich? Unmöglich! Sie musste meine Gegenwart bemerkt haben und spielte mir nun etwas vor. Aber diesem Theater würde ich ein Ende bereiten!

Einmal mehr sammelte ich meine Kräfte und wählte die Gestalt eines Monsters, dessen Maul sein gesamtes Gesicht einnahm und mit Hunderten messerscharfen Zähnen bestückt war. Ich blinzelte und erschien als dieses Wesen direkt neben Isabelle.

Sie bemerkte mich sofort, schrie auf und fiel fast rückwärts vom Klavierhocker, während das Bild des Anhängers verblasste. Hastig sprang sie auf und wich vor mir zurück.

Ich riss mein Maul auf und setzte gerade zu einem markerschütternden Brüllen an, als mir ihre Tränen auffielen. Sie weinte tatsächlich und ich fragte mich, wieso.

Isabelle nutzte den kurzen Moment meines Zögerns, um ihre Magie zu rufen, versuchte, mich damit einzufangen. Doch ich konnte ausweichen.

»Hexe!«, zischte ich mit meiner fürchterlichsten Stimme und ließ meinen Zorn wie ein Inferno anschwellen.

Sie hatte mich doch getäuscht. Wie schon zuvor. Sie war genauso durchtrieben, wie ich es seit drei Jahren vermutete.

»Was willst du?«, fragte sie und es klang nicht ängstlich, sondern … mitfühlend. »Wieso bist du hier?«

»Wegen dir!«, fauchte ich sie an.

Sie schluckte und ich erkannte die Angst in ihren Augen. Dennoch lief sie nicht weg.

»Hat die dunkle Magie dieses Hauses dir etwas angetan?«, raunte sie. »Kann … kann ich dir helfen?«

Ich lachte und die Möbel im Raum bebten. Hätte ich die Tür nicht versiegelt, nachdem ihre lästige Cousine gegangen war, wäre bestimmt schon jemand hereingestürmt, um nach ihr zu sehen.

»Du willst mir helfen?« Ich grinste und entblößte dabei alle Zähne des Ungeheuers, das ich nun war. »Dann stirb, Hexe!«

Ich riss mein Maul auf und stürmte auf sie zu. Isabelle wich nicht aus. Sie hob ihre Hände und fuhr damit durch meine Gestalt hindurch. Seltsame Wärme breitete sich in meinem Inneren aus und ich taumelte fauchend zurück.

»Du musst hier nicht gefangen bleiben. Sag mir, was geschehen ist. Ich will dir helfen«, flüsterte sie.

»Fahr zur Hölle!«, brüllte ich und löste mich für ihre Sinne auf.

Keuchend hielt ich meine Brust, aus der ekelerregende Wärme strömte. Welchen Zauber hatte sie angewandt? Und wieso fühlte ich diese Magie überhaupt?

Ich hob den Kopf und betrachtete Isabelle, die langsam zu Boden sank und auf ihren Knien landete. Sie atmete viel zu schnell und zitterte am ganzen Leib.

Nur ein einziges Mal hatte ich sie bereits so gesehen und das lag schon viele Jahre zurück. Damals hatte es mir das Herz zerrissen. Heute brandete Wut in mir auf.

»Diese Schlacht mag an dich gehen. Aber den Krieg gewinne ich«, knurrte ich für sie nicht hörbar und verließ den Raum, vor dessen Tür die Dienerschaft versuchte, mein Siegel zu brechen.

Sollten sie doch zu ihr gehen. Ich musste mir überlegen, was ich in dieser Nacht mit ihr anstellen würde.

KAPITEL3

Isabelle

Nachdem die Diener die Tür aufgebrochen und ich allen versichert hatte, dass es mir gut ging, richtete ich mich für das Abendessen her. Ich war froh, mich zurückziehen und ablenken zu können, denn die Begegnung mit diesem Wesen ließ mich immer noch zittern. Großvater war noch nicht von seinem Termin zurück, aber Beatrice versprach mir, dass er bis zum Essen erscheinen würde.

Die Begegnung mit diesem Poltergeist hatte ein unangenehmes Gefühl in mir hinterlassen. Dieses Wesen war von Hass zerfressen und eisige Kälte hatte die Gegend rund um sein Herz umgeben. Was auch immer ihm widerfahren war, es würde lange dauern, ihm zu helfen. Denn er wollte Rache. Allerdings wusste ich nicht, wofür. Und das musste ich in Erfahrung bringen, sonst konnte ich nichts für ihn oder sie tun.

Obwohl ich ziemlich sicher war, dass dieses bedauernswerte Geschöpf mir nicht wirklich schaden konnte, fühlte ich noch immer eine schauderhafte Kälte. Deswegen war ich froh, dass Yvette bei mir erschien, um mit mir die nächsten Tage zu besprechen. Ich hatte für einen kurzen Moment vergessen, dass ich in Wahrheit die Herrin dieses Hauses war.

»Ihr Großvater hat außerdem vorgeschlagen, in naher Zukunft einen Empfang zu Ehren Ihrer Rückkehr zu geben«, erklärte sie gerade, als ich die Bluse mit dem Rüschenkragen zuknöpfte.

Ich betrachtete mich im Spiegel, um die Brosche zu richten, die ich so liebte. Sie war ein Geschenk meiner Mutter gewesen und ich trennte mich nie von ihr. Mein Blick glitt über meinen Körper und ich seufzte. Ich wusste, dass ich recht leger für ein Abendessen gekleidet war, aber ich wollte mich wohlfühlen. Meinem Großvater würde das vermutlich nicht gefallen.

Nachdenklich strich ich meinen Rock glatt und wandte mich zu Yvette um. »Muss das wirklich sein? Empfänge sind immer so steif und die meisten Leute, die wir dazu einladen würden, hassen mich.«

Die Oberhäupter der anderen Häuser hatten mich nie ernst genommen. Was wohl auch an mir lag, denn ich hatte mich stets von Grand-père vertreten lassen. Ein Fehler, den ich zwar wieder geradebiegen musste, aber doch nicht bei einem solchen Empfang.

Yvette schien sich gerade eine Antwort einfallen zu lassen, als die Tür ohne ein Klopfen geöffnet wurde und mein Großvater eintrat. »Es ist notwendig, den anderen Familien zu demonstrieren, dass wir nichts von unserer Stärke eingebüßt haben«, erklärte er ernst, bevor er schmunzelte, auf mich zukam und mich in die Arme schloss. »Isabelle, du bist schön wie ein Frühlingsmorgen.«

»Ich freue mich, dich zu sehen«, sagte ich und trat einen Schritt zurück, um ihn zu betrachten.

Jean d’Hiver war ein hochgewachsener Mann mit fein gepflegtem Schnurrbart und penibel getrimmten Koteletten. Sein Haar schimmerte so weiß wie frisch gefallener Schnee und das Grün seiner Augen glich dem meinen und erinnerte an das türkise Meer.

Die Jahre waren scheinbar spurlos an ihm vorübergegangen. Obwohl er auf die siebzig zuging, sprühte er vor Kraft.

Yvette war in einen so tiefen Knicks versunken, dass sie fast mit der Nase den Boden berührte. Vor meinem Großvater hatte sie immer Angst gehabt, allerdings keinen Respekt. So wie sie hinter seinem Rücken von ihm sprach, verabscheute sie ihn vermutlich noch mehr als mich. Und das bedeutete einiges, denn Grand-père war immerhin ein Mensch.

»Der Empfang ist wichtig, Isabelle«, erklärte mein Großvater, anstatt mich nach meinem Befinden oder meiner Reise zu fragen. Er hatte auf derartige Unterhaltungen noch nie Wert gelegt. »Unser Haus befindet sich gerade in einer schwierigen Position und wir müssen ein klares Zeichen geben, dass unsere Macht ungebrochen ist.«

Großvater forderte schon immer, dass die anderen Häuser uns mehr Respekt zollten. Er wünschte sich seit Jahren eine Ehe zwischen mir und einem Magiebegabten eines anderen Hauses. Da aber diese Entscheidung mir oblag und ich kein Interesse an einer arrangierten Ehe mit einem Mann hatte, der keine Zuneigung für mich empfand, war es mir bisher immer gelungen abzulehnen.

»Grand-père, was ist hier vorgefallen?«, stellte ich die Frage, die mich am meisten belastete, statt das Thema weiter zu vertiefen. »Das Haus ist so düster und …«

Er hob eine Hand. »Nicht jetzt, Isabelle. Du bist wieder hier und wir werden morgen versuchen, den Schaden, der hier entstanden ist, in Ordnung zu bringen. Wir sollten deine Cousine nicht noch länger auf uns warten lassen. Yvette, wir besprechen das Menü für den Empfang während des Essens.«

Ich rollte innerlich mit den Augen und ging hinter meinem Großvater den Flur bis zur Treppe entlang. Immer wieder hatte ich das Gefühl, beobachtet zu werden. Scheinbar war der Poltergeist in der Nähe.

Kälte streifte meine Hand, aber ich versuchte, keine Reaktion zu zeigen. Dieses Wesen wollte mir Angst machen und ich würde ihm diesen Triumph nicht gönnen.

Das Abendessen nutzte mein Großvater, um Dinge wie den Empfang oder die Eröffnung der Weltausstellung zu besprechen, für die man einen riesigen Turm aus Stahl erbaut hatte – völlig ohne Magie. Ich musste zugeben, dass ich es beeindruckend fand, da die Fertigstellung nicht viel länger als zwei Jahre gedauert hatte.

Allerdings störte es mich, dass er mich nicht ein einziges Mal fragte, wie es mir auf der Reise ergangen war oder welche neuen Eindrücke ich gewonnen hatte. Oder ob mein Herz mittlerweile geheilt war. Denn er kannte den Grund, warum ich aufgebrochen war, sehr gut.

Obwohl es eigentlich mein Recht war, beendete Grand-père das Abendessen schließlich und Beatrice und ich zogen uns zurück in mein Zimmer, wo wir von der Schokolade naschten, die ich in der Schweiz gekauft hatte.

»Bilde ich es mir nur ein oder ist Grand-père noch weniger an unserem Leben interessiert als vor meiner Reise?«, fragte ich Beatrice.

»Er scheint viel um die Ohren zu haben. Die anderen Häuser machen ihm Druck, dass das Haus Hiver einen Erben benötigt. Sie sehen es nicht gerne, dass du mit dreiundzwanzig noch ledig und kinderlos bist. Oder Europa bereist, anstatt zu heiraten und einem Mann deinen Platz zu überlassen.«

Ich rümpfte die Nase. Beatrice gehörte auch dem Haus Hiver an, allerdings galt sie nicht als direkte Erbin, was ich lächerlich fand. Immerhin hatte die magische Linie auch bei Großvater eine Generation übersprungen und nur weil sie keine magischen Fähigkeiten besaß, musste das nicht auf ihre Kinder zutreffen.

»Wie ist es eigentlich bei dir, Bea?« Ich lächelte sie an. »Ich habe erwartet, dass dir die jungen Männer haufenweise nachlaufen, wenn ich zurück bin.«

Sie winkte ab. »Es gibt da schon ein paar nette Männer, aber …« Sie stieß den Atem aus.

»Aber was?«

»Grand-père will erst dich verheiratet sehen. Vorher darf ich keinem von ihnen zu nahe kommen.« Sie mied meinen Blick und betrachtete stattdessen ihre Finger. Offenbar hatte sie ein Geheimnis, von dem ich nichts wissen durfte. Vielleicht traf sie sich doch mit einem Mann und wusste nicht, ob sie es mir anvertrauen sollte.

»Das ist doch lächerlich«, schnaubte ich und bohrte nicht nach. »Wer weiß, ob ich je vor den Altar trete?«

Ich hatte wirklich kein Interesse an einer Ehe. Mit Julien hätte ich es mir vorstellen können, weil es zwischen uns tiefe Gefühle gegeben und ich gewusst hatte, dass er mich respektierte. Er war nicht hochnäsig wie die Mitglieder des Magie-Adels, sondern gebildet, höflich und schien kein Problem damit zu haben, dass ich das Oberhaupt der Familie sein würde. Eine Tatsache, die viele Männer auch heutzutage noch nicht hinnehmen konnten, obwohl Frauen oft stärkere Magie praktizierten. Selbst bei den gewöhnlichen Menschen vollzog sich ein Wandel, immerhin gab es bereits Universitäten, die Frauen aufnahmen.

»Grand-père wird nicht eher ruhen, bis er dich verheiratet hat. Er will die Position des Hauses festigen.«

»Er wird das Haus schwächen, denn keine andere Familie wird zulassen, dass diese Linie unter dem Namen Hiver fortbesteht. Unser Haus wird erlöschen, um Platz für ein neues zu schaffen. Oder es bleiben nur sieben Häuser übrig.«

Ich stand auf und trat an das Fenster, als mir ein eisiger Hauch über die Wange fuhr. Dieser Poltergeist hatte offenbar Langeweile oder seine Drohung ernst gemeint und wollte mich in die Hölle schicken. Deswegen nahm ich mir vor, besondere Maßnahmen zu treffen, bevor ich mich zu Bett begab.

»Außerdem möchte ich nur aus Liebe heiraten«, fügte ich hinzu. »Nicht weil es irgendeine Position stärkt, die mir nichts bedeutet.«

Ich fuhr mit meinen Fingern über das Armband. Wieder fühlte ich eisige Kälte an meiner Wange und unterdrückte ein Schaudern.

»Hat Julien sich jemals bei dir gemeldet?«, wollte Beatrice wissen, die plötzlich neben mir stand und das Armband betrachtete. »Das ist doch von ihm, oder?«

Ich nickte und ließ meine Hand sinken. »Ich habe seit dem Winterball nichts mehr von ihm gehört«, murmelte ich und starrte hinaus in die Nacht.

»Du meinst, abgesehen von dem Brief, den er zurückgelassen hat«, warf Beatrice ein.

Natürlich kannte sie die Zeilen von Julien. Wir hatten sie wieder und wieder besprochen, während sie mich getröstet hatte.

»Das passt nicht zu ihm«, raunte ich und kämpfte gegen die Tränen an. »Ich verstehe es noch immer nicht. Aber er war unauffindbar und in seinem Zimmer lagen Abrechnungen, in denen der Kauf eines Tickets für ein Schiff über den Atlantik vermerkt war. Auch seine persönlichen Sachen waren verschwunden und die Miete gekündigt.«

»Ich hatte auch nie das Gefühl, dass er dir etwas vorgespielt hat«, meinte Beatrice und nahm meine Hand. Die Kälte, die ich gerade gefühlt hatte, verschwand. »Denkst du, eines der anderen Häuser hat ihn dafür bezahlt, dich zu verlassen?«

Ich schüttelte den Kopf. »Wozu? In ihren Augen hätte eine Ehe mit ihm unser Haus nur geschwächt. Außerdem weiß ich, dass Julien nie auf so ein Angebot eingegangen wäre.«

»Aber Grand-père hat überall nach ihm suchen lassen. Es gib noch immer keine Spur von ihm.«

»Ich weiß«, murmelte ich und blickte wieder in den nächtlichen Himmel hinaus. »Ich habe selbst mit Magie nach ihm gesucht. Seine Spur verlor sich genau hier. Als hätte er mich nie verlassen. Es ergibt keinen Sinn.« Ich fuhr mir über das Gesicht. »Nichts ergibt Sinn, seitdem er fort ist.«

Beatrice umarmte mich von hinten. »Ach, Belle …«

»Ich klinge so erbärmlich«, stellte ich schniefend fest. »Ich weine seit Jahren einem Mann hinterher, als gäbe es keine anderen Probleme auf dieser Welt.« Meine Gedanken wanderten zu meiner Reise und dem wahren Grund meiner Rückkehr. Nein, jetzt war nicht die Zeit, erneut an Julien zu denken. Ich musste mich meiner Cousine anvertrauen. Also drehte ich mich zu ihr um. »Bea, was ich dir jetzt erzähle, darf diesen Raum niemals verlassen.«

Sie nickte ernst. »Du hast mein Wort.«

»Das Gleichgewicht scheint aus den Fugen zu geraten«, sagte ich so leise, dass der Regen, der gegen die Fensterscheibe trommelte, meine Worte fast verschluckte.

»Was meinst du?«, hauchte Beatrice und musterte mich ernst.

Ich stieß den Atem aus. »Ich habe es selbst erst nicht verstanden, aber … überall in Europa scheinen Zauber schiefzugehen und meist gibt es ein Haus, das über mehr Macht verfügt als alle anderen. Obwohl es eigentlich nicht so gedacht ist, wie du weißt.«

Beatrice betrachtete mich aufmerksam. »Aber auch bei uns sind einige Häuser stärker als andere, und das schon lange«, warf sie ein.

»Da hast du recht«, gestand ich. Das Haus Ivoire galt schon immer als das mächtigste in Paris. Wieso hatte ich nie daran gedacht? »Wie auch immer«, kam ich wieder zum eigentlichen Thema zurück. »Das alles führt zu Unruhen und ich fürchte, wenn keiner etwas dagegen unternimmt, wird es zu einem Krieg kommen, der alle Magie zerstören könnte.« Ich wandte mich von ihr ab und betrachtete die Regentropfen, die über das Fenster liefen. »Ich habe es auch hier in Paris gespürt. Ich muss herausfinden, ob meine Vermutungen stimmen oder ob ich nur zu sensibel bin nach dem, was ich gesehen habe. Das ist der Hauptgrund, warum ich zurückgekehrt bin.«

Langsam wandte ich mich meiner Cousine wieder zu. Beatrice sah mich mit großen Augen an. »Warum erzählst du das mir und nicht Großvater?«

Ich presste meine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. »Er würde mir nicht glauben. Das hat er nie. Deshalb muss ich den Rat der Magier einberufen und herausfinden, ob ich mich irre oder ob wir alle in Gefahr sind.

---ENDE DER LESEPROBE---