Haus an der Zitronenküste - Kurt Schreiner - E-Book

Haus an der Zitronenküste E-Book

Kurt Schreiner

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Beschreibung

Den Reisebuch-Autor (DuMont) für die griechische Ägäis verschlug es auf der Suche nach einem festen Feriendomizil nach Südfrankreich. Auf einem Platz vor der mairie des kleinen, mittelalterlichen Castellars oberhalb der Küstenstadt Menton (Côte d`Azur) lernte er zufällig als Haus-Vermittler seinen zukünftigen Nachbarn kennen. Es entwickelte sich eine Liebe zu der landschaftlich ungemein reizvollen Region, die den Anspruch Zitronenküste erhebt. Im Mittelpunkt der sehr persönlichen Erzählung steht das kleine 1000-Seelen-Dorf Castellar, 360 Meter hoch über der Küste gelegen, ein Balkon mit Meerblick und langer Geschichte und mit dem Palais der Grafenfamilie Lascaris, die als Lehnsherren hier residierten. Er erzählt von der letzten Hexenverbrennung im Ort und berichtet von aktuellen Dorf-Querelen bis hin zu einem unaufgeklärten Mord. Das Buch nimmt den Leser mit in eine Region, in der die Zitronen immer schon reichlich blühten und gediehen. Er sucht die öffentlichen Gärten Mentons auf, in der sich die ganze Pracht exotischer Pflanzenwelt entfaltet, von Autoren als irdisches Paradies beschrieben, so wie es Adam und Eva einer Legende nach bei ihrem Exodus aus dem Garten Eden hier vorfanden. Er erzählt von den traditionellen Festen, die das Dorf mit frischem Leben erfüllen. Auch die Hunde, die Katzen und ein Esel, gehören zum festen Bestand des lebenden Dorfinventars. Haus an der Zitronenküste ist etwas für romantische Schwärmer, die der Autor in sein irdisches Paradies mitnimmt. Für Träumer, die es in den Süden zieht und vielleicht mit dem Gedanken spielen, dort eine Ferienbleibe zu erwerben.

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Kurt Schreiner • Haus an der Zitronenküste

(Maison à la Côte de citrons)

Eine Hommage an mein Ferienparadies

Galina und allen,

die das Paradies Zitronenküste

kennen und lieben lernten

Auf der Terrasse des Hauses (2018)

Inhalt

Impressum

Mit Adam und Eva fing es an

I. Auf der Suche

Planen und hoffen

Immer nur Enttäuschungen

Letzter Versuch im „Bella Italia“

Das gute Ende. „Voilà! C`est ca!“

II. Der Einzug

Abendgesänge und andere Überraschungen

Allerlei Störenfriede und unwillkommene Hausbesucher

Die Wehen des Hauskaufs

Do-it-yourself-Arbeiten

Probleme mit dem

typique francaise!

Das „Deutsche Eck“ von Castellar

III. Unser Dorf – ein

balcon

mit Meerblick

Dorf-Geschichte(n)

Fromme Büßer, eine Hexe und ein berühmter Lascaris-Malteser

Wasser – der verborgene Schatz

Unterwegs in den Hängen und auf dem Gipfel des Roc d`Orméa

Dorf-Feste feste feiern

IV. Menton –

perle de la France

Ehedem mondäne Kurstadt der

Belle Époque

– heute Rentnerparadies

Wandel vom Fischerhafen zum exklusiven Badestrand und Yachthafen

Baden und Strandleben

Grüne Oasen – die wahren irdischen Paradiese

V. Einkehr in die Residenzen der Reichen

Villa im Olivengarten

Alexandra und ihr Etablissement hoch über Monaco

VI. Viel unterwegs an der Zitronenküste

Schnüren der Wanderschuhe für die

Alpes-maritimes

Über die Grenze ins italienische Ligurien

Etwas Côte d`Azur in Happen

Bummeln in Südfrankreichs Metropole Nizza

Mondän und ungliebt: unser Nachbar Monaco

Nachbemerkungen

Mit Adam und Eva fing es an

Die beiden wurden bekanntlich aus dem Paradies vertrieben, als Eva gegen ein Verbot handelte. Sie pflückte im Garten Eden vom „Baum der Erkenntnis“ einen Apfel. Trotz ihrer Bestrafung konnte sie es nicht sein lassen, beim Verlassen des Paradieses schnell noch ein weiteres Mal in die Zweige eines Baumes zu langen. Dieses Mal war eine Zitrone ihre Diebes-Beute. Sie versteckte die gelbe Frucht unter ihrem Feigenblatt-Gewand und schmuggelte sie aus dem Paradies.

Nach langer Wanderung gelangte das Paar an ein Stück Erde, das dem verloren gegangenen sehr ähnelte. Von hohen umgebenden Bergen geschützt, lag es an einem azurblauen Meer. Und eine üppig-exotische Vegetation gedieh unter einem ständig strahlend-blauen Himmel. Es fasste spontan den Entschluss, für immer hier zu bleiben.Eva zog die noch frische Zitrone unter ihrem Blätter-Gewand hervor und pflanzte sie in die Erde.

Dort wuchs sie im Laufe der Jahre zu einem prächtigen Zitronenbaum heran. Und in den folgenden Jahrhunderten breitete er sich in diesem paradiesischen Landstrich massenhaft aus. Die Hänge zum Meer hinab bis hin zur Küste waren übersät mit ständig blühenden und viele Früchte tragenden Zitronenbäumen. Deshalb nannte man die Region „Zitronenküste“.

Diese Legende, so steht in einem alten Reiseführer über die Côte d`Azur zu lesen, erzähle man sich in der französischen Küstenstadt Menton. Aber es gibt dazu noch eine realistische Fortsetzung, die dem Wahrheitskern der Zitronenlegende nahe kommt. Sie entspricht der Tatsache, dass noch zu Beginn des letzten Jahrhunderts in dem Gebiet um Menton üppige Zitronen-Plantagen existierten. Sie waren neben dem Wintertourismus ein wichtiger Wirtschaftsfaktor der Stadt.

Menton ist auch heute noch der einzige Ort an der Côte d`Azur, wo die Zitronenbäume rund um das Jahr erntereife Früchte tragen. Vorzüge der Azur-Küstenlandschaft: das milde Klima, die vielen Sonnentage, die landschaftliche Schönheit und die subtropische Vegetation kann vor allem der Küstenort Menton für sich beanspruchen.

Selbst im Winter findet man eine blühende Stadt vor mit immergrünen Baum- und Strauchkulturen wie Palmen, Oliven, Feigen, Lorbeer, den wilder Pfeffer, Eukalyptus, Pinien, Oleander und Agrumen in den Parks und Gärten. Mimosen zaubern bereits zu Beginn des neuen Jahres gelbe Farbtupfer in die Hänge. In der benachbarten Stadt Nizza zieht zu Karneval im Februar mehrmals ein Blumen-Corso durch die Stadt. Und Menton feiert zu Ehren der Zitrone jedes Jahr zur Karnevalszeit eine „Fête du Citron“ (Zitronenfest). Dann zieht der „Corso des fruits d`or“ (Korso der Goldfrüchte) durch das Städtchen und die aus Zitrusfrüchten zusammengesetzten, phantastischen Motive schmücken die Umzugswagen.

Frühlings-Pracht auf dem Markt des Cours Saleya in Nizza

Torturm des palais Lascaris in Castellar

I. Auf der Suche

Planen und hoffen

Viele Camper fahren Jahr für Jahr in den Ferien zu dem gleichen Platz, an dem sie ihren mit allen technischen Finessen ausgestatteten Camping-Bus abstellen oder ihr komfortables Wohn-Zelt aufschlagen. Sie fühlen sich wohl hier vom ersten Ferientag an. Es ist ihre Form, die Ferien zu verbringen.

Damals vor rund 25 Jahren waren unsere Vorstellungen ähnliche, als meine damalige Lebensgefährtin und ich an einem Julimorgen auf der A7 in meinem alten Benz die Rhône entlang dem Süden von Frankreich zustrebten. Wir hatten ein kleines Zelt im Kofferraum und eine große Wunschvorstellung im Kopf: ein regelmäßig zu nutzendes Feriendomizil in einer landschaftlich reizvollen und klimatisch angenehmen Ecke Südfrankreichs zu erwerben.

Wir, das Lehrer-Paar, hofften, dass sich in den sechswöchigen Schulferien dieses Sommers unser Wunsch und unsere Vorstellungen von einem zukünftigen Ferienparadies erfüllen mögen. Wir hatten die Übernachtungen in unpersönlichen Ein-Zimmer-Behausungen von Hotels satt. In einer festen Bleibe dagegen könnten wir uns wie „zu Hause fühlen“. Ankommen und auspacken, schalten und walten, wie es uns beliebte.

Warum wir den Süden Frankreichs anpeilten, hat eine kleine Vorgeschichte. Eigentlich war ich ein großer Fan der griechischen Ägäis, und meine Lebenspartnerin M. teilte meine Vorliebe für diese Ecke Südeuropas. Es hätte daher nahe gelegen, uns in Griechenland nach einem Ferien-Domizil umzusehen. Erste Versuche scheiterten aber an den damals vorhandenen bürokratischen Hürden des Landes. Für Ausländer, die von einem Hausbesitz in Griechenland träumten, erwiesen sie sich als nahezu unüberbrückbar. Praktische Bedenken kamen hinzu, vor allem die sehr lange Auto-Anfahrt.

Wir blieben jedoch bei der Vorstellung, unser zukünftiges „zweites Zuhause“ müsse unbedingt im sonnigen Süden liegen. Möglichst in Reichweite einer Tagesfahrt mit dem Auto.

Wir gaben schließlich Südfrankreich den Vorzug noch vor den von den Deutschen beliebteren Reiseländern Spanien und Italien. Zum einen, weil meine Lebensgefährtin die französische Umgangssprache einigermaßen beherrscht. Was ich von mir nicht behaupten konnte. Nach lange zurückliegenden Schuljahren waren bei mir vom Französisch-Unterricht lediglich einige Umgangsfloskeln erhalten geblieben. Zum anderen gab für mich ein Buch den Ausschlag. Es sollte mir auch später noch hilfreich werden beim Umgang mit französischen Handwerkern. Genau zum richtigen Zeitpunkt kam es auf den Büchermarkt. Geschrieben hatte es der Engländer Peter Mayle. Der Originaltitel „A Year in Provence“ erschien 1990 in England und in den USA, und er mauserte sich dort schnell zu einem Bestseller. Unter dem Titel „Mein Jahr in der Provence“ tauchte er 1993 auch im deutschen Buchhandel auf. In diesem Buch begibt sich der Ich-Erzähler Mayle gemeinsam mit seiner Frau und ihrem Hund in die Provence auf Haussuche. Ihm schwebte ein Mas vor, ein altes Bauernhaus auf dem Lande, dass er für ihre Wohnzwecke herrichten lassen wollte.

Sie fanden schließlich ein Anwesen, das ihren Vorstellungen entsprach. Nur zogen sich die leidigen Renovierungs- und Umbauarbeiten sehr lange Zeit hin und kosteten sie viel Geld, Zeit und Nerven. Dabei lernte Mayle die schrulligen Eigenarten der Provenzalen kennen. Seine Erfahrungen mit dem Erwerb, den Umbauten und den Menschen seiner Nachbarschaft beschrieb er in seinem Buch.

Mich sprach vor allem der trockene, englische Humor an, mit dem er seine zahlreichen Rückschläge kompensierte. Beim Studieren seiner Vita stellte ich überrascht fest, dass mich mit dem Autor etwas Berufliches verband. Er hatte wie ich sich 15 Jahre lang in der Werbebranche umgetan, ehe er mit dem Bücher-Schreiben begann.

Mayle hatte sein Provence-Buch dem chronologischen Jahresablauf entsprechend in zwölf Monats-Kapiteln aufgeteilt. Im Kapitel „Juni“ erfahre ich, was alles in diesem Monat in der Provence geschieht und gleichzeitig was ihm an seiner Baustelle widerfuhr. Oder auch unterblieb, wenn die angeheuerten Handwerker sich mal wieder nicht blicken ließen.

Der große Erfolg seines Buchs bekam allerdings für das Paar im Nachhinein eine bittere Kehrseite. Es erlangte unbeabsichtigt touristische Auswirkungen, die bis hin zum Kult-Charakter gingen, wie es vor allem in Japan der Fall war. Menschen, die nie zuvor etwas über die Provence gehört, geschweige denn gelesen hatten, verlangte es plötzlich dorthin. Clevere Reiseveranstalter nahmen in ihren Angeboten für Provence-Rundfahrten sogar einen Stopp vor Mayles Anwesen in ihr Programm auf. Denn der hatte in seiner unbekümmerten Art detailliert Haus und Gegend in seinem Buch preisgegeben. Dass sich daraus bittere Konsequenzen für ihn ergeben sollten, damit hatte er nicht gerechnet. Eines schönen Tages standen die ersten Reisebusse mit Japanern vor seinem Anwesen. Die „Japsen“ wollten unbedingt den inzwischen auch in Japan populären englischen Schriftsteller kennenlernen. Touristen drangen auf sein Grundstück ein, und ohne zu fragen badeten sie in dem neu angelegten Swimming-Pool. Mayle sah sich nach einigen Jahren des Touristen-Terrors entnervt dazu gezwungen, alles wieder aufzugeben. Er siedelte nacheinander um in die USA, auf die Long Islands und die Bahamas. Erst nach vielen Jahren der Emigration kehrte er zurück an einen geheim gehaltenen Ort in seiner ersten Wahlheimat Südfrankreich. Dort starb er laut einer Pressemitteilung Anfang 2018 in einem Krankenhaus.

Eine Emigration wie die der „Mayle-family“ lag uns allerdings nicht im Sinn, denn wir standen beide damals noch im aktiven Schuldienst. Als wir uns zu Beginn der Sommer-Schulferien im Juli 1993 in Richtung Südfrankreich in Bewegung setzten, hofften wir, am Ende der sechs Schulferien-Wochen glückliche Besitzer einer Ferienwohnung in Südfrankreich zu sein. Es würde nicht einfach und eher eine Expedition mit ungewissem Ausgang werden, ahnten wir. Doch das Buch des englischen Schriftstellers hatte unseren Optimismus gestärkt.

Nach diesem kurzen Rückblick zu der Hoffnungsphase setzen wir unsere gerade erst begonnene Fahrt ins Ungewisse fort. Gespannt erwartungsvoll bogen wir bei Avignon von der Rhône-Autobahn ab und näherten uns über die in Richtung Osten führende Nationalstraße N 100 der Provence an. Wir besaßen neben dem Zelt auch reichlich Zeit im Gepäck. Es war ja erst Anfang Juli, die 6-wöchigen Schulferien hatten gerade erst begonnen.

Auf Zimmerbestellungen im Voraus hatten wir verzichtet, Zelt und Schlafunterlagen im Kofferraum machten uns unabhängig und flexibel. Komfortabel eingerichtete Camping-Plätze, das wussten wir, gibt es in Frankreich zur Genüge. Und wir konnten uns viel Zeit lassen bei der Suche nach unserem Ferienparadies.

Immer nur Enttäuschungen

Bekannte Städtenamen wie Gordes und Apt tauchten auf den Hinweisschildern am Straßenrand auf. Doch Städte interessierten uns weniger. Mayle hatte uns das provenzalische Landleben schmackhaft gemacht. Bereits in der ersten Woche unserer Expedition empfing uns der Hochsommer in Südfrankreich mit hohen Tagestemperaturen. Bogen wir des Mittags von der Nationalstraße ab und fuhren auf gutes Glück in irgendein Dorf hinein, erschien uns die Hitze schier unerträglich. Die heiße Luft flimmerte über dem Straßenasphalt und in den Hausschatten dösten die Katzen vor sich hin. Wir verließen das kühltemperierte Wageninnere nur, wenn wir ein schattiges Plätzchen unter Baumgeäst entdeckten. Zum Glück hatten wir immer genügend Trinkwasservorräte mit „an Bord“, denn in den kleinen Dörfern machten sich Lebensmittelgeschäfte rar.

Wir wünschten uns in der brütenden Mittagshitze nichts sehnlicher herbei als eine Erfrischung in einem Swimming-Pool oder an einer öffentlichen Badestelle, mussten es aber bei Wunschphantasien belassen.

Wehmütig erinnerten wir uns an die blauen Buchten mit klarem, kühlem Wasser der griechischen Ägäis, wo uns das allgegenwärtige Meer jederzeit Abkühlung verschaffte. Nostalgische Bemerkungen fielen, die mit „Weißt du noch…?“ begannen.

Nur mit Mühe verloren wir den eigentlichen Zweck unserer Reise nicht aus den Augen. Hier und da entdeckten wir preislich günstige Immobilien-Angebote hinter Schaufensterglas mit den üblichen, übertreibenden Beschreibungen und Abbildungen. Ich notierte mir auch Anschriften und Telefonnummern. Doch die Fata Morgana „Ägäis“ verunsicherte.

„Was würden wir hier zu dieser heißen Mittagszeit machen?“ fragten wir uns in einem der verschlafenen Dörfchen. Ein ansehnliches Kleinstädtchen hieß Cereste. Aber auch das konnte unseren Vorstellungen nicht genügen. Es war lange vor der Zeit, als im Jahr 2013 die amerikanische Journalistin und Bestsellerautorin Elizabeth Bard mit ihrem französischen Ehemann hier ihren berühmt gewordenen Eissalon eröffneten.

Unsere Grundskepsis änderte sich auch nicht, als wir bei Forcalquier und Manosque die Region von Mayles Provence erreichten. In einem wesentlichen Punkt unterschieden wir uns grundsätzlich von den Vorstellungen des Engländers. Wir vermissten sehr schmerzlich das Meer. Dabei könnte es uns nur wenige Fahrtstunden von hier entfernt Abkühlung und Badefreuden bescheren.

Bei dem kleinen Städtchen Moustiers Ste.-Marie an der D 952 bauten wir dicht unterhalb dieses hochgelegenen Adlerhorstes auf dem Campingplatz unser Zelt auf. Seit Reisebeginn fühlten wir hier zum ersten Male Ferienstimmung aufkommen. Und auch Wasser gab es zur Genüge, doch leider nur zum Anschauen. Ein reißender Gebirgsbach schoss in einer Canyon-artigen Schlucht mitten durch den Bilderbuch-Ort. Heftiger denn je schlug unser Gefühls-Kompass aus in Richtung Meer und wir gelangten zu der Einsicht, die unsere weiteren Pläne radikal veränderte. Wir wollten keine Landratten werden. Unser Element war bisher das Meer und das sollte auch so bleiben. Eine Erkenntnis, die wie ein rettender Befreiungsschlag über uns kam. Wir werden unser Ziel ändern und in Richtung Côte d`Azur aufbrechen.

Das Naturwunder Grand Canyon du Verdon (Große Verdon-Schlucht) ließen wir uns jedoch auf unserem neu eingeschlagenen Route nicht entgehen. Hunderte Meter stürzen die Wände steil in die Tiefe ab. Die Straße führte an einigen balcons dicht heran an den Absturz mit schwindelerregenden Aussichtspunkten. Ich bekam weiche Knie und spürte, wie sich meine Höhenangst in der Magengegend bemerkbar machte.

Weiter über die Straße D 71 bewegten wir uns geradewegs auf die Nationalstraße N 84 zu, besser bekannt unter der Bezeichnung Route Napoleon. Wer sich in der französischen Geschichte auskennt, weiß den Grund für die Namensgebung. Im Städtchen Comps-sur-Artuby war gerade Markttag und wir deckten uns mit frischen Lebensmitteln ein.

Was dann geschah, zwang uns, die Routenplanung erneut zu korrigieren. Ich habe mir im Nachhinein eine Theorie zusammengezimmert, wie es passiert sein konnte, traute ihr aber nicht so recht. Ich fand jedoch keine andere, plausiblere Erklärung. Nach dem Marktbesuch setzten wir uns auf der D 955 in Richtung Draguignan in Bewegung. Als ich Fahrt aufnahm, ließ ein explosionsartiger Knall uns zusammenschrecken. Ich stoppte das Gefährt und dann standen wir fassungslos und schreckensstarr neben dem Benz. Die hintere linke Scheibe fehlte, das Sicherheitsglas lag in lauter kleinen Scherben zersplittert verstreut im rückwärtigen Teil des Wagens.

Ich vermutete, dass wir eine der beiden hinteren Türen nicht geschlossen hatten und als ich Tempo aufnahm, wird sie sich ganz geöffnet haben und mit großer Wucht wieder zugeschlagen sein.

Und das musste ausgerechnet in einer Region passieren, vor der man uns gewarnt hatte. Langfinger aus Marseille würden hier ihr Unwesen treiben und den Touristen ihre Sachen aus dem Auto stehlen, falls sie nur für einen kurzen Augenblick das Auto verließen. Es war also das Gebot der Stunde, so rasch wie möglich eine neue Autoscheibe zu beschaffen und montieren zu lassen.

An einer Tankstelle erfuhr ich, dass sich die nächste Mercedes-Werkstatt in der Küstenstadt Cannes befand. Ein kurzer Blick auf die Landkarte verriet, dass unsere Straße D 21 ebenfalls auf die Route Napoleon stößt.

Somit würden wir auf direktem Weg zum Mittelmeer und nach Cannes gelangen. Ich drückte heftig auf das Gaspedal, beseelt von dem Gedanken: Hoffentlich erreichen wir die Filmstadt heute noch, bevor die Werkstatt ihre Pforten schließt!

Es wurde später Nachmittag, als wir in Cannes eintrafen. Den Weg zur Mercedes-Werkstatt fanden wir dank der guten Ausschilderung, und sie hatte noch geöffnet. Ein zweites Mal Erleichterung, als wir das d`accord! vernahmen. Man habe die Scheibe vorrätig und könne sie am morgigen Vormittag montieren. Vielleicht ließen sich die prompte Reparaturzusage und Verfügbarkeit der Ersatzscheibe damit erklären, dass es in der Stadt der internationalen Filmfestspiele betuchte französische Autobesitzer gab, die die deutsche Nobelmarke zu ihrer persönlichen Repräsentation bevorzugten.

Als ADAC-Mitglied mit Auslands-Scheckheft leisteten wir uns in der Nähe der Werkstatt eine Übernachtung in einem Hotel der mittleren Preisklasse. Pas de problem! Die Filmfestspiele von Cannes hatten bereits im Mai stattgefunden und jetzt standen ausreichend viele Zimmer leer.

Bei unserem Abend-Spaziergang entpuppte sich eine enge, aufwärts führende Straße als die „Essmeile“ der berühmten Film-Stadt. Tische und Stühle der Restaurantbetriebe standen bis auf den Gehweg der Straße gerückt. Wir kurvten um Tische, auf denen Kellner allerlei Köstlichkeiten auftrugen. Die Damen präsentierten ihren Glitzer und duftige Sommerspitze, die Herren ihre elegant-schicken Hemden. Wir kamen uns dagegen in unseren Touristen-Fummeln recht schäbig vor.

Der Anblick der vielen verlockenden Speisen auf den Tellern in unmittelbarer Reichweite löste gewisse Bedürfnisse bei uns aus. Doch die auf den Speisekarten-Tafeln ausgewiesenen, astronomisch hohen Preise schreckten ab, so dass es bei der lukullischen Essens-Show und dem Magenknurren blieb.

Dann entdeckten wir überraschend das kleine, verwaiste Speiselokal. Es lag nahezu im Dunkeln am oberen Ende der Gourmet-Straße, nur um eine Ecke herum. Meine Miene hellte sich auf, als ich die mit Kreide hin gekritzelte Schrift auf der Tafel las: Lapin provencial! Aber Hallo! Mein Lieblingsgericht! Auch der Preis war d`accord. Schon saßen wir zu Tisch und gaben die Bestellung auf. Der mit provenzalischen Kräutern gewürzte, zarte Kaninchenbraten, dazu Fritten, Salat, und ein Glas vin rouge bewirkten Wunder und der Frust wegen der kaputten Scheibe war Geschichte.

Jetzt also waren wir angekommen an der Côte d`Azur, und noch dazu in der berühmten Filmstadt Cannes. Schneller als vorgesehen, hatte der Zufall uns an das heiß herbei gesehnte Mittelmeer geführt. Endlich konnten wir uns nach der Sommerhitze in der Provence den lange aufgestauten Wunsch nach einem ausgiebigen, erfrischenden Bad im Meer erfüllen. Die Bilder, die uns seit einer Woche vorgaukelten, sie würden jetzt Wirklichkeit. Mit Palmen bestandene, weiße Sandstrände. Das Meeresrauschen. Die Wellen, in die wir uns hineinstürzen und auf denen wir uns tragen lassen ...

So ähnlich dachten wir jedenfalls.

Am nächsten Vormittag dann die bittere Enttäuschung. Wir hatten geplant, bis zum Abholen unseres wieder hergestellten Benz gegen Mittag uns die Zeit auf angenehmste Art und Weise am Strand und im Meer zu vertreiben.

Die Wirklichkeit von Cannes tat uns diesen Gefallen nicht. Sie wartete an diesem Morgen anders auf, als wir es uns vorstellten. Mit langen Autoschlangen auf der Uferstraße. Hupkonzerten, die das Meeresrauschen übertönten. Am Stadtstrand tummelten sich viele Menschen. Überhaupt dieser Strand. Ein paar unansehnliche Sand-Badebuchten und streckenweise nur grobe Kieselsteine. Barfüßige sahen wir ohne Balance und bestimmt mit schmerzenden Füßen ins Wasser torkeln. Nein, nach unserer Traumgegend sah das alles hier nicht aus. Auf ein Bad konnten wir gerne verzichteten. Nun ja, wir waren mehr oder weniger nach Cannes gezwungen worden. Die verflixte Autoscheibe war an allem Schuld…

Wir erhielten gegen 11 Uhr meinen Benz mit neuer Glasscheibe versehen zurück. Und somit konnte unsere unterbrochene Expedition endlich fortgesetzt werden. Aber wohin soll unsere Fahrt von hier aus weitergehen? Das bedurfte einer grundsätzlichen Klärung.

Mein Zeigefinger bewegte sich auf der Landkarte nach links die Küste entlang. Er stoppte bei St. Tropez. „Dort soll es die schönsten Sandstrände der Côte d`Azur geben“, argumentierte ich.

Doch meine bessere Hälfte war da anderer Auffassung. „Was man über diesen Sündenpfuhl nicht so alles hört und liest!“ meinte sie. „Es wäre auch sicher nicht unsere Preisklasse“, ergänzte ich und mein Finger wechselte die Richtung. Er bewegte sich entgegengesetzt die Küste entlang nach Osten. Er stoppte zunächst bei Antibes, dann bei Nizza. Und noch einmal bei Monaco. „Das sind gewiss auch alles keine Orte, wo ein mäßig bemitteltes Lehrerpaar wie wir eine bezahlbare Ferienbehausung auftreiben wird“, erklärte ich meinem Finger.

Der fuhr ungeduldig noch ein Stückchen weiter ostwärts. Und dann war er auch schon an das Ende von Frankreich angelangt. Direkt hinter der Küstenstadt Menton stoppte er an der gestrichelten Linie der Staatsgrenze zu Italien. „Hier ist Ende der Fahnenstange! Merde!“ seufzte ich. Dann traf ich eine Entscheidung mehr irrational und wider besseres Wissen: „Wir werden unsere Fahrt in Richtung Osten fortsetzen. Basta!“

Auf der Küstenstraße durchfuhren wir etliche Orte, in denen die Badesaison bereits begonnen hatte. Auch ohne die Franzosen, die warteten noch auf den August. Wir passierten das Picasso-Städtchen Antibes. Tasteten uns durch Cagnes-sur-mer hindurch. Sahen die Landeanflüge der Düsen-Jets des internationalen Flughafens im Westen der Großstadt Nizza und fädelten uns in den dichten Verkehr auf dem mehrere Kilometer langen Ufer-Boulevard von Nizza ein.

Heute, 25 Jahre später, denke ich gelegentlich darüber nach. Hatte eine imaginäre Macht mit Absicht unsere Autoscheibe damals zersplittern lassen? Zwang sie uns dadurch auf, unsere Fahrt nach Cannes zu lenken, obgleich wir planten, zunächst die Côte im Westen nach einem geeigneten Feriendomizil zu durchforsten? War alles blanker Zufall oder sollte unser Weg zu dem späteren Ferien-Domizil vorgezeichnet gewesen sein? Denn was wir zu diesem Zeitpunkt nicht wussten, nicht wissen konnten, der Zufall würde sich noch einige weitere Male einmischen. Jedoch zunächst hatten wir keine festen Vorstellungen davon, wie unsere Expedition von hier aus verlaufen sollte.

Auf der Weiterfahrt stellten wir fest, dass zwischen Antibes und Nizza die Region sich mächtig zersiedelt gab. Der Straßenverkehr wurde dichter, zeitweise kamen wir nur noch mühsam voran und hantelten uns von einer roten Ampel zur nächsten. Über die Autobahn wären wir sicher schneller vorwärtsgekommen. Doch wir suchten eine Ferienbehausung vorzugsweise in Meeresnähe!

Die Aussichten entwickelten sich umso düsterer, je mehr Immobilien-Angebote wir begutachteten. Alle waren auf eine Preisklasse zugeschnitten, die bei weitem unsere finanziellen Möglichkeiten überstieg. Zweifel kamen auf: Hatten wir uns zu blauäugig auf den Süden Frankreichs und die exklusive Côte eingelassen? Würde unsere Expedition Ferienhaus scheitern? Nicht nur die horrenden Preise, auch der starke Verkehr und die dichte Bebauung ließen unsere Vorstellungen von einer ruhigen Ferienhaus-Idylle auf Null absinken.

Die Hoffnung, hier unser „Ferienparadies“ zu finden, starb langsam dahin. Unser geistiger Wegbereiter Peter Mayle war besser beraten gewesen als wir und gut damit gefahren, sich ins Hinterland der Provence zu verziehen.

Hinter Nizza erlebten wir die Küste landschaftlich abwechslungsreicher. Die Ausläufer der Alpes-maritimes schoben sich näher heran. In unserem Reiseführer lasen wir von der Corniche, einer Straße, die Napoleon I. oberhalb der Küste als Heeresstraße hatte anlegen lassen. Als Grande Corniche verläuft sie in großer Höhe mit weiten Aus blicken über Meer und Küste. Auf mittlerer Höhe windet sich eine Moyenne Corniche an den Berghängen entlang und führt durch einige hoch gelegene Orte. Beide würden die stark befahrene Küstenstraße Basse Corniche entlasten, vermerkte der Reiseführer.

Am östlichen Ende des Boulevard Anglais im Straßengewimmel von Nizza hatten wir erst nach einigem Herum-suchen die Auffahrt zur Moyenne Corniche gefunden und die Fahrt oberhalb der Küste fortgesetzt, um den vermuteten Verkehrsstau in Monaco zu umgehen. Im Vorbeifahren hielten wir kurz an und warfen einen Blick nach unten auf das kleine, aber teure Refugium der Fürsten-Familie und das Eldorado der Millionäre.

Am Nachmittag erreichten wir mit Menton die letzte Stadt und den östlichsten Zipfel Frankreichs am Mittelmeer. Hier hatte der Legende nach Adam und Eva ihr zweites Paradies gefunden. Wir sollten uns diese Stadt einmal genauer ansehen. Vielleicht finden wir zumindest eine preiswerte Bleibe für die Nacht. Oder auch für etwas länger.

Die „Perle“ Frankreichs – Altstadt-Hügel Menton mit Yachthafen

Ein kurzer Aufstieg über einen breiten Treppenweg führte uns hinauf zu einem Platz hoch über der Altstadt, von zwei barocken Kirchen gesäumt und den Blicken zum Meer hin geöffnet. Daher der etwas überschwängliche Terminus „Barockstadt“ in unserem Reiseführer, war mein erster Gedanke beim Anblick des Kirchen-Ensembles. Unten an der Durchgangsstraße hatte ich auf Werbetafeln noch ein zusätzliches städtisches Eigenlob gelesen: Menton – Perle de la France est heureux de vous accueillir.

Die Strand-Promenade an der Uferstraße erinnerte mich an den sieben Kilometer langen Bade-Strand und Boulevard von Nizza. Dort hatte uns der dichte Verkehr und das Strandgetümmel nicht zum Bleiben verlocken können. Hier erschien uns alles gemächlicher, familiärer und ruhiger zuzugehen. Ein Eindruck, der uns nicht getäuscht hatte, wie sich später herausstellen sollte.

Auf Anhieb gefiel uns die pittoreske Altstadt mit ihren den Stadthügel hinauf kletternden, pastellfarbigen Hausfronten. Unmittelbar vor der Altstadt lagen ein kleiner Yachthafen und ein künstlich angelegter breiter Sandstrand. Viele Straßen und Plätze reich begrünt mit mediterraner Pflanzenwelt. Eine quirlige, bunte Fußgängerzone. Die engen, überwölbten Gassen erinnerten an Italien. Überhaupt wirkte die Stadt wie halb Frankreich – halb Italien. Das sollte eigentlich nicht verwundern, verläuft doch die Staatsgrenze beider Länder am östlichen Stadtausgang.

Blättere ich in meinen Erinnerungen zurück an meine ersten Eindrücke von Menton, fällt mir die Phrase „Liebe auf den ersten Blick“ ein. Doch bei aller Liebe, auch hier setzten die hohen Immobilienpreise einen Dämpfer auf unser Vorhaben.

Letzter Versuch im „Bella Italia“

Fast drei Wochen lang erfolglos in Südfrankreich unterwegs, stießen wir in Menton an die Staatsgrenze von Frankreich. Wie sollte es nun weiter gehen? Mussten wir den Traum von einem Ferienhaus in Südfrankreich endgültig begraben? Wir überlegten, die zweite Hälfte unserer Ferien ausschließlich zur Erholung in dieser sympathischen Stadt zu verbringen, die uns gefiel, weil es weniger hektisch zuging als in Cannes, Antibes oder Nizza. Das hing sicher damit zusammen, dass Frankreich hier endete und kein größerer Durchgangsverkehr stattfand.

Auf den fragwürdigen Luxus von Hotelübernachtungen (die Ein-Zimmer-Quartiere!) für den Rest der Ferien konnten wir gut verzichten. Im Verkehrsamt hatte man uns von einem Campingplatz in den Hängen oberhalb der Stadt berichtet. Somit brauchten wir unsere Reisekasse nicht für Übernachtungen in einem Hotelzimmer überzustrapazieren!

Aber da war doch auch die Grenze am Stadtausgang und das Bella Italia vor unserer Nase. Die norditalienische Region Ligurien und die Riviera beginnen hier. Nach zwei Enttäuschungen, eine Provence ohne Meer und eine Côte d`Azur mit Kieselsteinstränden, sollten wir nicht in dem italienischen Ligurien einmal Ausschau halten. Ein Feriendomizil grenznah zu Frankreich zu besitzen, bietet ja auch die Möglichkeit, jederzeit über die Grenze zu touren.

Neugier und Enttäuschung hielten sich die Waage. Inzwischen bereits früher Abend, entschlossen wir uns, noch heute über diese Grenze nach Italien hinüberzuwechseln.

Die erste größere, italienische Niederlassung an der ligurischen Westküste liegt nur 8 Kilometer hinter dem Grenzposten Menton und heißt Ventimiglia. Die Straße dorthin windet sich von der Grenze aus die steile Felsküste entlang und eine zweite verläuft oberhalb mit weiten Panoramablicken über die Küste mit ihren zahlreichen Buchten. Die untere, auf der wir jetzt unterwegs sind, verschwindet hin und wieder in einem der schlecht beleuchteten Straßentunnels. Zwischen ihren Ein- und Ausfahrten tauchen Kaskaden von flammend-violett-roten Beaugainvilleas auf, die seitlich der Straße die Felswände hochklettern. Auf halber Strecke vor einer kleinen Niederlassung mit der witzigen Ortsbezeichnung „Latte“ (Milch) vereint sich die obere Straße mit der unteren und es geht auf einer einzigen Straße weiter. Bis uns der letzte und gleichzeitig längste Tunnel aufnimmt, der den Stadtberg des alten Ventimiglia durchsticht und uns an seinem Ausgang in das Mündungsgebiet des Flusses Roya entlässt. Die Straße biegt dort scharf nach rechts ab und führt zum Flussdelta am Meer hinab. Links des Flusstals breitet sich der moderne Stadtteil von Ventimiglia aus.

Auf Meereshöhe angekommen, verließen wir vor der Brücke über die Roya die Hauptverkehrsstraße und suchten nach einer Zufahrt zum Meer. Wir entdeckten einen kleinen, unbeleuchteten Straßentunnel, der durch den südlichen Bereich des Altstadthügels führte und bereits nach hundert Metern auf der schmalen Uferstraße am Meer endete.

Dort fanden wir problemlos ein Zimmer in einem kleinen Hotel, unmittelbar an der Uferpromenade gelegen. Auch hier in Italien hatte die Hauptbadesaison noch nicht begonnen, das bedeutete für uns freie Zimmerauswahl. Uns gefiel ein Zimmer im ersten Stock mit einem Zugang zu einer großen Gemeinschaftsterrasse mit „Meerblick“. Leider fiel unser Blick auch von hier aus nur auf einen endlosen Kieselstrand. Ich überbrückte die Enttäuschung mit einem Was soll´s! Wir machen ja hier keine Badeferien. Ich nahm mir auf jeden Fall vor, die nächsten Tage vom Hotel aus in der Badehose die schmale Uferstraße zu queren, um ins Meer zu hopsen.

Dem Hotelier beichteten wir noch am selben Abend den eigentlichen Grund unseres Aufenthalts. Der geschäftstüchtige Mann hatte auch sogleich eine Adresse zur Hand, griff zum Telefonhörer und beorderte einen Immobilien-Makler für den nächsten Morgen zum Hotel.

Ein jugendlicher Mann, der sich als der erwartete Immobilienhändler ausgab, geleitete uns zu seinem Fiat. Er chauffierte uns ein Stück weit ins ligurische Hinterland von Ventimiglia und hielt in einer unansehnlichen kleinen Ortschaft. Das Anwesen, vor dem er stoppte, erwies sich als ebenso unansehnlich.

„Das ist das Gebäude, das zum Verkauf steht“, bedeutete er uns gestenreich und in seinem holprigen Englisch, als wir vor dem verlottert wirkenden Haus Stellung bezogen.

Müsste ich das Gegenteil aller unserer Wunschvorstellungen aufzählen, so fand ich sie hier versammelt. Sie gipfelten in einem beeindruckenden Müllberg in unserem „künftigen“ Vorgarten einschließlich einer entsorgten, verrosteten Waschmaschine. Das Kindergeplärr, das aus einem Seitenflügel der Behausung drang, deutete an, wer unsere Nachbarn sein würden. Das „Paradies“ hatte ich mir etwas anders vorgestellt. Wir meldeten Klärungsbedarf bei dem jungen Mann an. Vielleicht mochte dieser Mensch ein Verwandter oder ein guter Freund des Hoteliers sein, der die Rolle des Maklers nur als Nebenberuf betrieb und auf ein kleines Geschäft (die Provision!) mit den „naiven Deutschen“ hoffte.

Dieser als Pseudo-Makler Verdächtige klärte uns in seinem spärlichen Englisch auf über einige Besonderheiten italienischer Erbengemeinschaften. So werde häufig ein zu beerbendes Anwesen auf unüberschaubar viele Erbanwärter einer Großfamilie aufgeteilt. Dann habe man es bei einem Kauf dieser Immobilie nicht mit einem Besitzer allein zu tun. Sondern man sehe sich als Käufer leider gezwungen, mit jedem einzelnen Erben separat zu verhandeln und abzuschließen. So verhalte es sich auch hier mit dem von uns beanstandeten Vorgarten und mit dem Müll. Er gehöre einem der Mitbesitzer, der im Nachbarort lebe.

Dass wir bereits bei einem ersten Anlauf in Italien mit einem besonders abschreckenden Fall konfrontiert wurden, verstanden wir als Omen. Nach italienischen Maßstäben mag es normal abgelaufen sein. Doch das was wir in Augenschein genommen hatten, reichte uns völlig, um auf weiterführende Verhandlungen zu verzichten.

Unser Makler berichtete auf der Rückfahrt noch beiläufig, dass in vielen Dörfern Liguriens alte rusticos (Bauernhäuser) leer ständen. Dies sei eine Folge der gegenwärtigen Landflucht. Nachkommen bäuerlicher Betriebe scheuten häufig die mühseligen Landarbeiten. Diese Anwesen würden oft von Deutschen aufgekauft und von einheimischen Handwerkern wieder herrichten lassen.

Das erinnerte mich an ein Buch eines gewissen Peter Mayle. Ich hörte daher kaum noch hin, als er in Englisch und etwas Deutsch den Satz zusammenbastelte: „Ich werde mich gern einmal umhören, ob in einem der umliegenden Dörfer ein rustico zum Verkauf steht“.

Wir winkten dankend ab. Bei der Vorstellung, über Jahre hinweg in den Ferien eine Baustelle zu bewohnen, standen mir Mayles Erfahrungen zu abschreckend vor Augen. Nein, bitte keine Baustelle! Unser Kaufobjekt sollte sofort beziehbar sein.

Die eine italienische Erfahrung reichte, um unsere zaghaften Vorstellungen von einem Ferien-Paradies im Bella Italia ad acta zu legen. Es blieb bei diesem Versuch und in der restlichen Woche widmeten wir uns den üblichen Ferienvergnügungen. Wir badeten, unternahmen Ausflüge in das ligurische Hinterland, testeten Pizzerien und lernten das große Angebot der Markthalle von Ventimiglia kennen. Bis zum folgenden Sonntagmorgen, als wir das Zimmer räumen mussten. Italienische Feriengäste hatten es im Voraus ab dem 1. August reserviert.

Für uns stand nun endgültig fest, unsere Odyssee aufzugeben. Wir einigten uns darauf, noch am gleichen Tag über die Grenze zurück in das französische Menton zu fahren, auf dem Le Camping Saint-Michel oberhalb von Menton unser Zelt aufzuschlagen und den Rest unserer Ferien in diesem schönen Städtchen zu verbringen. Unsere Expedition „Ferien-Paradies“ hakten wir als erfolglos verlaufen ab.

Das gute Ende. „Voilà! C`est ca!“

Der Stadtplan von Menton, auf dem uns eine freundliche mademoiselle im Verkehrsamt die Lage des Campingplatzes angekreuzt hatte, wies den Weg über eine Straße, die kurvenreich nach oben führte. Ich solle mich an dem Richtungsschild Castellar orientieren. Von der Straße biege ein Fahrweg nach links ab. Wir würden das Hinweisschild und die Zelte auf den Terrassen im Hang nicht übersehen.

Das Camping-Gelände fanden wir dank ihrer Beschreibung mühelos. Ein schattiger Platz für unser Zelt unter dem Geäst von Olivenbäumen war ebenfalls schnell gewählt. Mit einigen wenigen geübten Handgriffen baute ich das kleine Zelt auf. Rupfte vertrockneten Gras aus und verteilte es wegen des harten Bodens unter der Bodenplane. Von unserem „Zimmer mit Meerblick“ aus blickten wir über die roten Dächer der Altstadt von Menton. Der laut surrende Gesang der Zikaden in den Olivenbäumen und der strahlende Sonnentag halfen uns über unseren Kummer hinweg, dass unsere Expedition gescheitert war.

Die Hinweisschild „Castellar“ am Straßenrand verriet, dass der Ort nach einem alten Kastell benannt wurde. Der Tag, sonnig und warm, lud dazu ein, ein wenig in der Gegend herumzugondeln. Warum nicht eine kleine Erkundungsfahrt in das Hinterland unternehmen? Ganz ohne Ziel. Dieses Mal ohne den Druck, ständig nach Immobilien-Objekten Ausschau zu halten.

Auf der Straße fädelte ich mich auf die rechte Seite nach oben ein. Eine kurvenreiche Fahrt ins Unbekannte begann mit Weitblicken in eine begrünte Berglandschaft. Dünner besiedelt jedenfalls als das Hinterland der Côte, das wir auf unserer Hinfahrt kennenlernten. Nur selten drängte sich ein Haus mit Vorgarten bis an den Straßenrand. Im Geäst leuchteten das Gelb und Orange von Zitronen und Apfelsinen.

Nach Norden hin blockierte ein mächtiger Bergbuckel unsere Sicht. Wir schauten auf unserer Landkarte nach und lasen die Bezeichnung Roc d`Orméa (Fels der Ulme oder auch Ulmenberg).

Als seine Höhe wurden 1132 Meter angegeben. Das erschien uns beeindruckend hoch in Anbetracht seiner Nähe zum Meer. Wir hatten einen würdigen Vertreter der voralpinen Küstenlandschaft Alpesmaritimes (Meer-Alpen) direkt vor der Nase. Wir ahnten nicht, dass der Orméa in Zukunft ein gewohnter Anblick für uns sein würde. Die Straße führte uns immer weiter hoch über die Serpentinen und die engen Nadelkurven ganz nahe heran an das Bergmassiv.

Etwa zehn Minuten hatten wir uns nach oben geschraubt, als an der Straße einige Häuser auf der rechten Hangseite auftauchten. Das Ortsschild bestätigte, wir waren in dem gesuchten Dorf angelangt. An einer Straßenverzweigung stoppten wir, parkten das Auto und gingen den Rest zu Fuß weiter aufwärts.

Heute empfängt am Ortseingang ein großes, dreiteiliges Schild den Besucher. Das obere Feld klärt den Neuankömmling auf mit Jumelée avec la Commune de CASTELLAR (en Piémont). Was wohl bedeutet, dass Castellar einen Partnerort in Piémont/Italien gleichen Namens besitzt. Das mittlere Feld heißt den Fremden willkommen mit CASTELLAR vous accueille! Darunter noch ein historischer Hinweis: Village Médiéval du XVe Siècle. Ancien Fief des Lascaris, der uns verrät, dass es sich hierbei um ein mittelalterliches Dorf des 15. Jh. und um ein altes Lehen der Familie Lascaris handelt. Den Text auf dem unteren Tableau ist in einer alten Sprache abgefasst: „CASTELA Countea de Nissa“, auf die ich später noch einige Male in Nizza (Nissa!) stoßen sollte.

Gegenüber auf der rechten Straßenseite gammelte ein scheunenartiges Holzgebäude vor sich hin. Es lud uns nicht gerade dazu ein, dem Ort einen Besuch abzustatten. Wir schritten entlang des Dorfhügels die leicht nach oben führende Straße hinauf. Auf der rechten Seite blickten aus einer geschlossenen Häuserfront die Fenster auf uns herab. An einer Stelle schoben sich die Mauerfragmente einer Befestigungsanlage dazwischen.

Links der Straße führte der Hang steil ab in die Tiefe einer weiten Talsenke. Dort duckten sich im Gelände einzelne, verstreut liegende Anwesen, umgeben von ihren Gartenanlagen, und auch das Blau-Grün eines Swimming-Pools schimmerte hier und dort. In der Ferne funkelte die riesige Fläche des Meeres. Auf 360 Höhen-Metern hatte uns die Serpentinenstraße bis hier oben hinaufgeführt.

Am Ende der Straße angelangt, vernahm ich als erstes das muntere Plätschern von Wasser. Ein sehr vertrautes Geräusch, das uns schon oft einen frischen Willkommenstrank verheißen hatte. Den Brunnen dazu entdeckte ich an der rechten Umfassungsmauer des kleinen Dorfplatzes, aus dem Rohr-Speier floss das Wasser in ein gefülltes Stein becken. Wir machten wie gewohnt „hohle Hände“, um das nasse Element darin aufzufangen und tranken es in gierigen Schlucken.

Erst danach ging mein Blick neugierig in die Runde.

An der Vorderseite des Hauses auf der Westseite des Platzes wehte die französische Trikolore. Bei einem mit der Nationalfahne beflaggtem Gebäude konnte es sich wie überall in Frankreich nur um die mairie, das Rathaus, handeln. Auf der Südseite versperrte eine kurze Häuserfront den Blick auf das Meer. Links abschließend, fast über dem Abhang thronend, ein Hotel des Alpes mit einer seitlichen, geräumigen Terrasse, von der man sicher das Meer in seiner endlosen Weite vor Augen hatte. Dieses Hotel brannte Jahre später ab, wobei böse Zungen behaupteten, der Pächter habe das unrentable Haus selber angezündet, um die Versicherungssumme zu kassieren. Seitdem steht bis auf den heutigen Tag das Gebäude leer, verfällt und wartet auf Wiederinstandsetzung und einen neuen Betreiber.

Das Haus ganz rechts in der Zeile sah nach einem bistro aus. Jedenfalls standen dort einige Tische und Stühle in seinem Außenbereich. An einem der Blechtische hockte jemand hinter dem Vorhang seiner aufgeschlagenen Zeitung.

Wir verspürten Kaffee-Durst und ließen uns an einem der Nebentische nieder. Aus dem Dämmer des Bistros löste sich ein älterer Mann und nahm unsere Bestellung entgegen: „Deux cafés au lait, s`il vous plaît“.

Wir lernten diesen Bistro-Menschen später als „Tonton“ kennen, den „Onkel“, wie ihn die Einheimischen riefen. Das Chez Tonton diente vielen als ihr Zweites Zuhause. Hier traf man sich nach der Arbeit zu einem bière oder pastis.

Und die Zeitung entpuppte sich beim zweiten Hinschauen als eine deutschsprachige. Dem Versteckten konnte nicht entgangen sein, dass die Neuankömmlinge deutsch sprachen und hinter seiner Zeitung musste er die Ohren gehörig gespitzt haben. Und wie das so abläuft, wenn wer im Ausland auf Landsleute trifft, es entwickelte sich rasch von Tisch zu Tisch ein kleiner Plausch über das Woher? und Wohin? Der Zeitungsleser, etwa in meinem Alter, forderte nach einigen beiläufigen Sätzen dazu auf, uns zu ihm zu setzen und das anfängliche Gesprächsgeplänkel wurde in kleiner Runde zu dritt fortgesetzt.

Er: Sie lebten schon seit einigen Jahren hier in Castellar. Seine Frau arbeite in der Hotelbranche und sei deshalb auch heute am Sonntag bei der Arbeit. Ich (dachte): Deshalb also hockt er alleine hier. Er: Sie kämen aus Bremen. Ich (dachte): Also norddeutsche Sturköppe!

Wir berichteten auch einiges über uns. Schilderten ihm unsere erfolglos verlaufene Expedition. Von der wochenlangen, vergeblichen Suche nach einer finanzierbaren Ferien-Bleibe. Über unsere Vorstellungen und Erwartungen, die sich nicht erfüllt und uns enttäuscht hätten. Mokierten uns über die horrenden Immobilien-Preise hier an der Côte. Und so weiter.

Der Bremer hörte uns aufmerksam und merklich interessiert zu. Nachdem wir unseren Frust abgelassen hatten, ergriff er erneut das Wort mit einer überraschenden Mitteilung: Sein Nachbarhaus stehe zum Verkauf. Ein gewisser Monsieur Tartakovsky – ein Russe – habe ihm die Vollmacht erteilt, das Haus an einen Interessenten zu verkaufen. Die Begründung für diese Vereinbarung schob er nach. Der mit ihm befreundete Hausverkäufer bot ihm an, einen neuen Nachbarn nach eigenen Vorstellungen auszusuchen.

„Und das“, so der Bremer, „sollen am liebsten Deutsche sein. Der sprachlichen Verständigung wegen“.

Im Gegensatz zu seiner Frau war er des Französischen nicht mächtig. Ich erinnere mich nur an die eine Phrase, die er mühelos zuwege brachte: Une bière, s`il vous plaît!

Auch wenn wir zunächst skeptisch-ablehnend reagierten, wir hatten das Kapitel Haus-Suche ja bereits abgeschlossen, waren wir neugierig geworden, und wir willigten ein, uns das Objekt zumindest einmal aus der Nähe anzuschauen.

Wenig später führte er uns über die Hauptstraße, eher eine Gasse, die gerade einmal die Breite aufwies, dass ein PKW sich darauf fortbewegen konnte ohne seitlich anzustoßen. Auf der hier und da Stühle auf die Straße geschoben standen und Kinder mit einem Ball bolzten. Diese Gasse schmückte sich wie viele lokale Plätze und Straßen Frankreichs mit der glorreichen Bezeichnung Rue de la République.

Das obere Nordende stößt auf den Vorplatz einer kleinen Kirche. Architektur und Zustand der für ein Dorf ungewöhnlich hohen, mehrstöckigen Gebäude an der Südseite des Platzes ließ mich auf ein hohes Alter schließen. Es wird früher sicher zu anderen Zwecken gedient haben als zu Wohnungen einfacher Dorfleute. Unsere Zufalls-Bekanntschaft bemerkte meine Neugier und gab den Hinweis, dass wir uns hier in dem Distrikt eines Palastes befinden. Eher vor dessen Überresten, dachte ich beim Anblick der alten Gemäuer und Gebäudekomplexe, so wie einem kleinen Turm, durch den wir hindurch schritten. Dreizehn Jahre später hätte uns ein Schild mit der Aufschrift Palais Lascaris - Espace culturel aufgeklärt.

Es baumelt heute im Torbogen des Turms.

Wir überquerten einen kleinen, quadratischen Innenplatz, der reichlich unaufgeräumt und verkommen wirkte mit seinen zahlreichen Hinterlassenschaften von Vierbeinern.

Es ging nochmals unter einer alten Gewölbebogen-Decke hindurch und dann standen wir auf einer sehr schmalen Gasse. An dem Haus auf der linken Seite firmierte der Architekt mit seinem Namen. Der Bremer entschuldigte sich mit einem „Moment bitte!“ und verschwand von einem kleinen Vorhof aus in das Innere. Gleich darauf kam er ein Schlüsselbund schwenkend zurück. Einige Schritte nach rechts und wir standen vor einem vergitterten Eingangstor. Unser Vermittler schloss es auf und winkte uns hinein: „Da wären wir!“

Blick vom Gartenhaus zur Esstisch-Ecke

Ich muss gestehen, ich war damals überrascht und sehr beeindruckt, als wir den Terrassenbereich des Anwesens zum ersten Male betraten. Der Roc d`Orméa überragte uns im Norden jetzt zum Greifen nahe als eine Art Hausberg. Seine Hänge verschwanden soeben in weißen Wolkenfetzen. Ein Anblick, der sich mir über ein viertel Jahrhundert lang darbieten und sich fest in mein visuelles Gedächtnis einprägen und jederzeit abrufbar sein würde. Selbst das Meer entdeckte ich durch das Gezweig eines Olivenbaums schimmern.

Eine halb-hohe Naturstein-Mauer und ein niedriger Maschenzaun, von den Ranken einer Geißblatthecke umschlungen, trennten das Anwesen nach Norden vom Grundstück des Bremer Paars ab. Die Straße, auf der wir uns vor knapp einer Stunde zum Platz der mairie hoch bewegten, führte etwa fünf Meter unterhalb des Hauses vorbei. Nur den Blick nach Westen verstellte eine dreistöckige Häuserfront.

Die Gasse, von der aus wir das Haus betraten, endete in Südrichtung an dem Gebäude, in dessen Untergeschoss ein Restaurant Lascaris sich etabliert hatte. Wir ließen uns viel Zeit beim Anschauen des Anwesens.

Fensterdurchblick auf den Roc d`Orméa (1131 m)

„Unser“ Haus duckte sich vor der hohen Kulisse der Häuserfront im Westen. Das einstöckige Gebäude mit nur leicht abgeschrägtem Dach nahm sich klein aus vor den hohen Wänden im Hintergrund.

Wie bei vielen alten Gebäuden der Gebirgswelten wurde es mit Natursteinen hochgezogen, die der Verputz verdeckte, angestrichen in der Farbe Ocker. Die Fenster alle mit neuen, stabilen Holz-Läden ausgestattet und von innen gut verschließbar, sie sollten wohl vor Einbruchsdiebstählen schützen. Wo sie wegblieben, schützten Eisengitter vor unerwünschten Eindringlingen.

Der Parterrebereich bestand aus dem Wohnraum mit einem gemauerten Kaminofen. Hinter einem Rundbogen schloss sich die offene Wohnküche an mit einem Durchgang zur Vorratskammer.

An der nördlichen Außenwand führte eine steinerne Treppe zum oberen Stockwerk hoch zu zwei Schlafräumen und einem Bad. Der Architekt versicherte uns bei unserem Rundgang, dass der Noch-Besitzer, Monsieur Tartakovsky, das Haus, die Terrassen und den Gartenbereich von heimischen Handwerkern gerade erst hatte renovieren lassen. Das erspart uns die leidvollen Erfahrungen eines Peter Mayle, frohlockte ich innerlich.

Ich richtete zuletzt mein Augenmerk auf die Möglichkeiten, die uns außerhalb des Hauses geboten würden. Ihm fällt in den südlichen Ländern eine wichtige soziale Rolle zu. Südländer verbringen einen Großteil des Jahres ihre Tagesfreizeit im Freien. An einem wetterfesten Tisch auf der Terrasse wird gegessen, werden Gäste bewirtet, und man palavert gerne bis in den späten Abend hinein. Wie verhielt es sich mit „unserem“ Außenbereich?

Durchblick von der Küche zum Kaminzimmer

Wir hatten zu Beginn unserer Besichtigung das Anwesen von der Gasse aus über die mit Natursteinen ausgelegte Terrasse betreten, die gestuft in Richtung Osten verläuft. Terrasse und Garten wurden durch eine Sitz-hohe Steinmauer in zwei Hälften aufgeteilt. Wobei das Gärtchen – es Garten zu nennen, würde maßlos übertrieben sein – erhöht lag. Es stieß nach Westen auf eine kleine, quadratisch angelegte Terrasse. Diese wiederum diente als Vorplatz für ein Steinhäuschen, das gerade einmal eine fünf Quadratmeter große Grundfläche aufwies. Der Bremer bezeichnete es übertreibend als „Studio“, wobei er in die Terminologie der Immobilien-Haie verfiel. Seine Rückwand lehnte sich an die Umfassungsmauer, die das Anwesen umschloss und durch die auch das Eingangstor führte.

Im „Studio“ entdeckten wir ein Kinderbett. Leicht zu erraten, dass der kleine Raum dem Enkel der Familie Tartakovsky als Schlafraum und Kinderzimmer gedient hatte. In dem Raum würde sich gut ein Gästezimmer einrichten lassen! Ich begann bereits mit der Planungsphase.

Von der unteren Terrasse aus stieg ich eine Treppe aus lose aufgeschichteten Bruchsteinen zu einer kleinen Aussichts-Plattform hoch, die höchstens für einen kleinen Beistelltisch und zwei Stühle reichte, ein Platz dem die Bezeichnung Bella vista gebührte. Der Blick ging nach Norden auf das gewaltige Massiv des Hausbergs und nach Südosten, wo tief unten das Mittelmeer durch die Zweige schimmerte. Der ideale Platz für den Nachmittags-Tee oder mein geliebtes Tavli-Spiel! Leider versperrt heute wucherndes Ast- und Blätterwerk der Bäume eines kommunalen Grundstücks unterhalb des Hauses die Sicht auf das Meer.

Die „kleine“ Terrasse vor dem Gartenhaus

Auch an einen natürlichen Sonnenschutz hatte Monsieur Tartakovsky vorsorglich gedacht. Einen Teil der Terrasse überdeckte eine Pergola, um die sich Weinranken wanden. Die schweren Trauben des Rebstocks warteten schon darauf, geerntet zu werden. Damals. Denn auch sie wurden inzwischen Opfer eines natürlichen Werdegangs von Leben und Sterben und mussten einer neuen Bedachung aus Kiwi-Ranken weichen, die zwar eine rasante Blühsaison im Frühjahr hinlegen, aber nach wie vor die Früchte verweigern.

Unser Hausvermittler klärte uns am Ende des Rundgangs auf über die Hintergründe des Verkaufs. Der russische Filmregisseur Tartakovsky besitze in Paris Arbeits- und Wohnräume. Das Ehepaar verbrachte in der Vergangenheit seine Ferien in Gemeinschaft mit der jungen Familie ihres Sohnes, dessen Frau und mit ihrem Kind in Castellar. Dann passierte eine schreckliche Tragödie: Der Sohn verunglückte in Russland tödlich bei einem Hubschrauber-Absturz.

Die Familienangehörigen brachten es seit dem tragischen Geschehen nicht mehr übers Herz, an den Platz zurückzukehren, an dem sie glückliche Zeiten miteinander verlebt hatten. Das erklärte uns, weshalb wir das Haus in einem bewohnbaren Zustand vorfanden, so als wäre es gerade erst verlassen worden. Die Betten bezogen. Die Küche bestückt mit Geschirr, Bestecken, Töpfen und Pfannen. Auf der Anrichte gammelten noch einige sich selbst überlassene Lebensmittel vor sich hin.

Die verheißungsvoll-überschwänglichen Stimmung meiner Beschreibung wird man zu Recht dahingehend deuten, dass sich in unseren Köpfen längst eine Kehrtwende vollzogen hatte. In den Gedankenblasen in unseren Köpfen stand nach unserer Besichtigung zu lesen: Voilà! C`est ca!

Einen kleinen Dämpfer setzte es dann dennoch, als wir die Preisvorstellung vernahmen: 270.000 DM wollten die Tartakovskys für das Haus haben. Damals entsprach der Gesamt-Betrag etwa 135.000 €. Dazu addierten sich unter anderem noch die Notar-Kosten und die Anschaffungen für die Einrichtung. Der Preis war sicher angemessen, nur unser Preis-Limit lag deutlich darunter.

Der Architekt hatte unser zögerliches Verhalten bemerkt. Doch er war auf Einwände vorbereitet, weshalb er noch eine Karte ausspielte, die er bisher im Ärmel versteckt gehalten hatte. „Wieviel Zeit haben Sie noch bis zur Heimreise?“ – „Etwas mehr als eine Woche!“ – „Gut so. Dann mach ich Ihnen ein Angebot. Sie holen noch heute Ihr Gepäck und ziehen für eine Woche in das Haus. Danach können Sie sich entscheiden.“

Zugegeben, das war ein sehr großzügiges Angebot, das wir schwerlich ausschlagen konnten. Auch wenn wir uns anders entscheiden würden, anstelle eine Woche lang auf hartem Campingplatz-Boden zu liegen, würden wir in richtigen Betten schlafen und in einem voll eingerichteten Haus leben.

Auch lockte die Aussicht, dabei „unser Objekt“ mit allem Drum und Dran kennenzulernen und zu erfahren. Wir hätten noch genügend Zeit, unsere Finanzierungsmöglichkeiten zu überdenken.