Heartbeats - Mein Song für dich - Katie Cotugno - E-Book

Heartbeats - Mein Song für dich E-Book

Katie Cotugno

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Beschreibung

Seit ihrer Kindheit konnte sich Dana nur auf einen Menschen verlassen - ihre beste Freundin Olivia. Daher ist es für Dana Ehrensache, Olivia zu einem Casting für eine neue Girls-Band zu begleiten. Ein schief gesungenes „Happy Birthday“ später ist das Unmögliche geschehen: Beide Mädchen werden gecastet! Sie ziehen in eine WG mit anderen Kandidatinnen und müssen sich in anstrengenden Trainings- und Auswahlprozessen durchsetzen. Tür an Tür wohnen die sexy Mitglieder einer Boys-Band, die schon auf dem Sprung zum großen Ruhm stehen. Als Dana dem charmanten Alex begegnet, ist es um sie geschehen. Sie sind in einem Raum, und die Luft knistert. Aber auch Olivia ist schon seit Längerem über beide Ohren in Alex verliebt. Und dann platzt die Bombe: Nur ein Mädchen wird groß als Star rauskommen. Wird Dana um ihrer besten Freundin willen auf ihre Träume und ihre Liebe verzichten? Und wie soll sie noch ihrem Herzen folgen, wenn ihr Herz entzweigerissen ist?

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DAS BUCH

Seit ihrer Kindheit konnte sich Dana nur auf einen Menschen verlassen – ihre beste Freundin Olivia. Daher ist es für Dana Ehrensache, Olivia zu einem Casting für eine neue Girl-Band zu begleiten. Ein schief gesungenes »Happy Birthday« später ist das Unmögliche geschehen: Beide Mädchen werden gecastet! Sie ziehen in eine WG mit anderen Kandidatinnen und müssen sich in anstrengenden Trainings- und Auswahlprozessen durchsetzen. Tür an Tür wohnen die sexy Mitglieder einer Boy-Band, die schon auf dem Sprung zum großen Ruhm stehen. Als Dana dem charmanten Alex begegnet, ist es um sie geschehen. Sie sind in einem Raum, und die Luft knistert. Aber auch Olivia ist schon seit Längerem über beide Ohren in Alex verliebt. Und dann platzt die Bombe: Nur ein Mädchen wird groß als Star rauskommen. Wird Dana um ihrer besten Freundin willen auf ihre Träume und ihre Liebe verzichten? Und wie soll sie noch ihrem Herzen folgen, wenn ihr Herz entzweigerissen ist?

DIE AUTORIN

Katie Cotugno landete bereits auf der Shortlist für den begehrten Pushcart Prize, bevor sie mit So geht Liebe ihr erstes Jugendbuch veröffentlichte. Mit Heartbeats – Mein Song für dich hat die New York Times-Bestsellerautorin einen weiteren berührenden Roman über die Irrungen und Wirrungen der ersten großen Liebe, der Freundschaft und des Erwachsenwerdens geschrieben. Katie Cotugno, die von sich selbst sagt, sie sei eine hoffnungslose Romantikerin, lebt mit ihrem Mann in Boston.

ROMAN

AUS DEM AMERIKANISCHEN

VON CORNELIA RÖSER

Die Originalausgabe erscheint unter dem Titel Fireworks bei Balzer + Bray, HarperCollins Publishers, New York

Der Inhalt dieses E-Books ist urheberrechtlich geschützt und enthält technische Sicherungsmaßnahmen gegen unbefugte Nutzung. Die Entfernung dieser Sicherung sowie die Nutzung durch unbefugte Verarbeitung, Vervielfältigung, Verbreitung oder öffentliche Zugänglichmachung, insbesondere in elektronischer Form, ist untersagt und kann straf- und zivilrechtliche Sanktionen nach sich ziehen.

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Copyright © 2017 by Alloy Entertainment and Katie Cotugno

Copyright © 2017 der deutschsprachigen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag in der Verlagsgruppe Random House GmbH, Neumarkter Str. 28, 81673 München

Alle Rechte sind vorbehalten.

Redaktion: Lisa Scheiber

Umschlaggestaltung: Das Illustrat, München, unter Verwendung eines Motivs von © Annette Shaff/Shutterstock

Satz: Leingärtner, Nabburg

e-ISBN: 978-3-641-20967-4V001

Für J. Taylor Hanson, der mir viel über Liebe

und Musik beigebracht hat, und für R. Sierra Rooney,

die wahrscheinlich nicht geglaubt hat,

dass ich das durchziehen würde.

EINS

✶  EINS  ✶

Am Abend nach unserem Highschool-Abschluss schmiss Jonah Royce hinter dem Haus seines Stiefvaters eine Riesenparty, und deshalb waren Olivia und ich an dem Nachmittag, als alles anders wurde, auch so unglaublich verkatert.

»Bring mich doch einfach um«, sagte Olivia. Sie lehnte sich in ihrem uralten Sitzsack so weit zurück, dass ihre langen, dunklen Haare bis auf den Teppichboden hingen. »Ehrlich, erschlag mich mit dem Telefonbuch, ann hab ich’s hinter mir.«

Ich grinste. »Den Gefallen würde ich dir gern tun, wenn ich mich dafür nicht bewegen müsste.« Wir hatten es uns in ihrem Zimmer gemütlich gemacht, tranken literweise Wasser und guckten Leb dein Leben! mit Junia Jerricksen, eine Low-Budget Talkshow, auf die wir schon standen, seit wir zwölf waren. Die Sendung hatte eine skurrile Titelmusik, die wir irrsinnig komisch fanden – eine Mischung aus Achtzigerjahre-Glamrock und Cha-Cha-Cha. In der neunten Klasse hatten wir uns eine Choreografie dazu ausgedacht, die wir immer noch manchmal tanzten, wenn uns besonders albern zumute war. Gestern Abend in Olivias Vorgarten zum Beispiel: Wir hatten nach Alkohol gerochen und so sehr lachen müssen, dass wir einfach ins Gras gefallen waren; erst heute Morgen hatten wir die leuchtend grünen Flecken an den Knien entdeckt.

Beim Gedanken an den vielen Wein, den wir getrunken hatten, drehte sich mir der Magen um, obwohl es schon vier Uhr nachmittags war, wir uns den ganzen Tag noch nicht von der Stelle gerührt hatten und immer noch unsere Pyjamas trugen. Es war eine Megaparty gewesen, die erste eines langen Sommers, der noch viele weitere versprach – alle in unserem Abschlussjahrgang wollten sich so oft wie nur möglich von den anderen verabschieden. Und das, obwohl keiner von uns im Herbst aus der Stadt wegziehen würde.

Na ja, fast keiner. Ich warf einen Seitenblick auf Olivia.

»Wollt ihr zwei euch den ganzen Tag in eurer Höhle verkriechen?«, rief Mrs. Maxwell von der kleinen Treppe herab, die zur Küche führte. Olivia wohnte in einem Split-Level-Haus mit mehreren Ebenen, sodass ständig jemand herauf- oder herunterlief. Die Kellerwände waren mit Holzimitat verkleidet, über das sich Mrs. Maxwell unaufhörlich beklagte, das ich aber immer irgendwie mochte.

»Genau das haben wir vor«, rief Olivia zurück. »Draußen ist es viel zu heiß.«

»Da hast du allerdings recht.« Mrs. Maxwell hasste die Hitze in Georgia. Sie war im Nordwesten aufgewachsen, und ihr Akzent erinnerte immer noch daran: harte Konsonanten und eine allgegenwärtige Spur Ungeduld. An Olivia gewandt fuhr sie fort: »Hol wenigstens deine Wäsche aus dem Esszimmer, bevor dein Vater nach Hause kommt. Ich habe sie für dich gefaltet, weil ich ein netter Mensch bin. Und du musst mir noch sagen, ob du jetzt zu dieser Orlando-Sache fährst.«

Mit einiger Mühe stemmte ich den Kopf vom Sitzsack hoch. »Was für eine Orlando-Sache?«

»Oh!«, sagte Olivia. »Das wollte ich dir gestern Abend erzählen, aber dann war ich so …«, sie warf einen Blick zu ihrer Mom, die misstrauisch zu uns heruntersah, »… beschäftigt, dass ich es vergessen habe. Warte mal kurz.« Sie hievte sich aus ihrem Sitzsack hoch und ging die Treppe hinauf. Das war mehr Bewegung, als wir den ganzen Tag über gehabt hatten.

Mrs. Maxwell wirkte nicht überzeugt, hakte aber nicht weiter nach, sondern lehnte sich mit verschränkten Armen an die vertäfelte Wand. Sie trug eine ihrer gemusterten ärmellosen Blusen, die sie in vielen verschiedenen Varianten besaß – heute mit leuchtend rosa Blüten. Olivia machte immer Witze darüber, dass ihre Mutter diese Blusen bestimmt im Dutzend bei Moms »R« Us kaufte.

»Bleibst du zum Abendessen?«, fragte Mrs. Maxwell mich jetzt.

»Ja, Ma’am«, sagte ich. »Danke.«

Mrs. Maxwell nickte. So lief es jeden Abend, oder zumindest fast jeden. Ich war so oft bei Olivia, dass ihre Mom es irgendwann aufgegeben hatte, den Schein zu wahren, und für mich ein zweites Bett in Olivias Zimmer gestellt hatte. Trotzdem war ich ihr dankbar, dass sie wegen des Abendessens jedes Mal nachfragte und damit unsere allabendliche Scharade, meine Mutter könnte tatsächlich etwas gekocht haben, aufrechterhielt.

Gleich darauf kam Olivia zurück. Sie hielt eine Zeitung in der Hand und ließ sie auf den Teppich segeln, während ihre Mutter in die Küche zurückging. »Voilà!« Sie schwenkte den Arm in einer dramatischen Geste wie in einer dieser idiotischen Talentshows. »Da hast du die Orlando-Sache.«

Ich beugte mich über den Rand des Sitzsacks und stützte mich mit einer Handfläche auf dem Teppich ab, um die Zeitungsseite zu überfliegen: Guy Monroe, der Super-Produzent hinter dem Super-Star Tulsa MacCreadie, suchte junge Talente für eine neue Girlgroup. Er hielt Auditions in New York, Kalifornien und Dallas ab – und außerdem eine in Florida, vier Stunden südlich von unserem Wohnort. Als ich wieder zu Olivia sah, zog ich die Nase kraus. »Du willst Popstar werden?«, fragte ich.

»Ich gehe zum Casting.« Sie äffte meine skeptische Miene nach und überzeichnete sie zu einer Grimasse, die Art Mimik, die noch aus der letzten Theaterreihe zu erkennen gewesen wäre. »Also, vielleicht. Warum? Findest du die Idee blöd?«

»Nein«, sagte ich sofort. »Ich meine, doch, klar, ein bisschen schon. Aber du solltest trotzdem hingehen.« Seit ich Olivia kannte, stand sie auf der Bühne – Gesangsunterricht, Tanzvorführungen und Regionaltheaterauftritte im Umkreis von Atlanta. Praktisch unsere ganze Kindheit lang war sie für die Unterhaltung zuständig gewesen, sei es bei Autofahrten oder an langen Nachmittagen, die wir in der Hängematte in ihrem Garten verbrachten: Olivia, sing noch mal »Cherish«. Sing diesen Song von Carol King. Sing »Like a Prayer«. »Eigentlich finde ich die Idee cool.«

Olivia warf noch einen Blick auf die Zeitung, bevor sie sich an mich wandte. »Wirklich?« Mit einem Mal klang sie verunsichert.

»Absolut«, versicherte ich ihr, bereit, sie anzufeuern. Sie trug das CLASS-OF-’97-Shirt, das jeder von uns in der Abschlusswoche bekommen hatte. Der weite Halsausschnitt zeigte ihr Schlüsselbein, das sich deutlich unter der Haut abzeichnete. Fast schon zu deutlich, dachte ich besorgt. Ich schob den Gedanken beiseite und sah wieder zum Fernseher. Gerade ermutigte Junia eine Frau zu einem sexy Umstyling. Damit sollte sie es ihrem Mann heimzahlen, der sie mit ihrer eigenen Stiefschwester betrogen hatte, und sich selbst wieder lieben lernen. »Also, warum nicht?«

»Genau.« Nachdenklich lehnte sich Olivia auf ihrem Sitzsack zurück. »Hast du am Wochenende schon was vor?«, fragte sie mich, und dann, ohne eine Antwort abzuwarten: »Kommst du mit?«

»Was? Nach Orlando? Ich kann nicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Am Wochenende muss ich Bewerbungsformulare besorgen.« Bis vor zwei Tagen hatte ich im Taquitos gekellnert, einem pseudo-mexikanischen Restaurant, in dem ich am Ende jeder Schicht nach roten Zwiebeln und Frittierfett gestunken hatte. Aber im Frühling hatten vier Gäste eine Lebensmittelvergiftung von den Chimichangas gekriegt, und Anfang der Woche hatte meine Chefin Virginia bekannt gegeben, dass wir jetzt endgültig schlossen.

»Mach das doch nächste Woche«, sagte Olivia, die nicht auf einen Gehaltsscheck angewiesen war, um Busfahrten oder Tampons bezahlen zu können. Sie strahlte voller Optimismus. »Komm schon, das wird lustig. Wir übernachten im Hotel und gehen im Pool schwimmen. Und vielleicht ist ja Tulsa da und verliebt sich Hals über Kopf in dich, und dann brauchst du überhaupt keinen Job mehr.«

Ich prustete. »Klingt nach einem sehr soliden Plan. Darauf kann ich wirklich bauen.«

»Nein, ehrlich«, beschwatzte sie mich. »Na ja, nicht die Sache mit Tulsa. Obwohl – vielleicht ja doch! Aber vor allem meine ich, dass ich deine Dienste als beste Freundin brauche.«

Ich zögerte. Es klang verlockend, allein schon wegen der Chance, noch ein bisschen Zeit mit ihr zu verbringen. Mitte August würde Olivia an die Georgia Southern University gehen; ich hingegen würde hierbleiben, bei meiner Mutter wohnen und jeden Job annehmen, den ich kriegen konnte. Das war okay – es war ja nicht so, dass ich mir je Hoffnungen aufs College gemacht hätte. Olivia und ich würden weiterhin befreundet bleiben, das wusste ich. Aber es würde nicht mehr dasselbe sein. »Ich würde wirklich gern mitkommen, aber es geht gerade wirklich nicht«, sagte ich schließlich. »In ein paar Wochen, wenn ich einen neuen Job habe, machen wir einen Roadtrip, okay?«

Olivia seufzte theatralisch. »Du bist so langweilig«, sagte sie, aber es lag keine Schärfe darin. Sie wusste, warum ich arbeiten musste.

»Allerdings«, stimmte ich ihr zu und lehnte mich im Sitzsack zurück, so wie sie es vorhin getan hatte. Meine langen Haare fielen bis auf den Boden. Gestern vor der Party hatte Olivia sie mit dem Kreppeisen bearbeitet, aber jetzt waren sie völlig zerzaust. Eigentlich hätte ich vor dem Abendessen noch duschen sollen, aber es war gerade zu gemütlich, um nach oben zu gehen: Im Souterrain roch es nach der Klimaanlage und darunter ein bisschen modrig, und in der Ecke neben dem Wäschezimmer summte der Luftentfeuchter. Die Regale waren vollgestopft mit Spielzeug und Brettspielen, die wir seit Jahren nicht mehr angerührt hatten – Vier Gewinnt, eine Kiste Barbies und ein Fisher-Price-Puppenhaus. Damit hatten wir noch gespielt, als wir schon längst zu alt dafür gewesen waren, und hatten uns gegenseitig hoch und heilig geschworen, niemandem davon zu erzählen. Hier unten war es friedlich. Ich fühlte mich sicher.

»In ein paar Wochen«, versicherte ich ihr noch einmal, während Junia am Ende ihrer Sendung angekommen war, die Zuschauer anflehte, ihr Leben zu leben, und alle in tosenden Applaus ausbrachen. Mein Kater war bis auf ein schwaches Pulsieren hinter den Augäpfeln abgeklungen. »Es sei denn, du bist dann schon viel zu berühmt für so was.«

»Na klar«, sagte Olivia und reckte theatralisch das Kinn in die Luft. Wir mussten beide lachen.

»Soll ich dich nach Hause fahren?«, fragte Olivia mich nach dem Abendessen. Bei Koteletts und Möhren hatten wir darüber diskutiert, was sich besser als Casting-Titel eignete: Whitney Houston oder Madonna. Als wir die Spülmaschine einräumten, tendierte sie zu Céline Dion.

Ich schüttelte den Kopf. »Ich kann zu Fuß gehen.« Es war wirklich nicht so weit von Olivia zu mir, fünf Blocks geradeaus und dann noch mal vier quer. Seit dem Kindergarten waren wir mit dem gleichen Bus gefahren, so hatten wir uns damals angefreundet. Trotzdem würde niemand auf die Idee kommen, es könnte sich um dieselbe Wohngegend handeln. Die Häuser in Olivias Straße waren klein, aber makellos gepflegt. Stattliche Blumenbeete säumten die ordentlich gepflasterten Gehwege, und unter den Carports standen frisch gewaschene Minivans.

In meiner Straße sah es … nicht so aus.

Ich schloss die Seitentür auf. Im flackernd blauen Licht des Fernsehers saß Mom auf dem Sofa und hatte die nackten Füße auf den Couchtisch gelegt. Die Vorhänge waren fest zugezogen. »Ich bin wieder da«, rief ich, bekam aber keine Antwort. Ich nahm an, dass sie schlief. Weil ein fauliger Gestank aus dem Küchenmülleimer kam, schnürte ich den Beutel zu und brachte ihn nach draußen; leere Flaschen klirrten darin. Elvis, der schmutzig weiße Terrier meiner Mutter, strich mir schnüffelnd um die Beine.

Ich spannte gerade einen frischen Müllbeutel in den Eimer, als Mom in die Küche kam, nach Luft schnappte und an der Arbeitsplatte Halt suchen musste. »Himmelherrgott, Dana. Hast du mich erschreckt.«

»Tut mir leid«, sagte ich. Sie trug eins von meinen Trägershirts und eine abgeschnittene Jeans, die Haare hatte sie oben auf dem Kopf zu einem unordentlichen Zopf gebunden. Außerdem war sie betrunken. »Ich habe Hi gesagt, als ich reingekommen bin.«

Darauf ging meine Mutter nicht ein. »Hast du ein bisschen Bargeld da, Baby?«, fragte sie mit verschleiertem Blick. »Ich wollte schnell loslaufen und was zum Abendessen holen.«

Ich schüttelte den Kopf. »Tut mir leid«, sagte ich wieder, obwohl ich mir dabei gemein vorkam. Allerdings hatte ich ernsthafte Zweifel, ob sie von dem Geld wirklich etwas zu essen kaufen wollte. Außerdem hatte ich keinen Job mehr, rief ich mir in Erinnerung. Ich konnte sie nicht ständig mitfinanzieren. »Ich habe schon gegessen.«

Daraufhin verdrehte Mom die Augen, weil sie wusste, dass ich bei Olivia gewesen war. Sie hatte die Maxwells nie gemocht. In ihren Augen waren das Snobs. »Tja«, sagte sie. »Schön für dich.«

»Tut mir leid«, sagte ich zum dritten Mal in einer halben Minute. Und dann, obwohl es gerade erst dunkel wurde und vor dem Küchenfenster noch die endlose Frühsommerdämmerung herrschte: »Ich geh ins Bett.«

Ich machte die Tür hinter mir zu, setzte mich auf die durchhängende Matratze und dachte daran, dass Olivia im Herbst wegziehen würde. Dann dachte ich an meinen letzten Gehaltsscheck von Taquitos – fünfundsechzig Dollar und eine Handvoll Kleingeld, alles, was ich auf dieser Welt besaß –, und vor meinem geistigen Auge erstreckte sich meine Zukunft wie eine weite Fläche, auf der es nichts anderes gab als das. Schließlich stand ich auf, holte das Telefon aus dem Flur und zog das Kabel bis in mein Zimmer.

»Hey«, sagte ich, als Olivia sich meldete. »Willst du immer noch, dass ich mitkomme?«

ZWEI

✶  ZWEI  ✶

Am Nachmittag von Olivias Audition in Orlando wurde Florida von einem Tropensturm heimgesucht. Donner krachte, und Blitze schossen im Zickzack über den Horizont, als würde der Himmel aufreißen und die Hölle losbrechen.

»Ich hätte gedacht, es wäre schicker«, sagte ich, als ich durch den sintflutartigen Regen zu dem riesigen, schmucklosen Gebäude hinüberblinzelte. Die Scheibenwischer an Olivias schmutzigem, kleinem Toyota schafften es kaum, das Wasser von der Windschutzscheibe zu schaufeln. Guy Monroes Studios lagen am Rande eines Industriegebiets an der Interstate 4 und erinnerten von außen eher an einen Flugzeughangar als an eine Konzerthalle. »Hättest du es dir nicht auch eindrucksvoller vorgestellt?«

»Ehrlich gesagt habe ich versucht, es mir gar nicht vorzustellen«, gestand Olivia, die das Lenkrad mit beiden Händen umklammert hielt, als wollte sie es aus der Verankerung reißen. Den Motor hatte sie längst abgestellt.

»Oh-oh«, sagte ich. Damit hatte ich gerechnet – für jemanden, der schon so lange auf der Bühne stand und es so ungeheuer liebte, bekam Olivia wahnsinniges Lampenfieber. Vor ihrem Solo im Frühlings-Chorkonzert vor ein paar Monaten war sie förmlich die Wände hochgegangen, und ich hatte erst hinter die Bühne rennen und ihr drohen müssen, das ganze Stück mit Donald-Duck-Stimme zu singen, bevor sie sich zusammengerissen und eine Glanzvorstellung hingelegt hatte. »Bist du aufgeregt?«

»Kann man wohl sagen.« Statt mich anzusehen, starrte sie auf ihre weiß hervortretenden Knöchel. »Vielleicht fahren wir einfach wieder nach Hause«, schlug sie in künstlich fröhlichem Ton vor. »Keiner zwingt mich, das hier zu machen. Im September gehe ich aufs College. Eine gute Ausbildung ist sehr wichtig.«

Ich schnaubte. »Eine Ausbildung ist wichtig«, stimmte ich ihr zu, obwohl meine eigene mit diesem Sommer ein für alle Mal zu Ende war – worüber ich froh war, wie ich mir ins Gedächtnis rufen musste. »Aber ich werde nicht zulassen, dass du einen Rückzieher machst. Tut mir leid, aber wir gehen jetzt da rein.«

»Warum?«, wimmerte Olivia.

»Dafür gibt es eine Menge Gründe«, erklärte ich ihr. »Erstens muss ich pinkeln, und zweitens will ich wissen, ob Tulsa da drin die hübschen jungen Talente abcheckt. Und, ach ja, drittens wegen deiner Audition.«

»Seit wann stehst du denn auf Tulsa?«, fragte Olivia. Den letzten Satz ignorierte sie, aber wenigstens war sie abgelenkt und sah mich an. Ein gutes Zeichen.

»Tu ich gar nicht«, wehrte ich ab. »Ich habe nur noch nie einen berühmten Menschen aus der Nähe gesehen.«

»Hot Rod Davidson«, wandte Olivia ein, und ich musste laut loslachen. Hot Rod Davidson besaß ein halbes Dutzend Autohäuser im Umkreis von Jessell und schaltete im Regionalfernsehen billig gemachte Werbespots, in denen man sein Toupet fast im Wind flattern sah. Im Frühjahr war er im Taquitos gewesen, hatte kein Trinkgeld gegeben und dann zu mir gesagt, ich sei so ein hübsches Mädchen, ob ich nicht mit ihm zusammen »verschwinden« wolle.

»Hot Rod Davidson ist definitiv keine Berühmtheit.« Ich schüttelte den Kopf. »Und jetzt komm«, sagte ich und nahm ihr Make-up-Täschchen und ihre Notenblätter vom Rücksitz. »Wir sind extra den ganzen Weg hergefahren.«

Von mir aus hätten wir allerdings auch einfach wieder umkehren und zurück nach Jessell fahren können – wenn ich geglaubt hätte, dass Olivia das wirklich wollte. Für mich hatte sich der Trip allein schon wegen der Autofahrt gelohnt: Bei offenen Fenstern hatten wir das Radio voll aufgedreht und Weintrauben aus der Kühlbox gefuttert, die Mrs. Maxwell für uns gepackt hatte. In diesem Auto, die nackten Füße auf dem Armaturenbrett, hatte ich einen Großteil meiner Highschool-Zeit verbracht, und heute wusste ich nicht, wie viele solcher Fahrten uns noch bleiben würden.

Was ich aber wusste, war, dass Olivia in Wirklichkeit nicht kneifen wollte. Das Durchdrehen gehörte vor jedem großen Auftritt zum Standardablauf, und meine Aufgabe als erster Offizier war es, ihr wieder in die Spur zu helfen. »Du kannst das«, versprach ich ihr jetzt. Ich musste sie nur durch die Tür in dieses Studio kriegen, den Rest würde sie allein meistern. »Komm schon, ich bin’s doch. Ich würde nicht zulassen, dass du dich da drin blamierst.«

Olivia nickte und lehnte den Kopf zurück. »Ich weiß«, sagte sie, während der Regen unablässig auf die Motorhaube prasselte. »Ich will es einfach so sehr, weißt du? Eine so große Chance – darauf warte ich schon mein ganzes Leben.«

Natürlich wusste ich das. Das verrieten mir die verhornten Blasen, die sie vom Tanzen an den Füßen hatte, und das halbe Dutzend Broadway-Originalaufnahmen, die in diesem Moment im Fußraum ihres Wagens herumflogen. Olivia würde groß rauskommen, das wusste ich schon, seit wir klein waren. Im Moment war nur noch die Frage, wann und wo.

»Na dann«, sagte ich, löste meinen Sitzgurt und öffnete die Tür, bevor sie noch etwas einwenden konnte. »Zeig es ihnen!«

Wir rannten durch die Wassermassen und einige Betonstufen hinauf. Als wir die schweren Glastüren an der Frontseite des Gebäudes erreicht hatten, war mein Pferdeschwanz durchweicht, und Regentropfen liefen mir von den Wimpern und der Nasenspitze. Von innen sahen die Studios auch nicht wesentlich schicker aus, dachte ich, als ich schwer atmend stehen blieb, um mich zu orientieren: Betonboden, hohe Decken und der schwache Geruch nach altem Schweiß. Ein riesiges gerahmtes Poster von Tulsa MacCreadie nahm fast eine ganze Wand ein, und direkt vor uns befand sich eine Lobby mit Sofas und Sesseln aus schwarzem Leder. Dort saß bereits gut ein Dutzend Mädchen,und alle sahen auf, als wir hereinplatzten.

Ich hatte Olivia richtig eingeschätzt. Trotz aller Nervosität lief sie direkt zum Empfang und stellte sich voller Selbstbewusstsein vor, genau wie ich es vorhergesehen hatte. »Hi«, sagte sie, als draußen erneut ein dumpfer Donnerschlag ertönte. »Ich bin wegen des Castings hier.«

Ich sauste um die Ecke zu den Toiletten, während Olivia ihr Teilnahmeformular ausfüllte; als ich zurückkam, ließ sie gerade ihr Polaroid machen. Trotz der Feuchtigkeit waren ihre Haare makellos glatt, während mein Pferdeschwanz strähnig und wirr herunterhing. »Setzt euch«, sagte die Assistentin, eine große, schwarze Frau, die in ihrer gestärkten weißen Bluse sehr elegant aussah. Am Handgelenk trug sie eine Uhr mit braunem Lederband. »Ich rufe dich auf, wenn du dran bist.«

Der Warteraum war voller Mädchen in unserem Alter – meistens weiß, meistens hübsch, meistens in teuer aussehender Tanzkleidung. Ich sah an mir selbst hinunter und schrumpfte ein bisschen in mich zusammen: ausgefranste Jeansshorts und Flip-Flops aus dem Billigladen. Olivia hatte ich schon in unzähligen Theaterstücken und Konzerten zwischen gertenschlanken Mädchen mit komplettem Bühnen-Make-up gesehen, aber selbst von ihnen umzingelt zu sein, war etwas ganz anderes. Ich hatte das Gefühl, versehentlich in eine Kolonie Flamingos geraten zu sein.

»Ich weiß«, sagte Olivia leise, als wir zu den Sofas gingen. Sie hatte meine Gedanken gelesen. »Die sind furchtbar. Und bei jedem Vorsingen hier in der Gegend siehst du dieselben Gesichter. Ein Haufen künstlicher Tussis in Capezio-Klamotten, eine entzückender als die andere.« Wie zur Demonstration kleisterte sie sich ein breites Lächeln ins Gesicht. »Lauren!«, flötete sie und begrüßte mit ausgebreiteten Armen eine Brünette im rosa Nicki-Trainingsanzug. »Hi!«

Kopfschüttelnd grinste ich vor mich hin. Obwohl ich schon so oft gesehen hatte, wie Olivia den Schalter umlegen konnte – die Stimme eine Oktave höher, das Lächeln so breit und strahlend, als hätte sie Vaseline auf den Zähnen –, war ich doch jedes Mal wieder aufs Neue überrascht und beeindruckt. Showbiz-Olivia nannte ich sie dann, als wäre sie ein völlig anderer Mensch. Manchmal tat sie das auch einfach nur, um mich zum Lachen zu bringen.

Es wurde ein langer, ermüdender Nachmittag. Die Assistentin, ihr Name war Juliet, rief einen Namen nach dem anderen von ihrem Klemmbrett auf, die Mädchen gingen den Flur hinunter und kamen keine fünf Minuten später mit erfreutem oder enttäuschtem Gesicht zurück. Echt dramatisch … Manche fielen ihren wartenden Müttern in die Arme – es waren reichlich Mütter hier, wie mir auffiel: alle gleichermaßen blass und gezupft und keimfrei verpackt wie Hühnchen aus dem Supermarkt –, und andere stolzierten einfach zur Tür hinaus. Ich hockte auf einer Sofalehne und wünschte mir, Mrs. Maxwell wäre mitgekommen. Dann hätten wir wenigstens ein paar Snacks gehabt.

Der Regen hatte endlich aufgehört; ich wollte Olivia gerade fragen, ob wir kurz nach draußen gehen sollten, als die Tür vom Audition-Raum aufflog und Guy Monroe – oder zumindest ein Mann, den ich für Guy Monroe hielt – in den Warteraum kam und mit ungeduldiger Miene die Runde der Hoffnungsvollen begutachtete. »Wer ist die Nächste?«, wollte er wissen. »Oder besser gesagt: Gibt es hier überhaupt jemanden, der nicht nur meine Zeit verschwenden will?«

Ich konnte mir ein ungläubiges Schnauben nicht verkneifen. In meinen Augen hatte er etwas Komisches an sich, fast wie eine Cartoonfigur – als müsste er eigentlich Zigarre rauchen und eine dicke goldene Uhr tragen. Ein fleischgewordener Looney Tune. In Wahrheit war er nur ein durchschnittlich aussehender Mann in den Vierzigern mit Bauchansatz und schütter werdenden Haaren. Aber sein Auftreten war das eines wesentlich größeren Mannes, und so wurde er auch behandelt. Daran konnte man sich ein Beispiel nehmen, dachte ich eine Millisekunde, bevor mir klar wurde, dass nicht nur ich Guy Monroe anstarrte, sondern er mich ebenso.

»Wer bist du?«, wollte er wissen.

Ich war wie erstarrt. Für einen Moment hatte es mir tatsächlich die Sprache verschlagen. »Oh«, sagte ich, nachdem ich mich erholt hatte und errötete, ohne genau zu wissen, warum. »Ich bin nicht … Ich bin nur hier, weil … Ich meine, ich singe nicht vor.«

»Warum nicht?« Guy zuckte die Achseln und zog ein Gesicht, das sagte: Zick bloß nicht rum. Dann, ohne meine Antwort abzuwarten: »Kannst du singen?«

Ich zögerte. Die kurze Antwort lautete: Nein, natürlich nicht. Die längere: Ein bisschen, aber nur die Begleitstimme. Auf der Fahrt hierher – und solange ich Olivia kannte – hatte immer sie die Hauptstimme gesungen. Mit weit aufgerissenen Augen wechselten wir einen Blick, bevor ich zu Guy sagte: »Ein bisschen?«

»Ein bisschen«, wiederholte Guy gelangweilt. »Wie heißt du, Mädchen, das ein bisschen singen kann?«

»Dana Cartwright«, brachte ich nach einem Moment heraus. Meine Zunge schien zu groß für meinen Mund geworden zu sein.

»Endlich eine klare Antwort. Dana Cartwright«, sagte er zu Juliet, die wie ein Feldwebel neben ihm stand. »Komm mit.«

Ich zögerte. Normalerweise ließ ich mich nicht so einfach von Fremden herumkommandieren und war auch nicht der Typ, der sich von lauten, aggressiven Männern einschüchtern ließ. Außerdem ging es hier um Olivia. Trotzdem brachte ich es nicht fertig, Guy zu widersprechen. Es war, als wäre er von einem starken Kraftfeld umgeben, gegen das kein Normalsterblicher ankam. Ich sah mich nach Olivia um, und sie nickte.

Guy und Juliet führten mich durch den Flur in einen großen Raum mit glänzendem Parkettboden und einer komplett mit Spiegeln verkleideten Wand. Hinter einem Klapptisch saßen mit gezückten Stiften zwei weitere Personen: ein Mann in den Dreißigern, der sich als Vocal Coach Lucas vorstellte, und eine Lateinamerikanerin in Tanzkleidung namens Charla. Guy setzte sich daneben und sah mich erwartungsvoll an.

»Ich habe keinen Song vorbereitet«, erklärte ich. Warum fiel es mir so schwer, diese lächerliche Situation aufzuklären? »Also, na ja, ich wollte wirklich nicht vorsingen, ich bin nur wegen meiner Freundin hier.«

»Also, na ja, dann sing eben ›Happy Birthday‹.« Guy imitierte mich in absichtlich unschmeichelhaftem Ton. »Mir ist es egal.«

Das machte mich richtig sauer: Dieser Typ versuchte, mich einzuschüchtern? Was glaubte er eigentlich, wer er war? Ich war nicht hergekommen, um irgendwen zu beeindrucken. Wie von selbst richtete sich mein Rückgrat auf; ich nahm die Schultern zurück. »Also gut«, sagte ich mit einer ordentlichen Portion Trotz in der Stimme, die unmöglich zu überhören war. Na schön, dachte ich, das können sie haben. »Dann also ›Happy Birthday‹.«

Alles in allem war es nicht sonderlich bemerkenswert. Wenigstens brauchte ich keine Angst zu haben, den Text zu vergessen. Beim dritten Birthday kippte meine Stimme, und ich zuckte unwillkürlich zusammen, aber die vier hörten nur weiter mit ausdruckslosen Gesichtern zu.

»Ähm, okay«, sagte ich, als ich endlich fertig war. Die Coaches betrachteten mich immer noch schweigend. Das war wahrscheinlich der seltsamste Augenblick in meinem bisherigen Leben. »Vielen Dank.«

»Danke, Dana«, sagte Charla. »Wir melden uns bei dir.«

Na klar, dachte ich mit leichtem Kopfschütteln. Ganz bestimmt.

Olivias Augen waren so groß und glänzend wie UFOs, als ich in die Lobby zurückkam. Sie rutschte auf der Ledercouch ein Stück zur Seite, um mir Platz zu machen. »Ich kann nicht glauben, was da gerade passiert ist«, flüsterte sie.

Ich wollte etwas antworten, als Julie ebenfalls in die Lobby kam. Jetzt sah sie an mir vorbei, als wären wir uns noch nie begegnet und die letzten zehn Minuten nur ein Traum gewesen. »Olivia Maxwell«, rief sie mit Blick auf ihr Klemmbrett. »Du bist dran.«

Es regnete wieder in Strömen, als wir an diesem Abend in unser Hotelzimmer krochen, das Kabelfernsehen und die Aussicht auf einen halb überfluteten Parkplatz zu bieten hatte. Das Mädchen am Empfang hatte etwas von einem Pool im Haus gesagt, also hätten wir theoretisch trotz des Wetters schwimmen gehen können, aber Olivia wollte nicht. »Ich hasse Innenpools«, sagte sie, streifte ihre Sandalen ab und warf sich aufs Bett. »Das ist, als wäre man in einem fremden Mund.«

»Du spinnst total«, teilte ich ihr mit, ließ ihr aber ihren Willen, und so saßen wir in der Kühle der Klimaanlage auf frischen weißen Bettlaken und zappten durch die Sender. Mir tat vor Erschöpfung alles weh. Juliet hatte uns beide eingeladen, zum Vortanzen zu bleiben – wahrscheinlich wussten sie, dass wir zusammen angereist waren, und wollten mich nicht auf die Straße setzen –, und danach hatten wir uns zum Abendessen in einem Chili’s in der Nähe des Hotels eine Schale Tortilla-Chips geteilt und dazu Cola Light geschlürft.

»Das war doch besser als Vorstellungsgespräche, oder?«, fragte Olivia jetzt, als sie den Kopf an meine Schulter lehnte und mit hoffnungsvollem, selbstzufriedenem Grinsen zu mir aufsah. »Oder?«

»Na ja, schon«, gab ich zu und musste ein bisschen lachen, »aber frag mich das noch mal, wenn ich völlig abgebrannt bin.«

»Das wird nicht passieren.« Olivia knipste das Licht aus. »Du hast doch mich.«

DREI

✶  DREI  ✶

Wieder zu Hause in Jessell ging es am Freitagabend wie immer ins Burger Delight, das war unser allwöchentliches Ritual seit der Junior High. Olivia holte mich mit dem Wagen ab. Heißer Wind zerzauste ihr die glänzenden dunklen Haare, während hinter den niedrigen Häusern im Westen die orangefarbene Sonne unterging. Das Glöckchen über der Tür klingelte, als wir das frostig klimatisierte Lokal betraten, eine kühle Erleichterung nach der trockenen, stehenden Hitze, die draußen herrschte.

»Da seid ihr ja!«, rief Becky, als sie uns sah, und hob zur Begrüßung ihr Glas. Alle waren sie da und saßen zusammen an unseren üblichen beiden Vierertischen im hinteren Teil des Ladens: Keith und Kerry-Ann, Jonah, Tim und Sarah Jane. Dieselbe Handvoll Gesichter, die wir schon seit dem Kindergarten kannten und mit denen wir heimlich Bier tranken, seit wir zwölf waren. »Ich dachte schon, du wärst gleich nach Hollywood durchgestartet, Olivia.«

»Noch nicht ganz«, rief diese ihr grinsend zu, bevor sie zur Theke ging und für uns beide bestellte – Chicken Fingers und einen Schoko-Milchshake für mich, eine kleine Portion Pommes und Cola light für sich –, während ich mich zu Sarah Jane an den Tisch setzte, gegenüber von Becky und SJs Immer-mal-wieder-Freund Keith.

»Wie war euer Trip?«, fragte SJ und schob ihre Zwiebelringe zu mir rüber. SJ kannte ich noch länger als Olivia, sie wohnte bei mir um die Ecke, seit wir klein waren und die ganze Straße mithören konnte, wie ihre Mutter sie anschrie. Sie war groß und blond und kräftig, ein Mädchen, das Raum einnahm und dem es egal war, ob das anderen in den Kram passte.

»Ganz gut«, sagte ich vorsichtig, nahm ein Stück Panade vom Boden der Schale und zerbiss es knackend. »Liv war super.« Was sonst noch passiert war – dass ich aus heiterem Himmel selbst fürs Vorsingen ausgewählt worden war –, erzählte ich ihnen nicht. Ich wusste selbst nicht genau, warum. Schließlich wäre es eine tolle Story gewesen, und alle hätten was zu lachen gehabt. Aber ein kleiner Teil von mir wollte sich nicht darüber lustig machen, sondern es für sich behalten. »Sie war fantastisch.«

»Klar war sie das«, sagte Becky, als Olivia sich zu den anderen an den Nebentisch setzte. »Sollen wir uns schon mal ein Autogramm von dir holen, oder …?«

»Ach, sei still«, sagte Olivia, aber sie lachte dabei. »Da waren noch eine Million andere Mädchen.« Sie sah zu mir herüber und schien wie durch Gedankenübertragung zu wissen, dass ich von meiner Rolle in der ganzen Geschichte nichts erwähnt hatte. Ich war ihr dankbar, dass sie mich nicht verriet. »Und was habt ihr in der Zwischenzeit so angestellt?«

Wir fielen in unseren üblichen Freitagabend-Rhythmus. Die Jungs berichteten von einer Schlägerei, die sich ein paar Footballspieler während unserer Abwesenheit auf einer Party geliefert hatten, und Sarah Jane erzählte mir leise von ihrem letzten Streit mit Keith. »Er war so ein Arsch«, erklärte sie, nachdem er aufgestanden war, um aufs Klo zu gehen, und ich murmelte etwas Mitfühlendes, obwohl ich nicht richtig zugehört hatte. In Wahrheit fühlte ich mich heute Abend seltsam rastlos, als fände ich nicht mehr in mein normales Leben zurück.

»Danke, Linda«, sagte ich zerstreut, als die Kellnerin kam und unsere Bestellungen brachte. Sie hatte eine unglaubliche Geduld, wenn man bedachte, seit wie vielen Jahren wir schon austesteten, wie lange sie uns mit unseren Mini-Bestellungen am Tisch sitzen bleiben ließ. Als sie wieder gegangen war, sah ich mich einen Moment im Restaurant um – die roten Kunstledersitzbänke, die mit Klebeband zusammengehalten wurden, die schmutzigen Leuchtstoffröhren an der Decke. Normalerweise empfand ich die Vertrautheit als tröstlich, doch heute Abend langweilte mich das alles nur.

Als Sarah Jane auf die Toilette ging, rutschte Tim zu mir an den Tisch. Er roch nach Eau de Cologne und nach Zigaretten. Er trug ein Atlanta-Braves-Basecap mit dem Schirm nach hinten und ein kleines goldenes Kreuz um den Hals. »Hey du, lange nicht gesehen«, sagte er, und ich widerstand dem Drang, die Augen zu verdrehen.

»Hey.« Tim versuchte schon seit der Mittelstufe mit mir auszugehen, damals hat er mir eine Valentinskarte in den Spind gesteckt, darauf war ein gelber Stern zu sehen und der Schriftzug Ich hab dich gern, kleiner Stern. In der Zehnten hatten wir ein paarmal rumgeknutscht, aber weiter hatte ich es nie kommen lassen. Allerdings brauchte Tim offenbar länger als der Durchschnitt, um zu kapieren, dass wir nicht bis an unser Lebensende glücklich und zufrieden zusammen sein würden.

»Schon Glück bei der Jobsuche gehabt?«, fragte er und bediente sich bei meinen Chicken Fingers. Ich war noch nicht fertig, fand es aber nicht der Mühe wert, etwas dagegen zu sagen.

»Noch nicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Aber ich hab ’ne Menge Vorstellungsgespräche.« Das war gelogen. In Wahrheit hatte ich mich nicht einmal dazu durchringen können, die Bewerbungsformulare auf meinem Schreibtisch auch nur anzusehen, seit wir vor ein paar Tagen aus Orlando zurückgekommen waren.

»Du kannst bei mir arbeiten«, scherzte Tim und legte unauffällig einen Arm auf die Rückenlehne, wobei er leicht meine Schultern streifte. Ich warf ihm einen Echt-jetzt-Blick zu, und er zog den Arm schnell wieder weg.

»Ach, wirklich?«, fragte ich, als wäre nichts passiert. »Braucht ihr Jungs Verstärkung in der Werkstatt?«

»Na ja, nicht beim Schrauben an den Autos«, sagte Tim, als wäre das aufgrund meines Geschlechts selbstverständlich. »Aber vielleicht im Büro.«

»Ich denk drüber nach, danke.« Ich sah mich um, ob ich nicht noch jemand anderen in dieses Gespräch verwickeln könnte, aber Becky war aufgestanden, um mit Kerry-Ann und Olivia zu reden, und Keith war wie immer keine große Hilfe. Ich seufzte. Es war ja nicht so, dass ich Tim nicht irgendwie mögen würde. Er war ein netter Kerl, er hatte schöne braune Augen, und ich wusste, dass er total lieb wäre, wenn wirklich etwas Ernstes zwischen uns passieren würde. Das Problem war nur, dass ich mir allzu genau ausmalen konnte, wie unser gemeinsames Leben aussehen würde. Ein heruntergekommenes Haus, nicht weit von dem meiner Mom, immer eine Palette Budweiser im Kühlschrank, ich hätte mit fünfundzwanzig drei Kinder, und wir wären in wechselndem Maße unglücklich und wortkarg. Gut, einen richtigen Plan für die Zukunft hatte ich selbst nicht, aber dass ich das nicht wollte, das wusste ich.

Als Sarah Jane zurückkam, stand ich unauffällig auf und ging mit meinem Milchshake zu Olivia, setzte mich neben sie und klaute mir von ihren Pommes, die sie – wie ich stirnrunzelnd registrierte – kaum angerührt hatte. »Vielen Dank für deine Hilfe«, sagte ich und stieß sie mit der Schulter an.

»Was denn, bei deinem zukünftigen Ehemann?«, neckte sie mich. »Für mich sah es aus, als würdest du dich ganz gut schlagen.«

»Du bist gemein!« Das mit dem Ehemann hatte mich getroffen. Heute Abend war ich ungewohnt empfindlich und nicht sicher, was ich dagegen tun könnte. Es war, als hätte sich etwas in mir verändert, seit ich die Stadt verlassen hatte, obwohl es nur für ein paar Tage gewesen war. Als hätte ich einen kurzen Blick in eine andere Welt erhascht, gegen die das Leben in Jessell deprimierend und trostlos wirkte. Ich hätte einfach zu Hause bleiben und mir einen Job als Kellnerin suchen sollen, wie ich es vorgehabt hatte.

Ich nahm noch von den Pommes und blickte vielsagend auf die volle Schale. »Isst du die noch?«, fragte ich, und Olivia verdrehte die Augen.

»Ja, Mami.« Sie schnitt eine Grimasse, zog aber die Schale zu sich heran und tauchte ein paar Pommes in die köstliche Mischung aus Ketchup und Senf, die sie für jede Art von Kartoffelverzehr für unerlässlich befand.

»Danke«, sagte ich freundlich. Ihre Worte hatten gereizt geklungen, aber das kümmerte mich nicht weiter. Das war Teil einer stillschweigenden Vereinbarung, die wir schon mindestens seit der Mittelstufe hatten. Ich erzählte es niemandem, wenn Olivia mal wieder nicht aß – vor allem nicht ihrer Mom –, und im Gegenzug durfte ich alles tun, was nötig war, damit sie es doch tat.

»Darf ich dich was fragen?« Das war Sarah Jane, die sich vom anderen Tisch zu uns rüberbeugte und mir ins Ohr flüsterte. »Wer spielt denn die Essenspolizei für sie, wenn sie den Abflug von hier macht?«

Ich drehte mich um und warf ihr einen strafenden Blick zu, worauf sie beschwichtigend die Hände hob; achselzuckend griff ich nach meinem Milchshake. Unrecht hatte sie nicht, das musste ich zugeben, während ich geräuschvoll an meinem Strohhalm sog. Es war ja auch nicht so, dass ich noch nie darüber nachgedacht hätte. Unsere Vereinbarung funktionierte so lange, wie wir ständig zusammenhingen, was hier in Jessell ja der Fall war. Was passieren würde, wenn wir voneinander getrennt waren – ich hatte keine Ahnung.

Plötzlich war ich müde. Ich wollte nach Hause.

»Hey«, sagte Olivia, die sich mit Becky und Jonah unterhalten hatte, sich jetzt aber umdrehte und mich eindringlich ansah, als hätte sie meine Gedanken gelesen. »Sollen wir los?«

»Bin dabei«, sagte ich, stellte meinen noch halb vollen Milchshake auf die abblätternde Resopalplatte und rutschte aus der klebrigen Sitzecke. »Nacht zusammen.«

»He, der ist ja noch halb voll«, rügte Tim und zeigte auf den Milchshake, aber ich ging nicht darauf ein.

»Tschüss, Leute«, rief Olivia und lief mir nach. »Alles okay mit dir?«, fragte sie, sobald wir draußen waren.

»Ja, klar«, versicherte ich, aber das klang selbst in meinen eigenen Ohren reichlich unglaubwürdig. »Mir geht’s super.«

Olivia verdrehte die Augen. »Okay, das hat mich jetzt nicht so überzeugt. Probier’s noch mal.«

Ich seufzte und blickte über den Parkplatz. Das Burger Delight lag am Ende von dem, was in Jessell als Hauptstraße herhalten musste, gegenüber einem Gebrauchtwagenhändler hinter Maschendrahtzaun und einer leeren Werbefläche für Baugrund. Einige Sekunden sah ich einem beschichteten Pappbecher nach, der vom heißen Wind ein paar Meter über den Asphalt geweht wurde, bevor er am Maschendraht hängen blieb. »Du glaubst das doch nicht wirklich, oder?«, fragte ich schließlich und sah Olivia im Schein der Burger-Delight-Neonreklame an. »Dass ich bei Tim hängen bleibe?«

Olivias Augen weiteten sich. »Was? Oh Gott, nein.« Sie sah mich über das Wagendach hinweg an und schüttelte den Kopf. »Ich wollte dich nur ein bisschen ärgern. Ach Mensch, entschuldige.«

Ich schüttelte den Kopf. »Schon gut«, sagte ich, als sie die Wagentüren aufschloss und ich mich auf den Beifahrersitz setzte. Der kleine Papp-Tannenbaum am Rückspiegel verströmte seinen vertrauten Vanillegeruch. »Das weiß ich doch. Ich fühle mich einfach ein bisschen komisch, seit wir aus Orlando zurück sind.«

»Was meinst du mit komisch?«

»Wahrscheinlich, weil ich hierbleibe und du weggehst.« Es war mir peinlich, das zuzugeben, und ich kam mir blöd vor, aber Olivia sah mich weder mitleidig noch verurteilend an, sondern nickte nur.

»Ich weiß«, sagte sie leise.

»Es wäre ja etwas anderes, wenn du einfach aufs nächste College gehen würdest wie alle anderen, aber wie es jetzt aussieht, wirst du etwas richtig Großartiges erleben und berühmt werden, und ich bleibe hier und heirate irgendeinen Typen mit ’nem Pick-up und ende so wie Mom …«

»Hey!« Olivia hob beide Hände, um mir das Wort abzuschneiden. »Oh nein.« Sie sah mir fest in die Augen. »Zuallererst: Du wirst niemals wie deine Mom, ist das klar? Schon allein, dass du dir darüber Sorgen machst, heißt, dass du auf keinen Fall so enden wirst wie sie.«

Ich verzog das Gesicht zu einem gequälten Grinsen. »Ich glaube, ganz so läuft das nicht.«

»Ich schon«, sagte Olivia entschieden und ließ den Kopf gegen die Sitzlehne fallen. Einige Zeit schwiegen wir beide. Durch das Fenster des Burger Delight sah ich unsere Freunde, die immer noch an den Tischen saßen, lachten und herumalberten, wie wir es seit der Junior High jeden Freitag taten und es in absehbarer Zukunft auch weiterhin tun würden. Bisher hatte ich daran noch nie etwas Schlechtes gefunden.

»Ich habe auch Angst davor, dich nicht mehr zu sehen, das weißt du, oder?«, fragte Olivia leise, zog ein Bein auf den Sitz und drehte sich zu mir. »Richtig große Angst. Ich weiß nicht mal, ob ich ohne dich überhaupt lebensfähig bin.«

Ich schüttelte den Kopf. »Natürlich weißt du das.«

»Wir werden sehen«, sagte sie und sah eine Zeit lang auf ihren Schoß, ehe sie den Kopf wieder hob. »Aber ich weiß auch, dass es gut werden wird. Vor allem werde ich diese Guy-Monroe-Sache wahrscheinlich gar nicht schaffen – das ist wirklich total unwahrscheinlich. Aber ganz egal, wo ich am Ende lande, wirst du mich natürlich ständig besuchen kommen.«

Sie hatte recht. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass es irgendwann eine Zeit geben würde, in der ich nicht alles stehen und liegen lassen würde, um bei Olivia zu sein. In der ich nicht jedes Vorstellungsgespräch sausen lassen würde, um ihr bei einem Vorsingen beizustehen, und nicht eine ganze Nacht in einem Greyhoundbus verbringen würde, um einen ihrer Auftritte zu sehen. Wir waren beste Freundinnen, wir waren füreinander da, und das würde sich niemals ändern. Trotzdem wusste ich auch, dass es nie wieder genauso sein würde wie jetzt: wir beide auf der einen Seite und der Rest der Welt auf der anderen. Das gehörte zum Erwachsenwerden, und es kam nicht überraschend. Ich wusste nur nicht, ob ich schon bereit war, Abschied zu nehmen.

»Übernachtest du bei mir?«, fragte Olivia und drehte den Schlüssel im Zündschloss. Mit gurgelnden Geräuschen sprang der Toyota an.

»Klar«, antwortete ich so leise, dass ich nicht sicher war, ob sie mich gehört hatte. »Fahren wir nach Hause.«

VIER

✶  VIER  ✶

Am nächsten Morgen machte ich mich endlich in Jessell auf Jobsuche. Brav lieferte ich meine Bewerbungsformulare bei Waffle House, Pizza Planet, einer Videothek und einem Geschäft für Tierbedarf ab. »Wir melden uns«, sagte der dürre, schmierige Manager dort wenig überzeugend, als ich versuchte, über den abartigen Gestank nach Hundepipi nicht die Nase zu rümpfen.

Als ich in mein leeres Zuhause zurückkam, wollte ich mich nur noch vor den Fernseher hocken und mit niemandem reden, aber kaum dass ich die Tür hinter mir zugemacht hatte, klingelte es. Zuerst überraschte mich das Geräusch – wir hatten nicht unbedingt die Art von Nachbarn, die unangemeldet zu Besuch kamen – und dann, dass Olivia mit roten Wangen und glänzenden Augen vor mir stand. Sie kam fast nie zu mir nach Hause, schon gar nicht ohne Vorwarnung. Wenn unsere Freundschaft ein Film wäre, dann wäre ihr Haus die Kulisse, nicht unseres. »Hi«, sagte ich und öffnete die Tür ganz. Sie trug Shorts und Sneakers mit riesigen Plateausohlen, und ihre glänzenden dunklen Haare lösten sich aus dem Pferdeschwanz. »Alles okay?«

»Warum gehst du nicht ans Telefon?«, fragte sie.

Ich runzelte die Stirn. »Ich bin gerade erst heimgekommen«, sagte ich langsam. »Ich war auf Jobsuche.«

»Ich glaube, ich hab einen.« Olivias Gesicht strahlte. »Bei Guy Monroe.«

»Was?« Mir klappte die Kinnlade herunter. »Wirklich?«

»Wirklich.« Olivia schnitt eine Grimasse – sie riss die Augen auf und streckte die Zunge seitlich aus dem Mund. »Wirklich wirklich.«

»Wahnsinn! Das ist ja super!« Ungläubig fiel ich ihr um den Hals, während hundert verschiedene Gefühle wie Flipperkugeln in mir hin und her sausten. »Das ist mehr als super. Gibt es ein Wort dafür, wenn etwas mehr als super ist?« Ich trat einen Schritt zurück und betrachtete ihr Gesicht. »Und was passiert jetzt?«

»Anfang nächster Woche muss ich wieder nach Orlando«, erklärte Olivia. »Ich werde zusammen mit den drei anderen Mädchen in einem Apartment untergebracht, damit wir die Songs und Choreografien lernen, ein Medientraining kriegen und so. Danach gehen wir wohl ins Studio. Und Ende des Sommers geht die Tour los.«

»Ich finde es toll, wie cool du das sagst«, zog ich sie auf. »Die Tour. Ach, weißt du, nichts Besonderes, nur die landesweite Tournee mit dem superscharfen Tulsa MacCreadie.«

»Mir ist nicht cool zumute«, sagte Olivia. »Überhaupt nicht. Ich meine, was war das Größte, was ich vorher gemacht habe? Cinderella? Ich meine, das hier ist verdammt noch mal nicht Cinderella!«

»Dubist Cinderella.« Ich versuchte, es mir vorzustellen: Olivia, die ein Album aufnahm. Olivia in einem Musikvideo, wie wir sie uns nachmittags auf MTV ansahen. Olivia auf dem roten Teppich bei den Grammys, und ich, wie ich hier in Jessell auf den Fernseher zeigte und sagte: Die kenne ich! »Ich kann es nicht fassen!«

»Du warst mein Glücksbringer«, erklärte Olivia. »Klingt das abgedroschen?«

»Total«, sagte ich. »Aber wen interessiert’s? Das ist unglaublich!« Das war es wirklich. Es war unglaublich und mit nichts vergleichbar, was ich mir je ausgemalt hatte. Aber ein kleiner Teil von mir war auch traurig – schließlich bedeutete das, dass sie viel früher als geplant weggehen und sich in Abenteuer stürzen würde, von denen ich nur träumen konnte – ganz plötzlich war unsere Zukunft da. Ihre mit einem großen Knall und meine mit einem leisen Wimmern.