Mit dir hatte ich nicht gerechnet - Katie Cotugno - E-Book
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Mit dir hatte ich nicht gerechnet E-Book

Katie Cotugno

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Beschreibung

Wenn das Glück anklopft, mach auf

Nach ihrem spektakulären Ausstieg aus der Fernsehserie Birds of California hat Fiona St. James ihr Leben endlich im Griff - und das wird sie sich durch nichts und niemanden kaputtmachen lassen. Sie ist also gar nicht erfreut, als auf einmal Sam Fox vor ihr steht. Sam spielte damals ihren älteren Bruder und möchte sie davon überzeugen, bei einem Serienrevival mitzumachen.

Um der alten Zeiten willen stimmt Fiona einem gemeinsamen Lunch zu. Dabei passiert etwas, womit beide nicht gerechnet haben: Sam ist hingerissen von Fionas Wortwitz und ihrer Schlagfertigkeit. Fiona wiederum entdeckt in Sam einen humorvollen und auch nachdenklichen Mann. Es funkt und knistert gewaltig zwischen ihnen. Doch Sam kennt nicht die ganze Geschichte. Was wird passieren, wenn sie ihm die Wahrheit erzählt?

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Inhalt

Cover

Über das Buch

Über die Autorin

Titel

Impressum

Fiona

Sam

Fiona

Sam

Fiona

Sam

Fiona

Sam

Fiona

Sam

Fiona

Sam

Fiona

Sam

Fiona

Sam

Fiona

Sam

Fiona

Sam

Über das Buch

Wenn das Glück anklopft, mach auf

Nach ihrem spektakulären Ausstieg aus der Fernsehserie Birds of California hat Fiona St. James ihr Leben endlich im Griff – und das wird sie sich durch nichts und niemanden kaputtmachen lassen. Sie ist also gar nicht erfreut, als auf einmal Sam Fox vor ihr steht. Sam spielte damals ihren älteren Bruder und möchte sie davon überzeugen, bei einem Serienrevival mitzumachen.

Um der alten Zeiten willen stimmt Fiona einem gemeinsamen Lunch zu. Dabei passiert etwas, womit beide nicht gerechnet haben: Sam ist hingerissen von Fionas Wortwitz und ihrer Schlagfertigkeit. Fiona wiederum entdeckt in Sam einen humorvollen und auch nachdenklichen Mann. Es funkt und knistert gewaltig zwischen ihnen. Doch Sam kennt nicht die ganze Geschichte. Was wird passieren, wenn sie ihm die Wahrheit erzählt?

Über die Autorin

Katie Cotugno und ist eine New-York-Times-Bestseller-Autorin und hat in den USA bereits mehrere Liebesgeschichten veröffentlicht. Sie hat Kreatives Schreiben, Amerikanische Literatur und Buchwissenschaften studiert und war für mehrere amerikanische Buchpreise nominiert. Sie liebt Mozzarella-und-Honig-Sandwiches und lebt mit ihrem Mann und ihrem Hund in Boston, USA.

Mit dir hatte ich nicht gerechnet

ROMAN

Aus dem Amerikanischen von Angela Koonen

Vollständige E-Book-Ausgabedes in der Bastei Lübbe AG erschienenen Werkes

Deutsche Erstausgabe

Für die Originalausgabe:Copyright © 2022 by Katie CotugnoTitel der amerikanischen Originalausgabe: »Birds of California«Originalverlag: Harper Perennial, New York

Für die deutschsprachige Ausgabe:Copyright © 2022 by Bastei Lübbe AG, KölnTextredaktion: Dr. Ulrike Strerath-Bolz, FriedbergUmschlaggestaltung: zero-media.net, München unter Verwendung von Illustrationen von © 2016 ALITA ONG; FinePic®, MüncheneBook-Erstellung: two-up, Düsseldorf

ISBN 978-3-7517-2074-8

luebbe.delesejury.de

Am Donnerstag hat der Heidelberg schon wieder einen Papierstau. Fiona steht auf Zehenspitzen über das Gerät gebeugt und windet die Finger in seine mechanischen Eingeweide, als das Glöckchen über der Tür der Druckerei seinen Gruß bimmelt.

»Hallo«, ruft sie und richtet sich auf. Beim Verlassen der Werkstatt wischt sie sich Tonerstaub am Hosenboden ihres Overalls ab und nimmt ihren Platz hinterm Ladentisch ein. »Was kann ich für Sie tun?«

»Ich will ein Spruchband abholen.« Der Kunde ist vermutlich fünf Jahre jünger als sie, etwa zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig, trägt ein kurzärmliges Button-Down-Hemd mit kleinen Hula-Mädchen darauf, eine nach hinten gedrehte USC-Kappe auf dem Kopf und ein Flechtarmband an seinem braun gebrannten, fleischigen Handgelenk. »Für das Sigma-Tau-Grillfest.«

Ah. »Die sechzehnte Frühlingswochenend-Würstchenparty?«

Hulahemd grinst. »Bratwursts Never Say Die«, bestätigt er mit geschwellter Brust. »Das sind wir.«

Fiona zieht aus einem Regalfach hinter sich eine Posterrolle heraus und entrollt das gewaltige Spruchband, damit er es prüfen kann. Es ist gut geworden, besser als die digitale Vorlage des Kunden, da sie darin drei Rechtschreibfehler ausgemerzt hat. Doch als sie aufblickt, stellt sie fest, dass Dumpfbacke sie über den Rand seiner sportlichen Plastiksonnenbrille hinweg mustert. Sie wappnet sich wie ein Boxer für den nächsten Hieb.

Und da kommt er auch schon. »Hey.« Der Typ zeigt mit einem dicken Finger auf sie. »Bist du nicht …«

»Boss!« Blitzschnell streckt Richie den Kopf in den Durchgang zur Werkstatt, sodass seine dunklen Haare zur Seite schwingen. Er schraubt an dem Drucker herum und winkt jetzt hektisch mit der Bedienungsanleitung. »Entschuldige. Kannst du mir mal kurz helfen?«

»Klar.« Fiona wirft ihm einen dankbaren Blick zu. Das ist ihre stillschweigende Abmachung: Er rettet sie vor Gesprächen wie dem, das sich gerade mit Grillhengst anbahnt, und sie macht ihm keinen Stress, wenn er an vier oder fünf Tagen pro Woche mit zugedröhnter Birne zur Arbeit erscheint. »Entschuldigung, mein Kollege übernimmt hier«, sagt sie zu Wurstfest, rollt das Spruchband zusammen und steckt es in die Posterrolle.

Der Typ ignoriert das. »Doch, du bist es.« Er zeigt wieder auf sie und lächelt selbstgefällig wie ein Kandidat bei Jeopardy!, der mit der falschen Antwort gewonnen hat, indem er nur einen Dollar setzte. »Riley Bird, stimmt’s?«

So geht‘s los. Fiona seufzt. In den letzten fünf Jahren hat sie sich viele kreative Antworten darauf einfallen lassen, aber neuerdings ist es ihr zu anstrengend, etwas anderes als die Wahrheit aufzubieten. »Jep. Die war ich mal.«

»Ich wusste es.« Grinsend zieht der Typ sein Handy aus der Tasche.

Fiona schaudert. »Hey, Sie können nicht …« Doch er knipst sie schon, und seine Daumen fliegen über das Display, als er das Foto verschickt, vermutlich an seine Kameraden der Sigma-Tau-Bratwursts, und die Bildunterschrift lautet garantiert nicht: Seht euch diese Privatperson an, die sich an ihrem Arbeitsplatz um ihren eigenen Kram kümmert.

»Unfassbar, dass du jetzt hier arbeitest«, sagt er. »Mein Zimmergenosse hatte letztes Jahr ein Poster von dir an der Wand. Das mit der Echse«, fügt er sicherheitshalber hinzu, als gäbe es noch andere. Es ist erstaunlich, wie viele Leute das immer noch zu ihr sagen. Das hört sie fast so oft wie: Ich habe auf Twitter gelesen, dass du tot bist.

Inzwischen ist Richie hereingekommen, um zu kassieren. Er zieht die Kreditkarte durch und gibt dem Kunden die Posterrolle, damit er seiner Wege gehen kann. Fiona will wieder in die Werkstatt, um sich mit dem Heidelberg zu befassen – nur ihr Vater weiß genau, wie man die Störungen nachhaltig behebt, doch seit er praktisch nicht mehr zur Arbeit kommt, halten sie und Richie den Drucker mit Spucke und Klebeband zusammen. Doch der Typ greift über den Ladentisch und hält sie am Handgelenk fest.

»Hör zu«, sagt er, unbeeindruckt von ihrem Widerwillen gegen die Berührung. Sie sträubt sich wie eine Katze vor dem Wasser. »Das Grillfest ist immer ein Megaspaß, falls du dieses Wochenende Zeit hast. Mein Zimmergenosse würde dich bestimmt gern kennenlernen.« Er zwinkert. »Obwohl, vielleicht verrate ich ihm gar nicht, dass du kommst. Vielleicht will ich dich ja für mich allein haben.«

Fiona schafft es so gerade, ihn nicht auszulachen. »Das ist … ein tolles Angebot«, sagt sie, während sie ihren Arm aus seiner schweißfeuchten Faust zieht. Aber ich hab schon was vor.«

Sigma Tau fixiert sie mit einem äußerst skeptischen Blick und deutet auf den leeren Kundenbereich. »Was denn?«, meint er höhnisch grinsend. »Bist du etwa mit Arbeit eingedeckt?«

Fiona strafft den Rücken. In letzter Zeit hält sie ihre Wut mit Klauen und Zähnen zurück, doch sie spürt sie bereits im ganzen Oberkörper. Bruce Banner lässt ein, zwei Knöpfe wegplatzen. Die Druckerei haben ihre Eltern eröffnet, als sie noch keine Kinder hatten. »Elektrokonvulsionstherapie«, flüstert sie traurig. »Schockbehandlung.«

Einen Vorteil hat es, wenn man ausgiebig bei allem möglichen extrem fragwürdigen Scheiß gefilmt wurde: Im ersten Moment weiß sie oft selber nicht, ob das ernst gemeint ist. Darauf schüttelt er den Kopf. »Weißt du was? Vergiss es.«

»Keine Sorge«, verspricht Fiona. »Werde ich definitiv.«

Wurstfest zieht verächtlich die Mundwinkel runter. »Blöde Bitch«, murmelt er, klemmt sich die Posterrolle unter den Arm und trampelt hinaus, sodass das Glöckchen wieder fröhlich bimmelt.

»Tut mir leid«, sagt Richie.

Fiona zuckt mit den Schultern. »Alles gut«, versichert sie. Eigentlich nicht, aber das ist nicht Richies Schuld. Sie wiederholen diesen Einakter mindestens einmal alle paar Tage mit Fahrradkurieren, Reparaturtechnikern und künftigen Bräuten, die sich die Schriftart für ihre Hochzeitseinladungen aussuchen. Einmal hat sie fast einen Monat lang keiner erkannt. Ein andermal, als Darcy Sinclairs Klatschblog einen Artikel über sie postete, ohne Namen zu nennen – Welcher notorisch wilde Vogel ist mit eingeklemmten Schwanzfedern ins heimische Nest zurückgeflattert? –, mussten sie für eine Woche schließen, bis es den Leuten zu langweilig wurde, den ganzen Tag vor der Druckerei herumzulungern, um sie mal kurz zu Gesicht zu kriegen. Sie überlegt, ob sie vielleicht eins dieser Lagerhausschilder drucken sollten, auf denen angeschrieben wird, wie lange schon keiner mehr einen Arm in der Packpresse verloren hat: Keiner hat Fiona auf das Echsenposter angesprochen seit ____ Tagen.

Dabei versteht sie durchaus, warum die Leute neugierig sind. Sie war ein Kinderstar, der blitzsaubere Teeny-Liebling des UBC Family Network, und spielte in der allseits bejubelten Dramedy Birds of California die mutige Tochter eines verwitweten Ornithologen, der in einem Wildreservat lebt – und zwar vier enorm lukrative Staffeln lang.

Doch dann ist sie nach landläufiger Meinung durchgedreht.

Schließlich kriegen sie den Heidelberg wieder zum Laufen und drucken einen Packen Alumni-Rundschreiben für eine noble Prepschool, außerdem die bestellten Infoblätter über Zahnfleischentzündung für die Praxis eines örtlichen Paradontologen. Fiona verbringt eine Stunde am Arbeitstisch mit dem Falzbein, um die Infoblätter sauber in der Mitte zu falten, sichert die akkuraten Stapel mit Gummibändern und packt sie in einen Lieferkarton. Als Kind dachte sie immer, sie würde vor Langeweile eingehen, wenn sie diese Arbeit machen müsste, doch inzwischen mag sie die narkotische Wiederholung und die betäubende Haptik des Papiers. Manchmal ist es schön, vergessen zu können.

In der Mittagspause rennt sie zur Ecke, um sich eine Burrito-Bowl zu holen, und isst sie im Stehen in der Werkstatt. Dabei scrollt sie müßig durch ihre Social-Media-Accounts, die sie nur behält, damit sie sich weitläufige alte Häuser in New England und gerettete Hunde in ihrem neuen, zufriedenen Leben ansehen kann. Selten macht sie sich die Mühe, ihre E-Mails abzurufen – darunter ist praktisch nie etwas, das ihre sofortige Aufmerksamkeit erfordert –, aber heute befindet sich unter den Junk-Mails und gelegentlichen ungebetenen Penisbildern eine Nachricht, die sie tatsächlich öffnet.

Absender: LaSalle, Caroline

Betreff: Kurzes Hallo

Fiona stöhnt, bevor sie den Impuls unterdrücken kann. Seit sieben Jahren ist Caroline nicht mehr ihre Agentin, und Fiona hat seitdem auch keinen anderen Agenten gehabt, aber wenn sie Carolines Name sieht, flackert wieder Angst auf, das demütigende Gefühl, jemanden tief enttäuscht zu haben, obwohl sie ihres Wissens in letzter Zeit nichts Falsches getan hat. Das Gespenst ihrer alten Scham.

Hallo Fiona,

meine Güte, es ist eine ganze Weile her! Ich hoffe, du bist gesund und gut drauf. Du hast vielleicht mitbekommen, dass ich letztes Jahr bei LGP aufgehört und eine eigene Agentur gegründet habe – aber vielleicht auch nicht! Weiß nicht, wie sehr du dich über solche Vorgänge in der Branche auf dem Laufenden hältst. Jedenfalls habe ich ein Angebot, über das ich gern mit dir reden würde. Kannst du mich diese Woche mal anrufen?

Fiona zuckt zusammen, als hätte jemand sie geohrfeigt. Kannst du mich mal anrufen? Das schrieb Caroline immer, wenn Fiona sich in der Öffentlichkeit peinlich aufgeführt hatte: Kannst du mich mal bitte anrufen, weil du dem Fotografen den Stinkefinger gezeigt hast? Kannst du mich mal bitte anrufen, weil du mit neunzehn Jahren sichtlich alkoholisiert in einer beliebten Vormittagstalkshow gesessen hast? Kannst du mich mal bitte anrufen, damit ich dir sagen kann, dass deine Serie abgesetzt wurde, deine Karriere vorbei ist, du dein Leben ruiniert hast und wer weiß wie viele hart arbeitende Leute ihren Job verloren haben, nur weil du dich nicht zusammenreißen konntest?

Nein, denkt Fiona, schiebt das Handy in die Hosentasche, ohne die zwei Folgenachrichten von Caroline zu lesen, und wirft den Rest der Burrito-Bowl in den Mülleimer. Tatsächlich kann sie nicht mal bitte anrufen.

»Alles okay?«, fragt Richie. Er mustert sie vorsichtig vom Ladentisch aus, wo er aus einem Zettel aus dem Altpapier einen kunstvollen Origami-Fuchs faltet. Er hat einen ganzen Zoo dreidimensionaler Papiertiere an die Pinnwand in der Werkstatt geheftet, neben die vorgeschriebenen Arbeiternehmerschutzposter und einen Flyer, der für einen Auftritt seiner Ska-Band in einer Kellerkneipe in der Innenstadt wirbt.

»Alles bestens«, sagt Fiona und sieht zu, wie er mit flinken Fingern das Papier handhabt. Sie wollte ihn schon mal bitten, ihr zu zeigen, wie er das macht, doch Richie ist, na ja, der einzige Kerl im Universum, der noch nie auf die Idee gekommen ist, er könnte mit ihr schlafen, und sie will ihn nicht auf dumme Gedanken bringen. »Ging mir nie besser.«

»Okay«, sagt er und geht zur Ladentheke, weil dort das Telefon klingelt. Vorher gibt er ihr den Papierfuchs.

Als sie nach Hause kommt, sitzt ihr Vater vor der Tür in einem Gartenstuhl, was ein Fortschritt ist, denn gestern saß er im abgedunkelten Wohnzimmer vor dem Fernseher, die Jalousien sperrten die Sonne von Sherman Oaks aus, und es roch ein bisschen ungewaschen. »Hey«, sagt Fiona gut gelaunt. »Ich hab was zum Abendessen mitgebracht.« Und als er nicht antwortet: »Dad?«

»Was?« Er blinzelt und kommt vage lächelnd zu sich. »Das ist prima. Danke, Liebes.«

Sie wartet darauf, dass er aufsteht und mit reinkommt, doch er bleibt sitzen. Also geht sie in die Küche und stellt die Einkaufstüten ab, dann öffnet sie die Schiebetür zum Garten, überquert das trockene, pikende Gras und geht nach nebenan in Estelles Haus. »Hallo«, ruft sie. »Jemand zu Hause?«

»Hier sind wir!«, ruft ihre Schwester Claudia.

Sie findet sie im Wohnzimmer, wo sie fernsehen. Sie haben beide eine koreanische Vliesmaske aufgelegt, und auf dem Sofatisch stehen auf Malachituntersetzern zwei beschlagene Longdrinkgläser mit Gingerale. Zwischen ihnen auf dem Sofa döst Brando, Estelles schläfriger Pitbull. »Hi, Schatz«, grüßt Estelle – zumindest glaubt Fiona, dass sie das sagt. Wegen der Gesichtsmaske ist sie schwer zu verstehen. Estelle wohnt nebenan, soweit Fiona zurückdenken kann. Sie ist keine Nachbarin, die ständig Aufläufe vorbeibringt, aber sie hat ihnen einen ganzen Monat lang Lean Cuisine vor die Tür gestellt, nachdem Fionas Mutter abgehauen war.

»Wie war’s in der Schule?« Fiona hockt sich auf die breite Seitenlehne des Fünfzigerjahresofas. Sie selbst ist mit vierzehn aus der Schule geflogen, und sie liebt es, sich von Claudia alles detailliert erzählen zu lassen, je banaler die Begebenheiten, desto besser: zwischen welchen Essen sie in der Cafeteria wählen konnte und wer Ärger bekommen hat, weil er in der Stillbeschäftigungsstunde quatschte, und wer von den Lehrern am besten angezogen ist. Teils, weil sie Claudia wirklich gernhat, vor allem aber, weil sie den geheimnisvollen Zauber einer echten Highschool liebt, die ihr mal wie eine Katastrophe erscheint, der sie knapp entronnen ist, und mal wie glamouröse Ferien, die sie wegen Krankheit versäumt hat.

Claudia zieht ihre Maske vom Gesicht. Zum Vorschein kommen hohe Wangenbogen, die gleichen wie bei Fiona, und Sommersprossen auf ihrer siebzehn Jahre alten Nase. »Einschläfernd, wie immer.« Sie schaut weiter zum Fernseher, wo eine vollbusige Krankenschwester in einem seltsam tief ausgeschnittenen Kittel einen zerzausten Arzt in ein freies Untersuchungszimmer zerrt, zu einer gefühlvollen Coverversion eines Pophits aus den Achtzigern als Hintergrundmusik. »Aber einer aus meinem Chemiekurs wurde rausgeworfen, weil er in seinem Schreibtisch eine Pop-Tart angezündet hat.«

Fiona staunt sowohl über die Anekdote als auch über das Fernsehprogramm. »Moment mal«, sagt sie nach einem Moment, denn jetzt fallen ihr an dem sexy Arzt die breiten Schultern und der vertraute Zug des Mundes auf. Blöderweise bekommt sie sofort heiße Wangen. »Ist das …?«

»Ein Genie im OP.« Ironisch zitiert Estelle den Slogan auf den dramatisch beleuchteten Reklamewänden, die überall in L.A. zu sehen sind. »Ein verliebter Narr.«

»O mein Gott.« Fiona lacht, aber nur, um eine andere Reaktion zu unterdrücken. Sie sieht noch einmal verstohlen zum Bildschirm. »Die Serie ist ein Graus«, sagt sie, obwohl sie noch keine Folge geguckt hat. Die ganze Witz von The Heart Surgeon besteht ihres Wissens darin, dass der Held, ein gut aussehender, charismatischer Fachidiot, der international für Größe bekannt ist, seinen Lümmel nicht in der Hose lassen kann.

»Sei nicht gemein!«, tadelt Claudia und stößt Fionas Knie mit der Schulter an. »Das ist gut. Na ja, trashig, aber gut.«

»Hm-hm« Fiona beugt sich vor, um von Claudias Gingerale zu trinken. »Mit dem Spruch sollten sie werben.«

»Klar, das ist nicht gerade Masterpiece Theatre, aber trotzdem.« Estelle deutet auf den Arzt, der sich das Hemd auszieht und einen Waschbrettbauch entblößt, auf dem man die Grasflecken aus seiner Jeans rausbekäme. »Man könnte argumentieren, dass die Ästhetik auf ihre Art genauso ansprechend ist.«

»Fiona war mal mit ihm zusammen«, meldet Claudia und langt zu Brando hinüber, um seinen glatten rosa Bauch zu streicheln.

Das erregt Estelles Interesse. »Im Ernst?«

»Das stimmt nicht«, widerspricht Fiona. Sam Fox, der besagte Herzchirurg, spielte Fionas coolen älteren Bruder in Birds of California und danach in zwei herzzerreißenden jugendfreien Filmadaptionen für Netflix. Von da an tauchte er jeweils für drei Episoden als Love Interest in praktisch jeder TV-Dramedy auf, bevor laut People seine große Hauptdarsteller-Pause begann. Nicht dass Fiona People liest. Oder Sams IMDB-Seite. Ganz bestimmt nicht. »Ich war definitiv nicht mit ihm zusammen.«

Claudia schaut unbeeindruckt. »Aber ihr habt euch geküsst.«

»Ein Mal«, stellt Fiona klar. »Und ich finde nicht, dass das zählt, denn es passierte zwischen meinem Rauswurf aus einer Wendy, weil ich mich vor dem Direktionsassistenten entblößt habe, und meinem Sturz von der Bühne bei den MTV Movie Awards.«

Estelle schnalzt tadelnd mit der Zunge. »Du hättest an dem Abend andere Schuhe anziehen sollen.«

»Aber sicher«, bestätigt Fiona ernst. »Die Schuhe waren das Problem.«

»Na ja, Schatz, man kann wohl fairerweise sagen, dass sie die Situation nicht verbessert haben.« Estelle zieht sich die Maske ab, sodass die klobigen Armbänder an ihren zarten Handgelenken klirren. Sie war in den Siebzigern und Achtzigern Kostümbildnerin bei MGM und kleidet sich noch dementsprechend, mit lauter Schals und Mustern und Designer-Einzelteilen in leuchtenden, poppigen Farben. Zwei ihrer drei Schlafzimmer stehen voll mit Kleiderständern, dicht behängt mit tadellos erhaltenen Vintage-Klamotten, die sie Claudia vererben wird, wenn sie einmal stirbt, aber auch keine Sekunde eher. »Wenn du nicht mit ihm zusammen warst, hättest du was dagegen tun sollen. Er ist eine Augenweide.«

»Er ist symmetrisch gebaut«, erwidert Fiona. »Und frisch gewaxt.«

Estelle fixiert sie mit einem skeptischen Blick. »Es gibt Schlimmeres.«

Fiona schaut an sich hinab auf ihre schmuddeligen Converse und die weite Jeansjacke, die sie von ihrem Vater abgestaubt hat, und findet, dass sich das schwer entkräften lässt. Im Fernsehen machen Sam und die vollbusige Krankenschwester noch immer miteinander rum. Man sieht seinen sonnengebräunten, muskulösen Rücken und wie er seine großen Hände an ihre Wangen legt. Fiona ignoriert die seltsame Reaktion ihres Magens, als für eine Sekunde seine Zunge zu sehen ist, und steht auf, wobei sie ihre Schwester sanft anstupst. »Hausaufgaben in einer halben Stunde«, sagt sie nur.

Nach dem Abendessen spült Fiona das Geschirr und wischt die Flächen in der Küche ab, anschließend geht sie die Post durch. Darunter findet sich eine Ansichtskarte von Thandie, die zurzeit in Paris filmt: nur vier rasche Zeilen über einen Violinisten auf der Straße am Montmartre und die Tauben, die auf dem schmiedeeisernen Balkongeländer ihrer Wohnung sitzen. Typisch Thandie, dass sie selbst diesen lästigen Viechern Charme verleiht. Eigentlich ist sie Fionas beste Freundin, allerdings haben sie in den letzten paar Jahren fast ausschließlich schriftlich kommuniziert. Wenn man Thandie darauf anspräche, würde sie wahrscheinlich sagen, dass sie die altmodische Sitte des Briefeschreibens mag, aber Fiona kennt den wahren Grund: Thandie kommt besser mit ihr klar, wenn sie nicht miteinander reden oder texten.

Fiona steckt die Ansichtskarte in die hintere Hosentasche und geht durch den Flur zu ihrem Zimmer. Um Gesellschaft zu haben, schaltet sie sich den True-Crime-Kanal ein. Weil Wives with Knives erst in einer Stunde kommt, hört sie mit halbem Ohr Hometown Homicides, während sie sich Boxershorts und ein Trägerhemd anzieht und ihren Lockenwust zu einem hohen Knoten schlingt. Sie fühlt sich kribbelig und unwohl, als wären ihre Haut und ihre Klamotten und ihr Leben eine Nummer zu klein für sie.

Sie benutzt die Anti-Aging-Creme, die Estelle ihr zum achtundzwanzigsten Geburtstag geschenkt hat. Eine Zeit lang schaut sie aus dem Fenster. Schließlich nimmt sie ihr Handy vom Nachttisch. Das Display hat ein Netz von Rissen. Das Gerät ist ihr auf die Terrassenfliesen gefallen, als sie Claudia filmte, die gerade den Text von Rihannas »Desperado« in Benedict-Cumberbatch-Manier vortrug. Sie öffnet ein neues Browserfenster.

S-a-m tippt sie in die Suchmaske, und beim F fängt es an zu vibrieren.

Sie lässt es aufs Bett fallen und errötet heftig. Sie fühlt sich, als wäre sie bei etwas erwischt worden, das schräg und leicht pervers ist, etwa wie in der Kirche masturbieren oder an der roten Ampel in eine leere Eisteeflasche pinkeln.

Tatsächlich ist sie derart erschrocken, dass sie den Namen erst beim zweiten Hinsehen registriert.

Scheiße.

Sie ist entschlossen, die Mailbox anspringen zu lassen, doch ihr Finger zuckt, oder ihr Gehirn hat einen Kurzschluss, oder vielleicht ist sie so irre und selbstzerstörerisch, wie alle glauben, denn sie tippt auf den grünen Button und hebt das Handy ans Ohr. »Caroline«, sagt sie und bereut es im selben Moment. Damals in der Klinik riet ihre Therapeutin immer, sie solle zuerst von zehn an rückwärts zählen, um nicht kopflos zu handeln. Ihre Impulskontrolle ist … nicht die beste. »Hi.«

»Fiona!«, sagt Caroline herzlich. »Wie schön, deine Stimme zu hören.«

Fiona lächelt darüber, sie kann nicht anders. Muskelgedächtnis. »Deine auch«, sagt sie und meint das in dem Moment ehrlich. Als Teenager hat sie die große blonde Caroline verehrt, die kühle Schönheit, die immer makellos wirkte, nie einen miesen Tag zu haben schien. Fiona weiß noch, dass sie damals dachte, eigentlich sollte Caroline vor der Kamera stehen.

»Es tut mir leid, dass ich dich aus heiterem Himmel und so spät noch anrufe«, sagt Caroline, obwohl das natürlich nicht aus heiterem Himmel kommt, das wissen sie beide. »Ich wollte mich zuerst per E-Mail melden, aber dann dachte ich, dass sich deine Adresse geändert haben könnte, oder …« Sie hält einen Moment inne, vermutlich damit Fiona sich dazu äußern kann, dann redet sie weiter. »Wie auch immer. Letzte Woche hat Bob Arkin angerufen. Er wusste wohl nicht, wie er dich anders erreichen kann außer durch mich.«

»Er hätte ein Grillfestbanner bestellen können«, erwidert Fiona reflexhaft.

Carolines Stirnrunzeln ist praktisch zu hören. »Wie bitte?«

»Nichts.« Sie schiebt das Unvermeidliche nur hinaus. »Was wollte er?«

»Nun ja, Bob und Jamie Hartley wollen eine Fortsetzung von Birds of California drehen.«

Ein Erdbeben erschüttert das Haus, wirft die Bücher aus den Regalen und die Bilder von den Wänden. Zumindest kommt es Fiona so vor, denn als sie sich benommen umschaut, stellt sie überrascht fest, dass alles noch an seinem Platz ist. »Im Ernst?« Mehr Worte hat sie gerade nicht.

Caroline lacht. Es hört sich jedoch nicht so an, als fände sie das lustig. »Fiona, glaubst du, ich würde dich anrufen, wenn es nicht so wäre?«

Okay. Das kann Fiona nicht bestreiten. Bob ist der Boss von Family Network. Jamie hat in der Serie den Vater gespielt, er war aber auch der Schöpfer und Produktionsleiter, und die ganze Serie war eine Liebeserklärung an seine Kindheit als Sohn eines Rangers auf einer Insel vor der Küste von British Columbia. Zuletzt hörte sie, dass er für HBO an einem großen Fantasy-Projekt arbeitet. »Warum?«

»Ich …« Caroline klingt genauso ratlos. »Aus nostalgischen Gründen? Wegen Geld? Sie halten es wohl für eine gute Idee. Meinem Eindruck nach befindet sich Jamie derzeit in einer Position, wo er so ziemlich alles bewilligt bekommt.«

»Nicht das«, sagt Fiona.

Caroline seufzt. »Okay, bevor wir tiefer einsteigen: Darf ich etwas vorschlagen? Als alte Freundin?«

Wieder schwankt das Haus. Fiona spürt es. Damals, als es wirklich schlimm war – in den ein, zwei Jahren, nachdem man die Serie abgesetzt hatte, war ihr fleckiges Gesicht täglich auf Darcy Sinclairs Website zu sehen –, hat sie nur ein einziges Mal geweint, nämlich als Caroline sie fallen ließ. »Bitte, ich kann mich bessern«, flehte sie. Danach nahm Caroline ihre Anrufe nicht mehr an.

Bei der Erinnerung möchte sie aus ihrer Haut herauskriechen. »Wir sind keine Freundinnen«, sagt Fiona tatsächlich und ist sich nicht ganz sicher, wem von ihnen beiden sie das ins Gedächtnis rufen will.

Caroline schweigt. Fiona sieht sie vor sich, wie sie mit dem Telefon in der Hand bis zehn zählt und die rot geschminkten Lippen zusammenkneift. »Okay«, sagt Caroline. »Meinetwegen. Dann eben als deine frühere Agentin. Ich kenne deine augenblickliche Situation nicht. Vielleicht bist du ja glücklich damit, für immer aus dem Spiel zu sein. Das kann ich respektieren, nach allem, was du durchgemacht hast. Aber wenn du irgendein Interesse hast, je wieder zu spielen – je wieder beruflich vor der Kamera zu stehen –, dann würde ich an deiner Stelle lange und gründlich nachdenken, bevor ich über das Angebot die Nase rümpfe. Eine zweite Chance bietet sich nicht so oft, besonders nicht …« Sie verzichtet auf den Rest des Satzes.

»Besonders nicht für Leute wie mich«, ergänzt Fiona. »Ist angekommen. Danke für den Hinweis.«

Caroline seufzt. »Fiona …«

»Du kannst Bob Arkin sagen, ich bin nicht interessiert. Und du kannst Jamie Hartley sagen, er kann mich mal.«

Fiona legt auf, ehe Caroline etwas erwidern kann. Sie wirft das Handy aufs Bett, steht auf und saust durch das immer noch bebende Haus am Wohnzimmer vorbei, wo ihr Vater mit leerem Blick Guy Fieri anstarrt, und an der Küche vorbei, wo Claudia ihre BHs im Spülbecken wäscht.

»Wow«, sagt Claudia und streckt den Kopf in den Flur. »Wohin willst du?«

»Raus«, schnauzt Fiona. Im selben Moment kommt sie sich vor wie ein Miststück, aber es ist zu spät, um das zu ändern, denn ihre Beine tragen sie schon den Weg hinunter, und ihre Finger angeln nach dem Autoschlüssel, während ihre Unterlippe bedenklich zittert. Sie beißt die Zähne zusammen und setzt zurück auf die Straße, öffnet alle Fenster, um die heiße, trockene Luft hereinzulassen.

Eine Stunde lang fährt sie, vor sich die dunklen Silhouetten der Palmen im letzten bläulichen Tageslicht, neben sich die verschwommenen Farben vorbeiziehender Leuchtreklamen. Sie hält erst an, als sie keine Straße mehr vor sich hat. Auf dem Parkplatz am Strand lässt sie den Motor laufen und die Fahrertür offen und läuft zum Wasser. Als sie den Sand zwischen den Zehen spürt, fällt ihr auf, dass sie keine Schuhe anhat.

Sie watet bis zu den Knien hinein und schnappt nach Luft: Das Wasser ist kalt und endlos, der weite Himmel schwarz. Sie steht so still sie kann und so lange, wie sie es aushält. Dann kehrt sie zum Wagen zurück und fährt nach Hause.

Verkatert und mit hämmernden Kopfschmerzen wacht Sam auf Erins Couch auf. Sein Mund schmeckt wie eine Sporttasche von innen.

Und sein Schwanz liegt frei.

»Wieso bin ich nackt?« Alarmiert späht er an sich hinunter und dann zu Erin, die in Jeans und einem schicken Blazer an der Frühstückstheke sitzt, in einer sonnengebräunten Hand den Kaffeebecher. Er setzt sich so schnell auf, dass ihm schwindlig wird. »Warte, wir haben nicht … oder?«

»Oh, wir haben«, meldet Erin grimmig. Ohne ein Mal zu ihm rüberzusehen, scrollt sie auf ihrem Laptop durch die E-Mails. »Ehrlich, Sam, die pure maskuline Verlockung, du in den engen Lederhosen, da bin ich nach all den Jahren einfach schwach geworden.«

»Du bist ja irre witzig«, brummt Sam und schwenkt die Beine behutsam auf den Boden. Er nimmt sich die Sofadecke von der Lehne und wickelt sie sich um wie eine Toga. Dabei kippt das Zimmer zur Seite und richtet sich wieder auf. »Und die Hose ist nicht aus Leder, sondern aus beschichtetem Denim. Das ist was anderes.«

Erin zuckt mit den Schultern. »Jedenfalls hattest du sie noch an, als ich schlafen ging«, klärt sie ihn auf. »Was danach bei dir los war, weiß ich nicht.« Sie klappt den Laptop zu, der dabei das nette Klicken von sich gibt. »Übrigens schuldest du mir eine neue Sofadecke. Das Ding geht ohne Umweg in den Müll.«

»Das ist doch albern«, meint Sam vernünftigerweise. »Nach der Logik bräuchtest du auch eine neue Couch.«

»Die willst du mir auch kaufen?«, schießt Erin zurück. »Ehrlich gesagt hast du Glück, dass ich dich heute Morgen nicht nackt auf die Straße gesetzt habe. Ich habe mein Leben lang entschlossen darauf geachtet, nicht mit männlichen Genitalien in Kontakt zu kommen. Ich werde jetzt nicht in meinem eigenen Haus mit dieser Gewohnheit aufhören.«

»Du weißt, ich schwitze im Schlaf«, murmelt Sam und fährt sich mit beiden Händen durch die Haare. Er erinnert sich vage, dass er gegen drei, vier Uhr verschwitzt und ängstlich aufwachte, sich gereizt die Klamotten vom Leib zerrte und noch halb betrunken wieder einschlief. »Kann ich einen Kaffee haben?«

»Hol ihn dir selbst«, sagt Erin gut gelaunt, steht auf und stellt ihren Becher in die Spülmaschine. »Und schließ hinter dir ab, wenn du gehst. Ich muss zu einem Interview nach Pasadena.« Erin arbeitet freiberuflich als Autorin für diverse Kultur- und Unterhaltungssender in L.A., und dass sie es sich leisten kann, allein in einer Wohnung mit Spülmaschine zu leben, beweist, wie gut sie ist.

Sam runzelt die Stirn. »Kannst du das verschieben?« Bei dem Gedanken, dass sie ihn gleich allein lässt, durchfährt ihn panische Angst. »Lass uns zusammen frühstücken.«

Erin macht an der Tür Halt und kneift ihre dunklen Augen zusammen. Drei Jahre lang haben sie sich eine Wohnung geteilt, als sie noch Bloggerin war und Sam Statistenrollen zu kriegen versuchte. Sie ist praktisch die einzige Familie, die er in L.A. hat. »Geht es dir nicht gut?«, fragt sie.

»Doch, doch«, sagt er, aber zu hastig, als dass es überzeugend klingen kann. »Na ja, ich habe einen höllischen Kater, aber sonst …«

»Wie du meinst.« Sie wendet sich der Tür zu. »Na, dann bis später.«

»Warte!«, stößt Sam hervor und verliert beim Aufspringen beinahe seine Deckentoga. »Was ist aus dem Mädchen mit der Hipsterbrille geworden, mit der du dich gestern Abend unterhalten hast?«

»Okay, jetzt mal im Ernst.« Erin stößt den Atem aus. »Was ist mit dir los?«

»Warum sollte mit mir was los sein, nur weil ich dich nach deinem Liebesleben frage?« Er klingt gekränkt. »Ich bin ein mitfühlender Mensch.«

Erin schnaubt. »Ich weiß nicht, ob ich dich so beschreiben würde.«

Sam hebt den Saum der Decke an und tappt zur Kaffeemaschine. Er empfindet eine ängstliche Unruhe und geht sorgfältig die möglichen Ursachen durch, so wie man im Mund nach einem abgesplitterten Zahn fühlt. In letzter Zeit vermischen sich die Bilder vergangener Abende, wenn er ehrlich sein soll, doch soweit er sich erinnern kann, ist es gestern Abend schön gewesen: ein Haufen Leute auf dem Patio eines mexikanischen Hauses in West Hollywood, Austern und Tequila und Guacamole mit Hummer-Ceviche. Eine niedliche Blonde von einem CW-Shop, die ihm immer wieder sagte, wie lustig er sei, obwohl er sich ziemlich sicher war, dass er nichts Lustiges gesagt hatte. Nach der Party hat er woanders weitergetrunken, und die Barkeeperin kam mit seiner Kreditkarte zurück: »Die wurde nicht akzeptiert.«

Aha. Es ist seltsam befriedigend, sich nach und nach zu erinnern, auch wenn er sich dadurch konkret und nicht nur allgemein mies fühlt. Plötzlich sieht er völlig klar, als hätte er keinen Tropfen getrunken: »Ups«, sagte er und lächelte die Barkeeperin an, sogar noch als Erschrecken und Peinlichkeit sich in einer Doppelhelix sein Rückgrat hinaufwanden. »Würden Sie es freundlicherweise noch mal probieren?«

»Hab ich schon drei Mal«, sagte sie.

»Noch ein Mal dann?« Er neigte bittend den Kopf zur Seite, wodurch er immer erreicht, was er will. Das gelang ihm auch diesmal, doch einen Moment später kam sie zurück und schob ihm die Karte kopfschüttelnd über die glänzende Theke.

»Tut mir leid«, sagte sie – leise, wofür Sam ihr dankbar war. »Keine Chance.«

Daraufhin gab er ihr seine Debitkarte, und die funktionierte zum Glück. Doch als er seine Banking-App öffnete, sah er, dass er nicht nur seinen Kreditrahmen ausgeschöpft hatte, sondern dass ihm nach der letzten Runde Cocktails – er hatte für alle gezahlt und sich großzügig gefühlt – genau 314,83 Dollar geblieben waren.

Ist okay, sagt er sich jetzt und starrt auf die Kaffeemaschine. In etwa einer Woche kommt wieder Geld rein. Doch wenn seine Miete und die Kosten fürs Auto abgebucht sind und er Geld nach Hause geschickt hat für Adam und seine Mutter …

Erin reißt ihn aus seinen Gedanken. »Geh joggen«, rät sie. Er drängt seine Angst zurück in seine Eingeweide, wo sie hingehört. »Oder geh wenigstens duschen.« Sie zieht die Brauen hoch und öffnet die Tür. »Am besten bei dir zu Hause.«

»Bei dir ist der Wasserdruck besser«, wendet er schwach ein. Erin zeigt ihm den Stinkefinger.

Sobald sie weg ist, setzt er sich mit seinem Kaffee auf die Couch und zieht sein Handy aus der hingeworfenen Jeans. Erstaunt sieht er, dass 412 Nachrichten eingegangen sind. Seine Angst steigt hoch wie Abwasser aus dem Gully, bis er glaubt, es an den Fußsohlen zu spüren. Nicht mal nach dem Pilotfilm zu The Heart Surgeon, der letztes Jahr rauskam, hatte er so viele. Sofort fürchtet er, er könnte etwas Beleidigendes über Kleinwüchsige getwittert oder ein Sexvideo gemacht haben, als er nicht so ganz bei sich war. Als er durch die ersten paar Nachrichten scrollt, steigt die kalte Angst über die Fußknöchel bis zu den Knien hoch.

Alter, schrieb sein Trainer heute früh, das ist echt hart.

Russ, sein Agent, schrieb um fünf – um die Zeit macht er immer Anrufe von seinem Peloton: Keine Panik. Ruf mich an. Lass uns heute zusammen zu Mittag essen.

Sogar seine Mutter in Milwaukee hat sich vor zwei Stunden gemeldet: Ich habe versucht, dich anzurufen, aber du hast nicht abgenommen! Denk daran, wir lieben dich, egal was los ist.

Jetzt spürt er die Angst schon im Hals, und sie steigt schnell. Er holt tief Luft wie vor einem Kopfsprung ins Wasser, dann öffnet er den Browser und gibt seinen Namen in die Suchmaske ein. Die erste Nachrichtenmeldung stammt aus dem Hollywood Reporter. Die Überschrift lautet: »Abgesetzte Serien: Riptide, Lightning Jones bei ABN«.

Na ja, das ist okay, denkt Sam, während er den Artikel überfliegt. Er hat keine Rolle bei Riptide oder Lightning Jones. Er liest weiter.

»Ebenfalls gestrichen: The Unlikelies, Half-Moon Bay, The Heart Surgeon.«

Seine Serie.

Verdammte Scheiße.

Sam springt auf und blickt entsetzt durch Erins ordentliches Wohnzimmer. Dann erst wird ihm wieder bewusst, dass er noch nackt ist. Er weiß nicht, was schlimmer ist, dass die Serie abgesetzt wird oder dass sie erst im zweiten Absatz und an dritter Stelle genannt wurde. Er denkt an sein leeres Konto. Er denkt an die Ratenzahlung für das Haus seiner Mutter in Wisconsin. Er denkt an seinen Tesla, der vor Erins Wohnhaus steht – sie hat ihn heute Nacht nach Silver Lake gefahren, fällt ihm plötzlich ein, weil er zu betrunken war –, und fühlt sich ein bisschen, als ob er krank wird.

Er wusste, dass so etwas passieren kann, natürlich. Er hätte nur nicht gedacht, dass ihm das passiert.

Er stellt seinen Kaffee auf den Beistelltisch und sieht auf dem Handy nach, wie spät es ist. Zu Hause ist jetzt fast Mittag, denkt er. An der Ostküste drei Stunden später. »Verdammt«, murmelt er. Dann öffnet er Erins Kühlschrank und holt eine Flasche Wodka heraus.

Er ruft Russ an und kriegt seine Assistentin an den Apparat, eine Weißblonde namens Sherri, die ihm sagt, dass er Russ zum Essen auf der Terrasse im Soho House treffen soll. »Wie geht’s denn, Kleiner?«, fragt sie ihn. Sam weiß nicht, wieso ausgerechnet Sherri nett zu ihm ist, und verspürt den Impuls, sich mitten auf den Sunset Boulevard zu legen und vom Bus überfahren zu lassen.

Trotzdem fährt er nach Hause. In der Dusche holt er sich einen runter, albert eine Weile mit seinen Haaren herum, glättet seine Brauen mit Vaseline. Er zieht sich sein Lieblingshemd über, ein weißes Button-Down aus Leinen, in dem seine Bräune sehr natürlich aussieht. Und nach all dem und dem Vormittagscocktail fühlt er sich, als er den Autoschlüssel dem Parkservice übergibt, ein wenig stabiler. Er liebt das Soho House: den Glamour, die Romantik, die Lounge-Sessel und die Laternen, den schwachen Chlorgeruch vom Pool. Nicht in den Clubs oder am Set, sondern hier fühlt er am stärksten, dass er in L.A. ist, dass er tatsächlich tut, was er immer verkündet hat.

Nun ja. Dass er mal tat, was er immer verkündet hat.

Jetzt ist er wohl arbeitslos.

Russ sitzt an seinem gewohnten Tisch am Ende der überdachten Terrasse, vor sich ein Mineralwasser mit Zitrone. Selbst nachdem er hier jahrelang gelebt hat, stellt sich Sam jeden Agenten wie Ari Gold in Entourage vor, aber tatsächlich sieht Russ mehr aus wie König Triton aus Arielle, mit graumeliertem Bart und langen Haaren und extrem muskulöser Brust. Wenn er in einem Restaurant vom Tisch aufsteht, erwartet Sam immer für einen Moment, bei ihm Froschfüße zu sehen.

»Hallo, Kumpel«, sagt Russ, als wäre er Sams Vater oder wie ein Vater, den er gern gehabt hätte. Russ trägt ein sehr eng sitzendes Button-Down-Hemd und butterweich aussehende Loafers. An seinem Handgelenk lugt dezent eine Jaeger hervor. »Wie hältst du dich?«

»Gut«, antwortet Sam automatisch und versucht, die geübte Nonchalance eines routinierten Schauspielers an den Tag zu legen. Aus irgendeinem Grund ist es ihm wichtig, dass Russ ihn für einen ausgeglichenen, lässigen Lebemann hält. »Ich bin nur … ein wenig verwundert? Ich dachte, die Einschaltquoten wären gut.« Das ist nicht ganz wahr. Sam wusste, dass sie eigentlich nicht gut waren. Doch jeder hat ihm ständig gesagt, alles wäre gut, und er hakte meistens nicht nach, weil es ihn weniger stresste, wenn er ihnen glaubte. Es ist ein eigentümliches Nebenprodukt seiner Teenager-Karriere, dass die Leute ihn meistens wie einen Teenager behandeln, und das ist tatsächlich nicht so schlecht, wie es sich anhört.

Die Kellnerin erscheint am Tisch, bevor Russ darauf eingehen kann. »Möchten die Herren schon bestellen?«, fragt sie.

»Sehr gern«, sagt Russ, obwohl Sam noch gar nicht in die Speisekarte geschaut hat. Russ bestellt sich einen Cobb Salad, und Sam wird nervös und bestellt sich kurzerhand dasselbe, obwohl er weder Blauschimmelkäse noch hart gekochte Eier mag, und ausgebratenen Speck hat er sich seit der Präsidentschaft Obamas auch nicht mehr erlaubt. Die Kellnerin lächelt, als hätte sie ihn erkannt, oder aber sie hat ihn nicht erkannt und findet ihn lediglich schön anzusehen. Sam lächelt zurück und vergisst darüber, dass er arbeitslos ist und sich gerade ein widerliches Essen bestellt hat, das er unberührt stehen lassen wird.

»Du solltest das nicht persönlich nehmen«, empfiehlt Russ, nachdem sie gegangen ist, schaut auf sein Handy und legt es mit dem Display nach unten auf den Tisch. »Solche Dinge passieren eben, das ist alles. Weiter zum nächsten Punkt. Ich habe für morgen ein Vorsprechen für dich arrangiert, und eventuell noch eins am Ende der Woche.«

»Für einen Film?«, fragt Sam hoffnungsvoll.

Russ schüttelt den Kopf. »Diesmal nicht.«

Sam bemüht sich, nicht enttäuscht zu wirken. Er versucht schon seit einer Ewigkeit, eine Filmrolle zu bekommen. Vor ein paar Jahren hat er in einem rührseligen Teeniefilm über ein Mädchen mit Skoliose mitgespielt, aber danach bekam er nur Gastauftritte in Notarztserien oder die Rolle des netten, nichtssagenden Typen, bei dem die Heldin erkennt, wen sie in Wirklichkeit liebt. Schließlich bekam er die Hauptrolle des Herzchirurgen. Er hat überlegt, sein Glück bei einem anderen Agenten zu versuchen, aber das könnte viel Aufwand bedeuten, ohne dass klar ist, wie viel dabei herauskommt. Er ist schon lange bei Russ.

»Jedenfalls habe ich noch eine gute Neuigkeit für dich«, sagt Russ jetzt, als spürte er möglicherweise, dass Sam an einen Wechsel denkt. Dabei blickt er wieder auf sein Handy. »Es besteht Interesse an einer Fortsetzung von Birds of California.«

Sam sieht ihn groß an. »Moment, wirklich?« Birds spielt in seinen Gedanken kaum noch eine Rolle. Der Vertrag, den er damals unterschrieben hat, trieb ihn praktisch in die Schuldknechtschaft. Also ist es nicht gerade so, als hätte er jede Menge Tantiemenschecks bekommen. »Bei Family Network?«

»Nun, ja und nein«, sagt Russ. »Sie wollen einen Streaming-Dienst gründen und suchen nach einem Publikumsmagneten. Ich hatte ein paar Anrufe. Arkin klang sehr erwartungsvoll. Hartley hat schon ein paar Episoden geschrieben.«

»Und Fiona hat zugesagt?«

»Nun ja.« Russ zieht seine buschigen Brauen hoch. »Das ist die große Frage. Sie wollen das Projekt nur machen, wenn sie mit ins Boot kommt.«

»Können die sie überhaupt versichern?«

»Lass uns nicht zu weit vorausdenken«, sagt Russ. »So viel ich weiß, zögert sie noch, was wahrscheinlich klug ist. Das Mädchen ist eine Katastrophe.«

Sam zuckt ein wenig zusammen wegen des Ausdrucks. Er konnte Fiona immer gut leiden, als sie noch zusammenarbeiteten. Sie hatte einen beißenden Humor, und sie konnte immer ihren Text. Und ja, am Ende schien sie einigen Scheiß durchzumachen – er denkt plötzlich an ihre letzte Begegnung, den Geschmack von Wildheit bei ihrem Kuss –, aber als sie wirklich anfing, durchzudrehen, trat er schon nicht mehr in der Serie auf, also war das nicht sein Problem.