Heidi - Johanna Spyri - E-Book

Heidi E-Book

Johanna Spyri

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Beschreibung

Illustrierte Fassung beider Bücher: Heidis Lehr- und Wanderjahre und Heidi kann brauchen, was es gelernt hat Das bekannte Kinderbuch im Original, das durch seinen zeitlosen Charme besticht. Mit den pittoresken bunten Bildern von Maria L. Kirk Die beiden Kinderbücher Heidis Lehr- und Wanderjahre und Heidi kann brauchen, was es gelernt hat der Schweizer Autorin Johanna Spyri (1827-1901) aus den Jahren 1880 und 1881 gehören zu den bekanntesten Kinderbüchern der Welt. Mit ihren Heidi-Büchern schuf Johanna Spyri ein noch heute weit verbreitetes romantisches und idealtypisches Bild der Schweiz. Null Papier Verlag

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Johanna Spyri

Heidi

Heidis Lehr- und Wanderjahre & Heidi kann brauchen, was es gelernt hat

Johanna Spyri

Heidi

Heidis Lehr- und Wanderjahre & Heidi kann brauchen, was es gelernt hat

Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2019Illustrationen: Maria L. Kirk 3. Auflage, ISBN 978-3-954180-21-9

null-papier.de/heidi

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

Au­to­rin und Werk

Hei­dis Lehr- und Wan­der­jah­re

Hei­di kann brau­chen, was es ge­lernt hat

Hei­dis Lehr- und Wan­der­jah­re

1. Zum Alm-Öhi hin­auf

2. Beim Groß­va­ter

3. Auf der Wei­de

4. Bei der Groß­mut­ter

5. Es kommt ein Be­such und dann noch ei­ner, der mehr Fol­gen hat

6. Ein neu­es Ka­pi­tel und lau­ter neue Din­ge

7. Fräu­lein Rot­ten­mei­er hat einen un­ru­hi­gen Tag

8. Im Hau­se Se­se­mann geht’s un­ru­hig zu

9. Der Haus­herr hört al­ler­lei in sei­nem Hau­se, das er noch nicht ge­hört hat

10. Eine Groß­ma­ma

11. Hei­di nimmt auf ei­ner Sei­te zu und auf der an­de­ren ab

12. Im Hau­se Se­se­mann spuk­t’s

13. Am Som­mer­abend die Alm hin­an

14. Am Sonn­tag, wenn’s läu­tet

Hei­di kann brau­chen, was es ge­lernt hat

1. Rei­se­zu­rüs­tun­gen

2. Ein Gast auf der Alm

3. Eine Ver­gel­tung

4. Der Win­ter im Dör­f­li

5. Der Win­ter dau­ert fort

6. Die fer­nen Freun­de re­gen sich

7. Wie es auf der Alp wei­ter­geht

8. Es ge­schieht, was kei­ner er­war­tet hat

9. Es wird Ab­schied ge­nom­men, aber auf Wie­der­se­hen

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Autorin und Werk

Die bei­den Kin­der­bü­cher Hei­dis Lehr- und Wan­der­jah­re und Hei­di kann brau­chen, was es ge­lernt hat der Schwei­zer Au­to­rin Jo­han­na Spy­ri (1827–1901) aus den Jah­ren 1880 und 1881 ge­hö­ren zu den be­kann­tes­ten Kin­der­bü­chern der Welt. Mit ih­ren Hei­di-Bü­chern schuf Jo­han­na Spy­ri ein noch heu­te weit ver­brei­te­tes ro­man­ti­sches und ide­al­ty­pi­sches Bild der Schweiz.

Heidis Lehr- und Wanderjahre

In dem im Jah­re 1880 im Ver­lag von Fried­rich An­dre­as Pert­hes, Go­tha, er­schie­ne­nen ers­ten Hei­di-Ro­man wird er­zählt, wie das Wai­sen­mäd­chen Hei­di zu sei­nem ein­sied­le­ri­schen Groß­va­ter auf eine Alp ober­halb von Mai­en­feld (Kan­ton Grau­bün­den) ge­bracht wird, wo es in Zu­kunft le­ben soll. Ihre Tan­te Dete hat­te bis­her die Auf­sicht, nach­dem ihre Mut­ter ge­stor­ben war. Sie bringt sie zum Al­pöhi, der zu­nächst we­nig be­geis­tert ist, sich aber dann an Hei­di ge­wöhnt und ihr das Le­ben an­ge­nehm macht. Hei­di lernt den Gei­ßen­pe­ter ken­nen, einen Zie­gen­hir­ten in ih­rem Al­ter, mit dem sie re­gel­mäs­sig hoch auf die Al­pen wan­dert, wo die Zie­gen aus dem Dorf wei­den. Eine be­son­de­re Freu­de be­rei­tet ihr das Rau­schen der Tan­nen hin­ter der Hüt­te ih­res Groß­va­ters.

Ei­nes Ta­ges er­scheint je­doch Hei­dis Tan­te Dete und nimmt Hei­di mit nach Frank­furt, wo sie die Ge­sell­schaf­te­rin der ge­lähm­ten Kla­ra Se­se­mann wer­den soll. Kla­ra ak­zep­tiert Hei­di als ihre neue Freun­din. Nur die Haus­da­me, Fräu­lein Rot­ten­mei­er, ist nicht be­geis­tert. Vor al­lem ist sie ent­setzt, als sie er­fährt, dass Hei­di nicht le­sen kann. Klar­as Groß­mut­ter schafft es, Hei­di da­von zu über­zeu­gen, le­sen zu ler­nen.

Hei­di fühlt sich je­doch im­mer schlech­ter im Hau­se Se­se­mann, sie sehnt sich nach den Ber­gen. Vor Ein­sam­keit be­ginnt sie, im Schlaf zu wan­deln. Herr Se­se­mann und sein Arzt be­schlies­sen, Hei­di zu­rück in die Ber­ge zu schi­cken. Hei­di wird in den Zug nach Hau­se ge­setzt.

Heidi kann brauchen, was es gelernt hat

Hei­di ist zu­rück­ge­kehrt zum Al­pöhi. Der ist dar­über so froh, dass er nach Jahr­zehn­ten zum ers­ten Mal wie­der die Kir­che im Dör­f­li auf­sucht, wor­über die Dorf­be­woh­ner er­staunt, aber er­freut sind. Er setzt sein Haus im Dör­f­li wie­der in­stand, da­mit Hei­di den Win­ter dort ver­brin­gen und die Schu­le be­su­chen kann. Hei­di über­zeugt den Gei­ßen­pe­ter, le­sen zu ler­nen.

Im fol­gen­den Jahr hofft Hei­di, dass Kla­ra sie end­lich be­su­chen kann. Aber erst kommt nur der Herr Dok­tor, um die Lage zu klä­ren. Es ge­fällt ihm so gut, dass Kla­ra tat­säch­lich im dar­auf­fol­gen­den Som­mer nach ei­nem Ku­r­auf­ent­halt in Bad Ra­gaz in die Hüt­te des Al­pöhi darf. Ein Die­ner trägt sie auf ei­nem Stuhl auf den Berg hin­auf.

Kla­ra wird auf dem Heu­bo­den ein­quar­tiert, auf dem Hei­di so vie­le Jah­re ge­schla­fen hat. We­nig be­geis­tert ist Pe­ter, der ei­fer­süch­tig ist, weil Kla­ra nun Hei­dis Auf­merk­sam­keit be­an­sprucht. Das führt dazu, dass er ei­nes Ta­ges Klar­as Roll­stuhl in die Tie­fe rol­len lässt, so­dass er zer­stört wird.

Ei­nes Ta­ges will Hei­di Kla­ra mit auf die Alp neh­men; der Al­pöhi trägt sie hin­auf. Auf der Alp lernt Kla­ra wie­der das Ge­hen. Eine große Über­ra­schung gibt es, als Va­ter und Groß­mut­ter Se­se­mann zu Be­such kom­men: Kla­ra kommt ih­nen auf ei­ge­nen Bei­nen ent­ge­gen. Herr Se­se­mann ver­spricht dem Al­pöhi, zu­sam­men mit dem Dok­tor für Hei­di zu sor­gen, wenn er das nicht mehr kann.

Heidis Lehr- und Wanderjahre

1. Zum Alm-Öhi hinauf

Vom freund­li­chen Dor­fe Mai­en­feld führt ein Fuß­weg durch grü­ne, baum­rei­che Flu­ren bis zum Fuße der Hö­hen, die von die­ser Sei­te groß und ernst auf das Tal her­nie­der­schau­en. Wo der Fuß­weg an­fängt, be­ginnt bald Hei­de­land mit dem kur­z­en Gras und den kräf­ti­gen Berg­kräu­tern dem Kom­men­den ent­ge­gen­zu­duf­ten, denn der Fuß­weg geht steil und di­rekt zu den Al­pen hin­auf.

Auf die­sem schma­len Berg­pfa­de stieg am hel­len, son­ni­gen Ju­ni­mor­gen ein großes, kräf­tig aus­se­hen­des Mäd­chen die­ses Ber­g­lan­des hin­an, ein Kind an der Hand füh­rend, des­sen Wan­gen so glü­hend wa­ren, dass sie selbst die sonn­ver­brann­te, völ­lig brau­ne Haut des Kin­des flam­mend rot durch­leuch­te­ten. Es war auch kein Wun­der: Das Kind war trotz der hei­ßen Ju­ni­son­ne so ver­packt, als hät­te es sich ei­nes bit­te­ren Fros­tes zu er­weh­ren. Das klei­ne Mäd­chen moch­te kaum fünf Jah­re zäh­len; was aber sei­ne na­tür­li­che Ge­stalt war, konn­te man nicht er­se­hen, denn es hat­te sicht­lich zwei, wenn nicht drei Klei­der über­ein­an­der an­ge­zo­gen und drü­ber­hin ein großes, ro­tes Baum­woll­tuch um und um ge­bun­den, so­dass die klei­ne Per­son eine völ­lig form­lo­se Fi­gur dar­stell­te, die, in zwei schwe­re, mit Nä­geln be­schla­ge­ne Berg­schu­he ge­steckt, sich heiß und müh­sam den Berg hin­au­f­ar­bei­te­te. Eine Stun­de vom Tal auf­wärts moch­ten die bei­den ge­stie­gen sein, als sie zu dem Wei­ler ka­men, der auf hal­ber Höhe der Alm liegt und ›im Dör­f­li‹ heißt. Hier wur­den die Wan­dern­den fast von je­dem Hau­se aus an­ge­ru­fen, ein­mal vom Fens­ter, ein­mal von ei­ner Haus­tür und ein­mal vom Wege her, denn das Mäd­chen war in sei­nem Hei­mat­ort an­ge­langt. Es mach­te aber nir­gends Halt, son­dern er­wi­der­te alle zu­ge­ru­fe­nen Grü­ße und Fra­gen im Vor­bei­ge­hen, ohne still zu ste­hen, bis es am Ende des Wei­lers bei dem letz­ten der zer­streu­ten Häu­schen an­ge­langt war. Hier rief es aus ei­ner Tür: »Wart einen Au­gen­blick, Dete, ich kom­me mit, wenn du wei­ter hin­auf­gehst.«

Die An­ge­re­de­te stand still; so­fort mach­te sich das Kind von ih­rer Hand los und setz­te sich auf den Bo­den.

»Bist du müde, Hei­di?«, frag­te die Beglei­te­rin.

»Nein, es ist mir heiß«, ent­geg­ne­te das Kind.

»Wir sind jetzt gleich oben, du musst dich nur noch ein we­nig an­stren­gen und große Schrit­te neh­men, dann sind wir in ei­ner Stun­de oben«, er­mun­ter­te die Ge­fähr­tin.

Jetzt trat eine brei­te gut­mü­tig aus­se­hen­de Frau aus der Tür und ge­sell­te sich zu den bei­den. Das Kind war auf­ge­stan­den und wan­der­te nun hin­ter den zwei al­ten Be­kann­ten her, die so­fort in ein leb­haf­tes Ge­spräch ge­rie­ten über al­ler­lei Be­woh­ner des ›Dör­f­li‹ und vie­ler um­her­lie­gen­der Be­hau­sun­gen.

»Aber wo­hin willst du ei­gent­lich mit dem Kin­de, Dete?«, frag­te jetzt die neu Hin­zu­ge­kom­me­ne. »Es wird wohl dei­ner Schwes­ter Kind sein, das hin­ter­las­se­ne.«

»Das ist es«, er­wi­der­te Dete, »ich will mit ihm hin­auf zum Öhi, es muss dort blei­ben.«

»Was, beim Alm-Öhi soll das Kind blei­ben? Du bist, denk ich, nicht recht bei Ver­stand, Dete! Wie kannst du so et­was tun! Der Alte wird dich aber schon heim­schi­cken mit dei­nem Vor­ha­ben!«

»Das kann er nicht, er ist der Groß­va­ter, er muss et­was tun, ich habe das Kind bis jetzt ge­habt, und das kann ich dir schon sa­gen, Bar­bel, dass ich einen Platz, wie ich ihn jetzt ha­ben kann, nicht da­hin­ten las­se um des Kin­des wil­len; jetzt soll der Groß­va­ter das Sei­ni­ge tun.«

»Ja, wenn der wäre wie an­de­re Leu­te, dann schon«, be­stä­tig­te die klei­ne Bar­bel eif­rig; »aber du kennst ja den. Was wird der mit ei­nem Kin­de an­fan­gen und dann noch ei­nem so klei­nen! Das häl­t’s nicht aus bei ihm! Aber wo willst du denn hin?«

»Nach Frank­furt«, er­klär­te Dete, »da be­komm ich einen ex­tra­gu­ten Dienst. Die Herr­schaft war schon im vo­ri­gen Som­mer un­ten im Bad, ich habe ihre Zim­mer auf mei­nem Gang ge­habt und sie be­sorgt, und schon da­mals woll­ten sie mich mit­neh­men, aber ich konn­te nicht fort­kom­men, und jetzt sind sie wie­der da und wol­len mich mit­neh­men, und ich will auch ge­hen, da kannst du si­cher sein.«

»Ich möch­te nicht das Kind sein!«, rief die Bar­bel mit ab­weh­ren­der Ge­bär­de aus. »Es weiß ja kein Mensch, was mit dem Al­ten da oben ist! Mit kei­nem Men­schen will er et­was zu tun ha­ben, jahraus, jahrein setzt er kei­nen Fuß in eine Kir­che, und wenn er mit sei­nem di­cken Stock im Jahr ein­mal her­un­ter­kommt, so weicht ihm al­les aus und muss sich vor ihm fürch­ten. Mit sei­nen di­cken grau­en Au­gen­brau­en und dem furcht­ba­ren Bart sieht er auch aus wie ein al­ter Hei­de und In­dia­ner, dass man froh ist, wenn man ihm nicht al­lein be­geg­net.«

»Und wenn auch«, sag­te Dete trot­zig, »er ist der Groß­va­ter und muss für das Kind sor­gen, er wird ihm wohl nichts tun, sonst hat er’s zu ver­ant­wor­ten, nicht ich.«

»Ich möch­te nur wis­sen«, sag­te die Bar­bel for­schend, »was der Alte auf dem Ge­wis­sen hat, dass er sol­che Au­gen macht und so mut­ter­see­len­al­lein da dro­ben auf der Alm bleibt und sich fast nie bli­cken lässt. Man sagt al­ler­hand von ihm; du weißt doch ge­wiss auch et­was da­von, von dei­ner Schwes­ter, nicht, Dete?«

»Frei­lich, aber ich rede nicht; wenn er’s hör­te, so käme ich schön an!«

Aber die Bar­bel hät­te schon lan­ge gern ge­wusst, wie es sich mit dem Alm-Öhi ver­hal­te, dass er so men­schen­feind­lich aus­se­he und da oben ganz al­lein woh­ne und die Leu­te im­mer so mit hal­b­en Wor­ten von ihm re­de­ten, als fürch­te­ten sie sich, ge­gen ihn zu sein, und woll­ten doch nicht für ihn sein. Auch wuss­te die Bar­bel gar nicht, warum der Alte von al­len Leu­ten im Dör­f­li der Alm-Öhi ge­nannt wur­de, er konn­te doch nicht der wirk­li­che Oheim1 von den sämt­li­chen Be­woh­nern sein; da aber alle ihn so nann­ten, tat sie es auch und nann­te den Al­ten nie an­ders als Öhi, was die Auss­pra­che der Ge­gend für Oheim ist. Die Bar­bel hat­te sich erst vor kur­z­er Zeit nach dem Dör­f­li hin­auf ver­hei­ra­tet, vor­her hat­te sie un­ten im Prät­ti­gau ge­wohnt, und so war sie noch nicht so ganz be­kannt mit al­len Er­leb­nis­sen und be­son­de­ren Per­sön­lich­kei­ten al­ler Zei­ten vom Dör­f­li und der Um­ge­gend. Die Dete, ihre gute Be­kann­te, war da­ge­gen vom Dör­f­li ge­bür­tig und hat­te da ge­lebt mit ih­rer Mut­ter bis vor ei­nem Jahr; da war die­se ge­stor­ben, und die Dete war nach dem Bade Ra­gaz hin­über­ge­zo­gen, wo sie im großen Ho­tel als Zim­mer­mäd­chen einen gu­ten Ver­dienst fand. Sie war auch an die­sem Mor­gen mit dem Kin­de von Ra­gaz her­ge­kom­men; bis Mai­en­feld hat­te sie auf ei­nem Heu­wa­gen fah­ren kön­nen, auf dem ein Be­kann­ter von ihr heim­fuhr und sie und das Kind mit­nahm. – Die Bar­bel woll­te also dies­mal die gute Ge­le­gen­heit, et­was zu ver­neh­men, nicht un­be­nutzt vor­bei­ge­hen las­sen; sie fass­te ver­trau­lich die Dete am Arm und sag­te: »Von dir kann man doch ver­neh­men, was wahr ist und was die Leu­te dar­über hin­aus sa­gen; du weißt, denk ich, die gan­ze Ge­schich­te. Sag mir jetzt ein we­nig, was mit dem Al­ten ist und ob der im­mer so ge­fürch­tet und ein sol­cher Men­schen­has­ser war.«

»Ob er im­mer so war, kann ich, denk ich, nicht prä­zis wis­sen, ich bin jetzt sechs­und­zwan­zig und er si­cher sieb­zig Jahr alt; so hab ich ihn nicht ge­se­hen, wie er jung war, das wirst du nicht er­war­ten. Wenn ich aber wüss­te, dass es nach­her nicht im gan­zen Prät­ti­gau her­um­käme, so könn­te ich dir schon al­ler­hand er­zäh­len von ihm; mei­ne Mut­ter war aus dem Dom­leschg und er auch.«

»A bah, Dete, was meinst denn?«, gab die Bar­bel ein we­nig be­lei­digt zu­rück; »es geht nicht so streng mit dem Schwat­zen im Prät­ti­gau, und dann kann ich schon et­was für mich be­hal­ten, wenn es sein muss. Er­zähl mir’s jetzt, es muss dich nicht ge­reu­en.«

»Ja nu, so will ich, aber halt Wort!«, mahn­te die Dete. Erst sah sie sich aber um, ob das Kind nicht zu nah sei und al­les an­hö­re, was sie sa­gen woll­te; aber das Kind war gar nicht zu se­hen, es muss­te schon seit ei­ni­ger Zeit den bei­den Beglei­te­rin­nen nicht mehr ge­folgt sein, die­se hat­ten es aber im Ei­fer der Un­ter­hal­tung nicht be­merkt. Dete stand still und schau­te sich über­all um. Der Fuß­weg mach­te ei­ni­ge Krüm­mun­gen, doch konn­te man ihn fast bis zum Dör­f­li hin­un­ter über­se­hen, es war aber nie­mand dar­auf sicht­bar.

»Jetzt seh ich’s«, er­klär­te die Bar­bel; »siehst du dort?«, und sie wies mit dem Zei­ge­fin­ger weit­ab vom Berg­pfad. »Es klet­tert die Ab­hän­ge hin­auf mit dem Gei­ßen­pe­ter und sei­nen Gei­ßen. Wa­rum der heut so spät hin­auf­fährt mit sei­nen Tie­ren? Es ist aber ge­rad recht, er kann nun zu dem Kin­de se­hen, und du kannst mir umso bes­ser er­zäh­len.«

»Mit dem Nach-ihm-Se­hen muss sich der Pe­ter nicht an­stren­gen«, be­merk­te die Dete; »es ist nicht dumm für sei­ne fünf Jah­re, es tut sei­ne Au­gen auf und sieht, was vor­geht, das hab ich schon be­merkt an ihm, und es wird ihm ein­mal zu­gut kom­men, denn der Alte hat gar nichts mehr als sei­ne zwei Gei­ßen und die Alm­hüt­te.«

»Hat er denn ein­mal mehr ge­habt?«, frag­te die Bar­bel.

»Der? Ja, das denk ich, dass er ein­mal mehr ge­habt hat«, ent­geg­ne­te eif­rig die Dete; »eins der schöns­ten Bau­ern­gü­ter im Dom­leschg hat er ge­habt. Er war der äl­te­re Sohn und hat­te nur noch einen Bru­der, der war still und or­dent­lich. Aber der Äl­te­re woll­te nichts tun, als den Herrn spie­len und im Lan­de her­um­fah­ren und mit bö­sem Volk zu tun ha­ben, das nie­mand kann­te. Den gan­zen Hof hat er ver­spielt und ver­zecht, und wie es her­aus­kam, da sind sein Va­ter und sei­ne Mut­ter hin­ter­ein­an­der ge­stor­ben vor lau­ter Gram, und der Bru­der, der nun auch am Bet­tel­stab war, ist vor Ver­druss in die Welt hin­aus, es weiß kein Mensch wo­hin, und der Öhi sel­ber, als er nichts mehr hat­te als einen bö­sen Na­men, ist auch ver­schwun­den. Erst wuss­te nie­mand wo­hin, dann ver­nahm man, er sei un­ter das Mi­li­tär ge­gan­gen nach Nea­pel, und dann hör­te man nichts mehr von ihm zwölf oder fünf­zehn Jah­re lang. Dann auf ein­mal er­schi­en er wie­der im Dom­leschg mit ei­nem halb er­wach­se­nen Bu­ben und woll­te die­sen in der Ver­wandt­schaft un­ter­zu­brin­gen su­chen. Aber es schlos­sen sich alle Tü­ren vor ihm, und kei­ner woll­te mehr et­was von ihm wis­sen. Das er­bit­ter­te ihn sehr; er sag­te, ins Dom­leschg set­ze er kei­nen Fuß mehr, und dann kam er hier­her ins Dör­f­li und leb­te da mit dem Bu­ben. Die Frau muss eine Bünd­ne­rin ge­we­sen sein, die er dort un­ten ge­trof­fen und dann bald wie­der ver­lo­ren hat­te. Er muss­te noch et­was Geld ha­ben, denn er ließ den Bu­ben, den To­bi­as, ein Hand­werk er­ler­nen, Zim­mer­mann, und der war ein or­dent­li­cher Mensch und wohl­ge­lit­ten bei al­len Leu­ten im Dör­f­li. Aber dem Al­ten trau­te kei­ner, man sag­te auch, er sei von Nea­pel de­ser­tiert, es wäre ihm sonst schlimm ge­gan­gen, denn er habe einen er­schla­gen, na­tür­lich nicht im Krieg, ver­stehst du, son­dern beim Rauf­han­del. Wir an­er­kann­ten aber die Ver­wandt­schaft, da mei­ner Mut­ter Groß­mut­ter mit sei­ner Groß­mut­ter Ge­schwis­ter­kind ge­we­sen war. So nann­ten wir ihn Öhi, und da wir fast mit al­len Leu­ten im Dör­f­li wie­der ver­wandt sind vom Va­ter her, so nann­ten ihn die­se alle auch Öhi, und seit er dann auf die Alm hin­auf­ge­zo­gen war, hieß er eben nur noch der ›Alm-Öhi‹.«

»Aber wie ist es dann mit dem To­bi­as ge­gan­gen?«, frag­te ge­spannt die Bar­bel.

»Wart nur, das kommt schon, ich kann nicht al­les auf ein­mal sa­gen«, er­klär­te Dete. »Also der To­bi­as war in der Leh­re drau­ßen in Mels, und so­wie er fer­tig war, kam er heim ins Dör­f­li und nahm mei­ne Schwes­ter zur Frau, die Adel­heid, denn sie hat­ten sich schon im­mer gern ge­habt, und auch wie sie nun ver­hei­ra­tet wa­ren, konn­ten sie’s sehr gut zu­sam­men. Aber es ging nicht lan­ge. Schon zwei Jah­re nach­her, wie er an ei­nem Haus­bau mit­half, fiel ein Bal­ken auf ihn her­un­ter und schlug ihn tot. Und wie man den Mann so ent­stellt nach Hau­se brach­te, da fiel die Adel­heid vor Schre­cken und Leid in ein hef­ti­ges Fie­ber und konn­te sich nicht mehr er­ho­len, sie war sonst nicht sehr kräf­tig und hat­te manch­mal so ei­ge­ne Zu­stän­de ge­habt, dass man nicht recht wuss­te, schlief sie oder war sie wach. Nur ein paar Wo­chen, nach­dem der To­bi­as tot war, be­grub man auch die Adel­heid. Da spra­chen alle Leu­te weit und breit von dem trau­ri­gen Schick­sal der bei­den, und lei­se und laut sag­ten sie, das sei die Stra­fe, die der Öhi ver­dient habe für sein gott­lo­ses Le­ben, und ihm selbst wur­de es ge­sagt und auch der Herr Pfar­rer re­de­te ihm ins Ge­wis­sen, er soll­te doch jetzt Buße tun, aber er wur­de nur im­mer grim­mi­ger und ver­stock­ter und re­de­te mit nie­man­dem mehr, es ging ihm auch je­der aus dem Wege. Auf ein­mal hieß es, der Öhi sei auf die Alm hin­auf­ge­zo­gen und kom­me gar nicht mehr her­un­ter, und seit­her ist er dort und lebt mit Gott und Men­schen im Un­frie­den. Das klei­ne Kind der Adel­heid nah­men wir zu uns, die Mut­ter und ich; es war ein Jahr alt. Wie nun im letz­ten Som­mer die Mut­ter starb und ich im Bad drun­ten et­was ver­die­nen woll­te, nahm ich es mit und gab es der al­ten Ur­sel oben im Pfäf­fer­ser­dorf in die Kost. Ich konn­te auch im Win­ter im Bad blei­ben, es gab al­ler­hand Ar­beit, weil ich zu nä­hen und fli­cken ver­ste­he, und früh im Früh­ling kam die Herr­schaft aus Frank­furt wie­der, die ich vo­ri­ges Jahr be­dient hat­te und die mich mit­neh­men will; über­mor­gen rei­sen wir ab, und der Dienst ist gut, das kann ich dir sa­gen.«

»Und dem Al­ten da dro­ben willst du nun das Kind über­ge­ben? Es nimmt mich nur wun­der, was du denkst, Dete«, sag­te die Bar­bel vor­wurfs­voll.

»Was meinst du denn?«, gab Dete zu­rück. »Ich habe das Mei­ni­ge an dem Kin­de ge­tan, und was soll­te ich denn mit ihm ma­chen? Ich den­ke, ich kann ei­nes, das erst fünf Jah­re alt wird, nicht mit nach Frank­furt neh­men. Aber wo­hin gehst du ei­gent­lich, Bar­bel, wir sind ja schon halb­wegs auf der Alm?«

»Ich bin auch gleich da, wo ich hin­muss«, ent­geg­ne­te die Bar­bel; »ich habe mit der Gei­ßen­pe­te­rin zu re­den, sie spinnt mir im Win­ter. So leb wohl, Dete, mit Glück!«

Dete reich­te der Beglei­te­rin die Hand und blieb ste­hen, wäh­rend die­se der klei­nen, dun­kel­brau­nen Alm­hüt­te zu­ging, die ei­ni­ge Schrit­te seit­wärts vom Pfad in ei­ner Mul­de stand, wo sie vor dem Berg­wind ziem­lich ge­schützt war. Die Hüt­te stand auf der hal­b­en Höhe der Alm, vom Dör­f­li aus ge­rech­net, und dass sie in ei­ner klei­nen Ver­tie­fung des Ber­ges stand, war gut, denn sie sah so bau­fäl­lig und ver­fal­len aus, dass es auch so noch ein ge­fähr­li­ches Da­rin­woh­nen sein muss­te, wenn der Föhn­wind so mäch­tig über die Ber­ge strich, dass al­les an der Hüt­te klap­per­te, Tü­ren und Fens­ter, und alle die mor­schen Bal­ken zit­ter­ten und krach­ten. Hät­te die Hüt­te an sol­chen Ta­gen oben auf der Alm ge­stan­den, sie wäre un­ver­züg­lich ins Tal hin­ab­ge­weht wor­den.

Hier wohn­te der Gei­ßen­pe­ter, der elf­jäh­ri­ge Bube, der je­den Mor­gen un­ten im Dör­f­li die Gei­ßen hol­te, um sie hoch auf die Alm hin­auf­zu­trei­ben, um sie da die kur­z­en kräf­ti­gen Kräu­ter fres­sen zu las­sen bis zum Abend; dann sprang der Pe­ter mit den leicht­fü­ßi­gen Tier­chen wie­der her­un­ter, tat, im Dör­f­li an­ge­kom­men, einen schril­len Pfiff durch die Fin­ger, und je­der Be­sit­zer hol­te sei­ne Geiß auf dem Platz. Meis­tens ka­men klei­ne Bu­ben und Mäd­chen, denn die fried­li­chen Gei­ßen wa­ren nicht zu fürch­ten, und das war denn den gan­zen Som­mer durch die ein­zi­ge Zeit am Tage, da der Pe­ter mit sei­nes­glei­chen ver­kehr­te; sonst leb­te er nur mit den Gei­ßen. Er hat­te zwar da­heim sei­ne Mut­ter und die blin­de Groß­mut­ter; aber da er im­mer am Mor­gen sehr früh fort­muss­te und am Abend vom Dör­f­li spät heim­kam, weil er sich da noch so lan­ge als mög­lich mit den Kin­dern un­ter­hal­ten muss­te, so ver­brach­te er da­heim nur ge­ra­de so viel Zeit, um am Mor­gen sei­ne Milch und Brot und am Abend eben­das­sel­be hin­un­ter­zu­schlu­cken und dann sich aufs Ohr zu le­gen und zu schla­fen. Sein Va­ter, der auch schon der Gei­ßen­pe­ter ge­nannt wor­den war, weil er in frü­he­ren Jah­ren in dem­sel­ben Be­ru­fe ge­stan­den hat­te, war vor ei­ni­gen Jah­ren beim Holz­fäl­len ver­un­glückt. Sei­ne Mut­ter, die zwar Bri­git­te hieß, wur­de von je­der­mann um des Zu­sam­men­hangs wil­len die Gei­ßen­pe­te­rin ge­nannt, und die blin­de Groß­mut­ter kann­ten weit und breit Alt und Jung nur un­ter dem Na­men Groß­mut­ter.

Die Dete hat­te wohl zehn Mi­nu­ten ge­war­tet und sich nach al­len Sei­ten um­ge­se­hen, ob die Kin­der mit den Gei­ßen noch nir­gends zu se­hen sei­en; als dies aber nicht der Fall war, so stieg sie noch ein we­nig hö­her, wo sie bes­ser die gan­ze Alm bis hin­un­ter über­se­hen konn­te, und guck­te nun von hier aus bald da­hin, bald dort­hin mit Zei­chen großer Un­ge­duld auf dem Ge­sicht und in den Be­we­gun­gen. Un­ter­des­sen rück­ten die Kin­der auf ei­nem großen Um­we­ge her­an, denn der Pe­ter wuss­te vie­le Stel­len, wo al­ler­hand Gu­tes an Sträu­chern und Ge­bü­schen für sei­ne Gei­ßen zu na­gen war; dar­um mach­te er mit sei­ner Her­de vie­ler­lei Wen­dun­gen auf dem Wege. Erst war das Kind müh­sam nach­ge­klet­tert, in sei­ner schwe­ren Rüs­tung vor Hit­ze und Un­be­quem­lich­keit keu­chend und alle Kräf­te an­stren­gend. Es sag­te kein Wort, blick­te aber un­ver­wandt bald auf den Pe­ter, der mit sei­nen nack­ten Fü­ßen und leich­ten Hö­schen ohne alle Mühe hin und her sprang, bald auf die Gei­ßen, die mit den dün­nen, schlan­ken Bein­chen noch leich­ter über Busch und Stein und stei­le Ab­hän­ge hin­auf­klet­ter­ten.

Auf ein­mal setz­te das Kind sich auf den Bo­den nie­der, zog mit großer Schnel­lig­keit Schu­he und St­rümp­fe aus, stand wie­der auf, zog sein ro­tes, dickes Hals­tuch weg, mach­te sein Röck­chen auf, zog es schnell aus und hat­te gleich noch eins aus­zu­hä­keln, denn die Base Dete hat­te ihm das Sonn­tags­kleid­chen über das All­tags­zeug an­ge­zo­gen, um der Kür­ze wil­len, da­mit nie­mand es tra­gen müs­se. Blitz­schnell war auch das All­tags­röck­lein weg, und nun stand das Kind im leich­ten Un­ter­röck­chen, die blo­ßen Arme aus den kur­z­en Hem­d­är­mel­chen ver­gnüg­lich in die Luft hin­aus­stre­ckend. Dann leg­te es schön al­les auf ein Häuf­chen, und nun sprang und klet­ter­te es hin­ter den Gei­ßen und ne­ben dem Pe­ter her, so leicht als nur ei­nes aus der gan­zen Ge­sell­schaft. Der Pe­ter hat­te nicht Acht ge­ge­ben, was das Kind ma­che, als es zu­rück­ge­blie­ben war. Wie es nun in der neu­en Be­klei­dung nach­ge­sprun­gen kam, zog er lus­tig grin­send das gan­ze Ge­sicht aus­ein­an­der und schau­te zu­rück, und wie er un­ten das Häuf­lein Klei­der lie­gen sah, ging sein Ge­sicht noch ein we­nig mehr aus­ein­an­der, und sein Mund kam fast von ei­nem Ohr bis zum an­de­ren; er sag­te aber nichts. Wie nun das Kind sich so frei und leicht fühl­te, fing es ein Ge­spräch mit dem Pe­ter an, und er fing auch an zu re­den und muss­te auf vie­ler­lei ant­wor­ten, denn das Kind woll­te wis­sen, wie vie­le Gei­ßen er habe und wo­hin er mit ih­nen gehe und was er dort tue, wo er hin­kom­me. So lang­ten end­lich die Kin­der samt den Gei­ßen oben bei der Hüt­te an und ka­men der Base Dete zu Ge­sicht. Kaum aber hat­te die­se die her­an­klet­tern­de Ge­sell­schaft er­blickt, als sie laut auf­schrie: »Hei­di, was machst du? Wie siehst du aus? Wo hast du dei­nen Rock und den zwei­ten und das Hals­tuch? Und ganz neue Schu­he habe ich dir ge­kauft auf den Berg und dir neue St­rümp­fe ge­macht, und al­les fort! Al­les fort! Hei­di, was machst du, wo hast du al­les?«

Das Kind zeig­te ru­hig den Berg hin­un­ter und sag­te: »Dort!« Die Base folg­te sei­nem Fin­ger. Rich­tig, dort lag et­was und oben­auf war ein ro­ter Punkt, das muss­te das Hals­tuch sein.

»Du Un­glücks­tropf!«, rief die Base in großer Auf­re­gung. »Was kommt dir denn in den Sinn, warum hast du al­les aus­ge­zo­gen? Was soll das sein?«

»Ich brauch es nicht«, sag­te das Kind und sah gar nicht reue­voll aus über sei­ne Tat.

»Ach du un­glück­se­li­ges, ver­nunft­lo­ses Hei­di, hast du denn auch noch gar kei­ne Be­grif­fe?«, jam­mer­te und schalt die Base wei­ter. »Wer soll­te nun wie­der da hin­un­ter, es ist ja eine hal­be Stun­de! Komm, Pe­ter, lauf du mir schnell zu­rück und hol das Zeug, komm schnell und steh nicht dort und glot­ze mich an, als wärst du am Bo­den fest­ge­na­gelt.«

»Ich bin schon zu spät«, sag­te Pe­ter lang­sam und blieb, ohne sich zu rüh­ren, auf dem­sel­ben Fleck ste­hen, von dem aus er, bei­de Hän­de in die Ta­schen ge­steckt, dem Schre­ckens­aus­bruch der Base zu­ge­hört hat­te.

»Du stehst ja doch nur und rei­ßest dei­ne Au­gen auf und kommst, denk ich, nicht weit auf die Art!«, rief ihm die Base Dete zu. »Komm her, du musst et­was Schö­nes ha­ben, siehst du?« Sie hielt ihm ein neu­es Fün­fer­chen hin, das glänz­te ihm in die Au­gen. Plötz­lich sprang er auf und da­von auf dem ge­ra­des­ten Weg die Alm hin­un­ter und kam in un­ge­heu­ren Sät­zen in kur­z­er Zeit bei dem Häuf­lein Klei­der an, pack­te sie auf und er­schi­en da­mit so schnell, dass ihn die Base rüh­men muss­te und ihm so­gleich sein Fün­frap­pen­stück über­reich­te. Pe­ter steck­te es schnell tief in sei­ne Ta­sche, und sein Ge­sicht glänz­te und lach­te in vol­ler Brei­te, denn ein sol­cher Schatz wur­de ihm nicht oft zu­teil.

»Du kannst mir das Zeug noch tra­gen bis zum Öhi hin­auf, du gehst ja auch den Weg«, sag­te die Base Dete jetzt, in­dem sie sich an­schick­te, den stei­len Ab­hang zu er­klim­men, der gleich hin­ter der Hüt­te des Gei­ßen­pe­ter em­por­rag­te. Wil­lig über­nahm die­ser den Auf­trag und folg­te der Voran­schrei­ten­den auf dem Fuße nach, den lin­ken Arm um sein Bün­del ge­schlun­gen, in der Rech­ten die Gei­ßen­ru­te schwin­gend. Das Hei­di und die Gei­ßen hüpf­ten und spran­gen fröh­lich ne­ben ihm her. So ge­lang­te der Zug nach drei Vier­tel­stun­den auf die Alm­hö­he, wo frei auf dem Vor­sprung des Ber­ges die Hüt­te des al­ten Öhi stand, al­len Win­den aus­ge­setzt, aber auch je­dem Son­nen­blick zu­gäng­lich und mit der vol­len Aus­sicht weit ins Tal hin­ab. Hin­ter der Hüt­te stan­den drei alte Tan­nen mit dich­ten, lan­gen, un­be­schnit­te­nen Äs­ten. Wei­ter hin­ten ging es noch­mals bergan bis hoch hin­auf in die al­ten, grau­en Fel­sen, erst noch über schö­ne, kräu­ter­rei­che Hö­hen, dann in stei­ni­ges Ge­strüpp und end­lich zu den kah­len, stei­len Fel­sen hin­an.

An die Hüt­te fest­ge­macht, der Tal­sei­te zu, hat­te sich der Öhi eine Bank ge­zim­mert. Hier saß er, eine Pfei­fe im Mund, bei­de Hän­de auf sei­ne Knie ge­legt, und schau­te ru­hig zu, wie die Kin­der, die Gei­ßen und die Base Dete her­an­klet­ter­ten, denn die letz­te­re war nach und nach von den an­de­ren über­holt wor­den. Hei­di war zu­erst oben; es ging ge­ra­de­aus auf den Al­ten zu, streck­te ihm die Hand ent­ge­gen und sag­te: »Gu­ten Abend, Groß­va­ter!«

»So, so, wie ist das ge­meint?«, frag­te der Alte barsch, gab dem Kin­de kurz die Hand und schau­te es mit ei­nem lan­gen, durch­drin­gen­den Blick an, un­ter sei­nen bu­schi­gen Au­gen­brau­en her­vor. Hei­di gab den lan­gen Blick aus­dau­ernd zu­rück, ohne nur ein­mal mit den Au­gen zu zwin­kern, denn der Groß­va­ter mit dem lan­gen Bart und den dich­ten, grau­en Au­gen­brau­en, die in der Mit­te zu­sam­men­ge­wach­sen wa­ren und aus­sa­hen wie eine Art Ge­sträuch, war so ver­wun­der­lich an­zu­se­hen, dass Hei­di ihn recht be­trach­ten muss­te. Un­ter­des­sen war auch die Base her­an­ge­kom­men samt dem Pe­ter, der eine Wel­le stil­le stand und zu­sah, was sich da er­eig­ne.

»Ich wün­sche Euch gu­ten Tag, Öhi«, sag­te die Dete hin­zu­tre­tend, »und hier bring ich Euch das Kind vom To­bi­as und der Adel­heid. Ihr wer­det es wohl nicht mehr ken­nen, denn seit es jäh­rig war, habt Ihr es nie mehr ge­se­hen.«

»So, was muss das Kind bei mir?«, frag­te der Alte kurz; »und du dort«, rief er dem Pe­ter zu, »du kannst ge­hen mit dei­nen Gei­ßen, du bist nicht zu früh; nimm mei­ne mit!«

Der Pe­ter ge­horch­te so­fort und ver­schwand, denn der Öhi hat­te ihn an­ge­schaut, dass er schon ge­nug da­von hat­te.

»Es muss eben bei Euch blei­ben, Öhi«, gab die Dete auf sei­ne Fra­ge zu­rück. »Ich habe, denk ich, das Mei­ni­ge an ihm ge­tan die vier Jah­re durch, es wird jetzt wohl an Euch sein, das Eu­ri­ge auch ein­mal zu tun.«

»So«, sag­te der Alte und warf einen blit­zen­den Blick auf die Dete. »Und wenn nun das Kind an­fängt, dir nach­zu­flen­nen und zu win­seln, wie klei­ne Un­ver­nünf­ti­ge tun, was muss ich dann mit ihm an­fan­gen?«

»Das ist dann Eure Sa­che«, warf die Dete zu­rück, »ich mei­ne fast, es habe mir auch kein Mensch ge­sagt, wie ich es mit dem Klei­nen an­zu­fan­gen habe, als es mir auf den Hän­den lag, ein ein­zi­ges Jähr­chen alt, und ich schon für mich und die Mut­ter ge­nug zu tun hat­te. Jetzt muss ich mei­nem Ver­dienst nach, und Ihr seid der Nächs­te am Kind; wenn Ihr’s nicht ha­ben könnt, so macht mit ihm, was Ihr wollt, dann habt Ihr’s zu ver­ant­wor­ten, wenn’s verdirbt, und Ihr wer­det wohl nicht nö­tig ha­ben, noch et­was auf­zu­la­den.«

Die Dete hat­te kein recht gu­tes Ge­wis­sen bei der Sa­che, dar­um war sie so hit­zig ge­wor­den und hat­te mehr ge­sagt, als sie im Sinn ge­habt hat­te. Bei ih­ren letz­ten Wor­ten war der Öhi auf­ge­stan­den; er schau­te sie so an, dass sie ei­ni­ge Schrit­te zu­rück­wich; dann streck­te er den Arm aus und sag­te be­feh­lend: »Mach, dass du hin­un­ter­kommst, wo du her­auf­ge­kom­men bist, und zeig dich nicht so bald wie­der!« Das ließ sich die Dete nicht zwei­mal sa­gen. »So lebt wohl, und du auch, Hei­di«, sag­te sie schnell und lief den Berg hin­un­ter in ei­nem Trab bis ins Dör­f­li hin­ab, denn die in­ne­re Auf­re­gung trieb sie vor­wärts wie eine wirk­sa­me Dampf­kraft. Im Dör­f­li wur­de sie dies­mal noch viel mehr an­ge­ru­fen, denn es wun­der­te die Leu­te, wo das Kind sei; sie kann­ten ja alle die Dete ge­nau und wuss­ten, wem das Kind ge­hör­te und al­les, was mit ihm vor­ge­gan­gen war. Als es nun aus al­len Tü­ren und Fens­tern tön­te: »Wo ist das Kind? Dete, wo hast du das Kind ge­las­sen?«, rief sie im­mer un­wil­li­ger zu­rück: »Dro­ben beim Alm-Öhi! Nun, beim Alm-Öhi, ihr hör­t’s ja!«

Sie wur­de aber so maß­lei­dig, weil die Frau­en von al­len Sei­ten ihr zu­rie­fen: »Wie kannst du so et­was tun!«, und: »Das arme Tröpf­li!«, und: »So ein klei­nes Hilflo­ses da dro­ben las­sen!«, und dann wie­der und wie­der: »Das arme Tröpf­li!« Die Dete lief, so schnell sie konn­te, wei­ter und war froh, als sie nichts mehr hör­te, denn es war ihr nicht wohl bei der Sa­che; ihre Mut­ter hat­te ihr beim Ster­ben das Kind noch über­ge­ben. Aber sie sag­te sich zur Be­ru­hi­gung, sie kön­ne dann ja eher wie­der et­was für das Kind tun, wenn sie nun viel Geld ver­die­ne, und so war sie sehr froh, dass sie bald weit von al­len Leu­ten, die ihr drein­re­de­ten, weg- und zu ei­nem schö­nen Ver­dienst kom­men konn­te.

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2. Beim Großvater

Nach­dem die Dete ver­schwun­den war, hat­te der Öhi sich wie­der auf die Bank hin­ge­setzt und blies nun große Wol­ken aus sei­ner Pfei­fe; da­bei starr­te er auf den Bo­den und sag­te kein Wort. Der­wei­len schau­te das Hei­di ver­gnüg­lich um sich, ent­deck­te den Gei­ßen­stall, der an die Hüt­te an­ge­baut war, und guck­te hin­ein. Es war nichts drin. Das Kind setz­te sei­ne Un­ter­su­chun­gen fort und kam hin­ter die Hüt­te zu den al­ten Tan­nen. Da blies der Wind durch die Äste so stark, dass es saus­te und braus­te oben in den Wip­feln. Hei­di blieb ste­hen und hör­te zu. Als es ein we­nig stil­ler wur­de, ging das Kind um die kom­men­de Ecke der Hüt­te her­um und kam vorn wie­der zum Groß­va­ter zu­rück. Als es die­sen noch in der­sel­ben Stel­lung er­blick­te, wie es ihn ver­las­sen hat­te, stell­te es sich vor ihn hin, leg­te die Hän­de auf den Rücken und be­trach­te­te ihn. Der Groß­va­ter schau­te auf. »Was willst du jetzt tun?«, frag­te er, als das Kind im­mer noch un­be­weg­lich vor ihm stand.

»Ich will se­hen, was du drin­nen hast, in der Hüt­te«, sag­te Hei­di.

»So komm!«, und der Groß­va­ter stand auf und ging vor­an in die Hüt­te hin­ein.

»Nimm dort dein Bün­del Klei­der noch mit«, be­fahl er im He­r­ein­tre­ten.

»Das brauch ich nicht mehr«, er­klär­te Hei­di.

Der Alte kehr­te sich um und schau­te durch­drin­gend auf das Kind, des­sen schwar­ze Au­gen glüh­ten in Er­war­tung der Din­ge, die da drin­nen sein konn­ten. »Es kann ihm nicht an Ver­stand feh­len«, sag­te er halb­laut. »Wa­rum brauchst du’s nicht mehr?«, setz­te er laut hin­zu.

»Ich will am liebs­ten ge­hen wie die Gei­ßen, die ha­ben ganz leich­te Bein­chen.«

»So, das kannst du, aber hol das Zeug«, be­fahl der Groß­va­ter, »es kommt in den Kas­ten.« Hei­di ge­horch­te. Jetzt mach­te der Alte die Tür auf und Hei­di trat hin­ter ihm her in einen ziem­lich großen Raum ein, es war der Um­fang der gan­zen Hüt­te. Da stand ein Tisch und ein Stuhl dar­an; in ei­ner Ecke war des Groß­va­ters Schlafla­ger, in ei­ner an­de­ren hing der große Kes­sel über dem Herd; auf der an­de­ren Sei­te war eine große Tür in der Wand, die mach­te der Groß­va­ter auf, es war der Schrank. Da hin­gen sei­ne Klei­der drin und auf ei­nem Ge­stell la­gen ein paar Hem­den, St­rümp­fe und Tü­cher und auf ei­nem an­de­ren ei­ni­ge Tel­ler und Tas­sen und Glä­ser und auf dem obers­ten ein run­des Brot und ge­räu­cher­tes Fleisch und Käse, denn in dem Kas­ten war al­les ent­hal­ten, was der Alm-Öhi be­saß und zu sei­nem Le­bens­un­ter­halt ge­brauch­te. Wie er nun den Schrank auf­ge­macht hat­te, kam das Hei­di schnell her­an und stieß sein Zeug hin­ein, so weit hin­ter des Groß­va­ters Klei­der als mög­lich, da­mit es nicht so leicht wie­der zu fin­den sei. Nun sah es sich auf­merk­sam um in dem Raum und sag­te dann: »Wo muss ich schla­fen, Groß­va­ter?«

»Wo du willst«, gab die­ser zur Ant­wort.

Das war dem Hei­di eben recht. Nun fuhr es in alle Win­kel hin­ein und schau­te je­des Plätz­chen aus, wo am schöns­ten zu schla­fen wäre. In der Ecke vor­über des Groß­va­ters La­ger­stät­te war eine klei­ne Lei­ter auf­ge­rich­tet; Hei­di klet­ter­te hin­auf und lang­te auf dem Heu­bo­den an. Da lag ein fri­scher, duf­ten­der Heu­hau­fen oben, und durch eine run­de Luke sah man weit ins Tal hin­ab.

»Hier will ich schla­fen«, rief Hei­di hin­un­ter, »hier ist’s schön! Komm und sieh ein­mal, wie schön es hier ist, Groß­va­ter!«

»Weiß schon«, tön­te es von un­ten her­auf.

»Ich ma­che jetzt das Bett!«, rief das Kind wie­der, in­dem es oben ge­schäf­tig hin und her fuhr; »aber du musst her­auf­kom­men und mir ein Lein­tuch mit­brin­gen, denn auf ein Bett kommt auch ein Lein­tuch, und dar­auf liegt man.«

»So, so«, sag­te un­ten der Groß­va­ter, und nach ei­ner Wei­le ging er an den Schrank und kram­te ein we­nig dar­in her­um; dann zog er un­ter sei­nen Hem­den ein lan­ges, gro­bes Tuch her­vor, das muss­te so et­was sein wie ein Lein­tuch. Er kam da­mit die Lei­ter her­auf. Da war auf dem Heu­bo­den ein ganz ar­ti­ges Bett­lein zu­ge­rich­tet; oben, wo der Kopf lie­gen muss­te, war das Heu hoch auf­ge­schich­tet, und das Ge­sicht kam so zu lie­gen, dass es ge­ra­de auf das of­fe­ne, run­de Loch traf.

»Das ist recht ge­macht«, sag­te der Groß­va­ter, »jetzt wird das Tuch kom­men, aber wart noch« – da­mit nahm er einen gu­ten Wisch Heu von dem Hau­fen und mach­te das La­ger dop­pelt so dick, da­mit der har­te Bo­den nicht durch­ge­fühlt wer­den konn­te – »so, jetzt komm her da­mit.« Hei­di hat­te das Lein­tuch schnell zu­han­den ge­nom­men, konn­te es aber fast nicht tra­gen, so schwer war’s; aber das war sehr gut, denn durch das fes­te Zeug konn­ten die spit­zen Heu­hal­me nicht durch­ste­chen. Jetzt brei­te­ten die bei­den mit­ein­an­der das Tuch über das Heu, und wo es zu breit und zu lang war, stopf­te Hei­di die En­den eil­fer­tig un­ter das La­ger. Nun sah es recht gut und rein­lich aus, und Hei­di stell­te sich da­vor und be­trach­te­te es nach­denk­lich.

»Wir ha­ben noch et­was ver­ges­sen, Groß­va­ter«, sag­te es dann.

»Was denn?«, frag­te er.

»Eine De­cke; denn wenn man ins Bett geht, kriecht man zwi­schen das Lein­tuch und die De­cke hin­ein.«

»So, meinst du? Wenn ich aber kei­ne habe?«, sag­te der Alte.

»Oh, dann ist’s gleich, Groß­va­ter«, be­ru­hig­te Hei­di, »dann nimmt man wie­der Heu zur De­cke«, und eil­fer­tig woll­te es gleich wie­der an den Heu­stock ge­hen, aber der Groß­va­ter wehr­te es ihm.

»Wart einen Au­gen­blick«, sag­te er, stieg die Lei­ter hin­ab und ging an sein La­ger hin. Dann kam er wie­der und leg­te einen großen, schwe­ren, lei­ne­nen Sack auf den Bo­den.

»Ist das nicht bes­ser als Heu?«, frag­te er. Hei­di zog aus Lei­bes­kräf­ten an dem Sa­cke hin und her, um ihn aus­ein­an­der zu le­gen, aber die klei­nen Hän­de konn­ten das schwe­re Zeug nicht be­wäl­ti­gen. Der Groß­va­ter half, und wie es nun aus­ge­brei­tet auf dem Bet­te lag, da sah al­les sehr gut und halt­bar aus, und Hei­di stand stau­nend vor sei­nem neu­en La­ger und sag­te: »Das ist eine präch­ti­ge De­cke und das gan­ze Bett! Jetzt wollt ich, es wäre schon Nacht, so könn­te ich hin­ein­lie­gen.«

»Ich mei­ne, wir könn­ten erst ein­mal et­was es­sen«, sag­te der Groß­va­ter, »oder was meinst du?« Hei­di hat­te über dem Ei­fer des Bet­tens al­les an­de­re ver­ges­sen; nun ihm aber der Ge­dan­ke ans Es­sen kam, stieg ein großer Hun­ger in ihm auf, denn es hat­te auch heu­te noch gar nichts be­kom­men als früh am Mor­gen sein Stück Brot und ein paar Schlu­cke dün­nen Kaf­fees, und nach­her hat­te es die lan­ge Rei­se ge­macht. So sag­te Hei­di ganz zu­stim­mend: »Ja, ich mein es auch.«

»So geh hin­un­ter, wenn wir denn ei­nig sind«, sag­te der Alte und folg­te dem Kind auf dem Fuß nach. Dann ging er zum Kes­sel hin, schob den großen weg und dreh­te den klei­nen her­an, der an der Ket­te hing, setz­te sich auf den höl­zer­nen Drei­fuß mit dem run­den Sitz da­vor hin und blies ein hel­les Feu­er an. Im Kes­sel fing es an zu sie­den, und un­ten hielt der Alte an ei­ner lan­gen Ei­sen­ga­bel ein großes Stück Käse über das Feu­er und dreh­te es hin und her, bis es auf al­len Sei­ten gold­gelb war. Hei­di hat­te mit ge­spann­ter Auf­merk­sam­keit zu­ge­se­hen; jetzt muss­te ihm et­was Neu­es in den Sinn ge­kom­men sein; auf ein­mal sprang es weg und an den Schrank und von da hin und her. Jetzt kam der Groß­va­ter mit ei­nem Topf und dem Kä­se­bra­ten an der Ga­bel zum Tisch her­an; da lag schon das run­de Brot dar­auf und zwei Tel­ler und zwei Mes­ser, al­les schön ge­ord­net, denn das Hei­di hat­te al­les im Schrank gut wahr­ge­nom­men und wuss­te, dass man das al­les nun gleich zum Es­sen brau­chen wer­de.

»So, das ist recht, dass du selbst et­was aus­denkst«, sag­te der Groß­va­ter und leg­te den Bra­ten auf das Brot als Un­ter­la­ge; »aber es fehlt noch et­was auf dem Tisch.«

Hei­di sah, wie ein­la­dend es aus dem Topf her­vord­ampf­te, und sprang schnell wie­der an den Schrank. Da stand aber nur ein ein­zi­ges Schüs­sel­chen. Hei­di war nicht lang in Ver­le­gen­heit, dort hin­ten stan­den zwei Glä­ser; au­gen­blick­lich kam das Kind zu­rück und stell­te Schüs­sel­chen und Glas auf den Tisch.

»Recht so; du weißt dir zu hel­fen; aber wo willst du sit­zen?« Auf dem ein­zi­gen Stuhl saß der Groß­va­ter selbst. Hei­di schoss pfeil­schnell zum Herd hin, brach­te den klei­nen Drei­fuß zu­rück und setz­te sich drauf.

»Ei­nen Sitz hast du we­nigs­tens, das ist wahr, nur ein we­nig weit un­ten«, sag­te der Groß­va­ter; »aber von mei­nem Stuhl wärst auch zu kurz, auf den Tisch zu lan­gen; jetzt musst aber ein­mal et­was ha­ben, so komm!« Da­mit stand er auf, füll­te das Schüs­sel­chen mit Milch, stell­te es auf den Stuhl und rück­te den ganz nah an den Drei­fuß hin, so­dass das Hei­di nun einen Tisch vor sich hat­te. Der Groß­va­ter leg­te ein großes Stück Brot und ein Stück von dem gol­de­nen Käse dar­auf und sag­te: »Jetzt iss!« Er selbst setz­te sich nun auf die Ecke des Ti­sches und be­gann sein Mit­tags­mahl. Hei­di er­griff sein Schüs­sel­chen und trank und trank ohne Auf­ent­halt, denn der gan­ze Durst sei­ner lan­gen Rei­se war ihm wie­der auf­ge­stie­gen. Jetzt tat es einen lan­gen Atem­zug – denn im Ei­fer des Trin­kens hat­te es lan­ge den Atem nicht ho­len kön­nen – und stell­te sein Schüs­sel­chen hin.

»Ge­fällt dir die Milch?«, frag­te der Groß­va­ter.

»Ich habe noch gar nie so gute Milch ge­trun­ken«, ant­wor­te­te Hei­di.

»So musst du mehr ha­ben«, und der Groß­va­ter füll­te das Schüs­sel­chen noch ein­mal bis oben hin und stell­te es vor das Kind, das ver­gnüg­lich in sein Brot biss, nach­dem es von dem wei­chen Käse dar­auf ge­stri­chen, denn der war, so ge­bra­ten, weich wie But­ter, und das schmeck­te ganz kräf­tig zu­sam­men, und zwi­schen­durch trank es sei­ne Milch und sah sehr ver­gnüg­lich aus. Als nun das Es­sen zu Ende war, ging der Groß­va­ter in den Gei­ßen­stall hin­aus und hat­te da al­ler­hand in Ord­nung zu brin­gen, und Hei­di sah ihm auf­merk­sam zu, wie er erst mit dem Be­sen säu­ber­te, dann fri­sche Streu leg­te, dass die Tier­chen dar­auf schla­fen konn­ten; wie er dann nach dem Schöpf­chen ging ne­ben­an und hier run­de Stö­cke zu­recht­schnitt und an ei­nem Brett her­um­hack­te und Lö­cher hin­ein­bohr­te und dann die run­den Stö­cke hin­ein­steck­te und auf­stell­te; da war es auf ein­mal ein Stuhl, wie der vom Groß­va­ter, nur viel hö­her, und Hei­di staun­te das Werk an, sprach­los vor Ver­wun­de­rung.

»Was ist das, Hei­di?«, frag­te der Groß­va­ter.

»Das ist mein Stuhl, weil er so hoch ist; auf ein­mal war er fer­tig«, sag­te das Kind, noch in tie­fem Er­stau­nen und Be­wun­de­rung.

»Es weiß, was es sieht, es hat die Au­gen am rech­ten Ort«, be­merk­te der Groß­va­ter vor sich hin, als er nun um die Hüt­te her­um­ging und hier einen Na­gel ein­schlug und dort einen und dann an der Tür et­was zu be­fes­ti­gen hat­te und so mit Ham­mer und Nä­geln und Holz­stücken von ei­nem Ort zum an­de­ren wan­der­te und im­mer et­was aus­bes­ser­te oder weg­schlug, je nach dem Be­dürf­nis. Hei­di ging Schritt für Schritt hin­ter ihm her und schau­te ihm un­ver­wandt mit der größ­ten Auf­merk­sam­keit zu, und al­les, was da vor­ging, war ihm sehr kurz­wei­lig an­zu­se­hen.

So kam der Abend her­an. Es fing stär­ker an zu rau­schen in den al­ten Tan­nen, ein mäch­ti­ger Wind fuhr da­her und saus­te und braus­te durch die dich­ten Wip­fel. Das tön­te dem Hei­di so schön in die Ohren und ins Herz hin­ein, dass es ganz fröh­lich dar­über wur­de und hüpf­te und sprang un­ter den Tan­nen um­her, als hät­te es eine un­er­hör­te Freu­de er­lebt. Der Groß­va­ter stand un­ter der Schopf­tür und schau­te dem Kind zu. Jetzt er­tön­te ein schril­ler Pfiff. Hei­di hielt an in sei­nen Sprün­gen, der Groß­va­ter trat her­aus. Von oben her­un­ter kam es ge­sprun­gen, Geiß um Geiß, wie eine Jagd, und mit­ten­drin der Pe­ter. Mit ei­nem Freu­den­ruf schoss Hei­di mit­ten in das Ru­del hin­ein und be­grüß­te die al­ten Freun­de von heu­te Mor­gen einen um den an­de­ren. Bei der Hüt­te an­ge­kom­men, stand al­les still, und aus der Her­de her­aus ka­men zwei schö­ne, schlan­ke Gei­ßen, eine wei­ße und eine brau­ne, auf den Groß­va­ter zu und leck­ten sei­ne Hän­de, denn er hielt ein we­nig Salz dar­in, wie er je­den Abend zum Empfang sei­ner zwei Tier­lein tat. Der Pe­ter ver­schwand mit sei­ner Schar. Hei­di strei­chel­te zärt­lich die eine und dann die an­de­re von den Gei­ßen und sprang um sie her­um, um sie von der an­de­ren Sei­te auch zu strei­cheln, und war ganz Glück und Freu­de über die Tier­chen. »Sind sie un­ser, Groß­va­ter? Sind sie bei­de un­ser? Kom­men sie in den Stall? Blei­ben sie im­mer bei uns?«, so frag­te Hei­di hin­ter­ein­an­der in sei­nem Ver­gnü­gen, und der Groß­va­ter konn­te kaum sein ste­ti­ges »Ja, ja!« zwi­schen die eine und die an­de­re Fra­ge hin­ein­brin­gen. Als die Gei­ßen ihr Salz auf­ge­leckt hat­ten, sag­te der Alte: »Geh und hol dein Schüs­sel­chen her­aus und das Brot.«

Hei­di ge­horch­te und kam gleich wie­der. Nun melk­te der Groß­va­ter gleich von der Wei­ßen das Schüs­sel­chen voll und schnitt ein Stück Brot ab und sag­te: »Nun iss und dann geh hin­auf und schlaf! Die Base Dete hat noch ein Bün­del­chen ab­ge­legt für dich, da sei­en Hemd­lein und so et­was dar­in, das liegt un­ten im Kas­ten, wenn du’s brauchst; ich muss nun mit den Gei­ßen hin­ein, so schlaf wohl!«

»Gut Nacht, Groß­va­ter! Gut Nacht – wie hei­ßen sie, Groß­va­ter, wie hei­ßen sie?«, rief das Kind und lief dem ver­schwin­den­den Al­ten und den Gei­ßen nach.

»Die Wei­ße heißt Schwän­li und die Brau­ne Bär­li«, gab der Groß­va­ter zu­rück.

»Gut Nacht, Schwän­li, gut Nacht, Bär­li!«, rief nun Hei­di noch mit Macht, denn eben ver­schwan­den bei­de in den Stall hin­ein. Nun setz­te sich Hei­di noch auf die Bank und aß sein Brot und trank sei­ne Milch; aber der star­ke Wind weh­te es fast von sei­nem Sitz her­un­ter; so mach­te es schnell fer­tig, ging dann hin­ein und stieg zu sei­nem Bett hin­auf, in dem es auch gleich nach­her so fest und herr­lich schlief, als nur ei­ner im schöns­ten Fürs­ten­bett schla­fen konn­te. Nicht lan­ge nach­her, noch eh es völ­lig dun­kel war, leg­te auch der Groß­va­ter sich auf sein La­ger, denn am Mor­gen war er im­mer schon mit der Son­ne wie­der drau­ßen, und die kam sehr früh über die Ber­ge her­ein­ge­stie­gen in die­ser Som­mers­zeit. In der Nacht kam der Wind so ge­wal­tig, dass bei sei­nen Stö­ßen die gan­ze Hüt­te er­zit­ter­te und es in al­len Bal­ken krach­te; durch den Schorn­stein heul­te und ächz­te es wie Jam­mer­stim­men, und in den al­ten Tan­nen drau­ßen tob­te es mit sol­cher Wut, dass hier und da ein Ast nie­der­krach­te. Mit­ten in der Nacht stand der Groß­va­ter auf und sag­te halb­laut vor sich hin: »Es wird sich wohl fürch­ten.« Er stieg die Lei­ter hin­auf und trat an Hei­dis La­ger her­an. Der Mond drau­ßen stand ein­mal hell leuch­tend am Him­mel, dann fuh­ren wie­der die ja­gen­den Wol­ken dar­über hin und al­les wur­de dun­kel. Jetzt kam der Mond­schein eben leuch­tend durch die run­de Öff­nung her­ein und fiel ge­ra­de auf Hei­dis La­ger. Es hat­te sich feu­er­ro­te Ba­cken er­schla­fen un­ter sei­ner schwe­ren De­cke, und ru­hig und fried­lich lag es auf sei­nem run­den Ärm­chen und träum­te von et­was Er­freu­li­chem, denn sein Ge­sicht­chen sah ganz wohl­ge­mut aus. Der Groß­va­ter schau­te so lan­ge auf das fried­lich schla­fen­de Kind, bis der Mond wie­der hin­ter die Wol­ken trat und es dun­kel wur­de, dann kehr­te er auf sein La­ger zu­rück.

3. Auf der Weide

Hei­di er­wach­te am frü­hen Mor­gen an ei­nem lau­ten Pfiff, und als es die Au­gen auf­schlug, kam ein gol­de­ner Schein durch das run­de Loch her­ein­ge­flos­sen auf sein La­ger und auf das Heu da­ne­ben, dass al­les gol­den leuch­te­te rings­her­um. Hei­di schau­te er­staunt um sich und wuss­te durch­aus nicht, wo es war. Aber nun hör­te es drau­ßen des Groß­va­ters tie­fe Stim­me, und jetzt kam ihm al­les in den Sinn: Wo­her es ge­kom­men war und dass es nun auf der Alm beim Groß­va­ter sei, nicht mehr bei der al­ten Ur­sel, die fast nichts mehr hör­te und meis­tens fror, so­dass sie im­mer am Kü­chen­fens­ter oder am Stu­be­nofen ge­ses­sen hat­te, wo dann auch Hei­di hat­te ver­wei­len müs­sen oder doch ganz in der Nähe, da­mit die Alte se­hen konn­te, wo es war, weil sie es nicht hö­ren konn­te. Da war es dem Hei­di manch­mal zu eng drin­nen, und es wäre lie­ber hin­aus­ge­lau­fen. So war es sehr froh, als es in der neu­en Be­hau­sung er­wach­te und sich er­in­ner­te, wie viel Neu­es es ges­tern ge­se­hen hat­te und was es heu­te wie­der al­les se­hen könn­te, vor al­lem das Schwän­li und das Bär­li. Hei­di sprang ei­lig aus sei­nem Bett und hat­te in we­nig Mi­nu­ten al­les wie­der an­ge­legt, was es ges­tern ge­tra­gen hat­te, denn es war sehr we­nig. Nun stieg es die Lei­ter hin­un­ter und sprang vor die Hüt­te hin­aus. Da stand schon der Gei­ßen­pe­ter mit sei­ner Schar, und der Groß­va­ter brach­te eben Schwän­li und Bär­li aus dem Stall her­bei, dass sie sich der Ge­sell­schaft an­schlos­sen. Hei­di lief ihm ent­ge­gen, um ihm und den Gei­ßen gu­ten Tag zu sa­gen.

»Willst mit auf die Wei­de?«, frag­te der Groß­va­ter. Das war dem Hei­di eben recht, es hüpf­te hoch auf vor Freu­de.

»Aber erst wa­schen und sau­ber sein, sonst lacht einen die Son­ne aus, wenn sie so schön glänzt da dro­ben und sieht, dass du schwarz bist; sieh, dort ist’s für dich ge­rich­tet.« Der Groß­va­ter zeig­te auf einen großen Zu­ber voll Was­ser, der vor der Tür in der Son­ne stand. Hei­di sprang hin und patsch­te und rieb, bis es ganz glän­zend war. Un­ter­des­sen ging der Groß­va­ter in die Hüt­te hin­ein und rief dem Pe­ter zu: »Komm hier­her, Gei­ßen­ge­ne­ral, und bring dei­nen Ha­ber­sack mit.« Ver­wun­dert folg­te Pe­ter dem Ruf und streck­te sein Säck­lein hin, in dem er sein ma­ge­res Mit­ta­ges­sen bei sich trug.

»Mach auf«, be­fahl der Alte und steck­te nun ein großes Stück Brot und ein eben­so großes Stück Käse hin­ein. Der Pe­ter mach­te vor Er­stau­nen sei­ne run­den Au­gen so weit auf als nur mög­lich, denn die bei­den Stücke wa­ren wohl dop­pelt so groß wie die zwei, die er als eig­nes Mit­tags­mahl drin­nen hat­te.

»So, nun kommt noch das Schüs­sel­chen hin­ein«, fuhr der Öhi fort, »denn das Kind kann nicht trin­ken wie du, nur so von der Geiß weg, es kennt das nicht. Du melkst ihm zwei Schüs­sel­chen voll zu Mit­tag, denn das Kind geht mit dir und bleibt bei dir, bis du wie­der her­un­ter­kommst; gib Acht, dass es nicht über die Fel­sen hin­un­ter­fällt, hörst du?« –

Nun kam Hei­di her­ein­ge­lau­fen. »Kann mich die Son­ne jetzt nicht aus­la­chen, Groß­va­ter?«, frag­te es an­ge­le­gent­lich. Es hat­te sich mit dem gro­ben Tuch, das der Groß­va­ter ne­ben dem Was­ser­zu­ber auf­ge­hängt hat­te, Ge­sicht, Hals und Arme in sei­nem Schre­cken vor der Son­ne so er­staun­lich ge­rie­ben, dass es krebs­rot vor dem Groß­va­ter stand. Er lach­te ein we­nig.

»Nein, nun hat sie nichts zu la­chen«, be­stä­tig­te er. »Aber weißt was? Am Abend, wenn du heim­kommst, da gehst du noch ganz hin­ein in den Zu­ber, wie ein Fisch; denn wenn man geht wie die Gei­ßen, da be­kommt man schwar­ze Füße. Jetzt könnt ihr aus­zie­hen.«

Nun ging es lus­tig die Alm hin­an. Der Wind hat­te in der Nacht das letz­te Wölk­chen weg­ge­bla­sen; dun­kel­blau schau­te der Him­mel von al­len Sei­ten her­nie­der, und mit­ten­drauf stand die leuch­ten­de Son­ne und schim­mer­te auf die grü­ne Alp, und alle die blau­en und gel­ben Blüm­chen dar­auf mach­ten ihre Kel­che auf und schau­ten ihr fröh­lich ent­ge­gen. Hei­di sprang hier­hin und dort­hin und jauchz­te vor Freu­de, denn da wa­ren gan­ze Trüpp­chen fei­ner, ro­ter Him­mels­schlüs­sel­chen bei­ein­an­der, und dort schim­mer­te es ganz blau von den schö­nen En­zia­nen, und über­all lach­ten und nick­ten die zart­blät­te­ri­gen, gol­de­nen Cys­tus­röschen in der Son­ne. Vor Ent­zücken über all die flim­mern­den win­ken­den Blüm­chen ver­gaß Hei­di so­gar die Gei­ßen und auch den Pe­ter. Es sprang gan­ze Stre­cken vor­an und dann auf die Sei­te, denn dort fun­kel­te es rot und da gelb und lock­te Hei­di auf alle Sei­ten. Und über­all brach Hei­di gan­ze Scha­ren von den Blu­men und pack­te sie in sein Schürz­chen ein, denn es woll­te sie alle mit heim­neh­men und ins Heu ste­cken in sei­ner Schlaf­kam­mer, dass es dort wer­de wie hier drau­ßen. – So hat­te der Pe­ter heut nach al­len Sei­ten zu gu­cken, und sei­ne ku­gel­run­den Au­gen, die nicht be­son­ders schnell hin und her gin­gen, hat­ten mehr Ar­beit, als der Pe­ter gut be­wäl­ti­gen konn­te, denn die Gei­ßen mach­ten es wie das Hei­di: Sie lie­fen auch da­hin und dort­hin, und er muss­te über­all­hin pfei­fen und ru­fen und sei­ne Rute schwin­gen, um wie­der alle die Ver­lau­fe­nen zu­sam­men­zu­trei­ben.

»Wo bist du schon wie­der, Hei­di?«, rief er jetzt mit ziem­lich grim­mi­ger Stim­me.

»Da«, tön­te es von ir­gend­wo­her zu­rück. Se­hen konn­te Pe­ter nie­mand, denn Hei­di saß am Bo­den hin­ter ei­nem Hü­gel­chen, das dicht mit duf­ten­den Prü­nel­len be­sät war; da war die gan­ze Luft um­her so mit Wohl­ge­ruch er­füllt, dass Hei­di noch nie so Lieb­li­ches ein­ge­at­met hat­te. Es setz­te sich in die Blu­men hin­ein und zog den Duft in vol­len Zü­gen ein.

»Komm nach!«, rief der Pe­ter wie­der. »Du musst nicht über die Fel­sen hin­un­ter­fal­len, der Öhi hat’s ver­bo­ten.«

»Wo sind die Fel­sen?«, frag­te Hei­di zu­rück, be­weg­te sich aber nicht von der Stel­le, denn der süße Duft ström­te mit je­dem Wind­hauch dem Kin­de lieb­li­cher ent­ge­gen.

»Dort oben, ganz oben, wir ha­ben noch weit, drum komm jetzt! Und oben am höchs­ten sitzt der alte Raub­vo­gel und krächzt.«

Das half. Au­gen­blick­lich sprang Hei­di in die Höhe und rann­te mit sei­ner Schür­ze vol­ler Blu­men dem Pe­ter zu.

»Jetzt hast ge­nug«, sag­te die­ser, als sie wie­der zu­sam­men wei­ter­klet­ter­ten; »sonst bleibst du im­mer ste­cken, und wenn du alle nimmst, hat’s mor­gen kei­ne mehr.« Der letz­te Grund leuch­te­te Hei­di ein, und dann hat­te es die Schür­ze schon so an­ge­füllt, dass da we­nig Platz mehr ge­we­sen wäre, und mor­gen muss­ten auch noch da sein. So zog es nun mit dem Pe­ter wei­ter, und die Gei­ßen gin­gen nun alle ge­re­gel­ter, denn sie ro­chen die gu­ten Kräu­ter von dem ho­hen Wei­de­platz schon von fern und streb­ten nun ohne Auf­ent­halt da­hin. Der Wei­de­platz, wo Pe­ter ge­wöhn­lich Halt mach­te mit sei­nen Gei­ßen und sein Quar­tier für den Tag auf­schlug, lag am Fuße der ho­hen Fel­sen, die, erst noch von Ge­büsch und Tan­nen be­deckt, zu­letzt ganz kahl und schroff zum Him­mel hin­auf­ra­gen. An der einen Sei­te der Alp zie­hen sich Fel­senklüf­te weit hin­un­ter und der Groß­va­ter hat­te recht, da­vor zu war­nen. Als nun die­ser Punkt der Höhe er­reicht war, nahm Pe­ter sei­nen Sack ab und leg­te ihn sorg­fäl­tig in eine klei­ne Ver­tie­fung des Bo­dens hin­ein, denn der Wind kam manch­mal in star­ken Stö­ßen da­her­ge­fah­ren, und den kann­te Pe­ter und woll­te sei­ne kost­ba­re Habe nicht den Berg hin­un­ter­rol­len se­hen; dann streck­te er sich lang und breit auf den son­ni­gen Wei­de­bo­den hin, denn er muss­te sich nun von der An­stren­gung des Stei­gens er­ho­len.