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Heidi ist zurückgekehrt zum Alpöhi. Der ist darüber so froh, dass er nach Jahrzehnten zum ersten Mal wieder die Kirche im Dörfli aufsucht, worüber die Dorfbewohner erstaunt, aber erfreut sind. Er setzt sein Haus im Dörfli wieder instand, damit Heidi den Winter dort verbringen und die Schule besuchen kann. Heidi überzeugt den Geissenpeter, lesen zu lernen. Im folgenden Jahr hofft Heidi, dass Klara sie endlich besuchen kann. Aber erst kommt nur der Herr Doktor, um die Lage zu klären. Es gefällt ihm so gut, dass Klara tatsächlich im darauffolgenden Sommer nach einem Kuraufenthalt in Bad Ragaz in die Hütte des Alpöhi darf. Ein Diener trägt sie auf einem Stuhl auf den Berg hinauf ... (aus wikipedia.de)
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Seitenzahl: 188
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Heidi kann brauchen, was es gelernt hat
Johanna Spyri
Inhalt:
Johanna Spyri – Biografie und Bibliografie
Heidi kann brauchen, was es gelernt hat
Reisezurüstungen
Ein Gast auf der Alm
Eine Vergeltung
Der Winter im Dörfli
Der Winter dauert noch fort
Die fernen Freunde regen sich
Wie es auf der Alp weiter geht
Es geschieht, was keiner erwartet hat
Es wird Abschied genommen, aber auf Wiedersehen
Heidi kann brauchen was es gelernt hat, J. Spyri
Jazzybee Verlag Jürgen Beck
Loschberg 9
86450 Altenmünster
ISBN: 9783849625054
www.jazzybee-verlag.de
Jugendschriftstellerin, geb. 12. Juni 1829 als die Tochter des Arztes Heusser und einer poetisch begabten Mutter in dem Dorf Hirzel bei Zürich, verheiratete sich 1852 mit dem Rechtsanwalt S. in Zürich und starb hier 7. Juli 1901. Sie veröffentlichte 1871 ihre früheste Erzählung: »Ein Blatt auf Vronys Grab« (4. Aufl., Brem. 1883), trat aber erst mehrere Jahre später, und nachdem eine Reihe ihrer »Geschichten für Kinder und auch solche, welche Kinder liebhaben« (Gotha 1879–89), Beifall in weitern Kreisen gefunden, mit ihrem Namen vor die Öffentlichkeit. Die Erzählungen Johanna Spyris, durch einen Hauch echter Frömmigkeit erwärmt, zeichnen sich durch Lebensfülle, seine Beobachtung und liebenswürdigen Humor vor der Mehrzahl der Erzählungen dieser Richtung aus. Sie führen die Einzeltitel: »Heimatlos«, »Aus Nah und Fern«, »Heidis Lehr- und Wanderjahre«, »Im Rhonetal«, »Aus unserm Lande«, »Ein Landaufenthalt bei Onkel Titus«, »Kurze Geschichten«, »Geschichten für Jung und Alt«, »Gritli«, »Verschollen, nicht vergessen«, »Artur und Squirrel«, »Aus den Schweizer Bergen«, »Die Stauffermühle« etc. und sind in vielen Auflagen erschienen, auch ins Französische, Englische und Italienische übersetzt.
Der freundliche Herr Doktor, der den Entscheid gegeben hatte, daß das Kind Heidi wieder in seine Heimat zurückgebracht werden sollte, ging eben durch die breite Straße dem Hause Sesemann zu. Es war ein sonniger Septembermorgen, so licht und lieblich, daß man hätte denken können, alle Menschen müßten sich darüber freuen. Aber der Herr Doktor schaute auf die weißen Steine zu seinen Füßen, so daß er den blauen Himmel über sich nicht einmal bemerken konnte. Es lag eine Traurigkeit auf seinem Gesichte, die man vorher nie da gesehen hatte, und seine Haare waren viel grauer geworden seit dem Frühjahr. Der Doktor hatte eine einzige Tochter gehabt, mit der er seit dem Tode seiner Frau sehr nahe zusammen gelebt hatte und die seine ganze Freude gewesen war. Vor einigen Monaten war ihm das blühende Mädchen durch den Tod entrissen worden. Seither sah man den Herrn Doktor nie mehr so recht fröhlich, wie er vorher fast immer gewesen war.
Auf den Zug an der Hausglocke öffnete Sebastian mit großer Zuvorkommenheit die Eingangstür und machte gleich alle Bewegungen eines ergebenen Dieners; denn der Herr Doktor war nicht nur der erste Freund des Hausherrn und dessen Töchterchens, durch seine Freundlichkeit hatte er sich, wie überall, die sämtlichen Hausbewohner zu guten Freunden gemacht.
»Alles beim alten, Sebastian?« fragte der Herr Doktor wie gewohnt mit freundlicher Stimme und ging die Treppe hinauf, gefolgt von Sebastian, der nicht aufhörte, allerlei Zeichen der Ergebenheit zu machen, obschon der Herr Doktor sie eigentlich nicht sehen konnte, denn er kehrte dem Nachfolgenden den Rücken.
»Gut, daß du kommst, Doktor!« rief Herr Sesemann dem Eintretenden entgegen. »Wir müssen durchaus noch einmal die Schweizerreise besprechen, ich muß von dir hören, ob du unter allen Umständen bei deinem Ausspruche bleibst, auch nachdem nun bei Klärchen entschieden ein besserer Zustand eingetreten ist.«
»Mein lieber Sesemann, wie kommst du mir denn vor?« entgegnete der Angekommene, indem er sich zu seinem Freunde hinsetzte. »Ich möchte wirklich wünschen, daß deine Mutter hier wäre; mit der wird alles gleich klar und einfach und kommt ins rechte Geleise. Mit dir aber ist ja kein Fertigwerden. Du lässest mich heute zum drittenmale zu dir kommen, damit ich dir immer noch einmal dasselbe sage.«
»Ja, du hast recht, die Sache muß dich ungeduldig machen; aber du mußt doch begreifen, lieber Freund« – und Herr Sesemann legte seine Hand wie bittend auf die Schulter seines Freundes –, »es wird mir gar zu schwer, dem Kinde zu versagen, was ich ihm so bestimmt versprochen hatte und worauf es sich nun monatelang Tag und Nacht gefreut hat. Auch diese letzte schlimme Zeit hat das Kind so geduldig ertragen immer in der Hoffnung, daß die Schweizerreise nahe und es seine Freundin Heidi auf der Alp besuchen könne; und nun soll ich dem guten Kinde, das ja sonst schon so vieles entbehren muß, die langgenährte Hoffnung mit einemmal wieder durchstreichen – das ist mir fast nicht möglich.«
»Sesemann, das muß sein«, sagte sehr bestimmt der Herr Doktor, und als sein Freund stillschweigend und niedergeschlagen da saß, fuhr er nach einer Weile fort: »Bedenke doch, wie die Sache steht: Klara hat seit Jahren keinen so schlimmen Sommer gehabt, wie dieser letzte war; von einer so großen Reise kann keine Rede sein, ohne daß wir die schlimmsten Folgen zu befürchten hätten. Dazu sind wir nun in den September eingetreten, da kann es ja noch schön sein oben auf der Alp, es kann aber auch schon sehr kühl werden. Die Tage sind nicht mehr lang, und oben bleiben und da die Nächte zubringen, kann Klara doch nun gar nicht; so hätte sie kaum ein paar Stunden oben zu verweilen. Der Weg von Bad Ragaz dort hinauf muß ja schon mehrere Stunden dauern, denn zur Alp hinauf muß sie entschieden im Sessel getragen werden. Kurz, Sesemann, es kann nicht sein! Aber ich will mit dir hineingehen und mit Klara reden, sie ist ja ein vernünftiges Mädchen, ich will ihr meinen Plan mitteilen. Im kommenden Mai soll sie erst nach Ragaz hinkommen; dort soll eine längere Badekur unternommen werden, so lange, bis es hübsch warm wird oben auf der Alp. Dann kann sie dort von Zeit zu Zeit hinaufgetragen werden, da wird sie diese Bergpartien, erfrischt und gestärkt, wie sie dann sein wird, ganz anders genießen, als es jetzt geschähe. Du begreifst auch, Sesemann, wenn wir noch eine leise Hoffnung für den Zustand deines Kindes aufrecht erhalten wollen, so haben wir die äußerste Schonung und die sorgfältigste Behandlung zu beobachten.«
Herr Sesemann, der bis dahin schweigend und mit dem Ausdrucke trauriger Ergebung zugehört hatte, fuhr jetzt auf einmal empor:
»Doktor!« rief er aus, »sag es mir ehrlich: Hast du wirklich noch Hoffnung auf eine Änderung dieses Zustandes?«
Der Herr Doktor zuckte die Achseln. »Wenig«, sagte er halblaut. »Aber komm, denk einmal einen Augenblick an mich, lieber Freund! Hast du nicht ein liebes Kind, das nach dir verlangt und sich auf deine Heimkehr freut, wenn du weg bist? Nie mußt du in ein verödetes Haus zurückkehren und dich allein an deinen Tisch hinsetzen. Und dein Kind hat's auch gut daheim. Muß es auch vieles entbehren, das andere genießen können, so ist es in manch anderem auch vor vielen bevorzugt. Nein, Sesemann, ihr seid nicht so sehr zu beklagen, ihr habt es doch recht gut, so zusammen zu sein; denk an mein einsames Haus!«
Herr Sesemann war aufgestanden und ging nun mit großen Schritten im Zimmer auf und ab, wie er immer zu tun pflegte, wenn ihn irgendeine Sache stark beschäftigte. Auf einmal stand er vor seinem Freunde still und klopfte ihm auf die Schulter.
»Doktor, ich habe einen Gedanken: Ich kann dich nicht so sehen, du bist ja gar nicht mehr der Alte. Du mußt ein wenig aus dir heraus, und weißt du, wie? Du sollst die Reise unternehmen und das Kind Heidi auf seiner Alp besuchen in unser aller Namen.«
Der Herr Doktor war sehr überrascht von dem Vorschlage und wollte sich dagegen wehren, aber Herr Sesemann ließ ihm keine Zeit. Er war so erfreut und erfüllt von seiner neuen Idee, daß er den Freund unter den Arm faßte und nach dem Zimmer seines Töchterchens hinüberzog. Der gute Herr Doktor war für die kranke Klara immer eine erfreuliche Erscheinung, denn er hatte sie von jeher mit einer großen Freundlichkeit behandelt und ihr jedesmal, wenn er kam, etwas Lustiges und Erheiterndes zu erzählen gewußt. Warum er das jetzt nicht mehr konnte, wußte sie wohl und hätte so gern ihn wieder froh gemacht. Sie streckte ihm gleich die Hand entgegen und er setzte sich zu ihr hin. Herr Sesemann rückte seinen Stuhl auch heran, und indem er Klara bei der Hand faßte, fing er an, von der Schweizerreise zu reden und wie er sich selbst darauf gefreut hatte. Über den Hauptpunkt aber, daß sie nun unmöglich mehr stattfinden könne, glitt er eilig hinweg, denn er fürchtete sich ein wenig vor den kommenden Tränen. Dann ging er schnell auf den neuen Gedanken über und machte Klara darauf aufmerksam, wie wohltätig es für ihren guten Freund wäre, wenn er diese Erholungsreise unternehmen würde.
Die Tränen waren wirklich aufgestiegen und schwammen in den blauen Augen, wie sehr sich auch Klara Mühe gab, sie niederzudrücken, denn sie wußte, wie ungern der Papa sie weinen sah. Aber es war auch hart, daß nun alles aus sein sollte, und den ganzen Sommer durch war die Aussicht auf die Reise zum Heidi ihre einzige Freude und ihr Trost gewesen in all den langen, einsamen Stunden, die sie durchlebt hatte. Aber Klara war nicht gewohnt, zu markten, sie wußte recht gut, daß der Papa ihr nur versagte, was zum Bösen führen würde und darum nicht sein durfte. Sie schluckte ihre Tränen hinunter und wandte sich nun der einzigen Hoffnung zu, die ihr blieb. Sie nahm die Hand ihres guten Freundes und streichelte sie und bat flehentlich:
»O bitte, Herr Doktor, nicht wahr, Sie gehen zum Heidi und dann kommen Sie mir alles zu erzählen, wie es ist dort oben und was das Heidi macht und der Großvater und der Peter und die Geißen, ich kenne sie alle so gut! Und dann nehmen Sie mit, was ich dem Heidi schicken will; ich habe schon alles ausgedacht und auch etwas für die Großmutter. Bitte, Herr Doktor, tun Sie's doch; ich will auch gewiß unterdessen Fischtran nehmen, so viel Sie nur wollen.«
Ob dieses Versprechen der Sache den Ausschlag gab, kann man nicht wissen, aber es ist anzunehmen, denn der Herr Doktor lächelte und sagte:
»Dann muß ich ja wohl gehen, Klärchen, so wirst du uns einmal rund und fest, wie wir dich haben wollen, Papa und ich. Und wann muß ich denn reisen, hast du das schon bestimmt?«
»Am liebsten gleich morgen früh, Herr Doktor«, entgegnete Klara.
»Ja, sie hat recht«, fiel hier der Vater ein; »die Sonne scheint, der Himmel ist blau, es ist keine Zeit zu verlieren, für jeden solchen Tag ist es schade, den du noch nicht auf der Alp genießen kannst.«
Der Herr Doktor mußte ein wenig lachen: »Nächstens wirst du mir vorwerfen, daß ich noch da bin, Sesemann; so muß ich wohl machen, daß ich fort komme.«
Aber Klara hielt den Aufstehenden fest; erst mußte sie ihm ja noch alle Aufträge an das Heidi übergeben und ihm noch so vieles anempfehlen, das er recht betrachten und ihr dann davon erzählen sollte. Die Sendung an das Heidi konnte ihm erst später zugeschickt werden, denn Fräulein Rottenmeier mußte erst alles verpacken helfen; sie war aber eben auf einer ihrer Wanderungen durch die Stadt begriffen, von denen sie nicht so schnell zurückkehrte.
Der Herr Doktor versprach, alles genau auszurichten, die Reise, wenn nicht am Morgen früh, so doch wo möglich noch im Laufe des folgenden Tages anzutreten und dann bei seiner Heimkehr getreulich Bericht zu erstatten über alles, das er gesehen und erlebt haben würde.
Die Diener eines Hauses haben oft eine merkwürdige Gabe, die Dinge zu erfassen, die im Hause ihrer Herren vor sich gehen, lange bevor diese dazu kommen, ihnen Mitteilung davon zu machen. Sebastian und Tinette mußten diese Gabe in hohem Grade besitzen, denn eben, als der Herr Doktor, von Sebastian begleitet, die Treppe hinunterging, trat Tinette ins Zimmer der Klara ein, die nach dem Mädchen geschellt hatte.
»Holen Sie diese Schachtel voll ganz frischer, weicher Kuchen, wie wir sie zum Kaffee haben, Tinette«, sagte Klara und deutete auf die Schachtel hin, die schon lange bereit gestanden hatte. Tinette erfaßte das bezeichnete Ding an einer Ecke und ließ es verächtlich an ihrer Hand baumeln; unter der Tür sagte sie schnippisch:
»Es ist wohl der Mühe wert.«
Als der Sebastian unten mit gewohnter Höflichkeit die Tür aufgemacht hatte, sagte er mit einem Bückling:
»Wenn der Herr Doktor wollten so freundlich sein und dem Mamsellchen auch einen Gruß vom Sebastian bestellen.«
»Ah, sieh da, Sebastian«, sagte der Herr Doktor freundlich; »so wissen Sie denn auch schon, daß ich reise?«
Sebastian mußte ein wenig husten:
»Ich bin – ich habe – ich weiß selbst nicht mehr recht – ach ja, jetzt erinnere ich mich: Ich bin eben zufällig durch das Eßzimmer gegangen, da habe ich den Namen des Mamsellchens aussprechen gehört und wie es so geht, man hängt dann so einen Gedanken an den andern an und so – und in der Weise –«
»Ja wohl, ja wohl«, lächelte der Herr Doktor, »und je mehr Gedanken einer hat, je mehr wird er inne. Auf Wiedersehen, Sebastian, der Gruß wird bestellt.«
Jetzt wollte der Herr Doktor rasch durch die offene Haustür enteilen, aber er traf auf ein Hindernis: der starke Wind hatte Fräulein Rottenmeier verhindert, ihre Wanderung weiter fortzusetzen; eben war sie zurückgekehrt und wollte ihrerseits durch die offene Tür eintreten. Der Wind hatte ihr weites Tuch, in das sie sich gehüllt hatte, aber dergestalt aufgebläht, daß es gerade so anzusehen war, als habe sie die Segel aufgespannt. Der Herr Doktor wich augenblicklich zurück. Aber gegen diesen Mann hatte Fräulein Rottenmeier von jeher eine besondere Anerkennung und Zuvorkommenheit an den Tag gelegt. Auch sie wich mit ausgesuchter Höflichkeit zurück und eine Weile standen die beiden mit rücksichtsvoller Gebärde da und machten einander gegenseitig Platz. Jetzt aber kam ein so starker Windstoß, daß Fräulein Rottenmeier auf einmal mit vollen Segeln gegen den Doktor heranflog. Er konnte eben noch ausweichen; die Dame aber wurde noch ein gutes Stück über ihn hinausgetrieben, so daß sie wieder zurückkehren mußte, um nun den Freund des Hauses mit Anstand zu begrüßen. Der gewalttätige Vorgang hatte sie ein wenig verstimmt, aber der Herr Doktor hatte eine Art und Weise, die ihr gekräuseltes Gemüt bald glättete und eine sanfte Stimmung darüber verbreitete. Er teilte ihr seinen Reiseplan mit und bat sie in der einnehmendsten Weise, ihm die Sendung an das Heidi so zu verpacken, wie nur sie zu packen verstehe. Dann empfahl sich der Herr Doktor.
Klara erwartete, daß sie erst einige Kämpfe mit Fräulein Rottenmeier zu bestehen haben würde, bevor diese ihre Zustimmung zum Absenden all der Gegenstände geben werde, die Klara für das Heidi bestimmt hatte. Aber diesmal hatte sie sich getäuscht: Fräulein Rottenmeier war ausnehmend gut gelaunt. Sogleich räumte sie alles weg, was auf dem großen Tische lag, um die Dinge alle, die Klara zusammengebracht hatte, darauf auszubreiten und dann vor ihren Augen die Sendung zu verpacken. Es war keine leichte Arbeit, denn die Gegenstände, die da zusammengerollt werden sollten, waren vielgestaltig. Erst kam der kleine dicke Mantel mit der Kapuze, den Klara für das Heidi ausgesonnen hatte, damit es im kommenden Winter die Großmutter besuchen konnte, wann es wollte, und nicht warten mußte, bis der Großvater kommen konnte und es dann in den Sack eingewickelt werden mußte, damit es nicht erfriere. Dann kam ein dickes, warmes Tuch für die alte Großmutter, damit sie sich darin einhülle und nicht frieren müsse, wenn der Wind wieder so schaurig um die Hütte klappern würde. Dann kam die große Schachtel mit den Kuchen; die war auch für die Großmutter bestimmt, daß sie zu ihrem Kaffee auch einmal etwas anderes als ein Brötchen zu essen habe. Jetzt folgte eine ungeheure Wurst; die hatte Klara ursprünglich für den Peter bestimmt, weil er doch nie etwas anderes als Käse und Brot bekam. Aber sie hatte sich jetzt anders besonnen, denn sie fürchtete, der Peter könnte vor Freuden die ganze Wurst auf einmal aufessen. Darum sollte die Mutter Brigitte diese bekommen und erst für sich und die Großmutter einen guten Teil davon nehmen und dem Peter den seinigen in verschiedenen Lieferungen abgeben. Jetzt kam noch ein Säckchen Tabak; der war für den Großvater, der ja so gern ein Pfeifchen rauchte, wenn er am Abend vor der Hütte saß. Zuletzt kam noch eine Anzahl geheimnisvoller Säckchen, Päckchen und Schächtelchen, welche Klara mit besonderer Freude zusammengekramt hatte, denn da sollte das Heidi allerhand Überraschungen finden, die ihm große Freude machen würden. Endlich war das Werk beendet und ein stattlicher Ballen lag reisefertig an der Erde. Fräulein Rottenmeier schaute darauf nieder, in tiefsinnige Betrachtungen über die Kunst zu packen versunken. Klara ihrerseits warf Blicke froher Erwartung darauf hin, denn sie sah das Heidi vor sich, wie es vor Überraschung in die Höhe springen und aufjauchzen würde, wenn das ungeheure Paket bei ihm anlangte.
Jetzt trat Sebastian herein und hob mit einem starken Schwung den Ballen auf seine Schulter, um ihn unverzüglich nach dem Hause des Herrn Doktors zu spedieren.
Das Frührot glühte über den Bergen und ein frischer Morgenwind rauschte durch die Tannen und wogte die alten Äste mächtig hin und her. Das Heidi schlug seine Augen auf, der Ton hatte es erweckt. Dieses Rauschen packte das Heidi immer im Innersten seines Wesens und zog es mit Gewalt hinaus unter die Tannen. Es schoß von seinem Lager auf und hatte kaum Zeit, sich fertig zu machen; das mußte aber doch sein, denn Heidi wußte nun recht gut, daß man immer sauber und ordentlich aussehen muß.
Jetzt kam es von dem Leiterchen herunter; des Großvaters Lager war schon leer; es sprang hinaus. Draußen vor der Tür stand der Großvater und schaute den Himmel an nach allen Seiten hin, wie er jeden Morgen tat, um zu sehen, wie der Tag werden wollte.
Es zogen rosige Wölkchen oben hin und mehr und mehr blaute der Himmel und drüben floß es wie lauter Gold über die Höhen und das Weideland, denn eben kam droben die Sonne über die hohen Felsen heraufgestiegen.
»O wie schön! O wie schön! Guten Tag, Großvater!« rief das Heidi heranspringend.
»So, sind deine Augen auch schon hell?« gab der Großvater zurück, dem Heidi die Hand zum Morgengruß hinhaltend.
Jetzt lief das Heidi unter die Tannen und hüpfte vor Freuden über das Tosen und Sausen da droben unter den wogenden Ästen herum und bei jedem neuen Windstoß und lauten Wipfelbrausen jauchzte es auf vor Wonne und sprang noch ein wenig höher.
Unterdessen war der Großvater zum Stall hingegangen und hatte dem Schwänli und Bärli die Milch abgenommen; dann hatte er beide schön geputzt und gewaschen zur Bergreise und brachte sie nun auf den Platz heraus. Als das Heidi seine Freunde erblickte, kam es herangesprungen und faßte sie beide um den Hals, begrüßte sie zärtlich, und sie meckerten fröhlich und zutraulich, und jede von den Geißen wollte dem Heidi mehr Zuneigung beweisen und drückte ihren Kopf noch immer näher an seine Schultern heran, so daß es zwischen den zweien fast zerdrückt wurde. Aber das Heidi hatte keine Furcht, und wenn das lebhafte Bärli gar zu arg bohrte und drängte mit seinem Kopfe, dann sagte das Heidi: »Nein, Bärli, du stoßest ja wie der große Türk«, und augenblicklich zog Bärli seinen Kopf zurück und stellte sich ganz anständig hin, und das Schwänli hatte auch schon seinen Kopf in die Höhe gereckt und machte eine vornehme Gebärde, so daß man deutlich sehen konnte, es dachte bei sich: »Das soll mir denn keiner nachsagen, daß ich mich benehme wie der Türk.« Denn das schneeweiße Schwänli war noch ein wenig vornehmer als das braune Bärli.
Jetzt hörte man von unten herauf die Pfiffe des Peter ertönen, und bald kamen sie heraufgesprungen, die lustigen Geißen alle, voran der flinke Distelfink in hohen Sprüngen. Gleich war das Heidi wieder mitten in dem Rudel drin und vor lauter stürmischen Begrüßungen wurde es hin- und hergeschoben und dann schob es wieder ein wenig; denn es wollte zu dem schüchternen Schneehöppli vordringen, das ja von den größeren immer wieder weggedrängt wurde, wenn es dem Heidi entgegenstrebte.
Nun kam der Peter heran und tat einen letzten, fürchterlichen Pfiff, der sollte die Geißen aufscheuchen und der Weide zujagen, denn er wollte Platz bekommen, um dem Heidi etwas zu sagen. Die Geißen sprangen ein wenig auseinander auf den Pfiff hin; so konnte der Peter vorrücken und sich nun vor das Heidi hinstellen.
»Du kannst einmal wieder mitkommen heut'«, war seine etwas störrige Anrede.
»Nein, das kann ich nicht, Peter«, entgegnete das Heidi. »Jeden Augenblick können sie jetzt von Frankfurt kommen und dann muß ich daheim sein.«
»Das hast du schon manchmal gesagt«, brummte der Peter.
»Es gilt aber immer noch und es gilt, bis sie kommen«, gab das Heidi zurück. »Oder meinst du etwa, ich müsse nicht daheim sein, wenn sie von Frankfurt zu mir kommen? Meinst du etwa so etwas, Peter?«
»Sie können zum Öhi kommen«, versetzte der Peter knurrend.
Jetzt ertönte von der Hütte her die kräftige Stimme des Großvaters:
»Warum geht's nicht vorwärts mit der Armee? Fehlt's am Feldmarschall, oder an den Truppen?«
Augenblicklich machte der Peter Kehrum, schwang seine Rute in der Luft, daß sie sauste und alle Geißen, die den Ton wohl kannten, auf und davon rannten, der Peter hinter ihnen drein, alle miteinander in vollem Trab den Berg hinan. –
Seit das Heidi wieder daheim beim Großvater war, kam ihm hier und da etwas in den Sinn, woran es vorher nicht gedacht hatte. So machte es jetzt alle Morgen mit großer Anstrengung sein Bett zurecht und strich so lange daran herum, bis es ganz glatt aussah. Dann lief es in der Hütte hin und her, stellte jeden Stuhl an seinen Ort, und was etwa da und dort herumlag oder -hing, das kramte es alles in einen Schrank hinein. Dann holte es einen Lappen herbei, kletterte auf einen Stuhl hinauf und rieb so lange mit seinem Lappen auf dem Tische herum, bis dieser ganz blank war. Wenn dann der Großvater wieder hereinkam, schaute er wohlgefällig um sich und sagte etwa: »Bei uns ist's jetzt immer wie Sonntag, das Heidi ist nicht vergebens in der Fremde gewesen.«