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Sommer 1993. Der graublaue Ford Escort Diesel wurde gemütlich beladen, dann machte Andreas Deffner sich auf den Weg nach Griechenland. Sein Ziel war das Fischerdorf Toló auf der Peloponnes. Was er bei der Abfahrt nicht ahnte: Er sollte dort seine "zweite Heimat" finden. Seitdem verbringt er, wann immer möglich, seine Freizeit in Hellas. Jedes Mal wird es für ihn zu einem "Nachhausekommen". Das Land und seine Einwohner hat er ins Herz geschlossen. Bei jeder Rück-kehr nach Toló scheinen die Sirenen auf offener See zu rufen: Kalós írthes Andréas! Und er, wie einst Odysseus, ruft zurück: Ellada, s´agapó! Griechenland, ich liebe dich! "Heimathafen Hellas" ist eine Liebeserklärung an ein Land, das von Sonne, Meer und Lebensfreude lebt. In 22 Kapiteln aus 22 Jahren Griechenlanderfahrung berichtet der Autor von wahren Geschichten rund ums Meer: Von seinem ersten Besuch bei Poseidons Sohn Perikles, über Fahrten an Bord von Käpt´n Stavros Schiff bis hin zum morgendlichen Sportprogramm an Aristides´ Strandkiosk - aus Zeiten, als Griechenland wirtschaftlich boomte bis mitten in die aktuelle Finanzkrise. Eine Odyssee mit lustigen, traurigen und unglaublichen Erlebnissen, Rezepten zum Nachkochen und Genießen. Ein Urlaubsbuch für Griechenlandversteher und solche, die es werden wollen.
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Seitenzahl: 302
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Andreas Deffner
Ελλάδα σ’ αγαπώ
Abenteuer, Alltag und Krisein Griechenland
PROLOG
MIT DEM FORD NACH GRIECHENLAND
Ein schweißtreibendes Abenteuer quer durch Europa
ANKUNFT IN TOLÓ
Planlos in die Argólis
TAVÉRNA »TO NÉON«
Herzlich willkommen im Paradies!
ATHEN – TOLÓ MIT KTEL & CO.
Im Biotop der legendären Überlandbusse
KLEINE FISCHE, GROßE FISCHE – MIT TINTE UND OHNE
Der todesmutige Comic-Kalmar
KÄPT’N STAVROS AUF GROßER FAHRT
Boston-Piräus auf gut Glück
TAXIFAHRER TASSOS MACHT TEMPO
Ein Shuttle-Service nach griechischer Art
MIT KÄPT’N STAVROS NACH MÉTHANA
Auf den Spuren der Vorfahren
PRAKTIKUM IM FABELLAND
»So funktioniert doch keine Verwaltung!«
RALLY TOLÓ – STOÚPA
Ausflug mit Hindernissen
DER OUZO IST DES SEEMANNS FREUND
Käpt’n Stavros geht baden
TEUFLISCH LECKER FISCH, VOM BODEN AUF DEN TISCH
Poseidons Dreizack in Menschenhand
KÄPT’N STAVROS AUF KLASSENFAHRT
Endstation Rómvi
PFEIFEN-GEÓRGIOS’ VOGELPARADIES
Der Paradiesbaumkleber und Olivenholzschnitzer
GEHEILIGT WERDE DER FAGRÍ!
Vassilis, der Fischer von Gottes Gnaden
FISCHESUCHEN AUF RÓMVI
Ein delfinierter Kräutertag wird Dorfgespräch
MOTORSCHADEN AUF THEO’S PLACE II
Verwicklungen der besonderen Art
DER DEUTSCHE FISCH
Die ägäische Merkelmakrele
BARRENTURNEN MIT BODENKONTAKT
Wildwestromantik nach Mitternacht
FISCH UND FAKELÁKI
Die Rente ist sicher!
NEULANDGEWINNUNG UND GELDVERSCHWENDUNG
Wirre Gedanken rund ums Meer
SENDESCHLUSS AM BÜDCHEN
Zwischen Poseidon und Períptero
EPILOG
QUELLENANGABEN
Für
Oma Vagelió,
Opa Aristides,
Perikles,
Irini,
Stavros
und die gesamte Toló-Familie
»JUNGE, DU BIST IN TOLÓ GROSS GEWORDEN!«
Vagelió Niotis
Καλώς ήϱθατε στó Toλó!
Herzlich Willkommen in Toló!
Meine zweite Heimat ist das Fischerdorf Toló auf der Peloponnes. Seit über zwanzig Jahren verbringe ich unendlich gerne meine Freizeit dort. Wenn ich morgens aufwache und aus dem Fenster blicke, sehe ich die aufgehende Sonne, die feuerrot aus der Weite des ägäischen Meeres emporsteigt. Spiegelglatt das Meer, glasklar die Luft. Fischer, die über Nacht auf hoher See ihre Netze ausgeworfen haben, kehren in ihren Kaíkis heim, gefolgt von einem Schwarm Möwen, die satte Beute wittern. Jede von ihnen trägt ihre eigene kleine Geschichte.
Die kleinen Geschichten des Alltags sind es, die mich, seit ich zum ersten Mal einen Fuß auf griechischen Boden gesetzt habe, faszinieren. Vom Kafeneíon am Morgen bis zur Bouzouki-Bar in der Nacht: Die Griechen lieben es zu erzählen, zu diskutieren oder auch mal zu flunkern. Einige dieser Geschichten und meiner Erlebnisse von 1993 bis 2014 finden sich auf den folgenden Seiten. Die Kapitel zu diesem Buch entstanden in den Jahren 2013 bis 2014. Aus der Erinnerung aufgeschrieben, aber die Geschichten noch so präsent, als wären sie erst gestern geschehen. Die Geschehnisse haben sich tatsächlich zugetragen, auch wenn ich vielleicht an der einen oder anderen Stelle zur besseren Verständlichkeit leicht abgewichen bin. Die Zitate sind nach bestem Wissen und Gewissen wiedergegeben, soweit mir dies nach der langen Zeit möglich war.
Meine Griechenlandleidenschaft begann im Sommer 1993. Damals reiste ich mit meinem Freund »Finne« das erste Mal nach Hellas. Wir nahmen das Auto und von Italien die Fähre. Und genau so will ich Sie jetzt auch mitnehmen nach Toló, in das kleine Fischerdorf, das nach all den Jahren zu meiner zweiten Heimat geworden ist.
Steigen Sie ein, schalten Sie die Klimaanlage an und lassen Sie sich mitnehmen auf eine lange, lange Reise …
Andreas Deffner,
Januar 2015
Sommer 1993. Der graublaue Ford Escort Diesel war gemütlich beladen, als wir uns auf den Weg machten. Meinen Freund Finne, der eigentlich wie ich Andreas mit Vornamen heißt, holte ich auf dem Weg zur Autobahn in Kirchhellen ab. Von dem kleinen Dorf am Rande des Münsterlandes aus, lagen jetzt noch genau 2.587 Kilometer vor uns. Die Anzahl der Musikkassetten auf den Ablageflächen des Ford versprach jedoch eine kurzweilige Reise. Von allem war etwas dabei. Eine Kassette mit bunter Gute-Laune-Musik, die Best-of-Hits des Frühjahrs ’93, REM, U2, Fury in the Slaughterhouse, Fischer-Z und viele andere. Eine alte, mehrfach überspielte Kassette stellte jedoch alles andere in den Schatten. Der Radio-Livemitschnitt eines Helge-Schneider-Konzerts, das der WDR kurz vor unserer Abfahrt gesendet hatte. Das Band wurde unsere Lieblingsunterhaltung. Wir hörten es stundenlang, immer wieder, und irgendwann hatten wir Angst, dass das alte Tape sich auflösen könnte. Doch es hielt. Wir liebten das Absurde. Aus den Lautsprechern drang wieder und wieder Helge Schneiders verzerrte Stimme. Ich glaube, wir konnten damals die komplette Aufnahme mitsprechen. Kleine Kostprobe?
»Aus weißem Porzellan ist mein Gesicht. Doch wer wirklich unter der Gummiglatze schwitzt, interessiert kein Mensch. Mit dickem, rotem Lippenstift ist mir ein lustiger Clownsmund gemalt, ungefähr so groß wie Leber. Und auch die Schuhe. Riesengroße Schuhe. Schuhgröße 100, 1.000 sogar. Doch müssen die Schuhe wirklich so groß sein? Zwei ganze Kühe mussten dafür verreisen. Eine längere Reise antreten, und sich dann selbst vernähen.«
In Italien würden wir die Fähre nach Griechenland nehmen. Wie oft man bis dort wohl Helge Schneider hören könnte? Bis zum Hafen von Ancona lagen gut 1.400 Kilometer vor uns. Die Kassette lief schon, bevor wir auf die Autobahn auffuhren. Es war ein heißer Sommertag, als ich den Ford Escort auf die A2 lenkte. In kurzen Hosen und T-Shirts saßen wir in dem Kleinwagen, der damals üblicherweise von Rentnern gefahren wurde. Meiner war Baujahr 1986. Natürlich ohne Klimaanlage. Das hatten damals nur die wirklich teuren Autos. Am Autobahnkreuz Breitscheid taten uns vom Mitlachen mit Helge Schneider die Bauchmuskeln weh und spätestens am Kreuz Köln-West waren die ersten T-Shirts durchgeschwitzt. Was für ein Sommer! Ich hatte erst vor wenigen Wochen mein Abitur bestanden und Finne, der ein Jahr nach mir seine Reifeprüfung ablegen sollte, hatte gerade den Beginn seiner letzten Sommerferien gefeiert. Grund genug also für eine fröhliche Urlaubsreise. Während jedoch die meisten unserer Freunde Pauschalurlaub auf Mallorca, ein Ferienhaus in Frankreich oder Camping an der Nordsee gebucht hatten, bevorzugten wir eine Variante, die den meisten anderen verrückt vorkam.
Wir kannten unser Ziel, zumindest ungefähr, und wir hatten ein Fährticket Italien-Griechenland. Bis zum Hafen in Italien würden wir es Dank des exklusiven Kartenmaterials des ADAC sicher schaffen, doch was würde uns in Griechenland erwarten? Von unserem Lehrer Stefan Geyr hatten wir die Wegbeschreibung ab dem Hafen von Patras dabei. Ein kleines Stück Papier, auf dem ich sicherheitshalber notiert hatte, was er mir vor seiner Abreise erzählt hatte – er würde uns mit seiner Familie in Toló erwarten. Bei seinem Freund Perikles habe er ein Doppelzimmer für uns reserviert. Stefan war bis zum Abitur mein Leistungskurslehrer Kunst gewesen. Wir »Künstler« waren freundschaftlich miteinander verbandelt, wir duzten uns mit unserem Lehrer und einige wenige pflegten sogar eine private Freundschaft. Ebenso ich, und dementsprechend verließ ich mich gutgläubig auf Stefans Reiseroute. Die Wegbeschreibung auf meinem Zettel:
»Nationalstraße Patras-Korinth
Von Korinth über die Landstraße (E95) Richtung Argós
Von Argos nach Náfplion
Von Náfplion nach Toló
In Toló am Hafen parken und am Strand entlanggehen, bis zur Taverne von Perikles«
Finne runzelte die Stirn, als er diesen Zettel sah.
»Und du meinst, wir finden die da?«
»Stefan hat zu mir gesagt, wir sollen einfach am Strand entlang gehen, dann würden wir sie schon sehen. Sie würden den ganzen Tag im Schatten auf der Terrasse dieser Taverne sitzen oder im Meer direkt davor baden«, antwortete ich. »Ach ja, und Stefan sagt, falls wir sie nicht finden, sollen wir einfach irgendwen nach Perikles fragen. Den kennen angeblich alle da in Toló.«
»Dann kann ja nix mehr schief gehen!«
Und zur Abwechslung schob Finne eine andere Kassette in das Autoradio. Haddaway trällerte uns seinen Sommerhit entgegen und unsere gute Laune stieg noch weiter. Wir müssen wirklich verrückt gewesen sein. Damals.
Mit gemütlicher Geschwindigkeit, Haddaway und Helge Schneider hörend, fuhren wir zunächst in Richtung Schweiz. Der Escort verbrauchte erfreulich wenig Sprit und schonte so unsere schmale Urlaubskasse. Der kleine Dieselmotor mit seinen 54 PS kam mit 4,5 Litern auf 100 Kilometern aus. Bald schon würden wir Italien erreichen. Die Stimmung stieg stetig. Vor dem – immerhin siebzehn Kilometer langen – Gotthardtunnel war das Wetter so grandios, dass wir kurzerhand beschlossen den Tunnel zu »umfahren«. Zeit hatten wir genug, der Tank war noch ordentlich mit Diesel versorgt, so dass wir die Einfahrt in die Tunnelröhre verweigerten und stattdessen den Wagen auf die Passstraße lenkten. Die eindrucksvolle Alpenlandschaft faszinierte uns fast so sehr wie die Kassette, die wieder einmal Helge Schneider spielte. Erst spät bemerkten wir, dass der stetige Anstieg zum Gotthard-Pass den Escort durstiger gemacht hatte als es auf gleicher, ebener Strecke üblich war. Die Tankanzeige fiel bedrohlich schnell. Wir hielten Ausschau nach einer Tankstelle. Kilometer um Kilometer. Nichts! Bereits vor Erreichen des Passes hatte der Motor in manchen Kurven Aussetzer. Bergab wurden diese erst seltener, bevor sie irgendwann regelmäßiger wiederkehrten. Erstaunlich, wie sparsam der Diesel dann bergab fuhr. Ewigkeiten schon schien die Tanknadel »leer« anzuzeigen, und doch erreichten wir am Fuße des Berges kurz hinter dem Gotthardtunnel wieder die Autobahn. Das erste, das uns ins Auge stach, war ein Hinweisschild auf die nächste Raststätte mit Tankstelle. Und genau unter diesem Schild kam der Escort dann nach langer Stotterfahrt zum finalen Stehen. Absolute Leere im Tank. Ausgesaugt bis auf den letzten Tropfen. Ausgequetscht wie ein Pickel. So entleert, wie wahrscheinlich weltweit noch nie ein Tank gewesen war. Vakuumiert. In diesem Moment musste ich an die Worte meines Vaters denken, als er mir den gebrauchten Escort gekauft hatte: »Fahr einen Diesel niemals ganz leer. Dann muss der Tank entlüftet werden. Das ist super-aufwendig und kostet ’ne Menge.« Sollte unsere Griechenlandreise schon in der Schweiz beendet sein?
Da es damals noch keine Mobiltelefone gab – zumindest hatten wir noch keine – marschierten wir zur nächsten Notrufsäule. Die freundlichen Helfer vom Schweizer Automobilclub versprachen, umgehend einen Wagen zu schicken. So warteten wir – zunächst noch entspannt – auf die gelben Engel des Alpenlandes. Nach weit über einer Stunde warteten wir immer noch, und langsam half auch die Helge-Schneider Kassette nicht mehr, die gute Laune aufrecht zu erhalten. Nach einem weiteren Kontakt über die Notrufsäule versicherte man uns, dass die Hilfe nun sehr bald eintreffen würde. Über zwei Stunden später war es dann tatsächlich soweit. Jetzt begann das große Bangen, vermuteten wir doch, der Escort müsste abgeschleppt und kostspielig in der Werkstatt repariert werden. Zu unserer großen Überraschung waren die Schweizer Automobilclubhelfer jedoch wahre Götter. Der mitgebrachte Fünf-Liter-Kanister mit Diesel wurde eingefüllt und nach einiger Zeit, und zugegeben vielen Angst einflößenden Anlassversuchen, tackerte der Diesel wieder unter der Haube. Ein schweizer Wunder! Zwanzig Schweizer Franken mussten wir für die Ersatzkanisterfüllung an die gelben Engel zahlen. Relativ viel, wenn man bedenkt, dass Diesel damals nur rund 1 DM pro Liter kostete. Doch wir waren erleichtert. Und die Alpenengel gaben uns zum Abschied den Tipp: »Fahrt den Tank das nächste Mal nicht ganz leer!« Ich fühlte mich an meinen Vater erinnert.
Als wir einen Tag später den Escort in den Bauch der Fähre nach Griechenland fuhren, hatten wir es fast geschafft. Jetzt würde uns zumindest der Ford nicht daran hindern, das ersehnte Hellas zu erreichen.
Das Parkmanöver im Unterdeck des riesigen Fährschiffs von Strintzis-Lines war ein Erlebnis. Viele hundert Autos parkten bereits dicht an dicht, LKW reihten sich an- und nebeneinander und wurden mit starken Ketten befestigt. Ein griechischer Einweiser bedeutete uns, den Escort in eine winzige Parklücke zwischen zwei Stahlträgern zu parken. Völlig unmöglich jedoch, da die Parklücke viel zu eng war. Maximal so groß wie der Escort lang, mutmaßte ich. Der Einweiser wurde schnell ungeduldig, als ich ihm versuchte zu sagen, dass die Lücke nicht ausreichend wäre. Papperlapapp! Er griff kurzerhand durch die offene Scheibe zum Lenkrad und sagte in gebrochenem Englisch:
»Jetzt Rückwärtsgang rein, und dann das machen, was ich sage! Do what I say!«
Widerrede zwecklos. Ich versuchte noch einen Schulterblick, doch er bestand vehement darauf, dass ich ausschließlich auf ihn und seine Anweisungen achten sollte. Ich kurbelte minutenlang am Lenkrad, wie ein Dreher an seiner Werkbank. Eine Servolenkung hatte der Escort übrigens nicht und so wurden meine Arme schwerer und schwerer. »Muskelkater ahoi!«, dachte ich. Schweiß stand auf meiner Stirn, als der Einweiser nach einiger Zeit signalisierte, ich möge aufhören. Hatte ich ja gleich gesagt, dass die Lücke zu klein sei. »Aussteigen!«, befahl der Grieche. Erst jetzt begriff ich, was geschehen war. Es war einfach nicht zu fassen. Ich stand noch lange mit Finne staunend neben dem Wagen, der nun exakt seitlich in die Parklücke geschoben worden zu sein schien. Ich schwöre, es waren vorne und hinten jeweils maximal zwei Zentimeter Luft zwischen Stahlträgern und Stoßstangen. Wir vermuteten, zu Hause in Athen würden sie den Einweiser den »Parkgott von Piräus« nennen.
Mit Isomatten und Schlafsäcken ausgestattet, gingen wir an Deck der Fähre. Wir hatten die billige Deckpassage gebucht. Trotz der damals noch 38 Stunden langen Überfahrt waren wir sicher, eine gemütliche Reise würde uns bevorstehen. Vorweg: Die Hinfahrt wurde zäh und unendlich lang. Am Abend legte die Fähre ab. Kurz darauf saßen wir auf dem oberen Achterdeck, hatten unsere Schlafsäcke mittig an der Reling ausgebreitet und sahen zu, wie am Horizont im Sonnenuntergang Italien verschwand. Im Duty-Free-Shop hatten wir eine Flasche Ouzo gekauft. Mit Plastikbechern und Eiswürfeln von der Poolbar, saßen wir noch lange an Deck und staunten, wie salzig-klebrig die Seeluft wurde. Wir waren glücklich, den vermeintlich besten Platz an Deck erhascht zu haben. Irgendwann fielen wir in unseren Schlafsäcken in einen tiefen Schlaf, aus dem uns am nächsten Morgen die Deckarbeiter rissen, die mit Schrubbern bewaffnet die Morgenschicht antraten. Die erste Nacht war überstanden. Eine zweite lag noch vor uns, und ein ganzer Tag. Wir pulten uns aus den Schlafsäcken und blickten uns dann wie zwei Trottel an. Ja, der Ausblick war fantastisch von hier, aber die riesigen Abgastürme der Fähre hatten Stunde um Stunde ihre Rußpartikel über uns ausgespuckt. Partikel ist vielleicht auch nicht der richtige Begriff für die groben, schwarzen Brocken, die der Fahrtwind direkt in der Mitte des Achterdecks abgelegt hatte. So, als hätte jemand riesige Zeitungsbündel im offenen Feuer verbrannt und in die Glut gepustet. Nur schienen die Schiffsdieselabgaspartikel dicker, fester und klebriger als verbranntes Papier. Die Deckarbeiter begannen mühsam zu schrubben und forderten uns schon bald mit einem breiten Grinsen auf ihren Gesichtern auf, unsere Schlafsäcke zur Seite zu legen. Zäh muss man sein, wenn man zwei Nächte auf den harten Metallböden einer Adriafähre übernachtet. Besonders, wenn eine davon einem Rußbad glich. Trotz allem war es auch ein tolles Erlebnis, unter der schmierigen Außendusche den Abgasschmutz abzuwaschen, um sofort danach nach einem sicheren Platz für die nächste Nacht zu suchen. Es wurde schließlich ein gemütlicher, überdachter Schlafplatz am Seiteneingang und dennoch kamen uns die restlichen Stunden der Überfahrt wie eine Ewigkeit vor.
Hausgemachte LimonadeΣπιτική λεμονάδα
Zutaten:
1 l kaltes Mineralwasser mit Kohlensäure, Saft von 3 Zitronen (Bio), Schale von 1 Zitrone, 1 Zitrone in Scheiben geschnitten, 10 Minzblätter, ca. 20 Eiswürfeln, 1 Tasse Beeren (Johannisbeeren, Heidelbeeren, halbierte Erdbeeren, Himbeeren, Brombeeren)
Zubereitung:
Eiswürfel, Zitronensaft, Zitronenschale, Zitronenscheiben und Minzblätter in eine große Kanne geben. Mit dem Wasser auffüllen und umrühren. Hohe Gläser mit Eiswürfeln, Zitronenscheiben, Beeren und Strohhalme vorbereiten. Mit Limonade füllen und gleich servieren.
Tipp:
Fügen Sie verschiedene Zitrusfrüchte in Scheiben geschnitten in die Kanne und die Gläser und überraschen Sie Ihre Gäste mit verschiedenen Variationen. Eiswürfel, Minzblätter und Früchte im Glas sorgen für Aufmerksamkeit.
Nach der zweiten Nacht auf der Fähre waren wir ungemein müde. Das Schiff legte gegen fünf Uhr am Morgen in Patras an, dementsprechend kurz war die Ruhephase in den von der Salzwasserluft schmierig-klebrigen Schlafsäcken, an denen hier und da noch immer Rußpartikelreste klebten. Schon kurze Zeit später saßen wir wieder im Escort und fuhren über das riesige Stahlmaul der Fähre auf den Hafenkai. Griechenland! Was für ein Augenblick. Wir hatten es tatsächlich geschafft. Zumindest bis nach Patras, wo wir nun hundemüde im Ford hingen und uns nach einem Kaffee sehnten. Also lautete die Devise: Den schäbigen Hafen schnell verlassen und dann umgehend ein Café suchen. In einem Vorort von Patras entdeckten wir um kurz nach sechs Uhr am Morgen einen Laden, der für uns so aussah, als ob man hier einen Kaffee kaufen könnte. Wir betraten zum ersten Mal in unserem Leben ein echtes Kafeneíon. Die griechischen Schriftzeichen über dem Eingang (καφενείον) konnten wir nicht entziffern. Wir betraten einen kahlen Raum mit einfachen Blechtischen und Korbstühlen. Ein Fernseher flimmerte in einer Ecke, ein alter Mann saß rauchend daneben. Ein älterer Herr kam hinter einer holzvertäfelten Theke hervor und sprach uns freundlich an. Doch das, was uns der Wirt auf Griechisch entgegenrief, konnten wir nicht verstehen. Achselzuckend versuchten wir zu erklären, dass wir Kaffee wollten. »Nescafé, Nescafé?«, fragte der Wirt immer wieder, aber wir schüttelten nur die Köpfe. »Richtigen Kaffee bitte!« Dann ging er. Kopfschüttelnd.
Wir setzten uns an einen der wackeligen Korbstühle. Todmüde und kaffeedurstig sahen wir uns mit müden Augen in dem kleinen Café um. An den Wänden hingen alte Schwarz-Weiß-Fotos von Männern in Kafeneíons und Fischern am Strand. Aus dem Fernseher war das Durcheinander einer morgendlichen Nachrichtendiskussionsrunde zu hören, von der wir kein Wort verstanden. Wir fühlten uns in einer fremden Welt, in der nach nur wenigen Minuten der bekannte Wirt erschien. Er trug ein orientalisch anmutendes, goldfarbenes Tablett. Drei gedrehte Metallstreben ragten von diesem in die Höhe und bildeten in der Mitte, etwa dreißig Zentimeter oberhalb der Ablagefläche, eine Trageöse an der Herr Kafétzis – der Herr Kaffeemann – das Tablett lässig an einer Hand durch den Laden baumelte. Mit freundlichen Worten stellte er uns zwei kleine Espressotassen auf den Tisch, die nach frischem Kaffee dufteten. Sehen konnten wir das heiß ersehnte Schwarze jedoch nicht. Ein bizarr anmutender, dichter Schaum, dessen winzige Bläschen gold-blau schimmerten, bedeckte das Getränk. Außerdem fanden zwei gefüllte Wassergläser neben den Kaffeetässchen Platz auf dem Metalltischchen. Wer hätte gedacht, dass wir diese so schnell benötigen würden.
Finne war noch gieriger als ich, und führte seine Kaffeetasse blitzschnell an die Lippen. Ein Wunder, dass er dabei nichts verschüttete, denn die beiden Tässchen waren randvoll. Ich erinnere mich nur noch, dass ich bereits Finnes zu einer Grimasse verzerrtes Gesicht sah, als auch ich schon meinen Kaffee mit einem großen Schluck in meinem Rachen versenkte. Terra cotta – verbrannte Erde, war das erste, was mir dazu einfiel. Eine kaum zu schluckende, krisselige Masse bahnte sich ihren langsamen Weg meinen Rachen hinab. Wie Sandpapier schmirgelte der »Kaffee« die Innenwände meiner Speiseröhre. An Finnes Blick erkannte ich sofort, dass ihm Gleiches passiert sein musste. Wir spuckten und husteten, und während wir hastig mit dem Wasser nachspülten, ging der Wirt keck grinsend zu dem alten rauchenden Mann in der Ecke, der verschreckt ob unseres Röchelns aufsah. Der Wirt brabbelte ihm etwas zu, dann fingen beide aus vollem Herzen an zu lachen. Uns dämmerte, dass uns irgendein Fehler beim Trinken des Kaffees unterlaufen sein musste. Gleichzeitig ärgerten wir uns, dass wir das offenbar gut gemeinte Angebot des Wirtes, uns Nescafé zu bringen, nicht angenommen hatten.
Erst später erfuhren wir, dass man uns den so köstlichen griechischen Mokka, den Ellinikó, serviert hatte. Wir haben uns den gesamten Urlaub nicht mehr an einen solchen herangetraut. Dabei hätten wir nur etwas warten müssen, bis sich der Kaffeesatz auf den Grund der Tasse abgesetzt hätte. Perikles brachte mir zwei, drei Jahre später bei, wie man den original griechischen Kaffee exzellent zubereitet. Hier die Variante métrio – mittelsüß:
In ein Briki, den langstieligen kleinen Kaffeetopf, gibt man einen halben Teelöffel Zucker, 1 ½ Teelöffel griechisches, feingemahlenes Kaffeepulver und so viel Wasser, wie in eine der kleinen Mokkatässchen passt. Über der allerkleinsten Flamme eines Gaskochers wird das Briki so lange geschwenkt, bis der Kaffee anfängt zu kochen und plötzlich schäumend aufsteigt. In dem Moment, in dem der Kaffeeschaum gerade den Rand des Brikis erreicht, das Töpfchen schnell von der Flamme nehmen und den Kaffee in die bereitgestellte Mokkatasse gießen. Jetzt, und das ist ganz wichtig, warten, bis sich der Kaffeesatz abgesetzt hat! Fünf Minuten sind auf jeden Fall ausreichend.
Nach unserem frühmorgendlichen Erlebnis in einem wildfremden Land, mit so seltsamen Kaffeeaufguss-Eigenarten, waren wir zwar nicht ausgeruht, dafür aber hellwach. Vom Kafeneíon aus fanden wir schnell die Nationalstraße Richtung Korinth. Zum Glück sind die Straßenschilder in Griechenland abwechselnd mit griechischen Buchstaben (Κόϱινθος) und mit lateinischen Lettern (Kórinthos) beschrieben. So folgten wir der Küstenstraße am nördlichen Rand der Peloponnes bis nach Korinth, wo wir uns erneut auf die Hinweisschilder mit den lateinischen Buchstaben konzentrierten. Den Abzweig nach Argos fanden wir ebenso leicht. Die Straße führte uns zwischen Bergen, Weiden und Feldern hindurch. Es wurde immer einsamer, ländlicher, verlassener. Alle paar hundert Meter kreuzte die Straße die Bahngleise der Peloponnes-Eisenbahn. Gut, dass mich Stefan vor den Bahnübergängen gewarnt hatte. Etwas schneller als mit Schrittgeschwindigkeit überfuhren wir das erste Mal die schmalen, alten Gleise. Es riss uns fast die Achsen weg und im Inneren des Wagens hatten wir Mühe die umherfliegenden Musikkassetten einzufangen. Die nächsten Bahnübergänge querten wir daher in angemessenem Tempo. Fast stehend! Weiter und weiter schlängelte sich die Straße an Weinreben, Feldern und verlassenen Bahnhöfen entlang und immer wieder diese verdammten Schienen, über die die Straße regelmäßig geführt wurde. Manchmal beschrankt, manchmal nicht, häufig aber nur mit einem Signallicht und einer halben, weil abgebrochenen oder abgefahrenen Schranke. Wir wähnten uns auf der Straße ins Nirgendwo. Als wir nach einiger Zeit bereits zweifelten, ob wir noch auf dem richtigen Weg seien, sahen wir ein altes, rostiges Schild mit der kaum noch lesbaren Aufschrift: »Argos«.
Als wir endlich die Hauptstadt der Präfektur Argólis erreichten, wurde es knifflig. Um die Mittagszeit herrschte in der Kreisstadt mit den engen Gassen hektisches Treiben, und Autos und Mopeds drängelten sich durchs Gewühl. Wir ließen uns einfach vom Verkehr mitreißen und landeten wider Erwarten auf der Straße Richtung Náfplion. Eine breite, befahrene Straße, die zwischen Feldern, Brachflächen und Wiesen einer Ebene hindurchführt. Es herrschte reges Treiben. Gut gefüllte Busse der KTEL, der griechischen Überlandbusgesellschaft, drängelten wild hupend von hinten, am Straßenrand tummelten sich Mopeds mit ihren Ein- bis Viermann-Besatzungen, natürlich alle ohne Helm, und nicht nur wegen der fehlenden Mittelstreifen überholten PKW und LKW gleichermaßen keck mal links, mal ganz links oder eben rechts. An die vorgeschriebene Geschwindigkeitsbegrenzung schien sich niemand zu halten, und das, obwohl mindestens alle fünfhundert Meter gleich mehrere Schilder Tempo 50 km/h anpriesen. Wie durch ein Wunder gelangten wir unfallfrei bis Náfplion, wo wir von dem überwältigenden ersten Eindruck des Blickes auf das Palamídi empfangen wurden. Die Festungsanlage aus dem 18. Jahrhundert thronte erhaben auf einer Anhöhe oberhalb der Stadt. Wir beschlossen spontan, Náfplion in den nächsten Tagen einen ausgiebigen Besuch abzustatten. Jetzt aber wollten wir erstmal nur noch nach Toló. Die verbleibenden gut zehn Kilometer bis zu unserem Ziel schafften wir in Windeseile. Wir hatten uns inzwischen an die griechisch-anarchische Fahrweise angepasst. Bei Temperaturen knapp unter 40 Grad Celsius schmolzen wir im Ford langsam dahin. Der Fahrtwind, der durch die maximal geöffneten Fenster hereinwehte, erinnerte mich an den heimischen Fön im Badezimmer. Als wir um die letzte Kurve vor Toló bogen, lag das antike Asíni in Sichtweite, aber den ersten Blick auf die Bucht von Toló werde ich niemals vergessen. Die Straße führte uns auf einer kleinen Anhöhe direkt an den Felsen der Küste entlang. Vor uns lag die sichelförmige Bucht mit ihrem großen weißen Sandstrand, den zwei vorgelagerten Inselchen und dem kleinen Hafen. Es herrschte reger Badebetrieb. Fröhlich tanzten Luftmatratzen auf den Wellen des türkisblauen Meeres, schaukelten Fischerboote gemütlich im Takt der sanften Dünung und planschten Kinder, Eltern und Großeltern einträchtig im kühlen Nass. Das Paradies. Wir hatten es gefunden!
Als wir durch die enge, mit Autos, Mopeds und Menschen zum Bersten gefüllte Dorfstraße rollten, sahen wir uns verdutzt an. Hatte Stefan nicht von einem idyllisch-gemütlichen Fischerdorf gesprochen? Als wir schließlich im dichten Verkehr steckenblieben, waren wir sicher, das Dorfende und somit den Hafen erreicht zu haben. Den Wagen parkten wir irgendwo im chaotischen Gewühl und machten uns auf, Stefan zu suchen. Der Strand lag in Sichtweite links der Straße und so sollten wir es also bald schaffen, Perikles’ Taverne zu finden. Strandbars, Cafés und Tavernen die ihre Tische und Stühle direkt am Meer auf den feinen Sandstrand aufgestellt hatten, so weit das Auge reichte. Eines neben dem anderen. Nachdem wir an etwa zehn Tavernen erfolglos nach Stefan und den Seinen Ausschau haltend vorbeigelaufen waren, blieb uns nur zu fragen: »We are looking for the Taverna of Perikles«, fragten wir einen Griechen nach dem anderen. Nichts. Hatten wir uns etwa im Ort geirrt?
Ich merkte, wie Finne unruhig wurde. »So kommen wir nicht weiter«, sagte er plötzlich und ging entschlossen auf den nächsten Griechen zu. »Wo bitte finden wir den Hafen?«, fragte er auf Englisch den nächstbesten Kellner einer Strandtaverne.
»Ach, der ist am anderen Ende des Dorfes.«
Nach der ernüchternden Antwort des Kellners begaben wir uns umgehend zurück zum Auto. Zumindest wussten wir jetzt, dass wir uns erstens an der falschen Ecke Tolós befanden, und dass zweitens Perikles zumindest am Ortseingang nicht jedem Griechen bekannt war.
Wieder im Auto staunten wir zunächst über die Backofentemperatur, und kurze Zeit später fuhren wir in Schrittgeschwindigkeit wieder über die Dorfstraße. Hinter einer scharfen S-Kurve veränderte sich das Erscheinungsbild Tolós. Nun wirkte es dörflicher, gemütlicher. Die Ansicht der Gebäudefronten wechselte hinter der Kurve von großen, mehrgeschossigen Hotelfronten zu eingeschossigen Ladengeschäften, Souvenirshops und hübschen Cafés. Über die Dorfstraße, die Sekeri-Straße, ging es noch einen Kilometer in Schrittgeschwindigkeit, bis wir endlich den Hafen erreichten. Hier endete die Straße an einem großen Parkplatz, der bereits nahezu komplett mit PKW und Bussen gefüllt war. Pittoresk lag der kleine Hafen mit den vielen Fischerbooten und den zwei großen Ausflugsschiffen vor uns. Die Sonne brannte gnadenlos von einem stahlblauen Himmel, wie es ihn wohl nur in Griechenland gibt, und gegenüber des Hafens lag die Insel Rómvi mit ihren sattgrünen Pinien und dem kleinen Kiesstrand. Hatte uns der erste Anblick auf die Bucht von Toló fasziniert, so waren wir nun vollends begeistert. Das Ortsende von Toló übertraf unsere kühnsten Vorstellungen. Und als wir am Strand den ersten Griechen nach Perikles fragten, wusste dieser sofort Bescheid.
»Gleich da vorne ist es, ihr seid fast da!«, rief er uns freundlich zu und brachte ein großes kühles Bier zu einem englischen Touristen, der gut gerötet auf einer Sonnenliege halb am Strand, halb im Wasser lag. Durstig wankten wir weiter.
Kaffee mit Schaum – Nescafé
Zutaten:
1 hohe Kaffeetasse, 2 TL Zucker, 1 TL Instantkaffeepulver (Nescafé), eventuell ein Schuss Milch (10-prozentige Kondensmilch), heißgekochtes Wasser, Schaum-Mixer
Zubereitung:
Das Instantkaffeepulver mit dem Zucker und einem Fingerbreit Wasser in die Tasse geben und mit Hilfe des Schaum-Mixers (z.B. ein kräftiger Milchaufschäumer) zu einem festen Schaum mixen. Mit einem Schuss Milch und heißem Wasser auffüllen, bis der Schaum über den Rand der Tasse hochsteigt. Mit Löffelchen, einem separaten Glas kaltem Wasser und einigen Keksen servieren. Langsam, sehr langsam genießen.
Von der gemütlichsten Terrasse Tolós winkte uns, mit weit ausholenden Armbewegungen, plötzlich Stefan entgegen. Er trug Badehose und einen Strohhut. Entspannt saß er auf einem alten blauen Korbstuhl an einem wackeligen Tisch mit blau-weiß karierter Tischdecke im Schatten unter den sechs Bäumen, die die Terrasse zum Strand hin begrenzten. Über sechs kleine Stufen einer gut einen Meter hohen und ebenso breiten Treppe, die vom Strand mittig auf die Terrasse führte, erreichten auch wir das rettende schattige Plätzchen. Es war heiß, selbst hier unter den Bäumen, aber der angenehme Südwind der über das Meer auf die Bucht von Toló blies, kühlte unsere geschwitzte Haut und das Wiedersehen mit Stefan rundete den famosen Gesamteindruck ab. Nun kam auch Uschi, Stefans Frau, zu uns gelaufen und aus dem zehn Meter entfernten Meer stiegen noch rasch die Söhne Robin und Dennis. Mindestens genauso herzlich empfing uns auch Perikles, der freudig aus der Taverne sprintete. Wir sahen ihn zum ersten Mal und fühlten uns gleich wohl und vertraut in diesem Urlaubstraum rund und um die »Tavérna To Néon«.
»Herzlich Willkommen im Paradies!«, rief er uns entgegen, als er die drei Stufen vom Gastraum auf die Terrasse herab zu fliegen schien. Dann stand der Anfang 30-Jährige mit stattlicher Figur, mit blankem Oberkörper und hoher Stirn vor uns, drückte uns kräftig die Hände und fuhr mit einem schelmischen Grinsen über den Rand seiner getönten Brille hinweg fort: »Ich bin Perikles, der Sohn des Poseidon.«
Seit 1950 existiert die Εξοχεική Ταβέϱνα To Νέον (Exochikí Tavérna To Néon), die »Landgaststätte zum Neuen«, die Perikles’ Eltern direkt am Strand errichtet haben. Vater Aristides war Fischer und der fangfrische Fisch wurde täglich von seiner Frau Vagelió ausgenommen, gebraten und gegrillt. Während uns Stefan kühles, stilles Mineralwasser aus der Quelle des Kurortes Loutráki in der Nähe von Korinth brachte, stellte uns Perikles, der ›Sohn des Poseidon‹, seinen wahren Eltern vor. Auch Aristides besaß eine hohe Stirn, deren Ränder mit grauem Haar geschmückt waren. Er saß in einer besonnen, lässigen Art, den Kopf auf die rechte Hand gestützt, an einem Tisch an der Hauswand und betrachtete in aller Seelenruhe das muntere Treiben auf seiner mit großen hellen Marmorfliesen plattierten Terrasse. Auf dem Tisch vor ihm lag eine modische Baseballkappe, die er zum Schutz vor der gleißenden Sonne trüge, würde er sich aus dem Schatten fortbewegen. Mir gefiel sein Lausbubengrinsen besonders. Es ist selten bei 70-Jährigen. Seine Frau Vagelió war im Vorraum der Küche damit beschäftigt, grüne Bohnen zu schnippeln. Sie begrüßte uns unendlich herzlich mit ihrer schrillen hochtönenden Stimme, die an eine angenehme Sirene erinnerte. Ein ungemein sympathisches Ehepaar, das wir umgehend in unsere Herzen schlossen.
»Ihr wollt jetzt sicher erstmal im Meer baden«, sagte Perikles zu uns und las uns förmlich unseren heimlichen Wunsch von den Lippen ab. »Kommt! Wir bringen schnell eure Taschen aufs Zimmer.« Rasch erklärte er uns, wie wir mit dem Wagen vom Hafen direkt zur Taverne fahren könnten. Und nur wenige Minuten später nahm er uns wieder an der kleinen schlechtbetonierten Straße mit dem so hübsch klingenden Namen Tsouderou-Straße in Empfang. Sie führte von der Hauptstraße, der Sekeri-Straße, hinab ans Meer und endete als »Sackgasse« auf dem Strand direkt neben der »Tavérna To Néon«. Die Tsouderou-Straße war jetzt im Sommer, um die Mittagszeit, hoffnungslos überfüllt und randvoll zugeparkt.
Perikles riss uns von diesem sagenhaften Anblick fort und zeigte uns noch schnell, wo wir auf dem Flur die zwei Toiletten und Duschen finden würden, dann verschwand er hastig. Seine Gäste riefen bereits nach ihm und seine Mutter Vagelió daraufhin am lautesten. »Perikliiiiii. Perikliiiiii!«, schrillte es durch die Taverne, über die Terrasse und durch halb Toló.
Die Temperatur in unserem frisch bezogenen Zimmer, schien inzwischen auf geschätzte 60 Grad angestiegen zu sein. Da half nur eins: Schnell raus aus den Klamotten, Badehosen an und ab ins Meer! Zwei Minuten später stiegen wir ins erfrischend kühle Nass der Badewanne vor der Tür. Stefan, der nun ebenfalls badete, sagte: »Das Meer hat 29 Grad Wassertemperatur. Herrlich, oder?« Paradiesisch. Poseidon, der Gott des Meeres, hatte es angenehm für uns hergerichtet.
»Jetzt im August baden sogar die Griechen im Meer. Vorher ist es den allermeisten zu kalt.« Das fröhliche Lachen planschender einheimischer und fremder Kinder war zu hören, am Himmel kreischten einzelne Möwen über den heimkehrenden Fischerbooten und in den Bäumen zirpten die Zikaden. Dieses Idyll wurde plötzlich durch ein plärrendes Hupen gestört. Ein verbeulter blauer Toyota Pick-up war die Tsouderou-Straße in Richtung Strand heruntergefahren und parkte nun direkt hinter meinem Escort. Ein wildes Gekeife drang durch das geöffnete Seitenfenster. Ein unzubändigendes Hupen brüllte über den Strand, über das Meer; vermutlich sogar bis hinüber in die Türkei. Und als das Tier hinterm Steuer ausstieg, ahnte ich nichts Gutes. Ein englisches Nummernschild und ein wuchtiger Lockenkopf als Fahrer, dessen Augen zu glühen schienen, ließen Schlimmes erwarten. Die Statur eines Preisboxers kombiniert mit dem wilden Blick eines britischen Hooligans nach einem verlorenen Heimspiel. Weglaufen, so schnell wie möglich den Ford umparken oder so tun als sei es nicht unser?
»Nicht so schnell«, sagte Stefan. »Das ist nur Jannis. Ihm gehört das Wassersportzentrum hier nebenan. Der kann ruhig mal etwas warten.« Dann ging er sanften Schrittes an Land und schlurfte gemächlich zu Jannis hinüber. Während der lockige Wassersportchef weiterhin seine Pranke durch das offene Fenster zum Dauerhupen auf das Lenkrad legte, sprach Stefan ihn an. Wir konnten leider nichts verstehen, blickten aber gespannt hinüber. Der kräftige Jannis stand, seinen Bierbauch der Sonne entgegengestreckt, da und hörte sich an, was Stefan zu sagen hatte. Auf seiner Knollennase glänzte eine hochmoderne Sonnenbrille mit orangefarbenen Gläsern, wie sie damals weltweit im Teleshop auf RTL und SAT1 angeboten wurde. Gar nicht mondän, stattdessen deutlich grimmig, blickte Jannis, nachdem Stefan zu Ende geredet hatte, zu uns herüber. Mit erhobenem Zeigefinger blaffte er Stefan noch einmal an, dann verschwand er in seiner typischen storchartig-kopfnickenden Gangart zu seinem »Watersportscenter Poseidon«. Es lag im übernächsten Haus neben der Taverne von Perikles und hatte ebenfalls eine Terrasse mit direktem Strandzugang. Dort herrschte reger Betrieb. Viele jugendliche Touristen, hauptsächlich Briten, tranken hier Bier und Cola und warteten darauf, dass die beliebten Plätze auf der Wasserbanane, auf den Ringos, den aufblasbaren Ringen, die hinter dem Motorboot rasend schnell übers Wasser gezogen werden, oder beim Paragliding frei werden würden. Jannis’ Wassersportgeschäft schien prächtig zu laufen. Ich hingegen war sicher, dass ich niemals bei diesem Griesgram ein Boot ausleihen oder Surfen lernen würde.
Als Stefan zu uns ins Meer zurückkehrte, waren wir gespannt wie Flitzebögen. Sein guter Rat: »Nehmt euch vor Jannis in Acht, er kann ganz schön aufbrausend sein. Ich hab ihm gesagt, dass ihr euren Wagen gleich wegfahren werdet.« Dann erfuhren wir noch, dass der Wassersport-Hai mit einer Engländerin verheiratet war, dass der Toyota Gerüchten zufolge in Großbritannien gestohlen worden sein sollte und dass Jannis die öffentliche Straße und den angrenzenden Strand offenbar als sein Eigentum betrachtete, auf dem er tun und lassen konnte, was er wollte. Hätte Stefan uns auch erzählt, dass er selbst einmal in eine handfeste Schlägerei mit Jannis verwickelt wurde, bei dem es ebenfalls um einen falsch geparkten Wagen – nämlich Stefans! – gegangen war, wäre ich sicher sofort zu meinem Escort gelaufen, um ihn umgehend umzuparken. So jedoch ließen wir uns zunächst von der Sonne trocknen, bevor ich die Autoschlüssel holte. Jannis hatte schon auf mich gewartet. Er grummelte etwas Unverständliches in meine Richtung, bevor er den Toyota gerade soweit zurücksetzte, dass ich den Ford ganz knapp aus der Gefahrenzone lenken konnte. Nur einen Augenblick später parkte der angeblich gestohlene britische Pick-up an der Stelle, wo eben noch der weitgereiste Escort stand. Was tut man nicht alles für eine gute Völkerverständigung
Nach einem weiteren Bad im Meer und nachdem sich die Aufregung der Ankunft gelegt hatte, war es Zeit für einen Mittagsschlaf. Gegen 17 Uhr wurde es ruhig auf der Terrasse der Taverne.