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Wir befinden uns im Jahre 2018. Die Krise hat Griechenland immer noch fest im Griff. Ganz Griechenland? Nein! Eine Gruppe junger Unternehmer leistet mit innovativen Ideen Widerstand und gibt die Hoffnung nicht auf. In seinem neuesten Buch "Made in Greece" besucht Andreas Deffner tüchtige Geschäftsmänner und -frauen, Familienbetriebe und Startup-Firmen und erfährt, dass seine Wahlheimat weit mehr zu bieten hat als Ouzo und Ziegenkäse. Ein liebevolles Porträt über Chancen und Sorgen, Gastfreundschaft und Filotimo! Andreas Deffner ist der Griechenland-Experte schlechthin: Seit mehr als fünfundzwanzig Jahren fährt er in die Hellenische Republik und kennt sie in- und auswendig. Sein liebstes Ziel und Ausgangspunkt dieses Buches ist dabei Toló, das kleine Fischerdörfchen auf der Peloponnes. Natürlich gibt es auch ein Wiedersehen mit seinem langjährigen Freund Perikles Niotis, besser bekannt als "Sohn des Poseidon", doch in dieser Anthologie werden auch zahlreiche neue Freundschaften geknüpft und fremde Wege eingeschlagen. Wie gewohnt bestechen die wahren Erzählungen durch feinen Humor, eine genaue Beobachtungsgabe und entwaffnende Herzlichkeit. Und wieder mit dabei: die besten Rezepte zum Nachkochen!
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Seitenzahl: 248
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Die Deutsche Nationalbibliothek – CIP-Einheitsaufnahme.
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet dieses Buch in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Erste Auflage 2019© Größenwahn Verlag Frankfurt am Main, Frankfurt 2019www.groessenwahn-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
ISBN: 978-3-95771-250-9
eISBN: 978-3-95771-249-3
Andreas Deffner
Abenteuer, Alltag und Krise in Griechenland
IMPRESSUM
Made in GreeceHellas Reihe
AutorAndreas Deffner
SeitengestaltungGrößenwahn Verlag Frankfurt am Main
SchriftenConstantia
CovergestaltungMarti O´Sigma
BilderFotos: © Andreas Deffner, wenn nicht anders angegeben.
CoverbildMarti O´Sigma
LektoratNina Rothe, Bianca Ungar
Druck und BindungPrint Group Sp. z. o. o. Szczecin (Stettin)
Größenwahn Verlag Frankfurt am MainApril 2019
ISBN: 978-3-95771-250-9eISBN: 978-3-95771-249-3
PROLOG
TOLÓ – SEEZUNGE DER PELOPONNES
Von Kaíkis und Plattfischen
MIT SCHNECKENTEMPO AUS DER KRISE
Die Hausträger von Korinth
ZIEGE, SCHAF UND LAMM – VON DER GEBURT BIS IN DEN TOPF
Ein Besuch beim Ziegenhirten auf der Peloponnes
ÄGÄISCHE MATRATZEN MADE IN THRAKIEN
Seetang für den Weltmarkt
FILÓTIMOERNTE IN LYGOURIÓ
Ein goldenes Manaki-Pflückjubiläum beim Weltkulturerbe
DROSSEL-LUNCH IN ATHEN
Von Anafiótika zum Vogelfakeláki
ZIEGENJOGHURT BEIM BIERBARBESITZER
Ein Ausflug ins Hirtenhaus
ADRIANAS ATHENER SILBERSCHMIEDE
Ein Edelstein mit Goldhändchen
TAMARISKEN, TRÄUME, T-SHIRTS
Über das neue Salz der Modesuppe
WIE BOJEN IM MEER
Interview mit Stella Nikoletta Drossa
2-1-0, KLAPPE!
Die Videohelden von Spyrowood-Hills
VON WILDEN KRÄUTERN, VON SÜßEN NYMPHEN UND GEWÜRZEN
Mythologisch hervorragende Wilddüfte
VON KONSTANTINOPEL NACH ATHEN – VON DER KRISE IN DEN AUFSCHWUNG?
Interview mit Pétros Márkaris
MIT DEM DREIZACK AUF MEERJUNGFRAUENFANG
Das Geheimnis der Kamákia
AUS DEM ERSTE-HILFE-KOFFER VON ALEXANDER DEM GROßEM
Auf demn Aloe-Vera-Feldern von Epídauros
DANKSAGUNG
REZEPTREGISTER
BIOGRAPHISCHES
Für die ideenreichen griechischen »Erfinder«
und insbesondere
für die »verlorene Generation«.
»MICHEL SIEHT AUS WIE MICKY MAUS!«
Vagelió Notis
Es ist 2018 und die Wirtschafts- und Finanzkrise in Griechenland ist noch längst nicht überstanden. Manche Dinge dauern lange in Hellas. So hat beispielsweise einmal irgendjemand herausgefunden, dass der Durchschnittskaffee, der in einem griechischen Kafeneíon – dem traditionellen Kaffeehaus – getrunken wird, erst nach 93 Minuten geleert ist.1 Verglichen mit einem Espresso in Italien eine Ewigkeit. Andere Dinge gehen in Griechenland hingegen unglaublich schnell: Der Athener Flughafen – immerhin das größte Infrastrukturprojekt des modernen Griechenland – wurde in rund fünf Jahren fertiggestellt. Der Berliner Flughafen BER wird voraussichtlich dreimal so lange brauchen und mindestens ebenso viel teurer werden.
Griechenland ist seit der Antike ein Land der Philosophen, Denker und Ideengeber. Aristoteles soll beim ewiglangen Nachdenken über ein Naturphänomen ertrunken sein. Und immer, wenn ich an das Philosophieren denke, fällt mir die gute alte Vagelió ein. Die Mutter meines guten Freundes Perikles war zu Lebzeiten immer die gute Seele der familiengeführten Taverne »To Néon« in Toló auf der Peloponnes. Jeden Sommer kam auch ein belgischer Gast hierher, um mehrere Wochen Urlaub am Meer und in bester Gesellschaft zu verbringen. Einige Jahre nachdem der Belgier Michelle aus Gesundheitsgründen nicht mehr zu den Sommergästen zählte, saß Vagelió an einem regnerischen Wintertag nachdenklich in ihrer Taverne am Fenster und starrte aufs Meer. Eine gefühlte Ewigkeit grübelte sie mit heruntergezogenen Augenbrauen über irgendetwas nach. Plötzlich, urplötzlich riss sie die Augen weit auf, ihr Körper bebte und sie starrte mich an. Ich hatte Angst, die alte Frau könnte von ihrem Stuhl kippen. Aufgeregt rief sie mir jetzt zu:
»Andreas, jetzt weiß ich es. All die Jahre habe ich darüber nachgedacht, an wen mich Michel erinnert. Jetzt ist es mir eingefallen!«
Ich war verblüfft, hatte nicht damit gerechnet, dass ihr nachdenkliches Grübeln ausgerechnet jetzt im Winter etwas mit dem kauzigen Belgier zu tun haben könnte.
»Und?«, fragte ich neugierig und sah Euphorie in Vageliós jetzt strahlenden Augen. »Sag schon, wem sieht er ähnlich?«
Ich wartete gespannt eine gefühlte Ewigkeit. Dann sprach sie mit fester, klarer Stimme:
»Michel sieht aus wie Micky Maus!«
Und jetzt kippte ich fast vom Stuhl – vor Lachen.
Es sind auch diese unerwarteten Kleinigkeiten, die die griechische »paréa« – die Gesellschaft – so unterhaltsam machen und die griechische Seele widerspiegeln. Hierbei entstehen wunderbare Ideen, manchmal einfach so, zufällig. Das zeichnet die Griechen aus, sie sind stark darin, und sie haben herausragende Produkte. Viele mit Herzblut kreiert und hergestellt. Andere von Mutter Natur wie in einen Paradiesgarten gepflanzt. Von all dem handelt dieses Buch. Von Jung und Alt, vom Abenteuer-Alltag in Griechenland, von der Krise, den Ängsten und Sorgen, aber auch von den guten Ideen und Chancen. Gerade die zahlreichen jungen Menschen, die durch die Krise vielfach als die »verlorene Generation« bezeichnet wurden, machen mit ihren fantastischen Ideen und ihrem Willen, sich dem Schicksal entgegen zu stellen, Mut. Einige von ihnen habe ich für dieses Buch besucht. Sie und die vielen anderen tüchtigen Menschen in Griechenland haben es verdient, dass es mit Hellas wieder aufwärts geht.
Lassen Sie sich inspirieren und verzaubern von wahren Geschichten aus dem griechischen Alltag.
Andreas Deffner, Januar 2019
Die Seezunge, in Griechenland γλώσσα (glóssa) genannt, gilt als einer der edelsten Fische. Da sie ein Plattfisch ist, liegt sie die meiste Zeit am Boden. Am Meeresgrund wartet sie darauf, dass ihr ein leckerer Happen vor das Maul schwimmt. Die Fischer des kleinen Dorfes Toló auf der östlichen Peloponnes, in der Region Argólis gelegen, sind heilfroh, wenn ihnen ein solcher Fang ins Netz geht.
Die Fischerei ist seit vielen Jahrzehnten die Haupteinnahmequelle vieler Familien in dem kleinen Ort in der Nähe Náfplions, der ersten Hauptstadt des modernen Griechenlands. In Toló leben heute noch rund 1.500 Einwohner, an einer der schönsten Buchten Europas. Am Ende des Dorfes, gegenüber der zauberhaften, unbewohnten Insel Rómvi, wurde vor vielen Jahren ein kleiner Hafen errichtet, in dem tagsüber die vielen bunten Kaíkis, die typischen hölzernen Fischerboote, vertäut liegen. Nachts und in den frühen Morgenstunden starten die Fischer ihre tuckernden Schiffsdiesel und fahren hinaus zu den aussichtsreichen Fischgründen. Noch immer, so schätzt das Büro der örtlichen Küstenwache – denn eine exakte Statistik gibt es offenbar nicht – liegt die Anzahl der registrierten Fischer von Toló bei rund 100. Tendenz jedoch abnehmend. Früher wurde das Handwerk, ebenso wie das Kaíki, von Vater zu Sohn weitergegeben, doch mit dem Einzug des Tourismus im kleinen Fischerdorf, tauschten immer mehr junge Männer ihre Boote gegen Souvenirläden, Tavernen oder Kafeneíons und kehrten dem Fischfang den Rücken.
Die Bucht von Toló galt lange als sehr fischreich. Und ebenso wie die unzähligen Doraden, Barsche und Brassen, tummelten sich bald auch die Touristen im sauberen, türkisblauen Wasser. In den 1990er Jahren bekam man im Sommer manchmal kein Bein auf den Boden der Dorfstraße, die dann abends einer kirmesähnlichen Flaniermeile glich. Rosenverkäufer gingen von Bar zu Bar, aus denen laute Musik auf die Straße dröhnte. Auf den Kreuzungen verkauften Zigeuner bunte, heliumgefüllte Luftballons für die Kinder und die jungen Männer des Dorfes saßen in den Straßencafés und lauerten wie die Seezungen auf frische Beute: junge, gestylte Engländerinnen, hübsche Ungarinnen oder auch einige Griechinnen aus der heutigen Hauptstadt, dem knapp 150 Kilometer entfernten Athen.
Der große Boom ist längst vorbei. Toló ist bei den jungen Partyurlaubern out. Zwar verbringen immer noch viele Sommergäste ihren Urlaub hier, doch an den Trubel der Vergangenheit erinnern sich nur noch die Älteren. Das Dorf findet allmählich zu seiner ursprünglichen Ruhe zurück. Fast scheint es, als ob die Tolóner den Tourismusrummel satt haben. Immer mehr junge Männer und Frauen sitzen nachmittags am Hafen, angeln und genießen die Ruhe sowie den Ausblick auf die Insel Rómvi. Der legendäre Käpt‘n Stavros2, der als Einhandsegler erst aus Amerika gekommen war und dann jeden Küstenstreifen Griechenlands besegelt hatte, behauptete stets, dass das wahre Paradies in Toló liege. Spätestens, wenn man im Sonnenuntergang mit Blick auf die Insel Rómvi den Duft des wilden Oregano gepaart mit dem der Pinien einatmet, weiß man, dass Stavros eine sehr exakte Beobachtungsgabe hatte.
Der Europäischen Union müsste die Entwicklung hin zu einem sanfteren Tourismus mit wenigen Fischern, die nachhaltig mit ihrer Beute umgehen, eigentlich gefallen. Doch der Umbau der griechischen Fischfangflotte scheint ihr nicht schnell genug voran zu schreiten. Mit finanzieller Hilfe versucht die EU die Anzahl der Fischer weiter zu reduzieren, und sie bietet demjenigen eine Abwrackprämie an, der sein Fischerboot verschrottet.
»Mir blutet das Herz«, sagte erst kürzlich ein älterer Tolóner zu mir, »wenn ich sehe, wie die Bulldozer dann am Hafen die handgefertigten Holzboote zerstören.« Auflage der EU. »Die Kaíkis kann bald niemand mehr bauen. Ein schwieriges Handwerk. Und wenn es keine Fischer mehr gibt, warum sollte es dann noch Bootsbauer geben?«
Doch was sollen die Fischer, die die hohen Stilllegungsgelder bekommen haben, künftig tun? Schon früher, als die Touristen noch in Scharen kamen, war es nicht leicht, mit einer neuen Geschäftsidee Fuß zu fassen. Fischtavernen gab es ebenso reichlich wie Souvláki-Grillbuden, und die Urigkeit der authentischen alteingesessenen Läden der ersten Stunde konnte man auch nicht erreichen. Jetzt in der Krise ist die Situation ungleich schwieriger. Fast jedes zweite Geschäft stand über Jahre leer, auch, wenn es sich langsam zum Besseren zu wenden scheint. Doch noch immer kämpfen das Dorf, die Hotels, Pensionen und die Tavernen ums Überleben und neue Arbeitsplätze außerhalb des Tourismus sind nicht in Sicht. Was macht also ein ehemaliger, dank EU-Unterstützung jetzt bootsloser Fischer? Er kauft sich von einem Bruchteil der Abwrackprämie ein neues, billiges Plastikboot, meldet es neu an und geht wieder seiner früheren Beschäftigung nach. Die Differenz, die ihm bleibt, gleicht dann auch die krisenbedingten finanziellen Einbußen aus.
Mit der Finanzkrise ist neben der Wirtschaft auch die Nachfrage nach edlen Fischen eingebrochen. Diejenigen, die sich einen Restaurantbesuch noch leisten können, greifen statt zur Dorade oder Seezunge lieber zu Sardellen oder Ährenfischchen. Die auch trotz Abwrackprämie nicht reichen Fischer sind hier die Leidtragenden.
Auch Perikles spürt die kulinarische Zurückhaltung der Griechen. Auf der Terrasse seiner Fischtaverne »To Néon«, die in bester Lage von Toló direkt am feinen Sandstrand zum Verweilen unter den Schatten spendenden Paradiesbäumen einlädt, ist es längst nicht mehr so überfüllt wie in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts. Seit 1950 existiert die authentischste Gaststätte des Ortes. Eine der ersten war sie, als Perikles’ Eltern sie seinerzeit errichteten. Vater Aristides war auch Fischer und er tat das, was er am besten konnte. Täglich landete nur der fangfrische Fisch in den Pfannen und Töpfen seiner Frau Vagelió. Und gemeinsam beherbergten sie in den wenigen Gästezimmern oberhalb des Gastraums jahrzehntelang mit unverfälschtem Filótimo, dem herzlichen griechischen Lebensgefühl, in- und ausländische Feriengäste. Nicht minder engagiert, freundlich und immer gut gelaunt führt Perikles heute mit seiner Schwester Irini das Geschäft. Ein Abend auf der schönsten Terrasse Tolós ist weit mehr als ein köstliches Abendmahl. Die »Tavérna To Néon« ist immer auch ein Ort, an dem sich Freunde treffen, an dem man sich vom Alltag erholt und wo nicht selten auch philosophiert wird. Wahrscheinlich komme ich auch deshalb seit inzwischen 25 Jahren regelmäßig her. Ich erinnere mich an einen Besuch im April 2014, als ich gemeinsam mit Perikles über einer Platte herrlich duftender, frittierter Sardinen saß und wir über den Fischfang sinnierten. Seine Nichte Eleni brachte uns eine Karaffe mit kühlem Weißwein und einen Teller mit knackigem Salat. »Stin ijá mas«, prosteten wir uns zu. Auf unsere Gesundheit!
»Weißt du, die Sache mit der Abwrackprämie für Fischerboote geht mir nicht aus dem Kopf«, grübelte Perikles laut vor sich hin. »Wäre es nicht viel besser, die schönen Kaíkis würden nicht zerstört, sondern in einer Art Freilichtmuseum ausgestellt?«
Ich griff zu einer weiteren Sardine. Ja, die echten, hölzernen Fischerboote der Tolóner werden allmählich so rar wie die Seezungen auf den Tellern der Tavernen. Eine Ausstellung oben auf dem Hügel, über den Dächern der Stadt, mit Blick auf die Bucht und die vorgelagerten Inseln wäre ein Traum. Ich musste wieder an unsere über zwanzig Jahre alte Idee denken: Eine Sesselliftverbindung aus dem Dorfzentrum den Berg hinauf, auf dessen Gipfel man sich in einem Ausflugslokal bei Frappé, Ouzo oder Bier die Zeit vertreiben könnte. Doch wer sollte in Krisenzeiten ein Museum oder gar eine Seilbahn finanzieren wollen? Zumal in einer Region, die für den Tourismus fälschlicherweise nicht mehr zu den Top-Destinationen zählt.
Als ich an diesem Abend in meinem Bett am Meer lag und dem seichten Wellenschlag lauschte, dachte ich: Wir brauchen ein EU-Förderprogramm für den Erhalt der authentischen, lebenswerten griechischen Alltagskultur!
Und als ich eingeschlafen war, sah ich im Traum ein Werbevideo. Eine sirenenartige Stimme säuselte dem Betrachter ins Ohr: »Besuchen Sie die »Tavérna To Néon« in Toló! Die Seezunge unter den Fischtavernen. Und denken Sie immer daran, was wir Griechen sagen: Ich brauche keine Psychotherapie, ich brauche Griechenland, das Meer und die Sonne!«
Perikles würde ganz sicher heftig zustimmend nicken.3
Gefüllte Kalamari »Fet‘a-la Grecque«Καλαμάρια γεμιστά
Gefüllte Kalamari sind in Griechenland keine Seltenheit. Meist mit Reis oder Hackfleisch gefüllt und in Tomatensoße gekocht, habe ich sie schon oft aus Opa Aristides Küche in der Tavérna »To Néon« in Toló gegessen. Die hier vorgestellte Variante habe ich mir eines Tages Zuhause in Deutschland ausgedacht und umgehend ausprobiert. Herausgekommen ist ein Geschmacksfeuerwerk, eine griechische Küchenparty, bei der der beinlose Kalmar leider nicht mehr mittanzen konnte. Irre lecker!
Zutaten:
2 große Kalamarituben (ohne Beine), 200 g zerbröckelter Feta, ½ sehr fein gehackte rote Zwiebel, 1 Stange fein gehackter Staudensellerie, einige Blätter frischer Koriander, ½ fein geschnittene rote Chili, Salz, Pfeffer, Oregano, Saft von 1 Zitrone, 5 EL Olivenöl
Zubereitung:
Die Kalamarituben waschen und von den Innereien befreien. Zwiebeln, Staudensellerie, Korianderblätter, Chili, Oregano und Feta in eine Schüssel geben und zu einer breiigen Masse verrühren. Die Kalamarituben damit füllen (schön fest reindrücken!), in eine Auflaufform geben, mit dem Zitronensaft übergießen und im auf 150°C vorgeheizten Backofen ca. 30 – 45 Minuten fertig garen. Gegebenenfalls zwischendurch einmal wenden.
Tipp:
Mit dem Teller gefüllten Kalamarituben an den Strand setzen, einen Ouzo dazu servieren und dieses Geschenk des Meeres in aller Seelenruhe genießen!
An einem sonnigen, trockenen Wintertag im Jahr 2014 mache ich mich von Toló aus auf den Weg nach Korinth. Die Krise hat Griechenland nach wie vor fest im Griff, und gerade im Winter ist es teilweise deprimierend, wenn keine ausländischen Gäste durchs Land reisen und die Einheimischen die Aussicht auf Besserung ihrer Lage aufgeben. Korinth ist besonders kontrastreich. Seit Ewigkeiten ist das archäologisch weltberühmte kleine Städtchen mit dem legendären Kanal am gleichnamigen Golf bei Touristen sehr beliebt. Die Urlauber kommen in den Sommermonaten nach wie vor zahlreich und neuerdings wird die Stadt auch für kulinarische Abenteurer interessant. Im Winter jedoch verirrt sich kaum ein Besucher hierher.
An der Ausfahrt »Archéa Kórinthos« verlasse ich die Autobahn.
»Unsere Firma liegt etwas außerhalb im Industriegebiet, nahe am Meer«, hatte mir María am Telefon erklärt. Nach einigem Suchen, zwischen verfallenen Gebäuden und an brachliegenden Feldern entlang, stehe ich schließlich vor dem Portal von »Fereikos Helix«. Langsam und fast lautlos öffnet sich das Schiebetor und Herr Vláchos kommt mir über das weitläufige Firmengelände herzlich lächelnd entgegen gelaufen. Nach einer freundlichen Begrüßung stellt er mir seine Töchter Panajota und María vor. Die zwei Schwestern hatten schon vor der Finanzkrise die Geschäftsidee, die vielen Griechen jetzt Hoffnung gibt. Es war der innovative Unternehmergeist, der sie antrieb, und 2007 legten sie ihren gut durchdachten Businessplan vor. Sodann machten sie sich ehrgeizig an die Arbeit.
»Seit 2008 besteht nun die Firma ›Fereikos‹«, sagt María, sichtlich stolz auf das, was sie in der kurzen Zeit auf die Beine gestellt haben. Oder besser gesagt: auf den Schleim. Denn die geschäftstüchtigen jungen Frauen züchten Schnecken!
»Komm, wir gehen erstmal in mein Büro«, sagt María und führt mich in die erste Etage, wo sich die Verwaltungsbüros befinden. Auf dem Weg dorthin kommen wir an einer Verkaufsvitrine vorbei, auf der die Produkte der Firma ausgestellt sind: frische küchenfertige Schnecken im Netz, eingelegte Schnecken in Konserven ohne Haus, eingemachte Schnecken mit Haus in Tomatensoße im Glas und so weiter.
In Marías Büro hängen Schneckenbilder an der Wand, stehen echte Schneckenhäuser und solche aus Porzellan im Regal, und selbst die Türknäufe der Büromöbel sind bronzefarbene Schneckenimitationen. Alles dreht sich hier um die kleinen Kriechtiere.
María erklärt mir bei griechischem Kaffee das Prinzip von »Fereikos«: Im Franchise-System werden Lizenzen für ökologisch betriebene Schneckenfarmen vergeben. Die Geschwister Vláchou kümmern sich um alles Organisatorische. Von der Schulung der angehenden Farmer bis hin zur Qualitätsprüfung und der internationalen Vermarktung der Endprodukte. Dabei haben sich die beiden Frauen geschickt die Zuständigkeiten aufgeteilt. Jede verantwortet als Geschäftsführerin einen eigenen Bereich. Panajota, die Jüngere, ist zuständig für alle Fragen rund ums Franchise- und Lizenzvergabeverfahren und María, die Ältere, ist für die Vermarktung verantwortlich. Eine umfangreiche Produktlinie, basierend auf den Schnecken aus den »Fereikos«-Farmen, hat sie entwickelt. Die ältere Schwester, die viele Jahre im Ausland studiert und gelebt hat, ist prädestiniert für diesen Geschäftszweig. In der Schweiz entstand dann auch die Idee für das Geschäftsmodell. Die sympathische 32-Jährige lächelt und erzählt: »Ich saß gerade in einem französischem Restaurant in Zürich, als mich meine Schwester auf dem Handy anrief. Sie wollte wissen, was ich so mache, und als ich ihr sagte, dass ich gerade Schnecken – die Portion für umgerechnet 32€! - esse, mussten wir lachen. Bei uns zu Hause laufen sie frei herum! Und so dachten wir, vielleicht lässt sich ja damit Geld verdienen.«
So entstand mit viel Leidenschaft für die Tierchen, und mit reichlich Mut, eines der lebendigsten Beispiele eines aufstrebenden, jungen griechischen Unternehmens. Die Vláchou-Schwestern haben sich akribisch in sämtliche Details der Schneckenzucht eingearbeitet und stehen heute ihren Vertragszüchtern jederzeit mit Rat und Tat zur Seite. Im Jahr 2014 gibt es bereits 168 lizenzierte Farmen in ganz Griechenland und eine in der Nähe von Hannover. In ihnen werden die Schnecken für die unterschiedlichen Produkte der Firma gezüchtet.
»Derzeit bereiten wir eine völlig neue Produktlinie vor, die wir dann auch in Deutschland anbieten wollen«, sagt María. Bis dahin soll die Produktpalette optimiert und umbenannt werden. Die Konserven, Gläser und Netze mit Schnecken, die ich bereits bewundern durfte, tragen bislang das Firmenemblem und den für Nichtgriechen so schwierig auszusprechenden Markennamen »Fereikos Gefsis«. María sagt, wohl nicht ganz zu Unrecht: »Im Ausland kann doch niemand ›Fereikos Gefsis‹ aussprechen.« Dabei hat es einen so bedeutungsvollen Klang. »Fereikos« kommt vom altgriechischen Wort für Schnecke: Φερέοικος – Fereikos, die, die ihr Haus mitbringt. Und »Gefsis« ist das griechische Wort γεύσης für Geschmack.
Schnecken zu essen, hat nicht nur in Griechenland eine lange Tradition. Vermutlich gehören die Tierchen bereits seit der Altsteinzeit zum menschlichen Speiseplan. Mit der Ausdehnung des Römischen Reichs fand die Weinbergschnecke immer mehr Verehrer auf den Tischen und in den Töpfen der Europäer. Es wurden berühmte Schneckenfarmen gegründet, so zum Beispiel im Schwabenland. Zwischen Ulm und Wien entstand in der Folge ein reger Handel, der bis ins 18. Jahrhundert prächtig gedieh. Noch bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts galt die Schnecke, in Frankreich ebenso wie in Süddeutschland und in vielen anderen – insbesondere katholischen – Ländern, als vorzügliche Fastenspeise. Zunächst als Alltagsessen begehrt, das sich alle Menschen leisten konnten, wurden Schnecken allmählich zu einer Rarität, die fast nur noch in Delikatessenläden und Gourmetrestaurants zu finden war. Doch die Renaissance der Schnecke scheint eingeleitet. In Frankreich sollen bereits wieder rund 40.000 Tonnen Schnecken pro Jahr auf den Tellern der Feinschmecker landen.4 Die Rückkehr des schleimigen Alltagsessens?
Immer mehr Rezepte finden sich inzwischen für die schmackhafte Zubereitung der Weinbergschnecken. Nach längerem Regen kann man die wildlebenden in vielen Gegenden, auch außerhalb Griechenlands, leicht und zahlreich einsammeln. Dann sollten sie noch eine Weile in sauberen Kräutern gehalten werden oder in Mehl kriechen dürfen, bis sie völlig rein sind. So lassen sie sich dann in der Küche köstlich und leicht weiter verarbeiten. Wem das zu viel Aufwand ist, der greift zu den Produkten von »Fereikos«. Diese sind bereits küchenfertig vorbereitet und traditionelle, aber auch moderne, Rezepte aktueller Starköche werden gleich mitgeliefert: Mit Reis und Schnecken gefüllte Weinblätter, Tagliatelle mit Schnecken, Kapern, Oliven und Tomaten oder frittierte Schnecken machen Appetit, sich gleich einmal selber als Schneckenkoch auszuprobieren.
»In unseren Farmen wird die bei Feinschmeckern ganz besonders beliebte Sorte Helix Aspersa Müller gezüchtet«, sagt María. Die so genannte »kleine Graue« ist eine mittelgroße Art, die nicht nur besonders schmackhaft, sondern auch noch außerordentlich gesund ist. Helix Aspersa Müller wiegt 12 bis 16 Gramm und ihr Haus hat eine durchschnittliche Größe von 28 bis 39 mm. Die leckeren Tierchen enthalten reichlich Proteine, weniger Fett als Fisch und sogar die Dermatologen haben die heilende Wirkung ihres Schleims für sich entdeckt. Hautcremes aus diesem werden, wenn man zahlreichen Berichten glauben darf, erfolgreich gegen Akne eingesetzt.
Die langsamen Kriechtiere werden, je länger man sich mit ihnen beschäftigt, immer interessanter. Gerade die vielen positiven Eigenschaften der Schnecken sind es, die die Vláchou-Schwestern nutzen, um ganz gezielt zum Beispiel auch Schulklassen als Besuchergruppen anzusprechen. Sie kommen gerne und zahlreich nach Korinth, um sich vor Ort ein Bild zu machen.
»Wir haben dafür extra eine kleine Minifarm im Hof eingerichtet«, erzählt María voller Leidenschaft. »Komm, ich zeig's dir!« Hinter der Kühl- und Lagerhalle der Firma zeigt mir María das etwa 25 x 25 Meter große Areal. Unter den gleichen Bedingungen wie in den echten Produktionsstätten, aber deutlich kleiner, werden hier Helix Aspersa Müller gezüchtet. Und hierhin führen sie auch die Schulkinder, um ihnen einen Überblick über die Aufzucht dieser uralten Traditionstierchen zu geben. Der Andrang ist riesig. Wöchentlich sind Schulklassen zu Besuch, oftmals mehrere pro Woche. Auf schmalen Wegen können die Kinder an den mit saftigem Gemüse bepflanzten Zuchtflächen entlanglaufen und die Schnecken beobachten. Damit diese nicht entwischen, sind feine Netze an den Maschendrahtzäunen gespannt, und eine regelmäßige Wasserberieselung sorgt dafür, dass sich die Zuchttiere pudelwohl fühlen.
»Nach einem Jahr sind die Schnecken geschlechtsreif. Jedes Tier legt etwa 120 Eier.« María hält mir ein zierliches Babyschneckchen vor die Nase. »Schnecken sind Zwitter«, sagt sie und ergänzt: »Sie bekommen alle Babys!« Sie vermehren sich schnell und nach einem Jahr sind sie geschlechtsreif. Bis zu zwanzig Jahre alt kann eine Zuchtschnecke werden. Leicht verdientes Geld kann María den angehenden Züchtern dennoch nicht versprechen. Es gibt reichlich zu tun, und die Farmer sollten sich schon mit voller Hingabe dem Job widmen und sich in der Landwirtschaft wohlfühlen. Damit die potentiellen Schneckenzüchter nicht unvorbereitet an ihre neuen Aufgaben gehen, bietet »Fereikos« entsprechende Vorbereitungsseminare für Interessierte an.
Als ich mit María wieder in ihr Büro schlendere, deutet sie auf ihre Schwester, die hinter einer Glastür im Konferenzraum mit einer kleinen Gruppe angehender Schneckenfarmer diskutiert. Die überwiegend jungen Neubauern schauen gebannt zu Panajota, die ihnen anschaulich an einem großen Modell einer Schneckenzucht, das vor ihnen auf dem Tisch aufgebaut ist, den komplexen Ablauf bis ins Detail erläutert. Ich sehe in hoffnungsfrohe, glückliche und Erfolg witternde Gesichter. Angesichts der schweren Finanzkrise scheinen die Schnecken einen Silberstreif der Hoffnung an den Himmel zu projizieren. Und die Vláchou-Schwestern haben vorgemacht, wie perfekt umgesetzte, innovative Ideen zum Erfolg führen können.
Beim Abschied von María hatte ich mir einen Beutel mit frischen Schnecken mitgeben lassen. Als ich diese wenig später meiner guten Freundin Eléni in Toló präsentiere, ist sie begeistert von den Prachtexemplaren aus Korinth. Eléni nimmt mich umgehend mit in ihre Küche und wirft den Herd an. Sie kocht uns, ohne lange zu fragen, ein duftendes Schnecken-Stifádo, mit reichlich Lorbeerblättern, Knoblauch und Zwiebeln und einer duftenden Tomatensoße. Als unsere Teller mit den hübschen Häuschen der Helix Aspersa Müller bedeckt sind, wünschen wir uns einen guten Appetit und greifen zu. Ein außergewöhnliches Geschmackserlebnis, das mich schwer beeindruckt. Es würde mich nicht wundern, wenn dieses Gericht eines Tages wie selbstverständlich auch auf jeder Wirtshauskarte im Schwabenländle zwischen Schnitzel und Spätzle zu finden wäre. Beim Essen zeige ich Eléni einen Flyer, den mir María mitgegeben hatte. Darin sind auch zwei Schneckenrezepte enthalten: »Antoinettes Traum« und »Loukoumadakia der Erde«. Elénis Augen beginnen zu funkeln. »Das probieren wir beim nächsten Mal aus. Das klingt ja traumhaft!«, sagt sie und schiebt sich eine weitere Schnecke in den Mund. Gemeinsam essen wir gegen die Krise.
Im alten Christentum galt die Weinbergschnecke übrigens als Symbol für die Auferstehung. Aus der Krise zur Renaissance der Schneckenkost. Auf den Internetseiten von »Fereikos« findet sich frei übersetzt unter dem Stichwort »Visionen« Folgendes: »In einer Welt des kontinuierlichen Wandels wollen wir vorangehen und dabei (wie die Schnecke) unser Haus vorwärts tragen.«
Meine Schneckenerfahrungen in Korinth und anschließend in der Küche von Eléni haben mich neugierig gemacht. Ein Jahr nach meinem Besuch in Marías Schneckenfarm erscheint ein außerordentlich interessantes Buch: »Schnecken« heißt es lapidar, und es hatte auf einer kleinen Buchmesse in Berlin sofort meine Aufmerksamkeit erregt. Sofort mache ich mich an die Lektüre und erfahre, dass sich bereits Aristoteles mit dem Leben der Gastropoden, wie die Schnecken mit wissenschaftlichen Namen heißen, beschäftigt hat. Er war überzeugt davon, dass die Schnecken »in einem Akt der Urzeugung aus ›Schlamm und verwesendem Material‹ entstehen«.5 Vermutlich ist es auch diese Eigenschaft, die viele Menschen davon abhält, Schnecken zu essen. Schließlich sind sie doch so völlig anders, als die üblichen Lebensmittel. Die Schleimkriecher sind eben keine Zweibeiner, schon gar keine Vierbeiner und vegetarisch oder vegan sind sie erst recht nicht. Die Malakologen, wie die wissenschaftliche Bezeichnung der Schneckenforscher ist, sind besonders fasziniert von der einzigartigen Fortbewegungsart dieser Tierchen. Sie sprechen von Schlurfen, vom Schneckengalopp oder gar davon, dass es auch springende Schnecken gibt. »Die unterseeisch lebende Flügelschnecke etwa bohrt, wenn sie es eilig hat, ihren Hinterfuß in den Meeresgrund und katapultiert sich dann mit einer abrupten Bewegung vorwärts«, heißt es dort unter anderem.6
Wahrlich faszinierend die Kriecher und obwohl sie vielleicht nicht immer so langsam sind, wie wir annehmen, sind sie doch eine leichte Beute. Das wird wohl auch einer der Gründe sein, warum sie trotz des ihnen anhaftenden Ekelfaktors seit Jahrtausenden von Menschen gegessen werden. »Vermutlich sind Schnecken die einzigen Speisetiere, die nicht ›gejagt‹ oder ›gefangen‹ werden«, schreibt der Schneckenexperte Florian Werner in seinem Buch, und: »Züchter sprechen, wenn es ihren Tieren an den Kragen geht, bezeichnenderweise von der ›Ernte‹.« Die Schleimkriecher lassen sich nicht nur einfach einsammeln und ohne große Probleme züchten, sondern sie sind darüber hinaus auch noch »exzellente Futterverwerter: Was die Umwandlung von Grünzeug in Fleischmasse angeht, sind sie zweimal so effizient wie ein Rind, dreimal so effizient wie ein Schaf und zehnmal so effizient wie ein Hummer.«7 Bei dieser Effizienz ist es kein Wunder, das sich die Schneckenzucht einer wachsenden Beliebtheit erfreut. María hat mit ihrer Firma »Fereikos« inzwischen (2018) über 200 Farmen in Griechenland etabliert. In Werners Buch kommt ein französischer Farmer zu Wort, der, gefragt danach, was einen erfolgreichen Schneckenzüchter ausmache, antwortete, dass man »vor allem geduldig sein« müsse.8 Als ich das lese, fällt mir wieder Giórgos ein. Der Familienvater hatte vor einigen Jahren in Nordgriechenland auch eine Schneckenfarm gegründet. Voller Euphorie hatte er mir damals erzählt, dass er jetzt einen Weg sehe, aus der Wirtschaftskrise doch noch ausbrechen und etwas Sinnvolles produzieren zu können. Kurz entschlossen rufe ich ihn an. »Giórgo, wie geht's dir? Wir haben uns Jahre nicht gehört. Was machen die Schnecken?«, frage ich den sympathischen jungen Mann.
»Ach, frag nicht … Wir haben vier Jahre gekämpft, haben viel Geld investiert, doch dann kam der Herbst. Zweimal wurde die gesamte Farm komplett überschwemmt, dann hatten wir einen eisigen Winter und schließlich kamen auch noch die Vögel. Eines Tages war der Himmel schwarz-weiß. Ich sage dir, es waren hunderte oder wahrscheinlich tausende Elstern. Sie haben unsere gesamte Ernte einfach weggefressen. Dann habe ich entschieden, aufzugeben. Ich habe mir das wohl nicht genau genug überlegt. Die Lage in Nordgriechenland ist einfach nicht optimal für die Schneckenzucht. Schade, aber es war einen Versuch wert. Die Dinger sind einfach wirklich lecker.«
Ende 2017 entdecke ich zufällig Marías Schnecken im Glas in einem kleinen griechischen Laden in Berlin. Im »Vino Greco« in Charlottenburg gibt es feinste Köstlichkeiten von der Peloponnes zu kaufen und man kann sich auch in der hauseigenen Küche frische Speisen zubereiten lassen. Der sympathische junge Koch verrät mir spontan seinen Lieblingsschneckensnack: »Einfach die marinierten Schnecken in der Pfanne mit Olivenöl und Knoblauch anbraten und mit Ouzo ablöschen. Ein Gedicht!«
Antoinettes TraumΤο óνειρο τηζ Aντουανέταζ
Zu Hause stehe ich vor der schwierigen Entscheidung, die Ouzo-Variante des Berliner Schneckenkochs zu testen oder auf eines der Rezepte zurück zu greifen, die mir María mitgegeben hatte. Ich entscheide mich schließlich für »Antoinettes Traum«, weil mir der Name des Rezepts so gut gefällt. Zusätzlich gebe ich noch einige Lorbeerblätter aus Griechenland und etwas frischen Estragon aus dem heimischen Garten dazu. Er scheint den Schnecken zu gefallen, denn zumindest in unserem Kräuterbeet tummeln sich unzählige Gastropoden zwischen den Estragonstengeln. Außerdem passt der – auch Kaisersalat genannte – Estragon gut zu einer Weißweinsoße und französischen Gerichten. In der Pfanne brutzelt kurz darauf ein leckeres Meze. Glutenfrei und krisenbewältigend!
Zutaten:
400 g Schneckenfilets, 2 Knoblauchzehen, 1 EL Butter, 1 EL Olivenöl, 25 g getrocknete Steinpilze, Salz und frisch gemahlener schwarzer Pfeffer, 1 Tasse Sahne, etwas Weißwein, einige Blätter frischen Estragon, 3-4 Lorbeerblätter, 4 Scheiben Weißbrot
Für die Gremolata: 1 EL fein gehackte Petersilie, 1 EL Zitronenabrieb
Zubereitung:
Für die Gremolata Petersilie und Zitronenzesten zusammenmischen und im Kühlschrank aufbewahren. Im Mixer die Steinpilze zu Staub zermahlen, in eine Schüssel geben und einen Löffel warmes Wasser hinzufügen, damit aus dem Pilzmehl eine Paste wird. In einer Pfanne Butter und Olivenöl erhitzen und die abgetropften Schneckenfilets zusammen mit dem Knoblauch, den Lorbeerblättern und dem Estragon anbraten. Mit Weißwein ablöschen, drei bis vier Minuten köcheln lassen und dann die Sahne hinzufügen. Ausreichend salzen und pfeffern und auf kleiner Flamme weiterköcheln. Weißbrotscheiben toasten oder grillen und auf Tellern anrichten. Darauf die Schnecken setzen und mit ein Klecks Gremolata garnieren. Fertig ist »Antoinettes Traum«!