Psematákia - Andreas Deffner - E-Book

Psematákia E-Book

Andreas Deffner

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Beschreibung

Griechenland von A-Z. Andreas Deffner nimmt die Leser mit auf eine Reise durch den Alltag der Griechen. Mit jedem Buch der Abenteuer, Alltag und Krise in Griechenland-Reihe vervollständigt sich das Gesamtbild. Land und Leute, das wahre Leben, abseits der Touristenpfade. Ein Buch für alle, die Griechenland lieben, entdecken und leben wollen.

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Seitenzahl: 268

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Ψεματάκια: kleine, unschuldige Lügen

www.abenteuer-griechenland.eu

Andreas Deffner

Psematákia

Abenteuer, Alltag und Krise in Griechenland

IMPRESSUM

Psematákia

Autor

Andreas Deffner

Schriften

Constantia

Covergestaltung

Marti O’Sigma

Lektorat

Theo Mavrogatos

Verlagslabel

Filótimo!-Verlag

Buchsatz von tredition, erstellt mit dem tredition Designer

ISBN Softcover: 978-3-347-65324-5

ISBN Hardcover: 978-3-347-65325-2

ISBN E-Book: 978-3-347-65326-9

Druck und Distribution im Auftrag des Autors:

tredition GmbH, Halenreie 40-44, 22359 Hamburg, Germany

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt.

Für die Inhalte ist der Autor verantwortlich. Jede Verwertung ist ohne

seine Zustimmung unzulässig. Die Publikation und Verbreitung

erfolgen im Auftrag des Autors, zu erreichen unter: tredition GmbH,

Abteilung "Impressumservice", Halenreie 40-44, 22359 Hamburg,

Deutschland.

© 2022 Andreas Deffner

INHALT

PROLOG

DIE HYGIENIKER VON ZOGRÀFOU Ein Gesundheitsamt-Advent zwischen Keller und Kouroú

TIERZÄHLUNG AUF GRIECHISCH Wenn es im Winter langweilig wird

DIE HÖLZERNEN HELDEN DER GROßSTADT (K)ein Fahrradmarathon im Altstadttrubel

DAS PHÄNOMEN EWIGER JUGEND Von wilden Oliven und bunten Vögeln

FAVARISTA, BABY! Vom Linsengericht zum Purpurplatterbsenpüree

APHRODITE‘S TRAUM Rauf und runter mit Herrn Vothratzidiko

SOPRAN, BOUAT UND BIER IM GLAS Wie wir die Akropolis nach Toló tragen

EIN MEERSCHWEIN NAMENS CORONA Vom Virus ins Geheimversteck

DIE LAKONIA – EINE GRIECHISCH-DEUTSCH-ENGLISCHE TRAGÖDIE Der arme Seemann und seine Kartoffelchipsbraut

CORONA-KAFFEE AM HAFEN Zwischen Lausbubenstreich und Todesdrama

ABSCHALTEN MIT DER KOPFQUELLE Digital Detox als Tavernenwirt im 1. House of Hellenic Food

SEFERIS, DER WEIZENWINZER UND DIE BÄCKERIN MIT DEN GOLDENEN SCHUHEN Vom feengleichen Vogel im märchenhaften Emmerland DIE ALTE MÖWE STAVROS Zwischen Wahrheit und Lüge liegt immer eine Möwe

DANKSAGUNG

REZEPTREGISTER

BIOGRAPHISCHES

ANMERKUNGEN/QUELLENANGABEN

Für die liebenswürdigen Lügnerinnen und Lügner, die kleinen Schwindler und großen Betrüger.

PROLOG

»Κάνω γλέντι τρικουβέρτο.«Griechische Redewendung:»Besser spät als nie!«

Psematákia? Was soll das eigentlich bedeuten? Wenn Sie sich das gefragt haben, dann habe ich hier eine schöne Beschreibung, die mir einst Herr Sarandos mitgegeben hat, als ich ihm von der Idee für dieses Buch erzählt hatte:

»Psematákia sind kleine Lügen. Aber immer unschuldige!«

Das Thema „Lügen“ war offenbar schon viele hundert Jahre vor Christus ein großes Ding in Griechenland. Dem Kreter Epimenides, ein berühmter Philosoph, der mitunter auch zu den Sieben Weisen der Antike gezählt wurde, wird das folgende Zitat zugeschrieben: »Alle Kreter sind Lügner«

Dieses als „Paradoxon des Epimenides“ in die moderne philosophische und mathematische Logik eingegangene Paradoxon behauptet in seiner eigenen Aussage etwas Falsches. Denn entweder sind tatsächlich alle Kreter Lügner, dann hätte der Kreter Epimenides in diesem Fall tatsächlich die Wahrheit gesagt und sich somit selbst widerlegt. Oder aber es sind eben nicht alle Kreter Lügner, dann wäre aber Epimenides mit diesem Satz zu einem geworden. Auch Aristoteles und Eubulides haben sich mit dem Lügner-Paradoxon befasst. Offenbar nahmen Psematákia bereits in der Antike großen philosophischen Raum ein. Wer die Griechen verstehen will, muss sich also auch damit auseinandersetzen. Um es vorwegzunehmen: Mir hat es große Freude bereitet. Mein Freund Georgios hat irgendwann während der Recherchen für dieses Buch zu mir gesagt:

»Wenn du wissen willst, wie die Griechen ticken, dann kannst du dir am besten das vorstellen: Zwei Nachbarn. Der eine hat nichts, der andere hat eine Ziege. Nun wird der Nachbar ohne Tier neidisch. Aber anstatt sich auch eine Ziege erarbeiten zu wollen, versucht er lieber das Nachbarszicklein zu schlachten.«

Georgios ist übrigens auch Kreter. Alles also nur gelogen? Oder meint Psematákia mitunter hier und da auch kleine Übertreibungen, υπερβολές (ypervoles)? Finden Sie es heraus! Ich nehme Sie mit auf eine philosophische Reise durch Griechenland.

Die nachfolgenden Geschichten haben sich tatsächlich so zugetragen, zumindest haben alle einen wahren Kern. An der einen oder anderen Stelle musste ich Namen ändern, etwas hinzufügen oder weglassen. Die Personen gibt es jedoch wirklich, und die Handlungen sind real. Es sei denn, es wird ausdrücklich auf das Gegenteil hingewiesen oder es ist offensichtlich, wie bei der Geschichte von der alten Möwe Stavros. Und selbst da ist vieles echt: den alten weisen Stavros gab es wirklich. Und nicht nur er, sondern alle Personen in diesem Buch sind reale, besonders liebenswerte Menschen.

Dieses Buch sollte früher erscheinen. Die Corona-Pandemie hat dann aber leider auch dieses Unterfangen unmöglich werden lassen. Deshalb also erst jetzt. Dafür haben sich einige Geschichten ereignet, die ohne Corona nicht passiert wären. Ich bin jedenfalls froh, dass ich das so niedliche klingende Wort Psematákia nun auf den folgenden Seiten respektvoll erläutern kann. »Κάλλιο αργά παρά ποτέ!«

Andreas Deffner, Mai 2022

1

DIE HYGIENIKER VON ZOGRÁFOU

Ein Gesundheitsamt-Advent zwischen Keller und Kouroú

»Κάνω γλέντι τρικουβέρτο.«Gr. Redewendung, vgl. mit:»Die Bude auf den Kopf stellen.«(wörtlich: ich mache eine Riesenparty)

Wenige Tage vor Weihnachten und noch vor der Corona-Pandemie, rufe ich Marianna in Athen an. Wir hatten schon öfter überlegt, ob ich sie an einem Tag bei ihrer Arbeit begleiten könnte. Nun hätte ich Zeit, doch würde man mir die Erlaubnis erteilen, bei ihr zu hospitieren? Immerhin geht es um des Griechen höchstes Gut. Nein, nicht Gyros oder Bouzouki, es geht natürlich um die Gesundheit! Marianna arbeitet als Hygienekontrolleurin für das „Amt für Gesundheitsüberwachung und umweltbezogenen Gesundheitsschutz für den Bereich Athen und Attika“. Anders als in Deutschland unterstehen die Gesundheitsämter in Griechenland direkt dem Gesundheitsministerium. Und für dieses kontrolliert Marianna seit einigen Jahren.

Am Abend piept mein Mobiltelefon. Die lang ersehnte Nachricht von Marianna: »Ich habe mit meinem Chef gesprochen, du kannst mit uns mitkommen. Kein Problem. Ich warte morgen früh an der U-Bahn-Station Ambelókipi auf dich. Wir gehen zuerst ins Büro und dann zu den Kontrollen.«

Na endlich, es klappt. Wohin genau es gehen wird, und was ihr Auftrag ist, bleibt zunächst geheim. Spannend. Voller Vorfreude beschließe ich, früh schlafen zu gehen. Nur noch schnell auf einen Snack in die kleine Grilltaverne, die mir am Nachmittag in meiner Straße in Exárchia aufgefallen war. „Príkipas“ – „Prinz“, so heißt der Laden. „Fleisch von griechischen Kleinbauern“ verhieß die Werbetafel am Eingang. Wenig später nehme ich an einem der kleinen trapezákia, der Tischchen auf dem Gehweg vor der Taverne in der Chariláou Tríkoupi-Straße Platz. Kurz darauf duftet bereits ein köstliches Kebap auf meinem Teller in die laue Dezemberabendluft. Von jedem der kleinen Tische aus, haben die Gäste einen freien Blick auf die blitzblanke offene Küche. Von dort bringen die jungen und ungemein herzlichen Kellner Teller um Teller und versorgen die ausgelassenen Gäste mit den Köstlichkeiten vom Grill. Der Laden brummt und ist selbst an einem Donnerstagabend im Dezember rappelvoll. Besser gesagt: Die Terrasse vor dem Laden, die den Gehweg nahezu ausfüllt. Im Grillrestaurant selbst sind nur die Köche und die rein- und rauseilenden Kellner. Man sitzt eben draußen, wann immer es geht. Und dieser Winter meint es wirklich mild mit uns.

Exárchia gilt bei Vielen als der Schmuddelkiez von Athen. Hier trifft Anarchie auf Studierende, siffige Straßenzüge auf schicke Tavernen und trostlose Armut auf pulsierende Kreativität. Ein Eldorado der Kulturschaffenden und denen, die vor der Polizei flüchten. Und in diesem Anarcho-Viertel führt der Wirt des Príkipas eine Taverne, deren Küche so aufgeräumt ist, als würde täglich das Gesundheitsamt seine Inspektoren vorbei schicken. In Exárchia eigentlich undenkbar. Selbst die Polizei wage sich nicht in bestimmte Gegenden dieses Viertels, so sagt man. An meinem kleinen Tischchen auf der Bürgersteigterrasse genieße ich in friedlicher Ruhe ein vorzügliches Kebap und ein Gläschen Wein dazu. Anschließend falle ich müde und satt ganz in der Nähe in mein Bett und erlebe einen prinzenhaften Schlaf.

Am nächsten Morgen warte ich gut ausgeruht zur vereinbarten Zeit an der U-Bahn-Station auf Marianna. Auch sie hält offenbar Termine auf die Minute genau ein und so fallen wir uns ebenso pünktlich wie herzlich zur Begrüßung in die Arme. Es ist Freitag, ihr letzter Arbeitstag für diese Woche.

»Die Tage kurz vor Weihnachten sind anstrengend. Es gibt immer so viel zu tun. Lass uns losgehen, wir müssen heute Bäckereien und Konditoreien inspizieren.« Marianna strahlt noch breit, während wir bereits auf dem Weg zu ihrem Büro auf dem Alexandras Boulevard sind. Der Stress der Adventszeit scheint bisher an ihr vorübergegangen zu sein. An einer Straßenecke biegt sie kurzerhand in eine Bäckerei ab.

»Komm, wir holen uns noch schnell einen Kaffee! Frappé für dich, richtig?«

»Métrio me gála, genau«, antworte ich lachend. Mittelsüß mit Milch. Marianna kennt mich offenbar besser als ich dachte.

Die kleine Bäckerei ist über und über mit Weihnachtsdekoration geschmückt. Zwischen Gebäck, Weihnachtsmännern aus Schaumstoff und Schneesternen aus Lametta, bahnt sich Marianna einen Weg zur Kasse, bezahlt, und im Nu sind wir bereits wieder auf der Straße. Die Vorweihnachtszeit versprüht einen selbst für Athener Verhältnisse, untypisch, hektischen Charme mit eifriger Arbeitswut.

»Los, komm schnell! Ich stelle dir jetzt meinen Chef und die Kollegen vor, hole die Unterlagen und dann geht es los.« Marianna geht eiligen Schrittes voran. Wir durchschreiten das Portal zur staatlichen Gesundheitsschule und überqueren den Campus, auf dem sich auch die Räumlichkeiten des Gesundheitsamtes für Athen und Umgebung befinden. In einer der hintersten Ecken liegen die barackenähnlichen Anbauten, in denen die Hygienekontrolleure, die „Επόπτες δημόσιας υγείας“ (Epoptes dimosias ygeias), ihre Büros haben. In Mariannas Gemeinschaftsbüro treffen wir auf Georgios und Eleni, zwei Kollegen, wie man sie sich aussuchen würde. Sie sind mir beide auf Anhieb ausgesprochen sympathisch und der erste Eindruck täuscht nicht. Voller Herzlichkeit und bester Laune begrüßen mich die beiden, Georgios sogar auf Deutsch! Er lerne die Sprache freiwillig. »Aus Leidenschaft«, sagt er, denn sie gefalle ihm schlichtweg. Und er lerne sogar mit einem meiner Bücher!

»Darf ich dir gelegentlich mailen, wenn ich mal wieder eine Frage habe und die Bedeutung eines Wortes nicht verstehe?«, fragt mich Georgios. Und Eleni sagt:

»Pass aber auf, es könnte täglich passieren. Georgios ist verrückt nach dem Deutsch lernen.« Sie lächelt ihn dabei liebevoll an.

Eleni und Georgios sind in diesem Jahr eines der Kontrollteams.

»Jährlich wird ein Zweierteam neu zusammengestellt«, erklärt Marianna. Mit dem regelmäßigen Kollegenwechsel soll präventiv möglicher Korruption vorgebeugt werden, und die unangekündigten Hygienekontrollen nichts von ihrer Wirksamkeit einbüßen. Jetzt, kurz vor Weihnachten, merkt man dem eingespielten Team die Anspannung an. Ein kollegiales Dreamteam hatte sich hier gefunden. Mit wem die beiden jeweils im nächsten Jahr zusammenarbeiten werden, wissen sie noch nicht.

Plötzlich fliegt die Bürotür weit auf. Ein älterer Herr im Anzug betritt die Bühne. Seine Bühne. Zielstrebig kommt er auf mich zu, greift freudestrahlend mit seinen beiden Händen meine rechte Hand, schüttelt sie lang und ausgiebig und heißt mich in Athen herzlich willkommen! Mariannas Chef wollte es sich nicht nehmen lassen, mich persönlich zu begrüßen. Er freue sich sehr über mein Interesse an der Arbeit seiner Behörde. Da man ihm erzählt hatte, dass ich im deutschen Gesundheitsministerium arbeite, beginnt er eine Fachsimpelei über die wichtigen Aufgaben der Hygienekontrollen im staatlichen Gesundheitssystem. In seinem Redeeifer kann ich ihn nur schwer stoppen, trotzdem bemühe ich mich, ihm zu erklären, dass in Deutschland die Gesundheitsämter nicht direkt dem Bund unterstellt, sondern dem Öffentlichen Gesundheitsdienst zugeordnet sind. Und dieser fällt in die Zuständigkeit der Bundesländer. Etwas verwundert schaut er mich an und antwortet mir, dass er nicht verstehen kann, warum eine solch existentielle Frage nicht der obersten Instanz unterstellt sei. Beim Gesundheits- und Infektionsschutz dürfe man keine Kompromisse eingehen. Wie dem auch sei, er müsse leider weiter, kurz vor Weihnachten sei die Hölle los, aber er wünsche mir einen spannenden Tag mit interessanten Einblicken. Während er schon in der Tür steht, dreht er sich noch einmal zu mir um: Ich solle möglichst bald wiederkommen, sagt er freundlich lächelnd. Dann ist er endgültig hinter der Tür verschwunden. Jetzt drängt bereits Marianna zur Eile:

»Wir müssen los, Elena wartet sicher schon!«

Ich verabschiede mich also schnell noch von dem ausgesprochen freundlichen Kollegenteam Eleni und Georgios und wir versprechen uns gegenseitig, uns irgendwann in unseren griechischen Dörfern zu besuchen. Dann brechen Marianna und ich endlich auf. Unsere Schicht beginnt und meine neugierige Anspannung steigt.

Vor dem Büro stoppt Marianna ein Taxi, dass uns nach Zográfou bringen soll. Sie hat es eilig. Das Viertel liegt zwar ganz in der Nähe, doch der Gesundheitsschutz erlaubt keinen Verzug. Zográfou gilt als eine der besseren Wohngegenden. Auf dem Weg dorthin erläutert mir Marianna den Tagesablauf. Elena ist die ihr für dieses Jahr zugewiesene Kollegin. Eine sehr erfahrene und äußert angenehme Partnerin. Sie verstehen sich blendend, meint Marianna und ergänzt: »Ich kann noch viel von ihr lernen. Sie macht den Job seit fast 30 Jahren.«

Am Beginn des Papágou-Boulevards stoppt das Taxi vor einer Bäckerei. Marianna bezahlt den Fahrpreis von 3,10 € und wir steigen schnell aus.

»Übernimmt das Gesundheitsamt die Fahrkosten?«, frage ich Marianna, die sich keine Quittung hat ausstellen lassen. Allerdings würde man wohl auch einen handfesten Streit mit dem Taxifahrer anzetteln, würde man einen Beleg fordern.

»Wo denkst du hin! Das müssen wir natürlich selber bezahlen.«

Eine ältere, elegant gekleidete Dame, wartet vor der Bäckerei. Sie hat einen Stapel Akten unter dem Arm und eine große Handtasche um die Schulter hängen. Als sie uns sieht, winkt sie uns mit einem weit ausholenden Arm entgegen, während der andere den dicken Aktenstapel fest umklammert.

»Hallo Marianna, guten Morgen!« Dann wendet sie sich umgehend an mich: »Und du musst Andreas sein. Herzlich willkommen in Athen!«

»Lasst uns loslegen!«, drängt Marianna. »So kurz vor Weihnachten ist doch die Hölle los in den Konditoreien und Bäckereien.«

Alles muss rechtzeitig fertig werden zum großen Fest, und ich bin etwas stolz, dass ich heute mit darauf aufpassen kann, dass alles hygienisch einwandfrei ist; dass nicht gepfuscht wird. Marianna wirkt jetzt resolut. Sie ist offensichtlich im Dienst. Eine akribische Gesundheitspolizistin, die jetzt bereits ein Schreibbrett in der Hand hält, auf das sie ihre Checkliste geklemmt hat. Nur einen Augenblick später stehen wir damit in der ersten Bäckerei dieses Kontrolltages.

Die Damen Inspektoren zeigen der anwesenden Chefin der Bäckerei ihre Dienstmarken. Die Szenerie erinnert mich an einen Tatort-Krimi, wenn die Kommissare nach einem Mord die Angehörigen aufsuchen und sich mit ihren Ausweisen vorstellen. Spontane, angespannte Totenstille. Nach der Begrüßung teilen sich Marianna und Elena auf. Während sich Elena von der Inhaberin die erforderlichen Papiere vorlegen lässt, inspizieren Marianna und ich die Backstube.

»Komm, wir gehen direkt hinein«, sagt die Inspekteurin und bahnt sich rasch einen Weg durch den gefüllten Verkaufsraum, zwischen zwei Verkaufsvitrinen hindurch bis hinein ins Herz der Bäckerei. In der Backstube wuseln mehrere Bäcker und Gehilfen umher. Unser Erscheinen überrascht sie fast so, wie eine Razzia Drogendealer aufschreckt. Verblüfft schaut uns ein dickbäuchiger Herr an, der sich als der Chefbäcker herausstellt.

»Wie kann ich Ihnen helfen?«, fragt er etwas aufgeregt, aber höflich und mit Mehl an den Händen.

»Wir sind vom Gesundheitsamt und überprüfen die Einhaltung der Hygienevorschriften«, sagt Marianna ruhig. Den Bäcker scheint diese Aussage zu beruhigen und er wirkt jetzt entspannt. Marianna geht währenddessen bereits ihre Checkliste durch, überprüft die Einhaltung aller hygienisch relevanten Vorschriften und tritt in einen professionellen Dialog mit den Beschäftigten.

– Ist der Fußboden des Backraums ausreichend rein?

– Stehen die Mehlsäcke offen in der Ecke oder vorschriftsmäßig im Regal?

– Sind Handwaschbecken nach den Normen installiert?

– Und so weiter…

In dieser Bäckerei ist alles anstandslos. Viel ordentlicher, als ich es von einer Backstube erwartet hätte. Hier ist es fast so sauber wie in einem Reinraum eines Forschungslabors. Steril glänzende Fußböden und achtsam gepflegte Edelstahlregale sorgen für penible Sauberkeit und Ordnung.

So geht es anschließend auch in den nächsten Geschäften weiter. Eine noch recht neue Bäckerei, die erst seit einer kurzen Weile in diesem Viertel ansässig ist, hat ebenso alles vorschriftsmäßig beachtet, allerdings eine Kleinigkeit vergessen: In einer Glasvitrine liegen Backwaren, die von oben nur mit einer Klarsichtfolie abgedeckt sind.

»Das geht so nicht!«, erläutern die Kontrolleurinnen unisono dem peinlich berührten Ladenbesitzer streng, aber freundlich. Er muss dafür sorgen, dass eine feste Glasabdeckung von oben die Ware schützt. Der Fehler des Eigentümers wird vermerkt. In den nächsten Tagen wird sein Laden nachkontrolliert, dann muss alles in Ordnung sein, sonst drohen Strafzahlungen.

Beim nächsten Konditor ist der Weihnachtsstress deutlich spürbar. Bereits beim Eintreten zücken die Kontrolleurinnen erneut ihre Ausweise und halten sie dem Inhaber streng unter die Nase. Dieser wuselt hektisch und puterrot angesichts der zahlreichen Kunden zwischen den Auslagen und der Kasse hin und her.

»Muss das ausgerechnet heute sein?«, ruft er uns zu. »Meine Angestellte hat sich krankgemeldet, ich muss alles selbst machen und auch noch kassieren.« Er blickt Gnade erwartend zu mir, doch ich kann nur mit den Achseln zucken. Die Damen vom Gesundheitsamt kennen kein Pardon. Marianna zückt die Check-Liste und verschwindet bereits hinter der Glasvitrine, in der frische Blätterteigpasteten auf die Frühstücksgäste warten. Ofenfrische Tirópitas, mit Schafskäse und anderen Käsesorten gefüllte längliche, bauchige oder dreieckige Teigtaschen. Des Griechen Lieblingsfrühstück scheint auch in diesem Laden der Renner zu sein. Marianna hantiert mit einem Thermometer in der Auslage. Die vorgeschriebenen Temperaturen für frische Blätterteig-Frühstückstaschen werden penibel kontrolliert, obwohl selbstverständlich jeder noch so kleine Bäckerladen spezielle Warmhaltevitrinen vorhält.

Die Tirópita zum Start in den Tag wird verehrt wie ein Heiligtum, vergleichbar vielleicht dem Mettbrötchen mit Zwiebeln deutscher Handwerker. Kein Wunder, dass Marianna sich ganz genau die Ablage ansieht, auf der die beliebteste Variante warmgehalten wird: Die Bougátsa mit Schafskäse. Eine feine Art der Blätterteigtasche aus zahlreichen Filoteigblättern, jedes so dünn wie Pergamentpapier. Zwischen diesen fühlt sich offenbar der Fetakäse besonders wohl. Beim Anblick der in der riesigen Vitrine ausgestellten Bougátsa läuft mir das Wasser im Munde zusammen. Doch sofort bemerke ich Mariannas kritischen Blick, als sie die Kerntemperatur einer getesteten Blätterteigtasche vom Thermometer abliest. Hastig schreibt sie etwas auf den Inspektionsvordruck und wendet sich anschließend an den Inhaber des kleinen Ladens.

»Die Temperatur der Tirópitas ist zu gering«, landet als Eintrag im Feld „Beanstandungen der Inspektion“ des Vordrucks.

Der freundliche, aber gestresste Herr wird nun fast bleich.

»Wie bitte? Aber ich habe doch extra diese sündhaft teure Heißtheke angeschafft. Ganz neu ist die, schaut her!« Er deutet auf das Typenschild mit dem Produktionsdatum. Neueste Baureihe, aber die Temperatur im Inneren scheint dennoch nicht zu stimmen.

Marianna blickt den verstört wirkenden Bäckereibetreiber verständnisvoll an, zeigt aber dann mit dem Finger auf den vermeintlichen Übeltäter in der Vitrine und erläutert: Die Warmhaltetheke wird von unten erwärmt, dass bedeutet, die Hitze ist dort am größten. Nach oben hin nimmt sie stetig ab. In der Ablage, auf der die Bougátsa liegt, wäre eigentlich noch eine ausreichende Wärme vorhanden, aber: Marianna zieht ein Servierbrett aus der Vitrine, auf der die Tirópitas angerichtet sind.

»Dieses Brett ist einfach zu dick!« Durch die Holzschicht steigt zu wenig Wärme auf und die Temperatur im Inneren der Blätterteigtaschen bleibt unter den vorgeschriebenen 60 Grad Celsius. Marianna notiert wieder etwas auf dem Vordruck. In das Feld mit den „Hinweisen für das Unternehmen“, schreibt sie die allgemeinverständliche Empfehlung für den Inhaber: »Lassen Sie einfach das Brett weg, dann haben die Tirópitas die richtige Temperatur.« Mit diesen Hinweisen verabschieden wir uns und ziehen weiter zur nächsten Bäckerei.

Der nächste Laden ähnelt dem vorherigen. Nichts Besonderes, scheint mir. Umtriebige Betriebsamkeit kurz vor Weihnachten, und die Bäckerei ist voller Weihnachtsbackwaren, frischen Broten, Blätterteigtaschen und Kunden. Die Besitzer zeigen sich erst dann etwas nervös, als Marianna verlangt, dass man uns auch die Lagerräume im Keller noch zeigen solle. Ob das denn heute sein müsse, es sei doch so viel zu tun, die Kunden würden warten. Doch Marianna lässt nicht eher locker, bis der Inhaber uns zur Kellertreppe führt und leise und kaum hörbar seufzend eine schmale Tür öffnet. Ein funzeliges Licht scheint in die düstere Kelleretage herab. Marianna versucht voranzugehen, doch nachdem die erste Treppenstufe bedenklich knarzt, dreht sie um.

»Nein«, da gehe ich nicht runter, sagt sie zu mir.

»Ach komm, es wird schon nichts passieren. Ich gehe vor.«

Doch auch mir wird beim vorsichtigen Hinabsteigen etwas mulmig zumute. Auf halber Strecke des Abstiegs endet das Treppengeländer. Es scheint abgerissen zu sein und endet einfach im düsteren Nichts. Eine der letzten metallenen Treppenstufen ist stattdessen noch dran, hängt aber so bedenklich durch, dass ich darauf verzichte einen Fuß darauf zu setzen. Sie würde sicherlich abreißen. Als ich unten angekommen bin, sehe ich, wie Marianna nach nur wenigen Stufen wieder hinaufsteigt und dem Ladeninhaber die Leviten liest:

»Diese Treppe geht definitiv nicht. Das ist viel zu gefährlich, sowohl für Sie selbst, als auch für Ihre Angestellten. Der nächste Arbeitsunfall ist ja nur eine Frage der Zeit.«

Dem Betreiber der Bäckerei ist dies sichtlich unangenehm und er stammelt leise etwas Unverständliches vor sich hin. Dann konzentriert er sich sichtlich:

»Die Treppe ist tatsächlich gerade eben erst kaputtgegangen. Heute Morgen. Vor nicht einmal einer Stunde. Ich weiß auch nicht, wie das passieren konnte. Ich werde es selbstverständlich umgehend reparieren.«

Marianna notiert wieder in den Inspektionsbogen und blickt zu mir hinab in den Keller.

»Ich komme nun doch noch einmal runter. Wir sollten uns alles sehr genau ansehen«, sagt sie und geht vorsichtig Schritt für Schritt auf mich zu. Bei den letzten wackligen Stufen ohne Geländer helfe ich ihr.

»Pass gut auf, es ist nicht ungefährlich!«

Meine Arme bilden ein menschliches Treppengeländer, an dem sie sich festhalten kann und so gelingt ihr letztlich das waghalsige Manöver unfallfrei hinab. Die sehr schmale Treppe gleicht zwar einem Gang in die Hölle, dafür ist der Lagerraum, der sich hinter einem düsteren Vorraum versteckt, blitzsauber. Hier sind alle Waren vorschriftsmäßig gelagert. Hygiene wird selbst hier offenbar großgeschrieben. Verwundert reiben wir uns in einem der beiden Lagerräume die Augen, als uns plötzlich eine ältere Frau gegenübersteht, die sich als Angestellte ausgibt. Wie sie hier hinuntergekommen ist, will Marianna wissen.

»Na, über die Treppe, wieso?«

Wir erklären der Angestellten, dass ihr Chef bereits erklärt habe, dass er die heute kaputt gegangene Stiege umgehend reparieren lassen will. Die gute Frau lacht plötzlich los, hält sich aber sofort die Hand vor den Mund, um nicht von ihrem Boss gehört zu werden. Sie hält sich den Zeigefinger vor den Mund und flüstert:

»Verraten Sie nicht, dass ich das gesagt habe, aber diese Treppe ist seit Monaten hin. Jeden Tag versuche ich, nicht durch die Stufen in die Tiefe zu stürzen. Aber bitte nichts verraten, sonst bin ich meinen Job los!«

Beruhigend nicken wir ihr zu. Während an der Hygiene in dieser Bäckerei rein gar nichts auszusetzen ist, lässt die Einhaltung der Arbeitsschutzvorschriften doch sehr zu wünschen übrig. Marianna vervollständigt zügig den Inspektionsbogen, dann verabschieden wir uns von der Angestellten, steigen sehr vorsichtig wieder ins Erdgeschoss hinauf und verlassen den Laden. Nachkontrolle dringend erforderlich!

Der nächste Betrieb ist in jeder Hinsicht vorbildlich. Die Präsentation der weihnachtlichen Gebäckstücke gleicht eher einem Museum als einer Konditorei. Die Backwaren und Torten sind ein Augenschmaus, und nicht nur mir läuft das Wasser im Munde zusammen. Griechische Konditoreien sind das ganze Jahr über das Paradies für Schleckermäuler, aber an Weihnachten und Ostern übertreffen sich die Zuckerbäcker gegenseitig. Was wir in dieser Konditorei erleben, scheint von einer anderen Welt zu sein. Bunte Kunstwerke in allen nur erdenklichen und nicht vorstellbaren Formen. Die beiden Besitzerinnen, zwei elegante Damen in den besten Jahren und in bezaubernden Kleidern, stehen hinter ihren Vitrinen, sehen unsere geifernden Blicke und strahlen wie Honigkuchenpferde über das noch unausgesprochene Lob unserer Blicke, die sich nicht von den Törtchen lösen können.

»Wie können wir Ihnen helfen?«, fragen sie unisono, und Elena reißt dies zuerst aus unseren Gedanken.

»Wir kommen vom Gesundheitsamt und machen eine Routinekontrolle. Was sind denn das für faszinierende Köstlichkeiten hier überall. Das ist ja der Wahnsinn!«

Der für einen Bruchteil von Sekunden erstarrte Blick der beiden Damen, nachdem sie das Wort Gesundheitsamt hörten, weicht schnell wieder einem herzlichen Lächeln. Und Marianna ergänzt zudem:

»Hiervon möchte ich unbedingt welche mitnehmen. Und von diesen dort, und hier, davon auch.« Sie blickt sich um, zeigt von einer Süßigkeit zur nächsten. Auch ich überlege bereits, wie viel Kilo ich wohl im Gepäck mit nach Deutschland nehmen kann. Die Konditorinnen strahlen:

»Das machen wir alles hier selbst. Eines leckere als das andere.« Eine der beiden kommt bereits mit mehreren in Tütchen verpackten Weihnachtsmännern auf uns zu. »Geschenk des Hauses. Was können wir Ihnen noch mitgeben?«

Ich will bereits beherzt zugreifen, als Marianna und Elena gleichzeitig und sehr deutlich eingreifen: »Wir nehmen keine Geschenke. Egal, was es auch sein mag. Keine Bestechung, nicht einmal der Anschein davon darf entstehen. Wir werden alles bezahlen. Aber zuerst machen wir nun die Kontrolle.«

Sie lassen sich alle notwendigen Unterlagen zeigen, prüfen sämtliche Parameter der erforderlichen Hygiene besonders akribisch und am Ende steht eine glatte 1+.

»Alles absolut einwandfrei! Das ist vorbildlich. Hier können wir unser Weihnachtsgebäck kaufen.«

Die vier Damen tauschen sich noch schnell über die Konditorenkunstwerke aus, und die beiden Kontrolleurinnen und ich kaufen reichlich beste Backware. So bepackt, kann der aufregende Arbeitstag nun zu Ende gehen. Es ist bereits weit nach Mittag und wir sind unentwegt beschäftigt gewesen.

»Kurze Kaffeepause?«, fragt Elena.

»Ach kommt, eine Kontrolle schaffen wir noch!« Marianna ist heute einfach nicht zu bremsen. Achselzuckend folgen wir ihr also in den nächsten Laden, kaum 100 Meter weiter. Der Papágou-Boulevard sollte besser in Konditoreien-Allee umbenannt werden. Eine schier unendliche Anzahl kleiner, mittlerer und großer Backhandwerksbetriebe reiht sich hier aneinander.

»Guten Tag, wir kommen vom Gesundheitsamt. Die Papiere bitte!« Beinahe hätte ich beim Eintreten in die kleine, düstere Bäckerei den beiden Damen die Show gestohlen, doch wie immer ist Marianna diensteifrig zur Stelle. Der junge Mann hinter dem kleinen Tresen scheint verwundert.

»Wie kann ich Ihnen helfen? Wir haben erst vor wenigen Tagen eröffnet. Daher ist es leider noch etwas unordentlich hier. Ich hoffe, das stört Sie nicht.«

Es wirkt gemütlich hier, etwas hipp, jugendlich frisch. Der Besitzer und ein Angestellter, der seinen Kopf neugierig, aber etwas nervös um eine Ecke steckt, wirken südamerikanisch. Es duftet nach Kaffee, frischen Bohnen, und einige wenige frische Brote liegen sorgfältig in einem Regal. Auf dem Tresen eine ungewöhnlich kleine Auswahl, dafür aber sehr appetitlich aussehende Weihnachtsgebäcksorten. An der Wand liegen zwei gefüllte original mexikanische Kaffeebohnensäcke. Aufeinandergestapelt. Der Besitzer sieht meinen Blick und sagt entschuldigend in meine Richtung:

»Wir wollten die Säcke eigentlich ins Lager bringen, aber dann dachten wir, es wirkt authentisch und wir haben sie dort liegen gelassen.«

»Mir gefällt es«, sage ich schnell, während Marianna und Elena, ganz vertieft in die Unterlagen, diese kleine Konversation gar nicht mitbekommen.

»Es ist hübsch hier. Und euer Kaffee duftet wirklich verführerisch.«

Der Südamerikaner lächelt.

»Danke, es ist unser Herzensprojekt. Diesen kleinen Kaffeeund Backwarenladen wollten wir schon lange eröffnen. Erst kam uns die Krise dazwischen, dann die langwierige Bürokratie in Griechenland, aber letztlich haben wir es gerade so noch vor Weihnachten geschafft. Das Geschäft des Jahres wollten wir uns nicht entgehen lassen.«

»Ich wünsche euch viel Erfolg!«

Marianna und Elena sind inzwischen fertig mit ihren Kontrollen. An den Besitzer haben sie nur eine Bitte:

»Die Abdeckung über den Keksen hier. Eigentlich muss eine Glasscheibe über der Auslage sein. So wie bei den anderen Theken auch.«

»Man hat uns ein falsches Teil geliefert, daher haben wir es zunächst mit der Folie abgedeckt. Sobald es nachgeliefert wird, kommt es natürlich drauf«, verspricht der glaubwürdige junge Geschäftsmann.

»Okay, wir kommen demnächst nochmal vorbei und schauen nach dem Rechten«, sagt Elena und wendet sich zum Gehen.

»Ach, fast hätte ich es vergessen.« Marianna hat noch eine Bitte an den Südamerikaner. »Wir bräuchten noch die Genehmigung für den Coffee-to-go-Verkauf. Sie machen hier mit der Maschine doch Kaffee zum Mitnehmen?«

»Ja natürlich. Und zwar den besten in der Stadt. Möchten Sie einen probieren?«

»Nicht nötig«, sagt Elena. »Wir machen jetzt sowieso Feierabend und gehen etwas essen.«

»Zeigen Sie mir noch schnell die Papiere, und wir sind schon wieder weg“, sagt Marianna.

»Ähm, also, ja… Ich befürchte die habe ich zuhause. Ich wusste nicht, dass… ähm, dass…«

»Sie müssen alle Unterlagen immer im Laden vorhalten. Das ist jetzt kein Drama, wir kommen ja ohnehin in den nächsten Tagen nochmal vorbei. Dann haben Sie aber bitte alles hier!« Marianna reicht dem jungen Ladenbesitzer noch das Kontrollprotokoll, dann verabschieden wir uns. Es ist spät geworden und beim permanenten Anblick dieser vorweihnachtlichen Köstlichkeiten und der dazugehörigen Düfte sind wir nun alle etwas hungrig geworden.

Zurück auf dem Bäckereien-Boulevard schaut Elena auf die Uhr.

»Oh, es ist schon so spät!? Ich wollte eigentlich noch mit euch einen Kaffee trinken gehen, aber ich befürchte ich muss langsam los.«

»Schon gut, geh‘ ruhig, du hast sicher so kurz vor Weihnachten auch noch eine Menge zu tun«, sage ich.

»Das kannst du wohl laut sagen. Backen wollte ich eigentlich auch noch, aber wann? Na ja, wir haben ja immerhin das köstlichste Gebäck eingekauft.« Elena deutet auf ihre dick gefüllte Handtasche. Mir läuft das Wasser im Munde zusammen.

»Dann geh ich jetzt mit Andreas noch etwas essen. Ich bin hungrig. Wir haben viel mehr geschafft, als wir uns vorgenommen haben. Wir waren wirklich gut.« Marianna blickt stolz zu mir und Elena.

»Ich danke euch sehr, es war superspannend heute. Frohe Weihnachten Elena! Kala christougenna!«

Eine halbe Stunde später sitze ich mit Marianna in einem modern anmutenden Grillrestaurant in der Nähe des Gesundheitsamtes.

»Hier gehen wir öfter mittags hin. Sie haben gutes und preiswertes Essen.«

»Gut, dann bestell du für uns und ich werde dir gleich noch ein paar Fragen stellen, während wir aufs Essen warten. Machen wir ein kleines Interview?«

Marianna blickt etwas verschüchtert, als sie mein Diktiergerät sieht.

»Keine Bange, ich möchte nur noch ein paar Sachen zusätzlich zu deinem Job erfahren. Es wird doch sicher nicht immer so unproblematisch wie heute ablaufen?«

»Na gut, ich erzähl dir etwas. Aber erst bestelle ich uns Salat, Mezé und Jurvalákia. Ich habe wirklich Hunger bekommen. Und die Jurvalákia sind toll hier. Du weißt doch, was Jurvalákia sind?«

»Na klar, Hackfleischbällchen mit Reis in Zitronensoße.«

Schnell schalte ich das Aufnahmegerät ein, damit wir mit dem Interview fertig sind, bevor die Köstlichkeiten kommen:

»Marianna, hattest du mal irgendwann schlechte Erfahrungen bei euren Kontrollen?«

»Schlechte Erfahrungen? Normalerweise nicht. Zumindest, wenn wir Geschäfte und Läden kontrollieren. Das ist harmlos. Aber unangenehm sind manchmal die Hausbesuche. Wenn wir zum Beispiel bei Menschen nach dem Rechten schauen sollen, die nicht mehr alleine klarkommen. Verwahrlosung, Messies, da gibt es manchmal böse Überraschungen. Angefangen von Unmengen von Müll in den Wohnungen oder Kakerlaken und Mäusen. Die Nachbarn bitten häufig das Gesundheitsamt um Hilfe, oder jemand aus der Nachbarschaft meldet sich anonym und wir gehen diesen Hinweisen dann nach.«

»Was genau macht ihr dann dort?«

»Na ja, wir klopfen an die Tür. Man lässt uns rein. Meistens jedenfalls. Wir schauen, ob wir irgendwie helfen können. Manchmal sind es alleinstehende Menschen, die Hilfe brauchen. Die freuen sich. Wir wollen niemanden allein lassen. Auch das ist richtige Hygiene und Gesundheitsschutz. Aber hin und wieder brauchen wir auch die Unterstützung der Polizei, um in die Wohnungen kommen zu können.«

»Gab‘s schonmal richtig Ärger? Hat man dich angegriffen?«

»Nein, zum Glück nicht. Aber eine Kollegin hat es mal heftig erwischt. Als sie gerade gehen wollte, hat sie einen fiesen Schlag von hinten auf den Kopf bekommen.«

»Pass auf dich auf!«

»Du hast Recht. Ja, es ist nicht ungefährlich. Manchen Menschen sieht man an, dass sie gewaltbereit sind. Aber wir können ja nicht immer die Polizei mitnehmen. In solchen Momenten, wenn wir allein vor Ort sind, fühlt es sich schon etwas beängstigend an.«

Das kann ich verstehen.

»Aber es ist halt unser Job. Am meisten Angst habe ich persönlich aber bei Personen, die krank sind. Nicht immer weiß man, worum es geht. Infektionskrankheiten zum Beispiel. Oder wenn jemand von Parasiten befallen ist. Einigen sieht man es sofort an, wenn zum Beispiel der ganze Körper befallen ist.«

»Werdet ihr oft beauftragt, in solchen Wohnungen Kontrollen durchzuführen oder kommt das eher selten vor?«

„Sehr oft sogar! Wirklich sehr oft. Ganz häufig gibt es Beschwerden über Menschen, die mit unzähligen Tieren in einer Wohnung leben. Da hast du ganz oft alles voller Tiere und zusätzlich ganz viel Müll. Wie oft stehen wir an der Tür, es wird geöffnet und man erkennt sofort, dass man nicht einmal eintreten kann, weil der Müll bis zur Decke reicht.«

»Bleibt ihr dann draußen, oder geht ihr trotzdem rein?«

»Wir gehen rein! Egal, wie hoch der Müll sich stapelt. Wir müssen ja sehen, wie die Lage ist. Natürlich tragen wir dann Schutzanzüge und Atemschutzmasken. Das ist klar. Es geht immerhin um die Gesundheit. Nicht nur um unsere, sondern auch um die der Betroffenen. Wie können wir helfen? Welche Maßnahmen sind angebracht? Dafür müssen wir uns ein genaues Bild verschaffen. Manchmal übernimmt dann die Stadtverwaltung die Reinigung der Wohnung, besorgt einen Kammerjäger, damit es wieder bewohnbar wird. Und wir kontrollieren anschließend erneut, ob der Bewohner wieder dorthin zurückkehren kann.«

»Also sind dir die Kontrollen in Geschäften und Läden lieber, vermute ich.«