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Schwarzwald 1950. Der Bauer Emil Dold lebt allein mit Agnes und Rosa auf dem Lenzenhof. Mit Agnes ist er verheiratet, mit der tüchtigen Magd Rosa pflegt er ein Liebesverhältnis. Als Rosa ein Kind erwartet, ist klar, dass es verschwinden muss. Nur wie? Keiner soll Rosas Nöte mitbekommen, und doch sieht jeder irgendetwas. Als schließlich die Gerüchte überhandnehmen, fängt Oberwachtmeister Bruno Strecker an, nachzuforschen.
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Seitenzahl: 264
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Julia Heinecke
Heimliche Frucht
Roman
Das Kind muss weg War die Magd wirklich vom Bauern schwanger? Und wenn ja – wo ist das Kind? Jeder sieht doch, dass der Bauer Emil vom Lenzenhof was mit seiner Magd Rosa hat, oder etwa nicht? Immer glucken die beiden zusammen, während die Bäuerin Agnes sich wohl im Haus versteckt. Und hat die Rosa nicht zugenommen? Na, die war schon immer etwas kräftig, aber jetzt ist es doch eindeutig. Früher war sie auch so fröhlich – und mittlerweile schaut sie nur noch verdrießlich drein. Was der Bauer damit seiner Frau Agnes antut, die doch selbst gerade erst niederkam!
So reden die Leute, und um sie zum Schweigen zu bringen, greift Emil zu drastischen Maßnahmen. Doch dadurch wird alles nur schlimmer. Schließlich nimmt Oberwachtmeister Bruno Strecker Ermittlungen auf. Denn wenn Rosa wirklich schwanger gewesen war, dann muss das Kind doch irgendwo stecken …
Julia Heinecke wurde in Berlin geboren, wuchs im nördlichen Schleswig-Holstein auf und ist seit über einem Vierteljahrhundert in Südbaden zu Hause. Sie absolvierte eine Übersetzer-/Dolmetscherausbildung und studierte anschließend Kulturwissenschaften. Heute lebt und arbeitet Julia Heinecke als freiberufliche Übersetzerin, Lektorin und Autorin in Freiburg. In mehreren Publikationen hat sie sich sowohl auf Sachebene als auch in Romanform mit der Kulturgeschichte des Schwarzwaldes auseinandergesetzt.
Personen und Handlung sind frei erfunden.
Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen
sind rein zufällig und nicht beabsichtigt.
Die automatisierte Analyse des Werkes, um daraus Informationen insbesondere über Muster, Trends und Korrelationen gemäß § 44b UrhG (»Text und Data Mining«) zu gewinnen, ist untersagt.
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Alle Rechte vorbehalten
Lektorat: Claudia Senghaas, Kirchardt
E-Book: Mirjam Hecht
Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart
unter Verwendung eines Fotos von: © ullstein bild – mauritius
ISBN 978-3-8392-7924-3
Nach einer wahren Begebenheit
1 Liebe
2 Zuversicht
3 Enttäuschung
4 Verzweiflung
5 Gerede
6 Tatsachen
7 Sühne
Als er die Bergkuppe erreicht hatte, hielt der Postbote Werner Dreieich schnaufend an. Er atmete tief durch und blinzelte in die Maisonne. In der Ferne erhob sich der Feldberg als i-Tüpfelchen des Schwarzwaldpanoramas. Welch herrliche Aussicht, dachte Dreieich. Sie war die Belohnung für seine täglichen Mühen. Jetzt ging es mit dem Rad die schmale Straße nur noch bergab. Werner Dreieich schwang sich wieder in den Sattel und genoss die rasante Abfahrt.
Am Lenzenhof bremste er ab und ließ seine Fahrradglocke erklingen. Ring, ring! Das Rad kam zum Stillstand, der Postbote stieg ab.
Etwa fünfzig Meter von ihm entfernt standen der Bauer Emil Dold und seine Magd Rosa Löffler auf dem Rübenacker, zwischen ihnen der Mistwagen. Beide holten mit ihren langen Gabeln den Mist herunter und verteilten ihn auf dem Ackerboden. Sie nahmen den Postboten gar nicht wahr, so vertieft waren sie in die Arbeit.
»Salli, Emil«, rief Dreieich. Er zog zwei Briefe aus der Ledertasche an seinem Lenker und schwenkte sie. »Post für euch.«
Gleich zwei Briefe. Der Postbote betrachtete sie interessiert. Der eine wirkte mit seiner weiblichen Handschrift persönlich, der andere war vom Amt. Dreieich sah genauer hin. Finanzamt, las er. Aus dem Absender des anderen Briefes schloss er, dass es sich um eine Verwandte der Familie handeln musste. Dreieich sah wieder hoch. Emil Dold schien die Post egal zu sein, er war weiter mit seinem Acker beschäftigt.
»Fahrt ihr wieder Mist, gell? Bei dem schönen Wetter.«
Jetzt blickte Emil erstmals auf. »Gib die Post der Agnes. Die ist drinnen.« Er wandte sich ab und machte mit seiner Arbeit weiter.
Der Postbote schaute enttäuscht. Er betrieb seinen Beruf mit Leib und Seele, und dazu gehörte stets ein kleiner Schwatz mit den Adressaten seiner Briefauslieferungen. Werner Dreieich war nicht nur Geschichtenempfänger, er sorgte auch dafür, dass die Geschichten unter die Leute kamen, und er hätte schon ein bisschen was mitzuteilen gehabt.
Aber hier war heute nichts zu machen. Emil Dold schien keine besonders gute Laune zu haben. Das kam vor. Und Rosa, die Magd, wohl auch nicht. Das wiederum war einigermaßen erstaunlich, denn die Rosa war doch immer gut aufgelegt und fröhlich. Sicher lag es an der vielen Arbeit, und sie waren nur zu zweit. Die Rosa war ja immer so fleißig, das wusste jeder. Die Frau vom Emil hingegen … Da hörte man ja dies und das.
Jetzt verteilte Rosa konzentriert den Mist auf dem Acker und wandte ihm ihren Rücken zu. Na, solche Tage gibt es halt, dachte Dreieich und ging mit den Briefen zur Haustür, wo Agnes ihn mit dem kleinen Säugling auf dem Arm schon erwartete.
Wahrscheinlich waren sie sich zur Kirchweih 1948 zum ersten Mal begegnet. Der Lenz, also der Vater von Emil, trank zusammen mit Alfred, dem Vater von Rosa, ein Bier, und so kam eins zum anderen. Als dann auf dem Lenzenhof eine Magd gebraucht wurde – die Bäuerin war schon tot und die Töchter vom Lenz hatten nach Streitigkeiten mit ihrem Vater das Weite gesucht –, fragte Emil bei Rosas Eltern nach. Er saß dort am Stubentisch, trank den eingeschenkten Schnaps und betrachtete wohlwollend die junge Frau, die da zur Tür hereinkam. Und es ist nicht gelogen, wenn man sagt, dass auch Rosa den Emil wohlwollend anschaute.
Gewiss, einen Moment hatten Rosas Eltern schon darüber nachgedacht, ob es für ihre erst neunzehn Jahre alte Tochter das Richtige sei. Allein mit zwei Männern auf einem Hof, da war das Getratsche ja schon vorprogrammiert. Dass es schließlich so ein Ausmaß annehmen würde, hätten Rosas Eltern im Traum nicht gedacht.
Rosa war zu der Zeit auf dem Beha-Hof als Kindsmagd in Stellung, wurde dort aber nicht mehr unbedingt benötigt. Man war sich schnell einig, Rosa einverstanden, und so kam im Februar 1949, gleich nach Maria Lichtmess, endlich wieder eine Frau auf den Lenzenhof.
Kaum dort angekommen, sah sie gleich Handlungsbedarf. In gespieltem Ärger schlug Rosa die Hände zusammen.
»Wann wurde hier denn zuletzt geputzt?«
Sie lachte und schnappte sich den Besen, der unbenutzt neben der Küchentür lehnte. Mit weit ausholenden Schwüngen fegte sie in Nullkommanix durch. Dazu sang sie.
Emil beobachtete derweil im Türrahmen stehend, wie sie mit ihren kräftigen Armen in der Stube für Sauberkeit sorgte. Er wollte eigentlich nicht starren, sondern einfach weitergehen. Aber das ging nicht, er war magisch angezogen von der neuen Magd und ihrem Frohsinn.
Sie gefiel ihm. Sie war kein dürrer Hungerhaken, wie man es gerade bei den Frauen aus der Stadt sah. Denen steckte der Krieg sprichwörtlich noch in den Knochen. Rosa war von kräftiger, gedrungener Statur. Sie wirkte auf Emil ausgesprochen weiblich. Ihre schönen großen Brüste ließen sich durch die weichen Rundungen unter ihrer Bluse und dem Mieder erahnen. Sie hatte eine ausgeprägte Taille, und ihrem wohlgeformten Hinterteil mochte der Jungbauer am liebsten mal einen ordentlichen Klaps verpassen. Bei dem Gedanken bekam er rote Ohren und wandte sich ab.
Rosa fand sich schnell zurecht und lebte sich ein. Sie putzte, kochte, spülte, wusch, bügelte, flickte, fegte, molk, schlug Butter, drosch, fütterte die Tiere, kehrte den Stall, jätete Unkraut, half beim Steinen, beim Heuen, beim Säen, beim Ernten der Frucht und setzte Kartoffeln, als wäre sie schon immer da gewesen. Sie war überall, immer fix, klagte nie, sondern im Gegenteil summte stets ein Lied und strahlte über das ganze Gesicht. Sie schnitt sogar dem alten Lenz die Zehennägel (aber erst, nachdem sie ihn zu einem Fußbad verdonnert hatte). Sie machte sich unentbehrlich. Selbst in Emils Träumen.
*
Das Maiwetter zeigte sich von seiner besten Seite. Die Sonne schien mild, ein leichter Wind wiegte die Grashalme auf der Wiese sanft hin und her.
»Bald können wir heuen«, sagte Emil zu Rosa.
»Wenn das Wetter so schön bleibt«, bestätigte Rosa.
Sie waren auf dem Weg ins Dorf, auf dem Kirchplatz wurde heute das Pfingstfest gefeiert. Die Währungsreform ein Jahr zuvor hatte für volle Regale und Entspannung gesorgt. Jetzt gab es wieder Musik, Tanz und Bier. Der alte Lenz war nach der Vormittagskirche gleich dortgeblieben.
Rosa freute sich unbändig, denn seit sie vor drei Monaten ihre Stellung auf dem Lenzenhof angetreten hatte, hatte sie ihre Eltern und Geschwister nur zweimal kurz nach der Kirche am Sonntag gesehen. Heute war endlich Zeit, alle nach Wochen wiederzutreffen, miteinander zu schwätzen und sich gemeinsam zu amüsieren. Das Pfingstfest war der besondere Höhepunkt der Gemeinde.
Emil freute sich ebenfalls. Er hatte sich fest vorgenommen, Rosa heute zum Tanz aufzufordern. Seit Tagen malte er sich aus, wie sie gemeinsam über die Tanzfläche schwebten. Wie er endlich einen Grund hatte, seinen Arm auf ihren Rücken zu legen. Er sie an sich heranziehen könnte. Ihren Körper spüren. Ihr ins Gesicht schauen, in ihre schönen blauen Augen. Emil beschleunigte seinen Schritt; je früher sie ankamen, desto besser, und Rosa hielt locker mit.
Alle Bewohner des kleines Ortes und aus der Umgebung waren gekommen. Man freute sich, nach den harten Nachkriegsjahren zusammen zu sein und endlich wieder ein bisschen zu feiern. Der Kirchplatz summte von Stimmen und Lachen. Bierkrüge stießen gegeneinander, Bälle wurden gegen Dosen geworfen, Ballwurferfolge beklatscht.
Rosa unterhielt sich angeregt mit ihren Schwestern. Emil hörte ihr lautes, fröhliches Lachen. Er setzte sich zu seinem Vater an den langen Tisch, an dem die Männer der Nachbarhöfe Bier tranken und schwätzten, und ließ Rosa nicht aus den Augen. Jetzt warf sie mit ihren zwei jüngeren Brüdern selbst ein paar Bälle und schaffte es, dass alle Dosen umfielen. Natürlich schafft sie das, dachte Emil, der Rosa fällt doch immer alles so leicht. Als die Mitglieder der Musikkapelle nach den Instrumenten griffen und die ersten Töne produzierten, flatterten in seinem Bauch tausend Schmetterlinge.
Die Trachtentanzgruppe machte den Anfang. Rosa stand ein paar Meter von Emil entfernt und klatschte im Takt. Sie trug heute ein modernes hellrotes Kleid mit weißem Gürtel, das ihre üppige Figur unterstrich, und sah gar nicht aus wie eine Schwarzwälder Magd. Das machte sie für Emil nur noch reizvoller. Jetzt wurde die Tanzfläche eröffnet, die ersten Männer forderten ihre Damen zum Tanz auf. Emil sprang von seiner Bank auf und lief schnurstracks zu Rosa.
»Tanzen wir?«
Rosa strahlte ihn an. »Gern.«
Emil griff ihre Hand und zog sie an sich. Endlich. Er spürte ihren festen, muskulösen Rücken. Ihre Augen glänzten und ihre Mundwinkel lachten, während sie sich im Takt der Musik bewegten. Leichtfüßig, weil alles so leicht war. Emil fühlte sich, als flöge er davon.
»Schau mal, die ganzen Weiber glotzen«, holte ihn Rosa auf den Boden zurück. Mit ihrem Kinn wies sie in Richtung Kirche. »Selbst die Erna ist dabei.«
Emil zog Rosa in die andere Ecke der Tanzfläche. »Lass sie reden, was wissen die schon. Wir machen nichts Verbotenes.«
Emil blickte über seine Schulter zurück. Seiner eigenen Schwester Erna troff das Geschwätz aus dem Mund, und Maria Wöhrle, die dem Lenzenbauern immer bei der Feldarbeit half, war zusammen mit Herta Spiegelhalter die größte Tratschtante überhaupt. Das wusste jeder. Die Vierte im Bunde, Elfriede Katzuleit, die Schlesien-Vertriebene, wollte einfach nur dazugehören und tratschte deshalb kräftig mit. Auch das wusste jeder. Ganz ungeniert hielten die vier Frauen Maulaffen feil.
Rosa lachte unbekümmert wie immer. »Komm, wir zeigen’s ihnen. Dass sie was zum Verzählen haben.«
Nach vielen weiteren Tänzen war es Zeit, in den Stall zu gehen. Das Vieh wollte gemolken werden. Lenz blieb sitzen. Das machte nichts, Emil und Rosa waren oft alleine im Stall, wenn dem Lenzenbauern wieder der Bauch so wehtat. Er war ganz empfindlich geworden; dann kochte Rosa für ihn extra eine Hafersuppe zu Mittag, weil er das Gemüse und den Salat nicht essen mochte.
Den Weg zurück zum Hof liefen Emil und Rosa viel langsamer als am Mittag. Sie trödelten. Keiner sagte ein Wort, aber hin und wieder kreuzten sich ihre Blicke, und ihre Hände waren nur Zentimeter voneinander entfernt. Wie Magneten fühlten sie sich voneinander angezogen. Kurz vor der letzten Kehre, bevor es auf die kleine Straße zum Hof ging, griff endlich Emils linke nach Rosas rechten Hand. Beide schauten geradeaus, überwältigt von ihrem Mut, und zufälligerweise kam dort gerade der Postbote Werner Dreieich auf seinem Fahrrad die Straße entlang – natürlich ohne Post, denn es war ja Sonntag. Emil ließ los, und Rosa versteckte ihre Hand verschämt hinter ihrem Rücken und rieb sie, als würde sie brennen.
Der Postbote hielt an. Linker Fuß auf dem Boden, rechter auf der Pedale, Hände am Lenker, so stand er da und wartete, dass die zwei näher kamen.
»Salli, Emil«, grüßte er freundlich. »Was für ein schöner Tag heute, gell?«
»Ja, ein wunderbarer Tag«, bestätigte Emil.
»Bald können wir heuen, wenn es so bleibt.«
»Ja«, nickte Emil.
»Schönen Abend miteinander.« Werner Dreieich zwinkerte den beiden zu, gab sich mit seinem linken Fuß auf dem Boden Schwung, setzte sich zurück auf den Sattel und radelte davon.
»Schönen Abend«, riefen ihm Emil und Rosa zeitgleich hinterher. Dann schauten sie sich an und kicherten.
Sie kicherten so, wie es nur Verliebte taten.
Rosa setzte sich auf den Melkschemel und fing an, die erste Kuh zu melken. Wie immer summte sie dazu. Emil konnte den Blick nicht von ihr lassen, während er das Heu vor die Kühe warf. Er war nervös. Und Rosa, das sah er ganz genau, war es auch, egal, wie schön sie summte.
Später stellte sie in der Stube Speck und Brot auf den Tisch.
»Ich hab eigentlich gar keinen Hunger«, bemerkte Emil.
»Ich auch nicht«, erwiderte Rosa, »aber es ist ja Essenszeit.«
Sie setzten sich gegenüber, Rosa blinzelte in die Abendsonne und konnte Emil, der vor dem Fenster saß, kaum erkennen, während Emil an nichts anderes dachte, als dass er diese Lippen der ihm gegenüber ins rechte Licht gerückten Rosa küssen wollte. Hastig sprang er nach ein paar Bissen auf und sprach das Gebet, das die Mahlzeit beendete, obwohl noch genug auf dem Tisch stand. Rosa hatte keine Einwände.
Sie trug alles zurück in die Küche und ließ den Abwasch einfach stehen. Stattdessen nahm sie ihre Schürze ab, strich den Rock ihrer Arbeitstracht glatt und griff nach Emils ausgestreckter Hand, der sie nun die Treppe hinaufzog, ganz vorsichtig und leise, damit die Stufen nicht knarrten. Dabei waren sie doch ganz allein im Hause, der Lenz noch auf dem Fest. Doch die beiden ahnten, dass jetzt etwas Großes, Ungehöriges passieren würde und dass niemand außer ihnen das gut finden würde, der Altbauer nicht, die katholische Kirche nicht, Rosas Eltern nicht, und darum sollte es besser keiner wissen.
Emil stieß die Tür zu seiner Kammer auf. Sie quietschte so laut, dass Rosa nervös auflachte. Innen schaute Emil seiner Magd lange ins Gesicht. Wie schön sie ist, dachte er. Rosa wurde schließlich rot und wich seinem Blick aus. Emil drückte seine Lippen auf Rosas, so, wie er es sich immer gewünscht hatte, und er fand, dass es sich noch besser als in seinen wochenlangen Vorstellungen anfühlte. Erst zögerte sie, doch dann gab sie nach. Er legte den Arm um ihre Hüfte und zog sie an sich.
Rosa war überrascht, als sie Emils Zunge in ihrem Mund spürte. Sie wusste nicht, was das war, Küssen, aber nach der ersten Schrecksekunde war ihr wohl und sie genoss es. Sie hatte nichts dagegen, dass Emil ihren Körper streichelte, das Mieder öffnete, seine Hand unter ihren Rock glitt. Beide waren eins in ihren Bedürfnissen, und Rosa vertraute Emil vollkommen, dass er das Richtige tat. Sie war erstaunt, wie wenig Angst sie hatte. Emil war zärtlich und vorsichtig, als er sich auf sie legte; und ihre Empfindungen entsprachen so gar nicht dem, was ihre älteste Schwester Irma ihr mit verächtlicher Miene vom Ehevollzug berichtet hatte. Und irgendwie war es Rosa auch egal, dass sie und Emil ja gar nicht verheiratet waren.
Schließlich schlief Emil in ihren Armen ein, während Rosa seinen Nacken streichelte, beseelt davon, was passiert war. Draußen dämmerte es, in der Kammer herrschte ein letztes Zwielicht. Gleich kommt bestimmt der Lenz, dachte Rosa. Sie zog ihren Arm unter Emils Kopf hervor, schwang die Beine über die Bettkante und richtete sich auf. Emil hielt sie fest.
»Bleib.«
Sie entzog sich seinem Griff. »Nein, es ist besser, wenn ich jetzt gehe. Dein Vater kommt sicher gleich.«
Bei aller Verzauberung der letzten Stunden hatte sie Angst vor der Reaktion des alten Lenz. Sie nahm ihre Schuhe in die Hand und schlich aus der Kammer. Die Tür, so kam es ihr vor, quietschte noch lauter als zuvor. Einen Moment wartete sie ab, doch sie hörte nichts. Erst als sie sich gerade in ihr eigenes Bett in der Gesindekammer über dem Stall gelegt hatte, vernahm sie, wie Lenz unten schwerfällig die Haustür öffnete.
Waren Emil und Rosa fortan allein, feierten sie ihre Liebe. Jeden Abend kam Emil zu Rosa in die Kammer, denn ihre Tür quietschte nicht, und so war es unauffälliger. Manchmal blieb er die ganze Nacht. Sie konnte es kaum abwarten, lag in ihrem Nachthemd da und lauschte auf das Knirschen der Dielen. Leise, ganz leise legte er sich zu ihr in das schmale Bett. Ganz langsam suchten ihre Hände den Körper des anderen ab, als hätten sie alle Zeit der Welt. Sachte, ganz sachte war Emil, wenn er in sie eindrang. Jedes Mal passte er auf, dass nichts passierte. Und Rosa, die von solchen Sachen keine Ahnung hatte, glaubte ihm.
*
Natürlich war Rosa eine tüchtige und gottesfürchtige Frau. Sie war aufgewachsen im tiefen katholischen Glauben, ihrem göttlichen und weltlichen Herrn zu dienen und sich recht und tugendhaft zu verhalten. Seit sie denken konnte, gehörte der sonntägliche Kirchgang zu ihrem Leben. Seit ihrer Kommunion ging sie regelmäßig alle paar Wochen zur Beichte. Doch eben weil sie so tugendhaft und ehrsam lebte, hatte es bis dato wenig zu beichten gegeben. Als Jugendliche etwas Groll auf die großen Geschwister oder eine ungeduldige Hand gegenüber den jüngeren. Als Magd beim Beha-Bauern ein stibitztes Stück Kuchen. Solche Sachen, die Rosa im Beichtstuhl dann ernsthaft bereute.
Jetzt war sich die junge Frau bewusst, dass sie tatsächlich eine große Sünde begangen hatte und damit nicht einmal aufhörte. Ihr Kopf drängte sie zur Beichte. Ihr Bauch jedoch trödelte bei der Entscheidung. Rosa spürte einen seltsamen Zwiespalt: Sie wusste, dass ihr Verhalten aus kirchlicher Sicht inakzeptabel war. Sie sollte ein schlechtes Gewissen haben und vor allem aufhören mit ihrem unchristlichen, tugendlosen Verhalten. Doch sie genoss die nächtlichen Zusammentreffen mit Emil derart, dass sich die Sünde viel zu süß anfühlte, um überhaupt an Beichten zu denken.
Der Pfarrer nahm ihr die Entscheidung, in den Beichtstuhl zu treten oder nicht, schließlich ab. Nachdem er sie schon Monate dort nicht gesehen – oder sollte man besser sagen: gehört – hatte, hielt er sie eines Sonntags Anfang August nach dem Gottesdienst am Arm fest.
»Rosa«, fragte er jovial, »ich habe dich gar nicht mehr außerhalb unserer Gottesdienste gesehen. Wie geht es dir?«
»Danke, gut.« Rosa strahlte ihn an.
Die Rosa ist ja immer so fröhlich, dachte der Pfarrer bei sich, aber hier stimmt doch etwas nicht. Er hatte ein gutes Gespür für unchristliches Verhalten.
»Du warst schon lange nicht bei der Beichte.«
»Ja, ich weiß.« Rosa drehte den Kopf zu Seite, um dem prüfenden Blick des Gottesmannes auszuweichen. »Ich hatte ja gar keine Zeit. Meine neue Stellung bringt sehr viel Arbeit mit sich. Da gab es gar keine Möglichkeit, etwas anzustellen, was der Beichte bedarf.«
»Sicher.« Der Pfarrer lächelte mild. »Aber wenn du mal wieder dein Gewissen erleichtern willst …«
Rosa nickte demütig. »Natürlich, Herr Pfarrer.«
Ihre christliche Erziehung war in jede Faser ihres Körpers eingewoben. Sie wusste, dass sie beichten musste. Es gehörte sich einfach. Die nächsten Tage verbrachte Rosa damit, sich zu überlegen, was sie dem Geistlichen erzählen sollte. Unter keinen Umständen durfte ihr Verhältnis zu Emil ruchbar werden, doch fehlte ihr die Fantasie, sich vorzustellen, wie sie das Thema umschiffen konnte. Reichlich nervös betrat sie schließlich den Beichtstuhl.
Der Pfarrer zog auf der anderen Seite den Vorhang zurück.
Rosa bekreuzigte sich. »Gelobt sei Jesus Christus in Ewigkeit, Amen.«
»In Ewigkeit, Amen. Was führt dich her?«
»In Demut und Reue bekenne ich meine Sünden.«
Rosa stockte, das Weitersprechen fiel ihr schwer. Der Pfarrer hatte keine Eile, er drängte sie nicht.
»Ich … ich habe mich verliebt.«
»Die Liebe an sich ist nichts Schlechtes, doch solltest du tugendhaft sein und dich nicht verführen lassen.«
»Nein, das ist es nicht. Aber … ich muss immerzu an ihn denken. Tag und Nacht. Ich habe … sündige Gedanken.«
»Du sollst ehrfürchtig und keusch leben, solange du nicht in einer Ehe bist«, erklärte der Geistliche.
»Ich weiß, aber es fällt mir schwer. Ich …«, Rosa hielt kurz inne und überlegte, was sie zugeben sollte, »ich kann nicht widerstehen, er …«
Auf der anderen Seite der Wand rumpelte es. Rosa schaute hoch und spitzte die Ohren. Es klang, als wäre der Pfarrer vom Stuhl gefallen.
»Also«, er räusperte sich, und Rosa drückte ihr Kreuz durch.
»Ich bereue, dass ich Böses getan und Gutes unterlassen habe. Erbarme dich meiner, oh Herr«, flüsterte sie schnell, bevor der Pfarrer sich wieder berappelt hatte.
»Äh … Gott, der barmherzige Vater, hat durch den Tod und die Auferstehung seines Sohnes die Welt mit sich versöhnt und den Heiligen Geist gesandt zur Vergebung der Sünden. Durch den Dienst der Kirche schenke er dir Verzeihung und Frieden. So spreche ich dich los von deinen Sünden. Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes«, ratterte der Geistliche seinen Text herunter.
Mehr wollte er von Rosas sündigen Gedanken und Taten nicht hören, und sie war froh drum.
»Danke. Amen. Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer.«
»Das musst du nicht tun, Rosalein.« Emil küsste ihren Nacken. Seine Lippen glitten weiter nach unten, über ihre üppigen Brüste auf ihren fülligen Bauch. »Der Pfaffe hat doch eh keine Ahnung davon, was Liebe zwischen Mann und Frau bedeutet.« Er hob den Kopf. »Echte Liebe.«
»Aber es gehört sich nicht, und ich möchte ein reines Gewissen haben«, entgegnete Rosa.
»Ist ja recht. Er soll bloß nicht auf die Idee kommen, dass ich das bin.«
Emil senkte wieder den Kopf und fuhr mit dem Küssen fort. Rosa schloss die Augen und genoss jeden Augenblick.
Emil machte Rosa Komplimente. Sie verzehrten sich mit Blicken. Alle Arbeit verrichteten sie gemeinsam. Rübenacker, Kartoffelacker, Tenne, Stall, Schopf, Heuboden – sie waren überall gemeinsam. Lediglich in die Küche kam Emil nie, dort hatte ein Mann seiner – und Rosas – Meinung nach nichts zu suchen. Sie versprachen sich das Blaue vom Himmel. Es fehlte eigentlich nichts zu ihrem Glück. Nur ein Trauschein.
»Ich möchte keine andere als dich«, erklärte Emil wieder eines Nachts und streichelte Rosas Arm. Auf dem Nachttisch in ihrer Kammer flackerte sanft eine einzelne Kerze in einer Laterne. Bloß nicht zu viel Licht machen, damit der Lenz nichts mitbekam.
»Dann heirate mich«, flüsterte Rosa mutig. Emil sah ihr Lächeln im Kerzenschein.
»Willst du mich denn überhaupt heiraten?«, fragte er zurück.
Rosa stockte für einen Moment. War das nun ein Antrag, eine ernst gemeinte Frage?
»Natürlich … Wenn du es auch willst. Willst du es denn?«
»Ich will dich heiraten«, antwortete Emil leise. »Ja. Ja, ich will. Aber ich brauche das Einverständnis meines Vaters. Du weißt schon, der Hof … Er wird wollen, dass es eine gute Partie ist.«
Rosa antwortete nicht und drehte den Kopf weg. Sie hatte es schon verstanden: Sie war nur die Magd. So sehr Emil sie auch lieben mochte, sie brachte zu wenig mit, um eine ernsthafte Bewerberin zu sein. Sie stammte von einem kleinen Hof, ihre Eltern waren rechtschaffene, ehrbare Leute. Aber sie hatten nicht viel, außer vielen Kindern. Zehn Geschwister hatte Rosa. Für sie fiel keine große Mitgift ab.
Und doch: Emil liebte sie. Sie spürte es deutlich. Und sie liebte ihn. Sie sehnte sich nach ihm. Jede Minute wollte sie mit ihm zusammen sein. Das nannte man doch Liebe, oder? Warum sollte nicht die Liebe siegen? Sie dachte an das Hohelied aus der Bibel, das sie auswendig konnte, jetzt wisperte sie es ihm in sein Ohr: »Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig … Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand.«
Ja, so war es. Sie müssten einfach nur kämpfen, zu ihrer Liebe stehen. Wer wollte etwas dagegen haben?
»Dein Vater mag mich«, fuhr Rosa nach einer Weile fort, nachdem Emil einfach still blieb. »Ich bin fleißig und ehrlich. Das bringe ich mit. Vielleicht kein Land und kein Geld, aber ich kann hart arbeiten und mich um den Hof kümmern. Das beweise ich jeden Tag.«
»Ja, das tust du.« Emil küsste ihre Wange.
Eine Weile schwiegen sie. Schließlich fuhr er mit seiner Hand ihre Hüfte und ihr Bein entlang und spürte, wie ihn die Lust erneut überkam. Sein Atem beschleunigte sich.
»Ich kümmere mich, Rosalein, Liebste, glaub mir. Ich versprech’s dir.«
Rosa antwortete auf seine Küsse, genoss seine Liebkosungen, öffnete willig ihre Schenkel, und natürlich glaubte sie ihm. Sie ahnte ja nicht, wie viele wertlose Versprechungen schon im Bett gemacht wurden.
Tagelang suchte Emil nach der passenden Gelegenheit, um mit seinem Vater zu sprechen. Wenn man es genau nahm, dann suchte er nicht, sondern er wartete ab. Er traute sich einfach nicht.
Denn der Lenz war ein Schwarzwälder Bauer vom alten Schlag. Er war der Herr im Hause, nur er hatte das Sagen. Das war auch jetzt noch so, obwohl Emil schon dreißig Jahre alt war und der Einzige, der als Hofnachfolger infrage kam. Sein Bruder, der als Erbe vorgesehen war, war aus dem Krieg nicht zurückgekommen, und auf seine Rückkehr zu warten schien zwecklos zu sein. Ansonsten gab es noch vier Schwestern, und sie waren alle aus dem Haus gegangen, hatten geheiratet oder sich auswärts als Magd verdingt. Keinesfalls wollten sie im Elternhaus bleiben, denn der Lenz war zu seinen Töchtern nicht gerade gnädig. Kurz, Emil hätte allen Grund gehabt, Selbstbewusstsein zu zeigen.
Es war nicht nur die Angst vor dem strengen Vater, die ihn zum Drückeberger machte. Es waren auch eigene Überlegungen. Zwar schämte er sich ihrer. Und doch war er Bauer genug, um zu wissen, dass es seine zukünftige Aufgabe war, für den Zusammenhalt und das Auskommen seines Hofguts zu sorgen. Der alte Lenz hatte nicht gerade gut gewirtschaftet und war großzügig, wenn er ins Gasthaus ging. Auch bestimmten Frauen war er nie abgeneigt. So viel wusste Emil.
Emil wusste auch, dass es bald eine Entscheidung geben müsste, denn er war schon spät dran. Und er wusste, dass es galt, das Hofgut zusammenzuhalten. Doch je länger er darüber nachdachte, desto sicherer war er schließlich, dass er mit niemand anderem als Rosa verheiratet sein wollte. Es musste gehen, Punkt!
Noch bevor er allen Mut beieinanderhatte, um die Gedanken um eine vermeintlich gute Partie beiseitezuwischen und selbst das Gespräch über eine Heirat mit Rosa zu suchen, kam sein Vater ihm zuvor. An einem trüben Novembertag holte er die Schnapsflasche aus dem Schrank und wies seinen Sohn an, am Stubentisch Platz zu nehmen.
»Wir müssen über die Hofnachfolge sprechen«, sagte er.
»Ich weiß«, erwiderte Emil. »Ich wollte schon mit dir sprechen wegen … Ich will … mit Rosa …«
»Es ist mir egal, was du mit der Magd treibst«, unterbrach Lenz ihn unwirsch. Er goss zwei Schnapsgläser voll und schob eines seinem Sohn zu. »Sie ist ein tolles Weib. Aber zum Heiraten ist sie nicht geeignet.« Er hob sein Glas. »Und das weißt du.«
»Ich will aber Rosa. Ich liebe sie.« Emil leerte schnell seinen Schnaps und fühlte sich mutig. »Sie ist die Einzige, die infrage kommt.«
»Ach was, Liebe.« Der Altbauer schnaubte verächtlich. »Liebe vergeht, Hektar besteht. So ist das.«
Ja, so war das. Emil kannte den Spruch. Jetzt wusste er nicht, was er darauf antworten sollte. Er brachte kein Wort heraus. Er wünschte sich, er könnte gegenüber seinem Vater besser die Stimme erheben. Sonst ging es doch auch.
»Die Agnes vom Sägewerk. Die ist eine gute Partie«, erklärte Lenz.
Emil machte große Augen. »Die Agnes ist bestimmt schon fünfunddreißig«, entgegnete er und schüttelte heftig den Kopf. »Das kann doch nicht dein Ernst sein.«
»Dreiunddreißig«, korrigierte Lenz.
»Die ist älter als ich«, stellte Emil fassungslos fest. »Warum ist sie wohl noch nicht unter der Haube, hä? Sie ist klapprig wie ein Sack voll Hirschgeweih. Dürr wie ein toter Zweig! Die soll ich allen Ernstes nehmen?«
»Das Alter spielt doch keine Rolle. Das Aussehen auch nicht. Agnes ist noch jung genug. Sie ist die beste Partie, die du noch haben kannst. Wir müssen das Gut zusammenhalten. Sei überhaupt froh, dass sie dich haben will. Also, worauf warten wir?« Lenz schenkte noch einmal nach. »Ich hätte es schon viel früher in die Wege leiten müssen.«
»Willst du mit Absicht mein Leben zerstören?«, fragte Emil entsetzt.
»Pfff«, machte der alte Lenz. »Es geht nicht um dich. Es geht um den Hof. Sagte ich doch gerade.«
»Ich wollte doch … ich will die Rosa«, wagte Emil einen zweiten zaghaften Versuch. »Die Rosa ist eine gute Kraft. Da wissen wir doch, dass sie sich gut um den Hof kümmern wird.«
Er ahnte, dass es zwecklos war.
Lenz nahm einen Schluck aus dem Glas und schüttelte sich. »Ja sicher, sie kann ja auch bleiben. Natürlich, sie soll bleiben. Und was du sonst mit ihr machst – das soll mir egal sein.«
Jetzt erhob er sich und schlug seinem sitzenden Sohn auf die Schulter. »Also, dann rede ich mal mit Agnes’ Vater, dem Clemens, gell?«
Emil antwortete nicht und schaute konzentriert auf den Stubentisch. Mit dem rechten Zeigefinger fuhr er nervös die Maserungen entlang. Er kam sich gar nicht wie ein Hofnachfolger vor, eher wie ein Kind, das einen Streich gespielt hatte und bestraft wurde.
»Wir sollten alles schnell in die Wege leiten, denn viel Zeit bleibt mir nicht.«
Emil blickte erstaunt hoch. »Wie? Was meinst du?«
»Jetzt schau nicht so!« Lenz beugte sich vor und senkte die Stimme. »Ich hab Krebs. Wer weiß, wie lang ich noch da bin. Aber solange ich leb’, will ich meinen Hof noch gut übergeben wissen. Ist das klar?«
»Ja, Vater.« Emil zog den Kopf ein.
Rosa sagte gar nichts, sondern saß nur da auf ihrer Bettkante, während Emil aufgeregt in ihrer Kammer hin und her lief. »Jetzt ist Schluss mit der Heimlichkeit«, hatte er gesagt, als er kam, und hatte die Tür extra laut geschlossen. Rosas Herz tat einen Hüpfer.
»Oh, Emil, wie schön«, rief sie aus. »Dann können wir …«
»Nicht, was du denkst«, unterbrach Emil sie unwirsch. »Die Agnes vom Sägewerk, die soll ich nehmen! Um Gottes willen, was denkt der Alte sich?«
»Die Agnes vom Sägewerk?«
Man kannte sich hier. Rosa wollte nicht glauben, was sie hörte.
»Aber ich will das nicht.«
»Dann tu es nicht.«
»Wie soll das gehen, Rosa, hä? Sag es mir, wie?«
Rosa zog hilflos die Schultern hoch und ließ sie wieder fallen.
»Herrgott, was mach ich bloß?« Emil blickte Rosa an, die ihm wie ein Häufchen Elend auf ihrer Bettkante erschien. Er kniete vor ihr. »Bitte, Rosa, Rosalein, auch wenn ich dich nicht heiraten darf, ich bitte dich: Bleib hier auf dem Hof, bleib bei mir.«
Er bettelte fast wie ein kleiner Junge. Rosa strich über seinen Kopf und starrte in die Ferne. Sie hatte sich alle Hoffnungen gemacht. Zu Recht, wie sie fand. Und jetzt sollte sie dableiben und der neuen Bäuerin bei der Arbeit helfen. Ob das gut ging?
Emil legte derweil seinen Kopf auf ihren warmen, fülligen Busen und spürte sogleich die Lust in seinen Lenden wachsen. Es war wie immer. Sobald er Rosa berührte, machte es ihn verrückt. Er küsste ihren Hals, zerrte ungeduldig an ihrem Mieder, warf sie aufs Bett. Wie sehr er diese Frau begehrte!
Rosa hatte keine Zeit mehr, weiterzudenken. Zumal Denken leider viel zu wenig ihre Sache war. Sie genoss sein Verlangen, seine Lust. Sollte sie bleiben oder gehen? Es war für Rosa eigentlich keine Frage. Wo sollte sie denn hingehen? Und wie konnte sie überhaupt gehen, wenn sie doch so geliebt wurde?
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