Hendrix (Pittsburgh Titans Team Teil 7) - Sawyer Bennett - E-Book

Hendrix (Pittsburgh Titans Team Teil 7) E-Book

Sawyer Bennett

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Beschreibung

Hendrix Bateman ist einer der drei Spieler, die nicht im verunglückten Flugzeug der Pittsburgh Titans saßen. Seitdem ist er entschlossen, das Beste aus seinem Leben zu machen. Aber das bedeutet nicht, dass er nicht unter seinen unsichtbaren Narben leidet. Nach dem Tod meiner Titans-Brüder durchlebte ich ein Wechselbad der Gefühle. Ich war am Boden zerstört, aber auch dankbar, überlebt zu haben. Ja, das mag ein paar - okay, sehr viele - Schuldgefühle hervorrufen, aber ich will jeden Tag so leben, als wäre es mein letzter. Bei einem Abend mit Freunden gerate ich ins Fadenkreuz von Stevie Kisner, einer umwerfend schönen Barbesitzerin mit scharfer Zunge und feurigem Blick. Bislang habe ich jede Herausforderung angenommen, also lasse ich mich weder von Stevie noch von ihrem großen Biker-Vater abschrecken, der so aussieht, als wolle er mich umbringen. Angetrieben von zu viel Alkohol und dem lautstarken Drängen meiner Teamkameraden will ich Stevie zeigen, dass ich nicht nur auf dem Eis etwas drauf habe. Obwohl ich zu Beginn nur Spaß haben will, fasziniert Stevie mich. Sie ist höllisch cool und zusammen brennen wir lichterloh. Aber je näher ich sie kennenlerne, desto auffälliger wird, dass sie etwas vor mir verbirgt. Da ich nach meiner letzten gescheiterten Beziehung Probleme habe, anderen zu vertrauen, muss ich entscheiden, ob ich mir von der Vergangenheit die Zukunft diktieren lasse, oder ob ich mein Herz aufs Spiel setze, um herauszufinden, ob Stevie das ist, was ich glaube - mein Ein und Alles. Teil 7 der Reihe rund um das Eishockey Team der Pittsburgh Titans aus der Feder von New York Times-Bestsellerautorin Sawyer Bennett.

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Sawyer Bennett

Pittsburgh Titans Teil 7: Hendrix

Aus dem Amerikanischen ins Deutsche übertragen von Sandra Martin

© 2023 by Sawyer Bennett unter dem Originaltitel „Hendrix: A Pittsburgh Titans Novel“

© 2023 der deutschsprachigen Ausgabe und Übersetzung by Plaisir d’Amour Verlag, D-64678 Lindenfels

www.plaisirdamour.de

[email protected]

© Covergestaltung: Sabrina Dahlenburg

(www.art-for-your-book.de)

ISBN Print: 978-3-86495-646-1

ISBN eBook: 978-3-86495-647-8

Alle Rechte vorbehalten. Dies ist ein Werk der Fiktion. Namen, Darsteller, Orte und Handlung entspringen entweder der Fantasie der Autorin oder werden fiktiv eingesetzt. Jegliche Ähnlichkeit mit tatsächlichen Vorkommnissen, Schauplätzen oder Personen, lebend oder verstorben, ist rein zufällig.

Dieses Buch darf ohne die ausdrückliche schriftliche Genehmigung der Autorin weder in seiner Gesamtheit noch in Auszügen auf keinerlei Art mithilfe elektronischer oder mechanischer Mittel vervielfältigt oder weitergegeben werden. Ausgenommen hiervon sind kurze Zitate in Buchrezensionen.

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Kapitel 26

Kapitel 27

Kapitel 28

Autorin

Kapitel 1

Stevie

Mit Schwung hebe ich einen Kasten Michelob-Bier vom Boden hoch und platziere ihn auf der Anrichte hinter der Bar. Ich bin zwar nicht sonderlich groß, aber an Kraft mangelt es mir nicht. Außerdem bin ich starrköpfig, stolz und bitte andere nicht gern um Hilfe, obwohl sich im Laden nebenan mindestens ein stämmiger Mann befindet, der mir zur Hand gehen könnte. Aber warum sollte ich mir helfen lassen? Das hier ist meine Kneipe und ich bin für den Betrieb verantwortlich. Wenn also der Barkeeper, der den Laden hätte öffnen sollen, heute Morgen ein paar Minuten zu spät dran ist, scheue ich mich nicht, selbst ein paar Kisten Bier aus dem Lager zu holen.

Wir öffnen erst um elf Uhr und bis dahin ist ohnehin nicht mehr viel zu tun. Ich fülle nur noch die Kasse mit Kleingeld und Münzrollen, die bis zum Abend reichen sollten. Dann notiere ich den Betrag auf einem Formblatt, das der Barkeeper vor Schichtwechsel aktualisieren wird.

Anschließend nehme ich die Barhocker vom Tresen, die wir jeden Abend aufstuhlen, um den Boden zu wischen. Dann schalte ich nur noch die Leuchtreklame an den Wänden ein und bin bereit.

Terry sollte jeden Moment hier sein. Ich überlasse es ihr, die Tür aufzuschließen und die ersten Gäste hereinzulassen. Ich biete hier nicht viele Speisen an, bis auf Tiefkühlpizzen, die ich im Tischbackofen erhitzen kann, Chips, Trockenfleisch und eingelegte Eier, die mein Vater jede Woche vorbereitet. Letztere verkaufe ich für fünfundsiebzig Cent pro Stück. Sie sind weder die Zeit noch die Mühe wert, aber es ist Tradition. Mein Großvater hat sie 1979 begonnen, als er die Kneipe eröffnete, und obwohl mein Dad nie Eigentümer sein wollte, war und ist er nach wie vor am Erfolg des Geschäfts beteiligt, also macht er die eingelegten Eier.

Die meisten Gäste in Jerry’s Lounge, die nach meinem Großvater benannt ist, kommen wegen des Biers und der Spirituosen. Tagsüber sitzen hier einige alte Rentner, die meinen Grandpa noch kannten, sowie eine Handvoll Biker aus dem Motorradclub meines Vaters. Abends verabschieden sich die Rentner und weitere Biker kommen herein. Ich würde es nicht anders haben wollen, denn ich liebe meine Kunden so wie sie sind.

Da ich nichts mehr zu tun habe, bis wir öffnen, gehe ich nach nebenan ins Tattoo-Studio meines Dads. Obwohl er bei seinem Vater in der Kneipe aufgewachsen ist, hatte er keine Lust, seinen Lebensunterhalt mit dem Verkauf von Bier zu verdienen. Stattdessen ging er zur Armee und wollte die Welt bereisen. Allerdings musste er seine Pläne ändern, als ich geboren wurde, denn als alleinerziehender Vater ist ein Job beim Militär nur schwer zu bewältigen.

Stattdessen entwickelte er eine neue Leidenschaft, die aus einem unglaublichen künstlerischen Talent geboren wurde. Er eröffnete sein Tattoo-Studio namens Hard Ink, das direkt an Jerry’s Lounge angrenzt. Der Vermieter der beiden Gebäude hat uns sogar erlaubt, sie durch eine Tür miteinander zu verbinden, sodass wir uns frei zwischen den Läden hin und her bewegen können, um einander bei Bedarf auszuhelfen. Wenn bei Jerry’s nicht viel los ist und mein Barkeeper alles im Griff hat, gehe ich hin und wieder zu meinem Vater rüber und übernehme den Kundenempfang oder räume auf. Im Gegenzug schenkt mein Vater bei mir Getränke aus.

Ich ziehe meinen Schlüssel heraus und öffne die Tür, die von meinem Lagerraum direkt in seinen Pausenraum führt. Während der Geschäftszeiten ist sie nie verschlossen.

Mein Dad sitzt am Tisch und hat seine große Hand um eine dampfende Tasse Kaffee geschlungen. Dabei unterhälter sich mit zwei seiner Angestellten.

Einer davon ist Roy, ein Schrank von einem Mann, der im Motorradclub meines Vaters mitfährt und seit vier Jahren bei ihm als Tätowierer arbeitet. Sienna hat erst vor ein paar Wochen hier angefangen und ist eine äußerst talentierte Künstlerin. Zudem ist sie eine geistlose Schlampe, was vor allem an ihrer Kleidung zu erkennen ist. Heute besticht sie mit einem Bustier, das kaum ihre Brüste bedeckt, und einer hautengen Hose aus Kunstleder, die so tief auf ihren Hüften sitzt, dass ich ihre Poritze sehen kann, als sie sich gerade eine Tasse Kaffee einschenkt. Danach gesellt sie sich zu meinem Vater an den Tisch und wendet sich ihm zu. Dabei schlägt sie ein Bein über das andere und lehnt sich so weit vor, dass ihre Brüste fast aus ihrem Oberteil fallen, während sie versucht, seinen Blick auf sich zu ziehen.

Igitt … ekelhaft. Mein Vater ist zwar keineswegs alt – er ist achtundvierzig und sieht viel jünger aus –, aber Sienna ist wie ich erst fünfundzwanzig. Ich finde es abstoßend, wie sie derart übertrieben mit ihm flirtet.

Ich muss meinem Vater jedoch zugutehalten, dass er keinerlei Interesse zeigt; er ignoriert Sienna, während er Roy aufmerksam zuhört.

Dabei will ich nicht behaupten, dass John „Bear“ Kisners Bett leer bleibt, doch er bevorzugt etwas reifere Frauen. Natürlich hat er sich auch schon mit jüngeren Frauen vergnügt, doch es gefällt ihm, wenn sie selbstbewusst und zu einer bedeutungsvollen, tiefgründigen Unterhaltung in der Lage sind. Mein Vater mag zwar ein Harley-fahrendes, tätowiertes, waffenschwingendes Ungetüm von einem Mann sein, aber er hat auch im Oberstübchen etwas zu bieten.

Seine Augen leuchten auf, als ich durch die Tür trete. „Da ist ja meine Carrots.“

„Guten Morgen, Peas“, erwidere ich liebevoll und beuge mich vor, um einen Kuss auf seine bärtige Wange zu drücken. Als ich dreizehn war, hat er sich mit mir den Film „Forrest Gump“ angesehen. Am Ende lag ich schluchzend an seiner Schulter und fragte ihn mit erstickter Stimme, ob wir uns wie Jenny und Forrest ebenfalls Carrots und Peas nennen können.

Er hat ohne zu zögern eingewilligt.

Ich habe meine graublauen Augen und dunklen, fast rabenschwarzen Haare von meinem Vater geerbt, wobei seines an den Schläfen allmählich grau wird. Seinen Bart hat er zwar gestutzt, aber sein langes Haar hängt ihm lose über die Schultern. Dad ist immer noch gut in Form, wobei seine Armmuskeln mit Tattoos übersät sind. Im Grunde kann ich Sienna keinen Vorwurf machen, dass sie sich zu ihm hingezogen fühlt, aber es ist mir trotzdem zuwider.

„Hey, Stevie“, sagt Roy und hebt zur Begrüßung das Kinn, während in seinen Augen ein sehnsüchtiger Ausdruck schimmert. Er will schon seit einer Ewigkeit mit mir ausgehen, aber ich bin nicht an ihm interessiert. Zugegebenermaßen ist er mit seinem muskulösen Körper und seinen Tattoos ziemlich sexy, und wenn man bedenkt, dass ich unter tätowierten Muskelpaketen aufgewachsen bin, sollte er genau mein Typ sein. Obendrein ist er ein netter Kerl. Dennoch funkt es bei mir einfach nicht. Ich kann es mir nicht erklären.

Ich bin freundlich, bleibe aber auf Distanz, als ich meine Faust gegen seine stoße. „Was gibt es Neues?“

Mein Blick fällt auf Sienna. Ich weiß, dass sie sich nur bemüht, nett zu sein, weil mein Dad anwesend ist, aber sie schenkt mir ein strahlendes Lächeln. „Hi, Stevie.“

„Du hast Spinat zwischen den Zähnen“, erwidere ich mit ausdrucksloser Stimme und schicke ein Dankgebet zum Himmel, weil es mir vergönnt ist, sie in Verlegenheit zu bringen.

Sienna schlägt sich die Hand vor den Mund und keucht: „Scheiße.“ Sie steht auf und stapft auf ihren hohen Absätzen in Richtung Badezimmer am Ende des Flurs.

Roy steht mit einem leisen Lachen auf. „Ich werde jetzt meinen Arbeitsbereich vorbereiten.“

„Bis später“, rufe ich ihm zu und gehe zur Anrichte, um mir eine Tasse Kaffee einzuschenken. Dabei fällt mir auf, dass die Tasse meines Vaters fast leer ist, also fülle ich sie auf.

Als ich mich ihm gegenüber an den Tisch setze, schüttelt er missbilligend den Kopf. „Sei nett.“

„War ich doch. Ich habe sie darauf hingewiesen, dass sie etwas zwischen den Zähnen hat und sie damit womöglich vor weiteren Peinlichkeiten bewahrt.“

Mein Vater gluckst und trinkt einen Schluck Kaffee. Als er seine Tasse wieder abstellt, fragt er: „Was steht bei dir heute auf der Tagesordnung?“

„Das Übliche. Harlow wird bald hier sein, um die Pläne bezüglich der Spielzeugsammlung noch einmal mit mir zu besprechen. Der Klempner kommt heute, um sich den undichten Wasserhahn in der Herrentoilette anzusehen, und …“

„Mit dem Wasserhahn werde ich schon fertig“, wirft mein Vater ein.

Ich ignoriere ihn, weil ich selbst dafür verantwortlich bin. „Ich treffe mich mit Mom zum Mittagessen und gehe danach noch einkaufen, also sag Bescheid, falls du etwas brauchst.“

„Deine Mutter, hm?“, fragt er mit schroffer und missbilligender Stimme.

Ich habe gehofft, letztere Information würde zwischen den anderen gar nicht auffallen, doch Bear Kisner entgeht so schnell nichts.

„Ja“, erwidere ich mit beschwingtem Tonfall, um die Anspannung zu überspielen. „Sie hat mir gestern Abend eine Nachricht geschrieben.“

„Wahrscheinlich braucht sie irgendetwas“, murmelt mein Vater.

Das klingt zwar hart, aber er hat seine Gründe. Meine Mutter steht zu Recht ganz unten auf der Liste der Menschen, die mein Vater respektiert. Er hat ihr nie verziehen, dass sie mich verlassen hat, als ich gerade einmal zwei Jahre alt war, dabei ist es ihm völlig egal, dass sie damals auch ihn für immer den Rücken zugekehrt hat. Ich würde sogar behaupten, dass er sie hasst, weil er sich damals um ein Kind mit einem gebrochenen Herzen kümmern musste, das nicht verstehen konnte, warum seine Mutter es nicht liebte oder wollte.

Mein Vater ist ein großartiger Mensch und ich würde rein gar nichts an meiner Erziehung ändern. Glücklicherweise hatte er Hilfe von seinen Eltern und hat die Sache besser gemeistert, als meine Mutter es je hätte tun können, und genau deshalb stehen wir uns so nahe.

Carrots und Peas.

Seit einigen Monaten habe ich allerdings wieder Kontakt zu ihr, obwohl wir nicht gerade eine Mutter-Kind-Beziehung hegen, verbringe ich hin und wieder etwas Zeit mit ihr.

Mehr erzähle ich ihm jedoch nicht und Dad sieht von weiteren Warnungen ab. Ab und zu macht er mich darauf aufmerksam, dass ich mein Herz in ihrer Gegenwart schützen solle, doch abgesehen davon hält er sich weitgehend zurück. Er ist einer der Väter, die nicht davor zurückschrecken, ihr Kind auch einmal scheitern zu lassen, daher achte ich darauf, dass ich meine Lektionen lerne.

Ich werfe einen Blick auf meine Armbanduhr. „Ich muss los. Komm vorbei, wenn du Harlow sehen willst.“

Er erhebt sich und baut sich zu seiner vollen Größe auf, wobei er auf mich herabblickt. „Ich erwarte einen Kunden, also umarme sie einfach von mir.“

„Mache ich.“

Ich will mich gerade abwenden, als er eine Hand an mein Kinn legt und sich vorbeugt, um meinem Blick zu begegnen. „Du kannst zu deiner Mutter jede Beziehung haben, die du willst, Stevie … aber lass dir gesagt sein: Wenn sie dir wehtut, werde ich sie ohne zu zögern ruinieren.“

„Ich weiß“, murmle ich, bedecke seine Hand mit meiner und schmiege mich an seine Handfläche. Mein Dad ist ein guter Mensch, doch er würde für mich töten. Das ist mein voller Ernst. „Ich liebe dich.“

„Ich liebe dich auch.“

Als ich in die Kneipe zurückkomme, steht Terry hinter dem Tresen und sortiert Bierflaschen im Kühlschrank, während Harlow mit einer Flasche Wasser vor sich auf einem Barhocker sitzt und auf ihrem Handy surft.

Mit ihrem leuchtend roten Haar, das ihr über den Rücken wallt, sieht sie so umwerfend aus wie immer. Sie wendet sich mir zu und blickt mich mit ihren strahlenden grünen Augen an. „Warst du gerade bei deinem Dad?“, fragt sie.

„Ja. Er sagte, ich solle dich umarmen, also mache ich das besser, bevor ich es vergesse.“

Ich setze mich auf den Hocker neben sie und beuge mich vor, um sie kurz in die Arme zu ziehen. Harlow Alston und ich sind schon seit der neunten Klasse befreundet. Durch eine Verschiebung der Distriktgrenzen landete ich auf einer anderen Schule, an der ich niemanden kannte. Sie lag mitten in einem wohlhabenden Vorort von Pittsburgh und ich fiel auf wie ein bunter Hund. Harlow nahm mich gleich am ersten Tag unter ihre Fittiche und seitdem stehen wir uns sehr nahe. Obwohl wir nach der Schule unterschiedliche Wege einschlugen – ich begann, in der Bar meines Großvaters zu arbeiten, da ich allein von dem Gedanken ans College Ausschlag bekam, während sie Jura studierte –, sind wir immer noch die besten Freunde.

Mein Vater liebt sie und sie hat schon viele Nächte bei mir in unserem bescheidenen Haus übernachtet. Im Gegenzug haben mich ihre Eltern ebenfalls immer mit offenen Armen empfangen haben, wenn ich in ihrer luxuriösen Welt zu Besuch war. In gewisser Weise sind wir beide auch wie Carrots und Peas.

„Hattest du ein schönes Thanksgiving?“, erkundigt sie sich. Für gewöhnlich telefonieren wir mindestens einmal pro Woche miteinander und schreiben uns noch häufiger, doch seit dem Feiertag vor drei Tagen haben wir nicht mehr miteinander gesprochen.

„Ich habe ihn mit Dad verbracht. Es war schön. Und du?“

„Stone und ich haben bei meinen Eltern gegessen. Ich habe es genossen, über die Feiertage einen Freund zu haben, daher werde ich ihn wohl behalten.“ Harlow greift in ihre Tasche, zieht einen Ordner heraus und reicht ihn mir. „Ich kann nicht lange bleiben, da ich zu einer Anhörung in der Stadt muss, aber hier sind die Flyer sowie eine Übersicht zum Ablauf der Veranstaltung.“

Ich blättere durch die Unterlagen und verziehe die Lippen zu einem dankbaren Lächeln. „Das ist unglaublich. Ich danke dir. Das hättest du wirklich nicht tun müssen, aber …“

Sie gibt mir einen Klaps auf den Arm, wobei sie fest genug zuschlägt, um mir einen Schrei zu entlocken. „Soll das ein Witz sein? Es ist für einen wirklich guten Zweck und wir freuen uns schon alle darauf.“

Mit alle meint sie einige Spieler des Eishockeyteams der Pittsburgh Titans. Ihr Freund Stone Dumelin ist der Left Winger der First Line und hat sich bereit erklärt, mit ihr an der Wohltätigkeitsveranstaltung übermorgen teilzunehmen. Wir werden Spielzeug sammeln und es an die Bedürftigen in Allegheny County verteilen. Mein Großvater hat jedes Jahr eine solche Sammlung durchgeführt, für meinen Vater und mich ist sie mittlerweile zu einer wichtigen Weihnachtstradition geworden. Wir schaffen es jedes Jahr, eine gut gefüllte Kiste zusammenzutragen, doch Harlow hat vorgeschlagen, Unterstützung von den Stars der Titans zu holen, um noch mehr Spenden zu sammeln.

Die Idee entstand vor ein paar Wochen, als sie und Stone auf einen Drink in der Kneipe vorbeikamen. Ich bin mir jedoch sicher, dass Harlow mir den Vorschlag vor allem unterbreitete, um meinem Laden etwas auf die Sprünge zu helfen. Anhand der vielen leeren Tische und Hocker konnte sie sehen, dass er nicht sonderlich gut lief. Sie glaubte, dass ein Auftritt der Titans für einen wohltätigen Zweck eine Menge neuer Kunden anlocken und das Geschäft ankurbeln könnte.

Es war ein nettes Angebot, das ich nicht ablehnen wollte. Und mir ist klar, dass sie es sowohl für mich als auch für die bedürftigen Kinder in unserer Gegend tut.

Mit einem Nicken zeigt sie auf den Ordner. „Bisher habe ich die Zusage von zwei Spielern, einschließlich Stone, aber wahrscheinlich werden noch ein paar weitere kommen. Die Gäste müssen alle ein unverpacktes Spielzeug mitbringen. Außerdem werden wir eine Fotostation aufbauen und Geld verlangen, wenn sich jemand mit den Spielern ablichten lassen will. Die Einnahmen werden an eine Wohltätigkeitsorganisation deiner Wahl gespendet.“

„Und es macht den Spielern wirklich nichts aus, daran teilzunehmen?“, frage ich erstaunt.

Harlow lacht. „Es macht ihnen nicht nur nichts aus, sie lieben es, sich in der Gemeinde zu engagieren. Ich denke, sie wollen den Einwohnern der Stadt etwas zurückgeben, die ihnen seit dem Flugzeugunglück so viel Liebe und Unterstützung entgegenbringen.“

Ich beuge mich vor und verpasse ihr einen Stoß mit der Schulter, wobei ich ihr ein verschmitztes Grinsen schenke. „Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mit einem berühmten Eishockeyspieler zusammen bist.“

Ihre Augen funkeln, als sie mich ebenfalls anstubst. „Ich könnte dir auf der Stelle fünf alleinstehende Kerle nennen, die liebend gern mit dir ausgehen würden. Du musst es nur sagen.“

Bei dem Gedanken stoße ich ein Schnauben aus. „Ja, sicher. Als würde einer von ihnen je mit einer Barkeeperin ausgehen.“

„Nicht doch“, erwidert Harlow mit mahnender Stimme. In demselben Tonfall hat sie auch immer in der Highschool mit mir gesprochen, wenn ich mich selbst herabgesetzt habe. „Definiere dich nie darüber, wie du deinen Lebensunterhalt verdienst. Außerdem bist du keine Barkeeperin, sondern eine Geschäftsfrau und die Eigentümerin eines Einzelhandelsunternehmens.“

Wenn es um mein Liebesleben geht, bin ich Realistin, also versuche ich, sie zu beschwichtigen: „Ich will damit nur sagen: Ich bin ständig mit der Kneipe beschäftigt. Da bleibt keine Zeit für Verabredungen oder gar eine Beziehung.“

„Nun, wenn du mit jemandem zusammen sein willst, nimmst du dir die Zeit. Aber glaub mir … ich wette, dass am Abend der Wohltätigkeitsveranstaltung jeder alleinstehende Mann versuchen wird, dich anzubaggern und deine Nummer zu ergattern.“

„Dann ist es ja gut, dass ich keine Angst davor habe, das Wort Nein auszusprechen, nicht wahr?“

Harlow verdreht die Augen und lässt sich vom Barhocker gleiten. „Bei dir ist Hopfen und Malz verloren. Aber ich liebe dich trotzdem.“

„Dito“, sage ich und springe ebenfalls von meinem Hocker, um sie zum Abschied zu umarmen.

Kapitel 2

Hendrix

Mir ist langweilig. Wann können wir gehen?

Hier gibt es keinen Wein. Kaum zu glauben.

Die Frauen hier sind alle billige Schlampen. Hast du gesehen, was die Barkeeperin trägt?

Die letzte Bemerkung bringt das Fass zum Überlaufen: „Es gefällt mir nicht, wie die Frauen die Arme um dich legen, wenn sie ein Selfie mit dir machen.“ Tracy zieht einen Schmollmund und verschränkt die Arme vor der Brust. „Du musst ihnen sagen, dass sie damit aufhören sollen. Außerdem solltest du sie nicht berühren. Halte deine Hände einfach auf Abstand, so wie Keanu Reeves, wenn er sich mit Fans ablichten lässt.“

„Ist das dein verdammter Ernst?“, fauche ich. Dabei senke ich nicht einmal die Stimme wie sonst immer, wenn ich mich mit Tracy streite. „Seit wir hier angekommen sind, nörgelst du nur herum. Verdammt, im Grunde beschwerst du dich immer, wenn wir zusammen sind. Ich habe es ein für alle Mal satt.“

Meine Kumpel sind plötzlich still geworden und lauschen unverhohlen unserem Wortwechsel. Keiner meiner Mannschaftskameraden kann Tracy leiden. Kein einziger von ihnen. Und das will etwas heißen. Dabei halten sie ihre Ansicht nicht hinter dem Berg, dass ich mich von ihr trennen sollte. Aber ich treffe meine eigenen Entscheidungen.

Doch die Tatsache, dass sie mir ehrlich die Meinung sagen, zeigt deutlich, wie nahe wir uns stehen. Ich weiß es zu schätzen, dass sie gewillt sind, so offen mit mir zu reden, denn ich weiß, dass sie es nur gut meinen.

Und ich habe ihnen durchaus zugehört.

Verdammt … in den meisten Punkten stimme ich sogar mit ihnen überein. Aber ich habe nicht aufgegeben, da mir meine Eltern schon früh beigebracht haben, dass eine Beziehung harte Arbeit erfordert. Selbst meine Tante Rory hat das immer gesagt.

Ich bin ein Hochleistungssportler und ziemlich ehrgeizig, was bedeutet, dass ich am liebsten gewinne. Aber ich weiß auch, dass man hin und wieder auch verlieren kann, obwohl man sein Bestes gibt. Und ich bin zu der Erkenntnis gelangt, dass selbst die größten Bemühungen meine Beziehung zu Tracy nicht kitten können.

Vor allem ärgert mich, dass sie heute Abend eine Veranstaltung verdirbt, die wichtig für unser Team ist. Wir befinden uns in Jerry’s Lounge, um Spielzeug für bedürftige Kinder zu sammeln. Es ist mir unbegreiflich, wie Tracy sich daran stören kann, dass ich meine Zeit einer so ehrenwerten Sache widme. Vielleicht sollte ich mich genau auf diesen Punkt konzentrieren, wenn ich sie zur Rede stelle.

Dabei ärgere ich mich weniger über ihre Nörgelei, dass sie sich langweilt, es in dieser Bar keinen Wein gibt oder ich mich mit weiblichen Fans ablichten lasse. Wütend macht mich vor allem ihre Weigerung, anzuerkennen, dass ich heute Abend mit meinen Teamkameraden etwas Gutes tue und dass das einfach zu meinem Job gehört. Zugegebenermaßen habe ich auch eine Menge Spaß – wenn auch nicht mit ihr –, aber es ist dennoch eine Mannschaftsveranstaltung und sie kann nicht von mir erwarten, dass ich mich die ganze Zeit um sie kümmere. Ich habe schon mehrmals mit ihr darüber gesprochen, aber entweder versteht sie es einfach nicht oder sie will es nicht.

Ich werfe einen Blick nach links und sehe, dass sowohl Kace als auch Coen mich beobachten. Da ich Tracy nicht vor aller Augen demütigen will, packe ich sie am Arm und führe sie in eine Ecke, wo wir ungestört sind.

„Was soll das?“, fragt sie und reißt sich los. „Wie kannst du es wagen, mich wie ein Stück Eigentum zu behandeln, das du herumschubsen kannst?“

Ich atme tief durch und beiße mir auf die Zunge, um nicht laut auszusprechen, was ich ihr eigentlich gern an den Kopf werfen würde. Dann sage ich mit gedämpfter und ruhiger Stimme: „Ich will nur unter vier Augen mit dir darüber reden.“

„Worüber willst du reden? Du benimmst dich wie ein Idiot.“

Ich atme noch einmal tief ein, schließe die Augen und stoße den Atem wieder aus, wobei ich bis vier zähle. Als ich die Lider wieder öffne, starrt Tracy mich an.

Ich antworte nicht sofort und versuche verzweifelt, mich zu entsinnen, warum ich mich anfangs zu ihr hingezogen gefühlt habe. Bei unserer ersten Begegnung war sie völlig anders. Zugegebenermaßen hatten wir nie eine tiefgründige Beziehung. Tracy war ein heißes Abenteuer, von dem ich nicht genug bekommen konnte. Wir hatten eine Menge Spaß zusammen und ich war an einem Punkt angelangt, an dem ich glaubte, mit der richtigen Person sesshaft werden zu können. Doch in dem Moment, in dem ich mich auf eine feste Beziehung mit ihr einließ, wurde sie besitzergreifend und fordernd. Ich konnte es ihr nie recht machen.

Jetzt mustere ich sie und kann nichts entdecken, was in mir den Wunsch wecken würde, unsere Beziehung fortzusetzen. Es ist einfach nichts da.

„Es wird nicht funktionieren“, sage ich mit einem tiefen Seufzer.

Tracy kneift die Augen zu dünnen Schlitzen zusammen und stemmt die Hände in die Hüften. „Was wird nicht funktionieren?“

Ich gestikuliere zwischen uns hin und her. „Diese Beziehung. Sie funktioniert nicht.“

Sie wedelt verärgert mit der Hand. „Natürlich funktioniert sie nicht. Weil du mich in Spelunken schleppst, zulässt, dass die Frauen über dich herfallen und dich lieber mit deinen Kumpels unterhältst als mit mir.“

Weil du eine verrückte Schlampe bist, denke ich, doch ich behalte die Worte für mich. Immerhin hat meine Mutter mich gut erzogen.

Ich beschließe, den edlen Ritter zu spielen, und nehme die Schuld auf mich. „Ich bin nicht gut genug für dich, Tracy. Du hast etwas Besseres verdient als das, was ich dir bieten kann.“

Sie kneift erneut die Augen zusammen, während sie offensichtlich abwägt, ob ich meine Worte ernst meine. Ich hoffe inständig, dass sie zu demselben Schluss kommt wie ich, damit wir im Guten auseinandergehen können.

Doch dann rudert sie zurück. „Es tut mir leid“, sagt sie und macht einen Schritt auf mich zu. Sie schlingt die Arme um meine Taille und schmiegt sich eng an mich. Dann legt sie den Kopf in den Nacken und sieht mich mit einem unschuldigen Augenaufschlag an. „Ich bin müde und gereizt. Ich hätte meine Laune nicht an dir auslassen sollen.“

Verdammt. Es wäre mir leichter gefallen, mich von ihr zu trennen, wenn sie sich weiterhin wie eine Zicke verhalten hätte.

Ich atme noch einmal tief durch und sage dann so deutlich wie möglich: „Wir sollten uns trennen, Tracy.“ Sanft löse ich ihre Arme von meiner Taille und weiche einen Schritt zurück. „Ich denke nicht, dass uns genug verbindet, um eine dauerhafte Beziehung aufrechtzuerhalten. Wir streiten uns nur noch. Du scheinst nicht glücklich zu sein und ich kann dir versichern, dass ich es auch nicht bin.“

„Du Arschloch!“, schreit sie und ich zucke zusammen. „Wie kannst du es wagen, mich einfach zu benutzen und mir dann den Laufpass zu geben?“

Mir fällt einiges ein, was ich darauf erwidern könnte, doch ich ringe immer noch um Fassung.

Ich packe sie erneut am Ellenbogen und ziehe sie in Richtung Ausgang. „Ruf dir ein Uber und fahr nach Hause. Ich warte draußen mit dir, bis der Wagen eintrifft.“

Tracy reißt ihren Arm los und zischt: „Ich gehe nirgendwo hin. Außerdem wirst du mich nach Hause bringen, schließlich hast du mich hierher mitgenommen.“

Ich schüttle den Kopf. „Du kannst gern bleiben. Dies ist ein freies Land. Aber ich fahre dich nicht nach Hause. Es ist aus zwischen uns.“

Ich bin nur dankbar, dass Tracy nie auf die Tränendrüse gedrückt hat, um ihren Willen zu bekommen, obwohl sie oft genug versucht hat, mich zu beeinflussen, indem sie ihre Wut an mir ausgelassen hat.

Sie starrt mich mit einem eisigen Blick an. „Fahr zur Hölle, Hendrix. Ich gehe. Und wage es ja nicht, mir zu folgen. Ich brauche dein Mitleid nicht.“

Oh, Gott sei Dank.

Sie macht auf dem Absatz kehrt und verschwindet in der Menge. Ich starre ihr hinterher und überlege, ob ich ihr folgen soll, um sicherzugehen, dass ihr nichts zustößt, doch damit würde ich ihr nur widersprüchliche Signale senden.

Im nächsten Moment klopft mir jemand auf die Schulter und drückt mir ein Schnapsglas mit einer bernsteinfarbenen Flüssigkeit in die Hand. Ich drehe mich um und erblicke Coen, der mich angrinst. „Gratuliere, Mann. Jetzt bist du wieder frei und Single.“

Ich kippe den Schnapsrunter. Er schmeckt wunderbar und versetzt mich in Feierstimmung. Plötzlich fühle ich mich, als wäre mir eine riesige Last genommen worden.

Coen legt seinen Arm um meine Schulter und schenkt mir ein verschmitztes Grinsen. „Ich kann dir jetzt schon versprechen, dass die anderen Jungs sich darum reißen werden, dir einen Drink auszugeben. Mach dich auf einen feuchtfröhlichen Abend gefasst.“

Lachend folge ich Coen durch die Menge und wir gesellen uns zu unseren Freunden.

***

Heute Abend haben sich sechs Spieler der Titans hier versammelt.

Stone, Coen, Foster, Kirill, Kace und ich. Das sind insgesamt fünf Schnäpse, mit denen ich meine Trennung von Tracy feiere. Uns allen gefällt die kleine Kneipe, die Harlow für die Wohltätigkeitsveranstaltung gewählt hat, und da wir morgen nur ein moderates Training absolvieren werden, habe ich keine Gewissensbisse, weil ich zweifellos mit einem Kater aufwachen werde. Zwischen dem zweiten und dritten Schnaps habe ich für einen kurzen Moment überlegt, ob es wirklich so eine gute Idee ist, mich zu betrinken. Doch dann wurde mir klar, dass ich nicht allein leiden werde, denn bei jedem Schnaps, den ich trinke, kippen meine Teamkameraden ebenfalls einen.

Der fünfte und, wie ich beharre, letzte Schnaps des Abends – schließlich will ich mich morgen nicht völlig beschissen fühlen – wird von genau der Barkeeperin gebracht, über die Tracy vor ein paar Stunden gelästert hat.

Sie ist mir schon bei unserer Ankunft aufgefallen, als sie hinter dem belebten Tresen hin und her eilte. Harlow scheint sie zu kennen, denn sie hat sich jedes Mal mit ihr unterhalten, sobald die Frau ein paar Sekunden Zeit hatte. Sie ist so sehr damit beschäftigt, die vielen Gäste zu bedienen, dass es mich überrascht, zu sehen, wie sie auf uns zukommt.

Sie ist verdammt sexy und ganz und gar nicht billig, wie Tracy sie beschrieben hat. Während Tracy mit ihrem goldblonden Haar, ihrer gebräunten Haut und der üppigen Figur den typisch kalifornischen Sommerlook verkörpert, ist die Barkeeperin das genaue Gegenteil. Ich vermute, dass Tracy sie deshalb so sehr verabscheut hat.

Mit ihrem fast rabenschwarzen Haar, das in gestuften Strähnen ihr Gesicht umrahmt und ihr bis zu den Schultern reicht, sieht sie einzigartig aus. Die Farbe ihrer von dunklen Wimpern umrahmten Augen ist eine ungewöhnliche Mischung aus Blau und Grau, die an aufziehende Gewitterwolken erinnert. Zusätzlich zu einem Nasenpiercing trägt sie mehrere Ohrstecker in beiden Ohren. Ich vermute, dass Tracy sie als billig bezeichnet hat, weil sie ein hautenges Harley-Davidson-Tanktop trägt, das tief ausgeschnitten ist. Doch nicht tief genug, um obszön zu wirken. Ihre Beine stecken in einer ausgebleichten Jeans und Biker-Stiefeln. Auf ihren Armen ist eine ganze Collage von Tätowierungen zu sehen, ihre Augen sind dramatisch dunkel geschminkt und ihre Fingernägel schwarz lackiert. Sie strahlt von Kopf bis Fuß einen Sexy-Rockerbraut-Schick aus, wobei sie durch ihr selbstbewusstes Auftreten ungemein anziehend wirkt.

Auf dem Tablett, das sie mit einer Hand über ihre Schulter stemmt, stehen sechs Gläser Bourbon und eine Flasche Wasser. Sie zwinkert Harlow zu, die auf Stones Knien balanciert, während er mit uns an einem Tisch im hinteren Teil der Kneipe sitzt.

Sie streckt das Tablett zuerst Harlow entgegen, die die Flasche Wasser nimmt, da sie keinen Alkohol trinkt. „Danke, Stevie.“

Stevie. Der Name gefällt mir. Er passt perfekt zu ihr.

„Hoch die Tassen“, ruft sie, als sie das Tablett in ihren Händen dreht und es vor uns abstellt, ohne einen Tropfen zu verschütten. Ihre Stimme klingt rauchig, als hätte sie die ganze Nacht lang gesungen.

Die Jungs greifen nach ihren Drinks, bis nur noch mein Glas übrig ist. Stevie legt den Kopf schief und zeigt mit einem Nicken darauf. „Ich habe gehört, du feierst das Ende deiner toxischen Beziehung. Gratuliere.“

Kirill schnaubt, da er mir am nächsten ist, nehme ich ihm das Glas aus der Hand und biete es Stevie an. „Du solltest mit mir feiern.“

Mit ihren sturmblauen Augen wirft sie einen Blick auf das Glas und sieht dann wieder mich an. Dann verzieht sie ihre vollen, weichen und ungeschminkten Lippen zu einem Lächeln. „Kein Interesse.“

Sie klemmt das Tablett unter ihren Arm und wendet sich ab. Ich dränge mich vor sie und stelle mich ihr in den Weg. „Ich heiße übrigens Hendrix.“

Ich strecke ihr meine Hand entgegen und bin überrascht, als sie sie ergreift. „Stevie.“

Sie versucht, sich meinem Griff zu entziehen, doch ich halte sie fest. „Das ist ein interessanter Name.“

„Mein Vater ist ein interessanter Typ“, erwidert sie, während ich immer noch ihre Hand festhalte. „Er hat mir den Namen gegeben.“

„Ach wirklich?“

Sie nickt, dann wendet sie sich der Bar zu. „Siehst du den großen Kerl, der am Ende des Tresens sitzt?“

„Du meinst den Typen, der uns anstarrt?“ Er ist riesig und scheint mich mit seinem Blick zu durchbohren.

„Er starrt nicht uns an, sondern dich.“

Hm … wahrscheinlich könnte ich es mit ihm aufnehmen, aber ich bin viel zu entspannt, um mich jetzt auf eine Kneipenschlägerei einzulassen. Außerdem reden wir hier von ihrem Dad, und wenn ich sie beeindrucken will, kann ich den Kerl nicht einfach k. o. schlagen.

Also lasse ich ihre Hand los. „Ich nehme an, er ist ein Stevie-Nicks-Fan.“

„Ich bin beeindruckt, dass du überhaupt weißt, wer das ist.“ Stevie steckt eine Hand in die Gesäßtasche ihrer Jeans und begutachtet mich. „Du siehst aus, als wäre Justin Timberlake eher dein Ding.“

Ich lege mir eine Hand aufs Herz und zucke gekränkt zusammen. „Das tut weh. Meine Tante Rory ist ein großer Stevie-Nicks-Fan, also kann ich dir versichern, dass ich alles über ihre Musik weiß.“

Sie zieht eine perfekt gewölbte Augenbraue in die Höhe. „Das sagst du doch nicht nur so, oder?“

Mit dem Zeigefinger zeichne ich ein unsichtbares Kreuz über meinem Herzen. „Ganz ehrlich, sie ist ein waschechter Fan. Sie hat keine Kinder und rechtfertigt diese Tatsache immer mit Stevie Nicks’ Entscheidung, ebenfalls keine Kinder zur Welt zu bringen und einfach die verrückte Tante zu sein, die ihre Nichte verwöhnt.“

„Das klingt plausibel“, räumt Stevie ein, obwohl sie immer noch argwöhnisch dreinblickt.

„Willst du denn nicht doch etwas mit mir trinken, damit wir uns weiter darüber unterhalten können?“, dränge ich.

Sie sieht zur Decke auf, als müsste sie darüber nachdenken, dann begegnet sie wieder meinem Blick. In ihren Augen liegt ein unterkühlter Ausdruck, der alle meine Hoffnungen zunichtemacht. „Immer noch kein Interesse.“

Als sie sich gerade abwenden will, sage ich hastig: „Gib mir nur zehn Minuten deiner Zeit. Das ist alles, was ich will.“

„Wozu brauchst du zehn Minuten?“

„Um dich zu überreden, mit mir auszugehen.“ Ich schenke ihr ein überaus charmantes Lächeln, doch sie starrt mich weiter verbissen an.

„Du bräuchtest weit mehr als zehn Minuten und wahrscheinlich literweise Alkohol, um mich zu einem Date zu überreden.“

„Nur zehn Minuten“, versichere ich ihr. „Unter vier Augen.“

In ihren Augen leuchtet ein Funkeln auf, und wenn ich raten müsste, hätte ich gesagt, dass darin ein Anflug von Interesse zu sehen ist. Nichtsdestotrotz lässt sie mich erneut abblitzen. „Tut mir leid. Meine Zeit ist viel zu kostbar.“

„Dann lass uns eine Wette abschließen.“

„Worauf willst du denn wetten?“

„Wie wäre es mit einer Partie Billard oder Darts? Du kannst es dir aussuchen. Falls ich gewinne, darf ich zehn Minuten mit dir allein verbringen, um dich zu überzeugen.“

„Und falls ich gewinne?“, fragt sie und macht einen Schritt auf mich zu.

„Was hättest du denn gern?“

Sie lässt ihren Blick durch die Kneipe schweifen, die sich mittlerweile etwas geleert hat. Wir alle haben uns mit den Fans ablichten lassen und uns mit ihnen unterhalten. „Du wirst am Ende meiner Schicht den Putzdienst übernehmen.“

„Abgemacht“, stimme ich ohne zu zögern zu. Ich scheue mich nicht davor, einen Putzlappen in die Hand zu nehmen. Selbst wenn ich verlieren würde, könnte ich auf diese Weise immer noch Zeit mit ihr allein verbringen, um sie für mich zu gewinnen.

„Bin gleich wieder da“, sagt sie nur.

Ich drehe mich zu meinen Freunden um, gebe Kirill sein Glas zurück und hebe mein eigenes. „Prost.“

Sie folgen meinem Beispiel und trinken ihren Whiskey in einem Zug.

Ich gehe hinüber zu Stone und Harlow und zeige mit dem Daumen über die Schulter. „Was hat es mit dieser Kellnerin auf sich? Stevie?“

Harlow lacht. „Ihr gehört die Kneipe. Wir sind zusammen zur Highschool gegangen.“

Das macht sie noch viel interessanter. „Leg ein gutes Wort für mich ein, in Ordnung?“

„Ein gutes Wort? Warum?“, will Harlow wissen.

„Ich versuche, sie dazu zu überreden, mit mir auszugehen.“

„Alter“, wirft Stone ein und schüttelt amüsiert den Kopf. „Du hast doch gerade erst mit deiner Freundin Schluss gemacht.“

„Was erwartest du denn?“, frage ich und greife nach meinem Glas Fassbier auf dem Tisch. „Ihr habt mir doch alle wochenlang damit in den Ohren gelegen, dass ich Tracy den Laufpass geben soll.“

„Du brauchst wohl jemanden, der dir über die Trennung hinweghilft“, stichelt Stone.

„Das ist nicht wahr. Niemand muss mir über die Trennung hinweghelfen, denn ich leide nicht an einem gebrochenen Herzen.“

„Er hat nicht unrecht“, meldet sich Harlow zu Wort und legt einen Arm um Stones Schulter, bevor sie mich mit ihren grünen Augen mustert. „Aber Stevie ist ganz sicher nicht dein Typ, also verschwendest du nur deine Zeit.“

„Woher willst du wissen, ob sie mein Typ ist oder nicht?“ Kaum ist mir die Frage über die Lippen gekommen, beantworte ich sie selbst. „Also schön, zugegeben … du bist mit ihr befreundet und kennst sie besser als ich. Aber ich denke, ich werde diese Entscheidung letztlich selbst treffen.“

„Hey“, erwidert Harlow und hält beschwichtigend die Hände in die Höhe. „Tu dir keinen Zwang an, Kumpel.“

„Ich habe mit ihr auf eine Partie Billard gewettet. Wenn ich gewinne, muss sie mir zehn Minuten ihrer Zeit schenken, die ich auf magische Weise nutzen werde, um sie davon zu überzeugen, mit mir auszugehen.“

Harlow krümmt sich vor Lachen und Stone gluckst leise vor sich hin.

„Was ist denn?“, frage ich.

Stone bricht in schallendes Gelächter aus und antwortet: „Alter … ihr gehört eine Kneipe. Und nicht nur das, sie hat sie von ihrem Großvater geerbt und ist in dem Laden aufgewachsen. Du wirst sie auf keinen Fall bei einer Partie Billard schlagen können.“

Hm … das könnte tatsächlich zu einem Problem werden. Allerdings spiele ich ebenfalls schon seit meiner Kindheit Billard. Und dank Tante Rory, die alles liebt, was mit Stevie Nicks zu tun hat, habe ich auch schon einige Kneipen von innen gesehen.

Kapitel 3

Stevie

„Was will denn der Schönling von dir?“, fragt mein Vater, als ich mich wieder hinter den Tresen stelle und das Tablett neben einer Kühlbox ablege. Er wirft einen Blick über seine Schulter auf Harlow, Stone und dessen Mannschaftskameraden, die gerade an ihrem Bier nippen, nachdem sie ihre Schnapsgläser geleert haben.

„Er wollte sich mit mir verabreden“, antworte ich beiläufig, als ich nach meinen Queue-Koffer greife. „Ich habe abgelehnt, aber er hat behauptet, wenn ich ihm zehn Minuten meiner Zeit schenke, kann er mich überreden, mit ihm auszugehen.“

„Und du gibst ihm zehn Minuten, indem du mit ihm eine Partie Billard spielst?“, will er wissen, als er sich mir wieder zuwendet.

„Nein, er hat mit mir darum gewettet, dass er mich im Billard schlagen kann. Wenn ich verliere, bekommt er zehn Minuten.“

Mein Vater lacht leise und führt sein Bierglas zum Mund. Als er es wieder abstellt, sagt er: „Weiß er, dass du ein Ass bist?“

Ich schenke ihm ein verschmitztes Grinsen. „Er hat nicht danach gefragt.“

Nachdem ich den Koffer geöffnet habe, schraube ich mein Queue zusammen und lasse meinen Blick durch die Kneipe schweifen. Es ist bei Weitem nicht mehr so viel los wie zu Beginn der Veranstaltung, aber es sind immer noch mehr Gäste da als an einem gewöhnlichen Abend. Ich habe zwei Angestellte hinter dem Tresen und einen, der die Tische bedient, aber ich zögere dennoch. Für gewöhnlich mache ich nie eine Pause, wenn ich arbeite.

„Ich werde, wenn nötig, einspringen“, erklärt mein Vater, der sehen kann, wie ich mit mir hadere. „Außerdem solltest du ein bisschen Zeit mit Harlow verbringen. Du hast den ganzen Abend gearbeitet und konntest nicht einmal den Erfolg genießen.“

Mein Herz schwillt fast über vor Liebe zu meinem Vater. Er kennt mich in- und auswendig und ist immer der Erste, der sich vergewissert, dass ich auf mich selbst achte. Auch wenn das nur bedeutet, dass ich mir eine Auszeit nehme, um etwas Spaß zu haben.

Und es wird durchaus Spaß machen, dem gut aussehenden Eishockeyspieler eine Lektion zu erteilen, denn er glaubt wirklich, dass er viel zu charmant ist, als dass ich ihm seinen Wunsch verweigern könnte.

„Ruf mich, falls es zu hektisch wird“, sage ich, als ich hinter dem Tresen hervortrete und ihm einen Stoß mit der Schulter versetze.

„Ich habe alles im Griff“, antwortet er mit seiner für ihn typischen rauen Stimme. Mehr als einmal habe ich gehört, wie jemand behauptet hat, er klinge wie Sam Elliot. „Und sag dem Jungen, wenn er deine Hand noch einmal so festhält wie gerade eben, schneide ich ihm seine ab.“

Mit einem Schnauben schüttle ich den Kopf. Wahrscheinlich wäre mein Vater tatsächlich zu so etwas in der Lage, doch er müsste mir schon zuvorkommen. Wenn ich nicht gewollt hätte, dass Hendrix mich berührt, dann hätte ich ihn dazu gebracht, loszulassen. Als weibliche Kneipenbesitzerin, die sich immer wieder mit einer ungehobelten Klientel herumschlagen darf, muss man wissen, wie man einen Mann in seine Schranken weist.

Ich gehe mit meinem Queue auf einen der Billardtische zu und begegne Hendrix’ Blick. Mit einem Kopfnicken signalisiere ich ihm, dass er mir folgen soll, damit ich ihm in den Arsch treten kann.

Er kommt zu mir an den Tisch, gefolgt von Harlow, Stone und den anderen Spielern, die ich bisher noch nicht kennengelernt habe. Heute Abend war viel los, daher hat Harlow sich um die Spielzeugsammlung und die Fotos gekümmert, sodass ich mich aufs Geschäft konzentrieren konnte. Dank des Bekanntheitsgrads der Titans haben sich mehr Kunden eingefunden, als in den letzten dreißig Tagen zusammen, und darauf war ich nicht vorbereitet.

Harlow stellt mich den anderen vor. Da ich ein großer Fan bin, erkenne ich jeden einzelnen von ihnen.

„Was willst du spielen?“, fragte ich Hendrix, während ich nach der blauen Kreide greife.

„9-Ball“, antwortet er und geht zum Wandregal, um einen Queue zu wählen.

Ich zwinkere Harlow zu, die die Lippen zu einem Grinsen verzieht. Sie weiß, wie gut ich spiele, und ich frage mich, ob sie ihn vorgewarnt hat. Ich habe fest vor, diese Partie zu gewinnen und meinen Gewinn einzufordern, indem ich Hendrix heute Abend die Bar putzen lasse. Irgendwann werde ich mich mit meiner Freundin darüber lustig machen, wenn wir uns das nächste Mal miteinander unterhalten.

***

Mir fällt die Kinnlade herunter, als ich dabei zusehe, wie die Neun nach Hendrix’ beeindruckendem Bandenschuss langsam in die Seitentasche rollt. Er stützt sich auf sein Queue und grinst mich über den Billardtisch hinweg an. Aus den Augenwinkeln sehe ich, wie seine Freunde sich Geldscheine zuschieben. Ganz offensichtlich wussten einige von ihnen, dass er ein verdammt guter Spieler ist, und haben auf ihn gewettet.

Dabei ist es nicht einmal so, dass ich ihm nichts zugetraut hätte, doch ich bin wirklich ein Ass im Billard. Leider habe ich heute Abend nicht mein ganzes Potenzial ausgeschöpft.

Harlow stellt sich neben mich, lehnt sich zu mir hinüber und flüstert: „Es hat fast den Anschein, als hättest du verlieren wollen.“

„Ich wollte nicht verlieren“, erwidere ich mit einem leisen Knurren. „Ich hasse es.“

„Wenn du es sagst“, murmelt sie belustigt und lässt ihren Blick auf die andere Seite des Billardtischs schweifen, als Hendrix’ Freunde ihm gerade auf den Rücken klopfen. Er schenkt ihnen jedoch keinerlei Aufmerksamkeit, sondern starrt mich durchdringend an. „Wenn ich raten müsste, würde ich sagen, du wirst die zehn Minuten genießen, die er gerade gewonnen hat.“

Ich wende mich Harlow zu, packe ihr Handgelenk und ziehe sie ein Stück beiseite. „Was erwartet er in diesen zehn Minuten von mir?“

Harlow lacht. „Nicht mehr als das, was du zu geben bereit bist, also entspann dich. Hendrix ist ein netter Kerl, das kann ich dir versichern.“

„Aber er hat gerade mit seiner Freundin Schluss gemacht.“ Das klingt nicht gerade danach, als wäre er sonderlich nett.

„Glaub mir“, erwidert Harlow und beugt sich vor, „es war höchste Zeit, dass er sich von ihr getrennt hat. Ich habe noch nie zuvor eine derart unangenehme Person kennengelernt.“

„Warum war er dann mit ihr zusammen?“, frage ich neugierig.

Harlow zuckt mit den Schultern. „Du hast zehn Minuten mit ihm allein. Vielleicht solltest du ihn danach fragen.“ Ich stoße ein Schnauben aus, denn ich interessiere mich nicht für sein Privatleben. „Aber ich würde vorschlagen, dass du weiter mit ihm flirtest. Es hat Spaß gemacht, euch beiden zuzusehen.“

Diesmal verdrehe ich die Augen, denn man kann mir gewiss nicht nachsagen, dass ich zum Flirten aufgelegt bin. Natürlich lasse ich meinen Charme spielen, wenn ich hinter dem Tresen stehe, aber das gehört zu meinem Job – und bringt mehr Trinkgeld.

Nichtsdestotrotz habe ich mit Hendrix geschäkert, als wir um den Billardtisch herumgingen, Winkel abschätzten und unsere Stöße ausrichteten. Ich weiß, dass der Alkohol wahrscheinlich sein natürliches Charisma verstärkt hat, aber verdammt, es macht Spaß, mit ihm zusammen zu sein. Er hat ein fröhliches Gemüt, ist witzig und eigentlich ein richtiger Gentleman, trotz seines offensichtlichen Interesses an mir als Frau.

„Ich hätte jetzt gern meine zehn Minuten.“ Als ich Hendrix’ Stimme höre, drehe ich mich um und sehe, dass er direkt hinter mir steht, wobei er einen kurzen Blick auf Harlow wirft. „Und ich will deine ungeteilte Aufmerksamkeit, was bedeutet, dass wir uns nicht miteinander unterhalten können, während du hinter der Bar arbeitest. Wir müssen uns also einen ruhigeren Ort suchen.“

Ich lasse meinen Blick durch die Kneipe schweifen, in der sich immer noch etwa dreißig Gäste befinden, und zeige dann mit einem Nicken auf die Jukebox. „Ich kann wohl kaum die Musik abstellen.“

Er schenkt mir ein verschmitztes Grinsen, wobei er Harlow seinen Queue in die Hand drückt und dann meine Hand ergreift. „Glücklicherweise bin ich ein aufmerksamer Beobachter.“

Zu meinem Entsetzen führt mich Hendrix quer durch die Kneipe in den kleinen Flur, von dem auf der einen Seite die Toiletten und auf der anderen der Lagerraum abgehen.

Er öffnet die Tür zum Lagerraum und zieht mich hinein. Ich werfe noch einen Blick zurück zum Tresen und stelle fest, dass mein Vater mich wachsam beobachtet, sich aber nicht von der Stelle rührt. Er weiß, dass ich auf mich selbst aufpassen kann, aber ich bin überzeugt davon, dass Hendrix sich gerade einen Minuspunkt eingehandelt hat, weil er mich ungefragt in den privaten Bereich gezogen hat. Aber das ist nicht mein Problem, vor allem, da ich ihn nach diesen zehn Minuten nie wieder sehen werde.

Hendrix schließt die Tür und schaut sich in dem kleinen Raum um. An den Wänden befinden sich Einbauregale aus Holz, die mit Vorräten bestückt sind, während in der Mitte Bierkästen gestapelt sind. Er hält immer noch meine Hand und zieht mich zu einem Stuhl, der verlassen in einer Ecke steht und in dessen Sitzfläche sich ein kleiner Riss befindet.

Hendrix lässt meine Hand los und drückt mit einer Hand auf die Sitzfläche. Zugegebenermaßen bin ich entzückt, dass er zuerst testet, ob der Stuhl stabil ist, bevor er mich an den Schultern packt und sanft darauf schiebt.

Mit einer Hand stützt er sich an einem der Holzregale ab, die andere steckt er lässig in die Tasche seiner Jeans, wobei er die Füße an den Knöcheln kreuzt. „Also schön … da ich nur zehn Minuten habe …“

„Die jetzt beginnen“, unterbreche ich ihn und werfe einen Blick auf meine Armbanduhr.

Er fährt ohne zu zögern fort. „Du solltest wissen, dass es vor allem mein Ziel ist, mit dir auszugehen. Daher wäre es hilfreich, wenn du deine Bedenken äußern könntest, die dich vielleicht daran hindern, einem Date zuzustimmen. Wenn du dich zum Beispiel nicht zu mir hingezogen fühlst, kann ich nicht viel dagegen tun und werde unsere Zeit nicht weiter verschwenden.“

„Ich bin wirklich einfach viel zu beschäftigt, um …“

„Aha“, ruft er triumphierend aus. „Dann fühlst du dich also zu mir hingezogen.“

„Das habe ich nicht gesagt“, entgegne ich und stehe auf, wobei ich versuche, ein Lächeln zu unterdrücken.

„Du hast es aber auch nicht verneint“, erwidert er grinsend und löst sich blitzschnell aus seiner lässigen Pose, um einen Schritt auf mich zuzugehen. Dabei drängt er mich mit dem Rücken gegen die Regale und stützt seine Hände zu beiden Seiten meiner Schultern ab. „Gerade eben hast du den Eindruck gemacht, als wolltest du die Flucht ergreifen.“

„Es behagt mir einfach nicht, zu dir aufblicken zu müssen“, entgegne ich, wobei ich meinen Kopf immer noch in den Nacken legen muss, um ihm direkt in die Augen zu sehen. Er ist einfach unglaublich groß. „Und um deine ursprüngliche Frage aufzugreifen: Ich will nicht mit dir ausgehen, weil ich zu beschäftigt bin.“

„Ich bin auch ziemlich beschäftigt, aber wir werden sicher beide Zeit finden können.“

„Nun, du hast heute gerade deine Freundin abserviert, daher hast du wahrscheinlich mehr Zeit als ich.“

„Ich habe sie nicht einfach aus einer Laune heraus abserviert, weißt du.“

„Aber du bist schon wieder auf der Jagd“, erwidere ich.

„Ich bin nicht auf der Jagd.“ Er lehnt sich vor und neigt mir den Kopf zu. „Und meine Beziehung zu Tracy war durch und durch kaputt. Ich hätte mich schon vor langer Zeit von ihr trennen sollen.“

Ich kann einen Anflug von Enttäuschung in seinem Tonfall hören und werde neugierig. „Warum hast du es nicht getan?“

„Weil man an einer Beziehung arbeiten muss, damit sie funktioniert, und ich habe mein Bestes gegeben. So einfach lasse ich nicht los, und ich will nicht das Gefühl haben, etwas bereuen zu müssen. Wahrscheinlich habe ich zu lange daran festgehalten und mich bemüht, etwas zu ändern, doch ich werde morgen nicht mit Gewissensbissen aufwachen, weil ich die Beziehung endlich beendet habe.“

Meine Güte, ich kann ihn unmöglich wissen lassen, dass er mich damit schon fast überzeugt hat, ihm eine Chance zu geben. Ich kann Drückeberger nicht ausstehen. Menschen, die die Flucht ergreifen, sobald etwas Probleme macht, sind mir zuwider, was wahrscheinlich daher rührt, dass meine Mutter mich verlassen hat. Denn für sie war es „einfach ein bisschen zu anstrengend, sich um ein Kind zu kümmern“.

Aber ich bin stur und nicht bereit, zuzugeben, dass seine Worte eine tiefere Bedeutung für mich haben. „Wir würden nicht gut zusammenpassen. Du bist mehr der schicke Typ im Polohemd und ich bin eine Bikerbraut.“

Hendrix scheint sich über meine Beschreibung zu amüsieren, denn er fängt an, zu lachen. „Da musst du dir schon etwas Besseres einfallen lassen, als unser Erscheinungsbild als Ausrede vorzuschieben.“

„Es sind nicht nur Äußerlichkeiten“, blaffe ich, um mich zu rechtfertigen. „Du bist einfach … eher … der brave Junge von nebenan.“

Offenbar hielt er mich zuvor schon für amüsant, doch jetzt scheint er zu glauben, ich wäre urkomisch, denn er bricht in schallendes Gelächter aus. Er lacht so heftig, dass ihm Tränen in die Augen steigen.

Kopfschüttelnd und immer noch glucksend streckt er eine Hand aus, um an einer Strähne meines Haars zu ziehen. „Es ist wirklich niedlich, dass du mich für brav hältst.“ Er begegnet meinem Blick und senkt seine Stimme um eine Oktave. „Falls du wirklich Bedenken deshalb hast, wäre ich sofort bereit, deine Annahme zu widerlegen. Ich könnte dich in weniger als zehn Minuten dazu bringen, meinen Namen zu schreien, wenn du mir grünes Licht gibst.“