Henry Kissinger – Die Biografie - Wolfgang Seybold - E-Book

Henry Kissinger – Die Biografie E-Book

Wolfgang Seybold

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Beschreibung

Harvard-Professor, US-Außenminister, Friedensnobelpreisträger Wie wurde aus einem deutsch-jüdischen Flüchtlingskind Jahrzehnte später der Altmeister der amerikanischen Diplomatie? Und wer ist der Mensch Henry Kissinger wirklich? Zum 100. Geburtstag würdigt Dr. Wolfgang Seybold eine der prägendsten politischen Figuren des 20. Jahrhunderts. Kurzweilig und persönlich beschreibt Seybold den Werdegang Kissingers: seine Laufbahn vom Sicherheitsberater zum Außenminister, seine wichtigsten Errungenschaften wie die Beendigung des Vietnamkriegs und das Rüstungsbegrenzungsabkommen mit der Sowjetunion, seine Methode der politischen Strategie und Diplomatie, die ihre Relevanz bis heute nicht verloren hat. Persönliche Erinnerungen und Anekdoten lassen hinter die Fassade des Jahrhundertpolitikers blicken und machen ihn auch menschlich greifbar.

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DR. WOLFGANG SEYBOLD

HENRY KISSINGER

DIE BIOGRAFIE

DR. WOLFGANG SEYBOLD

HENRY KISSINGER

DIE BIOGRAFIE

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://d-nb.de abrufbar.

Für Fragen und Anregungen

[email protected]

3. Auflage 2024

© 2023 by FinanzBuch Verlag, ein Imprint der Münchner Verlagsgruppe GmbH

Türkenstraße 89

D-80799 München

Tel.: 089 651285-0

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Umschlaggestaltung: Maria Verdorfer

Umschlagabbildung: Ullstein Bild/Wolfgang Steche

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Satz: Daniel Förster

eBook: ePUBoo.com

ISBN Print 978-3-95972-720-4

ISBN E-Book (PDF) 978-3-98609-396-9

ISBN E-Book (EPUB, Mobi) 978-3-98609-397-6

Weitere Informationen zum Verlag finden Sie unter

www.finanzbuchverlag.de

Beachten Sie auch unsere weiteren Verlage unter www.m-vg.de.

Inhalt

Vorwort

I. Kissinger – Die jungen Jahre

Kissingers Jugend in Deutschland

Der Anfang in Amerika

In der US-Armee

Eine schicksalhafte Begegnung

Nachkriegsjahre in Deutschland

II. Akademische Karriere in Harvard

Studium in Harvard

Die Promotion

Prägende Begegnungen

Der Harvard-Professor

Entzweiung von Ann

III. Kissinger, der Politiker

Aufstieg ins Zentrum der Macht

Henry und die Frauen

Nancy Maginnes

Der Außenminister

Das SALT-I-Abkommen

Zu Besuch bei Breschnew

Genfer Friedenskonferenz

Das Ende eines legendären Außenministers

IV. Ein Leben nach der Politik

Der Sprung zurück ins bürgerliche Leben

Glamouröses Privatleben

Politische Versuchungen

V. Familie und Heimat

Henrys Bruder Walter

Die Eltern Kissinger

Henry Kissinger und Deutschland

Kissinger und die deutschen Kanzler

Henry, die Jahrhundertpersönlichkeit

Quellen

Über den Autor

Vorwort

Am 27.5.2023 ist es so weit: Henry Kissinger wird hundert. Wenn das kein Grund ist, des großen Mannes zu gedenken! Zugleich ist es ein Grund, ein wenig stolz zu sein auf einen Deutschen, der zu den berühmtesten Bewohnern unseres Planeten gehört. Und gleichzeitig Wehmut zu empfinden – Wehmut, weil Henry Kissinger schon lange nicht mehr bei uns in Deutschland lebt. Er ist Amerikaner geworden, nachdem wir ihn vertrieben haben, so wie wir auch Albert Einstein vergrault haben, eine andere Jahrhundertpersönlichkeit deutscher Abstammung.

Einstein und Kissinger verließen ihre Heimat nicht freiwillig, sondern blutenden Herzens. Sie wurden in den finstersten Jahren unserer Geschichte aufgrund ihres jüdischen Glaubens vertrieben, dabei ist es eine Ironie des Schicksals, dass diese so dunklen Jahre zwei veritable Lichtgestalten hervorgebracht haben. Zwei Deutsche, die Überragendes geleistet haben. Zwei Deutsche, die den Nobelpreis erhielten. Zwei Deutsche, mit deren Namen wir uns schmücken können – und davon gibt es ja gar nicht so viele.

Die Bücher und Veröffentlichungen zum Thema Kissinger sind zahlreich und legendär. Es macht kaum Sinn, das politische Wirken Kissingers einer neuerlichen Würdigung zu unterziehen. Mein Ziel ist es vielmehr, den Menschen Kissinger zu beleuchten und zu erkunden, wie sein Leben – privat und beruflich – verlaufen ist. Lernen Sie mit mir auf den folgenden Seiten einen charmanten Weltstar der internationalen Politik kennen, einen nahbaren und faszinierenden Menschen, der die vergangenen hundert Jahre geprägt hat wie kaum ein anderer.

Wie ich Prof. Dr. Kissinger kennenlernte

»Als ich heute im Hotel Bayerischer Hof eincheckte, stand eine junge hübsche Frau neben mir. Sie sah mich lächelnd an und fragte mich: ›Sind Sie Dr. Kissinger?‹ Als ich dies bejahte, fuhr sie fort: ›Ich habe gehört, Sie sind ein faszinierender Mann. Bitte faszinieren Sie mich!‹«

So begann Henry Kissinger seine Rede bei einem traditionellen Abendessen, zu dem ich ihn für den Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar 1998 eingeladen hatte. Meine hundert Gäste brachen in schallendes Gelächter aus. Wenn es dessen noch bedurfte, so hatte Henry ihre Herzen im Sturm erobert. Da stand er leibhaftig vor ihnen, einer der berühmtesten Männer der Welt, was die Magie des Augenblicks durchaus noch verstärkte: Hier ließ sich ein lebendes Monument der Geschichte nicht nur bestaunen, sondern Henry Kissinger sprach zu ihnen mit einem unvergleichlichen Timbre, einer tiefen, sonoren Stimme mit breitem fränkischem Akzent. Tatsächlich lässt sich die Klangfärbung schwer beschreiben – man muss sie erlebt haben. Sie hat etwas Warmes und Gewinnendes, sie strahlte eine felsenfeste Überzeugung aus und ist sicherlich eine der Säulen seines Erfolges.

Mein Freund, der republikanische US-Senator John McCain, einer meiner Stammgäste, hatte mich im Vorfeld des Dinners gefragt, ob er seinen Freund Henry Kissinger mitbringen dürfe. Wohl selten war ich einer Bitte so gern nachgekommen wie dieser. Erstmals hatte ich 1982 am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz ins Restaurant Käfer zum Dinner eingeladen, nachdem ich im Jahr zuvor meinen damaligen Chef, den Bundestagsabgeordneten und späteren Verteidigungsminister und NATO-Generalsekretär Dr. Manfred Wörner, zu der damals noch von ihrem Gründer, Baron Ewald von Kleist, geleiteten Konferenz begleiten durfte. Hier lernte ich besagten John McCain kennen, damals ein Kongressabgeordneter, außerdem traf ich Senator William S. Cohen, den Präsident Clinton 1996 zu seinem Verteidigungsminister berief, sowie den Verbindungsoffizier James L. Jones, den seine Karriere zunächst zum Vier-Sterne-General, dann zum Oberbefehlshaber der Marines und danach zum NATO-Oberbefehlshaber machen und schließlich als Nationalen Sicherheitsberater von Präsident Obama ins Weiße Haus führen sollte.

Die US-Delegation flog seinerzeit am Freitag aus Washington nach München ein und reiste am Sonntagmittag wieder zurück. Das Rahmenprogramm am Freitagabend bestand aus einem Empfang im Alten Rathaus, bei dem den Delegierten ein Glas Frankenwein und als kulinarisches Highlight eine trockene Brezel kredenzt wurden. Diese Art der Gastfreundschaft für hochrangige US-Politgäste, die die Strapaze der Wochenendreise für die Sicherheit auf sich nahmen, war mir in meiner Eigenschaft als deutscher Staatsbürger so peinlich, dass ich meinen neu gewonnenen US-Freunden versprach: »Wenn ihr nächstes Jahr wiederkommt, veranstalte ich für euch ein Essen in Münchens bestem Restaurant.«

Und so war es dann auch. An meinem ersten Käfer-Dinner nahmen am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz 1983 zwölf Personen teil, sechs Deutsche und sechs Amerikaner, darunter der Kongressabgeordnete John McCain, Senator William S. Cohen, Colonel James L. Jones und Dr. Manfred Wörner. Da die Teilnehmer Gefallen an dem Dinner gefunden hatten, fragten sie mich im folgenden Jahr, ob ich den Abend wieder veranstalten würde, und wenn ja, ob sie zu meinem Dinner noch den einen oder anderen Freund, Senator oder Minister mitbringen könnten. So vergrößerte sich die Zusammenkunft von Jahr zu Jahr, so sehr, dass ich wenig später schon über hundert Gäste begrüßen konnte und Mühe hatte, mich des Ansturms weiterer angesehener Interessenten zu erwehren. Der Abend im Käfer hatte sich zu DEM Dinner der Sicherheitskonferenz entwickelt. Wer etwas galt, musste dabei sein – sowohl von deutscher wie auch von amerikanischer Seite.

1998 war John McCain längst Senator von Arizona geworden. Unsere Freundschaft hatte sich so sehr vertieft, dass er meinem jüngsten Sohn gestattete, ein Jahr in seinem ebenso riesigen wie ehrwürdigen Senatsbüro im Russell Building auf dem Capitol Hill zu arbeiten. Ich hatte deshalb keine Scheu, ihn zu fragen, ob er seinen Freund Kissinger nicht bewegen könne, ein paar Worte zu sprechen. Und siehe da: Es ereignete sich etwas, das niemand der Anwesenden je vergessen wird. Senator John McCain erhob sich und forderte Secretary Henry Kissinger auf, mit ihm gemeinsam zu erzählen, wie er, Kissinger, 1973 versucht hatte, ihn aus seiner nordvietnamesischen Kriegsgefangenschaft zu befreien. Als beide zu erzählen begannen, war es in den Käferstuben so still, dass sich der Fall einer Nadel wohl wie eine Explosion angehört hätte.

Hierzu muss man wissen, dass McCain einem alten amerikanischen Marineadel entspringt. Sowohl sein Vater (John Sidney McCain) als auch sein Großvater waren hohe Marineadmiräle, und John McCain studierte in der Tradition seiner Vorfahren an der Naval Academy Annapolis und wurde in Florida zum Kampfpiloten auf einem Flugzeugträger ausgebildet. Als solcher nahm er am Vietnamkrieg teil und erhielt am 26.10.1967 den Befehl, ein Wasserkraftwerk nahe Hanoi zu bombardieren. Bei diesem Angriff wurde er abgeschossen, landete mit seinem Schleudersitz in einem See und erlitt schwerste Verletzungen (unter anderem brach er sich beide Arme und ein Bein). Von zwei nordvietnamesischen Fischern wurde er bewusstlos aus dem Wasser gezogen. Anschließend brachten ihn die Vietcong in das berühmt-berüchtigte »Hanoi Hilton« – das Kriegsgefangenengefängnis in Hanoi.

Der Zufall wollte es, dass McCains Vater, der Vier-Sterne-Admiral John Sidney McCain, zu dieser Zeit als Oberbefehlshaber des US-Pazifikkommandos fungierte und damit verantwortlich war für alle US-Streitkräfte im Pazifik, seien es Flugzeugträger, U-Boote oder Zerstörer, einschließlich der in Vietnam kämpfenden Einheiten der Marines. Es dauerte nicht lange, bis dies auch die vietnamesische Spionageabwehr herausgefunden hatte. Als Gefangener galt McCain fortan als kapitaler Braten, von dem man sich detaillierte Informationen über die amerikanische Kriegsplanung erhoffte. Da McCain sich weigerte, sein Wissen preiszugeben, wurde er brutal gefoltert. Als auch dies nichts fruchtete, bot man ihm einen Gefangenenaustausch an, zumal es unter verfeindeten Streitkräften als eine Art Gentlemen’s Agreement gilt, dass die Söhne hochrangiger Militärs wechselseitig ausgetauscht werden.

McCain aber lehnte einen Gefangenenaustausch ab. Zum einen weil er beim Eintritt in die Navy geschworen hatte, sich im Falle einer Gefangennahme nicht bevorzugt austauschen zu lassen. Er wollte stattdessen strikt die Reihenfolge beachten: Wer zuerst gefangen genommen wird, wird zuerst ausgetauscht. Und der zuletzt gefangen Genommene kommt zuletzt an die Reihe. Zum anderen weil er den Vietnamesen keine Propagandamunition liefern wollte – denn diese erwarteten, dass vorzeitig ausgetauschte Soldaten zum Dank für ihren Austausch verlogene lobende Worte über ihre Peiniger verlautbaren sollten.

Die Bestrafung für die in den Augen der Vietnamesen unbotmäßige Verweigerung des Austauschs folgte auf dem Fuße: McCain wurde abermals gefoltert und kam für zwei Jahre in Einzelhaft, und zwar tief unter der Erde im fünften Kellergeschoss. Er sollte jahrelang kein Tageslicht mehr sehen.

Gegen Ende des Vietnamkrieges reiste Henry Kissinger, der den Waffenstillstand und Friedensvertrag mit den Nordvietnamesen ausgehandelt hatte, regelmäßig nach Hanoi. Ebenso regelmäßig forderte er von den Vietcong, sie mögen ihm den Gefangenen McCain zur Heimreise aushändigen. Jedes Mal fanden entsprechende Gespräche auch zwischen John McCain und Kissinger statt. Aber McCain blieb standhaft. Sein Ethos erlaubte ihm keine Sonderbehandlung, wie er den fassungslosen Kissinger ein ums andere Mal wissen ließ.

Und so kam es, dass John McCain erst nach Inkrafttreten des Waffenstillstandsabkommens von Paris am 27. Januar 1973 als einer der letzten amerikanischen Kriegsgefangenen nach fünfeinhalbjähriger Haft in die Heimat entlassen wurde. Dort wurde er, auf Krücken gestützt, auf Veranlassung von Henry Kissinger von Präsident Nixon im Weißen Haus empfangen und mit Kriegsauszeichnungen überhäuft.

Trotz dieser Fakten behauptete Donald Trump, der sich im Vietnamkrieg für wehruntauglich befinden ließ, dass gefangen genommene Soldaten seiner Ansicht nach keine Kriegshelden seien. Hierauf verfügte John McCain, der an einem unheilbaren Hirntumor litt, dass Donald Trump unter keinen Umständen an seiner Trauerfeier teilnehmen dürfe. Doch Trump wäre nicht Trump, hätte er nicht den Versuch unternommen, an der Trauerfeier in der Washington National Cathedral am 1. September 2018 doch irgendwie anwesend zu sein. So schickte er seine Tochter Ivanka und seinen Schwiegersohn Jared Kushner, die bei der Trauerfeier direkt vor mir saßen, sowie seinen Vizepräsidenten Mike Pence. Die Trauerfeier fand in Gegenwart von vier Ex-Präsidenten (Bill Clinton, George Bush jr., George Bush sen. und Barack Obama) statt, die – bis auf Bush sen. – auch zu den Trauerrednern gehörten, ebenso wie McCains Tochter Meghan und sein engster politischer Weggefährte Senator Joe Lieberman.

Die alles überragende Rede aber hielt Henry Kissinger, der die Trauergemeinde zu Tränen rührte, ihr aber auch offenes Lachen und Beifall entlockte, als er verschiedene Anekdoten zum Besten gab, die er mit diesem großen Sohn Amerikas erlebt hatte.

Es war ein Staatsbegräbnis allererster Güte, auch wenn es Senator John McCain versagt geblieben war, selbst Präsident der Vereinigten Staaten zu werden. Bei den Wahlen im November 2008 hatte er knapp gegen Barack Obama verloren.

Der Autor Dr. Wolfgang Seybold (li.) und Dr. Henry Kissinger (re.) anlässlich des deutsch-amerikanischen Abendessens am Vorabend der Münchner Sicherheitskonferenz 2000.

Und so lernte ich also The Honorable Secretary Professor Dr. Dr. h. c. mult. Henry A. Kissinger (dies ist seine vollständige und korrekte Anrede) kennen. Da ihm der Abend im Kreise meiner Gäste gefallen hatte, nahm Henry Kissinger jedes Mal, wenn er zur Münchner Sicherheitskonferenz kam, an meinem Dinner teil, was noch viermal der Fall war – am 09.02.2001, am 05.02.2010, am 04.02.2012 und am 31.01.2014.1 Hierbei genoss er es, wenn ich ihn nicht nur neben seine deutsche Verlegerin Liz Mohn setzte, die Patriarchin des Bertelsmann-Konzerns, sondern an seiner anderen Seite zudem eine hübsche Schauspielerin wie zum Beispiel Veronica Ferres oder Uschi Glas platzierte.

Einmal setzte ich die Eislauflegende Katarina Witt an seine Seite, was Henry entzückte, beim Protokoll der Sicherheitskonferenz allerdings massives Stirnrunzeln hervorrief. Wie konnte man eine ehemalige Sportlerin neben einen Staatsmann dieses Kalibers setzen? Mir fiel das Placement aufgrund meiner Kenntnis der Biografie Henry Kissingers nicht schwer, da ich wusste, mit welchen Stars und Starlets er befreundet war. Auch meine übrigen amerikanischen Gäste waren begeistert, da Katarina in Amerika wegen ihrer langjährigen Karriere bei Holiday on Ice ein Star ist. Oder waren vielleicht dem einen oder anderen hochrangigen Politiker oder Wirtschaftsboss ihre Fotos in der amerikanischen Ausgabe des Playboy mehr in Erinnerung geblieben als ihre Eislaufkünste? Immerhin war der Playboy mit ihr auf dem Cover die meistverkaufte Ausgabe aller Zeiten.

Wie ein zartes Pflänzlein entwickelte sich so etwas wie eine Freundschaft zwischen Henry und mir. Er empfing mich wiederholt mit Mandanten von mir in seinem Büro in der Park Avenue in New York, was bei seinem Termindruck eine außerordentliche Ehre war. Oder wir trafen uns bei Liz Mohn in Gütersloh zum Abendessen. Oder wir waren gemeinsam bei meinem Freund, dem NATO-Oberbefehlshaber General James L. Jones, in dessen Residenz in Mons in Belgien zu Gast. Dort traf man sich spätestens um 7:00 Uhr zum Frühstück, und wenn man hinunterkam, saß Henry Kissinger bereits wie aus dem Ei gepellt am Tisch. Er ist ohne jeden Zweifel ein hervorragend gekleideter Mann in feinstem Zwirn mit eiserner Disziplin.

Wolfgang Seybold, Verlegerin Liz Mohn und Henry Kissinger am 05.02.2010 im Restaurant Käfer in München

I. Kissinger – Die jungen Jahre

»Letztendlich wurden zwei Weltkriege geführt, um ebendas, eine dominante Rolle Deutschlands, zu verhindern.«2

 

Kissingers Jugend in Deutschland

Die Kissingers sind eine seit Jahrhunderten in Franken verwurzelte Familie. Der Urgroßvater von Louis Kissinger, dem Vater von Henry, hieß Mayer Loeb und kam aus Bad Kissingen. Er wirkte dort und im benachbarten Rödelsee als Lehrer. Gemäß dem Judenedikt von 1813 waren Juden gehalten, Familiennamen anzunehmen. Der Allerweltsname Mayer Loeb hielt diesen Kriterien nicht stand. Da er aus Bad Kissingen kam, bedurfte es seitens Mayer Loeb keiner exzeptionellen Fantasie, um sich den Nachnamen Kissinger zuzulegen. Und so geschah es denn auch.

Aus seiner Ehe mit Schönlein David Stahl (ja, so lautet der Name) ging Abraham Kissinger hervor, der sich als erfolgreicher Lehrer und Händler verdingte. Aus seiner Ehe gingen die vier Söhne Joseph, Maier, Simon und David hervor. Eingedenk der Höhen und Tiefen, die er in seinem Unternehmerleben durchlebte, verfügte er, alle seine Söhne mögen Lehrer werden, da dieser Beruf ein sicheres und geregeltes Einkommen gewährleiste.3

Die gehorsamen Söhne folgten ihrem Vater und bekleideten in den benachbarten Gemeinden jeweils den Beruf des Judenlehrers, verbunden mit den Diensten eines Hilfsrabbiners. Am 13. Juni 1860 kam in der Gemeinde Ermershausen Henry Kissingers Großvater, David Kissinger, zur Welt. Auch er bekleidete das Lehramt für Religion und betätigte sich in der kleinen Gebietskörperschaft zudem als Vorsänger. Damals waren von den vierhundertfünfzig Einwohnern Ermershausens etwa hundert jüdischen Glaubens. Das Glück David Kissingers war vollkommen, als er die schöne, aus wohlhabendem Hause stammende Karolina Zeilberger kennen und lieben lernte. Bevor er allerdings um ihre Hand anhalten konnte, musste er in Ermershausen das Bürgerrecht erwerben. Das hätte er niemals tun können, wäre seine Auserwählte nicht die Tochter eines vermögenden Landwirts gewesen, die Anspruch auf eine stattliche Mitgift hatte. So wurde ihm am 13.7.1884 das Bürgerrecht verliehen, und er konnte seine geliebte Karolina heiraten.

Dem Bibelgebot »seid fruchtbar und mehret euch« widmeten die Frischvermählten besondere Aufmerksamkeit und zeugten nicht weniger als sieben Kinder. Darunter als Zweitgeborenen Louis, den Vater von Henry und Walter Kissinger. Der lebensfrohe David Kissinger genoss in Ermershausen hohes Ansehen – was auch Louis nicht verborgen blieb. Er folgte deshalb gern der Bitte seines Vaters, in dessen Fußstapfen zu treten und ebenfalls das Lehramt anzustreben. Allerdings wollte Louis Kissinger nicht »Judenlehrer«, sondern Lehrer im öffentlichen Dienst werden.

Dies gestaltete sich außerordentlich schwierig. Als Louis achtzehn wurde, bewarb er sich erstmals um eine Lehrstelle. Dank exzellenter Schulzeugnisse erhielt er als 20-Jähriger (!) seine erste Lehramtsstelle an der Heberleinschen Töchterschule, Fürths erster privater höherer Mädchenschule mit etwa fünfzig Prozent jüdischen und fünfzig Prozent christlichen Schülerinnen. Als diese Schule schließen musste, wurde Louis Kissinger 1909 in die private Heckmannschule für Jungen übernommen, wo er ein Jahresgehalt von tausend Reichsmark bezog. Dort unterrichtete er bis 1919 Religion, Deutsch und Mathematik.

Allerdings genügte die Lehrtätigkeit an einer Privatschule den Ambitionen von Louis Kissinger nicht. Er strebte in den wesentlich besser dotierten Staatsdienst, der ihm ein Studium an der Universität Erlangen abverlangte, das er schon deshalb gern auf sich nahm, weil ihm auf diese Weise der Dienst an der Waffe im Ersten Weltkrieg erspart blieb.

Im Schuljahr 1919/20 war Louis Kissinger am Ziel seiner Träume angelangt: Er wurde Lehrer für Rechnen im öffentlichen Dienst. An der städtischen höheren Mädchenschule in Fürth unterrichtete er Realien und Deutsch, zunächst auf Probe, ab dem 3. März 1920 fest und ab 1921 sogar als Hauptlehrer. Bald verspassten seine Schülerinnen dem beliebten Lehrer den Spitznamen »Kissus«, und manche schwärmten sogar von ihm, da er nicht nur gerecht, sondern auch attraktiv war. Welche Bedeutung dem Kosenamen »Kissus« letztendlich zukam – war es eine Ableitung aus dem amerikanischen kiss oder entsprang es der Ähnlichkeit mit dem deutschen Kuss –, wir werden es nicht mehr erfahren, da es keine Zeitzeuginnen mehr gibt, die sich dazu äußern könnten.

Louis Kissinger war nun Mitte dreißig und ein gemachter Mann. Nur eines fehlte ihm noch zum perfekten Glück: die Frau, mit der er eine Familie gründen konnte. Und siehe da: Auch hier half ihm sein Traumberuf. Über einen Kollegen lernte er Paula Stern kennen, die am 24. Februar 1901 in Leutershausen als einzige Tochter des Ehepaars Falk und Peppi Stern geboren wurde. Falk Stern war ein wohlhabender, erfolgreicher Viehhändler, der bereits im Jahre 1904, zusammen mit seinem Bruder, den herrschaftlichen Hof »Am Markt 8« in Leutershausen erworben hatte. Das Haus Stern war gesellig und weltoffen, was auch Falk Sterns Umgang mit zahlreichen nichtjüdischen Kunden bedingte. So etwas wie Judenfeindlichkeit war im Hause Stern gänzlich unbekannt.4

Erstmals machte Paula Stern mit der Stadt Fürth Bekanntschaft, als sie im Alter von zwölf Jahren aufs dortige Gymnasium geschickt wurde, da es in Leutershausen keine weiterführende Schule gab. Weil Leutershausen etwa achtzig Kilometer von Fürth entfernt lag, zog Paula bei ihrer Tante Berta Fleischmann in Fürth ein. Ihr Vater Falk wurde 1915 in den Ersten Weltkrieg als Soldat nach Belgien eingezogen, obwohl er zu diesem Zeitpunkt bereits fünfundvierzig Jahre alt war. Für Paula Stern, Henry Kissingers Mutter, markierte die Einberufung den Beginn des Antisemitismus in Deutschland, obwohl Falk Stern bereits nach einem Jahr an der Front 1916 wieder nach Hause durfte. Allerdings nicht mehr rechtzeitig, um den brutalsten Schicksalsschlag seines Lebens mitzuerleben: Den viel zu frühen Tod seiner Frau Peppi im Alter von nur zweiundvierzig Jahren am 4. Juli 1915, nur wenige Wochen nach seiner Einberufung.