Herbst: Abgerissene Blätter - Knut Stang - E-Book

Herbst: Abgerissene Blätter E-Book

Knut Stang

0,0

Beschreibung

Altmodische Gedichte, nicht selten sogar gereimt. Und nicht minder altmodische Zeichnungen alter Leute.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 65

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

Vor/rede

Leere

Wald

Endlich

Nachsatz

Verzeichnis der Bildskizzen

Vor/rede

 

Ich bin ein blatt

Ich bin ausgerissen

Ich bin ein ausgerissenes blatt

Ich bin – der herbst

abgerissner bettler

zigeuner, zigeuner, fahr zu

Ich bin ein blatt

ich bin ausgerissen

bin vor mir selber ausgerissen

ich bin – die scham

abgerissnes zirkusplakat

fahr zu, zigeuner, fahr, fahr

Ich bin ein blatt

ich bin ausgerissen

die letzte seite im buch

ich bin – das schweigen

Leere

 

Oldenburg, Pfingsten 2012

Sie ging noch mal den kurzen Weg zurück

zum Rand der Straße, und zum Haus,

Erinnerung neben ihr ein kleines Stück,

aus dem linken Fenster sah ein Schatten raus,

doch kannte sie sich nicht mehr gänzlich aus.

Weil sie noch immer alles offen meinte

und war doch längst schon eingerichtet.

Dies Fenster, wo sie manchmal abends weinte

und dass man gibt und man verzichtet,

und was man baut, in sich vernichtet.

Sie redete von jenen frühen Jahren

und sah uns an, ob wir verstehen.

Dann sind wir ins Café gefahren.

Von West begann es leicht zu wehen.

Sie war bei uns. Und beinah schon am Gehen.

Lange saßen wir am Stadtparkweiher,

wir sahen still den Enten zu

und planten die Geburtstagsfeier,

dann sagte sie nur leise: „Du.“

Und sie war traurig, jung und voller Ruh.

Als wäre alles ganz in jenem Augenblick gewesen,

und an dem Fenster sitzt ein neues Kind.

Die besten Tage sind wohl meistens handverlesen,

und wenn uns alles durch die Finger rinnt,

dann weil die Tage vor den Sternen endlos sind.

Mag sein, dass eine besser nie zum Anfang fände,

wo immer sie sich je beginnen spürte.

Beginnen liegt im Warm verkrümmter Hände,

in allem, was je deinen Schmerz berührte,

und in dem Traum, der endlich dich nach Hause führte.

baum in meiner welt

wurzeln, stamm, krone verzweigt,

vom blitz nicht gefällt

noch von regen geneigt.

aber fort.

himmel, erde füllen nicht,

was loch er gelassen.

seh ins abendlicht,

kann es nicht fassen.

kein ort.

man weiß natürlich längst, dass das nicht ewig geht

und dass man irgendwann vor scherben steht

oder einem tiefen schwarzen schacht,

und das liebste, was man hat, wird drin begraben.

man möchte einen wunschring, eine zeitmaschine haben

oder dass ein gott das alles ungeschehen macht.

man weiß auch, dass die eignen kräfte schwinden,

vielleicht wird man in jahresfrist erblinden.

die ohren scheinen fest entschlossen wegzuhören,

und was heut morgen war, ist mittags schon vergessen.

eh man sichs versieht, beginnt man einzunässen

und sich an kinderlärm und an musik zu stören.

man weiß sogar, und das ist schlimmer als der rest,

dass sich das rad nicht rückwärts drehen lässt,

das rad der zeit, darauf sind wir gebunden,

zu einem gang ins endlich endlos wie verflucht.

man hat vielleicht doch immer nur sich selbst gesucht

und hat sich nie gefunden.

ich bin ein nest von klagen,

ich gäb mein herz für stein,

wenn nur nach sieben tagen

mein kindlein wollt nicht fragen,

wieso ich nicht mehr wein.

wo schwimmt mein boot von zweigen?

viel ruder ging entzwei.

ich sah die krähen steigen,

und rings ward alles schweigen.

ein hund war auch dabei.

dann plötzlich sprühten funken,

und einer schrie im schlaf.

die sonne schien versunken,

mein glas ist ausgetrunken,

ein schneeflock, das mich traf.

die welt wird nicht gelingen,

uns ist kein anderort.

fern klingt ein altes singen,

mir wollt das herz zerspringen,

doch immer ziehts mich fort.

Ich könnte mein Leben damit verbringen,

den Wellen zuzusehen, wie sie über Kilkees Felsen gischten

und jede birgt die unmissverständliche Ankündigung,

die nächste, übernächste, irgendeine werde noch höher,

noch wilder, noch diamantener ausfallen, warte,

warte nur noch auf diese eine, besondere Welle,

eh du gehst.

Irgendwann dreh ich mich dann doch um, irgendwann

geh ich dann trotzdem den Strandweg zurück, ins Haus,

da seh ich aus dem Fenster nach dem Meer hinaus.

Nach zwei Wochen dann per Flugzeug zurück in

eine Stadt ohne Meer, ja sogar ohne richtigen Fluss.

Und dass wir wiederkommen werden in einem halben Jahr

ist nicht genug.

Das Meer wird dann noch da sein, die Wellen, die Gischt,

ungerührt, freundlich ohne jegliche Verpflichtung beiderseits.

Ich sag mir schon bei der Ankunft, dass auch dies nicht

das letzte Mal sein wird. Und wenn ich eines Tages

nicht mehr kommen werde, kein Geld, zu krank,

oder tot, das Meer wird da sein. Und es wird auf mich

nicht warten. Nie.

weiß einer, wie das gehen soll,

dass man nicht mehr traurig ist?

es ziehen wölfe unten auf der straße,

was um mitternacht am herzen frisst,

ist, was man tags nicht ansatzweis vergisst.

ich hab ein boot gebaut, noch ein zweites,

weil das erste viel zu kurze masten trug,

es schwimmen haie durch die fluten,

doch was mich immerfort nach westen trug,

ist, was mein herz zuschanden schlug.

soll ich wirklich glauben, was man sagt vom tod,

der eigene sei schlimmer als der andrer leute?

auf meiner gardinenstange hocken marabous

ich gönn mir eine pizza mit chianti heute.

alles wird der nacht zur beute.

Optimierung Terminierung

Aufgabe unterhalb: Ablösung (kostenneutral)

Nadeln streifen den Alcantarahimmel, weiß

rieselt gen Abend diskontierter Barwert.

Entscheidungskriterium Alleinstellungsmerkmal.

Ich: Korporierte Identitätsstiftung, Tannengeruch,

verlässliche Vereinbarungen: Sporadische Systeme

sind zeitverhaftete Diversifikationen,

ihre Absatzquotierung sinnlose Iteration

bodenvager best practice of fear, ihre Wirkungs-

ketten legen sich um Kehlen, denen

in den Abstimmrunden kein Reinertrag

unterstellt werden kann – Hamsterrennen

im Demingrad, nun aber los. Beim Catering

steht einer auf und behauptet Effektivität.

Oder dass Torfmoos kommanditierbar sei:

Hart am Wind, knapp kalkuliert, jedes Gestern

staunass entfernt von den main topics: Wir.

Die Nadeln streifen mich nicht mehr, nicht

in diesem Märchenwald. Kein Weißfall, trotzdem

kaizenierteste Pilgerfahrt, dostige Kernkompetenz. Dort.

Das Whiteboard bleibt ganz leer, alle

Charts sind blind.

Grabrede auf mich selber

nichts entdeckt und nichts gehört

nichts errichtet, nichts zerstört

nie gemalt und nichts geschrieben

kein augenblick von echtem lieben

nichts gekonnt und nichts gewollt

nichts ersehnt und nichts gesollt

nichts erdacht und nichts gewusst

höchstens, dass du scheiden musst

nichts geträumt, kaum was gehasst

nichts gewonnen, nichts verprasst

niemals gut, sehr selten schlecht

nicht nur lieb, auch kaum gerecht

nichts als knochen, haut und blut

und gepresst im herzen blinde wut

was den sarg nicht sehr erschwert

wenn man dich zum parkplatz fährt

nur ein paar gramm stummes sehnen

und ein schnapsglas voller tränen

bleiben draußen kurze zeit zurück

fragen dich: war das schon glück?

mir dürrem flügelschlag, ein vogel nur am rand der flüsse

zerrt sich das leben einen weitren tag voran.

im krummen schnabel trägt es manchmal graue steine

und kann sich doch erinnern, dass es irgendwann alleine

in all dem himmel war. und dann und wann

denkt es, dass die flüsse eben solche steine schieben.

und weil die nacht nur tag ist ohne licht,

vielleicht, weil nichts bleibt als ein antwortloses lieben

(die welt ist fremd, die sterne längst verloschen)

weil trotzdem manchmal wer im dunkeln spricht,

nur darum wird der vogel morgen wieder fliegen

der himmel ist noch leerer, als man immer denkt,

und doch ist nie was ganz umsonst gewesen.

mittags kann man aus den vogelspuren lesen:

der baut kein nest mehr, der hat seins verschenkt.

ein mann stand stumm vorm gartenzaun,

als würd er sich nicht drübertrauen,

als hätte er was ausgefressen,

vielleicht den hochzeitstag vergessen.

war er dem verlies entsprungen,

hat die hymne falsch gesungen

oder strich er nur die alten latten,

die es vielleicht nötig hatten?

ein andrer mann, der leidlich sittenstreng

durch diese lose zeit geschritten

fand unverhofft sich dann inmitten

junger damen, die interesse nahmen

und ihm drum entgegen kamen

in, sagen wir mal, dürftiger bekleidung

sodass er, zwecks erregungs-, tja, vermeidung,

schrie: mir wird das hier zu eng.

ein dritter aber sah die beiden

den zögernden, den selbstgerechten mann

und er musste dann entscheiden,