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Es war zu einer Zeit, die weit, weit zurückliegt. Genau wird es nicht mehr zu ermitteln sein, jedoch muss es sich etwa 9.000 v. Chr. zugetragen haben, als die Sahara noch grünes, fruchtbares Land war. Zu einer Zeit noch, in der, wie man sagt, die Götter mit den Menschen Kontakt hielten. Da standen am Tritonsee, im alten Libyen, zwei stolze Städte, deren Völker eine hohe Kulturstufe erreicht hatten. In Cherrónessos lebten die Amazonen, regiert von ihrer schönen und weisen Königin Myrena. Südöstlich davon stand Syarenôss, regiert von Myrenas Schwester Medusa, die spätere griechische Schriftsteller zum Ungeheuer umdichteten, um den hinterhältigen Mord des Perseus zu legalisieren. Ein weiteres großes Reich, beherrscht von Königin Isis aus Sais, lag am Nil. Am Ostufer des Gewässers, welches wir heute als das Schwarze Meer bezeichnen, fand man das Reich Kolchis der Königin Marpesia vor. Durch Intrigen des Neith-Priesters Toled wurde Zwietracht zwischen den Schwestern Myrena und Medusa gesät. So kam es immer wieder zum Krieg zwischen ihren beiden Völkern. Als sich die verfeindeten Frauen endlich die Hand zum Frieden reichten, ermordete Perseus Medusa, was dazu führte, dass Myrena einen der größten Vergeltungskriegszüge der alten Geschichte führte …
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Seitenzahl: 176
HERRSCHERINNEN
Inhalt
IMPRESSUM
VORSCHAU
Buchprogramm:
Deutsche Originalausgabe
© der Originalausgabe: Erec von Astolat
© dieser Ausgabe: Verlag Romantruhe
Röntgenstr. 79, 50169 Kerpen-Türnich
Alle Rechte vorbehalten.
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Konvertierung und Satz:
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Das Grummeln in der Ferne steigerte sich. Ein kühler Wind kräuselte die Oberfläche des Tritonsees. Myrena lehnte an einer der mächtigen Säulen des Neith-Tempels. Das lange blonde Haar umwehte ihr bronzefarbenes Gesicht. Die willensstarken grünen Augen beobachteten die Wolken, die sich am Horizont immer mehr zu drohenden Türmen aufbauschten.
Langsam schritt sie die zwölf breiten Marmorstufen hinab zum Tempelvorplatz. Die Wellen platschten immer energischer an den felsigen Kai.
Die Königin der Amazonen hielt Ausschau. Sie wartete auf das Schiff mit dem charakteristischen grünen Segel. Sie wartete auf den Besuch ihrer Schwester Medusa, Königin der Gorgonen.
»Sie wird kommen.«
Es war die Stimme Ashaits. Der alte weißhaarige Seher war hinter die Königin getreten und hatte ihr seine Hände sanft auf die bloßen Schultern gelegt.
Zwei Sonnenstrahlen fanden den Weg durch die bleigrauen Wolkenbäusche. Ihr Licht reflektierte in der smaragdbesetzten Bronzekobra, die Myrenas rechte Brust schmückte. Die andere Hälfte des Busens überspannte die weiße Toga, deren Goldlitze ebenfalls im Abendlicht aufleuchtete.
Doch nur für die Zeit von zwei Wimpernschlägen erstrahlte die Königin wie ein überirdisches Wesen. Dann gewann die Gewitterfront endgültig die Oberhand.
Die Wasser des Sees wollten sich im plötzlichen Sturm aufbäumen. Gischt spritzte gegen Myrenas nackte Füße und benetzte auch die schweren Goldspangen an den Knöcheln.
Auf einmal war es kalt.
»Lass uns in den Tempel gehen, guter Ashait«, schlug die Königin mit ihrer sanften melodischen Stimme vor.
Der Seher und Ratsälteste folgte seiner Herrin zum großen Portal hinauf.
Rechts und links brannten in gewaltigen ehernen Schalen die heiligen Feuer. Der aufkommende Sturm ließ die Flammen fauchend auflodern.
Vor der großen, Ehrfurcht gebietenden goldenen Statue der Göttin Neith kniete Myrena nieder. Ashait blieb in gebührendem Abstand hinter seiner Königin stehen. Er wartete, bis diese ihre stumme Zwiesprache beendet hatte.
Endlich wandte Myrena den Kopf und fragte: »Was denkst du, kommt sie in Frieden?«
Der Weise faltete die Hände. Kurz hob er den Blick zur Decke des Tempels mit den unzähligen goldenen und roten Ornamenten.
»Ich bin dessen sicher«, antwortete er dann.
Die Königin erhob sich aus der Andachtsstellung und lehnte sich nachdenklich an eine der mächtigen Marmorsäulen. Der linke Unterarm berührte die Stirn.
»Oh, Ashait, wie wünsche ich mir, dass du recht behältst«, seufzte sie.
Der Seher machte einen Schritt auf sie zu und schloss sie fest in seine Arme. »Sie braucht den Frieden. Ebenso wie du.«
»Toled, der Hohepriester, wiegelt sie auf. Schürt den Hass auf mich.«
Ashait nickte. »Weil du ihm die Heirat verweigertest.«
Myrena blickte den Weisen scharf an. »Er ist es nicht wert, dass man ihm Aas zuwirft!«
Nun musste der Alte lachen. »Richtig. Doch du hättest es ihm besser diplomatischer gesagt.«
Die Königin des Amazonenvolkes ließ die Schultern zusammensacken. »Weshalb ist meine Schwester ihm so hörig? Ich verstehe es nicht!«
Ashait verschränkte die Arme vor der Brust. Das große ovale Ornament an der Goldkette über der schwarzen Toga glitzerte im Schein der zahlreichen Fackeln.
»Er übt eine magische Macht über sie aus, meine Königin. Hinter den Grund bin ich noch nicht gekommen. Aber wir haben eine Verbündete bei den Gorgonen.«
Myrenas Augen bekamen Glanz. »Wen?«
»Anshah.«
»Anshah? Aber sie ist die oberste Priesterin der Neith. Also höher noch als Toled.«
Der Alte lächelte und nickte. »So ist es. Doch davon später. Komm! Ich höre die Fanfare. Medusa ist gekommen.«
Sie eilten durch die Allee von Fackeln zum Tor und erreichten den Tempelvorplatz.
Der Sturm peitschte den Regen in das Säulenportal. Die Wellen des Tritonsees rollten gegen die steinerne Umfassungsmauer des Anlegers. Auf Medusas Schiff beeilte sich die Mannschaft, das Segel zu vertäuen.
Orkanböen ließen Medusas schwarzes Haar wie eine Wildpferdmähne wehen. Das Fackellicht brach sich in dem goldenen, mit Edelsteinen besetzen Kobradiadem. Der rotgoldene Mantel blähte sich und gab den Blick auf das weiße Tempelkleid der Neith frei.
Wahrlich, dort, umwogt von den Gewalten der Naturelemente, stand eine Königin!
Myrena eilte auf ihre Schwester zu und umarmte sie.
»Friede sei mit dir, Schwester.«
»Der Friede sei mit dir, Schwester«, erwiderte die Königin der Gorgonen.
Myrena geleitete ihre Schwester über die marmorbelegte Freitreppe zu ihrem Palast.
Der weise Ashait folgte ihnen. Sein Blick wanderte über die beiden vor ihm schreitenden Frauen. Nirgends würde man wohl solch zwei ungleiche Geschwister vorfinden, überlegte er. Myrena, von großem Wuchs, schlank und von sehniger Gestalt einer Kämpferin, einem Antlitz, als habe ein Bildhauer es gemeißelt, umrahmt von einer löwenmähnenähnlichen Haarpracht. In Myrenas grünen Augen funkelte der Stolz, doch gleichzeitig konnten diese Augen auch Güte ausstrahlen. Ihre innere Sanftmut hatte die Königin der Amazonen unzählige Male unter Beweis gestellt. Myrena hasste Kampf und Tod. Selbst den ärgsten Feind versuchte sie immer noch zu schonen.
Aus den wirren blonden Haarlocken schaute das Herrscherdiadem hervor, die aufgerichtete Kobra. Gearbeitet aus Gold und Saphiren.
Medusas Blick wirkte auf jeden Fremden herrisch. Die dunklen Augen schienen jedem bis auf den Grund der Seele blicken zu wollen. Das dunkle, beinahe schwarze Mähnenhaar ließ die Königin der Gorgonen noch hoheitsvoller und unnahbarer wirken. Doch Ashait wusste, dass Medusa das Gegenteil von ihrem äußeren Anschein war. Sie war schön. Nicht vergleichbar mit ihrer Schwester Myrena. Sicher, einem Schiedsrichter eines Schönheitswettbewerbes würde es kaum möglich sein, eine Entscheidung zwischen beiden Frauen zu fällen. Trotzdem besaß Medusas Schönheit etwas Magisches.
Der kaltherzige Eindruck, den die Gorgonenkönigin zuerst vermittelte, verflog, sobald man mit ihr das Gespräch suchte. Unvermittelt strahlte jedem Wärme entgegen. Die Augen unter der Kobrakrone, einem Pendant zu der Myrenas, blickten dann voller Güte.
Nein, Medusa wirkte härter und berechnender als ihre Schwester Myrena, aber sie war es nicht. Doch wurde ihr Denken und Handeln von tückischen und berechnenden Beratern gelenkt. Allen voran Toled, der Hohepriester.
Ashait kannte den Mann. Er gab sich ruhig und liebenswürdig. Doch der Weise wusste, dass unter der Maske eine Bestie steckte.
Viele ahnten es, nur Medusa nicht. Sie sah ihn als Vaterersatz und vertraute ihm blind. Doch geschickt schaffte Toled es immer wieder, kleine Keile zwischen die beiden Königinnen zu schießen. Immer erneut suggerierte der Hohepriester Medusa, Myrena habe sie hintergangen. Es könne kein Volk der Amazonen und der Gorgonen geben, sondern nur ein Volk.
»Myrena hat euren Vater vergiftet, um wenigstens über die Hälfte des Tritonsees herrschen zu können«, hatte Ashait einmal ein Gespräch zwischen Toled und Medusa belauscht.
Der Hohepriester beherrschte die Gorgonen und, ohne dass Medusa es merkte, auch die Königin.
Die Prozession erreichte den Thronsaal.
Myrena trat zu dem rechten erhöhten Sitz der Tafel. Es war Ashaits weise Voraussicht, auch für Medusa einen Thron an der Festtafel zu errichten. Er kannte ihre Empfindlichkeit.
Die Königin der Gorgonen wurde mit allen ihr zustehenden Ehren empfangen. Die erlesensten Speisen, gekommen über das weite Netz der Handelsstraßen, erfreuten Augen und Geschmacksnerven.
Saros, der Zeremonienmeister, beherrschte den Abend perfekt. Auf sein beinahe unsichtbares Zeichen huschten die Tänzerinnen in den Saal. Leise ertönte anheimelnde Musik und die eingeölten Körper der jungen Frauen glänzten im Schein der zahlreichen Fackeln und Feuerbecken.
Den Höhepunkt des Auftrittes stellte die akrobatische Darbietung eines jungen, muskulösen Sklaven dar. Medusa konnte kaum den Blick von ihm wenden.
Myrena warf dem weisen Ashait einen lächelnden Blick zu. Das nächtliche Vergnügen ihrer Schwester schien somit gesichert.
Die Königin der Amazonen beugte sich zu dem Seher an ihrer Seite und raunte: »Der Priester Toled hat meine Schwester dieses Mal nicht begleitet. Bedeutet das Gutes oder Schlechtes?«
Ashait legte beruhigend seine Hand auf die ihre. »Nimm es für dich als Vorteil. So hast du die Möglichkeit, mit Medusa von Schwester zu Schwester zu sprechen.«
Doch das Schicksal meinte es anders und das konnte auch der Weise nicht erahnen.
Kurz nach Mitternacht – das Unwetter war etwas abgeflaut – meldete eine Wächterin, dass ein Schiff den Hafen ansteuere. Ashait machte sich sogleich auf den Weg zum Hafen, um zu erkunden, wer der späte Besucher sein könne.
Sein Blick verdüsterte sich, als er das Tempelwappen, die aufgerichtete Kobra mit der doppelten grünen Zunge erkannte.
»Toled, du verdammter Bastard«, zischte der Seher durch die Zähne. Er ahnte, dass damit alle Bemühungen, schwesterlichen Frieden zwischen Myrena und Medusa herzustellen, im Keime zu ersticken drohten. Toled wollte Macht. Und die konnte er nur über Medusa erlangen. Daher durfte sie sich nicht seinem Einflussbereich entziehen.
In ohnmächtiger Wut ballte Ashait die Fäuste. Doch musste er jetzt gute Miene zum bösen Spiel machen und Toled in allen Ehren begrüßen.
Die Gischt spritzte, als der Bug des Seglers sich auf den Sturmwogen dem Kai näherte. Ashait trat daher hinter die Säulen zurück. Er sah Toled am Bug stehen. Der rote Mantel umwehte ihn wie Dämonenflügel.
Knarrend lehnte sich das Schiff an die Hafenmauer und vier Seeleute machten es fest.
Ashait rief die Wachen zur ehrenden Begrüßung an seine Seite und schritt dann auf Toled zu. In hochmütiger Haltung betrat dieser den Kai.
»Ah, Myrenas weiser Seher«, rief er lächelnd, doch es klang sehr nach Hohn.
»Ich grüße den großen Priester der Neith.« Ashait verbeugte sich. »Die Königin wird erfreut sein, Euch zu sehen.«
Toleds Gesichtsausdruck wurde noch eine Spur hochmütiger, als er entgegnete: »Medusa wird sich erst freuen. Komm! Lass uns hineingehen. Es ist ungemütlich hier am Hafen.«
Myrenas Züge verhärteten sich, als sie den Priester Gorgons erblickte. Doch sie sagte nichts. Medusa stand auf und winkte Toled an ihre Seite. Dieser verneigte sich in Ehrerbietung, was Myrena die gemurmelte Äußerung entlockte: »Falscher Hund!«
Ashait, und nur er hörte es zum Glück, machte seiner Königin ein warnendes Zeichen. Er spürte ihre Verkrampfung.
Toled wandte sich nun der Königin des Amazonenvolkes zu. »Große Gebieterin des westlichen Tritonsees. Ich grüße dich in aller Hochachtung. Möge die Sonne Libyens dich ewig erleuchten.«
Myrena nickte andeutungsweise und erwiderte: »Ich danke dir für deinen Gruß. Bitte nimm an der Tafel Platz.«
Der Priester wollte um den Königstisch herumgehen, um in Medusas Nähe zu sitzen, doch da ertönte Myrenas Stimme, härter, als sie es beabsichtigt hatte.
»Dort! An jener Tafel!« Dabei deutete sie ans Ende der unteren Tische.
Toled stieg die Zornesröte ins Gesicht, doch er beherrschte sich. Mit einer Verneigung wandte er sich um und suchte den ihm zugewiesenen Platz auf.
Medusa warf ihrer Schwester einen bösen Blick zu.
»Verzeih«, meinte Myrena liebevoll. »Aber Königinnen sollten unter sich sein. Findest du nicht auch?«
Medusa antwortete nichts. Sie rang sich ein gequältes Lächeln ab.
Doch irgendwie wollte zwischen den beiden Herrscherinnen nicht mehr die rechte Stimmung und Konversation aufkommen. So begab man sich eine Stunde nach Mitternacht zur Ruhe.
Das Brausen des Sturmes drang bis in den Palast. Myrena stand innerlich fröstelnd am Fenster ihrer Kemenate. Der schwere Vorhang blähte sich unter den Windstößen.
Da pochte es an der Bohlentür.
»Ja?«, rief die Königin.
Ashait trat ein. »Darf ich meine Königin noch stören?«
»Ach, guter Ashait. Komm herein.« Sie machte einige Schritte auf den Alten zu, dann fiel sie ihm hemmungslos weinend in die Arme.
Der Weise klopfte ihr sanft beruhigend auf den Rücken. »Es wird schon wieder gut«, meinte er. Dann setzte er aber ernst hinzu: »Du hast Toleds Feindschaft neu geschürt. Es war eine offene Erniedrigung, die du ihm hast zuteilwerden lassen.«
Myrena löste sich von Ashait und ihre schöne Gestalt straffte sich. »Man sollte ihn in einen Sack Kobras stecken und im Tritonsee versenken!«
Der Weise lächelte. Endlich nickte er bestätigend. »Sicher hast du recht. Aber ein Meuchelmord nützt dir im Moment nichts.«
»Ach!« Die Königin machte eine herrische Handbewegung. »Ich werde den Befehl geben, ihn verschwinden zu lassen. Ein bedauerlicher Unfall!«
Ashait schüttelte energisch den Kopf. »Das wäre das Falscheste, was du unternehmen könntest, meine Tochter. Damit verlierst du deine Schwester vollends! Nein, nein. Wir müssen Toleds finstere Pläne aufdecken. Erst dann wird Medusa uns Glauben schenken.«
Myrena lehnte sich an die alabastergetäfelte Wand neben dem Fenster. »Aber wie? Welche Pläne hat Toled? Medusa ist ihm verfallen.«
»Leider«, seufzte der Seher.
Die Königin ließ sich auf ihr Lager fallen. Der Schein der Fackeln ließ ihren bronzefarbenen Körper in überirdischer Schönheit erstrahlen. Ashait wandte den Blick ab.
Myrena erinnerte ihn in diesem Moment zu sehr an Otrere, ihre Mutter, die er über alles geliebt hatte. Doch er hatte sie aus Standesgründen nicht heiraten dürfen.
»Ashait«, drang die Stimme der Königin an sein Ohr. »Man nennt dich den weisen Seher. Kennst du Toleds Pläne?«
Über das Gesicht des Alten huschte ein trauriger Schatten. »Ich erahne sie nur zu gut, dazu bedarf es keiner großen Kunst. Toled will Herrscher der Gorgonen werden. Doch von Geburt her ist ihm der Königssitz versperrt. Also muss er Medusa in jeglicher Form manipulieren können. Ich weiß noch nicht, welcher Art die Macht ist, die er zurzeit über deine Schwester ausübt. Doch ist es ein Glück für sie, dass er sie braucht.«
Myrena runzelte die Stirn. »Wie soll ich das verstehen?«
»Ganz einfach. Wenn Toled ohne sie zum Ziel käme, wäre sie bereits tot.«
Am nächsten Morgen erwachte Myrena aus einem unruhigen Schlaf. Der Sturm toste auf dem Tritonsee und man hörte die Brandung an die Hafenmole schlagen. Fröstelnd schlug die Königin ihren Mantel aus Schlangenhaut eng um die Schultern. Das Tappen ihrer bloßen Füße hallte zwischen den Säulen, als sie die Halle des Thermebads betrat. Dampfschwaden hingen unter der Decke und angenehme Wärme erreichte ihren Körper.
Myrena hörte das Platschen des Wassers und erkannte Cacilla, ihre Heerführerin.
Die Königin ließ Mantel und Gewand zu Boden gleiten und sprang mit einem gestreckten Satz in die Fluten des wie Smaragd schimmernden Beckens. Als sie auftauchte, ähnelte sie einer Nymphe. Das lange helle Haar schwamm wie ein Schleier auf dem Wasser.
Cacilla stieß sich vom Beckenrand ab. Wie ein Pfeil näherte sie sich ihrer Königin.
»Du bist früh munter«, grüßte Myrena und lächelte.
Die Heerführerin zuckte im Scherz die Achseln. »Oder du bist zu spät, meine Liebe.«
»Ich hatte eine furchtbare Nacht«, gab die Königin zur Antwort.
»Weshalb hast du dir nicht einen der Berbersklaven geholt?«
Myrena schüttelte sich. »Danach war mir wirklich nicht!«
Cacilla setzte eine verstehende Miene auf. »Deine Schwester?«
Die Königin nickte. »Sie bereitet mir Magenschmerzen.«
Cacilla schwamm ein paar Züge und legte sich dann auf den Rücken. Endlich meinte sie: »Es ist die Ankunft Toleds gewesen, die alle deine Pläne vereitelt hat, nicht wahr?«
Myrena bestätigte das. »Ich wollte mit ihr sprechen. Von Frau zu Frau. Von Schwester zu Schwester. Aber nun kann ich sie der Macht Toleds nicht entziehen.«
Cacilla schürzte die Lippen. »Vielleicht doch«, meinte sie sinnend.
Die Königin richtete ihren Blick scharf auf die Freundin. »Was meinst du?«
»Wie wäre es, wenn du diesen Neith-Priester auf die Schlangenjagd schickst. Gib ihm Tschasa mit. Das Geschenk, mit dem besten Schlangenjäger des Tritonsees auf die Jagd zu gehen, kann er nicht ausschlagen.«
Myrena atmete tief durch. »Wenn doch?«
»Nein!« Cacilla schüttelte energisch den Kopf. »Toled ist eitel. Er könnte es nicht ertragen, wenn man eine Ablehnung hinter der Hand als Feigheit auslegen würde.«
»Hm«, überlegte die Königin. »Das wäre eine Möglichkeit. Zwei Dinge vorausgesetzt.«
»Die wären?«, erkundigte sich die Heerführerin mit gerunzelter Stirn.
»Ja, mutig ist sie«, meinte Cacilla. »Doch überlass das ruhig mir.«
Doch der Sturm toste noch den ganzen Tag. Am Hafen hatte man alle Hände voll zu tun, um die Anlagen vor Schäden zu bewahren.
Medusa lief Myrena erst spät am Abend über den Weg. Wie immer in Begleitung des Priesters und Ratgebers.
»Ah, Schwesterherz«, grüßte Medusa in freundlichem Ton, doch ihre Augen schauten abschätzend.
Myrenas Herz krampfte sich zusammen. Wie sollte sie jemals ohne diesen Bastard mit ihrer Schwester reden können?!
Etwas später lehnte sie im Süderker des Palastes an Ashaits Schultern. »Oh, alter Freund, ich bin verzweifelt!« Sie sprach von Cacillas Plan.
Der Weise nickte. »Wenn es klappt, wäre das eine Möglichkeit. Doch würde Medusa dich anhören?«
Myrena zog scharf die Luft ein und richtete sich kerzengerade auf. »Notfalls mache ich auch einen Kniefall vor ihr.«
Ashait blickte sie ernst an. Endlich meinte er: »Ja, ich glaube, das würdest du sogar tun.«
Die Königin der Amazonen knetete nervös ihre Finger. Der Weise drückte sie fest an sich. »Ich werde versuchen, diesen Toled wenigstens für einen halben Sonnenbogen loszuwerden.«
Doch Myrenas Geduld wurde noch zwei Tage auf die Probe gestellt. Dann endlich gelang es Ashait, Toled zur Schlangenjagd zu überreden. Tatsächlich gelang es auch, Medusa in Unwissenheit zu belassen.
Es war später Nachmittag, als die Gesellschaft bei bedecktem Himmel und leichtem Ostwind aufbrach.
»Die beste Zeit«, flüsterte Ashait Myrena ins Ohr. »Die Großschlangen sind Nachtjäger.«
»Möge Toled dabei umkommen!«, zischte die Königin.
Von der Südmauer blickte sie den beiden Kanus nach, in denen der Jagdtrupp dem öden Gebiet, das man den Grund der Kobras nannte, zu strebte.
Sie befanden sich bereits fast außer Sicht, als Medusa raschen Schrittes herangeeilt kam. »Toled ist zur Schlangenjagd?«, rief sie enttäuscht aus. Sie warf den roten Umhang mit einer zornigen Armbewegung um die Schultern. Die andere Hand umkrampfte den Griff des kostbaren Dolches. »Weshalb bin ich nicht unterrichtet worden?«
Myrena zuckte die Achseln. Ihr goldenes Haar umspielte im Wind ihre Schultern.
»Ich ging davon aus, dass Toled es tun würde. Er weiß doch, welch begeisterte Jägerin du bist.«
Medusa funkelte die Schwester wütend an. »Das hast du eingefädelt!«
Ehe die Amazonenkönigin etwas erwidern konnte, war die Gorgone verschwunden.
Die Sterne zeichneten durch die Wolkenlöcher ihre herrlichen Bilder ans Firmament. Seit zwei Mondspannen riss der dichte graue Himmelsvorhang auf. Das tiefe Blau mit den unzähligen blinkenden Punkten bildete einen magischen Kontrast zu den hellen Rändern der Sturmwolken.
Myrena lehnte an einer Säule des Neith-Tempels und schaute über die wogenden Wasser des Tritonsees.
»Bald bricht auch der Mond durch die Wolken«, murmelte sie. »Die Schlangen werden lebendig. Oh, große Neith!« Sie warf den Kopf in den Nacken, sodass das lange Haar wie ein Vorhang flog. »Göttin und allmächtige Mutter! Vernichte den Bastard Toled!«
»Ein frommer Wunsch.«
Die Königin wandte den Kopf. Das Sternenlicht zeichnete ihre feinen Gesichtszüge scharf gegen den Himmel ab. Ihr Blick blieb auf Cacilla ruhen. »Oh, liebste Freundin! Ist es nicht dein Plan gewesen, den verfluchten Priester auf die Jagd zu schicken?«
Die Heerführerin nickte. »Tschasa wird uns helfen.«
Die Königin zog fragend die Augenbrauen eine Spur nach oben.
Deshalb zischte die Heerführerin: »Tschasa kann selbst zur Schlange werden, wenn es sein muss.«
Ehe die Königin etwas sagen konnte, verschwand Cacilla wie ein Spuk.
Myrena seufzte. Dann schwebte sie leichtfüßig über den Marmor die 32 Stufen des Tempels herab. Einem Schemen gleich huschte sie durch die Portale und Gänge des verzweigten Palastes. Endlich stand sie vor der schweren Bohlentür zur Kemenate ihrer Schwester.
Die Königin lauschte.
Medusa schien zu schlafen.
Kaum hörbar öffnete Myrena die schwere Tür. Es knirschte nur leicht in den gefetteten Lederangeln aus Elefantenhaut.
Mehrere Talglichter flackerten auf einem Gesims. Auf dem Bett lag Medusa – den nackten Körper halb zugedeckt mit kostbaren Fellen – anmutig und schön wie eine Göttin.
Myrena sank vor dem Bett in die Knie. »Oh, große Göttin Neith! Alles wissende Athena, weshalb können wir nicht wie richtige Schwestern sein? Medusa ist von Natur aus sanft und gutmütig. Toled wird sie in den Abgrund reißen. Oh, große Mutter des Lebens, hilf ihr!«
Die Königin der Gorgonen rekelte sich unter den Fellen. So, als ob die Worte in ihr Bewusstsein gedrungen seien. Myrena hielt den Atem an. Sie hoffte, die Schwester würde nicht wach werden.
Dann murmelte sie einen Namen. »Perseus.« Ein Lächeln umspielte Medusas Mund.
Auf der Stirn der Amazonenkönigin entstand eine scharfe Falte. Perseus? Wer mochte das sein?
Dann kam es erneut über Medusas Lippen. »Perseus. Geliebter, ach, könnte ich es dir nur sagen.«
Die Gorgone streckte ihren schlanken Körper. Es durchlief sie wie ein wunderbarer Schauer.
Myrena drückte der Schwester einen sanften Kuss auf die Stirn und erhob sich. Unhörbar verließ sie den Raum. Mit dumpfen Blob schloss sich die Tür. Die Königin lehnte sich an den steinernen Rahmen. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie vermochte es nicht zu verhindern.
So traf Ashait sie an.
»Prinz Perseus!«, murmelte der weise Seher. »Der Sohn des Königs Akrios.«
Die Königin der Amazonen blickte den Alten fragend an.
»Perseus steht im Dienste der Athener. Er ist oberster Heerführer. Seine Eroberungen sind einzigartig. Sein Erzfeind ist der König von Atlantis. Wenn Perseus die gut befestigte Hauptstadt Poseidonis gewinnen könnte, er würde sein Leben dafür geben.«
»Woher mag meine Schwester ihn kennen?«
Der Alte zuckte mit den Achseln. »Ich kann es dir nicht sagen. Aber wir werden es in Erfahrung bringen.«
Der nächste Morgen brach strahlend an.
Keine Spur mehr des vorangegangenen Unwetters. Spiegelglatt schimmerte der Tritonsee wie gegossenes Silber in der Sonne.
Die Jagdgesellschaft war noch nicht zurück. Myrena wollte die Zeit nutzen, endlich mit ihrer Schwester zu sprechen. Also suchte sie diese auf.