Herz, Hirn und Hormone - Franca Parianen - E-Book

Herz, Hirn und Hormone E-Book

Franca Parianen

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Beschreibung

Das Standardwerk der Bestsellerautorin überarbeitet, aktualisiert und extrem unterhaltsam: Franca Parianen schreibt über ein Thema, das uns alle angeht: Hormone. Sie sind die wichtigsten Botschafter zwischen Kopf und Körper, Handeln und Gefühl. Was also passiert, wenn wir durch Zeitzonen jetten und Kinder zeugen, uns verlieben oder die Nerven verlieren? Warum sind uns hormonelle Schwankungen suspekter als hormonelle Wirkstoffe? Und wo bleibt denn nun die Pille für den Mann? Franca Parianen berichtet kenntnisreich, rasant und kurzweilig von der Schnittstelle zwischen Herz und Hirn, Gesundheit und Gedanken.

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Franca Parianen

Herz, Hirn und Hormone

Wie Kortisol, Testosteron und Co unser Leben steuern und warum sie besser sind als ihr Ruf

 

 

 

Über dieses Buch

Das Standardwerk der Bestsellerautorin überarbeitet, aktualisiert und extrem unterhaltsam – Franca Parianen schreibt über ein Thema, das uns alle angeht: Hormone. Sie sind die wichtigsten Botschafter zwischen Kopf und Körper, Handeln und Gefühl. Was also passiert, wenn wir durch Zeitzonen jetten und Kinder zeugen, uns verlieben oder die Nerven verlieren? Warum sind uns hormonelle Schwankungen suspekter als hormonelle Wirkstoffe? Und wo bleibt denn nun die Pille für den Mann? Franca Parianen berichtet kenntnisreich, rasant und kurzweilig von der Schnittstelle zwischen Herz und Hirn, Gesundheit und Gedanken.

Vita

Dr. Franca Parianen, Jahrgang 1989, arbeitete am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig in der Arbeitsgruppe soziale Neurowissenschaften. Die letzten Jahre erforschte sie am Helmholtz Institut der Utrecht University den Ursprung und Aufbau des menschlichen Zusammenlebens auf der Ebene der Neuronen und Hormone. Seit 2014 ist die Wahlberlinerin als Science-Slammerin aktiv und slammt u. a. auf medizinischen Kongressen, in Theatern und auf Messen. Als Finalistin trat sie bei den deutschen Meisterschaften und der Ideenexpo an und gewann 2017 den Neuro-Slam der Deutschen Gesellschaft für Neurologie. Bei Polaris erschienen bisher «Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt» (2020) und «Woher soll ich wissen, was ich denke, bevor ich höre, was ich sage» (2017).

Impressum

Dieser Titel ist eine vollständig überarbeitete und gekürzte Ausgabe des 2020 bei Rowohlt Polaris von Franca Parianen erschienenen Titels «Hormongesteuert ist immerhin selbstbestimmt».

 

Veröffentlicht im Rowohlt Verlag, Hamburg, März 2023

Copyright © 2020 by Rowohlt Verlag GmbH, Hamburg

Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt, jede Verwertung bedarf der Genehmigung des Verlages.

Covergestaltung zero-media.net, München

Coverabbildung Eugene Mymrin/Getty Images

Schrift Droid Serif Copyright © 2007 by Google Corporation

Schrift Open Sans Copyright © by Steve Matteson, Ascender Corp

Abhängig vom eingesetzten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

ISBN 978-3-644-01502-9

www.rowohlt.de

 

Alle angegebenen Seitenzahlen beziehen sich auf die Printausgabe.

Inhaltsübersicht

Einleitung: Vor der Reise

Was bisher geschah

Unser paradoxes Verhältnis zu den Hormonen. Ein Beispiel

Teil 1 The Basics: Was machen meine Hormone eigentlich den ganzen Tag?

Die wichtigsten Fragen

Wo wir Hormoneinmischung lieber ausblenden

Teil 2 Hormongesteuert heißt immerhin selbstbestimmt

Hormone in Action

Von wegen unberechenbar: Hormone über den Tag, das Jahr, das Leben

Teil 3 Der Störfunk sind wir

Hormone im Prime-Versand: www.selbstoptimierung.de

Hormone im Wasserglas – Wie Umweltstoffe unser Hormonsystem durcheinanderbringen

Nachwort: Die Take-home-Message

Fußnoten

Unser paradoxes Verhältnis zu den Hormonen. Ein Beispiel

Es gibt vielleicht keine bessere Geschichte, um unser merkwürdiges Verhältnis zum Hormon zu illustrieren, als die von zwei Staatschefs im Januar 2018, die gar nichts und gleichzeitig alles miteinander zu tun haben.

Die eine Hälfte der Geschichte beginnt mit der neuseeländischen Premierministerin Jacinda Ardern, die zu diesem Zeitpunkt eine Sensation verkündet: Sie ist schwanger. Ein absolutes Novum für den Großteil der Welt – schwanger und gleichzeitig Staatschefin sein, das hat vor ihr nur Benazir Bhutto in Pakistan geschafft. 800 internationale Zeitungen berichten und eine Daily-Mail-Kolumnistin wirft ihr Betrug am Wähler vor. Der Südwestrundfunk nennt sie «kugelrund».

Fast zur gleichen Zeit wartete die Welt auf Donald Trumps ärztliche Untersuchung, die ihm zur allgemeinen Enttäuschung geistige Gesundheit bestätigt. Was dabei allerdings völlig unterging, war ein Nebensatz: Trump nimmt gegen Haarausfall Propecia, ein Medikament mit dem Wirkstoff Finasterid. Die Inspiration dafür bildete eine Gruppe Menschen in der Dominikanischen Republik, die Guevedoces. Der Name lässt sich grob übersetzen mit «Penis mit zwölf», denn die Guevedoces entwickeln erst in der Pubertät die äußeren Geschlechtsorgane – Penis und Hoden. Wenn wir später zu dem Thema Gender kommen, verstehen wir vielleicht sogar, warum, was das für ihre Identität bedeutet oder unseren Glauben an die Idee von zwei Geschlechtern. Für den Moment reicht es zu wissen, dass den Guevedoces genetisch bedingt ein Enzym fehlt, das Testosteron in sein ungemein stärkeres Alter Ego Dihydrotestosteron verwandelt, das wiederum die Ausbildung der männlichen Geschlechtsorgane steuert, aber auch bei Haarausfall und Prostataproblemen seine Finger im Spiel hat. Als die Pharmaindustrie von diesem Phänomen erfuhr, reagiert sie fix und produzierte ein Medikament, das das Enzym bei jedem ausschalten kann – gegen Prostataprobleme … oder eben Haarausfall. Die Einführung wird in den Medien gefeiert als: «Viagra für die Kopfhaut» oder «Lebensfreude aus dem Labor»3.

Inzwischen nehmen es eine ganze Menge Männer. Und das mit ziemlich weitreichenden Folgen!4,5 Weil im Hormonsystem alles mit allem zusammenhängt, wirkt Finasterid nicht nur auf Dihydrotestosteron, es senkt auch den Testosteronspiegel, lässt Östrogen ansteigen, verändert ein paar entscheidende Rezeptoren … Zu den häufigen Nebenwirkungen gehören (irreversible) Erektions- und Ejakulationsstörungen oder Brustwachstum. Die Nutzer berichten aber auch von Antriebsschwäche, Reizbarkeit, kognitivem Nebel und schleppenden Gedanken.6,7 Das Ausmaß ist schwer zu beziffern, denn eine unabhängige Ärztekommission stellte substanzielle Fehler in allen entsprechenden Studien fest. Aber jetzt schon warnt das Bundesinstitut für Arzneimittel vor Depressionen, verminderter Libido und Angststörungen – und schließt sich damit Warnmeldungen aus 19 weiteren Ländern an.8 In Deutschland und den USA laufen Klagen von Patienten.

Zusammengefasst bringt Finasterid, wie es der abgewählte amerikanische Präsident nimmt, nicht nur das Gleichgewicht der Sexhormone komplett durcheinander, sondern offenbar auch uns. Trotzdem haben nur ein paar Zeitungen das Thema aufgegriffen («Warum Sie sich das Haarwundermittel trotzdem nicht sofort besorgen sollten»). Öffentlich diskutiert wurde allerdings nur die Schwangerschaft von Jacinda Ardern. Dabei wirken Schwangerschaften auf Dauer nicht annähernd so ominös auf Kopf und Körper wie Finasterid – selbst wenn sie auch Brustwachstum verursachen.

Das ist unser Umgang mit Hormonen: Wir machen uns gleichzeitig zu viel und zu wenig Sorgen um sie. Zu viel um das, was die Hormone ohnehin seit Millionen von Jahren tun («Und du sagst, am Ende entsteht dabei ein Baby?»), zu wenig über unsere eigenen bedenklichen Ideen («Solange sie Haare machen, ist mir alles egal!»). Am Ende sind diese beiden Geschichten ein gutes Beispiel, warum man beim Hormonthema ziemlich oft die Fernbedienung an die Wand werfen möchte. Und wenn das kein guter Grund zum Schreiben ist, dann weiß ich auch nicht.

Teil 1The Basics: Was machen meine Hormone eigentlich den ganzen Tag?

Also denn, ein Hormonbuch. Wenn wir uns dem Thema Schritt für Schritt nähern, kann ja eigentlich nichts schiefgehen. Wir fangen mit den W-Fragen an, gehen weiter zu den Hormoneffekten des Alltags, bis hin zu den hormonellen Schwankungen über die Zeit und das Leben. Und von dort aus dann zum Teil der Strecke, an dem es wirklich wackelig wird: die hormonellen Wirkstoffe und wo sie sich verstecken. Zeit, diese ganze Hormonlandschaft zu entdecken und dabei «Oh» und «Ah» zu sagen. Oder wahlweise auch «Oh Gott!».

Die wichtigsten Fragen

Fangen wir mit den W-Fragen an. Wer oder was sind Hormone? Wo kommen sie her, wie arbeiten sie? Wobei wir als Erstes klären sollten, woher wir überhaupt etwas darüber wissen.

Woher wissen wir das, was wir wissen?

Der Weg zum Hormon ist lang, steinig und überrannt von etwas zu begeisterten Wissenschaftler*innen. Aber er kann uns schon mal etwas Wichtiges erzählen: Keine Hormone sind auch keine Lösung.

Weil Hoden außen am Körper angebracht sind und Menschen neugierig und ein bisschen doof, haben wir zuallererst damit experimentiert, was passiert, wenn man Hormonpfade zerstört. Kastriert wurde fast immer und überall und in einem Ausmaß, das unseren Ruf als intelligente Spezies deutlich infrage stellt. Dabei fiel allerdings schon den alten Griechen auf, was für massive Folgen so ein kleiner Eingriff im Lendenbereich haben kann: fehlender Bartwuchs, schwindende Muskeln und geringe Libido. Außerdem – weil Hormone auch die Knochendichte beeinflussen – ein schmerzhafter Hang zur Osteoporose.9 Im Vatikan sangen Kastraten noch bis ins letzte Jahrhundert hinein (da Frauen auf der Bühne nicht erlaubt waren), und es ist schon beeindruckend, wozu Männer bereit sind, bevor sie sich zu Gleichberechtigung durchringen.

Hoden leben also gefährlich, immer und überall. Aber sie werden auch gefeiert oder gleich verspeist, auf Brot oder mit Honig. Der Kölner konsumiert seine pulverisierten Schweinehoden schon seit Jahrhunderten mit Rotwein.

Auch die Rolle anderer Hormone für unsere Gesundheit haben wir weitaus früher entdeckt als die Moleküle selbst. Die alten Ayurvediker z.B. verorteten die Chakren ziemlich genau auf der Höhe der Hormondrüsen (und ein paar entscheidender Nervengeflechte),10 während Hippokrates lange vor der Entdeckung der Bauchspeicheldrüse untersuchte, was passiert, wenn wir nicht mehr auf sie zählen können – nämlich eine Erkrankung, die er am süßlich schmeckenden Urin diagnostizierte. In Indien hätte man angemerkt, dass derselbe Urin auch Ameisen anzieht. Aber erklären konnte man das damals weder in Indien noch Europa. Geschweige denn behandeln.

Echte hormonelle Durchbrüche sind uns erst gelungen, als wir es ein paar Hundert Jahre später geschafft haben, Hormone wieder aufleben zu lassen. Ein Göttinger namens Arnold Berthold macht 1850 den Anfang mit einer völlig neuen Idee: Eier wieder drannähen! Und zwar an Hähne. Obwohl die Nervenbahnen sich nicht wieder verbanden, hatte allein die Anwesenheit der Hoden einen einleuchtenden Effekt: Auf einmal erstrahlt der Kamm und das morgendliche Krähen kommt zurück, genauso wie Imponiergehabe, Hahnenkämpfe und ein gesundes Interesse an Hennen (Testosteron in der Nussschale). Es musste also noch einen anderen Verbindungsweg als Nerven geben. Merke: Das Erste, was uns an Hormonen aufgefallen ist, ist, wie doof es ist, wenn sie fehlen. Und das Zweite: Wie schön es ist, wenn sie zurückkommen.

Blöderweise geht der Professorentitel dann aber nicht an unseren Göttinger, sondern an seinen eifersüchtigen Kollegen. Darum muss die Hormonforschung noch 50 Jahre warten, bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts, als den Physiologen Starling und Bayliss ein ähnliches Kunststück mit der Bauchspeicheldrüse gelingt. Die geben unserem Kind dann auch endlich einen Namen: «Hormone». Vom griechischen Wort für «antreiben, in Bewegung sein».

Von da an überschlagen sich Wissenschaftler*innen fast auf ihrer Suche nach den Hormonen. Testen an Tieren, sich selbst und in mindestens einem Fall gleich noch am eigenen Sohn (Kontrollgruppen sind so wichtig). Eine Menge von ihnen bekommen Nobelpreise. Für die Synthese von Testosteron z.B., das vorher noch aus 15000 Litern Urin extrahiert wurde – gespendet von der Berliner Polizei.

Mit der Entdeckung der Hormone rückt auch die Lösung um das Rätsel des süßlichen Urins endlich in greifbare Nähe. Sie wird händeringend erwartet, denn auch, wenn man die Krankheit dahinter inzwischen als «Diabetes» identifiziert hat, gibt es bislang keine Behandlungsmethode, als das Unvermeidliche, den Tod, etwas hinauszuzögern. Das gilt, bis 1921 ein Arzt von einer Idee aus dem Schlaf gerissen wird. Zusammen mit seinen Unterstützern macht Banting so ziemlich alles falsch, was man falsch machen kann, einschließlich der Schreibweise von «Diabetes». Trotzdem produzieren sie wenig später: Insulin. Kein reines Insulin. Als sie es dem ersten Patienten spritzen, leidet der neben seinem Delirium gleich noch an einer unangenehmen allergischen Reaktion. Aber elf durchgearbeitete Nächte später lebt er. Der Anwendung stand nichts mehr im Wege (ich hätte an dieser Stelle eigentlich gerne etwas über Langzeitfolgen und die Bedeutung longitudinaler Studien gesagt, aber es war wirklich keine Zeit).

Die Szene, die darauf folgte, ist so gänsehautauslösend, dass man sie am liebsten mit dramatischer Hintergrundmusik verfilmt sehen möchte: Sie spielt in einer jener langen Hallen, in denen diabeteskranke Kinder zu dieser Zeit aufgebahrt wurden, umringt von trauernden Familien. Dort gingen die drei Ärzte (Banting und seine Kollegen Collip und Best) mit dem lebensrettenden Elixier von Bett zu Bett, um es einem Kind nach dem anderen zu spritzen. Noch bevor sie am Ende ankamen, erwachten die ersten aus ihrem Dämmerzustand, und das, was vorher ein Trauerraum war, füllte sich nun mit Jubeln.

Einer der wunderbaren Aspekte der Hormonforschung ist der, dass Effekte mitunter sehr schnell sichtbar werden. Dann reicht eine Sekunde, um Herzen wieder zum Schlagen oder Augen wieder zum Sehen zu bringen. Und so werden Moleküle, die wir im Allgemeinen für Quälgeister halten, plötzlich zu lang ersehnten Wundern.

Aber noch etwas hat sich seitdem an unserem Verhältnis zum Hormon geändert: Banting sagte nach seiner Entdeckung «Insulin gehört nicht mir, Insulin gehört der Welt» und übergab die Patentrechte an diesem Menschheitswissen der Universität für einen symbolischen Dollar. Heute scheinen wir diesen Anspruch der Welt nicht mehr selbstverständlich zu finden. Weltweit fehlt vielen Menschen der Zugang zum Insulin. Die Universitäten haben die Weiterentwicklungsrechte an Pharmaunternehmen abgegeben, und die machen es vor allem in den USA so teuer, dass ein Viertel der Betroffenen ihre Dosis streckt. Immerhin hat Kalifornien gerade angekündigt, demnächst sein eigenes Insulin zu produzieren. Vielleicht erkämpfen wir uns die Hormone ja zurück.

Dass sich unsere Einstellung überhaupt so gewandelt hat, hat wahrscheinlich auch damit zu tun, dass die Wunder der Hormonforschung ziemlich oft in einer krakeelenden Nachhut untergehen, eine Pflugschar aus Quacksalbern und Scharlatanen. Direkt nach der Hormonentdeckung geht das Spektakel los. Frei nach dem Motto: «Wenn es in einem Organ ist, wird es schon gut für uns sein!» Schafsdrüsen-Extrakt durchs Taschentuch gefiltert? Hilft angeblich gegen Haarausfall und bringt bis zu 30 zusätzliche Lebensjahre. Hodenextrakt von Meerschweinchen? Hilft angeblich gegen alles! Brachte aber eigentlich niemandem irgendwas. Schon gar nicht den Meerschweinchen. Trotzdem beflügelte dieser Placeboeffekt einen ganzen Wirtschaftszweig und eine Fabrik direkt neben dem Central Park (heute zweifelsohne gentrifiziert zur Szenekneipe «Alte Meerschweinchenhodenquetscherei»). Dabei ist zumindest der speziesübergreifende Ansatz nicht ganz so doof, wie er klingt, denn Hormone sind ziemlich universell. Pferdehormone können Kaulquappen in Frösche verwandeln und Menschenhormone könnten es wahrscheinlich auch. (Wissenschaft. Wir probieren komische Dinge seit mindestens 1312.) Und weil auch die hormonellen Drüsen ziemlich universell sind, gibt es peinliche Bilder, auf denen wir sehen können, wie viele davon wir mit Fischen teilen.

Mit Fischen teilen Menschen nicht nur viele Hormone, sondern auch die entsprechenden Drüsen. Aber das ist nicht schlimm («Mein Eierstock kann mit Barschen reden?!»), denn je komplexer der Organismus, desto komplexer die hormonellen Effekte.

Viel fragwürdiger an den Hormonwundermitteln ist die Idee mit dem Verspeisen. Hoden z.B. produzieren zwar Testosteron, aber sie speichern es nicht. Um den Tagesbedarf eines Erwachsenen zu decken, müssten Sie sich mindestens 1,5 kg Bullenhoden aufs Butterbrot schmieren. Und das wird dann mit ziemlicher Sicherheit noch in der Leber ausgeschaltet. Aber bevor wir die Vergangenheit für rückständig erklären können, meldet sich aus dem Hintergrund ein Influencer zu Wort und möchte uns ein Hormon-Energie-Superfood für 349,99 Euro verkaufen (keiner der Inhaltsstoffe geht durch die Blut-Hirn-Schranke).

Aber bei all ihren Risiken und Nebenwirkungen hat die Hormonforschung unterwegs eben immer auch viel zu viel Wunderbares hervorgebracht, um das Thema an den Nagel zu hängen: Wege, unser Immunsystem in die Schranken zu weisen, neue Angriffspunkte für psychologische Probleme. Allein der In-vitro-Behandlung entstammen aktuell ungefähr so viele Menschen wie die Schweiz bewohnen (Service: Die Einwohnerzahl liegt zurzeit bei um die 8,6 Millionen).

 

Der andere rote Faden der (pseudo-)wissenschaftlichen Hormonforschung ist ihre anhaltende Begeisterung für Sexismus. Denn wo Hoden seit Jahrhunderten über den grünen Klee gelobt werden, gelten Eierstöcke mindestens genauso lange als suspekt. Wenn Sie den alten Griechen glauben, können sie im Körper wandern und richten viel Schaden an, wenn sie sich dabei dem Gehirn nähern. Auch das könnte man für historisch-rückständig halten, aber dann mussten wir bei der Erfindung der Eisenbahn trotzdem noch mal diskutieren, ob man Frauen wirklich sicher auf 30 km/h beschleunigen kann. Das ist lustig – und nicht viel anders, als wir heute über Hormone reden. Sucht man auf YouTube nach Sexhormonen, findet man 37000 Wege, um Testosteron zu steigern, und mindestens genauso viele, wie man Östrogen unterdrückt. «Klar, YouTube!», könnte man mit intellektuellem Augenrollen sagen, aber wenn man dann die Zeitung aufschlägt, steht im Feuilleton das Wort «Hysterie» – wörtlich ein «Uterusleiden», abgeleitet von den Sorgen unserer alten Griechen, und außerdem ein guter Grund, dieses Buch nach den Verfassern solcher Artikel zu werfen. Es ist schon ein bisschen ironisch, dass wir’s geschafft haben, Hormone überwiegend zu einem Frauenproblem zu machen, nachdem wir 4000 Jahre lang Hoden erforscht haben.

Dabei sollte inzwischen klar sein: Hormone betreffen alle Geschlechter. Ihre problematischen genauso wie ihre wunderbaren Seiten. Beispielsweise sind es längst nicht nur die Hähne, die von einem Wiedererwachen der Hormone profitieren. Wenn man einer 100-Kilo-Sau, die eigentlich kein Östrogen mehr produziert, weniger als ein Milligramm davon verabreicht, weckt das in ihr eine Bandbreite sexueller Gefühle, von denen sie vermutlich nicht mal mehr wusste, dass sie sie mal hatte. Außerdem eine ehrliche Begeisterung für Textur, Geräusche und den Geruch eines Ebers. Und wenn ein Stoff Begeisterung für den Geruch eines Ebers weckt, dann muss er schon ziemlich magisch sein.

Also, wie funktioniert er?

Wo kommen Hormone eigentlich her?

Hormone sind chemische Botenstoffe, Moleküle. Sie kommen von den Drüsen, und sie gehen über die Blutbahn fast überall hin.

Wenn Sie Ihre Hand an Ihren Halsansatz legen, direkt über dem Schlüsselbein, von dem Beautyzeitschriften meinen, das sei sexy, können Sie nicht nur Ihren Herzschlag, sondern auch ein kleines schmetterlingsförmiges Organ spüren: Ihre Schilddrüse. Hier werden u.a. die Hormone T3 und T4 hergestellt, die Ihren Kreislauf, Ihren Stoffwechsel, Ihre Knochendichte und die Herz- und Gehirnentwicklung mitregulieren. Die Schilddrüse braucht Jod, um gesund zu bleiben und diese Hormone herzustellen. Außerdem Q10, um sie zu aktivieren. Also das, worauf die Leute in der Nivea-Werbung immer so viel Wert legen. Q10 hält Menschen jung und Spermien beweglich, zumindest, bis es sich mit 35 nach und nach zu seiner Finca auf Mallorca zurückzieht, woraufhin Ihre Spermien anfangen, sich heimlich Bücher über die Menopause durchzulesen. Zum Thema Andropause gibt es ebenso wenig. (Aber freuen Sie sich auf mehr zum Thema «Hormonelle Stoffe in Nivea-Kosmetik» und «Liebling, meine Spermien ziehen sich zurück!» weiter hinten im Buch.)

Welche Drüsen gibt es noch? Oben auf den Nieren, kurz unter dem Zwerchfell, wo man beim Joggen die Seitenstiche spürt, sitzen die Adrenaldrüsen. Hier wird sowohl das Stresshormon Kortisol produziert, das uns schlaflose Nächte bereitet, als auch jede Menge andere kribbelige Stoffe wie Adrenalin. Im Grunde die Reaktionen auf alles, was uns sprichwörtlich an die Nieren geht. Nicht immer nur negativ, sondern von Gänsehaut bis Schmetterlingen im Bauch. Ohne Adrenaldrüsen wäre Titanic ein völlig anderer Film und DiCaprio säße jetzt irgendwo im Trockenen. Würde aber wahrscheinlich immer noch niemanden über 25 daten. Hormone können eben auch nur mit dem Gehirn arbeiten, was da ist.

Die Bauchspeicheldrüse produziert an bekannten Hormonen eigentlich fast nur Insulin. Aber das ist mit seiner Hauptaufgabe «Blutzucker in die Zellen transportieren» immerhin so überlebenswichtig, dass von Hippokrates bis Banting alle versucht haben, ihm auf die Spur zu kommen.

Last but definitely not least: die Keimdrüsen. Auch Gonaden genannt, sprich Eier und Eierstöcke. Sie produzieren eine ganze Bandbreite an Hormonen mit sperrigen Namen wie etwa «luteinisierendes Hormon», das den Eisprung einleitet und auch an der Spermienproduktion beteiligt ist. Aber kaum jemand bekommt so viel Aufmerksamkeit wie die prominentesten Boten der Keimdrüsen: Testosteron, Östrogen und Progesteron.

Eigentlich sind die Drüsen nur der Ausgangspunkt für unsere Hormonentdeckungen. Ständig kommt was Neues hinzu. Die Gedärme. Die Plazenta. Selbst Knochen können Hormone herstellen. Heute kennen wir ungefähr 150 verschiedene Hormone – auch wenn viele Wissenschaftler*innen vermuten, dass es mehr als 1000 gibt –, und sie bilden ziemlich buchstäblich die Schnittstelle zwischen unserem Denken und unserem Körper. Also das, was wir für unser «Ich» halten, und seinen Anhang, den es zum Überleben braucht, obwohl er schnarcht. Wenn der Geist willig war und das Fleisch schwach, dann mussten mit ziemlicher Sicherheit die Hormone die schlechte Nachricht überbringen. Das könnte zwar auch das zweite wichtige Kommunikationssystem unseres Körpers erledigen, sprich, die Nervenbahnen, aber im Vergleich zu den Hormonen sind die so flexibel wie Lichtschalter: ein oder aus, immer dem Kabel nach. Dagegen können unsere Botenstoffe fast jede Zelle erreichen, auch viele gleichzeitig, und dort weit spezifischere Botschaften hinterlassen als ein kleines Funzeln. Wie kleine Dirigenten geben sie Prozessen ihren Auftakt, halten sie eine ganze Pubertät lang zum Spielen an, oder bringen sie mit einem Wink zum Schweigen. Am Ende entsteht eine hübsch koordinierte Komposition, weil sie den Streichern sagen, sie sollen sich nach der Tuba richten, und der Tuba, sie soll sich nach dem Takt richten, und dem Typen mit der Gitarre, er soll nach Hause gehen. Niemand weiß, wer ihn eingeladen hat.

So klopft das Herz, wenn die Gedanken rattern, und der Atem beruhigt sich, wenn Sie sich hinlegen. Am Ende des Tages bringen die Hormone dann auch gern noch Ihre Muskeln zum Erschlaffen, damit Sie Genie nicht bewusstlos durch die Gegend laufen. Alles, was Sie davon merken, sind zuckende Lider und hin und wieder mal zuckende Gliedmaße. Oder wann sind Sie das letzte Mal neben dem Bett aufgewacht?

Wie wirken Hormone?

Hormone können in ganz unterschiedlichen Geschwindigkeiten wirken. Schnell und direkt z.B., indem sie von außen an Zellen binden und dafür sorgen, dass die auf Aktivierung mehr oder weniger reagieren. Wie Dirigenten, die dem Geiger einen erwartungsvollen Blick zuwerfen (Aktivierung) oder ihn schon vorher mit einer Kuhglocke ausknocken (Hemmung). Oder mittelschnell, indem sie den Musikern sagen, zu welcher Seite des genetischen Codes sie vorblättern sollen. Sprich, indem sie über Transporterproteine in den Zellkern vordringen, und dort die Gene so lange anstupsen, bis die tun, was in ihnen geschrieben steht. So können Hormone Verbindungen verstärken, Rezeptoren einbauen und unser Gehirn aktiv mitgestalten, ganz besonders in Phasen, in denen unser Gehirn eh im Umbau begriffen ist, weil es zum Beispiel gerade wächst. Aber grundsätzlich hat unser Gehirn eigentlich immer die Fähigkeit, sich weiterzuentwickeln. Man spricht auch davon, dass es «plastisch» ist, statt einfach so rumzuliegen.

Poetischer formuliert verändern die Hormone so die Grundlagen unseres Denkens, Wesens und des ganzen Rests. Meistens in Form von Proteinen. Im Ergebnis wirkt dann das gleiche Hormon anders, je nachdem, ob es jung, alt oder Hans-Uwe trifft. Und ein Hormon, das sonst unsentspannt, entspannt während einer Geburt vor allem den Muttermund.

Oxytocin: «Also ich hab jetzt endlich alles auf den neuen Beziehungsstand umgestellt. Es hat eine Weile gedauert, aber mittlerweile haben wir den idealen Grad an Oxytocinausschüttung und eine Rezeptordichte von … Wie? Was soll das heißen, ‹Sie hat mit ihm Schluss gemacht›?»

Zuletzt können Hormone langfristig auch im DNA-Notenbuch selbst herumkritzeln und dadurch mitbestimmen, welchen Teil des Codes wir de facto umsetzen («Argh, Wagner hat wieder überall ‹forte›-Zeichen drangemalt»). Das sind die sogenannten epigenetischen Effekte. Auf Zellulär-Sprech heißt das, dass Hormone sehr indirekt dafür sorgen, dass Methylketten an die DNA gehängt werden, wie kleine Staubfänger, die es schwer machen, diesen Abschnitt zu lesen. Methylisieren ist ein sperriges Verb. Darum sprechen wir ab hier eher von «Anhängseln». Über diese Anhängsel passt unser Hormonsystem unser genetisches Erbe aktuellen Herausforderungen an. («Also mit der altmodischen Stressantwort kommen Sie doch im heutigen Nachrichtenzyklus gar nicht mehr hinterher!») Im Endeffekt beeinflusst die Frage, ob wir gestillt wurden, dann plötzlich den Beginn der Menopause11 und als Forscher*in sitzt man dann davor und ist hinreichend verwirrt.

Wer steckt dahinter?

Natürlich sind es nicht die Hormone, die zum Konzert geladen haben – molekulare Strukturen allein treffen selten eigenständige Entscheidungen. Dahinter steckt meist ein Körperteil, der das Ganze produziert und die Hormone ans Pult schickt. Beim Gehirn ist das ziemlich oft der Hypothalamus. Eine kleine Gehirnstruktur unten mittig, die sehr viel mächtiger ist, als ihre Erbsengröße vermuten lässt. Denn sie steuert die Drüsen des Gehirns und beeinflusst damit Hunger, Sex und Pubertät, Panik und Verwirrung (nicht unbedingt in der Reihenfolge). All das wirkt dann wieder zurück aufs Gehirn, sodass wir in unser Aktienportfolio Botenstoffe einbeziehen, die nicht mal in der Nähe des Gehirns produziert werden. Alles Freelancer, vielleicht sogar Hipster (zumindest regulieren sie den Bartwuchs, arbeiten nachts und reagieren auf Kaffee und Club-Mate). Kein Wunder, dass uns das suspekt ist.

Die beiden Hormondrüsen des Gehirns und der Hypothalamus: Er ist der Großmeister der Hormone.

Darum sollten wir eine Frage vielleicht zuerst klären:

Und wer übernimmt die Verantwortung?

Wir Menschen distanzieren uns grundsätzlich gern von uns selbst. Ob Körper, Stimmung oder Frisur. Im Zweifelsfall sind all diese Katastrophen über uns hereingebrochen und liegen definitiv außerhalb unseres Einflussbereichs. Wir haben Rücken, ein gebrochenes Herz, schlechte Stimmung, hormonelle Wallungen oder einen Bad-Hair-Day. Das hat ja per se nichts mit uns zu tun. Mit dem, was wir sind. Papst z.B. Oder «im Halbfinale». Wenn wir dann doch mal was Blödes tun, dann waren das nicht wir, sondern unsere Hormone. Das alles passt gut zu unserem aufgeklärten Selbstbild und der niedlichen Vorstellung, dass sich unser «wahres Ich» irgendwo in den rationalen Sphären unseres Gehirns versteckt, dem präfrontalen Cortex – wenn der unhöfliche Rest nur mal aufhören würde, ihm ständig dazwischen zu reden!? Hormone, Gefühle, Gedöns. Gute Entscheidungen sollten nicht von den Hoden ausgehen. Wobei vielleicht der ein oder andere argumentieren würde, dass das immer noch besser wäre, als sie den Eierstöcken zu überlassen.

Passenderweise sind Hormone dann auch schnell schuld. An Männern, die sich nicht zurückhalten können und an allen Frauenbeschwerden sowieso. So mischen sich unter «Things I did when hormonal» im Internet echte Erfahrungen mit verstörenden Geschichten. «Fünfzehn Stunden gekocht, mein Mann sagt, er hasst es. Da hab ich die Küche in Brand gesteckt. AHAHAHAHAH. Hormone.» LOL, Hormone! Damit ist dann alles geklärt und keiner der Beteiligten muss sich mit irgendwas auseinandersetzen. Schon gar nicht mit seiner Beziehung.

Allerdings können Hormone Verhalten gar nicht aus einem Hirn heraus zaubern wie ein Zauberer Kaninchen aus einem Hut. Abrakadabra, Kopulation. Oder zumindest nur dann, wenn das Verhalten vorher schon drinsteckte. Wie sollte es auch sonst sein, wenn doch die gleichen Moleküle auf so viele verschiedene Spezies treffen? Serotonin teilen wir mit Pflanzen, Testosteron mit Erdferkeln und Anchovis! Aber nur einer von den dreien wird dadurch motiviert, Tinder zu installieren – oder eben nicht, weil er zu jung ist oder damit negative Assoziationen verbindet.

Nein, niemand wird hier von Hormonen ferngesteuert. Höchstens in dem Sinne, in dem wir auch von unseren Neuronen ferngesteuert sind. Man kann sich das Zusammenwirken eher so vorstellen, dass Hormone ein Verhalten möglich machen. Ermutigen. Sie sind ein notwendiges, kein hinreichendes Kriterium. Sprich, das Gehirn entscheidet, ob wir Sex haben wollen, aber die Hormone stellen die Frage. Und selbst dann ist es wohl zunächst mal das Gehirn, das die Vorarbeit geleistet hat. Erst hat das Hirn die Gelegenheit als Paarungsoption eingestuft, dann den Hypothalamus informiert, der Hoden und Eierstöcken sagt, sie sollen Sexhormone produzieren. Und am Ende tut es so, als hätte es mit dem Ganzen nichts am Hut? Nur, weil es nicht jeden Zwischenschritt bewusst mitbekommt? Das ist ungefähr so logisch, als ob die Spitze des Eisbergs sagt, sie übernimmt keinerlei Verantwortung für das, was da unter der Wasseroberfläche passiert. Aber: Sie sind der Eisberg. Alles davon. Vom Kopf, der aus dem Wasser guckt, bis zu den Fußspitzen. Unser Selbst hört nicht da auf, wo wir es nicht mehr bewusst sehen können. Manche von uns haben seit Jahrzehnten nichts unterhalb ihrer Gürtellinie gesehen. Aber deswegen liegt das doch nicht außerhalb unseres Verantwortungsbereichs!

Bei aller Last der Verantwortung steckt darin auch eine gute Nachricht, denn was die Hormone mit uns machen, können wir mit unseren Lebensentscheidungen beeinflussen. Sehr schön sehen kann man das bei Mäusen, bei denen Pawlows Glöckchen mit der richtigen Erfahrung auch gern für eine Erektion sorgt. Auch beim Sex selbst schütten versierte Mäusemännchen weitaus mehr Testosteron aus. 12,13 Das ist praktisch, weil sie dadurch an Reizwäsche sparen. Beim Menschen funktionieren solche konditionierten Reize ebenso. («Guck, es ist Sonntag.») Wenn ein Pfad dann erst mal schön ausgetreten ist, lässt er sich außerdem auch ganz ohne Hormonbeteiligung aktivieren. Wenn sich z.B. Ihr kastrierter Kater immer noch aus der Katzenklappe schleicht, wissen Sie jetzt, dass Sie einen sexuell erfahrenen Kater haben. Ist doch schön. Genauso reagiert unser Gehirn schon auf Kaffee, nur weil wir denken, dass wir gleich welchen trinken.14 Und aus demselben Grund hilft Abendroutine uns beim Einschlafen.

Kurzum: Unsere Handhabe bei den Hormonen steigt deutlich, wenn wir statt Klischees ihre Komplexität sehen. Also räumen wir am besten erst mal ein paar suspekte Vorstellungen aus der Welt.

Wo wir Hormoneinmischung lieber ausblenden

«Waaah, das Gehirn hat ein Kompliment gemeldet!», Adrenalin wägt hektisch seine Optionen ab, «wie reagiert man denn auf so was!?» Besser schnell dem Herz Bescheid sagen. Noradrenalin unterdrückt eilig den Vagusnerv, der das Herz – und eigentlich auch den Rest des Körpers – gerade noch in entspannt parasympathischem Zustand hielt. Damit wär das Innere schon mal auf Trapp. Fehlen noch die passenden sozialen Signale. Immerhin, die Pupillen sind schon mal geweitet, die Schweißzellen aktiviert, und wenn die Kollegen jetzt noch die Blutbahn weiten, kriegen Sie dazu noch wunderbar rote Wangen. *Ring, ring* – das Gehirn wieder. Noradrenalin nimmt ab: «Ja … mhm … ja … Was soll das heißen, nicht hilfreich?»

Wenn Hormone unser Inneres miteinander und uns mit der Außenwelt verbinden, können wir uns ihre Botschaften nicht immer aussuchen. Aber gerade deshalb hilft es, die Prozesse dahinter zu kennen.

Pheromone – Hormone mit Außenwirkung

Unsere Hormone verbinden nicht nur alles in uns, sondern auch uns mit unserer Außenwelt: Indem sie unser Aussehen beeinflussen, unsere Stimmlage und die Art, wie wir riechen. Das klingt zwar verdächtig nach Meuterei. Aber gleichzeitig schlägt die Natur ja auch alle möglichen Fliegen mit einer Klappe, wenn sie dafür sorgt, dass unser momentanes Interesse an Fortpflanzung mit den körperlichen Signalen zusammenfällt. Stellen Sie sich vor, Sie tänzeln als Pfau durch die gesamte Konkurrenz, und dann ist Ihr Rad-Design bestenfalls vorpubertär.

Wir kennen diesen kommunikativen Aspekt vor allem von den Pheromonen. Sie sind in ihrem Aufbau den Hormonen ganz ähnlich, aber senden ihre Botschaften einfach direkt an ihr Gegenüber, um es über Alter, Gesundheit, Geschlecht und mögliche Paarungsinteressen zu informieren. Das mag Ihnen ineffektiv vorkommen («Also, ich kann ‹Alter› immer ganz schlecht schätzen … oder Paarungsinteressen»), aber Ihr Hund, der an einem Laternenpfahl riecht, findet das System sehr informativ. Darum interessiert er sich auch beim Menschen besonders für die Körperteile, die diese Botenstoffe absondern. Und wir stehen dann da und versuchen unauffällig, mit der einen Hand einen Labrador von unserer H&M-Unterwäsche fernzuhalten und mit der anderen den Rock wieder über genau diese Unterwäsche zu ziehen. Sollten Sie als Beobachter spontan das Bedürfnis verspüren, diesen peinlichen Moment für alle Beteiligten noch peinlicher zu machen, erklären Sie einfach, dass Hunde das besonders oft machen, wenn das Gegenüber seine Tage hat, stillt oder kürzlich Sex hatte. Viel Spaß.

Pheromone entsprechen so ziemlich genau unserer Vorstellung von den suspekten Hormonen: Unsichtbare Lockstoffe, die uns lenken wie Sirenen. Bauern z.B. nutzen sie, um Insektenfallen diesen sexy Geruch zu verleihen, der Schädlinge in den Untergang flattern lässt. Trüffelschweine lassen sich davon verführen, unermüdlich das Erdreich zu durchwühlen – auf der Suche nach attraktiven Singles in ihrer Nähe. Stellen Sie sich die Enttäuschung vor! Sie denken, Sie haben endlich den Partner fürs Leben gefunden, und dann sitzt da eine Pilzknolle. Dominante Mäusemännchen lösen durch Primerpheromone Eisprünge aus und Bienenköniginnen können sie bei ihren Arbeiterinnen verhindern (auch eine Art, Elternzeit zu begrenzen).

Wenn man allerdings versucht, dieses Sirenen-Risiko auf Menschen zu übertragen, sieht es ziemlich anders aus: Primerpheromone, die bei anderen eine physiologische Reaktion auslösen, kennen wir bei uns gar nicht, die restliche Pheromonenforschung ist durchwachsen und das eigens dafür designierte Vomeronasal-Organ, auf das u.a. unser Hund beim Erschnüffeln zurückgreift, ist bei uns weniger bis gar nicht ausgeprägt.

Die flehmen response legt das Vomeronasal-Organ frei, um Pheromone zu erschnuppern – bei Hunden genauso wie bei Pferden.

Trotzdem sind chemische Botenstoffe auch für uns überlebenswichtig – nur nicht ganz so, wie wir es erwarten. Babys z.B. lernen von ihnen, wo sie nuckeln sollten. Streicht man sie ihnen unter die Nase, nuckeln sie die Luft. Spermien erfahren von chemischen Botenstoffen den Weg nach draußen zum Ei (auch eine Form von «sexueller Chemie»).15 Man macht sich das gar nicht so klar, aber eine Menge Riechzellen sitzen in den Hoden. Wenn diese Zellen Sandelholz «riechen», setzen sie Heilungsprozesse in Gang.16 In männlichen und weiblichen Geschlechtsorganen gibt es außerdem Geschmacksrezeptoren und zwar bittere, und das Wissen versucht man gerade umzusetzen, um Krebs und Frühgeburten zu verhindern.17,18 Alles ganz wunderbare Sachen, aber natürlich nicht die, für die wir uns populär interessieren! Was uns ungeheuer fasziniert, sind vor allem die intimen Gerüche, die wir so absondern. Wobei der merkliche Geruch nicht von uns selbst kommt, sondern durch die freundliche Unterstützung der auf unserer Haut lebenden Bakterien (hat mal wer Sagrotan? Asbest?). Die Testosteronabbauprodukte im Schweiß z.B., die Androstenon heißen und wahlweise nach Sandelholz, Moschus, Urin oder Honig riechen, oder auch die Kopuline, die wir an der Vulva finden. Und man darf es zu Recht unfair finden, dass wir die einen nach «andros» benannt haben, also «männlich», «tapfer», und die anderen nach Kopulieren. Dabei hätte man beide auch «Smells like teen spirit» nennen können, denn die Sexhormone drehen erst in der Pubertät zu voller Größe auf. Darum riechen Umkleidekabinen in der Grundschule auch nicht nach Schweiß, sondern nach vergessenen Turnbeuteln und Gummisohlen mit Lichtreflexen. So oder so entspricht das schon eher unserer Vorstellung vom Hormon: bisschen schmutzig, pubertär, und man bedeckt es am besten mit Deo.

Hormonzentrale, Daily Briefing. Mittlerweile ist man beim Punkt Diverses angekommen. Die Marketingfrau meldet sich: «Es gibt da noch Unzufriedenheit bei den Pheromonen.» Der Abteilungsleiter massiert sich die Schläfen. Sie fährt fort: «Ihnen gefallen die Schwankungen nicht.» «Wie?» «Sie wollen gerne immer sexy riechen.» «Wie jetzt, ‹immer sexy riechen›? Wissen die, wie Sex riecht?» «Sie nennen das Moschusduft und meinen, das riecht männlich.» «Eben! Das ist ja wohl höchstens für spezielle Anlässe attraktiv! Warum wollen sie den Rest der Zeit riechen wie ein Ochse von hinten?» «Sie meinen, das zieht Paarungsgenossen an.» «Paarungsgenossen? Bei der Beerdigung ihrer Großmutter?» Der Abteilungsleiter schüttelt missbilligend den Kopf: «Krank und pervers! Was meinen sie denn, warum wir so ein kompliziertes System eingebaut haben? Aus Spaß an der Freude?» Er seufzt. «Das ist doch ohnehin mehr so ein Hintergrundrauschen, kein magischer Zaubertrank. Und überhaupt: Die ganze Idee ist doch, dass wir ihnen die Möglichkeit geben, ihrem Gegenüber unauffällig ihre aktuellen Empfindungen mitzuteilen. Ängste. Ablehnung. Hin und wieder ein Erregungszustand. Warum diese Fehlinformation? False advertising ist das! Außerdem sehr unreif.»

Die ganze Idee unseres Hormonsystems ist immer die flexible Anpassung. Das heißt, selbst wenn Pheromone wirklich attraktiv machen würden, wäre es wie mit dem Lächeln: ansprechend, ja. Aber wollen wir deswegen die ganze Zeit strahlend durch die Stadt laufen? Nein! Das wäre irreführend. Wir sind in Bottrop.

Nicht, dass unsere Botenstoffe unfehlbar wären. («Was soll das heißen, die fruchtbaren Tage sind die, an denen sie keinen Sex will?») Aber wenn in unserer Hormonwelt mal was schiefläuft, dann liegt der Fehler selten darin, dass sie tun, was sie sollen, sondern im Gegenteil: Dass sie es nicht mehr tun.

Psychophysiologie: Wenn Kopf und Körper krank werden

*Ring*, als Adrenalin abnimmt, folgt eine Schimpftirade des Gehirns, bei der es kaum ein Wort dazwischenbekommt: «Was? … Oh … Nein! … Was? … Also nicht, dass ich …», es zögert, blickt sich rasch im Raum um und fragt zischend über die Schulter: «Hat hier irgendjemand einen hochroten Kopf initiiert?» Rundherum nur irritierte Blicke und Kopfschütteln. Adrenalin atmet einmal tief aus und wendet sich wieder dem Hörer zu: «Nein, also wir waren es diesmal ganz bestimmt nicht. Ja. Hast du mal beim Immunsystem nachgehakt?»

Letztlich besteht unser Hormonsystem eben auch nur aus Körperteilen, und auf die sollte man sich nie hundertprozentig verlassen. Mit weitreichenden Folgen, denn unsere Einigkeit zwischen Kopf und Körper gilt in Gesundheit wie Krankheit. Außerdem in guten wie in schlechten Zeiten. Manchmal tragen sie zueinander passende Jack-Wolfskin-Jacken. Das bedeutet, unser Kopf kann den Körper krank machen, und das, was sich durch unsere Magenschleimhaut frisst, frisst sich mehr oder weniger auch in unsere Seele. Doch je mehr Symptome sich auf der psychologischen Ebene abspielen, desto eher wird es kompliziert. Von unserem Körper sind wir Nonsens gewöhnt – damit können wir umgehen. Meine Knie knacken ständig ohne erkennbaren Grund, und ich löse dieses Problem sehr erfolgreich, indem ich einfach nie in die Hocke gehe. Aber wenn wir den Verdacht hegen, dass die Psyche knackt, gucken wir komisch, denn die ist viel näher dran am «Ich» und der gefühlten Anzahl Tassen in unserem Schrank. Auch, wie wir ihre Probleme lösen sollen, wissen wir oft nicht. Nicht mal auf so suboptimale Weise, wie ich mein Knieproblem löse. («Nervosität vermeide ich, indem ich nie meine Post öffne.») Stattdessen flüchten wir uns in hilfreiche Ratschläge, von entspannen bis entschlacken, frische Luft und irgendwas mit me-time. Das ist zwar nett gemeint, aber mitunter voll am Thema vorbei, denn es hat eben längst nicht jedes psychologische Problem auch eine (rein) psychologische Ursache. Manchmal ist der Grund für Konzentrationsschwierigkeiten und grenzenlose Erschöpfung auch eine Viruserkrankung, von der wir uns einfach nicht richtig erholen. Und selbst, wenn unser Problem sich aufs Gehirn beschränkt, löst man es nicht unbedingt mit Durchdenken. So wie alles, was wir unserem Gehirn Gutes tun, auch davon abhängt, ob es da wirklich ankommt. Wenn das nicht klappt, fühlen wir am Ende genauso innerlich leer – aber dafür jetzt in Amalfi. Es ist nicht leicht zu verstehen, was in unserem Inneren vorgeht, erst recht im Inneren anderer Leute. Und je schneller wir das verstehen, desto eher hören wir damit auf, ihnen blödsinnige Ratschläge zu geben, wie den, ob sie schon mal versucht haben, «weniger traurig zu sein», was als Vorschlag ungefähr so hilfreich ist wie «weniger bluten». Oder wahlweise die Ursache für unsere Gesichtsröte nur in Ängsten zu suchen, statt in den Mastzellen.

Auch im Hormonsystem geht mitunter ohne jegliche Beteiligung unseres Kopfes einfach was kaputt: Das Immunsystem kann die Schilddrüse attackieren, die Zirbeldrüse kann mit der Zeit verkalken und Stresshormonproduktion die Nebennieren überlasten. Das ist blöd und ärgerlich, gibt uns aber immerhin auch Werkzeuge an die Hand, um dagegen anzugehen.

Wenn wir bei dem Beispiel bleiben, dass eine Autoimmunerkrankung auf unserer Schilddrüse rumhackt, dann beeinflusst das den Hautton, den Zyklus und die Stimme. Konzentration fällt uns schwerer, genauso wie Kinderzeugen, Wachbleiben und das Leben im Allgemeinen.19 Wir fühlen uns lustlos, auch im sexuellen Sinne, gedächtnisschwach, fröstelig und obendrauf mitunter ängstlich oder depressiv.19 Aber, wenn wir Glück haben, finden wir eine Ärztin, die die Ursache dafür nicht nur in unserem Kopf sucht, sondern auch hinterm Schlüsselbein.

Nicht, das «Alles nur im Kopf» nicht auch eine dramatische Diagnose ist. Das ist immerhin da, wo das Gehirn ist! Aber jetzt können wir eben zusätzlich auch die Autoimmunerkrankung behandeln, die womöglich dahintersteckt. Wie wichtig es ist, spezifisch zu sein, können uns auch Post- und Long-Covid-Patient*innen erzählen, also Leute mit einer vorausgegangenen Viruserkrankung, bei der sich das, was im Körper passiert, auch auf das Gehirn auswirkt, und die uns damit so verwirren, dass wir ihnen abwechselnd die gleichen Ratschläge geben wie Menschen mit Depression oder mit verknacksten Knöcheln. Dabei ist unser übliches Prinzip der Belastungssteigerung – spazieren gehen – in diesem Fall nicht nur nicht hilfreich, sondern dank Überlastungsgefahr auch ziemlich riskant (empfohlen wird eher die Belastungsgrenzen auszuloten, sog. Pacing), und eine Therapie kann zwar helfen, mit Stress, Frustration und Co-Morbiditäten umzugehen, die daraus entstehen, aber am Ende haben sie dann eben immer noch Long Covid. Die oberste Empfehlung in aktuellen Behandlungsempfehlungen ist «ernst nehmen».

Für all das müssen wir uns natürlich erst mal ein Stück weit von der Vorstellung verabschieden, dass unser eigentliches «Ich» im Gehirn sich von unserem Skelett samt Knautschzone durch die Gegend transportieren lässt wie von einer sehr exzentrischen Kutsche. Dabei hilft uns am besten der Blick auf zwei prima Beispielhormone, die uns zeigen können, dass die Kopf-Körper-Trennung ganz schön oft ganz schön sinnlos ist: Serotonin und Insulin.

Insulin hat eindeutig den einfacheren Stand, mit seiner körperlichen Hauptaufgabe: Zellen dazu bringen, Blutzucker aufzunehmen. Das ist was Reelles.

Insulin nickt geduldig: «Na ja, das ist jetzt ein bisschen vereinfacht. Im Gehirn mache ich z.B. das Gegenteil. Mehr Blutzucker, Sättigung …»

Auf jeden Fall liegt seine Hauptwirkung in einem fundamentalen Grundbedürfnis: Nahrungsaufnahme! Die Versorgung mit Nährstoffen!

«Hier sollte man vielleicht erwähnen, dass ich wichtige neuronale Effekte habe? Auf das Wachstum und das Überleben von Synapsen?»

Eine Zeitlang waren wir nicht mal sicher, ob Insulin überhaupt durch die Blut-Hirn-Schranke kann.

«Ähem, ja, das wollte ich eigentlich schon lange mal ansprechen. Die Vermutung war schon ein wenig kränkend. Und auch ein wenig gedankenlos, in Anbetracht der Tatsache, dass das Gehirn ja eigentlich vor allem mit Glukose arbeitet, und ich sogar eines der wenigen Hormone bin, die …»

Jedenfalls. Wenn Insulin fehlt, hat das offensichtliche und sehr messbare Folgen für den Körper! Übersäuerung des Blutes, dramatischer Gewichtsverlust oder im schlimmsten Fall ein diabetisches Koma. Das sind alles andere als vage psychologische Effekte.

«Unterzuckerung bringt übrigens Nervosität mit sich, Depression und Schwächen mit der Feinmotorik. Insulinresistenz im Gehirn schadet dem Hippocampus und geht mit kognitiven Defiziten und Alzheimer einher …»

Auch der Mechanismus, der dahintersteckt, ist ziemlich klar verstanden! Wenn die Bauchspeicheldrüse den Dienst quittiert, gibt’s kein Insulin und stattdessen Diabetes Typ 1. Das heißt, uns fehlt der lebenswichtige Bote, der Blutzucker in die Zellen bringt. Wenn Insulin geliefert wird, aber die Zellen machen die Tür nicht auf, sprich, die Rezeptoren sind beschädigt, dann ist das eher Typ 2. Die Pakete stapeln sich vor der Tür, aber keiner holt sie rein, der Blutzucker bleibt im Blut. Um gegenzusteuern, produziert der Körper immer mehr mittelerfolgreiches Insulin, wie Disney Neuauflagen. Am Ende haben wir Zucker im Blut und Insulin und eine überforderte Bauchspeicheldrüse und ein ziemlich großes Problem.

«Also dafür, dass das Problem angeblich so super verstanden ist, braucht die Diagnostik recht lange. Viele merken es ja erst an den Diabetesfolgeschäden …»

Wenn jemand was von Zuckerkoma sagt, fragt sich nie jemand, ob er simuliert. Deswegen kann er darüber auch eher reden, ohne sich zu verstellen. («Ich bin nicht bewusstlos! Nur müde.») Jedenfalls, solange er nichts über psychische Effekte sagt. Oder Gewichtsprobleme. Fast jeder kennt jemanden – oder kennt zumindest jemanden, der jemanden kennt –, der Insulinschwierigkeiten hat.

Dagegen tauchen Serotoninschwierigkeiten vor allem als Einflussfaktor bei psychischen Problemen auf (in eine Reihe mit möglichen Komplizen von Stressachse und Co): Aggression, Zwänge, Ängste, Depressionen, Schlafstörungen und Süchte … Kurz gesagt, alles, bei dem wir uns immer ein bisschen fragen, ob es nicht einfach «nervig» ist. Stimmung ist zwar ein ziemlich massiver Weg, über den Hormone auf uns wirken, aber auch einer, auf dem sie ganz schön um Anerkennung kämpfen müssen. Beziehungsweise kämpfen müssen natürlich die, denen ihre Hormone Schwierigkeiten bereiten, und die jetzt versuchen müssen, das anderen zu erklären. Darum reden wir darüber viel seltener. («Mein Wochenende? Also den Samstag habe ich ziemlich viel geweint, und am Sonntag habe ich versucht, aus dem Bett zu kommen. Du so?») Dabei hat z.B. Serotonin auch jede Menge körperliche Funktionen, aber die sind schon wieder so weitreichend, dass man kaum den Überblick behalten kann.

Serotonin zählt an der Hand ab: «Puh, also da wären Knochendichte, Thermoregulation, Verhinderung von Kopfschmerzen …» Viele Stunden später. «… sensomotorische Funktionen, Wundverschluss …» Einige Hormone schnarchen. «… Organ-Entwicklung, Essverhalten, Sexualfunktionen …» Ein Dornröschenschlaf legt sich über das Land. «Darmbewegungen, Schwindel, Weitung von Blutgefäßen in Bronchien und Darm, Muskelspannungen, wahlweise Muskelzuckungen …» Mehrere Weltreiche entstehen und vergehen aus purer Nervosität.

Wir sehen: Insulin beeinflusst auch den Geist und Serotonin auch