Herzklopfen und Meersalz - Nele Hansen - E-Book
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Herzklopfen und Meersalz E-Book

Nele Hansen

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Beschreibung

Die perfekte Liebe gibt es nicht … oder?
Ein herzerwärmend-romantischer Liebesroman für alle Ostsee-Fans

Als erfolgreiche Autorin, deren Debütroman direkt verfilmt wird, lebt Emma ihren beruflichen Traum in der großen Stadt. Und der romantische Heiratsantrag von Mark, ihrem festen Freund und Manager, macht Emmas Glück perfekt! Beinahe perfekt, denn einen kleinen Haken gibt es: Emma ist bereits verheiratet und hat Mark nichts davon erzählt. Kurzerhand kehrt sie in ihr kleines Heimatsdorf an der Ostsee zurück, um die unliebsame Vergangenheit ungeschehen zu machen und den Weg für die schillernde Zukunft zu bereiten. Allerdings hat sie die Rechnung dabei ohne den unkooperativenen Noch-Ehemann und das schrullige Dorf gemacht. Zudem werden in der alten Umgebung Gefühle wach, die absolut nicht in Emmas Pläne passen …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Seeluftliebe.

Erste Leser:innenstimmen
„Ein berührender Roman über Liebe, Heimat und Vergangenheitsbewältigung.“
„Ich konnte mich extrem gut mit Emma identifizieren und fand ihre Entwicklung sehr nachvollziehbar beschrieben.“
„Ein mitreißender Liebesroman vor wunderschöner Ostsee-Kulisse.“
„bewegend, authentisch und tiefsinnig“

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Seitenzahl: 536

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Über dieses E-Book

Als erfolgreiche Autorin, deren Debütroman direkt verfilmt wird, lebt Emma ihren beruflichen Traum in der großen Stadt. Und der romantische Heiratsantrag von Mark, ihrem festen Freund und Manager, macht Emmas Glück perfekt! Beinahe perfekt, denn einen kleinen Haken gibt es: Emma ist bereits verheiratet und hat Mark nichts davon erzählt. Kurzerhand kehrt sie in ihr kleines Heimatsdorf an der Ostsee zurück, um die unliebsame Vergangenheit ungeschehen zu machen und den Weg für die schillernde Zukunft zu bereiten. Allerdings hat sie die Rechnung dabei ohne den unkooperativenen Noch-Ehemann und das schrullige Dorf gemacht. Zudem werden in der alten Umgebung Gefühle wach, die absolut nicht in Emmas Pläne passen …

Dies ist eine überarbeitete Neuauflage des bereits erschienenen Titels Seeluftliebe.

Impressum

Überarbeitete Neuausgabe März 2022

Copyright © 2024 dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-98637-543-0 Hörbuch-ISBN: 978-3-98637-584-3 Taschenbuch-ISBN: 978-3-98637-548-5

Copyright © 2021, dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Dies ist eine überarbeitete Neuausgabe des bereits 2021 bei dp Verlag, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH erschienenen Titels Seeluftliebe (ISBN: 978-3-96817-457-0).

Covergestaltung: ArtC.ore-Design / Wildly & Slow Photography unter Verwendung von Motiven von shutterstock.com: © SF photo, © Wolfgang Zwanzger, © Pawel Kazmierczak, © IndustryAndTravel, © PIXEL to the PEOPLE, © Letyi Lektorat: KoLibri Lektorat

E-Book-Version 13.06.2024, 09:42:04.

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

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Herzklopfen und Meersalz

Jetzt auch als Hörbuch verfügbar!

Herzklopfen und Meersalz
Nele Hansen
ISBN: 978-3-98637-584-3

Die perfekte Liebe gibt es nicht … oder?Ein herzerwärmend-romantischer Liebesroman für alle Ostsee-Fans

Das Hörbuch wird gesprochen von Yesim Meisheit.
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Kapitel 1

Unheil

Herbert von Karajan hatte einmal gesagt: „Wer all seine Ziele erreicht hat, hat sie sich als zu niedrig ausgewählt“, und traf mit seinen Worten Emma Sommer mitten ins Herz. Sie, die immer für alles in ihrem Leben hatte kämpfen müssen, fand, dass Herbert von Karajan mit ihr viel zu hart ins Gericht ging und sie damit an eine Wand stellte, vor der sie gar nicht stehen wollte.

Was sie aber noch mehr wunderte, war, dass sie gerade jetzt in diesem Augenblick an diesen einen Satz denken musste, den sie damals aus der Zeitung aufgeschnappt und innerlich in einer ihrer gedanklichen Schubladen abgelegt hatte mit dem eigenen Vermerk, ihn noch einmal gebrauchen zu müssen.

Dass jetzt der Moment gekommen war, wäre ihr nicht im Traum eingefallen.

Sie hatte alles erreicht, was sie wollte; hatte Hindernisse ebenso aus dem Weg geräumt, Konkurrenten hinter sich gelassen und das geschafft, was viele wollten.

Vom Schreiben leben können.

Der innere Beweis, dass sie alles schaffen konnte, wenn sie nur daran glaubte und sich nicht beirren ließ.

Was wäre aus ihr geworden, wenn sie auf ihre Mutter gehört hätte, die zu ihr gesagt hatte: „Woher willst du das Talent haben? Niemand von uns ist so. Niemand war jemals so. Wir waren immer solide!“

Solide …

Wenn sie das schon hörte.

Wer wollte solide sein, wenn er seinen eigenen Träumen nachgehen und sich das Leben aufbauen konnte, das man für sich selbst am lebenswertesten fand?

Und eben, weil ihre eigene Mutter nicht an sie geglaubt hatte, und sie sich den Satz um die Ohren hatte feuern lassen müssen, hatte sie sich die ganze Zeit über, seitdem sie wusste, dass sie zu der Gala eingeladen worden war, auf eben diesen einen Abend gefreut. Sie hatte ihm mit solch einer stolzgeschwellten Brust entgegengefiebert, dass es ihr wehtat, gerade jetzt diesen Satz von Karajan innerlich hören zu müssen.

Das war nicht fair.

Ganz und gar nicht.

Ihre Ziele waren niemals niedrig gesteckt gewesen. Sie hatte sich niemals mit dem zufriedengegeben, was sie erreicht hatte. Ihr innerer Motor war, wenn man es so wollte, ihr Ehrgeiz gewesen, endlich von dem leben zu können, was sie tat.

Emma Sommer hatte es geschafft.

Mit sechsunddreißig!

Wer konnte das sonst noch von sich behaupten?

So gut wie niemand – auf jeden Fall niemand aus ihrer Branche. Natürlich, sie hatte damals, als sie anfing, ihren Traum zu leben, viele Niederlagen einstecken müssen. Persönliche, berufliche und auch finanzielle. Niemand hatte damals auf eine gerade einmal neunzehnjährige junge Frau gewartet, deren schulische Leistungen überschaubar gewesen waren, und die nichts anderes im Kopf hatte, als ihre große Leidenschaft zum Beruf zu machen.

Ihre Leidenschaft – das Schreiben.

Und gerade jetzt, wo Walter Marquart, der Organisator der „Schreibfeder-Stiftung“, vor ihr stand, sie aufmunternd anlächelte und meinte: „Sie sind eine Schriftstellerin, die es schafft, mit einfachen, klaren Sätzen ganz vielen kleinen Details ihre würdige Größe zu verleihen“, kam ihr der verfluchte Satz eines österreichischen Dirigenten in den Sinn, der ihr all ihren Erfolg madig machen wollte.

„Sie ist nicht nur erfolgreich“, meinte Rüdiger Oller, ein hochgewachsener, grauhaariger, magerer Mann, dessen Lächeln aus unendlich vielen Zähnen zu bestehen schien. Ein Mann, wie sie immer wieder feststellte, der etwas Unwirkliches, etwas aufgesetzt Künstliches besaß, das ihr unangenehm war. Bisher hatte sich überwiegend Mark, ihr Agent, mit Oller unterhalten und zusammengesetzt. Aber heute, an diesem Abend, an dem sie für ihren Bestseller „Wasserherz“ geehrt wurde, hatte es sich der Filmschaffende nicht nehmen lassen, ihr seine Aufwartung zu machen.

Er wollte ihr zeigen, und das mit einem laschen Händedruck und einem aufgesetzten Lächeln, wie sehr er sich für sie und ihre Arbeit interessierte. Dass er es mochte, wie sie vorging und er sich nichts anderes mehr vorstellen konnte, als ihr Buch in einen Film zu verwandeln.

Es schauderte sie, als sie ihn reden hörte und mitbekam, wie er seinen eben begonnenen Satz weiter ausführte und sagte: „Sie ist auch eine gebildete und eine gewissenhafte Frau. So etwas gibt es nicht mehr oft.“

Und Menschen wie Sie gibt es leider noch viel zu viele, dachte sie bitter bei sich und ärgerte sich darüber, dass sie freundlich nicken, dankbar lächeln und säuselnd sagen musste: „Danke für das Kompliment.“

„Die Wahrheit muss man sagen.“ Oller nickte. „Das hat meine Mutter schon immer gemeint.“

„Und genau deshalb wird Frau Sommer ja auch der Preis unserer Stiftung verliehen. Weil sie Außergewöhnliches in kurzer Zeit geleistet hat. Stolz sollten wir auf sie sein.“

Emma lächelte knapp.

Wenn die Männer nur wüssten.

Sie seufzte innerlich, als sie den anschwellenden Schmerz in ihrer Brust spürte, als sie die Worte „Stolz“ und „Außergewöhnliches“ vernahm.

Das war sie nie gewesen – auf jeden Fall nicht in den Augen ihrer Mutter.

Da war sie das kleine, ungezogene Mädchen, das sich lieber auf Dinge konzentrieren sollte, von denen es mehr Ahnung hatte als vom Büchertippen.

Kamen ihr deshalb Karajans Worte in den Sinn?

„Ausgezeichnet. Sehr erfreulich.“ Oller nickte erneut und fügte etwas hinzu, das seinen wahren Charakter offenlegte. „Solch eine Auszeichnung lässt sich doch wunderbar vermarkten. Hach, ich sehe schon das Kinoplakat vor mir!“

Emma seufzte und war ganz froh, dass Marquart sie plötzlich am Oberarm berührte, hinauf auf die Bühne zeigte und sagte: „Ich werde Ihre Laudatio jetzt gleich halten und freue mich auf ein weiteres Gespräch nach dem offiziellen Teil.“

„Ich mich auch“, wich sie aus, ohne unfreundlich wirken zu wollen.

Sie mochte Marquart. Besonders deshalb, weil er sich anders verhielt als die anderen Anwesenden hier. Natürlich, er war anfangs etwas steif gewesen, hatte versucht, sie mit seiner Position zu beeindrucken. Aber nach dem dritten Telefonat und der vierten oder fünften E-Mail waren sie beide zu einem freundschaftlichen Sie übergegangen, das immer öfter von einem Du abgelöst wurde. Im Laufe der Zeit war er zu einem normalen Menschen ohne Hintergedanken geworden.

Er hatte nicht vor, sie zu vermarkten oder sich mit ihr sehen zu lassen. Erst gestern, als sie den Ablauf des heutigen Abends besprochen hatten, war er ihr so freundschaftlich nahe gekommen, dass sie es nicht bedenklich fand, zu erzählen, dass ihre Mutter heute Abend nicht hierher kommen würde. Dass sie beide schon seit drei Jahren kaum mehr miteinander sprachen.

Ihr Vater, verschüchtert und ängstlich von dem ganzen Rummel, der um seine Tochter gemacht wurde, war zwar hier, hielt sich aber die meiste Zeit in der fast menschenleeren Lobby auf und trank nippend sein Bier.

Dabei hätte sie ihn gerne hier an ihrer Seite gehabt.

Emma musste lächeln, als sie ihn da am Eingang stehen sah; sein Bier in der Hand, den festen Entschluss gefasst, seinen jetzt eingenommenen Platz nicht mehr zu verlassen und sich erst dann wieder in Bewegung zu setzen, wenn es losging, und er von dort aus den größten aller Höhepunkte von Emmas Karriere verfolgen konnte.

Sie hatte Marquart sogar von damals erzählt, wie es ihr ergangen war und wie ihre Mutter ihr den fürchterlichsten aller Sätze an den Kopf geschleudert hatte, den sie jemals aus ihrem Mund gehört hatte.

„Warum hat sie das nur gesagt?“, hatte Marquart wissen wollen und sah dabei so betreten aus, als habe er gerade die Abfuhr von der Liebe seines Lebens bekommen. „Ich meine, sie sind eine begnadete Schriftstellerin.“

Emma zuckte nur mit den Schultern und wollte gar nicht mehr weiter darüber reden. Und sie hatte nicht mehr daran denken wollen, wie sie damals an ihrer Adler Compacta 600 gesessen hatte und wie verrückt auf die Tasten einhämmerte, um ihre Gedanken auf das in die Schreibmaschine eingespannte Papier fließen zu lassen. Eine alberne Abenteuergeschichte, wie sie heute wusste, die sie damals schrieb. Abgeguckt aus diversen Abenteuerfilmen der Achtziger und Neunziger. Für sie damals aber der Inbegriff neuer, der Welt zur Verfügung stehender Literatur.

Und gerade in dem Moment, wo Beatrice Royal sich in die Arme von Benedikt von Heldenstein fallen ließ, weil er sie vor dem T-Rex gerettet hatte, war ihre Mutter ins Zimmer gekommen und hatte ihr unmissverständlich klargemacht: „Hör jetzt auf. Schlaf jetzt. Morgen ist wieder Schule.“

„Nur noch zwei Seiten“, hatte sie gebettelt und dabei gespürt wie der Fluss, in dem sie sich eben noch befunden hatte, zu versiegen drohte.

Es war ihr gewesen, als tauchte sie nach einem unendlich langen Traum wieder in die Wirklichkeit ein.

Und dann war der verhängnisvolle, den emotionalen Bruch herbeiführende Satz gefallen, den Emma bis heute wieder und wieder hörte. Immer von Neuem, wenn sie sich an den PC setzte und anfing zu schreiben.

Sie schüttelte den Kopf und merkte dann erst, als Oller sie erwartungsvoll anschaute, dass er etwas von ihr erwartete.

„Bitte?“, fragte sie verwirrt und schenkte dem Filmproduzenten ein freundliches, wenn auch verunsichertes Lächeln.

„Ich wollte wissen“, überging er ihren Fauxpas mit einem stoischen, kummergewohnten Lächeln, „ob ich Ihnen die Tage den ersten Rohentwurf unseres Treatments vorbeibringen soll? Wir können bei einem Kaffee gerne einmal über Änderungswünsche, Korrekturen und Charakterskizzierungen sprechen.“

„Das wäre wundervoll“, wich sie ihm erneut aus und hasste ihre immer stärker werdenden Bauchschmerzen.

Sie begann, Karajan für seine Worte zu verabscheuen.

Und ich bin dämlich, dachte sie ärgerlich bei sich.

Sie hatte sich in den letzten Jahren nie etwas daraus gemacht, was andere über sie sagten oder dachten. Selbst die anfänglichen Rezensionen ihres ersten Buches „Feuermädchen“, die alles andere als positiv ausgefallen waren, hatte sie mit einem wegwischenden Gleichmut ertragen, und war der festen Überzeugung, dass Worte ihr gar nichts mehr anhaben konnten.

Und jetzt war alles anders?

Wegen eines Zitats, das sie vor Jahren in einer Zeitung gelesen hatte?

Das war nicht ihre Art. War es nie gewesen.

Es sei denn, du beziehst den Spruch gar nicht auf das Schreiben, Emma, sondern auf …

Sie versuchte, ihre Gedanken gar nicht erst weiter zu Wort kommen zu lassen. Schon immer hatten ihre eigenen, inneren Worte dazu geführt, sie unruhig werden zu lassen, oder über Dinge nachzudenken, die sie für abgeschlossen gehalten hatte. Da musste sie nur an eben ihre Mutter denken, die vor drei Jahren überraschend ihren Mann nach über fünfunddreißigjähriger Beziehung verlassen hatte und in Emma eine seelische Lawine auslöste, die sie an den Rand einer persönlichen Krise gebracht hatte.

Da waren plötzlich Bilder und Gedanken in ihrem Kopf aufgetaucht, die sie so niemals gehabt hatte. Die ihr nicht einmal im Traum eingefallen wären. Aber in dem Augenblick, als sie das Telefon an ihr Ohr hielt, ihren Blick auf den PC gerichtet, weil sie gerade dabei gewesen war, das zweite Kapitel ihres heute so hochgefeierten Romans „Wasserherz“ zu bearbeiten, und sie die Stimme ihres fassungslosen Vaters vernahm, waren ihr Bilder und Szenen aus ihrer Vergangenheit in den Sinn gekommen, die sie niemals mit der Trennung ihrer Eltern in Verbindung gebracht hätte. Damals aber, als sie plötzlich das Gefühl hatte, ihr habe jemand mit voller Wucht in den Bauch geschlagen, hatte sie sich wieder im Heide Park Soltau gesehen, wie sie mit den Füßen aufstampfte, zeterte und schrie, sie wolle noch einmal mit den Mexikanerhüten fahren.

Sie hatte sich im Original gesehen, mit den zu einem Zopf geflochtenen Haaren, dem weißen, geblümten Kleid und mit den schwarzen Lackschuhen, die sie dazu getragen hatte. Ein kleines schwarzhaariges Mädchen, dessen Zähne schief gewachsen waren und durch eine Spange wieder begradigt werden mussten.

Ein Mädchen, das schimpfte, weil die Mutter ihr die Fahrt verboten hatte und ihr Vater, milde und sanft, wie er nun einmal war, meinte, dass eine weitere Fahrt doch nicht schaden konnte.

Und eben als er ihr erklärte, dass ihre Mutter sich von ihm getrennt hatte, hatte sie wieder ihre Worte im Ohr: „Dass du mir auch immer in den Rücken fallen musst. Warum kann ein ‚Nein‘ von mir nicht einfach mal ein ‚Nein‘ bleiben?“

So albern und absurd es auch war, Emma hatte die Bilder der sonnigen Tage sofort wieder im Kopf gehabt und war sich sicher gewesen, dass ihr Verhalten damals dazu beitrug, dass die Beziehung ihrer Eltern vor drei Jahren auseinandergegangen war.

Sie musste bitter schlucken bei den Erinnerungen und begriff jetzt erst, als sie ihren Platz suchte, der ihr zugewiesen worden war, dass sie von dem ganzen Drumherum gar nichts mitbekam, das ihretwegen veranstaltet wurde.

Sie nahm weder die ihr zunickenden Menschen wahr noch die Komplimente, die man ihr zurief.

Alles in ihr drehte sich.

Und als sie dann endlich ihren Stuhl gefunden hatte, der in der ersten Reihe stand, welcher schon flankiert war von ihrer besten Freundin und Mark Seiler, ließ sie sich mit einem erleichtert klingenden Seufzen auf ihn fallen und merkte jetzt erst, dass die Menschen klatschten und dass Marquart anfing, seine Rede zu halten.

Emma war viel zu sehr mit sich und ihren verfluchten Gedanken beschäftigt, als dass sie ihre eigene Ehrung genießen konnte.

So wie mit dem Gedanken an den Streit mit ihrem Vater, weil er sie nicht ins Stadion hatte gehen lassen wollen.

Was viele mit dem Volkspark des Hamburger Sport Vereins gleichsetzen würden, weil alle meinten, Emma käme aus der Stadt an der Elbe. Das Stadion aber, das sie meinte, war ein kleiner Versammlungsort für Jugendliche gewesen, wo nur die coolsten und die gefragtesten Kids hatten hingehen dürfen. Und als Michael Gabler sie aufforderte, mit ihr zu gehen, war sie gleich Feuer und Flamme dafür gewesen.

Himmel, sie hätte ins Stadion gedurft!

Nur ihr Vater hatte nicht mitgespielt.

Er hatte gemeint, dass eine Zwölfjährige an solch einem Ort nichts zu suchen hatte und dass er fand, dass ein Mädchen sich nicht in Begleitung eines vergnügungssüchtigen Raufboldes dort blicken lassen sollte.

Was wiederum dazu geführt hatte, dass ihre Mutter meinte: „Schatz, lass sie sich doch ausprobieren. Wie soll sie denn sonst lernen, wohin sie gehört und wo sie sich wohlfühlt?“

„Aber doch nicht im Stadion!“

„Mir gefällt es auch nicht“, war die ehrliche Meinung ihrer Mutter gewesen, die sie aber mit Leichtigkeit überspielen konnte, wenn es darum ging, dass Emma ihre Erfahrungen machen sollte. „ABER, sie muss ihre eigenen Lehren aus ihrem Tun ziehen. Oder etwa nicht?“

„Sie geht nicht ins Stadion. Basta!“

Das waren seine letzten Worte zu dem Thema gewesen und eine von vielen Meinungsverschiedenheiten mit seiner Frau. Und wie eben, als sie sich mit Marquart und Oller unterhielt, meinte sie auch jetzt, erneut in die Vergangenheit abzutauchen.

Sie sah sich wieder am Telefon stehen, den Hörer in der Hand und genau das Streitgespräch im Ohr, das ihr so sehr zusetzte, dass sie alles um sich herum zu vergessen begann.

Selbst ihr Schreibprojekt, das sie damals angefangen hatte, war in Vergessenheit geraten. Es war plötzlich nicht mehr in ihrem Kopf gewesen, obwohl sie Feuer und Flamme dafür gewesen war. An nichts anderes hatte sie mehr denken können als an ihre Protagonistin Helena König und ihren kometenhaften Aufstieg in der Meeresbiologie, ihrer verheißungsvollen Liebe und an den ebenso rasanten Absturz, der auf ihren Erfolg folgen musste.

Es war ihr undenkbar gewesen, dass sie auch nur eine Sekunde davon abweichen würde, die Geschichte schreiben zu können.

Bis ihre Familie kam …

Es hatte beinahe zwei Monate gedauert, bis sie wieder genug Energie und Kraft gefunden hatte, um ihre kreative Ader ausleben zu können. Zwei Monate, die sie so viel Kraft gekostet hatten, dass sie zwischendurch der Meinung gewesen war, niemals wieder auch nur ein Sterbenswörtchen auf das virtuelle Papier ihres Schreibprogramms bringen zu können.

Ihre ganze Aufmerksamkeit hatte ihrem Vater gegolten.

Und wie damals vor drei Jahren fühlte sie sich auch jetzt wieder.

Hilflos, allein und von sich selbst überrumpelt.

Emma schaffte es nicht, obwohl alle Aufmerksamkeit hier auf sie gerichtet war, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Immer wieder versuchte ihr verfluchter Gedanke, sich in den Vordergrund zu schieben, damit sie ihn zu Ende denken konnte.

Es sei denn, du beziehst den Spruch gar nicht auf das Schreiben, Emma, sondern auf …

Sie schluckte bitter, schüttelte den Kopf und ermahnte sich selbst zur Ruhe. Ein Geschmack, wie sie ihn meistens nur nach dem Aufstehen auf der Zunge schmeckte, stieg unaufhaltsam aus ihrem Rachen auf, und ließ sie sehnsüchtig an ein Kaugummi denken.

Sie wollte nichts anderes mehr, als den Saal zu verlassen, um mit sich und den irre gewordenen Gefühlen, die durch ihre Brust hämmerten, klarzukommen. Eine Methode, wie sie sich beschämt eingestehen musste, die ihr schon immer gut zu Gesicht gestanden hatte.

Weglaufen!

Das beste aller Heilmittel – für den kurzen Moment. Dass man sich seinen Problemen stellen musste, wusste sie und hatte es doch bis jetzt immer erfolgreich geschafft, ihren Kopf aus den emotionalen Schlingen des Lebens ziehen zu können. So war es damals im Heide Park gewesen, als sie sich dazu entschied, so schnell wie möglich ins Kinderparadies zu rennen, um sich dort hinter den mannshohen Maskottchen zu verstecken. Ebenso war sie weggelaufen, als ihr Vater ihr verboten hatte, ins Stadion zu gehen.

Weit war sie nicht gekommen, weil der Nachbar von der Straßenecke ihr entgegenkam. Er hörte sie weinen, bot ihr Trost an und wenn sie wollte, sich das Herz bei ihm auszuschütten.

Und dann gab es da noch Michael …

… ein Gedanke, den sie sofort wegdrückte und gar nicht zulassen wollte, dass sich ihre gerade angestellten Überlegungen auch nur eine Sekunde mit dem überschnitten, was sie sich ausdachte und ausmalte. Sie wollte nicht noch einmal an das denken, was damals geschehen war und schon gar nicht an ihre daraus entstandene Tortur.

Das, was sie brauchte oder, besser gesagt, was sie denken wollte, war ihre immerwährende Flucht vor unlösbaren Problemen. Nicht, dass sie es gutheißen oder gar jemanden dazu ermutigen könnte, ebenfalls vor seinen Problemen wegzulaufen. Aber manchmal war es ihr einziger Ausweg, um die ihr über den Kopf wachsenden Situationen ertragen zu können.

Wenn danach nicht die ekelhaften Gedanken wären …

„Emma, was ist denn mit dir los?“, hörte sie wie aus weiter Ferne die Stimme von Angelika „Angie“ Kleinheister an ihre Ohren dringen, und schloss die Augen.

Natürlich …

… Angie merkte immer, wenn es ihr schlecht ging oder Emma sich mit Dingen und Themen beschäftigte, die ihr zusetzten.

„Was?“, fragte Emma deshalb, weil sie nicht wollte, dass ihre beste Freundin ihr deutlich machte, was sie beobachtet und gesehen hatte.

Was mit dem Versuch gleichzusetzen war, eine Lawine mit der Kraft der eigenen Gedanken daran zu hindern, ins Tal hinunterzustürzen.

Angie war wie ein auf sein Ziel zurasender Bulldozer.

Niemand würde sich ihr in den Weg stellen.

Niemand konnte das, denn er würde von ihr platt gewalzt werden.

Und es gab keinen Menschen, den Emma kannte, der das erstrebenswert fand. Die einzige Möglichkeit, Angie aufzuhalten, war, sie aus dem Konzept zu bringen. Was Emma bisher nur selten gelungen war. Aber erst kürzlich, als sie zusammen in Hamburg auf dem Hans-Albers-Platz unterwegs gewesen waren, um einmal wieder ordentlich die Sau rauszulassen und zu feiern, als gebe es kein Morgen mehr, war Emma aufgefallen, dass sie Angies schonungslose Beobachtungsgabe dadurch verwirren konnte, indem sie in den unpassendsten Momenten eine Gegenfrage stellte.

So wie jetzt!

Neulich, auf dem Kiez, da hatte Angie angefangen, darüber zu reden, wie sie Emma in letzter Zeit wahrnahm und sie einschätzte. Eine schonungslose Offenlegung von negativen Eigenschaften, wie Emma vermutet hatte, die sie sich nicht antun wollte. So hatte sie fieberhaft nach einem Ausweg gesucht, nachdem Angie sie in den Arm genommen, sie fest an sich gedrückt und mit den Worten zu reden begonnen hatte: „Mir ist da letztens etwas an dir aufgefallen …“

Jeder Mensch hätte damit geantwortet: „Was denn?“, und wäre Angie mit offenen Armen ins blanke Messer gelaufen.

Nicht so Emma.

Sie hatte nur gefragt: „Hast du eigentlich Lust auf Kaffee?“

Es war ein Instinkt gewesen, eine kurze, einer Erleuchtung gleichkommende Eingebung, die Emma den Hals gerettet hatte und ihre Seele vor weiteren erschütternden Erkenntnissen. Deshalb kam ihr auch jetzt, als sie Angies Hand auf der ihren spürte und in die runden, blauen Augen ihrer besten Freundin schaute, die belanglos klingende Erwiderung, „Was?“, in den Sinn.

Angie, die, wie Emma vermutete, damit gerechnet hatte, dass ihre Freundin ihr sagen würde, was nicht stimmte, konnte mit der Frage nichts anfangen und stieß ein leises, verwirrt klingendes Lachen aus, um dann wissen zu wollen: „Geht es dir nicht gut? Du siehst aus, als …“

„Ich habe echt Durst“, sagte Emma schnell und zum Rednerpult ging, von dem Marquart einen Schritt zurückmachte, ein Klatschen andeutete und ins Mikrofon rief: „Und jetzt freue ich mich, die Hauptperson des heutigen Abends zu Wort kommen zu lassen.

Kommen Sie auf die Bühne, Emma Sommer, und genießen Sie Ihren Applaus!“

***

Ich bin eher wie James Dean, dachte Emma trotzig bei sich, während sie Karajans ekelhaft klingenden Satz wieder zu analysieren versuchte und den Tatsachen auf den Grund gehen wollte, warum er ihr ausgerechnet jetzt in den Sinn kam. Denn sie fand, dass die Worte von James Dean um Einiges besser zu ihr passten, der einmal gesagt hatte: Ich will nicht einfach der Beste sein. Sondern ich will so groß werden, dass niemand an mich heranreicht.Nicht um irgendetwas zu beweisen, sondern nur, um dorthin zu gelangen, wohin man streben sollte, wenn man sein ganzes Leben und sein gesamtes Sein einem einzigen Ziel verschreibt.

Das war ihr Ansporn gewesen.

Es den Leuten zeigen zu können, dass man seine Träume verwirklichen und leben konnte – wenn man nur den Mut fand, seine eigenen Entscheidungen vertreten zu können.

Und meiner Mutter, die mir gesagt hat, dass ich kein Talent zum Schreiben habe. Dass ich lieber solide werden soll.

So wie sie?

Tag für Tag, Jahr für Jahr, Monat für Monat, ins Krankenhaus zu gehen und Menschen zu pflegen, obwohl man eigentlich seit mehr als zwanzig Jahren gar keine Krankenschwester mehr sein will?

Ich?

Niemals!

Ich kann nicht das machen, was andere von mir verlangen. Ich kann nur das geben, was ich bereit bin zu verlieren.

„Warum stehst du denn hier so allein, Emma?“, drang ihr plötzlich die Stimme von Mark ans Ohr, der ein Sektglas in der Hand hielt, sie aus seinen dunkelbraunen Augen anschaute, und ihr ein Lächeln schenkte, das ihr einen wohligen Schauer der Freude in den Magen jagte. Es fühlte sich an, als streichelte er sanft mit seinen Fingerspitzen über ihren Bauch, um sie kurz erschauern zu lassen. So wie damals, als sie sich das erste Mal in seiner Agentur gegenübersaßen, und er ihr mit der weichen, sonoren Stimme erzählte, dass er in ihrem Debütroman so viel Potenzial sah, dass er sich ohne große Hemmungen an die großen Verlagshäuser wenden wollte, um ihn dort anzubieten.

Sie seufzte leise, als sie Mark anschaute, wie er da in seinem Nadelstreifenanzug vor ihr stand, von dem weichen Licht des Saals beschienen und für sich dachte, er wäre ihr größter Glücksfall im Leben.

Nicht nur, weil er ihr Agent war und ihr zweites Buch zum ersten Mal auf die Bestsellerliste hievte, sondern deshalb, weil er ihr vor drei Jahren sagte, dass er sich in sie verliebt hatte. Dass er sich nicht mehr ein Leben ohne sie vorstellen und deshalb mit ihr zusammen sein wollte.

Und auch jetzt, als er vor ihr stand, ein Lächeln auf den Lippen, die von einem fein gestutzten Bart umgeben waren, und diesem jugendlichen Hauch, den er sich auch mit über vierzig bewahrt hatte, gefiel er ihr ausgesprochen gut. Es war immer ein spöttisches Glitzern in seinen Augen auszumachen, das sie faszinierte und zugleich erschreckte.

Es faszinierte sie einerseits, weil sie selbst viel zu oft dazu neigte, das Leben zu verbissen und ernst zu sehen. Andererseits erschreckte es sie, weil sie nicht wusste, wie sie es deuten sollte. Manchmal fühlte sie sich deshalb wie ein kleines Kind, das vor einem Lehrbeauftragten stand, der ihr etwas beibringen wollte, was sie nicht verstand.

Auch jetzt, wo er leichtfüßig auf sie zukam, meinte sie wieder, den Spott in seinen Augen schimmern zu sehen, während seine Frage in einem ganz anderen Kontext zu hören war.

Es war eine merkwürdige Komponente, die Emma bis heute nicht analysieren konnte.

Da sehnte sie sich manchmal nach der offenen Direktheit Angies, die ohne Umschweife das sagte, was sie dachte und danach handelte, was sie von sich gab.

„Ich brauchte mal etwas Ruhe“, sagte sie mit gleichgültiger Stimme – und hoffte, dass sie wirklich so klang, wie sie es wollte.

„Du bist der Mensch des Abends, Liebling.“ Mark sein jungenhaftes Lächeln, und ließ Emma wieder weiche Knie bekommen. „Du solltest dich im Mittelpunkt einer jeden Unterhaltung befinden.“

„Hmmm …“

„Du bist immer so bescheiden“, meinte er und knuffte sie, einem kleinen Mädchen gleich, das gut gehört und auswendig gelernt hatte.

„Nun ja.“

„Bist du. Brauchst du dich gar nicht kleiner machen, als du es sowieso schon bist.“

„Charmant wie eh und je“, hörte Emma die Stimme Angies, die in ihrem blauen, hauteng anliegenden Glitzerkleid aussah wie ein über Wolken gehender Engel.

Emma wusste, dass der Vergleich kitschig klang und viel zu weit hergeholt war.

Aber seit dem Tag, an dem sie sich damals an der Gesamtschule von Eckenförde kennengelernt hatten, war die Faszination von Angie niemals gewichen. Damals nicht, als sie in ihrer verrückten Punkphase aussah wie ein Stachelschwein, mit den ganzen Ringen und Dornenarmbändern, und heute schon gar nicht mehr, da Angie eine erfolgreiche Journalistin geworden war, die es ohne Mühe zur stellvertretenden Chefredakteurin gebracht hatte.

In ihrer Nähe fühlte Emma sich wohl, verstanden, von allen Seiten richtig betrachtet.

Deshalb wunderte es sie, dass sie auf Angies Rat, es mit Mark langsam angehen zu lassen, nicht gehört hatte.

Bisher hatte sie immer viel Wert auf Angies Einschätzungen gegeben – oder mindestens einen Teil ihres Rates befolgt.

Vielleicht, und das meinte Emma ehrlich, hatte sie mit dem Versuch, eine Beziehung mit Mark zu führen, eine Grenze zu Angie und ihrer Intuition ziehen können.

Einmal den Versuch unternehmen, eine eigene Entscheidung zu fällen und zu sehen, wohin sie durch ihre Gefühle getrieben wurde.

„Ich gebe mein Bestes“, kommentierte Mark, der seine Blicke genüsslich über den schlanken Körper Angies gleiten ließ und sie regelrecht auszuziehen schien. Was Emma verstehen konnte.

Angie war schön anzusehen.

Ihre blonden Locken waren von Natur aus da und umspielten ihr zart geschnittenes, weiches Gesicht und brachten die schmale Nase wie auch die blauen Augen noch mehr zur Geltung. Hinzu kam, dass ihre handgroßen Brüste sich unter dem eng an die Haut schmiegenden, im gedämmten Licht des Saales blau funkelnden Kleides deutlich abzeichneten und einen Blick in den Ausschnitt gewährten, der gebräunte Haut zeigte.

Dazu hatte Angie lange, schlanke Beine, die durch die hochhackigen Schuhe, die sie trug, noch mehr zur Geltung kamen. Eine Tatsache, die durch das zierliche, silberne Kettchen, welches sie sich um den Knöchel gelegt hatte, nur noch mehr unterstrichen wurde.

„Was – wie immer – nicht gut genug ist.“

„Wir sind auf der Bestsellerliste“, hielt Mark ihr entgegen und erntete ein mitleidiges Lächeln, das Emma wehtat.

Mark lernte es einfach nicht.

Er brauchte es gar nicht erst versuchen, sich mit Angie zu messen.

Er würde immer den Kürzeren ziehen. Trotzdem aber versuchte er immer wieder mit halbgaren Bemerkungen, Angie ihre Schwachstellen aufzuzeigen.

„Und wo ist dein Herz?“

„In meiner Brust!“, versicherte er ihr.

„Warum nicht in Emmas Hand?“

„Apropos.“ Mark plötzlich lachte, der, als habe er nur auf solch ein Stichwort gewartet, einen silbern glänzenden Löffel aus der Hosentasche zog, um ihn dann mit einem schallenden, lauten Echo gegen das Glas zu schlagen.

Die Gespräche, die eben noch geführt worden waren, verstummten.

Die Musik, als wäre es abgesprochen, die eben noch mit ihren sanften Klängen den Saal erfüllt hatte, und der Atmosphäre, in der sie alle schwelgten, unterstrich, verstummte mit einem leisen, letzten Violinenklang.

Emma, die verwirrt zu Mark schaute, bekam es plötzlich mit der Angst zu tun, weil er sich im selben Moment neben sie stellte und ihre Hand nahm, was er sonst nur ausgesprochen selten tat.

Bisher hatte sie in solch einer Situation nie selbst gesteckt.

Sie hatte darüber geschrieben, gelesen und Dutzende Filme gesehen.

Jetzt aber hier zu stehen, von den bewundernden Blicken der anwesenden Menschen bedacht, spürte sie, dass sich etwas um sie herum ereignete, wovon sie schon immer geträumt hatte.

Was du schon einmal geträumt hast, verbesserte sie sich automatisch, und bekam krampfhafte Bauchschmerzen, die sie glauben ließen, hier und jetzt auf die Toilette gehen zu müssen.

„Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit“, rief Mark, der Emmas Hand nun so fest hielt, als wollte er verhindern, dass sie weglief und ihn vor den ganzen Leuten allein stehen ließ. „Wie sie wissen, ist Emma nicht nur meine erfolgreichste Autorin, die ich betreue. Nein, ich habe auch das ausgesprochene Glück, sie an meiner Seite zu wissen. Sie inspiriert mich nicht nur dazu, in meiner Agentur das eine oder andere Novum auszuprobieren. Sie schafft es auch mit Leichtigkeit, mir jeden Tag wieder vor Augen zu führen, was für ein Glückspilz ich bin.

Und weil ich eben mein Glück ungerne ungeschmiedet lasse, so will ich dich fragen …“ Nun drehte er sich vor sie, ging langsam in die Knie und genoss sichtlich die von Romantik durchfluteten Seufzer der umstehenden Damen und Herren, und fragte sie die eine Frage, mit der Emma niemals gerechnet hatte, sie einmal hören zu können. „Willst du mich heiraten und meine Frau werden, Emma?“

Was sollte sie sagen?

Wie sich verhalten?

Sie hatte gerade jetzt erst in „Wasserherz“, ihrem neuesten Roman, über genau diesen Zwiespalt geschrieben. Hatte sich intensiv damit auseinandergesetzt und sich gefragt, was die Frage in einem Menschen bewirkte. Was sie in einem auslöste und wie sie einen positiv beflügelte und – negativ betrachtet – an einen Menschen kettete.

Und wie in ihrem Roman, so war sie auch wie ihre Protagonistin hin- und hergerissen auf der Welle des Glücks und des Zweifels.

Nur mit dem klitzekleinen Unterschied, dass sie hier keine Bühne hatte, um weglaufen zu können, und sich ins Abenteuer ihres Lebens zu stürzen. Nein, sie stand hier, umgeben von Literaturkritikern, von der Innensenatorin von Hamburg, vielen Menschen aus der Verlagsbranche und eben einer Freundin, die mit offenem Mund dastand und nicht glauben konnte, was sie da eben gehört hatte. Sie schaute zu Mark, und warf dann Angie einen verwirrten Blick zu, der das ganze Chaos ihrer Gefühle in sich trug.

Da war die Angst, dass Emma eine falsche Entscheidung treffen konnte – mal wieder.

Ein Schuss Hoffnungslosigkeit, dass Emma sich an den falschen Mann binden konnte, der auf sie wirkte wie ein Aal, der versuchte, sich den zupackenden Händen des Anglers zu entziehen. So hatte sie es einmal ausgedrückt, als Angie und sie zusammen einen Kaffee in der Mönckeberg Straße getrunken hatten, um die ersten, zögerlich hinter den dichten Wolken versteckten Frühlingstrahlen zu genießen, die sich beinahe scheu zeigten und auf ihre Haut gelegt hatten.

Sie spürte, wie ihr Hals trocken wurde und es tat ihr noch mehr weh, als ihr bewusst wurde, dass ihr Vater sich ganz in ihrer Nähe aufhielt, und sie mit weit aufgerissenen Augen anstarrte und ebenso wenig wie sie zu wissen schien, wie er sich verhalten sollte.

Sie sah ihn da stehen, unbeholfen und allein, nur er und seine eiskalt gekühlte Bierflasche in der Hand, und in seinem Gesicht einen entsetzten Ausdruck, der so viel auszusagen schien wie: „Du bist verrückt, wenn du dich darauf einlässt. Das weißt du. Hast du denn schon vergessen, was nach fünfunddreißig Jahren Beziehung zwischen deiner Mutter und mir passiert ist?“

Andererseits konnte man seinen Gesichtsausdruck auch so interpretieren, dass er geschockt, aber glücklich darüber war, was er hier zu sehen und zu hören bekam. So verrückt und paradox es auch klang, Emma meinte plötzlich, so etwas wie ein liebevolles Schmunzeln in seinem Mundwinkel zu erkennen, das ihr alles Glück der Welt schenken wollte.

Weshalb sie mit einem unsicheren Blick in Marks wissendes Gesicht blickte, der keine andere Antwort als ein beherztes und vor Berührung zitterndes „Ja!“ akzeptieren würde.

„Sag was“, wisperte Angie ihr entgegen, weil sie nicht wollte, dass das nun schon viel zu lange anhaltende Schweigen noch mehr in die Länge gezogen wurde und nicht deshalb, weil sie wie Mark Emmas „Ja“ hören wollte.

„Los!“

Mark lächelte noch immer.

„Ich will“, flüsterte Emma und ließ sich den plötzlich in der Hand Marks befindenden Ring auf den Finger stecken.

Applaus brandete auf.

„Hat man so etwas schon gesehen?“, hörte sie jemanden rufen, während eine nahe stehende Frau nach der Hand ihres Mannes gegriffen hatte, und flüsterte: „Ist das nicht schön?“

Und in all dem Jubel und Klatschen, den Hochrufen und warmen Worten bekamen Emmas vorhin gedachte Worte: Es sei denn, du beziehst den Spruch gar nicht auf das Schreiben, Emma, sondern auf … einen völlig anderen Klang.

Sie waren nicht mehr auf das Hier und Jetzt bezogen.

Hatten gar nichts mehr mit ihrem Bestseller „Wasserherz“ zu tun oder der bevorstehenden Verfilmung.

Nein, sie gruben sich in die Vergangenheit.

Gut siebzehn Jahre zurück, und ließen sie erschreckt denken: Du bist noch immer verheiratet …

***

Der Abend war … gelinde gesagt … eine Katastrophe gewesen.

Nicht, weil Emma mit einem Preis über zehntausend Euro ausgezeichnet worden war, Oller bekannt gegeben hatte, dass die Verträge für den Film, der nach dem gleichnamigen Bestseller „Wasserherz“ Ende nächsten Jahres in die Kinos kommen sollte, unter Dach und Fach waren, sondern deshalb, weil Emmas Vergangenheit sie eingeholt hatte wie ein hundert-Meter-Sprinter.

Sie hatte noch seine Schritte gehört, um metaphorisch zu bleiben, um ihn dann auch zu spüren, wie er an ihr vorbeizog und sie durch seinen Schwung beinahe von den Füßen riss.

Natürlich hatte sie „Ja“ gesagt, hatte die Glückwünsche ebenso entgegengenommen wie die Umarmungen. Sie hatte sich medienwirksam positioniert, hatte sich von den anwesenden Journalisten ablichten und es sich nicht nehmen lassen, in jede Kamera zu blicken und zu erzählen, wie glücklich sie war.

Innerlich aber, von aller Welt verborgen, von niemandem gesehen – abgesehen von Angie vielleicht –, hatte das reinste Chaos getobt.

Du bist verheiratet, verdammt. Du hast damals still und heimlich geheiratet und es niemandem gesagt. Niemandem … nur der befreundete Standesbeamte von Michael und der alte Pastor wussten davon.

Die und …

… Michael …

Emma, die eiligst die Tür des Taxis zuschlug, das sie auf Kosten der Gala nach Hause gefahren hatte, stolperte mehr, als dass sie ging, dem Eingang entgegen, der über sechs schmale Steinstufen zu erreichen war. Kleine Löwen, die die Treppe einfassende Mauer zierten, begrüßten sie mit weit aufgerissenem Maul, und die schlecht gemachten und vom Zahn der Zeit unendlich vielen Regengüsse und steif vom Westen wehenden Winden glatt polierten Statuen erinnerten sie einmal mehr daran, wie albern Menschen sein konnten.

Nicht nur, dass jemand auf die Idee gekommen war, irgendwo im nirgendwo Löwenskulpturen aufstellen zu lassen, die einen Bewohner begrüßten, nein, er war auch noch so dreist gewesen und hatte sie so klein anfertigen lassen, dass sie einem nicht einmal bis zur Hüfte gereicht hätten, wenn sie nicht auf einem Sockel säßen.

Dem ganzen albernen Flair setzte die aus billigem Metall gefertigte Haustür die Krone auf. Der Hauswart hatte sie in einer dunkelroten Folie bekleben lassen, die wirken sollte wie viele der Haustüren Londons, die in den angeseheneren Stadteilen lagen.

Hier aber, am Stadtrand von Hamburg, wo man schneller in Niedersachen war als in der Innenstadt, wirkte es alles andere als modern oder gar vornehm.

Trotzdem aber wohnte Emma hier gerne im Haus.

Denn hatte man die Peinlichkeit der Löwen und der Tür passiert, kam man in ein gemütliches, in dezentem Gelb gehaltenes Treppenhaus, das einen glauben ließ, in die Fünfziger zurückversetzt worden zu sein. Man atmete regelrecht das Flair des Aufbruches in eine neue Zeit. Es war, als strebte alles hier den noch bevorstehenden Erfolgen entgegen.

So war die leicht gewundene Treppe, die in den ersten Stock führte, von einem hölzernen Geländer gesichert, dessen einzelne Streben in kunsthandwerklicher Vollendung gefertigt worden waren. Mal sah man eine Strebe in Form eines Mannes, der aussah wie Atlas, der die Welt auf den Schultern trug, um dann daneben eine junge Frau zu erblicken, die einen Krug auf dem Kopf balancierte und geradewegs hinaufzuschreiten schien zu den oben gelegenen Wohnungen.

Emma verharrte gerne im Treppenhaus und genoss den Anblick des Geländers, der altmodischen, fein verzierten Briefkästen und freute sich darüber, wenn ihr Blick geradeaus auf die Tür fiel, die in den Hinterhof in den Garten führte.

Jetzt aber, wo ihr das Blut in den Ohren rauschte, ihre Gedanken sich unablässig drehten und sie sich kummervoll fragte, ob sie die verfluchte Heiratsurkunde von damals noch besaß, sah sie die ganzen Schönheiten der Handwerkskunst nicht.

Sie eilte die Treppenstufen hinauf, immer zwei auf einmal nehmend.

Als die Tür aufgezogen wurde, und die alte Frau Milko ihren Kopf hinausstreckte und sie mit den Worten begrüßte: „Na, Kindchen, wie ist der Abend gelaufen?“, scherte sie sich nicht darum, dass sie unhöflich war und schroff antwortete: „Wie soll er schon gewesen sein? Wie immer!“

Dabei mochte sie die alte Dame gerne.

Sie liebte es, mit ihr zusammenzusitzen, etwas zu klönen und zu schnacken, dabei einen Tee zu trinken und sich vorzustellen, wie Frau Milko damals als junge Frau wohl gewesen war. Wie sie das Leben sah und wie sie es heute wahrnahm.

Jetzt aber, wo Emmas ganzes Leben plötzlich kopfzustehen schien, eilte sie nur an der alten Dame vorbei, erreichte ihre Wohnung und fluchte leise, als ihr der Türschlüssel aus der Hand rutschte und klimpernd zu Boden fiel.

Erst beim zweiten Zugreifen hielt sie ihn zwischen den zitternden Fingern und schaffte es nicht, ihn ins Schloss zu schieben.

Emma musste die Augen schließen, tief ein- und ausatmen und sich selbst zur Ruhe rufen, bevor es ihr gelang, den Schlüssel langsam und konzentriert in das Loch zu stecken, ihn herumzudrehen und die Tür dann zu öffnen.

Ohne sich in dem vor ihr liegenden Wohnungsflur umzusehen, eilte sie in das sich geräumig erstreckende Wohnzimmer, das in drei Bereiche unterteilt war. Da war das wuchtige Sofa, das hin zum Fernseher – den sie so gut wie nie anschaltete, weil das Programm sie unglaublich anödete – ausgerichtet war, und vor dem der Tisch stand, auf dem sie eine Obstschale platziert hatte sowie die heute Mittag nicht weggeräumten Gläser, aus denen sie mit Angie getrunken hatte.

Der weite Bereich war der mit dem Esszimmertisch, der mit einem in der Mitte entlanglaufenden rötlich schimmernden Tischläufer dekoriert war, auf dem wiederum zwei langstielige Kerzen in einem Kerzenständer standen und bis zur Hälfte niedergebrannt waren. Die an den Wänden hängenden Bilder waren allesamt von scharf sich abgrenzenden Strichen durchzogen, sodass man das Gefühl von Kälte, die jeden befiel, wenn man die Motive betrachtete, nicht abstreifen konnte.

Dazu war der Rest, bis auf das rote Band inmitten des Tisches, in kalt-chromigen Farben gehalten und erzeugte kaum das Gefühl von Gemütlichkeit.

Das alles hatte Emma noch nie interessiert.

So fühle sie sich wohl.

Alles wohlgeordnet. Alles an seinem Platz.

Selbst ihr Arbeitsplatz, der unter dem Fenster stehende Schreibtisch, auf dem ihr Laptop ordentlich zugeklappt lag, wies keinerlei Spur von Unordnung auf. Ihre Notizzettel lagen fein säuberlich sortiert neben dem Laptop, während der Behälter für die Stifte nur gleich lange Kugelschreiber beherbergte.

Das Regal, das neben dem Schreibtisch stand und in dem die sorgsam beschrifteten Ordner Platz fanden, hatte sie sich erst kürzlich liefern lassen, da das alte ihr zu marode geworden war. Oder, besser gesagt, es hatte gewackelt und sie hatte es nicht geschafft, den Grund dafür zu finden, um es wieder zu stabilisieren.

Und einen Papierschnipsel zu nehmen, ihn unter den Fuß zu schieben, damit es wieder sicher stand, kam für Emma Sommer nicht infrage.

So zog sie ihre Schuhe aus, schob sie in den freien Platz im Regal und schlüpfte hastig in die bereitstehenden Hauspuschen. Sie eilte zurück und ließ ihre schwarze von Perlmutt besetzte Handtasche gedankenverloren von der Schulter rutschen, und ging vor den Ordnern in die Knie. Mit über ihre Lippen wehendem, beinahe wie ein Pfeifen klingendem Atem fuhr ihr Finger über die Rückseiten der Ordnerbeschriftungen und verharrte dann an einem, auf den sie vor unendlich langer Zeit, wie es schien, mit Füller draufgeschrieben hatte „Dokumente, 1999“. Längst war die Farbe der Tinte verblasst und nur noch schwer lesbar. Ganz anders, als es sonst ihre Art gewesen war, hatte sie hier die Schrift nicht nachgezogen.

Beinahe so, als hoffte sie, dass die Erinnerung an damals in ihrem Kopf im gleichen Maße wie die Schrift verblasste.

Und während sie mit fliegenden Fingern durch die Dokumente blätterte, Zeugnisse umschlug, die Zusage zu ihrem Freiwilligen Sozialen Jahr weiterschob, begann sie, unruhig zu werden, weil der sowieso schon nur mager bestückte Ordner seinen Inhalt mehr und mehr lüftete und das gesuchte Dokument nicht zutage förderte. Dazu kam, dass es plötzlich und unerwartet an der Haustür klingelte.

„Nicht jetzt, Frau Milko“, flüsterte sie, und erhob sich nur widerwillig von ihrem Platz, als die Klingel erneut schrillte.

Mit eiligen Schritten ging sie zur Haustür, schaute durch den Spion und hatte schon die Worte: „Ich klingel morgen bei Ihnen“, auf der Zunge, als sie sah, dass gar keine Frau Milko vor der Tür stand.

Da war niemand.

Verwirrt bediente sie den Summer.

Wer konnte jetzt noch zu ihr kommen wollen?

Angie, der sie vorhin vor dem Rathauskeller Auf Wiedersehen gesagt hatte, war nicht der Typ dafür, einfach vor ihrer Haustür zu stehen. Auch wenn sie beide sich in- und auswendig kannten, so hatte die explosive Spontaneität, die Angie sonst immer ausstrahlte, zwischen ihnen beiden nie wirklich existiert. Sie waren eher in einem ruhigen, ausgeglichen freundschaftlichem Verhältnis aufeinander eingespielt.

Natürlich, es gab zwischen ihnen auch den einen oder anderen Moment der Spontaneität, der dann aber eher via „WhatsApp“ oder „Facebook“ stattfand, wenn sie miteinander chatteten. Manchmal, was in letzter Zeit auch immer seltener geworden war, hatten sie beide ihre Flexibilität, was das Leben im Allgemeinen betraf, auch übers Telefon geklärt.

Deshalb blieb sie, verwundert wie sie war, an der Haustür stehen, und trat nervös von einem Fuß auf den anderen, weil sie weiter in ihren Ordnern nachschauen wollte, ob die Urkunde, die von Michaels damals organisiertem Standesbeamten ausgefüllt worden war, sich hier irgendwo finden ließ.

Oder habe ich sie damals auch weggeworfen?, fragte sie sich in einem Anflug eines heißen Schreckens, als sie an den Moment dachte, als sie sich dazu entschloss, ihre Zelte abzubrechen und ein neues, ein unbeschwertes und von soliden Strukturen entferntes Leben zu führen.

Hatte sie?

Emma wusste es nicht!

Alles war damals so emotional gewesen. So überstürzend und nervenzerreibend, dass sie sich zwar an die Tränen, den Schmerz und die innere Leere erinnern konnte, die sie erfüllt hatte, als sie die ihr einst so ans Herz gewachsenen Dinge in die Mülltonne geschüttet hatte. Aber ob eben genau das dabei gewesen war, was sie suchte, wusste sie nicht.

Und so kreisten ihre Gedanken und erfassten die auf der Treppe erklingenden Schritte nur halbherzig.

Erst als sie den dunklen Haarschopf von Mark erkannte, der sich die letzte Treppenwindung hinaufschob, kehrte sie aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurück, und stieß ein verwundertes: „Du?“, aus.

„Wer denn sonst?“, wollte er wissen, eine Flasche Tankstellensekt in der Hand, und zwei sauber gespülte Gläser in der anderen, die er von der Gala mitgenommen haben musste. „Hast du jemand anderes erwartet?“

„Nein!“, meinte sie und traute sich nicht zu sagen: „Ich hatte eigentlich gehofft, dass mich heute niemand mehr stört.“

„Dann störe ich auch nicht“, stellte Mark fest und blieb vor der Haustür stehen, die Sektflasche triumphierend in die Höhe haltend. „Lässt du mich rein?“

„Äh …“

„Nicht?“

„Doch, doch.“ Sie nickte eifrig, machte die Tür frei, und wunderte sich darüber, dass sie den ganzen Abend keinen wirklichen Gedanken an ihre wegweisende Entscheidung verloren hatte, sich mit Mark verlobt zu haben.

Gerade jetzt, wo er vor der Tür ihrer Wohnung stand, wurde es ihr schmerzlich bewusst, wie nahe, oder besser, fremd sie sich immer gewesen waren. Beinahe so, als konnten beide die Nähe des anderen tagein und tagaus nicht ertragen.

Wir arbeiten beide viel, sagte sie sich selbst und schüttelte den Kopf. Da ist es besser, wenn man seine Ruhe hat und sich nur dann und wann einmal trifft, um die Stunden, die man dann gemeinsam hat, zu genießen.

„Du warst so schnell weg“, meinte Mark, als er sich an ihr vorbeizwängte und gleich in das dreigeteilte Wohnzimmer ging. „Ich konnte mich gar nicht richtig von dir verabschieden, und fotografieren lassen konnte ich mich auch nicht mehr mit dir.“

Emma sagte nichts dazu.

Sie starrte Mark an, und wusste nicht, ob der Tadel, der in seiner Stimme mitschwang, ihrem Verschwinden im Allgemeinen galt, oder der Tatsache, dass sie für weitere Pressefotos nicht zur Verfügung gestanden hatte. Sie war der Meinung, und von der wich sie auch nicht ab, dass die Zeitungen und Magazine genug Fotos von ihr, ihrem Vater und Mark gemacht hatten.

Ihr taten jetzt noch die Augen von den ganzen aufblitzenden Lichtern weh, und sie meinte, die grellen Fotoblitze noch immer zu sehen, wenn sie kurz innehielt und innerlich zur Ruhe kam. Einem Gewitter gleich, wenn man so wollte, das sich mitten im Sommer über einem zusammenbraute und es blitzen und donnern ließ. Nur mit dem Unterschied, dass ein warmer Regenschauer im Sommer angenehm war, während die Tortur, die sie heute Abend durchzustehen gehabt hatte, eher wie ein überraschender Kälteeinbruch gewirkt hatte.

Ihr wuchs alles über den Kopf.

Alles.

Sie wollte keinen Sekt trinken. Nicht noch einmal anstoßen, um dann, worauf es auf jeden Fall hinauslaufen würde, mit Mark ins Bett gehen zu müssen.

Natürlich, sie mochte es, von ihm verwöhnt zu werden. Wenn seine immer warmen Hände ihr über den Rücken strichen, sie massierten und liebkosten, während seine Lippen sanft an ihrem Ohrläppchen zupften und sie merkte, wie die Lust sich mehr und mehr in ihr steigerte, und sie es kaum noch ertragen konnte, nicht von ihm genommen zu werden.

Jetzt aber, wo ihr ganzes Leben kopfstand, war ihr weder nach körperlicher Entspannung noch nach einem Schluck Alkohol, der ihre Gefühle betäuben würde.

„Weißt du“, begann sie, die Hand an die Schläfe gelegt, „eigentlich habe ich jetzt gerade nicht so …“

„Da!“, meinte Mark, ohne auf sie einzugehen und ihr sein Gehör zu leihen, hielt ihr das Glas unter die Nase, in dem der Sekt schwamm und verführerisch perlte. „Trink. Das hilft immer.“

„Mark …“

„Auf uns!“, meinte er, stieß auf sie beide an, nippte dann an seinem Glas, und nahm mit zusammengezogenen Augenbrauen wahr, dass Emma mit ihrem Sekt nicht dasselbe tat.

„Nicht auf uns?“, wollte er enttäuscht wissen.

„Doch, doch. Auf uns“, sagte Emma hastig und kippte das halbe Glas in sich hinein.

Das erschütternde Gefühl der Empathie, das sie immer wieder heimsuchte und sie vor schwere Aufgaben stellte, holte sie auch jetzt ein und ließ sie sich in Marks Situation versetzen.

Sie war sich sicher, dass sie in ihm lesen konnte wie in einem Buch und jeden einzelnen Buchstaben, den er gerade aufs Papier schrieb, ohne Umschweife entziffern konnte. Sie las seine Freude über den Deal mit dem Fernsehen, den Stolz über die Anerkennung seiner zukünftigen Frau und die Verlobung mit ihr.

In ihm musste es zugehen wie in einem Taubenschlag, nur mit der bitteren Erkenntnis, dass die Taube den Liebesbrief, den er erwartete, nicht in den Schlag mitbrachte. Dass er vergebens auf das wartete, worauf er so sehnsuchtsvoll hoffte.

„Ich liebe dich“, brachte sie schuldbewusst hervor, und ließ sich von Mark, der sein Glas ohne Untersetzer auf dem Tisch abstellte, in den Arm nehmen und fest an sich drücken.

Er lächelte.

Genau so, wie sie es liebte. So wie damals in der Agentur, als er sich vor sie hingesetzt, und sie das erste Mal so richtig wahrgenommen hatte. Sie als Frau und nicht als Klientin sah. Es war, als würden sie wieder sechs Jahre in die Vergangenheit reisen, und sich in dem heimlich eingerichteten Konferenzraum befinden, in dem die beiden die große Panoramascheibe flankierenden Farne das einfallende Sonnenlicht ein wenig dämpften, und der Geruch eines auf einem Schränkchen stehenden Duftwässerchens sich noch verstärkte.

Sie war wieder ganz klein, ganz unbekannt, von der Hoffnung beseelt, einmal eine erfolgreiche Autorin zu werden, die es schaffte, ihre Leser zu begeistern und von ihrer Arbeit leben konnte.

„Das ist schön!“

„Finde ich auch.“

„Wollen wir ins Schlafzimmer?“

„Weißt du …“, wollte sie gerade beginnen zu sagen, als sie wieder dieses unangenehme, dass ihren Magen ausfüllende Reißen spürte, das sie immer dann bekam, wenn sich eine Art Erkenntnis in ihr ausbreitete. Eine neue Perspektive, wenn man so wollte, die sich vor ihr eröffnete, und ihr mitteilte, dass sie das, was von ihr hier und jetzt verlangt wurde, nicht bringen konnte.

Sie hatte wirklich und ehrlich mit dem Gedanken gespielt, Mark zu sagen, dass sie noch verheiratet war. Dass sie ihrem Jugendschwarm von der Gesamtschule damals das Ja-Wort gegeben hatte und sie diese Hochzeit nie hatte annullieren lassen. Obwohl sie es immer vorgehabt hatte.

Wirklich, das hatte sie.

Irgendwann einmal. Am besten dann, wenn die Wohnungssuche beendet, der Umzug vonstattengegangen und die Arbeitssuche beendet war.

Dazu, und das war das Wichtigste, hatte sie noch schreiben müssen.

Ihre Ideen waren nach ihrer Befreiung in ihr hochgesprudelt wie in einem Geysir auf Island.

Sie hatte Michael und die damalige Hochzeit schlicht und einfach im Eifer des Gefechts vergessen.

So merkwürdig es auch klang.

Die Wahrheit, die ihr auf der Zunge lag, die sie Mark unbedingt sagen wollte, verschwand ebenso schnell, wie sie gekommen war.

Die Angst davor, sie könnte durch ihr Geständnis irgendetwas kaputt machen, hinderte sie daran, den letzten, den entscheidenden Schritt auf ihn zuzumachen und mit offenen Karten zu spielen.

Aber allein der Gedanke daran, dass sie dadurch auf einen ausgeweiteten Skandal zuschippern würde, ließ sie zögern und sich von Mark, der angefangen hatte, ihren Hals zu küssen, sanft wegzudrücken.

„Es geht gerade nicht.“

„Wenn du deine Tage hast, können wir auch anders …“

„Ich habe meine Tage nicht“, sagte sie mit einem inneren Gefühl der Verwirrung.

„Dann können wir.“

„Nein.“

„Ich glaube, hier will jemand verführt werden.“ Er lächelte sie an, und fuhr mit seinem Zeigefinger über ihre halb geöffneten Lippen, hin zu ihrem Kinn, um dann ein warmes, ein prickelndes Gefühl des Wohlwollens in ihr auszulösen, als er von ihrem Hals über ihr Brustbein hin zu den noch immer vom Kleid verdeckten Brüsten glitt.

Sie merkte, wie die Lust in ihr wuchs, und dass sie es schön finden würde, mit ihm zu schlafen.

Aber das in ihrem Hinterkopf unaufhörlich pochende Gefühl der Hektik ließ sie nicht fallen. Sie konnte es nicht und war gleichzeitig froh darüber, dass sie sein begonnenes Liebesspiel nicht beenden musste.

Marks Handy klingelte …

… um diese Zeit!

Verwundert darüber, dass er gleich darauf in seine Hosentasche griff, einen Schritt von ihr wegmachte, und die Verbindung herstellte, blinzelte sie verwirrt.

„Hey!“, meldete er sich, hob den Zeigefinger, um seiner Verlobten zu zeigen, dass er gleich bei ihr war, und ging dann wie selbstverständlich aus dem Wohnzimmer heraus, ins Schlafzimmer, um die Tür hinter sich zu schließen.

Emma blieb einige Sekunden entrüstet inmitten des Raumes stehen, und zuckte mit den Schultern.

Hatte sie eben mehr Zeit, die verfluchte Heiratsurkunde zu finden …

***

„Ich weiß nicht, ob das die beste Idee ist, die du jemals hattest“, brachte Angie ihre Gefühle – wie immer – gleich auf den Punkt. Ohne Umschweife. Schonungslos. So, wie sie nun einmal war.

Emma, die damit gerechnet hatte, dass ihre Freundin mit ihrer Meinung nicht hinter dem Berg halten würde, genehmigte sich ein Lächeln, auch wenn Angie das nicht sehen konnte. „Anders geht es nicht.“

„Wie wäre es, wenn du deinen Anwalt eingeschaltet hättest?“

Die Stimme Angies klang plötzlich verzerrt, so leise, als würde die Telefonverbindung abbrechen. Weshalb Emma vom Gaspedal herunterging, und ihre bereits halsbrecherische Fahrt ein wenig drosselte.

„Damit Michael etwas gegen mich in der Hand hat, um gleich zur Presse zu gehen?“

„Meinst du nicht, dass er Zeitung liest?“

„Hat er nie.“ Emma winkte in Gedanken ab, die ungewollt an die Zeit zurückdenken musste, als sie noch mit Michael zusammengelebt und sich immer darüber gewundert hatte, dass er sich so für gar nichts interessierte. Abgesehen von seiner Idee, einmal eine Surfschule zu besitzen und ein eigenes kleines Boot, mit dem er Touristen hinaus auf das Meer schippern konnte, um ihnen die Schönheiten der Nordsee zu zeigen.

Was für eine Idee …

Schon damals hatte sie sie lächerlich gefunden.

Die Konkurrenz war viel zu groß, und es gab kaum jemanden, der darauf wartete, dass ein junger Mann, dessen Kopf in den Wolken steckte, mit solch einer Idee um die Ecke kam.

So wie bei dir, meldete sich eine Stimme in ihr, die sie auf unangenehme Art und Weise an die ihrer Mutter erinnerte.

Mit einem so ekelhaft wissenden oder, besser gesagt, belehrenden Unterton in der Stimme, der Emma schon immer zuwider gewesen war.

Und doch …

… die vier Worte brachten in Emma etwas in Bewegung, das sie mit aller Vehemenz versuchte abzuwehren.

Ihre Stärke war es noch nie gewesen, einen Fehler schnell und umfassend einzugestehen. Was dazu führte, dass sie eine einmal getroffene Entscheidung mit aller ihr zur Verfügung stehenden Kraft zu verteidigen versuchte.

So auch die Trennung von Michael.

Sie konnte es sich nicht erlauben, nicht hier und nicht jetzt, an ihrer Kompromisslosigkeit zu zweifeln.

Damals hatte sie die richtige Entscheidung getroffen!

Sie war richtig gewesen.

Besonders deshalb, weil sie Michael nicht mehr ertragen hatte.

Sein ganzes Tun, sein ganzes Handeln hatte sie von Tag zu Tag frustriert und dazu geführt, dass sie sich in seiner Nähe nicht mehr wohlfühlen konnte. Dass sie anstatt Liebe eine in ihr aufschäumende Wut verspürte, die dazu geführt hätte – hätte sie nicht vorher die Reißleine gezogen –, ihm etwas anzutun. Ein Schlag ins Gesicht wäre da noch das Geringste gewesen. Ein Tritt zwischen die Beine hingegen ein Engelschor.

Es war zu seinem Schutz gewesen.

Und zu meinem, fügte sie gedanklich noch hinzu, und setzte den Blinker, um einen immer schneller auf sie zukommenden Lkw links zu überholen. Wäre ich nicht weggegangen, wäre ich zu Hause wohnen geblieben. Ich hätte begonnen, im Kreiskrankenhaus zu arbeiten und wäre heute so frustriert, wie es meine Mutter ist. Nein … Es war das Beste, was ich machen konnte.

Das einzig Richtige.

Was sie Angie auch sagte. Nur mit dem Unterschied, dass sie nicht ihre Vergangenheit damit meinte, sondern ihre Entscheidung, die sie getroffen hatte, um die Sache selbst in die Hand zu nehmen, nachdem sie die Heiratsurkunde nicht gefunden hatte.

„Es sind fast zwanzig Jahre vergangen, da ändern sich Menschen“, zerschoss Angie Emmas Theorie davon, dass Michael noch heute keine Zeitung lesen würde.

„Nicht in Eckenförde.“

Angie musste lachen: „Was ist das denn für ein blöder Spruch?“

„Du weißt, wie es hier zugeht“, meinte Emma und hörte ein seufzendes Schnaufen ihrer besten Freundin.

„Wir waren so lange nicht mehr da“, versuchte Angie noch einmal, an Emmas Vernunft zu appellieren. Was Emma auch niedlich, ja, richtig toll fand. So kannte sie ihre beste Freundin. Immer auf den Punkt fokussiert. Das Glück Emmas vor Augen. Jetzt aber, wo Emma diese zielführende Zuneigung ganz und gar nicht gebrauchen konnte, wehrte sie Angies Einwand mit einem entscheidenden: „Niemand ändert sich in Eckenförde“, ab, und fügte daraufhin gleich hinzu: „Der alte Kasper hat jahrelang darüber schwadroniert, wie schrecklich es war, dass die alte Windmühle abgestellt worden ist. Angie, die war schon abgestellt, als ich zur Welt kam. Und er hat noch immer darüber geklagt, als ich dreizehn wurde.“

Angie schwieg.

Treffer! Versenkt!, dachte Emma zufrieden bei sich, und scherte dann wieder rechts ein, als ein noch schnellerer Autofahrer in ihrem Rückspiegel erschien und ihr mit seiner Lichthupe deutlich machte, dass sie die Fahrbahn frei machen sollte.

„Kasper war damals schon beinahe achtzig“, ließ Angie sich nicht abwimmeln, und brachte Emma dazu, genervt auszuatmen. „Natürlich hat er sich darüber aufgeregt. Er hat sein ganzes Leben lang sein Getreide zu der Mühle gebracht oder war mit dem Müller befreundet. Er war fast achtzig, Emma“, wiederholte sie, und schaffte es doch nicht, ihre beste Freundin davon zu überzeugen, ihre einmal vorgefertigte Meinung abzulegen und noch einmal zu überdenken.

„Ich werde Michael finden, ihn zu einem Anwalt schleppen und ihn dazu zwingen, die Scheidungspapiere zu unterschreiben.“

„Du weißt doch gar nicht, wo er jetzt wohnt.“

„Dafür habe ich ja dich.“

Angie lachte: „Wir Journalisten recherchieren, das stimmt. Aber wir Journalisten haben auch unser Fachgebiet und kommen nicht an alle Daten ran, wie du es dir vielleicht vorstellen magst.“

„Wo wohnt er?“

„In Eckenförde. Mehr habe ich über ihn nicht in Erfahrung bringen können.“

„Siehst du. Er hat Eckenförde nie verlassen. Hat seinen Wohnsitz nie gewechselt und liegt irgendwem noch immer auf der Tasche, und träumt davon, ein bedeutender Tourismusmagnat zu werden!“

All die Bitterkeit, die in ihren Worten mitschwang, hatte sich im Laufe der zurückliegenden Jahre gesammelt und nur darauf gewartet, ausgesprochen zu werden. Beinahe so wie eine Magmakammer bei einem Vulkan. Irgendwann, wenn der Druck zu groß wurde, die Eruptionen der Erde mehr und mehr zunahmen, sackte die Kammer einfach in sich zusammen und entließ einen Strahl heißer, in den Himmel schießender Lava, die dann wiederum Bimsstein und heiße Luft vor sich her trug, die dann verheerend und vernichtend auf die am Hang des Vulkan lebenden Menschen herabregnete, sie unter sich begrub und vernichtete.

So dramatisch, wie sie sich ihre Worte hier ausmalte, waren sie nur bedingt, das wusste sie.

Aber sie trugen so viel Frustration in sich, dass Emma gar nicht anders konnte, als sie so auszuspucken, wie sie es tat.

„Du weißt, was du tust.“

„Jetzt ja!“

„Damals auch.“

„Damals war ich dumm und naiv.“ Emma seufzte wieder, und versuchte, nicht daran zu denken, wie Michael ihr in dem einzigen Bistro Eckenfördes einen Antrag machte. Vor sich ein halb gefülltes Colaglas, den Teller mit Pommes gefüllt und von Ketchup verschmiert, während sie vor einem Salatteller gesessen hatte.

Nein, sie wollte die Szenerie nicht noch einmal erleben.

Nicht noch einmal ihr schnell pochendes Herz fühlen, wie es vor Aufregung schlug und ihr wirbelnde Gedanken durch den Kopf schossen, die sie glauben ließ, in dem Film „Die Schöne und das Biest“ zu stecken, als der Prinz seine wahren Gefühle für sie entdeckte und ihr versprach, immer für sie dazu sein.

Sie hatte sich selbst immer als Belle gesehen, hatte geglaubt, dass es irgendwo in der Ferne ein Schloss geben würde, auf dem sie nach einem langen Kampf endlich ihren Frieden und ihr Seelenheil finden würde.

Stattdessen hatte sie einen Jugendfreund gefunden, der ihr seine Liebe gestand, und sie aber mit seiner Art einengte.

Damals, als er ihre Hand ergriff, die Musik des gerade aktivierten, an der Wand hängenden Spielautomaten die ganze surreale Situation unterstrich und alles andere als romantisch wirkte, war sie der felsenfesten Überzeugung gewesen, es perfekt getroffen zu haben.

Es hatte sie nicht gestört.

Im Nachhinein, als sie zusammen hinunter an den Strand gegangen waren, und, wie verrückt von ihren Gefühlen überwältigt, bis zu den Knien durchs Wasser sprangen, sich küssten und neckten, hatte sich die erste Unsicherheit in sie eingeschlichen. Ein nur vages Unwohlsein, das sie nicht deuten konnte.