Schockverliebt - Nele Hansen - E-Book

Schockverliebt E-Book

Nele Hansen

0,0
2,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Manchmal ist die Liebe nur einen Schock entfernt

Als Holger sie zum ersten Mal sieht, ist er sofort hin und weg – absolut schockverliebt. Doch seine Erfahrungen sagen ihm, dass es egal ist, in welche Frau er sich verliebt. Sie verlassen ihn am Ende ja doch. Stück für Stück muss Holger über sich hinauswachsen, der Liebe eine Chance geben und neu vertrauen lernen.

Über booksnacks

Kennst du das auch? Die Straßenbahn kommt mal wieder nicht, du stehst gerade an oder sitzt im Wartezimmer und langweilst dich? Wie toll wäre es, da etwas Kurzweiliges lesen zu können. booksnacks liefert dir die Lösung: Knackige Kurzgeschichten für unterwegs und zuhause!

booksnacks – Jede Woche eine neue Story!

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 206

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Kurz vorab

Liebe Leserin, lieber Leser,

wie schön, dass du dich für diesen booksnack entschieden hast! Wir möchten dich auch gar nicht lange aufhalten, denn sicher hibbelst du der folgenden Kurzgeschichte schon voller Freude entgegen.

Vorab möchten wir aber ganz kurz die wichtigsten Merkmale einer Kurzgeschichte in Erinnerung rufen:

Der Name ist Programm: Alle Kurzgeschichten haben ein gemeinsames Hauptmerkmal. Sie sind kurz.Kurz und knapp sind auch die Handlung und die erzählte Zeit (Zeitsprünge sind eher selten).Ganz nach dem Motto »Einleitungen werden total überbewertet« fallen Kurzgeschichten meist sofort mit der Tür ins Haus.Das zweite Motto lautet »Wer braucht schon ein Happy End?« Also bereite dich auf einen offenen Schluss und/oder eine Pointe am Ende der Geschichte vor. Das Geheimnis dahinter: Kurzgeschichten sollen dich zum Nachdenken anregen.Versuch deine Neugier zu zügeln, denn auch für die Beschreibung der Charaktere und Handlungsorte gilt »in der Kürze liegt die Würze«.Die Aussage des Textes ist nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Hier bist DU gefragt, um zwischen den Zeilen zu lesen und deine persönliche Botschaft aus der Geschichte zu ziehen.

Jetzt bist du gewappnet für unseren literarischen Snack. Und findest du nicht auch, dass man diesen gleich noch mehr genießen kann, wenn man weiß was drin ist?

Viel Spaß beim Booksnacken wünscht dir

Dein booksnack-Team

Über dieses E-Book

Als Holger sie zum ersten Mal sieht, ist er sofort hin und weg – absolut schockverliebt. Doch seine Erfahrungen sagen ihm, dass es egal ist, in welche Frau er sich verliebt. Sie verlassen ihn am Ende ja doch. Stück für Stück muss Holger über sich hinauswachsen, der Liebe eine Chance geben und neu vertrauen lernen.

Impressum

Erstausgabe Juli 2021

Copyright © 2022 booksnacks, ein Imprint der dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH Made in Stuttgart with ♥ Alle Rechte vorbehalten

E-Book-ISBN: 978-3-96817-722-9 Hörbuch-ISBN: 978-3-96817-901-8

Covergestaltung: dp DIGITAL PUBLISHERS GmbH unter Verwendung eines Motivs von shutterstock.com: © Maria Bo Korrektorat: Daniela Pusch

Das Werk darf – auch teilweise – nur mit Genehmigung des Verlages wiedergegeben werden.

Sämtliche Personen und Ereignisse dieses Werks sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen, ob lebend oder tot, wären rein zufällig.

Abhängig vom verwendeten Lesegerät kann es zu unterschiedlichen Darstellungen des vom Verlag freigegebenen Textes kommen.

Unser booksnacks-Verlagsprogramm findest du hier

Website

Folge uns, um immer als Erste:r informiert zu sein

Newsletter

Facebook

Twitter

Schockverliebt

Teil 1

Auf dem Parkplatz

Die Gedanken brachen ab. Aus. Vorbei. Da waren plötzlich keine Sorgen mehr. Kein Kummer, keine Angst. Nichts mehr, das Holger irgendwie aus dem Konzept brachte. Da war nur noch sie.

Eben noch, als er seinen SUV auf den Rewe-Parkplatz gelenkt, er das vertraute „Tick“, „Tick“, „Tick“ des Blinkers gehört und sich dabei überlegt hatte, wie er noch verhindern sollte, dass der sicher geglaubte Auftrag ihm nicht doch noch durch die Finger rann, hätte er nie im Leben damit gerechnet, sich emotional so zu drehen.

Von zu Tode betrübt hin zu himmelhoch jauchzend erlöst.

Holger, der nie geglaubt hatte, dass es so etwas gibt, dass es so etwas geben könnte, spürte wie ihm heiß und kalt zugleich wurde. Dass sich in seinem Kopf ein Karussell zu drehen begann, das er, egal wie sehr er sich auch anstrengte, nicht zum Stehen brachte. Er merkte, während er hinter dem Lenkrad seines Wagens saß, die Hände noch immer an diesem, unter sich die angenehme, durch seine Jeans ziehende Wärme der Sitzheizung spürend, dass sein Herz schneller zu schlagen begann.

Unkontrolliert, wie es ganz und gar nicht seine Art war, war ihm das primitive, einfache, für ihn peinlich anhörende: „Ach, du Scheiße“, über die Lippen geschossen. Worte, wie er sie nur selten benutzte. Höchstens, und das auch nur dann, wenn er sich emotional darauf einlassen konnte, wenn sein Fußballverein mal wieder eine Niederlage in ungewohnt hoher Manier erlebte.

Jetzt aber, hier auf dem Parkplatz, wo seine Gedanken noch tonnenschwer gewesen waren und er sich ernsthaft gefragt hatte, ob das mit der damals gewählten Selbstständigkeit eine so gute Idee gewesen war, waren die Worte passend. Sie huschten ihm nicht nur durch den Kopf, waberten nicht durch jede einzelne Windung seines Gehirns. Sie waren gleich da. Sie lagen honigsüß auf seiner Zunge und unterstrichen das, was er da, in dem dämmrigen, nebelverhangenen Morgen, zu Gesicht bekam.

Die Worte strichen, so albern es auch klang, die um ihn herumliegende schummrige Dunkelheit beiseite.

Er blinzelte, schaute durch die freigekratzte Fensterscheibe, an der noch immer die Spuren schmelzenden Eises in Form von verschlungenen, schmalen, dreckigen Bahnen hinter sich herziehender Tropfenspuren zu sehen waren. Wieder schluckte er. Seine eben noch das Lenkrad umfassenden Hände lösten sich schwer. Er sackte, mit einem leisen Seufzer auf den Lippen, zurück in seinen Sitz und starrte aus der Fensterscheibe zu der einen Einkaufswagen vor sich herschiebenden Frau.

Sie, deren Gesicht von einer blütenweißen Maske bedeckt war – auf der nur im rechten unteren Bereich des Kinns ein von einem Filzstift kleines rotes Herz aufgemalt war – bewegte sich in einer angenehmen Eleganz, die Holger den Atem verschlug. Er konnte sich nicht sattsehen daran, wie ihre in braunen, abgesetzten Fellhandschuhen steckenden Händen die Lenkstange umfassten, sie sicheren Schrittes geradewegs auf den kleinen, quietschgrünen Peugeot zuging, der seinem SUV schräg gegenüberstand.

Er sah die blonden, bis zu den Schultern fallenden Haare, die unter der auf ihren zu den Handschuhen passenden Wollmütze hervorwallten und musste später, als sich in ihm alles beruhigt hatte, darüber schmunzeln, dass ihm aufgefallen war, dass diese echt waren. Ohne dass er sich jemals zuvor in seinem Leben mit Tönungen oder Färbungen beschäftigt hatte, wusste er, dass dieses weißlich schimmernde, ihm das Herz noch höherschlagen lassende Blond echt war.

So echt, wie die in ihrer Bluejeans gekleidete, eine weiße Daunenjacke tragende Frau da vor ihm.

Die, deren Gesicht er nicht sah, ihn auf eine sonderbare Art und Weise faszinierte, dass er es nicht schaffte, aus seinem Wagen zu steigen und sich seinerseits die ihn langsam nicht mehr störende, mit einem He-Man-Motiv bedruckte Maske vor Mund und Nase zu setzen. Jetzt wo er dasaß, hinausschaute, jeden Schritt der hochgewachsenen Frau in sich aufsog, wie ein in die Pubertät geratener Jugendlicher, den jeder ausgehende weibliche Reiz in höchstem Grade entzückte, kam er sich plötzlich albern vor.

Eine He-Man-Maske?

Wirklich?

Hatte er sich, als die Pandemie sich in langsamer und dann immer schnellerer, die Menschen überrollender Geschwindigkeit ausbreitete, ernsthaft dafür entschieden, sich einen Schutz zu besorgen, der mit dem Helden seiner Kindheit bedruckt war? Die einen schwertschwingenden, das Böse Eternias bekämpfenden Helden zeigte, von dem er noch heute, wo er längst zu der Schicht der gut gereiften Erwachsenen zählte, nicht genug bekam? Von dem er gerne noch mal die alten Comics las, wenn ihm die Arbeit Zeit dazu ließ, oder er in stillen, ruhigen, der Zufriedenheit nahen Momenten, die alte Cartoonserie schaute; und sich dann immer wunderte, wie albern die Dialoge und Handlungen waren, nur um dann zu denken: Dennoch faszinieren sie mich bis heute. Ich bekomme nicht genug davon, wenn He-Man sich auf Battle Cat schwingt, und ausreitet, um Castle Grayskull vor den Angriffen Skeletors zu schützen. Verdammt, Mann, noch heute hast du die alten Hörspiele als MP3 auf deinem Handy, um sie hier und da mal zu hören, während du mal wieder im Auto sitzt und von Termin zu Termin eilst.

He-Man gibt dir das Gefühl von Ruhe. Von Sicherheit.

Von …

… Zuversicht.

Bis heute war Holger nicht bewusst gewesen, was es war, was ihn an den alten Cartoons so faszinierte. Was es war, was ihn zufrieden seufzend auf seinem Sofa sitzen ließ, während die vertrauten Klänge des Intros an seine Ohren drang und er sich wieder wie mit sieben Jahren fühlte und es nicht erwarten konnte, zu sehen wie Prinz Adam sein Zauberschwert ergriff und die magischen Worte ausstieß, um sich in He-Man, den Stärksten der Starken, zu verwandeln.

Jetzt wo seine zitternde Hand sich um das wenig Stoff schloss, und ihm die Welle der Unsicherheit umspülte, er könnte mit der Maske albern oder gar lächerlich aussehen, begriff er es. Es durchfuhr ihn wie ein aus den dichten, dunklen, von einem eisigen Wind über ihn hinweggegangenen Wolken fahrender Blitz.

Zuversicht!

Nicht mehr und nicht weniger. Nur dieses eine, sich in ihm festsetzende Wort, das ihn glauben ließ, alles schaffen zu können. Egal, ob mit oder ohne He-Man-Maske.

Aber was?, fragte er sich plötzlich, während die Zugbänder hinter seinen Ohren den bekannten Druck ausübten, während er die Maske über Mund und Nase festsetzte. Wenn sie findet, dass ich bescheuert aussehe?

Ich meine, hier steht ein erwachsener, mit beiden Beinen im Leben stehender Mann vor ihr, und hat He-Man im Gesicht.

So sehr er auch versuchte, die sich plötzlich neben seine Zuversicht stellenden Zweifel niederzuringen, so wenig gelang es ihm. Wie immer wenn er dabei war, eine für sein Leben richtungsweisende Entscheidung zu treffen, waren da die Hochgefühle ebenso wie die pessimistischen, ihn in den Abgrund seiner Ängste katapultierenden schweren Gedanken, die ihm zuriefen, er würde scheitern.

So wie damals, als er sich in der Schule Hals über Kopf in das Mädchen aus der Nachbarklasse verliebt hatte. Noch heute, in stillen Momenten, rief er sich das Gefühl ins Gedächtnis zurück, das er hatte, als er sie, lachend, die lockigen Haare zurückwerfend, aus der Klasse treten sah. Wie er meinte, wie festgenagelt dazustehen. Keine Möglichkeit, die Füße auch nur einen Millimeter anzuheben, um ihnen zu befehlen, auf das Mädchen zugehen zu können.

Die Schmetterlinge, oder was auch immer es waren, die ihm da plötzlich durch den Magen gefahren waren, hatten ebenso wild mit den Flügeln geschlagen, wie das Herz in einem rasend schnellen Rhythmus zu pumpen begann. Es war ein Moment der völligen Umkehr gewesen.

So wie jetzt.

Wie damals als pickeliger, den Punkrock liebender Teenager, fühlte er sich auch jetzt. Er musste nur aus der Windschutzscheibe zu der blonden Frau schauen, deren kreisrunden, hell schimmernden, grünen – Himmel, sie waren grün – Augen von der Maske unterstrichen wurden. Ein Grün, wie er bemerkte, dass ihn in seinen Bann zu schlagen begann. Das ihm plötzlich einen spielerisch naiven Blick in die nahe Zukunft werfen lassen ließ. Einen Blick, wie er meinte sich selbst zu sehen; stumm und verhalten, nicht dazu in der Lage zu begreifen, was mit ihm geschah. Dass er nur dastehen und starren konnte – hinein in die Augen, auf deren Grund er eine liebevolle Verheißung zu lesen glaubte, die ihm versprach, alles würde gut werden. Augen, wie er zu wissen glaubte, die ihn nicht nur faszinierten, sondern ihm auch ein Versprechen gaben.

Alles würde gut werden. Egal wie, egal wann.

Er lächelte schief, als er begriff, wie albern seine Gedanken waren. Aber allein die Augen zu sehen und sich vorzustellen, in sie fallen zu können, machten ihn selig; ließ ihn meinen, einen sicheren Hafen anlaufen zu können – was auch immer das bedeutete.

Es war das Gefühl, das er hatte …

… und das war gut.

Niemals in seinem Leben hatte er damit gerechnet, dass ihm die feinen, weich geschwungenen Wimpern auffallen würden. Eine Nebensächlichkeit, wie er immer angenommen hatte, der er keine Beachtung zu schenken brauchte, weil der Mensch in seinem Ganzen zählte.

Hier aber war es anders. Hier war es, als söge er jedes noch so kleine Detail gierig in sich auf, um sich ein Seelenbild zeichnen zu können, dessen Gesamtheit er noch immer nicht abschätzen konnte. Einem Künstler gleich, der vor einer leeren Leinwand saß, und noch überlegte, mit welchen Farben er sein Kunstwerk zum Leben erwecken wollte, kam er sich plötzlich vor.

Unsicher, hin und her schwankend, wie er mit seinem Schaffen beginnen sollte, fühlte Holger sich.

Er starrte unentwegt aus der Windschutzscheibe hinaus auf den im drüben, dunstigen Nebel liegenden Parkplatz und faszinierte sich von Sekunde zu Sekunde mehr für die da auf ihren Wagen zugehenden Frau. Davon, wie er verwirrt feststellte, wie sie einen Schritt vor den anderen setzte, wie sie den Einkaufswagen in einer weichen, eleganten Bewegung seitlich an ihrem Peugeot vorbeizirkelte und ihn am Kofferraum zum Stehen brachte.

Unwillkürlich folgten seine Blicke jeder einzelnen ihrer Bewegungen.

Obwohl er längst hätte aussteigen wollen, blieb er doch wie festgenagelt auf seinem Sitz sitzen.

Fassungslos, von seinem inneren Zweifel geschüttelt, von seiner Zuversicht ausgepeitscht, starrte er noch immer zu diesen grünen, ihn faszinierenden, mit einem weichen Augenbrauenbogen gerahmten Augen.

Ein Gefühl des Hochmuts überkam ihn, als er sich vorstellte, wie er lässig die Tür aufstieß, ausstieg und die ihn in ihren Bann ziehenden Frau durch die Maske hindurch anlächelte, und sie mit einem locker-leichten: „Hallo“, begrüßte. Dass er schlendernden Schrittes auf sie zuging und ihr, ohne mit der Wimper zu zucken, sagte wer er war, was er tat und ihr sagte, wie schön ihre grünen Augen seien. Dass er ernsthaft angenommen hatte, als er sie eben das erste Mal gesehen hatte, dass sie nur ihn anschauten; ihn musterten und zu verstehen gaben, gesehen worden zu sein.

Vergiss nicht zu sagen, dass du die einzelnen grauen Sprenkel auf ihrer Iris bemerkt hast. Farbtupfer des Lebens, die deine Knie weich und deinen Magen zusammenkrampfen lassen. So wie damals, als …

Holgers Zweifel schossen wieder in ihm empor. Sie platzten in seine kindlich-naive Vorstellung hinein und fragten ihn kreischend: Was soll das hier werden, Cowboy? Der gleiche Reinfall wie damals, als du auf dem Schulflur gestanden und kein Wort herausgebracht hast? Wie du da standest, die Hand zum Gruß erhoben, auf den Lippen ein lächerlich klingendes: „Hi“, aus dem nichts weiter geworden ist als ein: „Grampf?“

Komm schon, Junge, das willst du nicht in Echt noch einmal erleben. Nicht noch einmal das Gefühl der Niederlage in dir spüren, während sie lachend und scherzend, in ein Gespräch mit ihrer besten Freundin vertieft, an dir vorbeigeht und keinerlei Notiz von dir nimmt.

Holger versuchte den Gedanken niederzuringen. Er wollte ihn nicht stark in sich werden lassen.

Und doch …

… war etwas in ihm in Gang geraten, das er kaum noch aufhalten konnte. Die Zuversicht wich zurück, machte einer Schüchternheit Platz, die er längst vergessen geglaubt hatte. Ein Gefühl, das er damals gespürt hatte, als er in der Pause all seinen Mut zusammennahm und das Mädchen ansprechen wollte, das ihn so in seinen Bann gezogen hatte, dass er an nichts anderes mehr denken konnte. Weder auf dem Weg von der Schule nach Hause, wo er gedankenverloren mit den Händen durch die die Grundstücke der Nachbarn abgrenzenden Hecken fuhr, noch auf dem Fußballplatz, wo er mit seinen Freunden kickte und meinte, der nächste Nationalspieler zu werden.

Oder zuhause, wenn er auf seinem Bett lag, Musik hörte und in jedem Ton, in jedem Takt, in jedem gesungenen Wort nichts anderes hörte als Liebe, Liebe und noch einmal Liebe.

Ich hatte mich Hals über Kopf verliebt, gestand er sich jetzt ein, während seine Hand nach dem Türgriff fasste, um diesen nach innen aufzuziehen. Ohne es zu ahnen, hatte es mich getroffen und mich einen Schritt auf die Welt der Erwachsenen zumachen lassen, für die ich mich damals gar nicht bereit gefühlt hatte. Ich hatte noch so viele andere Sachen im Kopf, die ich erledigen musste. Die ich zu tun und zu lassen hatte.

Ich wollte …

… was?

Holger wusste es bis heute nicht. Er ahnte nur, dass er sich sein Gefühlsleben immer anders ausgemalt hatte. Dass die in ihm schwelende Faszination für Frauen in ihm kontrollierter hatte ausbrechen sollen; ähnlich wie in den Filmen, die er damals sah. Wo sich die Protagonisten langsam und zielgerichtet ihrer Traumfrau nährten. Die einen Plan hatten, wie sie wild klopfenden Herzens ans Ziel ihrer Träume kamen.

Das Mädchen damals und die Frau heute warfen alle Strategien über den Haufen.

Holger musste wohl oder übel mit der Unwegsamkeit seiner in ihm ausbrechenden Gefühle leben.

Und die Schüchternheit ertragen. So wie damals, so wie heute, dachte er und wünschte sich, damals schon mutiger gewesen zu sein. Dass er ohne zu zögern auf das Mädchen zuging und ihm sagte, was er für es empfand. Wie niedlich er es fand und morgens ebenso an die über seinen Nasenrücken laufenden Sommersprossen denken musste, wie er es abends vor dem Einschlafen tat. Dass er ernsthaft mit dem Gedanken gespielt hatte, einen Brief zu schreiben, in dem er ihr all das sagen wollte, was ihm jetzt über die Lippen kam.

Was er damals nicht getan hatte.

Das Gefühl der Zurückweisung, war er sich sicher gewesen, hätte er nicht ertragen können. Es wäre zu viel für sein in Liebe gefangenes Herz gewesen.

Und heute?

Konnte er sich ernsthaft aus seinem Wagen erheben und auf die da an ihrem Wagen stehende, ihre spärlichen Einkäufe im Kofferraum verstauende Frau zugehen?

Noch einmal ein: „Ach, du Scheiße“, über die Lippen bekommen, während seine Gedanken ihm zeigten, wie die da aus dem wabernd grauen Nebel tretende Frau ihn im wahrsten Sinne des Wortes mit ihrem Anblick erschlug?

Er wusste es nicht.

Ich traue es mich nicht zu erfahren, hämmerte ihm der Gedanke durch den Kopf, während die Tür seines Wagens sich langsam öffnete und ihm ein Schwall kalter, feuchter Luft um die Füße fuhr und geradewegs unter die Kleidung drang. Ich werde den Schwanz einziehen, wie damals in der Pause. Ich werde erst sicheren Schrittes auf sie zugehen, den Mund öffnen, bevor ich es mit einem schiefen, hässlichen Lächeln versucht habe, ihre Aufmerksamkeit zu erringen, um dann nur „Grampf“ zu sagen.

Mehr kannst du nicht.

Alter, du wirst es nicht packen.

Mit einem kurzen Schauer des Entsetzens begriff Holger, als er sich aufrichtete und einen Schritt von der Wagentür wegmachte, dass die da versetzt zu ihm stehende Frau die Klappe ihres Kofferraumes zuwarf und sich mit vor Eleganz wippenden Schritten zu dem Einkaufswagenunterstand zubewegte.

Sein Herz schlug ihm bis zum Hals.

Langsam, als müsste er seine Füße aus morastigem Untergrund ziehen, setzte er sich ebenfalls in Bewegung. Er ging dahin, wo sie schon war. Holgers Knie wurden weich, als er sah, wie sie den Einkaufswagen in einen anderen schob, die Kette in die Vorrichtung schob, um ihren Euro aus dieser zu klippen. Und als er an ihr vorbeiging, den weichen Hauch eines Sommerdüfte verströmenden Parfüms einatmete, das selbst durch die Bedeckung seines Mund- und Nasenschutzes drang, war es ihm, als würden seine Knie endgültig unter ihm nachgeben. Als würde er hier und jetzt von seinen Gefühlen innerlich in zwei gerissen werden.

Das aber, was ihm am meisten in Schockstarre versetzte, was ihn glauben ließ, niemals wieder einen klaren Gedanken fassen zu können, war ihr Griff zu dem hinter ihrem Ohr entlanglaufenden Gummiband, welches die Maske hielt.

Sie nimmt sie ab.

Sie nimmt sie ab.

SIE NIMMT SIE AB, hämmerte es ihm durch den Kopf, und ließ ihn wieder ein: „Ach, du Scheiße“, über seine Lippen wehen, als sie die kleine, zart über ihrer weich geschwungenen Oberlippe sitzenden Nase freigab.

Er schluckte trocken, als er den Mund erkannte, der in einer zarten Linie verlief, zu einem sanften Lächeln gekräuselt, das den grünen Glanz ihrer Augen weiter unterstrich. Holgers Mut sank noch tiefer.

Die hoch angesetzten Wangenknochen und das mit einem Grübchen versehene Kinn ließen Holger zusammenzucken. Die unter der Mütze hervorquellenden blonden Haare kräuselten sich zu einer gewellten Locke und untermalten die Zartheit ihres Gesichts.

Sie lächelte …

… nur für ihn.

Das wusste er. Zweifel ausgeschlossen. Ihre roten, natürlichen, ohne Make-up zur Geltung kommenden Lippen waren zu einem feinen, sein Herz zum Rasen bringenden Lächeln gekräuselt. Und das weiche, an Holgers Ohren klingende und ihn debil grinsend dastehen lassende „Hi“ war einem kleinen, kitschig klingenden Glockenspiel gleich, das lauter und dröhnender klang, je länger er darüber nachdachte.

Holger schluckte.

Und begriff dann, als sie an ihm vorbei gegangen war, hin zu ihrem Auto, dass er sie nur angestarrt hatte. Dass er jede Kontur ihres zart modellierten Gesichts in sich aufgesogen hatte. Wie er mit seinen Blicken die feine Linie ihrer Wangen ebenso nachzeichnete, wie er sich nicht sattsehen konnte an der porzellanartigen Haut, die in einem vornehmen, blassen Weiß schimmerte.

Holger seufzte innerlich, als er den Kopf wandte, ihr nachschaute und sah, wie sie sich in ihren Wagen setzte. Sie lächelte noch immer, als sie zurücksetzte und aus der Parkbucht fuhr.

Er nahm sich vor, als er ihr nachschaute, zu sehen glaubte, dass sie die Hand hob und ihm zuwinkte, morgen wieder hier zu sein. Zur gleichen Zeit. Im selben Augenblick, beseelt von der Hoffnung, ihr noch einmal zu begegnen; sie noch einmal zu sehen, und dann mutig genug zu sein, auf ihr „Hi“ nicht nur mit einem ebenfalls leise über seine Lippen dringenden „Hey“ zu antworten.

Nein, er würde Zweifel und Ängste, seine ihn manchmal in den Wahnsinn treibenden Gedanken beiseiteschieben und sie fragen: „Wie geht’s denn so?“, und mit ihr ein Gespräch beginnen. Ohne zitternde Knie. Ohne einem bis zum Hals schlagenden Herzen, einen in Unruhe geratenen Magen.

Mit der Gewissheit – schockverliebt zu sein.

Teil 2

Aus den Augen verloren

Egal, was Holger auch versuchte, die ihn so sehr faszinierende Frau blieb verschwunden. Obwohl er die nächsten drei Tage jeweils morgens zur gleichen Zeit auf den Rewe-Parkplatz fuhr, die aus den Laden strömenden und hineingehenden Menschen musterte, betrachtete und ganz genau mit seinen Blicken sezierte, kehrte sie nicht zu ihm zurück. Sie schwebte nicht leichten Schrittes auf ihn oder den Einkaufswagenunterstand zu. Sie blieb fort, weg, nicht mehr gesehen.

Einer flüchtigen, im Urlaub, am Flughafen gemachten Sichtung gleich.

Egal was man machte, egal was man anstellte, die einen im Sturm eroberte Person war verschwunden und blieb nichts weiter als eine immer klarere und scharf umrissene Kontur, die sich unauslöschlich in die eigenen Erinnerungen gegraben hatte.

Selbst seine stümperhaften Versuche innerhalb des Netzes nach ihr zu suchen, waren weder von Erfolg, geschweige denn von einer vagen, angedeuteten Spur sie zu finden, gekrönt.

Was hatte er auch ins Suchfeld der Suchmaschinen eingeben sollen?

Rewe-Parkplatz? Hübsche Frau? Peugeot?

Albern.

Lächerlich.

Dennoch hatte er es versucht. Sogar in der Ortsgruppe ein kurzes, unentschlossenes Posting verfasst, in dem er eben nach dem Peugeot und der jungen Frau gefragt hatte, mit dem scheinheiligen Vermerk, dass er sich sicher war, sie habe etwas verloren, das er gefunden hatte.

Einen Schlüssel hatte er dabei abgelichtet, der zu einem schon seit Jahren nicht mehr in Betrieb befindenden Briefkasten gehörte.

Es gab keine Reaktion.

Nicht einmal einen Like, geschweige denn einen aufmunternden Kommentar.

Nichts.

Die Einsicht, dass er sie verloren hatte, ließ ihn zittern.

So niedergeschlagen und ausgelaugt, wie in dem Moment, wo die Erkenntnis in ihm aufstieg, die junge Frau für immer verloren zu haben, hatte er sich erst einmal in seinem Leben gefühlt.

Eine Erfahrung, wie er sie niemals wieder in seinem Leben hatte machen wollen. Schmerzen, die ihm damals seelisch durch den Körper zuckten und seinen Verstand heute noch, wenn er daran zurückdachte, in Brand setzten, wollte er niemals wieder so intensiv, so vernichtend klar spüren, wie er es damals getan hatte. Damals als er meinte, den Boden unter den Füßen zu verlieren, und der ernsthaften Überzeugung war, innerlich auseinandergebrochen zu sein.

Jugendlicher, pubertierender Unsinn, sagte er sich jetzt, während er die Hand hob, diese zum Zündschlüssel führte und sich der in Fleisch und Blut übergegangenen Bewegung bewusst wurde, mit der er den Wagen starten wollte, und wünschte sich, dass es damals wirklich nur Unsinn gewesen war, den sein pubertierender Geist sich ausgemalt hatte. Tränen, die du damals vergossen hast, waren ebenso albern, wie deine Gedanken dazu. Du erinnerst dich, dass du ernsthaft mit dem Gedanken gespielt hast, dich von der Bille-Brücke in den Fluss zu stürzen? Wie du dir ausgemalt hast, wie es war, von dem kalten, seicht dahinströmenden Wasser erfasst zu werden, und darin unterzugehen? Dem Grund entgegenzugleiten und sich in den Algen und dem Schlamm zu verfangen.

Für immer vergessen zu werden, unaufhörlich von dem brackig-braunen Wasser umspült …

Heute, so viele Jahre später, wusste er wie albern seine Gefühle, seine Empfindungen damals gewesen waren. Aber damals, als ihm das Herz bei lebendigem Leib aus der Brust gerissen worden war und er niemals wieder so intensiv fühlte, wie in dem Moment, als die Frau seiner Träume ihm sagte, sie liebte ihn nicht mehr, hatte er niemals wieder.

Merkwürdig für ihn war jetzt, dass ihm eben die Geschichte wieder einfiel. Dass sie ihm, Kohlen gleich, die durch das Grillrost fielen, und tausend Funken sprühend, auf dem mit Teflon ausgelegten Boden des Grills aufschlugen, zurück in die Erinnerungen kamen. Eine Erfahrung, der er niemals wieder ins Gesicht schauen wollte. Es war ihm, während er hörte, wie der Motor mit einem leisen Stottern startete, als würde er wieder unten an der Bille am Steg stehen.

An jenem Wasser an jenem Fluss, in dem er keine zehn Minuten später am liebsten versunken wäre.