Hexenjagd und Liebe - Kim Eisenheide - E-Book

Hexenjagd und Liebe E-Book

Kim Eisenheide

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Beschreibung

Was passiert, wenn sich im Harz die Wege eines Alchimisten, der auf Männer steht, eines Professors mit seinem gut ausgestatteten Assistenten, eines notgeilen Grafen und eines immer erregten Spielmanns kreuzen? Eine verdammt frivole Hexenjagd mit unerhört viel Liebe, denn die Hexen haben es kurz vor der Walpurgisnacht auf das beste Stück eines jeden Mannes rund um den Brocken abgesehen. Und das ist erst der Anfang der großen Orgie. Da will jeder mitmischen...

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Veröffentlichungsjahr: 2017

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Kim Eisenheide

Hexenjagd und Liebe

Bi Hardcore Fantasy

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Gold oder Liebe?

I

 

Freitag, 26. April 1599

 

 

Unter dem Baum war es halbwegs trocken, aber richtig warm war Faust nicht. Das Zetern einer Elster in der Kastanie, die in der leichten Brise rauschte, klang spöttisch in den Ohren des Alchemisten.

»Ich will Orgien, Orgien, wie im alten Rom«, rief der Markgraf und massierte seinen kümmerlichen Penis. Er war nicht einmal zehn Zentimeter lang und ragte wie ein Pfannenstiel aus dem aufgeklappten Wams heraus, das trotz der weißlichen Flecken seine edle Herkunft nicht verbergen konnte.

Faust, mit kurzgeschorenem, an den Schläfen bereits ergrauendem Haar und einem jugendlich gebliebenen Gesicht, das sein wahres Alter nicht erahnen ließ, wand sich.

Vielleicht, dachte er, vielleicht war es doch nicht der richtige Ort.

Der junge Mann bearbeitete seinen Knebel mit einer Vehemenz, die Faust weh tat. Orgien, immer wieder Orgien. Eine Spanische Fliege herzustellen war möglich aber nicht das, was er im Sinn hatte. Schon einmal hatte er damit eine gesamte Stadt vergiftet. Zu viel Aufwand und zu wenig Lohn.

»Ich denke, dass sich das auch bewerkstelligen ließe, Eure Exzellenz. Aber vielleicht kommen wir noch einmal auf mein ursprüngliches Angebot zurück. Ihr müsst verstehen, Eure Exzellenz, diese Kräuter sind selten. Ich lasse sie mit großem Aufwand eigens aus Afrika importieren, damit sich hochgestellte Persönlichkeiten wie Ihr an diesem Schauspiel ergötzen können.«

Das Lachen des jungen Mannes war leicht hysterisch und schrill und stoppte so abrupt, wie es begonnen hatte. Im Gras hockend rieb er seine kleine Erektion und starrte zu der fernen Stadtmauer hinüber, die hinter den Bäumen aufragte. Wieder lachte er unvermittelt auf. Es kam dem Grunzen eines Wildschweins gleich.

»Geld, Geld, es geht um Geld, nicht wahr?«

Der blonde Mann auf dem Boden bewegte seine Hand schneller. Jörg Faust räusperte sich.

»Nun, Euer Exzellenz, da Ihr es so direkt ansprecht, darum geht es. Ich brauche für meine Forschungen natürlich weitere Mittel. Ich kenne die Bemühungen des Stadtalchemisten, lasst Euch gesagt sein – er ist auf der falschen Fährte. Mit seiner Methode werdet Ihr in hundert Jahren keine Unze Gold in den Händen halten.«

»Und warum, warum, warum.« Die nächsten Worte gingen unter in mehreren Drehungen.

»Warum er es nicht schafft? Nun, er hat nicht das richtige Pulver.«

»Und, und, Ihr?«, bellte der junge Mann und hob die Hände. »Ihr wisst, was man braucht? Wisst Ihr auch, wie man Orgien feiert?«

Ein kühler Wind wehte von den Äckern herüber. In der Ferne zogen sich neue Wolken zusammen Faust dachte an den Hagelschauer am Morgen.

»Der April macht, was er will. Hagel und Regen, Sonne und Wolken. Natur lässt sich nicht kontrollieren, die Natur hat ihre eigenen Regeln. Es kommt darauf an, diese Regeln zu verstehen und sich danach zu richten. Fünf Jahre waren vergangen, seit Galilei den Energieerhaltungssatz aufgeschrieben hatte. Energie geht nicht einfach so verloren. Bis die Menschen das endlich einsehen, werden Tausende von Jahren vergehen. Man muss die Natur, und natürlich die des Menschen, verstehen und sich nach ihr richten, sie überlisten, dann kann man sie zu seinen Gunsten nutzen. Erst das Verständnis der Dinge bringt den Fortschritt.«

Wenn er nur alle so gut konnte wie schwafeln, dachte Faust und hoffte, dass sich diesmal der Erfolg einstellte.

»Und wie geht das mit dem Pulver?«

»Das kann ich Euch natürlich nicht en détail erklären, Ihr müsst verstehen, davon lebe ich.«

»Wenn, ja wenn...« Der Markgraf kniete sich hin, spuckte in die hohle Hand und massierte weiter. Faust wandte seinen Blick ab. Schade. Ein paar Zentimeter mehr, und er hätte schwach werden können. »Wenn, wenn, wenn Ihr Gold herstellen könnt, warum seid Ihr auf mein Geld angewiesen?«

Fausts Zwerchfell begann zu zittern. Wieso war der Wirrkopf zu solch klaren Gedanken fähig? Jetzt wurde die Angelegenheit kompliziert. Die Hände des Alchemisten begannen zu zittern. Das war keine normale Reaktion. Zu häufig war er in eine schier aussichtslose Situation geraten, nie hatten seine Hände angefangen zu zittern. Es musste der Wirrkopf sein, der Wirrkopf und die Stadt Goslar. Zu groß die Stadt, zu wichtig. Zweifel jagten durch Fausts Hirn, umso mehr überraschten ihn die nächsten Worte des Markgrafen.

»Wie viel braucht Ihr, für diese, diese Trans... hö?«

Er hörte auf sich zu drehen und sah Faust an. Die Augen weit offen, auf der Unterlippe ein Tropfen, der langsam von der Anziehungskraft gezwungen, einen Faden zog.

»Transmutation. Vorerst tausend Taler«, sagte Faust. Schwierig genug, seine Erregung zu überspielen, jetzt kam überdies die Erleichterung hinzu.

»Taler, Taler, tausend Taler, toll, hö. Tausend Taler tauschen, tatsächlich, toll, toll«, sang der Blondschopf auf der Wiese vor ihm, hüpfte auf den Knien herum. »Hab nur Gulden, gute Gulden, große goldene Gulden, hö.«

Gulden, Gulden. Was meinte er jetzt? Sprach er vom Zweidritteltaler nach dem Zinnaischen Münzfuß, das wären 16 Gutegroschen, wenn man von 24 Groschen für einen Rechnungstaler ausging, oder meinte der Wirrkopf den Gulden, der einen Dukaten wert war? War es noch die Goldmünze oder bereits die unselige Silbermünze zu 60 Kreuzer? Faust fluchte stumm. Er brauchte Geld, jetzt, auf die Hand.

Plötzlich ertönten Geräusche. In ein paar hundert Schritten Entfernung standen Häuser, dahinter erhob sich die Stadtmauer von Goslar. Zwischen Kirschblüten erkannte er eine Bewegung, Stimmen hallten herüber.

Faust sprang auf. Diese Stimmen verhießen nichts Gutes. Und tatsächlich. Die Männer, mit denen ein Mann über die Wiese gerannt kam, waren bewaffnet. Sie trugen schwere Musketen mit sich, gehörten zur Stadtwache. Der Mann war Bernhard von Pier, Stadtalchemist.

»Habt Ihr sie dabei? Die Gulden?«, fragte Faust. Jetzt war die Aufregung nicht zu überhören. Der Wirrkopf legte sich auf den Rücken und lachte in den blauen Himmel.

»Golden wie die Sonne, so golden wie die Sonne möchte ich sein. Midas möchte ich sein und alles was ich habe, in Gold verwandeln. Wie Midas. Golden wie die Sonne.« Er lachte irre, die Hand an seiner kümmerlichen Erektion, die keine Lust spenden wollte. Das letzte Wort an den Markgrafen war flehend: »Exzellenz.«

»So, mein Lieber, jetzt bist du geliefert«, rief Bernhard von Pier schon von weitem. »Dieses Mal wirst du dich nicht wieder herauswinden können.«

»Verflucht«, rief Faust und machte auf der Stelle kehrt.

»Bleib stehen, du Schwindler, du Hochstapler...«, rief Bernhard. Die Stadtwachen bauten in Windeseile ihre Musketen auf. Die Gabeln erzitterten unter dem Gewicht der Flinten. Faust rannte im Zickzack durch die Bäume. Als er sich umdrehte brannten bereits die Lunten. Dann donnerte es.

Ein Baumstamm drei Fuß neben dem Alchemisten schien zu explodieren. Holzsplitter fetzten ihm um die Ohren. Frisches Grün regnete auf ihn herab. Mit dem nächsten Schuss spritzte eine Fontäne Dreck und Grünzeug einen Schritt entfernt vom Boden hoch. Faust spürte Schmerzen im Gesicht, ignorierte sie, lief weiter, links an der Tanne vorbei, rechts an der kleinen Buche. Zwischen den Bäumen erkannte er seinen Wagen.

Ein Ruf hallte durch den Wald. »Kindermörder!«

Seine Füße trommelten auf den Boden, hoben sich über Wurzeln und kleine Baumstämme. Zwischen grünen Blättern tauchte der Wagen auf dem Weg auf. Seine zwei Pferde wackelten zur Begrüßung mit dem Kopf. Faust sprang mit nie geahnter Wendigkeit auf den Kutschbock, löste den Knoten, durch den die Zügel am Fußbrett befestigt waren, schnalzte mit der Zunge und griff mit schwitzenden Händen nach der Bremse.

Wieder donnerte ein Schuss. Der Alchemist hörte die Kugel an seinem Kopf vorbei pfeifen, duckte sich, löste endlich die Bremse, der Wagen rollte an. Der nächste Schuss schlug in die Seitenwand des Wagens ein, dort, wo eben Fausts Kopf gewesen war.

Trabt an, dachte Faust, trabt an. Schneckengleich kam ihm die Bewegung des Wagens vor, hysterisch das Zwitschern der Vögel, hörte Stampfen von Füßen und einen Ruf. »Schießt, lasst ihn nicht entkommen.«

Mit einem Seitenblick sah er Bernhard von Pier auf den Weg laufen, Faust geballt, hochrot der Kopf. Er rannte hinter dem Wagen her, kam näher. Der Alchemist trieb seine Gäule weiter an, zuckte mit den Zügeln. Der Verfolger rannte, hinter ihm stürmten die Schützen auf den Weg und bauten ihre Musketen wieder auf. Endlich gewann der Karren an Geschwindigkeit, der Griff von Piers ging ins Leere, der Mann stolperte, fiel in den Dreck.

Faust lenkte seinen Wagen den Weg hinauf.

Das letzte Donnern der Geschütze. Links vom Wagen spritzte Dreck vom Weg hoch. Die Pferde gerieten endlich in Wallung. Noch einmal kam er der Stadtmauer gefährlich nahe, da der Weg auf die Wiese vor dem Nordtor mündete. Menschenmassen strömten aus der Stadt, bewaffnet, aufgebracht und zur Gewalt entschlossen. Eine Sekunde lang glaubte Faust, sie seien seinetwegen da.

Doch da waren andere Wagen, andere Menschen, andere Vertriebene.

Scheppernd ging eine Scheibe zu Bruch. Die grölenden Städter rannten hinter acht großen Zigeunerwagen her, vereinzelt wurden Steine geworfen. Die Kaltblüter vor jedem Wagen zogen aus Leibeskräften. Langsam rumpelten die Karren von der Wiese auf einen neuen Weg.

Der Mann auf dem ersten Wagen, ein kräftiger Zigeuner mit mächtigem Schnurrbart, duckte sich. Ein von der Seite geworfener Stein ging fehl, landete im Gras. Der kleine Junge, der ihn geworfen hatte, lief ein paar Schritte neben dem Karren entlang, mit wenig Hass und viel Naivität auf seinem Gesicht, dachte der Rom Heinrich Malfoss, schnalzte mit der Zunge und trieb die gescheckten Pferde an, welche die Hufe hoben und zogen mit einer Seelenruhe, die sich in gleicher Weise Malfoss wünschte, diese Gelassenheit, dann rollte sein Wagen in den dunklen Wald.

Man warf Steine und Stöcke hinterher, die meisten Menschen blieben am Stadttor stehen. Malfoss hörte Rufe, sah zurück. Die Menge geriet erneut in Bewegung, wich einem kleineren Wagen aus, der von links auf die Wiese vor dem Tor rollte. Auf dem Kutschbock saß ein Mann in Schwarz mit einer flachen Mütze auf dem Kopf, schwang die Peitsche und ließ sie auf seine Pferde niederfahren. Die Rösser wieherten, stemmten sich ins Geschirr.

Die Städter wurden ein letztes Mal aktiv, Kinder rannten schreiend und pfeifend hinter dem vierrädrigen Wagen her, Männer schimpften und suchten nach neuen Steinen. Kurz vor dem Waldrand erreichte der Karren die anderen Wagen und hängte sich hinten an.

Die Nachmittagssonne hatte es kaum durch die Wolken geschafft. Es war ein kalter Tag, zu kalt wieder einmal für die letzten Tage im April, empfand Oberst Heinrich Malfoss. Vielleicht waren die Gemüter der Städter deswegen so dunkel. Goslar hatte sich immer als eine tolerante, offene Stadt beschrieben. Doch auf einmal warfen die Bürger Steine, verprügelten die Kinder, drohten damit, sie aufzuhängen.

Die Zigeunerwagen ratterten durch den Wald, vom Harz empfangen mit viel Grün und einer kühlen Brise. Der Weg führte gen Osten.

Malfoss rief nach ein paar hundert Ellen seinen Enkel herbei. Der kleine Junge rannte neben dem Wagen her, verstand die Anweisung, blieb stehen, wartete den letzten Karren ab und kam nach einer Weile wieder nach vorne gerannt.

»Also, Junge? Sag mir gleich, wer ist es.«

»Ein Zauberer«, sagte der Junge und nickte heftig.

»Ein Magier also ist er. Und was, sag mir, zaubert er uns?«

»Gold«, sagte der Junge wieder, seine Augen waren groß und rund. »Viel Gold.«

Der alte Rom mit dem mächtigen Schnauzbart lachte und sah nach vorne. Der Hohlweg machte einen Bogen nach Südosten.

Ein Zauberer hatte ihnen gerade noch gefehlt, ein Zauberer, der weitere Probleme anzog, ein Zauberer, der von sich behauptete, Gold herstellen zu können, ein Alchemist.

»Der kann uns sicher helfen«, sagte der kleine Junge und zupfte dabei den Rom an der Jacke. Dieser lächelte milde.

»Mein Junge, ich sag‘ dir, uns kann nur Gott helfen, niemand sonst nicht, merk dir das schön. Gott alleine ist unser Beschützer, nicht? Die göttliche Mutter Develeski sorgt für uns, uns alle schön, und was sie tut ist richtig und wahr. Kein Mensch kann nie nicht in ihr Wirken eingreifen, sag ich, merk es dir.«

Der Junge nickte eifrig, griff nach einer Fiedel und begann zu spielen. Malfoss sah zufrieden zu und trieb die Pferde an. 

 

Feldforschung

II

Samstag, 27. April 1599

 

Schwere Wolken verdunkelten den Morgenhimmel über dem Harz. Das Licht schwand, der Wind frischte auf, drückte die Kronen der mächtigen Eichen nieder, der hellgrün belaubten Kastanien, der dunklen Tannen. Die ersten Körner rieselten herab, prasselten schließlich, wehten in Schwaden, tauten schließlich zu blassen Pfützen und versickerten zwischen halb vergammelten Krokussen, von der Lichtarmut und Kälte des Frühlings geschwächten Hyazinthen und dem ersten blauen Lattich.

An jenem Tag, während er von Quedlinburg kommend in die Ausläufer des Harzes vordrang, schlief Professor Ludwig Bechstein unruhig und träumte hektische, kurze Träume, die aufflammten und erloschen wie Lichtreflexe auf einem Wasserfall. Sein Kopf mit dem pelzbesetzten Barett war leicht zur Seite gekippt, wippte auf und ab, rollte in einem Halbkreis nach vorne, bis der Professor mit einem leisen Grunzen die Nase in den Fahrtwind hob und mit faltigen Lippen schmatzte. Anschließend kippte der hagere Kopf wieder nach rechts auf die Schulter, und das Spiel begann von neuem.

Schwankend träumte er von seinem Ziel, das zwei Jahre zuvor zu seiner heiligen Mission geworden war, eine Mission, die den Horizont des Menschen erweitern sollte, die schließlich einen weiteren Beitrag zur enzyklopädischen Bildung des Menschen im Sinne Erasmus von Rotterdams darstellen würde. Im Traum tanzten schon vor Langem beiseitegelegte Bücher um ein Feuer herum, fraßen Singvögel Heilkräuter, kochte die Natur selbst in Gestalt einer großen Eiche Suppe in einem großen Kessel.

Bechstein oblag es, jedem Vogel und jedem Kraut einen Namen zu geben. Bevor er dieses gewaltige Werk jedoch vollenden konnte, stand er wieder in Greifswald an der Universität und erhielt erneut eine Ehrung für seine Veröffentlichungen.

Mein bescheidener Ruf, träumte der Professor, jetzt sollte, Gutenberg sei gedankt, eine Buchreihe über den Menschen folgen und den Ruf vergrößern.

Bechstein hatte von einem alten Freund in Stettin den Auftrag bekommen, dessen Sohn Haribald gegen großzügige finanzielle Unterstützung auf seine Forschungsreise mitzunehmen. Rückkehr zu den Quellen, war es vom Professor Bechstein gegenüber Haribalds Vater genannt worden, Grundlagenforschung Als Gegenleistung sollte dem Jungen eine umfassende Erziehung zuteilwerden, die ihm bislang versagt geblieben war. Bechstein hatte versprochen, den Jungen seinen Standort in der Welt finden zu lassen. Erst ein paar Wochen später, als er bereits mit Haribald unterwegs war, fiel ihm ein, wie wenig der alte Freund von den Zielen der Reise hatte wissen wollen.

Ein Freund, der ihm im Traum die Hände schüttelte, sich auf einen Besen setzte und davonflog, während die umstehenden Menschen sich bekreuzigten und mit Hufeisen jonglierten, als wären sie Gaukler auf einer Maifeier. Dann träumte Professor Bechstein, wie die Erde in Stettin angefangen hatte zu beben und schreckte aus seinem Schlaf hoch. Die schmale Brille war auf seine Nasenspitze gerutscht, das Barett hing ihm in die Augen.

Die Kutsche rumpelte über einen Stein. Vorbei an dichtem Unterholz huschte das Gefährt, ab und an schlug ein Ast gegen das Verdeck, drang ein Lichtstrahl durch die Kronen und glitzerte auf den Pfützen, die der jüngste Aprilschauer hinterlassen hatte.

Professor Bechstein rückte die Brille auf seiner Nase zurecht und rieb sich die Augen.

»Haribald, mein Junge, wo sind wir?«

Haribald drehte seinen Kopf. Die Feder auf seinem Hut wippte im Takt der Schritte.

»Zwei Stunden nach Treenberg«, keuchte er pathetisch und stolperte fast über einen Stein. Bechstein wusste noch immer nicht, was er von dem Jungen halten sollte. Sie waren erst seit gut zwei Monaten unterwegs, hatten auf dem Weg nach Süden Rostock und Schwerin gestreift, und in der Zeit hatte Bechstein versucht, ihm eine Vorstellung davon zu vermitteln, wie sehr die Dinge des Lebens miteinander verwoben waren.

Es gab nicht nur Bier und Mädchen. Wer die Welt als Ganzes verstehen wollte, musste sich mit der Naturwissenschaft beschäftigen, mit der Philosophie und Theologie, vor allem aber mit dem Menschen und seiner Natur. Gleichwohl spürte der Gelehrte an manchen Tagen einen Widerwillen in dem Jungen, der sich nur schwerlich überwinden ließ.

Wenigstens heute war Haribald folgsam und tat, worum man ihn bat. Ohne Pause lief er jetzt seit fast zwei Stunden, das machte sein letztes Versehen zumindest im Geiste wieder wett.

»Dann kannst du jetzt ein wenig langsamer laufen, denn wir liegen gut in der Zeit«, sagte der Professor und zog seinen ergrauten Schädel wieder ins gekrauste Hemd zurück. Haribald lächelte erleichtert. Der Alte hatte also von der kleinen Pause unter den Bäumen nichts mitbekommen.

Für alle Himmelskörper oder Sphären gibt es nicht nur einen Mittelpunkt, pflegte Bechstein zu sagen, wenn Haribald wieder einmal nicht verstand, in welchem Zusammenhang die Schädelknochen des Menschen mit der Kunst des Fechtens standen. Man müsse versuchen, über den Tellerrand hinaus zu blicken, es ginge nicht um den Sinn der Naturerscheinungen, sondern um deren Ursachen.

Der dunkelhaarige Junge zog dann immer die Augenbrauen hoch, zuckte mit den Schultern oder entgegnete leise: »Ein Bild sagt mehr als tausend Worte.« Kopernikus konnte ihm gestohlen bleiben, das aber sagte er nie.

Es war nicht seine Entscheidung gewesen, dem Professor als Assistenten zu dienen, sein Vater hatte für ihn entschieden. Nie wäre Haribald auf die Idee gekommen, sein geliebtes Stettin und die vielen einsamen Momente am Strand, in denen er Rötelzeichnungen von einlaufenden Schiffen anfertigte, einzutauschen gegen ein unstetes Leben auf Reisen, bergauf und talab dem Professor seine Taschen hinterhertragend, immer auf der Suche nach Beweisen und Belegen, um die sich die Mission des Alten drehte.

Stettin, die frische Brise, der Salzgeruch und das Haff, die windschiefen Bäume, die Kiefern am Strand, war seine Heimat, und alles, was Haribald gewollt hatte, war malen und träumen und die Träume malen. Die Bahn der Gestirne interessierte ihn ebenso wenig wie der andere Unsinn, mit dem ihn Professor Bechstein jeden Abend mästete.

»Hättest du besser auf das Pferd achtgegeben, könntest du jetzt neben mir sitzen.«

»Ja, Professor.«

»Na, eine Lehre für das nächste Mal.«

»Man vertraut eben keinem Mann mit geschlitztem Ohr sein Pferd an...«, murmelte Haribald leise.

»Man vertraut eben keinem Mann mit geschlitztem Ohr sein Pferd an...«, sagte Professor Bechstein und hob dabei den Zeigefinger. Ein Schmetterling fing seinen Blick, wurde jedoch abrupt abgelenkt durch ein langgestrecktes Heulen. Bechstein runzelte die Stirn, Haribald verlangsamte seinen Schritt und brachte die Kutsche rumpelnd zum Stehen.

»Hört Ihr, Professor? Ein Wolf!«

»Das ist unmöglich, weil viel zu früh, denn die Tiere sind…! Na, was sind sie, Haribald, was sind sie? Dämmerungsaktiv«, winkte der Professor ab und suchte nach dem verschwundenen Schmetterling. »Und jetzt weiter, Haribald, wir wollen am Nachmittag in Thale sein.«

Haribald nahm die Griffe ein wenig fester in die Hand, trat an und zog die einachsige Kutsche weiter über den schlammigen Weg durch den Wald. Das Grün der Bäume empfand der Junge als erdrückend, das Zwitschern der Vögel als bedrohlich. Das offene Meer und Möwengeschrei waren ihm tausendmal lieber als Wolfsgeheul und Hohlwege.

Ab und zu wich Haribald einem wassergefüllten Schlagloch aus, denn er kannte diese Löcher, in denen sich die Lichtstrahlen brachen, als heimtückisch und teilweise knietief. Schatten am Wegesrand, Bruchholz und dahinter erwartete Haribald ganz sicher einen Räuber oder zwei, mit geschärften Schwertern, schweren Keulen und hässlichen, vernarbten Gesichtern.

Er starrte zu angestrengt auf den Weg zu seinen Füßen, um die zwei Männer hinter der nächsten Kurve rechtzeitig zu bemerken. Sie trugen braune Hemden und Hosen, die ihnen in Fetzen um den Körper hingen. Die Haare der Männer waren lang und zottig, die schweren Knüppel in ihren Händen sorgten für Eindruck.

»Brrr!«, machte Haribald unwillkürlich, rutschte über den Boden, blieb an einer Wurzel hängen und brachte stolpernd die Kutsche zum Stehen.

Die Männer schlugen mit den Knüppeln in ihre offenen Handflächen, der eine kaute auf etwas herum und spuckte einen braunen Strahl vor Haribald auf den Boden. Haribald wagte nicht einmal zu keuchen, nur die Vögel zwitscherten hämisch, als hätten sie es gewusst.

»Her«, sagte der erste Mann nur. Er war größer als der andere, dünner, und als er sprach öffnete sich hinter seinen Lippen eine dunkle Kalksteinhöhle, in die gelbbraune Stalaktiten und Stalagmiten ragten. Der andere Mann, um einiges dicker, genauso unrasiert und dreckig, kaute seelenruhig weiter.

»Was ist, Haribald, warum bleibst du stehen?«, fragte Bechstein, als würde er die Wegelagerer überhaupt nicht sehen. Haribald drehte sich mit weit aufgerissenen Augen um, wollte dem Alten sagen, ihr letztes Stündlein habe gerade geschlagen und anfangen, panisch zu schreien, als Bechstein zu lächeln begann.

»Ach, Ihr seid es«, sagte er. »Wie laufen die Geschäfte?«

»Geld, Fmuck und die Klamotten, aber fackig, ne«, sagte der Lange ungerührt.

»Euer letzter Überfall hat sich weit herumgesprochen, ich hatte schon Angst um Euch. Wie ist es Euch denn so ergangen?«, fragte Bechstein wieder mit fester Stimme. Haribald war kurz davor, schreiend die Flucht in den Wald zu ergreifen.

Der Dicke sah seinen Kompagnon von unten an.

»Du kennst den, Gebhard?«

Der Lange sah zum Dicken hinunter, doch bevor er etwas sagen konnte, klatschte Bechstein in die Hände. »Ich habe Euch ja bereits letzte Woche etwas für die freie Fahrt gezahlt, Gebhard, und hoffe, Ihr zwei habt das Geld gut verwendet.«

Jetzt runzelte der Lange die Stirn. Ein Stück Dreck fiel auf seine Nase.

»Welches Geld?«, fragte der Dicke.

»Na, das Geleitgeld für die Passage durch Euren Wald«, sagte Bechstein verwirrt. »Ihr habt es ihm doch gesagt, Gebhard, oder nicht?«

Der Lange räusperte sich und schien zu überlegen. In Haribalds Blick flackerte weiterhin Panik, der Professor hob die Hände, um seiner Ratlosigkeit Ausdruck zu verleihen. Ein Gedanke riss den langen Räuber aus der Überlegung.

»Und wenn ef fo if‘, ne, dann fahlft du halt nochmal, ne«, blaffte er. Der Dicke hob den Blick voller Misstrauen.

»Hast du mir schon wieder was unterschlagen?«

Der Lange legte den Kopf schief, biss die letzten zwei Zähne zusammen und starrte den Dicken verkniffen an. Seine Keule hing locker an seiner Seite.

»Hör fu, Ferdinand, du haft wieder diefen Ton, den ich nicht mag. Natürlich hab‘ ich dir nichtf vom Geld gegeben, weil ef gar kein... »

»Ich glaube es nicht. Natürlich, sagt er, natürlich habe ich dir nichts vom Geld gegeben. Hast du das gehört?«, sagte Ferdinand zu Haribald, der sich vergeblich an einem Lächeln versuchte. Der Lange packte den Dicken am Kragen und zog ihn zu sich heran. »Wirft du mich wohl aufreden...«

»Du kotzt mich an mit deinen Ausreden. Seit drei Monaten höre ich mir das jetzt an. Du hast den Braten essen müssen, weil er sonst schlecht geworden wäre, du hast den letzten Schluck Wein nur getrunken, weil man Kopfschmerzen davon kriegt, und die wärmere Decke ist angeblich viel zu kratzig!«, fauchte Ferdinand. »Und jetzt unterschlägst du mir auch noch Geld, du elender Lump.«

»Ich hab‘ daf Geld nicht unterflagen...«, fauchte Gebhard zurück und hob die Keule. Mit katzengleicher Wendigkeit, die sowohl Haribald als auch den Langen überraschte, drehte sich der Dicke um die eigene Achse und schlug dabei dem Langen die Faust in den Bauch.

Als der zusammenklappte und sich sein Gesicht auf gleicher Höhe wie das des Dicken befand, holte dieser aus, um ihm ordentlich aufs Maul zu hauen, seine Faust landete jedoch in der reaktionsschnell erhobenen Hand seines Gefährten.

Zwei Schläge: Faust traf Kinn, Keule traf Fuß, zwei Schreie, wütendes Fluchen. Anschließend ging die Klopperei los. Der Lange und der Dicke hieben mit Füßen, Fäusten und den Knüppeln aufeinander ein. Dazwischen beschimpften sie sich als Lügner, Betrüger, Räuber, Kameradenschwein und Abschaum.

»Haribald, trab an«, sagte Bechstein. Darauf hatte sein Assistent nur gewartet. Sie ließen das Räuberduo links liegen. Als sie um die nächste Biegung rollten, beruhigte sich endlich Haribalds Herzschlag.

»Wie viel habt Ihr ihm denn gezahlt, Herr Professor?«

»Nichts, mein Junge, natürlich nichts.«

»Ihr sagtet...«

»Schlagen sie nicht gleich zu, hat der Reisende eine Chance. Denn rhetorisch, mein Junge, sind uns diese Halunken immer unterlegen. Der Mensch ist einfach schrecklich naiv.«

Bechstein rieb zufrieden sein glattrasiertes Kinn und lehnte sich zurück. »Das Wort, mein lieber Haribald, ist stets mächtiger als das Schwert.«

Die nächsten Stunden begleitete sie das Zwitschern der Vögel und fleckiges Sonnenlicht, der Weg unterbrochen von einigen Lichtungen, manchmal liefen ein Reh oder ein Wildschwein von Waldsaum zu Waldsaum. Schließlich wichen die Bäume zurück, und hinter einer Gruppe alter Eichen führte der Weg aus dem Wald. Links und rechts lagen im Sonnenlicht Felder, auf denen die Saat bereits eine Handbreit aufgegangen war. Der Weg führte leicht bergauf. Haribald geriet rasch ins Schwitzen, dann kamen Häuser in Sicht.

Ein kleiner, schmutziger Junge am Wegesrand sah die beiden, hüpfte vergnügt und lief nebenher.

»Warum ziehst du denn die Kutsche?«, wollte das Kind wissen. Haribald hatte keine Kraft mehr für ein Lächeln. Nach dem ersten Gehöft ließ er die Kutsche ausrollen, machte letzte Schritte und stand still.

»Ist das hier Thale?«, fragte Professor Bechstein. Der Junge mit dem schmutzigen Gesicht schien zu überlegen. Haribald fragte sich, ob das Dorf hier überhaupt einen Namen hatte.

»Mama«, rief das Kind, machte auf der Stelle kehrt und rannte über die schlammige Straße in das nächste Haus. Ein paar Hühner flatterten umher, hinter einem Zaun stierte eine Kuh herüber. Drei oder vier Gehöfte lagen am Weg, dahinter klapperte eine Mühle an einem Bach, und erst dort, wo der Wald wieder dichter wurde, konnte Bechstein den Turm einer kleinen Kirche erkennen. Zwei weitere ärmliche Häuser scharten sich um den Platz davor.

Aus dem Haus, in dem der Junge verschwunden war, kam eine junge aber erschöpft aussehende Bauersfrau. Ihr zerrissenes Hemd stand halb offen und ließ die Ansätze runder, schwerer Brüste blitzen.

»Was wollt Ihr denn?«, fragte sie. Haribald ertappte sich bei der Vorstellung, wie sie wohl ganz ohne Rock und Schürze aussah. Bechstein stieg ächzend von der Kutsche, Haribald streifte das Geschirr ab, ließ den Kutschkasten nach vorne kippen und streckte sich.

»Ist das hier Thale?«

»Bestimmt«, sagte die Frau. Sie schien Haribalds Blicke zu bemerken, doch statt das ehemals weiße Kattunhemd vor der Brust zusammen zu raffen, reckte sie ihren Oberkörper und vergrößerte so den Spalt. »Aber Ihr wollt bestimmt nicht hierher.«

Bechstein trat vor die Frau in der Tür. Der kleine Junge versteckte sich hinter ihr und sah neugierig zum Professor hinauf.

»Habt Ihr vielleicht einen Schluck Bier hier für mein Pferd, pardon, meinen Adlatus?«, fragte Bechstein, nachdem er sich umständlich und ausgiebig geräuspert hatte.

Die Bäuerin hob die Augenbrauen, schickte ihr Kind ins Haus und nickte in Haribalds Richtung. Dabei öffnete sich ihr Kleid noch weiter. Ihre Brüste waren mit dunklen Warzen besetzt. Auch Bechstein wurde der Mund trocken.

Über ihrem Kopf hing an der Tür ein Hufeisen, daneben waren mit Kreide drei Kreuze gemalt. Bechstein drehte sich zu Haribald um, auf seinem Gesicht lag ein breites Grinsen. Mit dem Kopf winkte den Jungen heran.

»Hufeisen, mein Junge, ein Hufeisen.«

Haribald hob die Schultern, murmelte »Na und?«, und griff nach dem Bier, das ihm vom Kind in einem Tonbecher angeboten wurde.

Er konnte sich ein Seufzen kaum verkneifen, denn er wusste, was ihn jetzt erwartete. Praktische Forschung, nannte es sein Lehrer, dabei lief es auf Körperkontakt hinaus, der ihm in dieser Form zwar nicht zuwider war, jedoch eine gehörige Portion Überwindung abforderte. Die Nähe einer Frau, so hatte Haribald festgestellt, hatte ihn bislang eher im Geiste interessiert, auf dem Papier, als anatomische Studie in Rötelkreide. Die dralle Bäuerin stemmte die Hände in die Hüften.

»Nur Bier? Oder wolltet Ihr mit Pferd vielleicht etwas Anderes über euren Schüler andeuten?«

Bechstein spürte, wie ihn die schlichte Direktheit, die primitive Sexualität der Bäuerin in Verlegenheit brachte. Zudem roch sie geradezu nach der Mal Franzos, der gallischen Krankheit, die Menschen auffraß wie ein Lindwurm, der von innen kam.

»Ich bin sicher, dass mein Schüler über viele Qualitäten verfügt.«

Die Bäuerin ließ eine Zungenspitze zwischen den blassroten Lippen blicken, musterte Haribald von oben bis unten und trat von einem Bein auf das andere.

»Die ihr mir sicher nicht so einfach überlasst, was? Was wollt ihr?«

Informationen. In einer solchen Gegend war Wissen schwer zu bekommen. Zum Glück waren sie vorbereitet. Es würde nicht das erste Mal sein, dass sie sich die Arbeit aufteilten. Ein Kopf und ein Körper. Haribald musste nur lernen, irgendwann einmal, wenn Bechstein zu alt für die Forschung war, selbst die Kopfarbeit zu übernehmen und einem anderen den Körpereinsatz zu überlassen.

»Ich höre?«, sagte die Frau. Unter ihrem Kleid schwangen die Brüste schwer hin und her.

»Wir möchten uns nur mit ihnen unterhalten.«

»Gut, das können wir dann ja hinterher machen.«

Die Frau packte Haribald am Ärmel und zog ihn ins Haus. Professor Bechstein blieb mit dem Kind an der Tür stehen und hoffte inständig, dass Haribald an den Tabaksbeutel dachte.

Die Stube war dunkel, verraucht, dreckig und schnell durchquert. Sie warf Haribald auf eine quietschende Bettstatt im hinteren Teil des Raumes. Ihre Brüste sprangen aus dem geöffneten Hemd. Ihre Finger öffneten zielstrebig seinem Hosenstall und packten seinen harten Schwanz.

»Pferd? Dein Professor hat nicht übertrieben, Jungchen. Endlich mal einer, der nich' verhext is', so wie unsere Männer.«

Ihr Mund stülpte sich über sein Gemächt. Gurgelnd und röchelnd stieß sie sich die Elle in den Hals, als wolle sie ihn verschlingen. Haribald ahnte, dass alles an dieser Frau groß und weit und tief sein würde. Ihr Schnaufen wurde atemloser, doch ehe Haribald die Besinnung verlieren konnte, wurde die Luft an seinem Schwanz kühl.

Im Halbdunkel kroch sie an ihm hinauf, drückte ihn tief in die Bettstatt und raffte den Rock. Bevor sie sich mit seiner harten Elle pfählen konnte, drehte sich Haribald zur Seite. Seine Hand steckte längst in dem kleinen Tabaksbeutel, der ihm in den vergangenen Wochen ein treuer Begleiter geworden war und stets an einer Lederkordel an seiner Hose hing.

»Augenblick«, sagte er, holte aus dem Beutel etwas hervor, das eine wie mit Wachs bestrichene Hostie in der Größe eines Silbertalers aussah.

»Was ist das?«, keuchte die Bäuerin, ungeduldig und überrascht von dieser Unterbrechung.

»Es ist besser für uns«, antwortete der Junge und legte sich die Hostie auf die Eichel. Innerhalb einer Sekunde verwandelte sich die Oblate in eine winzige Mütze wie aus dünner, wächsern schimmernder Baumwolle, die der Junge geübt von der Eichel her über den steifen Degen rollte.

»Schweinedarm, hä? Davon habe ich gehört. Bist ein ganz sauberes Kerlchen, was? Ein Hochwohlgeboren mit einem Ding wie ein Bauer. Ist mein Glückstag heute«, zischte sie und schob sich, kaum dass Haribald den Überzieher bis zur Wurzel abgerollt hatte, seine Lanze bis zum Anschlag hinein. Es war mehr als nur ein Schweinedarm, wusste Haribald, aber das würde sie nie begreifen. Ihre Möse war heiß, weit und gierig. Wie viele Kinder sie dadurch wohl schon gepresst haben mochte? Haribald griff nach den fleischigen Hügeln. Das Holz quietschte, durch den Strohsack stachen spitze Halme in seinen Rücken. Ihr Hintern war überraschend fest.

»Stoß mich, mein Junge, stoß mich«, röchelte sie. »Mein Alter bekommt ihn längst nicht mehr hoch.«

Haribald schwieg und genoss die durch den präparierten Schweinedarm gemilderten Reibungen an seinem Geschlecht. Er prägte sich jedes Detail ein, den Moment der Penetration, die weit gespreizten Hinterbacken, seine ein- und ausfahrende Lanze in der behaarten Möse, die Haut, die Rundungen, die Schenkel. Zu wissen, dass er diese Momente in seinem Geiste bewahren und später aufzeichnen konnte, waren der einzige Grund, warum er nicht längst zurück nach Stettin geflohen war, mit allen Konsequenzen, die ihm sein Vater angedroht hatte.

»Ob Ihr wohl ein wenig Olivenöl zur Hand hättet?«, fragte Haribald, nachdem sie das erste Mal zuckend auf ihm gekommen war. Dabei wusste er, dass die Tränen des Baumes, wie sein Meister die zähe, elastische Flüssigkeit nannte, mit denen er den Schweinedarm so genial behandelt hatte, kein Fett vertrugen. Eine Zwickmühle, denn nur im Hintern einer Frau wurde die schwächere Reibung infolge des Futterals wieder ausgeglichen.

»Spucke tut es auch«, antwortete sie grimmig und ging vor ihm auf alle Viere. Die Knie weit auseinander, den Hintern hoch in die Luft gereckt. Zwischen den Schenkeln dräute der dunkle Busch. Olivenöl war ihm lieber, aber nicht zum ersten Mal wurde er so an die Armut auf dem Lande erinnert. Haribald spuckte in die Hand, verrieb den Speichel auf dem von den Tränen des Baumes geglätteten Schweinedarm und ging die Bäuerin von hinten an.

Sie nahm auch in dieser Öffnung die ganze Elle auf und entließ statt überraschter Schmerzensschreie, die Haribald erwartet hatte, nur ein kraftvolles Stöhnen. Beinahe mühelos schob er sich zur Gänze hinein und nahm Fahrt auf. Noch nie hatte er eine Frau getroffen, die seine Lanze in voller Länge in den Hintern aufgenommen hatte. Und es schien für sie nicht ungewohnt zu sein.

»Stoß mich, du geiler Hengst«, rief die Frau. »Stoß mich in den Arsch.«

Seine Stöße brachten die Bettstatt in Schwingungen. Bald klatschte sein Bauch gegen die festen Backen, umklammerten seine Hände die milchigen, schweren Titten der Frau. Die Bettstatt knarrte erbärmlich, Holz knirschte, Stroh raschelte. Sie bekam mehr Lohn, als ihre Informationen wert waren, ahnte Haribald.

Wer weiß, dachte er, wer sonst noch den Bauern vertrat. Vermutlich bediente sie sich nicht selten im Stall. Die Bäuerin zuckte und röchelte zum dritten Mal, und schließlich spritzte er kraftvoll in den Überzieher, zähneknirschend und den Moment verdammend, in dem er die Flasche mit dem Olivenöl zerbrochen hatte.

Haribald nahm einen tiefen Zug aus dem Krug. Das Bier war angenehm warm, aber fad. Zu wenig Hopfen und schlechte Gerste. Die Frau stopfte ihre Brüste zurück unter das Kattunhemd und setzte sich an den wackeligen Tisch.

»Was wollt Ihr wissen.«

»Gute Frau, sagt mir, das Hufeisen über Eurer Tür...«

Die Bäuerin erstarrte für einen Augenblick, dann blaffte sie Haribald an. »Na, wie ist‘s Bier? Sagst ja gar nichts.«

»Tolles Bier. So nass.«

»Trink mal ordentlich, Junge, siehst durstig aus.«

»Bin ja auch den ganzen Tag gelaufen.«

»Jammere nicht, Haribald. Wenn du nicht das Pferd...«

»...einem Mann mit einem Schlitzohr gegeben hättest. Ja ja.«

»Also, gute Frau, das Hufeisen... »

»Ach, Hufeisen, was ist mit Bier, wollt Ihr ebenfalls ´nen Schluck?«

»Nein, ich möchte wissen, warum hier ein Hufeisen über der Tür hängt. Und die drei Kreuze daneben, was haben die zu bedeuten. Gibt es hier im Dorf vielleicht Probleme?«

Die Bäuerin stemmte ihre Hände in die massigen Hüften und richtete sich auf. Der Schemel unter ihrem Hintern kippte um und polterte auf den Lehmboden.

»Probleme? Natürlich. Habter das da nich‘ wo Ihr herkommt, hä?«

»Probleme, nun, es kommt darauf an...«

Beim Lachen zeigte sie eine überraschend vollständige Reihe Zähne. »Jaa, ham‘ hier ´ne Menge Probleme, ne. Ernte letztes Jahr war schlecht, Winter zu kalt, wir hatten die Dings, die Pocken...« Sie stellte sich bequem und zählte an den Fingern ab. »...den Holzwurm im Gebälk, durchs Dach regnet‘s rein und letzte Woche is‘ne Kuh verreckt, ne. Probleme?«

»Interessant.« Professor Bechstein wandte sich an Haribald. »Mein Junge, gib mir bitte das Buch.«

Haribald gab den leeren Tonbecher an das kleine Kind zurück, ging durch die Tür auf die Straße und holte eine schwarze Tasche aus der Kutsche. Das Tageslicht blendete. Im Bauernhaus war es verdammt dunkel. Bechstein setzte eine kleine Sehhilfe auf die Nase, wühlte lange in der Tasche herum und zog ein in braunes Leder eingebundenes Buch hervor.

»Kuh... Kuh...«, murmelte der Professor und kratzte ab und zu sein Kinn. »Gibt eine Eurer Kühe vielleicht Rotwein?« Er nickte Haribald aufmunternd zu. »Oder sprechen Eure Katzen? Oder gibt es bei Euch fliegendes Geschirr, zum Beispiel Untertassen?«

Die Bäuerin streckte ihren Kopf hervor, sah nach links, dann nach rechts, packte den Professor schließlich am Hemd und zog ihn zu sich heran.

»Die alte Keplerin!«, zischte sie. »Wohnt im Wald alleine, jaaa, nennt sich Kräuterweib, aber ha.« Sie spuckte auf den Boden. »Die Pocken komm‘ von ihr, die schlechte Ernte, waren die verfluchten Weiber, die Kuh, das Dach. Hat sogar unseren Tisch verzaubert, plötzlich läuft er.«

»Kann ich den Tisch einmal sehen?«

Die Bäuerin lockerte den Griff. »Ham wer verfeuert, ne, ist ja alles runtergefallen, hat ja kein Sinn mehr gehabt, ne. Letzte Woche ist die Keplerin auf ´ner Sau durchs Dorf geritten und anschließend ist mein Jüngster an Dings, ääh, hat er die Dings, hier, ne, gekriegt.«

»Die Dings?«

»Jaaa, schlimm, ekelig.«

»Hat sie jemand dabei gesehen, ich meine, die Keplerin?«

»Jaaa, mein Mann, wie er vom Wirt kam, ne, jaa, genau gesehen« sagte die Frau und ließ den Professor los. Der schob seine Brille zurück auf die Nase und rückte das Barett zurecht.

»Und wer ist die Keplerin?«

»Die macht immer so Handlesen und so, jaja, im Wald hinter Blankenburg. Ist eine ganz schiefe, die spricht mit Wölfen und reitet auf dem Besen und hat unsere Männer verzaubert, so dass sie ...« Sie nickte mit dem Kopf. »...nicht mehr können.«

»Können?«

»Na, keinen mehr hoch bekommen...« Wieder nickte sie, diesmal entschieden deutlicher in Richtung der Körpermitte des Professors.»In der ganzen Gegend sind die Männer nicht mehr in der Lage zu vögeln. Und das alles wegen der vermaledeiten Hexen. Brauchen mal ´nen Prozess, hier. Und dann, ruckzuck, Rübe ab.« Die Frau strich sich mit dem Zeigefinger über den Hals und holte ein knackendes Geräusch aus der Kehle. »Diese vermaledeiten Weiber. Klauen Kühe und Hühner, und dann sind unsere Kinder dran. Und die Pest bring se uns, die ham sich verschworen, ham se sich, gegen uns Menschen. Ich sach Euch, der Teufel, der ist überall, vor allem hier im Harz, hier.«

Je mehr sie sagte, um so lauter wurde sie. Ihr Gesicht rötete sich, Speichelblasen tauchten auf den blassen, aufgesprungenen Lippen auf, die Augen quollen aus den Höhlen. Haribald wusste die Dunkelheit in den vielen Räumen, die er in den letzten Tagen gesehen hatte, besonders zu schätzen. Nachts, dachte er, sind wirklich alle Katzen grau.

»Die ham sich gegen uns verschworen und wollen die Welt übernehmen. Erst verzaubern sie unsere Ernten, ne, und die Tiere und die Kinder, und Pest und diese Mal Franzos, die ham se uns an den Hals gezaubert.«

»Habt Ihr Beweise, gute Frau?«

»Beweise? Wie Beweise? Wollt Ihr mich verarschen, hä? Seid Ihr auch einer von denen, hä? Ihr braucht nur die Frauen zu fragen, wann ihre Männer sie das letzte mal bestiegen haben. Keiner kriegt mehr einen hoch. Und ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie mir jemand erzählt hat, er hätte die ganzen Weiber herumfliegen sehen, Tsabitta und Köstritza und Dihomma und wie sie sich nennen, die geilen Weiber. Mit eigenen Augen gesehen. Brennen müssen die, brennen auf dem Scheiterhaufen.«

Jetzt schrie die Frau. Sie spuckte beim Schreien dem Professor ins Gesicht. Sie drängte ihn zur Tür.

»Und jetzt ist besser, wenn Ihr geht, überleg‘ grad, wo ich die Mistgabel zuletzt gesehn hab‘, weil ich glaube, dass Ihr einer von denen seid. Beweise, hier brauchen wir keine Beweise, wir glauben an das, was wir gehört und gesehen haben, hä, Beweise, was ist’n das überhaupt, hä, Beweise, schert Euch wech!«

Sie verschwand im hinteren Teil der Stube und kehrte gleich darauf mit einer gefährlich spitzen Mistgabel zurück. Professor Bechstein hob beschwichtigend die Hände, der Junge befürchtete bereits das Schlimmste, als sich ein lautes Geschrei hundert Schritt die Straße hinauf erhob.

Ein herausgekehrter grüner Strauß an einem breiten, geduckt wirkenden Gebäude, das kurz vor dem Zusammenbruch stand, deutete in Haribalds Augen auf einen Dorfgasthof hin. Eine Gruppe von zehn Männern drang in den Gasthof ein, man hörte Splittern von Holz und Wehklagen.

»Diese, diese Hunde!«, rief die Bäuerin und wandte sich ab vom Professor, der bereits zur Kutsche geschlichen war. Sie nahm die Mistgabel und stürmte zur Straße. »Das sind wieder die Quedlinburger, diese Hunde.«

Haribald hatte das Geschirr der, wie er es nannte, Kreuzung zwischen Armesünderkarren und ungarischem Kotschi-Wagen bereits auf die schmerzenden Schultern genommen, da kamen die Männer wieder aus dem Gasthaus. Drei von ihnen rollten Fässer vor sich her, vier hielten zwei keifende Frauen und einen erbosten Mann zurück, den Haribald für den Wirt hielt, die letzten trugen Äxte.

»Professor, was...«, begann der Junge, dann holten die Männer mit den Äxten aus. Die Bäuerin kam gerade rechtzeitig, um sich mit dem Schwall Bier, der aus den Fässern rauschte, die Füße nass zu machen.

»Das ist, nehme ich an, eine Gegenmaßnahme der Quedlinburger«, sagte Bechstein, während er auf den Wagenkasten stieg. »Weil die Dorfbewohner mehr Bier produzieren, als sie für den Eigenverbrauch benötigen.«

»Na, und?« Mit einer Handbewegung gab ihm der Professor zu verstehen, das Thema fürs Erste nicht weiter zu behandeln. Sie rollten am Gasthaus vorbei. Der aufgebrachte Wirt schimpfte den abrückenden Quedlinburgern hinterher, die Faust erhoben. Die Bäuerin hatte ihre Mistgabel in den vom Bier getränkten Boden gesteckt und guckte grimmig, was Haribald bei der Menge vergeudeten Bieres gut verstehen konnte.

»Nach Blankenburg?«, fragte er schüchtern.

Die Bäuerin wies mit der Hand in die Richtung der Kirche. Noch lange hörten die Reisenden das Zetern des Wirtes, der Frauen und der Bäuerin.

Des Spielmanns Instrument

 

Der Hagel ließ nicht einfach nach, er stoppte so plötzlich, wie er eingesetzt hatte. Eben noch rauschten die erbsengroßen Körner einem Gazevorhang gleich von oben herab und das Prasseln auf den Blättern der Kastanien schwoll an zu einem ohrenbetäubenden Dröhnen, jetzt herrschte plötzlich Stille.

Hier und da tropfte es von den Ästen, knarrte ein Baum, knackten Zweige. Selbst die Vögel schienen betäubt vom Lärm zu überlegen, ob es sich wieder lohnte, den Schnabel zu öffnen. Die Dunkelheit im Wald wurde zu einem hellen Grau. Lichter wurde es nicht, schon seit Wochen war die Sonne nur sporadisch zu sehen gewesen.

Tim streckte den Kopf unter einer Fichte hervor. Vorsichtig machte Tim erste Schritte zwischen kleinen Hagelhaufen, lief um Pfützen herum und hüpfte schließlich vor Vergnügen.

Das Leben hatte vor drei Tagen wieder einen Sinn bekommen.

Seitdem er von einem Jahr beschlossen hatte, Spielmann zu werden und mit der Musik seinen Lebensunterhalt zu verdienen, war es mit ihm bergab gegangen. Sein Vater hatte ihn vor die Tür gesetzt und die Schmiede an Tims jüngeren Bruder übergeben, seine Mutter hatte es vor Kummer die Sprache verschlagen, und seine Großmutter hatte ihm lediglich den spöttischen Rat mit auf den Weg gegeben, sich vor den Wölfen in Acht zu nehmen.

Wölfe. Das Bild im Kopf war fertig, brauchte keine weiteren Details. Spitze Zähne, gelbe Augen, drohendes Knurren und unbändiger Hunger. Immer drehte es sich darum, wie viele Geißlein der Wolf gefressen, welche Mädchen im Wald er verschlungen und warum er den Spielmann zerrissen hatte.

Niemand jedoch hatte sich ein Bild davon gemacht, was es für Tim bedeutete, Musik zu machen. Was Martin Luther für Reformierte, war Josquin Desprez, der Fürst der Musik, für Tim geworden. Seine Motetten, Messen und Chansons waren der Blitzschlag auf freiem Felde gewesen, die Erleuchtung des Unwissenden, die Aufklärung des Unmündigen.

Dessen ungeachtet hatte sich Tim das Leben des Musikers einfacher vorgestellt. Zwei gravierende Probleme stellten sich heraus. Zum einen nannte er bis vor kurzem lediglich eine Triangel sein Eigen und zum anderen konnte er nicht einmal sie spielen.

Wenn er sich auf den Marktplatz stellte und versuchte, mit seiner Triangel eine Melodie zu spielen, straften ihn die Passanten mit Missachtung oder, schlimmer noch bewarfen sie ihn mit faulem Obst und trieben ihn aus dem Ort.

Dann aber traf er mit knurrendem Magen zwischen Osterleben und Haldeberg ein altes Mütterchen im Wald, trug ihr in der Hoffnung, sie würde ihm etwas zu Essen dafür geben, einen Klafter Holz in die Hütte. Doch statt ihm Wurst und Käse zu geben, verschwand die Alte mit knackenden Gelenken durch eine schmale Tür. Gerade wollte er enttäuscht wieder gehen, das trat eine wunderhübsche junge Frau in die Hütte.

Sie war splitterfasernackt, mit riesigen, wippenden Brüsten, einem breiten Becken und üppigen Schenkel, zwischen denen kein Haar den Blick auf die Möse verbarg. Ohne Umschweife kniete sie sich vor ihn, öffnete seine Hose und holte seinen Schwanz heraus. Sie ließ wortlos sein kleines Männchen in ihrem Mund verschwinden und weckte Gefühle, die vor lauter Musik bereits vergessen schienen.

Von so etwas hatte er seit Wochen nur träumen können in feuchten Nächten, während er sich unruhig im Stroh, im Gras oder im dreckigen Lager einer Elendenherberge herumgewälzt hatte.

Während Tim von oben und mit zitternden Knien betrachtete, wie sich der Kopf der blonden, wunderhübschen Frau auf seinem blitzschnell erwachsen gewordenen Mann vor und zurück bewegte, beschloss er, in Zukunft netter zu alten Frauen zu sein.

Wer wusste schon, ob nicht alle eine schöne Tochter hatten, die ihn für seine Hilfsbereitschaft belohnen wollten? Kaum hatte er die Ersparnisse der letzten Wochen bis auf den letzten Tropfen aus dem mit Fingern und Zunge verhätschelten runzligen Beutel zwischen seinen Beinen geholt und war ermattet auf einen wackligen Hocker gesunken, verschwand die nackte, blonde Frau wortlos mit schwingenden Hüften durch die Tür.

In beiden Mundwinkel glitzerten milchigweiße Tropfen. Glücklich, aber mit knurrendem Magen verließ er die Hütte. Die trockenen Reste aus seinem Brotbeutel und ein paar Beeren waren das klägliche Mahl des Tages, ein Bett aus Moos unter einer Tanne sein Nachtlager.

Der nächste Tag begann so traurig wie der vorherige. Hungrig stellte er sich in der nächsten Ortschaft auf den Marktplatz und spielte wieder vergebens auf seiner Triangel, bis ihm der Magen in den Kniekehlen hing und er kurz vor dem Entschluss stand, Mundraub zu begehen und enttäuscht nach Rostock zurückzukehren. In diesem Moment humpelte ihm eine runzlige alte Frau mit einem schweren Sack auf der Schulter über den Weg. Buckel, Warzen, strähnigen grauen Haaren und eingefallenen Lippen.

Anfangs begegnete sie seinem Wunsch, ihr den Sack abzunehmen, mit ungerechtfertigtem Misstrauen, aber schließlich überzeugte Tim sie mit leichter Gewalt und trug ihr den Sack nach Hause. Seine Frage nach der Tochter, Enkelin oder Nichte hingegen schien sie nicht zu verstehen, und die Bitte um Belohnung erfüllte sie schließlich mit einem trockenen Kanten Brot und einer Ecke Käse.

Gerade jedoch hatte Tim die Hütte verlassen und sich auf die Suche nach einem Quartier für die Nacht gemacht, liefen ihm zwei junge Mädchen mit einem Korb in der Hand über den Weg. Auf die Frage, wohin des Wegs sie seien, antworteten sie im Chor: »Zur Großmutter.«

Tims Augen weiteten sich. »Braucht eure Großmutter zufällig Hilfe in der Küche?«

Krachend traf die Klinge den Holzklotz. Tim schwitzte. Er hatte Angst, sich in der Dunkelheit selbst in den Fuß zu hacken. Zwei Klafter später waren die beiden jungen Mädchen längst wieder im Wald verschwunden, und Tim traute sich kaum, nach einer Belohnung zu fragen. Er wollte nur noch schlafen. Vielleicht hatte die alte Frau ja eine Scheune.

»Ich habe nicht viel«, knarrte die Frau später am Tisch. Tim schlief beinahe im Sitzen ein. Aus dem Mundwinkel hingen ihm der letzte Zipfel Wurst. »Was könnte ich Euch geben?«

»Ein Bett«, murmelte Tim, während das Hemd an seinem Körper trocknete. So viel Holz hatte er in seinem ganzen Leben noch nicht gehackt. Für nichts und wieder nichts. Nein, nicht ganz richtig: für eine Mahlzeit.

Am nächsten Morgen erwachte Tim zusammengerollt vor dem Ofen, erhielt eine fette Hafergrütze und einen Krug Bier zum Frühstück, und gerade als er sich verabschieden wollte, um bei der nächsten alten Frau sein Glück zu versuchen, bevor er seine kurze Karriere als Spielmann an den Nagel hängte, drückte ihm die Alte eine Gitarre in die Hand. Eine echte spanische Gitarre mit fünf Saiten.

»Hier. Mein Mann hat sie spielen können. Ich leider nicht. Vielleicht könnt Ihr sie eintauschen gegen etwas zu Essen oder was Euch sonst noch weiterhilft.«

Und so hatte sein Leben eine ganz neue Wendung genommen. Rasch entdeckte er die Möglichkeiten der Gitarre, die ihm die Triangel nicht geboten hatte – nicht nur für das Spiel, sondern auch fürs Singen. Ihm gingen mit der Gitarre in der Hand auf einmal Worte, Melodien und Rhythmen wie von selbst über Zunge und Finger.

Josquin, dachte Tim, zieh dich warm an. Jetzt kommt Tim, der Spielmann.

Leider war das Wetter sehr wechselhaft. Immer, wenn sich die Sonne gerade wieder zeigte und Tim auf den Marktplatz trat, dauerte es keine Minute, bis er Spiel und Gesang unterbrechen musste, weil ein Platzregen hereinbrach. Der April, dachte Tim, macht wirklich was er will. Zum Glück gab ihm eine Marketenderin in ihrem Planwagen Unterschlupf und nahm ihn ein Stück mit.

Sie sei auf dem Weg nach Kurland, wo sich ein Krieg zwischen Schweden und Polen abzeichne und ein gutes Geschäft verspreche. Tim schrubbte über die Saiten und sang, und die dralle Marketenderin trieb mit schnalzender Zunge die beiden Pferde an. Kurz hinter Wernigerode bremste sie die Pferde.

»Wenn du deine Zunge so gerne gebrauchst, solltest du es vielleicht zwischen meinen Schenkeln tun«, sagte sie und lüpfte den Rock. Zwischen Pfannen und Töpfen, Säcken voll Mehl, Grieß und Rüben, zwischen Kräutern und Krügen spreizte sie die Beine und ließ Tim, nachdem er sie nicht weniger als zweimal mit der Zunge zum Höhepunkt gebracht hatte, mit drei, vier und fünf Fingern ihre Möse untersuchen.

»Landsknechte«, keuchte sie, als ihr Tim seine Hand bis weit über das Handgelenk hineinschob, »haben immer so große Musketen. Das schafft Platz in meiner Möse.«

Tim, dessen Magen lauter knurrte als die Pferde wieherten, griff sich mit der freien Hand einen Apfel aus einem Korb und massierte der lustvoll Zeter und Mordio rufenden Marketenderin die heißen Tiefen ihrer erfahrenen Möse. Zuckend kam sie ein drittes und viertes Mal, und der Spielmann schwor sich, darüber ein Lied zu verfassen, das noch Generationen später allen Zuhörern die Augen feucht werden lassen sollte.

Als sie sich anschließend hinkniete und Tim seine Flöte in ihren mit einem großzügigen Stück Butter gefetteten Hintereingang schob, stopfte er sich ein herzhaften Stück Brot hinterher und dazu noch ein Stück kalten Schweinebraten. So hatte er sich das Leben als Spielmann vorgestellt. Sex, Dauerwurst und Motetten.

»Dieses Instrument beherrschst du wirklich meisterhaft«, grölte die Marketenderin bei jedem Stoß, den Tim zwischen ihren drallen Backen ausführte. Dabei schob sie sich einen strammen Rettich tief in die Möse. So viel Unersättlichkeit hatte Tim noch nie erlebt. Lustvoll biss er in eine Karotte und spritzte ihr in den Arsch.

Bei einer ausgedehnten Mahlzeit erzählte ihm die Marketenderin vom letzten Grafen der Blankenburger, der wieder auf Regenstein thronte, seit Gräfin Margarethe zusammen mit ihren Kindern an der Pest gestorben war. Sie berichtete Tim, der Graf sei schwermütig geworden, weil das Geschlecht auszusterben drohte.

Seit Jahren habe er nicht mehr gelacht, Unterhaltung sei ihm ein Fremdwort geworden, er hocke trübsinnig in seiner Felsenburg und warte angeblich auf den Tod. Das wisse sie, weil sie dem Grafen vergeblich ihre Dienste angeboten habe.

Die Gelegenheit, sich ein paar Taler zu verdienen, dachte Tim. Am nächsten Morgen trennten sie sich. Die Marketenderin hatte ihren Wagen zurück auf die Straße gen Nordosten gelenkt, und Tim hatte sich auf den Weg nach Südwesten, in Richtung Blankenburg gemacht.

Die Erinnerung an die letzten drei Tage tat gut. Tim hüpfte wieder vor Vergnügen und stapfte mit seinen Stulpenschuhen von Pfütze zu Pfütze, bis die Feder an seinem Hut wippte. Eine solche Gitarre war von Anfang an sein Wunsch gewesen.

Tim nahm das Instrument vom Rücken und zupfte die Saiten. »Und nun eine Hymne«, sagte er zu sich selbst. »Auf mich.«

Also griff er in die Saiten und spielte, bewegte selbstvergessen seine Finger.

»Dreeeeh dich nicht uuuuuum, ohohohoooo, der Spieeeelmann, der geht uuuuum, ohohohooo.«

Kurz darauf brach von der Seite her aus ein Wolf aus dem Unterholz. Keuchendes Knurren und asthmatisches Rasseln begleiteten das Tier, das langsam auf den Weg trottete. Müde Augen waren in Wahrheit ein taxierender Blick, der Blick vor dem Sprung, der Sprung vor dem Knurren, das Knurren vor dem Aufreißen des Mauls voller spitzer Zähne.

Tim stellte das Singen ein, blieb stehen und hielt die Luft an in einem kurzen Moment des Schocks. Wie ist das, wenn man stirbt, dachte Tim. Spürt man die Krallen im Rücken, den heißen Atem der Bestie im Nacken, bevor sich die Zähne in den Hals bohren? Oder verliert man das Bewusstsein, ist der Körper so gnädig und erspart einem die Qual?

Mit einem leisen Ping-Kling sank die Gitarre herab, Tims Hand zitterte. Der Wolf schlich näher, knurrte und ließ die lange Zunge aus dem Maul fahren. Die Worte trafen Tim wie ein Schlag mit der Schalmei.

»He du, Spielmann, wart mal.«

Aus dem Nichts kamen diese Worte. Nun, korrigierte sich der Spielmann, aus der Richtung des Wolfs. Doch Wölfe konnten nicht sprechen. Normalerweise.

»Wer, ich?«, fragte Tim zurück und sah genauer hin. Seine Stimme vibrierte unmerklich. Kein Mensch weit und breit, im Unterholz kein Versteck, das dicht genug war, um von dort einem dressierten Wolf Worte in den Mund zu legen, wie es Tim in Schwerin bei Zigeunern mit Tanzbären gesehen hatte.

»Ja, du«, erwiderte der Wolf. Obwohl das Tier keine Lippen hatte und sich die beiden Kiefer nur wenig auseinanderbewegten, hörte Tim ganz klar die Worte aus der Schnauze kommen. In den Geschichten seiner Großmutter hatte er von sprechenden Wölfen gehört, das hingegen nie für möglich gehalten. Schließlich gab es auch keine sprechenden Kühe, Gänse oder Hasen. Aber Großmutter hatte immer die Wahrheit gesprochen, es gab sie, sprechende Wölfe, hier im Wald, im Harz. Und sie hatten eine tiefe Stimme.

Das Tier umschlich den Spielmann und setzte sich auf den kühlen Waldboden.

»Dich schickt der Himmel.« Der Wolf hob ein Bein über den Kopf und putzte sich. Tim sah sich um. Kein weiterer Wolf zu sehen. Trotzdem war Misstrauen angesagt. Schlief Tim nicht, stand vor ihm noch immer ein Wolf, ein heimtückisches Biest, das Menschen fraß, Schafe riss und Füchse terrorisierte.

»Au«, sagte Tim, der sich unauffällig in den Arm kniff, um einen Traum auszuschließen. »Mich?«

»Du spielst so, so herzzerreißend, du musst mir das beibringen.«

»Was?«

»Das schlechte Spiel.«

Tims Stimme nahm über die Angst hinweg eine Spur Empörung an. »Schlechtes Spielen? Hör mal«, erwiderte er. Wahrlich, er war auf alles vorbereitet gewesen, auf eine kurze Flucht, einen aussichtslosen Kampf und den Tod, jedoch nicht auf eine Diskussion über die hohe Kunst des Musizierens mit einem Tier, das nicht einmal Hände hatte. »In Halberstadt haben mir die Leute sogar Geld gegeben. Die Gitarre ist nämlich neu, musst du wissen, ich habe sie gerade erst bekommen.«

Der Wolf stand auf und hechelte vertraulich.

»Komm, bring es mir bei.«

»Im Ernst? Du willst von mir das Spielen lernen?«

Tim war verblüfft, die Angst weg. Ein Wolf, der nicht bloß sprach, sondern zugleich noch lernen wollte, wie man Gitarre spielte. Besser als ein Wolf, der noch nicht gefrühstückt hatte.

»Ehrlich, ein so schlechter Musikant wie du ist meine Rettung.«

»Die Rettung? Aus welcher Lage?« Seine Stimme verriet wachsende Empörung. Wenn der Wolf nicht langsam aufhörte, über die Qualität seines Spiels zu lästern, würde er ausprobieren, ob die Klampfe gleichermaßen als Schlaginstrument zu benutzen war.

»Ich bin ein verzauberter Königssohn und lebte immer auf einer Burg oder einem Schloss, ganz sicher weiß ich’s nimmer. Denn eines Tages wachte ich auf und war ein Wolf, und neben mir stand eine alte Frau, die sagte, auf mir läge ein Fluch, und erst wenn mir der untalentierteste Spielmann der Welt das Gitarrespiel beibrächte, würde ich wieder zu einem Menschen und mich erinnern, wo ich hingehöre.«

Der Wolf stand auf und umkreiste den Spielmann wieder. Dessen Augen folgten ihm misstrauisch. »Komm. Bring mir das Spielen bei, genau so schlecht.«

Einen Augenblick überlegte Tim und sah in die Schatten hinter den Bäumen. Was würde der Wolf machen, wenn er sich weigerte?

»Und wie soll ich dich das Spielen lehren, du hast doch nicht mal Finger.«

»Ach, Mensch, was weiß ich denn. Ich hab nur gesagt bekommen: Lass dir das Spielen beibringen. Nun hinterfrag doch nicht alles.«

»Bin ich in all den Jahren etwa der erste Spielmann in diesem Wald?«

»Ja, Mann, die scheinen alle einen großen Bogen um diese Gegend gemacht zu haben. Also los, zeig mir, wie das geht.«

»Und du sollst nicht drei machbare Aufgaben lösen, ich meine, so was wie: drei Riesen erschlagen, in deinem Fall fressen, die Prinzessin retten und das Herz eines Alten fangen, das in einem Vogel lebt, der in einer riesigen Kirche im Wald herumflattert?«

»Nö. Davon weiß ich nichts.«

»Das ist ganz schön beknackt. Wer hat sich denn das ausgedacht? Was kommt im Anschluss? Du haust in die Saiten und es macht Puff, und du bist wieder ein Königssohn mit haarigem Rücken? Oder bildest du ein musikalisches Quartett mit einem Esel, einem Hund und einer Katze, und zusammen zieht ihr als Combo Katzenjammer durch die Landen?«

»Soweit hab ich das nicht durchdacht.«

»Ich glaub, man hat dich verarscht.«

»Meinst du?«

Langsam legte sich die Angst, und während er nachdenklich in die dunklen Tannen starrte, kam ihm eine Idee. »Gut, Herr...Wolf, ich werd’s versuchen. Aber eine Regel gilt.«

»Keine Frage.« Der Wolf hüpfte hechelnd im Kreis herum. »Sage mir ganz einfach, was ich tun soll.«

Ein breites Lächeln zeigte sich auf Tims Gesicht. Schlecht spielen. Er packte seine Gitarre, zupfte ein paar Saiten und ging zum Wegesrand. Auf dem Fuß folgte ihm der Wolf. Tim ging am Waldsaum entlang und sah auf die Bäume, seine Augen folgten dem Stamm bis zur Krone, dann ging Tim weiter.

Den Baum, der seinen Ansprüchen gerecht wurde, packte er an einem tiefhängenden Ast, zog an ihm, ergriff den nächsthöheren Ast und zog an ihm die Tanne bis zur Krone hinunter.

»Kraft und Biegsamkeit ist voll gefragt, auch beim Spielen der Gitarre. Also fass mit an...«, knirschte der Spielmann zwischen zusammengebissenen Zähnen. Der Wolf trat heran, Tim drückte ihm das herunter gebogene Ende der Tanne zwischen die Zähne, sagte »halt gut fest« und ließ, gerade als der Wolf seine Tatzen in den Ast krallte, die Tanne los. »Allerbest.«

»Ooooaaaahhhaaauuuuuu!«

Der Wolf wurde von der sich ruckartig aufrichtenden Tanne weit in die Luft geschleudert und fetzte durch die dichten Kronen der Bäume. Irgendwo, weit hinten im tiefsten Wald, fand der Wolf nach einem Parabelflug den Erdboden wieder.

»Verzauberter Königssohn, jaja.« Tim nahm seine Gitarre wieder vom Rücken, zupfte an der untersten Saite, spannte sie eine Idee straffer, zupfte erneut, wich einer Luftwurzel aus, strich über alle fünf Saiten und spielte wieder eine Melodie, die er vor Jahren einmal auf einem Volksfest gehört hatte.

»Oooh!«, begann Tim aus vollem Halse zu singen. »Ach wie guuut, dass niemand waißßßß, dass ich auf die Wöööölfe scheiß‘!«

Singend wanderte Tim durch den grünen Wald. Das Gelände wurde welliger, und weit vor ihm erhoben sich die ersten Ausläufer des Harzes. Der Weg machte immer wieder einen Bogen um ein besonders dichtes Waldstück oder schlängelte sich an einem Bach entlang.

Wenn Beleidigungen alles war, das er von einem sprechenden Wolf zu fürchten hatte, freute er sich schon auf die nächste Begegnung. Vor allem aber war Tim gespannt, wie sich Graf von Regenstein oder Blankenburg oder wie immer er hieß, auf seine Musik reagierte.

Not, geil

 

Graf Johann Ernst von Blankenburg, oder Botho, wie er sich seit einigen Monaten selbst nannte, saß in seinem hohen Lehnstuhl und grübelte ins trübe Halbdunkel des regnerischen Morgens. Mit der rechten Hand massierte er gedankenverloren eine für sein Alter überaus beeindruckende Erektion.

Der Graf hatte beinahe 60 Winter gesehen, und weiß war sein Haar geworden, das an der Stirn schon weit zurückgewichen war, doch bis auf ein paar Zipperlein wie der steife Rücken, wenn er sich morgens von der Bettstatt wälzte, erfreute er sich bester Gesundheit.

Dennoch seufzte Botho, und das aus gutem Grund.

Hagel prasselte auf das Dach des Palas, sprang von der Fensterbank hoch, rollte herunter auf die durchgewetzten Dielen im Rittersaal oder fegte hinter dem Fenster vorbei, um als kleiner Wasserfall den steilen Sandsteinfelsen hinabzujagen.

Irgendwo in der Rüstkammer rumpelte der alte Theodor, sein letzter Vertrauter, Diener, Begleiter seit Kindheitstagen. Wie alt Theodor war, wusste Botho nicht zu sagen, und Theodor selbst erinnerte sich nicht mehr daran. Botho konnte sich aber nicht an eine Zeit ohne Theodor erinnern, wusste, dass der Alte schon immer auf Schloss Blankenburg gedient hatte.

Erst Blankenburg, jetzt Regenstein.

Theodor, dachte Botho, du treue Seele. Wer sich um wen kümmerte, war allerdings nicht mehr ganz klar voneinander zu trennen. Theodor, der nicht mehr so gut hörte und sah, bereitete dem Grafen jeden Morgen die Hafergrütze vor, versorgte Hirsedieb, den klapprigen alten Zossen, im Stall mit Heu und schlurfte manchmal nur recht ziellos durch die leeren Räume der Burg.

Theodor hatte es sich zur Aufgabe gemacht, jeden Monat die Rüstung zu polieren. Harnisch, Helm, Schwert, Brustpanzer - alles blitzte und blinkte. Und auch die Hakenbüchse hielt sein alter Diener in Ordnung. Mit einer solchen Hingabe putzte sein alter Diener das Metall, dass er Botho fast leidtat. So viel Arbeit für nichts. Nie wieder würde der Graf von Blankenburg die Rüstung anlegen, nie wieder würde er das Schwert schwingen.

Aller Tatendrang war aus ihm gewichen. Er wollte nur noch am Fenster sitzen und in den Regen sehen. Und vielleicht noch darauf hoffen, dass die Köchin wiederkam.

Schließlich ließ der Hagelschauer nach, bis lediglich ein leises Plätschern durch das offene Fenster zu ihm hereindrang. Der Regen fiel schnurgerade. Die Vorhaut glitt über die Eichel, auf und ab, auf und ab. »Ach ja.«