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Als Felix seinen alten Schulfreund David wiedersieht, haben beide ihr Coming Out hinter sich. Aus einem befürchteten One-Night-Stand wird eine brüchige Freundschaft. Denn David ist ein männliches Model und Felix nur ein unauffäliger Student. Und dann passiert diese Sache mit den Zähnen...
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Veröffentlichungsjahr: 2019
David und ich kannten uns aus der Schule. Er war nach dem Abitur aus unserer Kleinstadt geflohen, und ich nenne es Flucht, weil er vorher keinem davon erzählte, weil er nicht einmal eine Anmerkung gemacht hatte, weil er von einem Tag auf den anderen verschwunden war.
Wir sahen uns erst fünf Jahre später wieder, per Zufall in einem Club an der Reeperbahn, den ich zum ersten Mal besuchte und er, wie ich bald erfuhr, möglichst jedes Wochenende. Er hatte sich kaum verändert: das schwarze Haar noch immer kurz und gestylt, ein kleiner Ring im linken Ohr, und am Morgen hatte er sich sicher nicht rasiert. Fast wäre er zu glatt gewesen, aalglatt wie die meisten der Typen in diesem Club, aber er fiel trotzdem auf, und das lag allein an seinem Lächeln.
Wer für David schwärmte, fand auch den typischen Bachelor gutaussehend. Die Grübchen am Kinn und in den Wangen hatte er früher immer als Makel, manch anderer hätte vieles für diese Hypothek gegeben, vor allem einem Chirurgen. Aber das war es nicht, was jedes Mädchen auf der Schule und auch manche Jungs verrücktspielen ließ. Es war sein Lächeln. Ich glaube, selbst wenn er fünfzig geworden wäre, hätte er mit diesem Lächeln wie zwanzig ausgesehen. Niemals wieder habe ich ein derart entwaffnendes, spitzbübisches Lächeln gesehen. Ich stellte mich an den Rand der Tanzfläche und spürte den Bass hämmern, während ich David ein paar Minuten ansah. Er tanzte mit sich selbst, warf gelegentlich einen Blick in die Spiegel am Rand der Tanzfläche, grinste in sich hinein, als lachte er über einen Treppenwitz und zeigte wieder die Reihe perfekter Zähne, die im UV-Licht strahlten. Früher hätte ich alles darum gegeben, sein so makelloses Gebiss zu haben, aber keine Klammer, weder fest noch zum Herausnehmen, hatte meine Zähne richten können. Die von David waren immer gerade gewesen.
Die Top Ten der aktuellen Dancefloor-Charts wurden in diesem Club leider rauf und runter gespielt, meine Begleitung für den Abend war bereits mit einem anderen Typen verschwunden, und wenn David mich nicht schließlich gesehen hätte, wäre ich in den nächsten zehn Minuten gegangen. Am Ende eines Liedes, in dessen Verlauf mindestens drei Frauen vergeblich versucht hatten, seine Aufmerksamkeit zu erregen, sah er in meine Richtung. Er begann so breit zu grinsen, dass es um ein paar Lux heller wurde, und kam dann auf mich zu.
»Gut siehst du aus«, sagte er nur, bevor er mich links und rechts auf die Wange küsste. Ich gab das Kompliment nicht zurück, das hatte ich in seiner Gegenwart nie getan.
»Ich habe deine Fotos gesehen«, sagte ich stattdessen.
Er strahlte, sah mich lange an, und dann gingen wir an die Bar, um herauszufinden, ob fünf Jahre innerhalb einer Stunde zusammenzufassen sind.
Die meisten seiner damaligen Freunde, mich eingeschlossen, hatten ihn für verrückt erklärt, für eitel und leichtsinnig, als er, frisch gekürt zum Gesicht des Jahres, mit seinem Perlweiß-Lächeln den nächsten Fototermin wahrgenommen hatte, statt das letzte Jahr auf der Schule zu bleiben und Abitur zu machen. Wir verloren uns schnell aus den Augen. Er tauchte sofort unter, brauchte scheinbar Anonymität, brach jeden Kontakt ab. Als ich nach Abitur und Wehrdienst mein Germanistikstudium in Hamburg begann, hatte ich bereits zwei Jahre nichts mehr von David gehört und tat es auch die nächsten drei nicht. Ich vermutete ihn bald in Köln, andere wähnten ihn in Frankfurt, doch niemand in unserem Jahrgang fand ihn. Und, um ehrlich zu sein, niemand suchte nach ihm.
Bis Davids Gesicht auf einmal in Katalogen großer Versandhäuser auftauchte, sein Körper in Werbespots für Aftershave glänzte und sein Lächeln eine Dentagard-Reklame adelte. Dann erst googelte ich ihn, fand ihn auf Facebook, folgte ihm auf Instagram, auf Twitter, gab seinen Fotos einen Daumen nach oben, lechzte nach nackter Haut, nach Perlweißlächeln, nach trainierten Muskeln.
Seine Followerzahl war überschaubar, und ich hoffte so, er würde mich in der Masse erkennen, und tatsächlich fragte er irgendwann, ob ich es sei, der Felix aus der Schule. Wir schrieben uns ein paar Nachrichten über Facebook. Wir müssten uns mal treffen, schrieb er, und ich hoffte, es würde kein leeres Versprechen bleiben.
Auf den jährlichen Treffen lästerten meine ehemaligen Klassenkameraden bald über unseren Bachelor und sein Zahnpasta-Lächeln, unerwartet hämisch, ungewohnt unreif. Ich zuckte dann immer mit den Schultern und schwieg. Neid ist nicht meine vorherrschende Charaktereigenschaft.
»Und du?«, fragte er zwei starke Drinks später. Keine Sekunde hatte ich meine Augen von seinem Lächeln lassen können und mich gefragt, wieso ihn niemand außer mir ansprach. »Bist du mit jemandem hier?«
»War ich, aber es sieht so aus, als müsste ich allein nach Hause gehen müssen.«
Davids Lächeln wurde schwach.
»Dann haben wir ja was gemeinsam«, sagte er leise.
»Sieht so aus«, sagte ich, ohne den Blickkontakt abzubrechen.
Davids Wohnung lag im Stadtviertel Rotherbaum, fünfter Stock, sanierter Altbau.
»Ganz oben, da wo die Besten wohnen«, sagte David mit wenig Ironie und viel Stolz, als er mich am nächsten Morgen durch die drei Zimmer, Küche, Bad führte und anschließend zur Aussicht auf seinen Balkon lud. Über die Dächer Hamburgs hinweg konnte man die Außenalster sehen, die Segler darauf und im Winter die Schlittschuhfahrer.