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Jeder hat schon einmal von heiligen Kühen, von Gurus, von Witwenverbrennung und den Tausenden Göttern im Hinduismus gehört. Bollywood-Filme sind Kult und indische Tanzgruppen touren mit großem Erfolg durch Europa. Aber wer weiß schon, dass jeder Inder hinter diesen bunten Darstellungen die jahrtausende alten hinduistischen Schriften erkennt. Und wer weiß, dass der Buddhismus aus dem Hinduismus hervorgegangen ist. "Hinduismus für Dummies" führt in diese so fremde Religion ein und hilft damit auch, das moderne Indien besser zu verstehen.
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Seitenzahl: 610
Hinduismus für Dummies
Vishnu – Welterhalter
Kennzeichen: Muschelhorn, Keule, Diskus, Lotus Reittier: Adler GarudaLakshmi – für Glück und Wohlstand zuständig, Gattin von Vishnu
Kennzeichen: zwei rote Lotusblüten, Schutz- und Wunschgewährungsgeste, Geld regnet aus der HandShiva – Weltzerstörer, Asket
Kennzeichen:als Asket: auf Tigerfell, Halbmond im Haar, Kobra um den Hals, Dreizackals Herr des Tanzes: auf dem Dämon der Unwissenheit in einem Flammenkreis tanzendhäufig nicht bildlich im linga, einem Phallussymbol, abgebildetReittier: Stier NandiParvati – Göttin in ihrer sanften Form, Gattin von Shiva
Kennzeichen: geschlossener LotusReittier: LöweGanesha – Sohn von Parvati, Gott der Weisheit, Beseitiger der Hindernisse
Kennzeichen: Elefantenkopf, in den zwei oder vier Händen abgebrochener Stoßzahn, Stachelstock, Schlinge, Frucht oder Süßigkeiten Reittier: RatteSarasvati – Göttin der Weisheit, Beredsamkeit und der Künste
Kennzeichen: zwei- oder vierarmig, hält Saiteninstrument Vina, Gebetskette und PalmblattbuchReittier: PfauDurga – die Göttin in ihrer wilden Form
Kennzeichen: Dreizack, Bogen, Schwert, Schlange, Diskus, Keule, Muschelhorn Reittier: Löwe oder TigerKali – die Göttin in ihrer grausigen Form
Kennzeichen: vier Arme mit Geste der Ermutigung, Dreizack, Fangschlinge, Almosen- oder Blutschale, gelegentlich auch mit Schädelkette und auf dem Leichnam von Shiva tanzend, manchmal begleitet von Wolf, Schakal oder HundBrahmanen
Priester, Gelehrte
Vaishyas
Händler, Bauern
Kshatriyas
Adlige, Krieger
Shudras
Handwerker, Arbeiter, Diener
Hinduismus für Dummies
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikationin der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografischeDaten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
2. Auflage 2019
© 2019 WILEY-VCH Verlag GmbH & Co. KGaA, Weinheim
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Alle Rechte vorbehalten inklusive des Rechtes auf Reproduktion im Ganzen oder in Teilen und in jeglicher Form.
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Das vorliegende Werk wurde sorgfältig erarbeitet. Dennoch übernehmen Autorin und Verlag für die Richtigkeit von Angaben, Hinweisen und Ratschlägen sowie eventuelle Druckfehler keine Haftung.
Coverfoto: ©nilanewsom, stock.adobe.comKorrektur: Frauke Wilkens, München
Print ISBN: 978-3-527-71579-4ePub ISBN: 978-3-527-82038-2
Als ich nach Abschluss meiner Schulausbildung ein halbes Jahr nach Indien fuhr, war mir nicht bewusst, dass diese Reise mein weiteres Leben entscheidend prägen sollte. Von den vielen Erfahrungen beeindruckt und verwirrt, beschloss ich nämlich nach meiner Rückkehr, den Dingen genauer auf den Grund zu gehen, und studierte Indologie als Hauptfach in Göttingen. Auch wenn Sie es vielleicht noch nicht gehört haben: Es gibt genauso wie die Sinologie, die sich der Erforschung der chinesischen Kultur widmet, eine Wissenschaft, die sich mit den Sprachen, Religionen und Philosophien Indiens befasst und die Indologie heißt – nicht Indiologie! Auch wenn Kolumbus die Indianer für Inder hielt, tun wir das in der Indologie nicht.
Neben einer Sprachausbildung in Sanskrit, Pali und Hindi lag der Schwerpunkt meines Studiums auf dem Buddhismus. Nachdem ich in Göttingen mein Studium abgeschlossen hatte, wollte ich gern mehr über den Hinduismus wissen und zog in das schöne Heidelberg, wo ich nun für einige Jahre mit einem ganz anderen Thema beschäftigt war, nämlich hinduistischen Totenritualen und Vorstellungen von Ahnen, Geistern und Gespenstern. Diese wurden zum Thema meiner Doktorarbeit. Auch wenn manche Menschen es gelegentlich etwas merkwürdig fanden, dass ich über Geister und Gespenster eine Doktorarbeit schrieb, fand ich das Thema doch sehr spannend. Nach meiner Promotion hatte ich nun erst einmal genug von den alten Sanskrit-Texten und den Toten. Ich wechselte an die Universität Wien, wo ich mich nun schwerpunktmäßig mit dem modernen Nepal befasse. Während all der Jahre seit meinem ersten Indienaufenthalt bin ich immer wieder nach Indien, später auch nach Nepal gefahren, um zu sehen, wie die gelebte Religion aussieht. Jedes Mal lerne ich viel dazu und freue mich, auch anderen Menschen von meinen Erfahrungen berichten zu können.
So gut wie kein Buch entsteht ohne Vorarbeiten, mal abgesehen von der Bibel und dem Veda natürlich. Genauso stehe ich auch auf einem Berg von Literatur, die ich im Laufe der letzten Jahre gelesen, bearbeitet, geliebt und gelegentlich auch verabscheut habe. Das heißt, dass neben mir sehr viel mehr Autoren an dem Buch beteiligt sind, auch wenn sie es nicht wissen. Alle Autoren zu erwähnen würde allerdings zu einem zweiten Band dieses Buches führen. Dennoch möchte ich drei Werke nennen, die ich in besonderem Maße hier verwertet habe und die ich Ihnen natürlich für eine weitere Lektüre wärmstens ans Herz lege. Das sind:
Axel Michaels,
Der Hinduismus
, München: Beck, 1998.
Gavin Flood,
An introduction to Hinduism
, Cambridge: Cambridge University Press, 1996.
Gavin Flood (Hg.),
The Blackwell Companion to Hinduism
. Oxford: Blackwell Publishing, 2003.
Ihnen gebührt neben den vielen nicht namentlich genannten Autoren mein besonderer Dank.
Eine andere Kategorie von Autoren sind die Menschen, denen ich in Indien und Nepal in den letzten knapp 30 Jahren begegnen durfte. Sie alle haben mein Bild über Südasien und den Hinduismus nachhaltig geprägt, indem sie mich an ihren Gedanken, Ritualen und Bräuchen teilhaben ließen. Es ist dieser gelebte Hinduismus, der mir einen weiteren Zugang zum Hinduismus ermöglicht hat, und vieles, was ich mit diesen Menschen erlebt habe, ist in dieses Buch eingeflossen. Ihnen sei herzlich gedankt.
Bei der Entstehung dieses Buches wurde ich von vielen Menschen tatkräftig unterstützt und ihnen allen möchte ich meinen Dank aussprechen.
An erster Stelle danke ich meinem Lehrer und Doktorvater Axel Michaels. Durch seine Vermittlung wurde dieses Buchprojekt überhaupt erst möglich und dies gilt in zweierlei Hinsicht. Zum einen hat er den Draht zum Verlag hergestellt, wodurch ich mit dem Schreiben dieses Buches betraut wurde. Zum anderen hat er durch seine Arbeiten zum Hinduismus, durch die ich viel gelernt habe, auch mittelbar an diesem Buch mitgewirkt. Ihm, ebenso wie meinen anderen akademischen Lehrerinnen und Lehrern, die mich in die faszinierende Welt Indiens und seiner Religionen und Philosophien eingeführt haben, danke ich.
Dem Verlag Wiley-VCH und besonders der Lektorin Inken Bohn, die mich während dieses Projekts betreut hat, danke ich für die Anregung zu diesem Buch, für die freundschaftliche Zusammenarbeit und vor allem für ihre nahezu unerschöpfliche Geduld. Ich hoffe, dass das Ergebnis unserer gemeinsamen Anstrengung die manchmal langen Wartezeiten im Nachhinein dann doch gerechtfertigt hat.
Gregor und Marina Weidt danke ich sehr für unermüdliches und schnelles Korrekturlesen, für viele Vorschläge und vor allem auch Unterstützung in allen Bereichen, die Freundschaft ausmachen. Für ihre Gedanken und Anregungen zu dem Buch und viele gute Gespräche beim Mittagessen danke ich Sonja Stark-Wild.
Bilder sprechen ihre eigene Sprache und können oft Eindrücke viel unmittelbarer vermitteln als Worte. Ich danke daher Gudrun Melzer, Marcus Fornell und Frank J. Korom, die mir bereitwillig Fotos aus ihren Schätzen für das Buch zur Verfügung stellten.
Cover
Titelseite
Impressum
Die sichtbare Autorin
Die unsichtbaren Autoren
Danksagung
Einführung
Über dieses Buch
Konventionen in diesem Buch
Was Sie nicht lesen müssen
Törichte Annahmen über den Leser
Wie dieses Buch aufgebaut ist
Symbole, die in diesem Buch verwendet werden
Wie es weitergeht
Teil I: Es war einmal …
Kapitel 1: Hinduismus – eine europäische Erfindung?
»Hindus« kommen vom Indus
Definitionen und Jeans
Kapitel 2: Vorvedische und vedische Religion
Die Indus-Kultur
Religion des Veda
Kapitel 3: Vom Opferritual zur Weltentsagung
Deutungen des vedischen Rituals
Die Geheimlehren der Upanishaden
Das Ideal des Weltentsagers
Kapitel 4: Klassischer Hinduismus
Die Wiedererstarkung der brahmanisch-rituellen Elemente
Alles, was recht ist: Die Smartas
Der Aufstieg neuer Gottheiten
Die drei wichtigsten Gottheiten und ihre Traditionen
Die sechs philosophischen Hauptsysteme (
darshanas
)
Kapitel 5: Mystiker, Dichter und Heilige
Bhakti – die Liebe des Gottes
Neue Traditionen
Kabir (1398–1518)
Mirabai (1498–1573)
Kapitel 6: Hinduismus in der Moderne
Europäischer Einfluss auf Indien
Phasen der Modernisierung
Kolonialisierung und Versuche der Missionierung
Reformierung des Hinduismus
Rückbesinnung und Traditionalismus
Flucht aus dem Kastensystem: Konversion
Unabhängigkeitskampf: Hinduismus und Nationalismus
Hinduismus für die Welt
Teil II: Glaubensinhalte
Kapitel 7: Der Aufbau der Welt
Quellen der Kosmologie
Aufbau des Kosmos
Der ewig gleiche Kreislauf: Schöpfung und Zerstörung
Verschiedene zeitliche Dimensionen
Kapitel 8: Die hinduistische Götterwelt
Die Götter und Göttinnen
Kapitel 9: Am Anfang war das Wort
Die Macht des Wortes
Religiöse Texte in anderen indischen Sprachen
Kapitel 10: Nix wie weg
Drei Begriffe – Wiedergeburt, Seelenwanderung, Reinkarnation
Die Entwicklung der Karma-Lehre
Entkommen aus dem
samsara
Wiedergeburt in anderen Religionen und Philosophien
Kapitel 11: Religion und Wissenschaft
Wie Wissenschaft aus Religion entsteht
Die Beschäftigung mit der Sprache
Weißt du, wie viel Sternlein stehen …?
Mathematik
Traditionelle Medizin
Teil III: Hinduistische Praxis
Kapitel 12: Die Weltordnung
dharma
Dharma und Ritual
Jeder nach seinem Stand
Das Kastensystem – die Grundlage für die Sozialordnung
Die Pflichten des Königs
Lebensziele und Lebensstadien
Die Pflichten der Frauen
Dharma und Recht
Kapitel 13: Der heiße Draht nach oben – die Verbindung zum Göttlichen
Das himmlische Bodenpersonal
Kapitel 14: Rituale und Feste
Die Vielfalt der hinduistischen Rituale
Die sechzehn Übergangsrituale
Verehrung der Götter
Gelübde oder religiöse Observanzen
Pilgerfahrten
Opfer
Jahresfeste
Kapitel 15: Indischer Tanz und Bollywood
Formen des Tanzes
Bollywood: Das indische Kommerzkino
Kapitel 16: Hilfe auf dem Weg zur Erlösung: Meditation
Meditation und Erlösungsstreben
Die Ursprünge der Meditation in Indien
Yoga
Meditation als Teil eines Rituals
Meditation heute
Kapitel 17: Digitaler Hinduismus
Das Heu im Heuhaufen
Onlinerituale
Der Gemeinschaftsaspekt
Drum google, wer sich ewig bindet …
Mainstreaming der Ideen im Internet
Teil IV: Religion und Gesellschaft
Kapitel 18: Das Kastensystem
Die Begriffe »Kastensystem« und »Kastenwesen«
Sanskrit-Bezeichnungen für »Kaste«
So funktioniert das Kastensystem
Unberührbarkeit
Kapitel 19: Das Leben in einer hinduistischen Familie
Erst die Hochzeit, die Liebe kommt später
Die Großfamilie
Frauen in der hinduistischen Gesellschaft
Kapitel 20: Hinduismus und andere Religionen
Förderung der verschiedenen Religionen
Der Buddhismus in Indien
Völlige Gewaltlosigkeit: Jainismus
Eine neue Religion aus hinduistischen und islamischen Einflüssen – der Sikhismus
Aus Persien nach Indien: Der Zoroastrismus
Indisches Christentum
Der indische Islam
Teil V: Der Top-Ten-Teil
Kapitel 21: Was Sie schon immer über den Hinduismus wissen wollten
Weshalb ist die Kuh in Indien heilig?
Ist der Punkt auf der Stirn der Frauen ein religiöses Zeichen?
Begünstigt der Hinduismus Fatalismus?
Werden bei den Hindus die Hochzeiten nach wie vor arrangiert?
Warum haben die Hindus so viele Götter?
Werden in Indien heute noch Witwen verbrannt?
Spielt das Kastensystem heute auch noch eine Rolle?
Ist der Hinduismus nicht eher eine Lebensphilosophie oder Lebensart als eine Religion?
Wie funktioniert das mit der Wiedergeburt?
Kann man zum Hinduismus konvertieren?
Kapitel 22: Zehnmal Sanskrit-Literatur
Die Überlieferung der Texte
Die vier Veden
Brahmanas, Aranyakas und Upanishaden
Die Sutra-Literatur
Die Dharma-Shastra-Literatur
Die beiden großen Epen – Ramayana und Mahabharata
Puranas
Kapitel 23: Zehnmal Vishnu
Die zehn Erscheinungsformen von Vishnu
Fisch
Schildkröte
Eber
Mann-Löwe
Zwerg
Rama mit der Axt
Rama
Krishna
Buddha
Kalki
Kapitel 24: Zehn berühmte Pilgerstätten in Indien
Die heilige Landschaft
Ayodhya
Mathura
Hardvar
Varanasi
Kanchi
Ujjain
Dvaraka
Badarinath
Puri
Rameshvaram
Das Taj Mahal …
Kapitel 25: Kleiner Tempel-Knigge
Wir müssen leider draußen bleiben
Vorsicht vor Tourist Guides
Weg mit den Schuhen
Rechtsdrehend oder linksdrehend?
Auch wenn der Schweiß strömt
Zigaretten
Gabe an den Priester
Die Segensgabe
Bettler vor dem Tempel
Auch wenn die Liebe noch so groß ist
Teil VI: Anhang
A: Glossar
B: Weiterführende Literatur zu einzelnen Themen
Allgemeine Einführungen und Nachschlagewerke
Verschiedene Themen
Stichwortverzeichnis
End User License Agreement
Kapitel 4
Abbildung 4.1: Trimurti Brahma, Vishnu und Shiva (Foto: Gudrun Melzer)
Abbildung 4.2: Shiva Nataraja – Shiva tanzt den kosmischen Tanz. (Foto: Gudrun Melzer)
Kapitel 8
Abbildung 8.1: Vishnu ruht auf der Weltenschlange Ananta, während Lakshmi seine Füße massiert (Foto: Gudrun Melzer).
Abbildung 8.2: Durga besiegt den Büffeldämon. Ihr Reittier, der Löwe, hilft auch ein bisschen mit (Foto: Gudrun Melzer).
Abbildung 8.3: Ganesha greift mit seinem Rüssel nach den leckeren Süßigkeiten, die er in der Hand hält. Unten rechts schaut sein Reittier, die Ratte, zu ihm auf (Foto: Gudrun Melzer).
Abbildung 8.4: Shiva und seine Gefährtin mit ihren beiden Reittieren Nandi (links) und Löwe (rechts, Foto: Gudrun Melzer)
Kapitel 9
Abbildung 9.1: In den Ritualen werden Sanskrit-Texte nicht nur rezitiert, sondern die Bücher auch mit Blumenkränzen und Geldgaben als heilig verehrt. (Foto: J. Buß)
Kapitel 13
Abbildung 13.1: Asket am Pashupatinath in Kathmandu während des Festes Shivaratri, zu dem Hunderte von Asketen zusammenkommen (Foto: J. Buß).
Kapitel 14
Abbildung 14.1: Die erste Fütterung des sieben Monate alten Bibhushan Shrestha in Kathmandu (Nepal, Foto: J. Buß).
Abbildung 14.2: Verbrennung eines Leichnams auf dem Scheiterhaufen (Foto: Marcus Fornell)
Abbildung 14.3: Ahnenverehrung (shraddha). Die Ahnen werden mit einem Kloß aus Weizenmehl und Wasser, der mit schwarzem Sesamsamen bedeckt ist, verehrt. Der Kloß sieht daher so ähnlich aus wie ein Mohnknödel. Er gilt als Nahrung für die Ahnen, wird aber auch als Repräsentant der Ahnen verehrt. Zur Verehrung gehören unter anderem Gaben von Blüten und gelber Sandelholzpaste sowie das Begießen (Foto: J. Buß).
Kapitel 16
Abbildung 16.1: Das tägliche Bad im Ganges dient nicht nur der körperlichen, sondern vor allem auch der rituellen Reinigung und ist immer auch mit Meditation und Versenkung verbunden (Foto: Marcus Fornell).
Kapitel 17
Abbildung 17.1: Eine Facebook-Seite der Göttin Sarasvati wurde großflächig auf die Außenwand eines kleinen Schreins der Göttin tapeziert. Virtuelle und physische Realität greifen hier ineinander. (Foto: Frank J. Korom)
Kapitel 24
Abbildung 24.1: Badende Männer am Ganges in Benares. Im Hintergrund ist eine Moschee zu sehen. (Foto: Marcus Fornell)
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Der Hinduismus ist eine große Weltreligion und trotzdem vielen Menschen ein Buch mit sieben Siegeln. Er lässt sich nicht auf wenige Lehrsätze oder heilige Schriften reduzieren und hat so viele Facetten, dass schnell das Gefühl entsteht, diese Religion einfach nicht verstehen zu können. Die Welt wächst aber immer mehr zusammen und die Mobilität der Menschen und Ideen hat dazu geführt, dass wir immer öfter mit Menschen anderer Religionen zu tun haben oder ihren Ideen begegnen. Sich da ein bisschen auszukennen hilft nicht nur, die anderen Menschen zu verstehen, sondern erweitert auch den Blick auf die eigene Kultur und Religion.
Ich stamme weder aus Südasien, noch bin ich Hindu. Hinduismus für Dummies wirft daher einen Blick von außen auf den Hinduismus, dabei aber aus der Sicht eines Menschen, der sich lange mit der Region und den Religionen Südasiens beschäftigt hat. Sicherlich gehen dabei einige Perspektiven verloren, dennoch ist es manchmal sehr viel einfacher, jemandem etwas zu beschreiben und verständlich zu machen, wenn man denselben kulturellen Hintergrund teilt: Eine Inderin, die aus dem Nähkästchen plaudert, würden Sie vielleicht gar nicht verstehen, weil Ihnen ihre Vorstellungen fremd sind und die Brücke in den Osten fehlt. Diese Brücke möchte ich Ihnen hier gern bauen – sie führt von West nach Ost. Daher werden Sie auch viele Beispiele finden, die von einer westlichen Erfahrung und Kultur ausgehen. Wenn Sie mit mir auf der anderen Seite der Brücke angekommen sind, werden Sie schon eine ganz andere Grundlage haben, um mit Hindus selbst ins Gespräch zu kommen. Und wer weiß, vielleicht wandern Sie dann zusammen eines Tages mit einem Hindu zurück über die Brücke in den Westen.
Wie jede Religion ist auch der Hinduismus sehr vielschichtig. Es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, sich dem Thema anzunähern und den Hinduismus darzustellen. Mir ist wichtig, dass Sie einen möglichst umfassenden Einstieg bekommen, der einige dieser Möglichkeiten vereinigt. Sie werden also historische Grundlagen, philosophische Hintergründe, die Ausprägungen verschiedener hinduistischer Traditionen, aber auch die Durchwirkung und Prägung der indischen Gesellschaft durch den Hinduismus erklärt finden. Ein wesentliches Anliegen dieses Buches ist es, Ihnen den Hinduismus nicht nur theoretisch näherzubringen, sondern Ihnen das Verständnis für das Leben in einer hinduistischen Gesellschaft zu erleichtern und Tipps zu geben, wie Sie kulturelle Missverständnisse vermeiden können.
Wenn Sie schon einmal etwas über Indien oder indische Religionen gelesen haben, sind Sie mit Sicherheit ab und zu über die komischen Buchstaben gestolpert, die verwendet werden, um Sanskrit-Begriffe in lateinischer Schrift lesbar zu machen. Sie haben sich vielleicht auch gefragt, wo nun der Unterschied zwischen ś, s. und s besteht, was h. genau zu besagen hat und ob es nun wirklich nötig ist, zwischen vier verschiedenen »t« und »d« oder diesen vielen »n« (n., n., ñ, n) zu unterscheiden. Das ist eine standardisierte Umschrift, die von Sprachwissenschaftlern und Indologen verwendet wird, um jedes indische Schriftzeichen genau mit einem lateinischen Buchstaben oder einer Buchstabenfolge wiederzugeben. Es dient der Genauigkeit, aber auch Eindeutigkeit, da ansonsten bestimmte Wörter verwechselt werden könnten.
Schon ein kleiner Längenstrich kann da Welten ausmachen, wie in den beiden Wörtchen śraddhā und śrāddha. Beide würden in der vereinfachten Wiedergabe als shraddha erscheinen. Das erste heißt aber »Glauben, Vertrauen«, das zweite ist der Fachbegriff für »Ahnenritual«. Wenn Sie nun aber trotz der Lektüre dieses Buches nicht beabsichtigen, in den nächsten Wochen zum Sanskrit-Gelehrten zu werden, brauchen Sie diese Zeichen auch nicht und können die Aussprache leichter der vereinfachten Umschrift entnehmen. Eine ganze Reihe von Begriffen hat sich bereits auch schon in dieser vereinfachten Umschrift über den Umweg durch das Englische bei uns eingebürgert, wie eben Krishna oder Vishnu.
Die kursiv gedruckten Wörter, die Sie gelegentlich finden, sind immer in Sanskrit, wenn es nicht anders angegeben ist. Viele Sanskrit-Begriffe sind in verschiedenen modernen indischen Sprachen in einer sehr ähnlichen Form erhalten. Oft fehlt nur ein »a« am Ende des Wortes: So wird zum Beispiel Sanskrit prasada zu Hindi prasad. Beim Stichwortverzeichnis habe ich mich an die in den wissenschaftlichen Bibliotheken übliche Ansetzung gehalten und bei bürgerlichen Namen den Nachnamen als Erstes gesetzt (De, Abhay Charan). Bei spirituellen oder von einem Orden verliehenen Namen wird üblicherweise der gesamte Name als »Nachname« verwendet und auch so angesetzt (Sathya Sai Baba).
Lesen müssen Sie eigentlich gar nichts. Das Buch macht sich auch ganz hübsch im Regal. Aber Sie haben sich schließlich dieses Buch gekauft, um besser über den Hinduismus Bescheid zu wissen, und hier können Sie jede Menge erfahren. Es hängt ein bisschen von Ihrem Interesse ab, was Sie lesen sollten – manche Kapitel geben einen eher historischen Überblick und vermitteln Grundlagen, andere befassen sich mehr mit dem heute gelebten Hinduismus.
Wenn Sie sich in Kürze über die wichtigsten Aspekte informieren möchten, sollten Sie vor allem die Kapitel 4 »Klassischer Hinduismus«, Kapitel 8 »Die hinduistische Götterwelt«, Kapitel 10 »Nix wie weg«, Kapitel 14 »Rituale und Feste« und Kapitel 18 »Das Kastensystem« lesen.
Es gibt ja bekanntlich ganz unterschiedliche Lesegewohnheiten und Sie können anstatt das Buch von vorn bis hinten zu lesen, auch von Symbol zu Symbol oder von Kasten zu Kasten springen. Zehn der wichtigsten Fragen sind am Ende des Buches im Top-Ten-Teil erklärt. Sie können auch von dort einsteigen und das Buch dann »rückwärts« lesen. Denn ich verspreche Ihnen, dass jede Antwort einige neue Fragen aufwirft, die Sie dann hoffentlich in einem anderen Teil des Buches erklärt finden. Es ist ohnehin immer beruhigend zu wissen, wie ein Buch ausgeht.
Wenn Sie also nicht so recht wissen, wo Sie anfangen sollen, und Ihnen das Anfangen am Anfang langweilig erscheint, beginnen Sie bei Kapitel 21 »Was Sie schon immer über den Hinduismus wissen wollten« im Top-Ten-Teil. Die Verweise im Buch werden Ihnen dann einen Weg zeigen, sodass Sie am Ende vielleicht bei Kapitel 1 landen und mit mir darüber nachdenken können, was eigentlich Hinduismus ist.
Sie haben vielleicht gerade mit einem Yoga-Kurs begonnen und wollen wissen, was es mit den Hintergründen so auf sich hat, oder Ihre Tochter hat im Studium diesen »süßen indischen IT-Spezialisten« kennengelernt und möchte nun nach hinduistischem Ritus heiraten. Vielleicht sind Sie selbst die Tochter, oder Sie sehen regelmäßig Bollywood-Filme und möchten nun mehr über die hinduistische Kultur erfahren.
Oder Sie haben gerade einen Flug nach Goa, Mumbai oder Delhi gebucht und haben sich überlegt, dass es doch gut wäre, ein bisschen mehr über Indien zu erfahren. Vielleicht waren Sie neulich von indischen Nachbarn zum Divali-Feiern eingeladen oder haben sich beim Betrachten von weidenden Kühen zum hundertsten Mal gefragt, weshalb diese Viecher in Indien eigentlich heilig sind. Vielleicht haben Sie als Mann die indische Ehefrau Ihres indischen Geschäftspartners beim letzten Abendessen mit einem freundlichen Küsschen begrüßt und wundern sich, warum er nicht mehr mit Ihnen redet. Vielleicht haben Sie aber auch nur Interesse an anderen Kulturen und Ihnen ist Ihre Bhagavad-Gita, die Sie seit Ihrem Aussteigerjahr in den 1970er-Jahren nicht mehr in der Hand hatten, beim Abstauben aus dem Regal gefallen.
All dies sind gute Gründe, um einzusteigen und mehr zu erfahren über eine der größten Weltreligionen. Vorwissen brauchen Sie für dieses Buch nicht – Neugier und die Fähigkeit zu staunen reichen völlig aus.
Es ist nicht nötig, dass Sie auf Seite 1 anfangen und bis zur letzten Seite alles durchlesen. Dieses Buch ist so aufgebaut, dass Sie jederzeit überall einsteigen können. Deshalb lesen Sie ruhig quer, blättern Sie und schauen Sie sich die Passagen zuerst an, die Sie besonders interessieren. Es gibt so viel über den Hinduismus zu entdecken, dass eine Empfehlung, was nun wichtig ist oder nicht, eigentlich nur falsch sein kann. Das, was Sie interessiert, ist auch wichtig für Sie und deshalb sollten Sie das zuerst lesen.
Das Buch geht vom heutigen Hinduismus aus. Das heißt allerdings nicht, dass es keine historischen Bezüge gibt, denn der Hinduismus ist ja nicht über Nacht vom Himmel gefallen, sondern das Ergebnis einer jahrtausendelangen Geschichte. Deshalb erklärt dieses Buch auch historische Grundlagen, die für den Hinduismus bis heute von Bedeutung sind.
Am Ende des Buches finden Sie ein Glossar, in dem die wichtigsten Begriffe noch einmal aufgeführt und erläutert sind. Ein ausführliches Stichwortverzeichnis weist Ihnen den direkten Weg zu gesuchten Antworten. Im Anhang finden Sie außerdem noch eine Auswahl weiterführender Literatur.
Das Buch ist in fünf Teile gegliedert, die Sie unabhängig voneinander lesen können.
Das erste Kapitel dient dazu, Ihnen einen ersten Einblick in die Vielfalt des Hinduismus zu geben und Sie auf verschiedene Fragen und Inhalte aufmerksam zu machen, von denen Sie vielleicht noch gar nicht wussten, dass sie Sie interessieren.
In den Kapiteln 2 bis 6 finden Sie etwas zu den historischen Grundlagen – bevor Sie aber nun den Mund zum großen Gähnen öffnen, sei Ihnen versichert, dass es darin vor allem um die Aspekte geht, die auch heute noch für den Hinduismus von Bedeutung sind. Zum anderen ist es auch eine sehr spannende Angelegenheit – denn die heutigen Religionen und Kulturen sind Ergebnis der Geschichte und viele Ideen und Entwicklungen erschließen sich nur durch den Blick auf die Vergangenheit.
Der zweite Teil mit den Kapiteln 7 bis 11 ist den Glaubensinhalten gewidmet. Hier erfahren Sie, warum im Hinduismus das gesprochene Wort so wichtig ist. Sie können sich über die hinduistische Götterwelt und die kosmologischen Vorstellungen informieren und schließlich erkläre ich, was es mit Karma und Wiedergeburt auf sich hat.
Im dritten Teil mit den Kapiteln 12 bis 17 erläutere ich die hinduistischen Praktiken ausführlich. Der Hinduismus wurde häufig nur anhand seiner Philosophien und Glaubensinhalte beschrieben, dennoch lebt diese Religion vor allem in Ritualen, Festen und Gebräuchen. In diesem Teil werden Sie neben den Ritualen auch die Aufgaben verschiedener Ritualspezialisten erklärt finden, Sie werden erfahren, wie stark und weshalb der Hinduismus auch weite Teile des gesellschaftlichen Lebens durchdringt und wie die Erlösung im Hinduismus durch meditative Übungen im Yoga angestrebt wird. Darüber hinaus finden Sie dort Näheres über den Zusammenhang von Religion und Kunst – bis zum Bollywood-Film. Dieser Teil findet seinen Abschluss mit einem Kapitel über die inzwischen sogar online verfügbaren Rituale und Praktiken.
Im vierten Teil mit den Kapiteln 18 bis 20 behandele ich die Frage von Hinduismus und Gesellschaft auf drei Ebenen:
das Kastensystem
das Familienleben
die Beziehung von Hinduismus zu anderen Religionen
Der fünfte Teil mit den Kapiteln 21 bis 25 ist der Teil, ohne den es kein echtes … für Dummies-Buch gibt. Hier sind jeweils zehn Aspekte zu einem Thema näher ausgeführt. Dort können Sie sich über zehn sehr häufig zum Hinduismus gestellte Fragen informieren, wichtige hinduistische Werke und Literaturgattungen kennenlernen, zehn wichtige Pilgerstätten erkunden, Hintergründe über die verschiedenen Erscheinungsformen des Gottes Vishnu erfahren oder aber einfach Tipps für einen Tempelbesuch erhalten.
In diesem Buch werden Sie auf vier verschiedene Symbole stoßen, die auf besondere Gesichtspunkte aufmerksam machen.
Dieses Symbol weist Sie auf besonders wichtige Aspekte im Verständnis des jeweiligen Kapitels hin. Hier finden Sie in Kürze prägnante Informationen, die Sie durch die Lektüre des Textes vertiefen können. Wenn Sie es eilig haben, lesen Sie zunächst die auf diese Weise gekennzeichneten Passagen, und so »gebrieft« können Sie dann in aller Ruhe Ihr Wissen vertiefen.
Dieses Symbol weist Sie auf häufige Missverständnisse hin. Das können überholte Ansichten oder Vorurteile sein, die seit langer Zeit über den Hinduismus kursieren, aber auch Verhaltensweisen, die in Südasien zu Missverständnissen führen können und die Sie besser unterlassen sollten.
Dieses Symbol gibt ebenfalls Hinweise auf richtige Verhaltensweisen für Südasien, aber auch Tipps im weiteren Sinn. Um eine unbekannte Idee zu verstehen, ist es oft sinnvoll, nach Vergleichen im eigenen Umfeld zu suchen, und bei den Tipps finden Sie dazu reichliche Anregung. Wenn Sie gern mit Gedanken spielen oder auch Gedankenexperimente mit Ihren Freunden oder Verwandten durchführen wollen, achten Sie besonders auf dieses Symbol.
Dieses Symbol begleitet die erläuternden Passagen mit Anekdoten, Geschichten, Mythen oder Zitaten. Hier finden Sie oft kurze Erklärungen zur Bedeutung wichtiger Sanskrit-Begriffe. Die sind sozusagen die kleinen Zuckerstückchen im Buch, die die längeren Passagen versüßen sollen und vielleicht für den ein oder anderen Aha-Effekt sorgen.
Machen Sie Ihr Handy aus, stellen Sie die Klingel ab, zünden Sie ein paar Kerzen und ein Räucherstäbchen an. Dann gießen Sie sich einen Yogi-Tee ein und legen eine Ravi-Shankar- oder Bollywood-CD ein. Notfalls tut es auch Norah Jones. Und nun öffnen Sie das Buch an einer beliebigen Stelle …
Teil I
IN DIESEM TEIL …
Überlegen Sie sich doch einmal, wie schnell eigentlich ein Jahrhundert vergeht! Wann sind Ihre Großeltern geboren? Und deren Großeltern? Und weiter geht es über 3.000 bis 4.000 Jahre zurück. Es scheint unendlich weit weg, andererseits aber auch gar nicht so weit, wenn man bedenkt, wie schnell 100 Jahre vorbei sind. Damals lebten also die Vorfahren unserer Vorfahren und ihnen verdanken wir unsere Existenz.
Genauso ist es auch den Religionen ergangen. Aber genauso wenig wie Ihnen Ihre Vorfahren jetzt direkt zugänglich sind, können wir direkt auf die Zeit und die Gedanken von vor 4.000 Jahren zugreifen. Stattdessen müssen wir uns über Überlieferungen und Lehren langsam rückwärtshangeln, bis wir dort angelangt sind. Genauso wie wir das Produkt am Ende einer langen Reproduktionskette sind, so waren auch diese ersten religiösen Gedanken und Vorstellungen an der heutigen Ausformung der Religionen beteiligt und sind immer noch präsent – wie Ihre Vorfahren in Ihren Zellen.
Das Zurückhangeln erspare ich Ihnen in diesem Teil – Sie können sich ja gedanklich mithilfe Ihrer Großeltern und deren Vorfahren selbst in das zweite Jahrtausend vor Christus zurückversetzen. Steigen Sie also dort mit mir ein und verfolgen Sie in diesem ersten Teil die Entwicklung des Hinduismus von den ersten Anfängen bis heute.
Kapitel 1
IN DIESEM KAPITEL
Geschichte der Begriffe »Hindu« und »Hinduismus«
Hinduismus-Definition
Ein erster Eindruck vom Hinduismus
Die Wahrnehmung des südasiatischen Subkontinents und der Menschen, die dort leben, hat sich im Verlauf des letzten Jahrhunderts sehr gewandelt. Neben dem geheimnisvollen Indien, dem Land der Yogis und Fakire und der spirituellen Lehren, war Indien auch lange ein Land, dessen Image mit Hungerkrisen und Entwicklungshilfe verbunden war. Dies hat sich nachhaltig gewandelt. Indien hat einige Exportschlager hervorgebracht: In den 1960er- und 1970er-Jahren waren es noch Gurus und esoterische Lehren, die den Westen beflügelten, mittlerweile sind es IT-Spezialisten und Bollywood-Filme, die uns aus Indien erreichen. Demgegenüber nehmen leider negative Schlagzeilen wieder zu, etwa über brutale Vergewaltigungen oder die Verfolgung von Minderheiten und Andersdenkenden, die den regierenden Hindu-Nationalisten ein Dorn im Auge sind.
Indien hat in den letzten Jahrzehnten ein starkes Selbstbewusstsein entwickelt – und verweist stolz sowohl auf das reiche kulturelle Erbe als auch auf die neuesten industriellen und technischen Entwicklungen. Spätestens seitdem indische Konzerne europäische Marken aufkaufen, wie etwa der Tata-Konzern die Automarken Land Rover und Jaguar, wird klar, dass da ein Global Player entstanden ist, den zu unterschätzen oder zu ignorieren katastrophal wäre.
Aber was wissen wir eigentlich über das Land, das China etwa ab dem Jahr 2025 als das bevölkerungsreichste Land der Erde ablösen wird? Die indische Kultur kann mit Recht auf eine Vergangenheit verweisen, die die Menschheit in religiöser, philosophischer und künstlerischer Hinsicht außerordentlich bereichert hat. Wie jedes Volk der Erde haben auch die indischen Völker ihren besonderen Beitrag zur Menschheitsgeschichte und -kultur geleistet.
In einer zunehmend zusammenwachsenden Welt wird es immer wichtiger, sich gegenseitig zu verstehen, um sich respektieren zu können. 80 Prozent der indischen Bevölkerung sind Hindus – diese Religion prägt nach wie vor die Kultur und Gesellschaft Indiens wesentlich und ist ein, wenn nicht der Schlüssel zum Verständnis Indiens oder besser gesagt Südasiens. Ich vermute mal, dass Sie das so ähnlich sehen – denn darum halten Sie jetzt dieses Buch in den Händen, das Ihnen die Grundlagen des Hinduismus näherbringen wird. In diesem Kapitel erhalten Sie einen kleinen Überblick über diese Grundlagen.
In diesem Buch erscheint gelegentlich der Begriff »Südasien«. Südasien ist ein geografischer Begriff für die ganze Region des Subkontinents, umfasst also verschiedene Staaten. Zu Südasien werden gezählt: die Republik Indien, Nepal, Pakistan, Bangladesh, Bhutan, Sri Lanka und die Malediven. Gemeinhin wird zwar der ganze Bereich auch oft als »Indien« bezeichnet – dennoch ist das zu ungenau, da »Indien« eben auch nur den indischen Staat bezeichnen kann und nicht alle Aussagen über Indien auch auf alle in Südasien beheimateten Staaten zutreffen. Sie sollten Südasien außerdem nicht mit Südostasien verwechseln, denn das ist die im Osten an Südasien angrenzende Region.
Der Begriff »Hindu« und davon abgeleitet »Hinduismus« sind keine Bezeichnungen, die von den Hindus selbst stammen. Sie wurden erst nach und nach in den letzten beiden Jahrhunderten auch von Hindus übernommen und gehören erst seit kürzerer Zeit zu den geläufigen Begriffen, mit denen sich Angehörige dieser Glaubensrichtung selbst bezeichnen.
Der Begriff »Hindu« stammt von dem Sanskrit-Wort sindhu, das allgemein »Fluss« heißt und speziell den Indus bezeichnet. Sowohl die Perser als auch die Griechen verwendeten dieses Wort, um nicht nur den Fluss zu bezeichnen, sondern auch die an diesem Fluss lebenden Menschen: Aus den am Indus lebenden Menschen machten die Griechen die Indoi und die Perser die Hindus. Unser Wort Inder geht also über das Griechische auf dieselbe Grundlage zurück – nur hat es keine Verbindung mit der Religionszugehörigkeit, sondern bezeichnet die in Indien lebenden oder aus Indien stammenden Menschen.
Im Persischen wurde aus sindhu »Hindu« und als sich die islamische Herrschaft über Indien ausbreitete, wurde es von den Muslimen für die Nichtmuslime verwendet – hier nahm die Bezeichnung also eine religiöse Färbung an. Allerdings war »Hindu« noch kein Begriff für eine eigene Religion, sondern allgemein für die Inder, die keine Muslime waren, und das war und blieb die Mehrheit der Bevölkerung. Als nun die englischen Kolonialherren von den Muslimen nach und nach Verwaltungsstrukturen und Herrschaft übernahmen, benutzten sie auch die Bezeichnung »Hindu«. Anders als die Muslime aber vermuteten die Kolonialbeamten und die frühen Wissenschaftler eine eigene, einheitliche Religion hinter diesem Begriff.
Zwei Begriffe, die ähnlich klingen, aber etwas ganz anderes bezeichnen: »Hindu« und »Hindi«. »Hindu« oder im Plural »Hindus« ist die Bezeichnung für einen Anhänger des Hinduismus, bezeichnet also die Religionszugehörigkeit. »Hindi« ist dagegen der Name einer Sprache, genauer gesagt einer modernen südasiatischen Sprache, die im Norden Indiens gesprochen wird, die aber auch von vielen der Nicht-Hindi-Muttersprachler in Indien verstanden und gesprochen wird. Das, was in fast allen Bollywood-Filmen gesprochen wird, ist zum Beispiel Hindi.
Die Sprache steht jedoch nicht in einer zwangsläufigen Beziehung zur Religionszugehörigkeit. Ein Hindu spricht also nicht notwendigerweise Hindi und nicht jeder, der Hindi spricht, muss ein Hindu sein. In Indien gibt es vielmehr eine ganze Reihe von verschiedenen Sprachen und Religionen. Allerdings ist der Hinduismus die Religion der Mehrheit. Genauso ist Hindi die Sprache, die die größte Sprechergemeinschaft in Indien hat. Das liegt allerdings nicht nur an der Zahl der Hindi-Muttersprachler, sondern auch daran, dass viele anderssprachig aufwachsende Inder Hindi in der Schule lernen und es als gesamtindische Sprache neben dem Englischen auch als Amtssprache verwenden.
Das Problem, den Hinduismus als eine Religion zu definieren, hat zwei Ursachen. Zum einen haben die Wissenschaftler und Ethnografen, die sich als Erste mit dieser fremden Religion beschäftigten, das eigene Religionsverständnis auf den Hinduismus übertragen. Dies war aber ein christliches Verständnis, das von einheitlichen Grundlagen ausgeht:
ein
Gott im Zentrum
eine heilige Schrift
eine Betonung der Bedeutung von schriftlicher Tradition durch die lange Auslegungstradition der Bibel
eine gemeinsame Institution (Kirche) mit allgemein verbindlicher Lehre
ein Oberhaupt der Institution
Auch die Vielzahl von Ritualen, Hierarchien, Völkern, Ideen und Traditionen, denen die Forscher gegenüberstanden, machten es schwer, den Hinduismus als eine Religion zu definieren. Das Religionsverständnis der Wissenschaftler und Ethnografen passte also nicht zum Hinduismus, denn im Hinduismus gibt es nicht ein heiliges Buch, sondern viele, kein Ritual oder Glaubensgrundsatz, der für alle Hindus verbindlich wäre – nicht einmal das Kastensystem oder die Karma-Lehre. Es gibt keine Institution, die das religiöse Leben für alle regelt, es gibt kein alleiniges Oberhaupt, es gibt neben der schriftlichen Tradition eine weitere reiche mündliche Überlieferung, es gibt keine Rituale, die für alle verbindlich oder wichtig wären. Die Liste ließe sich noch lange weiterführen.
Die enge Definition von Religion passte also nicht auf ein viel breiteres Phänomen. Das ist so ähnlich als wenn Sie versuchen würden, eine alte, zwei Nummern zu kleine Jeans mit aller Gewalt anzuziehen. Aus diesem Kernproblem ist eine Reihe von Folgen entstanden, mit denen sich die Wissenschaft immer noch und immer wieder herumschlägt. Mit diesem Problem kann man unterschiedlich umgehen:
Sturheit:
Die enge Definition von Religion
bleibt bestehen und aus der Vielzahl der Phänomene wird das Passende herausgesucht, der Rest wird zu Verfallserscheinungen erklärt oder auf äußere Einflüsse zurückgeführt. (Die Jeans passt, wenn vorher ordentlich Fett abgesaugt wird – tut aber weh!)
Überarbeitung der Definition:
Die Definition von Hinduismus und der Religionsbegriff müssen überdacht und neu angepasst werden. In Berücksichtigung der vielfältigen Phänomene wird versucht, eine passende Definition zu finden, die einerseits die Vielfalt der Phänomene berücksichtigt, andererseits aber trotzdem noch aussagekräftig und nicht beliebig ist. (Sie legen die Jeans zur Seite und probieren in Ruhe verschiedene Hosen und kaufen dann eine passende.)
Postmoderne Beliebigkeit:
Es gibt weder Religionen noch Hinduismus. Alles ist im Fluss und man kann Dinge nur in kleinteiligster Beziehung zueinander verstehen – Aussagen, die so etwas wie eine gültige Definition auch nur im Ansatz anpeilen, sind verpönt, weil die Wahrheit als wissenschaftliches Kriterium verneint wird, da es keine objektiven Wahrheitskriterien gibt, sondern nur den subjektiven Standpunkt. Prima Ansatz, um sich das Problem klarer Aussagen und das Beziehen von Positionen zu ersparen, und letztlich auch unwissenschaftlich, denn wirkliche Wissenschaft setzt das Streben nach Wahrheit voraus, auch wenn sich diese in vielfältigem Gewand offenbart. (Sie laufen nackt herum – denn die Hosen existieren ebenso wie Sie selbst nur in Ihrer Vorstellung.)
In den folgenden Kapiteln bemühe ich mich, Ihnen nach der Methode zwei (viele Jeans anprobieren) die Vielfalt der verschiedenen hinduistischen Traditionen nahezubringen, aber auch zum Nachdenken über den Religionsbegriff anzuregen.
Die Unterschiede liegen nicht nur im Inhalt, sondern auch im Auge des Betrachters. Damit kommen wir aber schon in philosophische Gefilde – denn die Frage, ob die Unterschiede durch den Betrachter erzeugt werden oder in den Dingen selbst schon vorhanden sind, ist eine erkenntnistheoretische Frage, über die Sie einmal nachdenken können, aber in diesem Buch wollen wir sie lieber nicht weiterverfolgen.
Der Hinduismus ist also eine Religion, die sehr breit gefächert und schwer zu definieren ist. In diesem Buch verwende ich daher statt »Hinduismus« lieber »hinduistische Traditionen«. Ich halte es für gerechtfertigt, von hinduistischen Traditionen zu sprechen, und schließe mich damit den Indologen an, die statt einiger fester Definitionskriterien, die unbedingt gelten müssen, damit ein religiöses Phänomen als Hinduismus bezeichnet werden kann, eine Reihe von Kriterien annehmen, von denen einige zutreffen sollten, aber nicht alle gleichzeitig zutreffen müssen. So wird der Vielfalt Rechnung getragen und die Bestimmung geht nicht in Beliebigkeit über. Die Kriterien sind den folgenden Bereichen entnommen.
»Was ist Hinduismus?«, fragte ich die Soziologen. »Hinduismus? Das sind viele Kasten und ein kompliziertes soziales Geflecht!«
»Was ist Hinduismus?«, fragte ich die Ethnologen. »Hinduismus? Das sind sehr viele verschiedene Völker mit ganz unterschiedlichen Vorstellungen und Praktiken!«
»Was ist Hinduismus?«, fragte ich die Philosophen. »Hinduismus? Hinduismus ist die Einheit von atman und brahman!«
»Was ist Hinduismus?«, fragte ich die Religionswissenschaftler. »Hinduismus? Das ist der Glaube an viele Götter und gleichzeitig der Glaube an einen Hauptgott!«
»Was ist Hinduismus?«, fragte ich die Indologen. »Hinduismus? Das sind viele heilige und sehr alte Texte in Sanskrit!«
»Was ist Hinduismus?«, fragte ich die alten, ehrwürdigen Brahmanen. »Hinduismus? Das ist der Veda und das Opfer!«
»Was ist Hinduismus?«, fragte ich einige Gläubige. »Hinduismus ist die schmerzhafte, die unerfüllte und doch erfüllende Liebe zu Krishna!«
»Was ist Hinduismus?«, fragte ich die Yogis. »Hinduismus? Ommmmmm!«
»Was ist Hinduismus?«, fragte ich schließlich den Mystiker. »Hinduismus? Weiß ich nicht, aber das weiß ich genau!«
Jede Religion ist das Ergebnis ihrer Geschichte. Auch die hinduistischen Traditionen sind nicht über Nacht vom Himmel gefallen, sondern über sehr lange Zeiträume entstanden. Die Geschichte des Hinduismus hängt wesentlich von dem Material ab, das uns erhalten ist. Dieses Material besteht zum einen aus archäologischen Funden und zum anderen aus dem reichen Textmaterial der religiösen Überlieferungen. Anfangspunkt ist der Veda, die früheste erhaltene Überlieferung Indiens und auch für einen Großteil der hinduistischen Traditionen verehrte heilige Offenbarung – auch wenn inhaltlich heute kaum noch Bezüge zur vedischen Religion bestehen. Eine ganze Reihe von Traditionen entstand sogar in der Ablehnung der vedischen Religion.
An den Veda schließt sich eine reiche Textüberlieferung in Sanskrit an. Ritualvorschriften, theologische Auseinandersetzungen, Philosophien, Mythologie, Dichtung und Dramen entstanden in großer Zahl und liefern einen umfangreichen Schatz an Informationen.
Neben der Sanskrit-Überlieferung kommen noch weitere Texte in anderen Sprachen dazu, die zum Teil ähnlich alt sind. Durch die Überlieferung ist die Perspektive der Schriften aber meist die der Brahmanen, da sie die Hüter des Wissens und die Gelehrten waren. Das heißt, dass wir in den Sanskrit-Schriften vor allem mit ihren Ansichten zu tun haben. Traditionen, die auch zur Entwicklung des Hinduismus beigetragen haben, haben dennoch gelegentlich auch ihre Spuren in diesen Texten hinterlassen – indem ihre Ideen populär wurden und nach und nach in die brahmanische Tradition einflossen. Zu beachten ist, dass die Schrift als Überlieferungsmedium keineswegs den Vorrang hatte – viele Texte wurden über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende mündlich überliefert und bis heute gibt es mündliche Überlieferungen, die lebendig weiterbestehen und nie aufgeschrieben wurden.
Von den volksreligiösen Traditionen gehen viele Impulse aus, die wichtige Bestandteile des Hinduismus sind – dazu gehören zum Beispiel die Verehrung lokaler Gottheiten mit eigenen Kulten, aber auch Besessenheit, Medien, die als Heiler wirken, oder Blutopfer. Ein Beispiel für das Zusammenspiel ist die Identifikation eines lokalen Gottes mit einer Gottheit des allgemeinen hinduistischen Götterkreises. So ist die Gottheit mit ihrem lokalen Namen als eine volksreligiöse Gottheit präsent, indem sie aber etwa als Erscheinungsform von Vishnu, Shiva oder Durga angesehen wird, ist zugleich die Hochreligion präsent.
Der Begriff »Volksreligion« ist aus der Mode gekommen, weil er einen abfälligen Beigeschmack hat: Volksreligion steht so ein bisschen als die Religion der Masse da, die es nicht besser kann. Der Hochreligion wird implizit ein höherwertiger Status zugesprochen. Das ist insofern nicht richtig, als beide Religionsformen ineinandergreifen – die Hochreligion bietet Orientierungspunkte für die Volksreligion, gleichzeitig werden aber auch Elemente der Hochreligion in die Volksreligion integriert und umgekehrt. Beide sollten also nicht als zwei getrennte Arten der Religiosität aufgefasst werden, sondern als ineinandergreifend und aufeinander bezogen.
Neben der reichen Schrifttradition ist besonders die Ritualpraxis ein wesentliches Kriterium des Hinduismus. Hindu ist man nicht unbedingt durch das, was man glaubt, sondern durch das, was man tut. Seit der vedischen Religion hat der Hinduismus eine außerordentlich reichhaltige Ritualpraxis hervorgebracht. Die Ritualpraxis ist in hohem Maße davon abhängig, in welchem Lebensstadium sich ein Hindu befindet, welcher Kaste er angehört, ob er ein Asket oder ein Familienvater oder eine Frau ist und aus welcher Gegend er stammt.
Die asketischen Traditionen zielen auf die Verwirklichung der Erlösung aus dem ewigen Kreislauf der Wiedergeburten. Zentrales Mittel zur Erlangung der Erlösung beziehungsweise zur Vernichtung des bestehenden Karmas sind neben der Meditation asketische Praktiken, die von Nahrungsentzug über extreme Hitze oder Kälte bis zu dem jahrelangen Verharren in einer Position reichen. Obwohl die ersten Asketen die vedische Religion und die dazugehörigen Opferrituale ablehnten, sind ihre Ideen und Praktiken heute Bestandteile des Hinduismus.
Das Kastenwesen ist für den Hinduismus sehr wesentlich. Nach klassisch brahmanisch-orthodoxer Ansicht ist der Platz eines jeden Menschen im Kosmos und im Leben genau durch seine Kaste geregelt: Der Mensch hat sein Leben entsprechend der Kastenpflicht zu führen.
Dieses Eingebundensein in die kosmische Ordnung sowie die kosmische Ordnung selbst werden als dharma bezeichnet. Die gesellschaftliche Realität ist zwar stark vom Kastenwesen bestimmt – dennoch ist hier vieles anders, als die theoretischen Schriften der Brahmanen es vorsehen. Vor allen Dingen ist das Kastensystem ein lebendiger Organismus gesellschaftlicher Beziehungen, in dem zwar viel Ungleichheit herrscht, dennoch aber auch Raum für das Aushandeln für Hierarchien ist. Viele hinduistische Reformgruppen lehnen die Vorherrschaft der Brahmanen, den Veda und das Kastenwesen ganz ab – sie sind aber trotzdem Bestandteil des Hinduismus.
Kapitel 2
IN DIESEM KAPITEL
Eine der frühesten Hochkulturen und ihre ungelösten Rätsel
Einwanderung arischer Stämme nach Indien
Vedische Opferrituale und sinnenfrohe Götterwelt
Der Hinduismus ist eine sehr alte Religion, deren Ursprünge weit in die Geschichte der Menschheit zurückreichen. Zwar war die vor 3.000 bis 4.000 Jahren praktizierte Religion noch kein Hinduismus, aber einige Elemente, die sich damals herausbildeten, wirken im Hinduismus fort. Das Christentum fängt auch mit Adam und Eva an und gründet damit auf der jüdischen Überlieferung. In diesem Kapitel erfahren Sie darum etwas über die Vorgeschichte des Hinduismus. Wie sehr Debatten über die indische Frühgeschichte heute in Indien die Gemüter erhitzen, können Sie hier auch erfahren.
In den 1920er-Jahren revolutionierte eine Entdeckung im Nordwesten des indischen Subkontinents das Bild der indischen Frühgeschichte. Im Indus-Tal im heutigen Pakistan wurden von dem Team von Sir John Marshall, dem Leiter des Archaeological Survey of India, die Ruinen mehrerer Städte und kleinerer Siedlungen gefunden. Diese sind ab dem dritten Jahrtausend v. Chr. entstanden, ihre Besiedlungsgeschichte reicht aber bis ins siebte oder sechste vorchristliche Jahrtausend zurück. Sehr schnell wurde den Archäologen klar, dass sie es mit den Überresten einer Hochkultur zu tun hatten, deren Ausdehnung sie erst nach und nach erfassten. Besonders auffällig war die Einheitlichkeit der Indus-Kultur, die sich innerhalb des großen Gebiets besonders auf Keramik, Architektur und Schrift erstreckte, aber auch Maße und Gewichte umfasste. Sogar die Größe der Ziegelsteine war genormt. Daher liegt es nahe, einen zentralen Staat zu vermuten, der wahrscheinlich sogar theokratisch organisiert war.
Zunächst gruben Archäologen die Reste von zwei großen, mehrere Quadratkilometer umfassenden Städten aus, die nach den heutigen Namen der Gegenden als Harappa und Mohenjo Daro bekannt sind. Nach und nach wurden etwa 1.000 weitere Ortschaften auf einem Gebiet von 1,3 Millionen Quadratkilometern gefunden.
Ihren Höhepunkt hatte die Indus-Kultur zwischen 2300 und 2000 v. Chr. Sie verschwand nach und nach ab 1800 v. Chr. und war bis 1500 v. Chr. untergegangen, vermutlich aufgrund verschiedener Ursachen wie veränderter Umweltbedingungen, Überbewirtschaftung und dem Einfall von Fremdvölkern. Im Norden und im südöstlichen Gebiet (heute Gujarat) gab es noch über Jahrhunderte Siedlungen, die aber nur noch als eine Spätform der früheren Hochkultur gelten können.
Sowohl Harappa als auch Mohenjo Daro haben im westlichen Teil der Stadt eine Art erhöhter Akropolis mit Versammlungshallen und öffentlichen Gebäuden, unterhalb derer die Unterstadt liegt. Die Städte sind einheitlich angelegt mit gleichmäßiger Straßenführung von großen Hauptstraßen, die von Ost nach West oder Nord nach Süd verlaufen, bis zu zehn Meter breit sind und die Stadt in große rechteckige Wohnblocks einteilen. Besonders zu erwähnen sind das hoch entwickelte Abwassersystem – jedes größere Haus hat ein eigenes Bad – sowie die hohe Brunnendichte, aber auch die Anlage des sogenannten »großen Bades« in Mohenjo Daro, das ähnlich wie die späteren Tempelteiche vermutlich für rituelle Bäder genutzt wurde.
Die Unkenntnis der Schrift und die Tatsache, dass es aus jener Zeit keine weitere schriftliche Überlieferung gibt, macht die Erforschung der Indus-Kultur nicht einfach. Daher kommt der Interpretation der archäologischen Funde wie der Siegel, Terrakottafiguren, Statuen oder auch Werkzeuge eine große Bedeutung zu.
Die vielleicht wichtigste Errungenschaft der Indus-Kultur war die Verwendung einer Schrift, die trotz vieler Versuche bis heute allerdings nicht entziffert werden konnte. Die Schriftzeichen finden sich auf mehreren Tausend Siegeln aus Steatit (Speckstein), dessen weiche Beschaffenheit eine leichte Bearbeitung ermöglicht. Eine große Auswahl dieser Siegel können Sie sich auf www.harappa.com ansehen.
Neben den Schriftzeichen sind auf den Steatit-Siegeln zahlreiche religiöse Darstellungen und Symbole zu sehen, von denen einige möglicherweise auch ihren Eingang in die spätere vedische Religion und darauf folgend in den Hinduismus gefunden haben. Ein Beispiel für die mögliche Kontinuität religiöser Vorstellungen ist die Darstellung eines mit auf dem Boden verschränkten Beinen sitzenden Gottes, der einen dreiteiligen Kopfschmuck trägt.
Die Sitzposition erinnert an die spätere Yoga-Haltung, der Kopfschmuck an den Dreizack von Shiva. Um die Figur herum sind Tiere dargestellt und da Shiva auch als Herr der Tiere gilt, wird vermutet, dass es sich hier um eine Frühform von Shiva handelt, den sogenannten Proto-Shiva. Auch andere religiöse Vorstellungen haben so möglicherweise ihre Vorläufer in der Indus-Kultur – solange aber die Schrift nicht entziffert ist, kann dies nicht mit Sicherheit entschieden werden.
Die früheste erhaltene Textüberlieferung in Indien, der vermutlich ab 1500 v. Chr. entstandene Rig-Veda, umfasst eine Sammlung von 1.028 überwiegend an Gottheiten gerichtete Hymnen. Diese Hymnen enthalten in ihren Gleichnissen und Andeutungen von historischen und mythischen Ereignissen auch viele Hinweise auf das kulturelle und geografische Umfeld, in dem sie entstanden. Aus diesen Aussagen kann entnommen werden, dass die vedischen Arier die frühesten Hymnen im Nordwesten Indiens, im Gebiet des heutigen Panjab verfassten.
Der Begriff »Arier« ist durch die nationalsozialistische Rassenideologie stark belastet. Deshalb mag es Ihnen seltsam erscheinen, dass im Folgenden so viel von Ariern die Rede ist. Der Begriff geht indes auf das Sanskrit-Wort arya zurück und bedeutet »edel« oder »der Edle«. Mit diesem Wort benannte sich die indogermanische Volksgruppe selbst, die im Nordwesten Indiens sesshaft wurde und dort die vedische Kultur begründete. Die Begriffe »Arier« oder »Indoarier« beziehen sich also nicht auf nationalsozialistische Rassenideologien, sondern auf die Volksstämme, die nach Indien einwanderten. Schließlich können sie nichts dafür, dass Hitler ihren Namen für das Zerrbild einer blonden Herrenrasse missbraucht hat, wie er auch andere religiöse Symbole für seine Zwecke umdeutete. Ein bekanntes Beispiel dafür ist die Swastika, ein Glückssymbol, das zu dem nationalsozialistischen Symbol schlechthin wurde, dem Hakenkreuz.
Wie die Indoarier in den Nordwesten kamen und wie ihr Verhältnis zu den Bewohnern der Indus-Kultur war, ist eine bis heute höchst kontrovers diskutierte Frage. Zwei Thesen stehen gegeneinander:
die These der arischen Invasion oder Migration
die These des einheimischen Ursprungs der Arier
Die Swastika ist eines der ältesten Symbole der Menschheit. Ihre Verwendung reicht bis in prähistorische Zeiten zurück und ist keineswegs nur auf Indien beschränkt gewesen. Die Swastika ist ein Kreuz, dessen Enden im rechten Winkel umgebogen sind. Es gibt zwei Möglichkeiten, die Enden umzubiegen, nämlich entweder nach rechts oder nach links. Die Form, in der die Enden nach rechts umgebogen sind, ist allerdings sehr viel häufiger.
Die häufige Verwendung in verschiedenen indischen Religionen hat dazu geführt, dass es heute als Glückssymbol vor allem mit Indien in Verbindung gebracht wird und sich deshalb die aus dem Sanskrit stammende Bezeichnung »Swastika« dafür durchgesetzt hat. Dies gilt insbesondere für die Abgrenzung der Begrifflichkeit zu dem »Hakenkreuz«, das die von den Nationalsozialisten zu ihrem Symbol erklärte Swastika bezeichnet. Sie hatten sich die Swastika als vermeintlich arisches Glücks- und Siegessymbol angeeignet.
Der Sanskrit-Begriff »Swastika« geht auf die beiden Wörter su, »gut«, und asti, »es ist«, zurück. Damit ist also der Wunsch nach Heil, nach Wohlsein und Glück verbunden. Die weltweite Verbreitung der Swastika in verschiedenen voneinander unabhängigen Kulturen spricht dafür, dass sie nicht aus einer Gegend übernommen wurde, sondern unabhängig voneinander an vielen Orten verwendet wurde, also ein ureigenstes menschliches Symbol ist. Entsprechend unterschiedlich sind auch ihre Bedeutungen. So wird die Swastika als Sonnensymbol, aber auch als Erd- oder Feuersymbol verstanden, kann aber auch für verschiedene Gottheiten stehen.
Die wahrscheinlichere These geht davon aus, dass die nomadischen Indoarier aus dem Nordwesten in mehreren Wellen nach Indien vordrangen und sich mit der dort ansässigen dravidische Sprachen sprechende Bevölkerung, die eventuell die Nachfahren der Industal-Bewohner waren, vermischten. Ein wichtiges Indiz für diese These kommt aus der Analyse der Sprachverwandtschaft.
Das frühe vedische Sanskrit gehört zu der indogermanischen Sprachfamilie. Das Adjektiv »indogermanisch« leitet sich von der äußersten östlichen und westlichen Ausdehnung her, in der diese Sprachfamilie vertreten ist. Die Verwandtschaft dieser Sprachen setzt eine gemeinsame Ursprache voraus, das Indogermanische, für das zwar keine Belege erhalten sind, das aber durch Sprachvergleich erschlossen werden kann.
Die Indizien sprechen dennoch dafür, dass die indoarischen Stämme im zweite Jahrtausend v. Chr. aus Zentralasien durch Afghanistan nach Indien eingewandert sind. Nachdem die vedischen Arier einige Zeit am Oberlauf des Indus und seinen Nebenflüssen im heutigen Panjab lebten, drangen sie dann weiter nach Osten in die Ganges-Ebene bis in den heutigen indischen Bundesstaat Bihar vor.
Diese These wurde zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch in einer verschärften Form als die der arischen Invasion propagiert, die ganz im Sinne des Rassenwahns den hübschen, edlen und kulturell weit überlegenen Arier den hässlichen, unterlegenen dunkelhäutigen Urbewohner unterwerfen und ihm die überlegene arisch-vedische Kultur bringen ließ. In dieser Form ist die These nicht haltbar, da zum einen die Kulturbegegnung nachweislich in beide Richtungen verlief und die sogenannte Invasion der Arier wohl eher eine Wanderbewegung und langsame Anpassung war als reine Eroberung und Unterwerfung, auch wenn die vedisch-arische Kultur zur dominanten Kultur wurde, die sich schließlich auch nach Südindien ausbreitete. Neuere Forschungsergebnisse unterstützen inzwischen diese These, die bislang aufgrund sprachhistorischer Erwägungen aufgestellt worden war. Eine 2017 veröffentlichte Studie fand heraus, dass in der Bronzezeit vor allem Männer aus Zentralasien nach Indien einwanderten. Diese aber haben höchstwahrscheinlich die indoeuropäische Kultur und Sprache nach Indien gebracht.
Die These der Zuwanderung wird von einigen indischen Wissenschaftlern abgelehnt, da sie darin kolonialistische Klischees vertreten sehen und meinen, die Herkunft der Arier auf indischem Boden belegen zu können. Die sachlich-wissenschaftliche Diskussion ist stark geprägt von dem Versuch einiger indischer Historiker, die Kontrolle über die Deutung ihrer eigenen Geschichte zurückzuerlangen, die sie immer noch von westlichen Wissenschaftlern und ihren vermeintlich imperialistischen Neigungen dominiert sehen.
Vertreter dieser These gehen davon aus, dass die Indoarier nicht eingewandert sind, sondern schon immer in Indien gelebt haben und die vedische Kultur nach und nach aus der Indus-Kultur hervorgegangen ist. Entsprechend werden auch die Indus-Schrift und -Sprache als indoarisch aufgefasst. Diese These widerspricht aber vielen archäologischen und sprachhistorischen Befunden. Auch hier steht und fällt alles mit den unentzifferten Schriftzeichen auf den Siegeln – solange dies nicht gelingt, lässt sich diese These daher weder schlüssig belegen noch mit letzter Sicherheit entkräften.
Gerade die Beschäftigung mit der indischen Frühgeschichte ist ein Beispiel dafür, wie die Interpretation der Geschichte dazu missbraucht werden kann, eigene politische Positionen zu untermauern. Viele Nationalisten in Indien benutzen die Geschichte, um den heutigen Nationalstaat als schon immer vedisch-hinduistisch zu legitimieren. Sie behaupten, dass die Indus-Kultur eine einheimische arische Kultur sei, die auf indischem Boden entstanden sei und bis heute fortgedauert habe. Auf dieser Grundlage betrachten sie alle Anhänger anderer Religionen, die nicht Teil dieses nationalistisch-religiösen Geschichtsmythos sind, als Bürger zweiter Klasse. Sie schaffen so eine Legitimation, diese zu verfolgen und zu diskriminieren. Seien Sie also ruhig misstrauisch, wenn jemand die moderne indische Nation schon in der Indus-Kultur begründet sieht oder aus »historischen« Gründen die indischen Muslime oder Christen als Fremdkörper und Aggressoren betrachtet.